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Über dieses Buch:

Die junge Journalistin Julia Herford bekommt einen herausfordernden Auftrag: Für ihre Zeitschrift soll sie die höchst geheime Identität eines italienischen Bestsellerautors aufdecken! Der überaus beliebte Autor wird in Venedig vermutet – und so beginnt für Julia eine turbulente Reise in den Süden. Dabei kreuzen ihre Wege immer wieder die des ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Frank Fischer. Obwohl Julia sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen fühlt, will sie ihren Gefühlen nicht nachgeben: Für ihren Job braucht sie gerade einen klaren Kopf, und Karriere ist wichtiger als süße Amarettoküsse … oder?

Über die Autorin:

Marie Winter hat ihre Liebe zu Büchern zum Beruf gemacht. Nach vielen Jahren als Lektorin in einem renommierten Verlag ist sie jetzt freie Autorin. Die Tierfreundin lebt mit ihrer Familie, zu der etliche Tiere gehören, im Bergischen Land in der Nähe von Köln.

Marie Winter veröffentlicht bei dotbooks »Weil unsere Liebe ewig ist«, »Hundert Momente mit dir«, »Die Sterne in deinen Augen«, »Das Leuchten deines Herzens«, »Weil mein Herz dich finden will« und »Mein Glück in deinen Armen«.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Mai 2019

Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel »Julia sucht Romeo« bei Blanvalet

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Rastislav Sedlak SK / Yirina_Photo / AN NGUYEN / oksana2010 / FTiare / Charcompix / Jag_cz

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-012-3

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Marie Winter

Weil mein Herz dich finden will

Roman

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Kapitel 1

Julia hörte die Stimme des Chefredakteurs durch die geschlossene Tür hindurch. »Das nennst du eine Story?«, tobte Oliver Gernot, und sie konnte sich gut vorstellen, wie sich sein Gesicht rötete.

»Bin ich froh, dass ich nicht an Guidos Stelle bin«, meinte sie leise zu ihrer Kollegin Elke. »Es hat auch Vorteile, das jüngste Mitglied der Redaktion zu sein.«

»Beschrei's mal nicht«, meinte Elke und schob sich mit einer für sie typischen Bewegung die Hornbrille aufs rotgelockte Haar. »Guido hatte da eine Idee ...«

»Eben. Er und nicht ich.« Julia startete ihren Computer und begann ihre E-Mails zu lesen. Sie wartete auf eine Nachricht aus Cannes. Beim letzten Filmfestival hatte es mehr als einen Skandal gegeben, und eine junge Schauspielerin, mit der Julia vor sechs Jahren noch die Schulbank gedrückt hatte, war dabei involviert gewesen. Zwei Tage zuvor nun hatte die Schulfreundin angerufen und eine Exklusiv-Story versprochen.

»Wieder nichts.« Enttäuscht lehnte sich Julia in ihrem Schreibtischstuhl zurück. »Da hat die gute Verena wohl ein bisschen dick aufgetragen.«

»Oder die Story ist zu brisant und sie traut sich nicht, dir eine Mail zu schicken«, meinte Elke. Seit zehn Jahren arbeitete sie in der Redaktion, ihre Karrierechancen waren jedoch auf ein Minimum zusammengeschrumpft, als sie vor drei Jahren Zwillinge bekommen hatte. Seither arbeitete sie nur noch halbtags – und war sehr glücklich mit ihrer Situation.

Julia mochte Elke sehr. Sie war klug, schrieb hervorragend, besaß ebenso viel Intellekt wie Humor. Zudem war sie sehr kollegial und hatte der Jüngeren das Eingewöhnen sehr leicht gemacht.

»Wenn man von der Journalistenschule kommt, denkt man, man verfügt über das perfekte Rüstzeug«, hatte sie einmalgesagt. »In der Theorie stimmt das sicher auch, aber die Praxis sieht anders aus. Zum Glück.«

Die Wahrheit dieser Behauptung hatte Julia schon oft feststellen können. Und sie hatte sich auch oft über Elkes sprichwörtlichen siebten Sinn gewundert.

Dass er sich auch heute wieder bewahrheiten würde, erfuhr sie fünf Minuten später.

»Julia – in mein Büro. Bitte.« Dieses »Bitte« machte die Sache nicht besser. Und Guido Ronsbergs Stimme klang nicht so, als hätte er seiner jüngsten Mitarbeiterin eine freudige Nachricht zu übermitteln.

»Setzen Sie sich.« Der Redaktionsleiter selbst ließ sich schwer atmend in seinen wuchtigen Ledersessel hinter dem alten Eichenschreibtisch fallen und griff erst mal nach einem Glas Wasser. »Der Mensch bringt mich noch um«, stieß er dabei hervor.

»Sie ... Sie sollten sich nicht so aufregen. Ihr Blutdruck ...«

»Ach was, der ist ganz normal. Wenn ich meine Tabletten nicht zu nehmen vergesse«, fügte er hinzu und fingerte prompt in seiner Jackentasche herum. Endlich hatte er die schmale Schachtel gefunden, nahm eine Tablette heraus und schob sie sich zwischen die Lippen.

Julia stand auf und goss ihm nochmals Wasser ein. »Es ist besser, Sie trinken das dazu.«

»Ja, ja, geht schon. Danke«, sagte er dann und schickte dieser Höflichkeit sogar ein kleines Lächeln hinterher. »Sie können Ihre Herkunft aus der Apothekerdynastie Herford nicht verbergen.«

»Na ja, im Lauf der Jahre kriegt man so einiges mit.«

»Gut. Und hier haben Sie wohl auch mitgekriegt, dass es mal wieder brennt. Oliver will eine Reportage über Franco Fabiani haben. So schnell wie möglich. Das neue Buch war schon bei der Buchmesse ein toller Erfolg. Und im Weihnachtsgeschäft hat der Schmöker total abgeräumt.« Wieder ein Seufzer, dann: »Versteh einer die Frauen! Liebe, Leidenschaft, ein bisschen Sex und vielleicht noch 'ne annehmbare Story – und sie sind hin und weg.«

»Franco Fabiani schreibt hervorragend«, wagte Julia einzuwenden.

»Ach was, der kocht auch nur mit Wasser. Aber seine Marketingstrategie ist exzellent! Das muss der Neid ihm lassen.«

In dem Punkt war Julia ganz seiner Meinung. Franco Fabiani trat nie in Erscheinung. Niemand wusste, wer sich hinter dem Pseudonym des Bestsellerautors verbarg. Dabei waren seine unzähligen – meist weiblichen – Fans begierig darauf, seine Identität zu lüften.

»Und ... was soll ich jetzt tun?« Voll böser Ahnungen sah Julia ihren Chef an.

»Ihn finden. Was sonst?« Guido trank noch einen Schluck Wasser. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr so beängstigend rot, jetzt funkelte Spott in seinen Augen. »Unser großer Boss hat einen heißen Tipp gekriegt. Fabiani soll sich in der Toskana aufhalten.«

»Die ist ziemlich groß.«

»Sie haben es erfasst, mein kluges Kind. Und deshalb schicke ich Sie jetzt los in Richtung Süden.«

Julia rutschte auf ihrem Stuhl ein bisschen mehr nach vorn. »Sie wollen wirklich ... ach was, das ist ein Witz, oder?«

»Sehe ich so aus, als machte ich Witze?«

»Aber ... ich hab doch gar keine Erfahrung!«, wagte sie einzuwenden.

»Deshalb kriegen Sie ja auch den Job. Unbelastet können Sie an diese Aufgabe herangehen.« Die Ironie in seiner Stimme ließ Julias Herz noch ein bisschen tiefer sinken. Erst recht, als der Redaktionsleiter fortfuhr: »Für das Interview mit den beiden TV-Größen, die nächste Woche heiraten, wären Sie mir nicht kompetent genug gewesen.«

»Danke für die Blumen.« Es war ihr jetzt schon wurscht, ob er sie für unverschämt hielt oder nicht. Sollte er sie doch entlassen! Ob jetzt oder nach dieser Dienstreise, die ja nur in einem Desaster enden konnte, war doch bereits egal!

»Holen Sie sich aus dem Archiv alles Wissenswerte.« Jetzt klang seine Stimme auf einmal weicher. Fast schon mitleidig. Und das war für Julia noch viel schlimmer. »Ich wünsche viel Erfolg.«

»Danke. Aber daran glauben Sie doch genauso wenig wie ich.« Sie ging zur Tür. »Es ist eine Gemeinheit«, sagte sie leise.

»Ich weiß. Und es tut mir leid.«

Das glaub ich dir sogar, dachte Julia. Aber es machte die Sache absolut nicht besser. Dass sie diesen Auftrag nicht zur Zufriedenheit des Chefredakteurs würde ausführen können, war abzusehen – ebenso wie das Ende einer Journalistenlaufbahn, die noch nicht einmal richtig begonnen hatte.

Kapitel 2

»Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, die Schmuckschatulle besteht aus echtem Malachit.« Frank Mertens seufzte verhalten auf. Seit einer guten halben Stunde ließ sich Baronin Rengsdorff jetzt schon diverse Einzelstücke zeigen. Der Antiquitätenhändler vermutete, dass es der attraktiven Vierzigjährigen gar nicht um die zum Teil recht wertvollen Stücke ging, sondern darum, möglichst lange in seiner Gesellschaft zu sein.

Vor einem halben Jahr war die Baronin Witwe geworden – und hatte von diesem Zeitpunkt an beschlossen, ihr kleines Jagdschloss völlig umzugestalten. Während die Architekten und Handwerker die Umbauten vornahmen, suchte Baronin Angelique – er vermutete, dass sie auf ein simples Angelika getauft war – in seinen beiden Läden nach Kostbarkeiten, mit denen sie ihr Zuhause neu dekorieren konnte.

»Vorsicht!« Im letzten Moment gelang es ihm, eine Kobaltvase zu retten, die die Kundin von einem hohen Regal nehmen wollte.

»Ach, ich bin wirklich zu ungeschickt.« Ein verhangener Blick aus dunklen Augen traf ihn. »Sie verzeihen mir, ja?«

»Selbstverständlich, gnädige Frau.«

»Was halten Sie von dieser prachtvollen Arbeit?« Andrea Martin, Franks Geschäftspartnerin, kam mit einer wertvollen silbernen Ikone auf sie zu. »Wir haben sie erst gestern bekommen. Frank hat lange danach gesucht. Sie ist aus dem Besitz der Zarenfamilie.«

»Wundervoll! Es gibt sicher eine Expertise – oder?«

»Für alle unsere Stücke«, versicherte Andrea mit höflichem Lächeln.

Noch eine knappe Viertelstunde dauerte es, dann hatten die beiden Antiquitätenhändler ein hervorragendes Geschäft abgeschlossen, die Baronin jedoch war immer noch nicht dazu gekommen, dem so unverschämt gut aussehenden Frank Mertens eine Einladung abzuringen.

»Danke. Das war Rettung in letzter Sekunde.« Frank stellte eine Schale aus Meißner Porzellan von 1780 und eine wertvolle, alte Lalique-Vase in die Vitrinen zurück.

»Jederzeit und gern.« Andrea lachte und strich sich mit einer für sie typischen Geste das schwarze Haar hinters Ohr. »Du weißt – ich bin immer für dich da.«

»Ja, ich weiß. Danke.« Frank zwinkerte ihr zu. »Du bist nun mal das beste Stück hier im Laden.«

Die schöne Frau wandte sich ab. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, die Lippen pressten sich aufeinander. Wie sie diesen Ausspruch hasste! Er klang so gönnerhaft. So, wie man mit einem anhänglichen Hund sprach. Oder mit der jüngeren Schwester.

Aber gerade das wollte Andrea für Frank nicht sein! Nicht die Vertraute seiner Kindheit – und schon gar nicht ein guter Kumpel, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.

Andrea hatte ganz andere Sehnsüchte. Nur leider, leider schien Frank diese gar nicht zu teilen!

Sie kannten sich seit der Kindheit. Eine Urlaubsbekanntschaft. Sympathie auf beiden Seiten. Gemeinsamkeiten, die sich darin erschöpft hatten, dass sie während langer, oft einsamer Ferientage zusammen schwimmen gegangen oder einen Ausflug nach Florenz gemacht hatten.

Andrea war bei ihren Großeltern zu Besuch gewesen. Ihre Mutter, allein erziehend und oft depressiv, hatte die Zeit zu einer Kur genutzt. Frank und seine Eltern hatten eine Ferienwohnung gemietet. Auf einem alten Weingut. Sehr romantisch. Sehr extravagant in einer Zeit, als Mallorca gerade mega-in war.

Die beiden Kinder hatten sich in der Toskana zu Tode gelangweilt. Bis zu dem Tag, an dem sie gemeinsam mit einem Bus nach Florenz fuhren. Andreas Großvater wollte der damals Elfjährigen die Stadt zeigen. Franks Eltern hatte ein »Kulturprogramm« beschlossen. Was den Vierzehnjährigen bereits langweilte, als er noch im Bus saß. Aber er hatte vergeblich versucht, sich vor dem Ausflug zu drücken.

»Ein bisschen Bildung kann dir gar nicht schaden«, hatte sein Vater erklärt und mit einer ruckartigen Bewegung seine Hornbrille ein paar Millimeter höher geschoben – eine Geste, die Frank noch heute hasste. »Vaters Beamtenbewegung« hatte er sie getauft.

Als Andrea den Begriff zum ersten Mal hörte, hatte sie schallend gelacht – und den Halbwüchsigen fasziniert. Seit der Fahrt nach Florenz waren sie Freunde. Sie eroberten gemeinsam die Stadt. Schlenderten durch die Uffizien, die sie – welch Wunder – mit ihren Kunstschätzen faszinierten. Sie bewunderten den herrlichen Dom, den Palazzo Vecchio.

Andreas Großvater und Franks Eltern waren erleichtert, dass es mit den Kindern keine Probleme gab. Der alte Olivenbauer genoss es, noch einmal in der Provinzhauptstadt zu sein. Und war erleichtert, als Franks Eltern sich erboten, auf Andrea aufzupassen. So konnte er in Ruhe einen alten Freund besuchen und einen Grappa trinken. Oder auch zwei ...

Linda und Paul Mertens blätterten interessiert in ihrem Reiseführer oder hörten dem Fremdenführer zu, der ihnen alles Wissenswerte erklärte. Frank und seine kleine Freundin hingegen interessierten sich nur wenig für die Kunstschätze von Tizian oder Tintoretto, sie sonderten sich ein wenig ab und machten ihre Späße. Erst im Innenhof des Palazzo Vecchio hörte er dem Fremdenführer ein wenig interessierter zu. Und im Palazzo Pitti, als er vor der herrlichen Silberschmiedesammlung der Medici stand, war er völlig fasziniert.

Jetzt, als erwachsener Mann und bekannter Antiquitätenhändler, erzählte er oft: »Damals, im Palazzo Pitti, hatte ich mein Schlüsselerlebnis. Als ich diese herrlichen Gold- und Silberschmiedearbeiten sah, als ich die Porzellansammlung mit deutschen, italienischen und französischen Arbeiten sah, war meine Leidenschaft für schöne Kunstwerke, für geschmackvoll gestaltete Gegenstände geweckt.«

Sie sahen sich noch drei Sommer lang, die Kinder Andrea und Frank. Dann, als Abiturient, zog Frank es vor, allein mit ein paar Klassenkameraden zu verreisen. Hin und wieder schrieb er Andrea noch eine Karte zum Geburtstag und zu Weihnachten – dann vergaß er das Mädchen mit dem straff gebundenen schwarzen Zopf und den ein wenig vorstehenden Zähnen.

Andrea hingegen vergaß ihren Jugendschwarm nicht. Sie versuchte alles über Frank in Erfahrung zu bringen. Wo er lebte, wo er studierte. Was er tat, mit wem er sich umgab.

Dass auch sie Kunstgeschichte studieren würde, stand fest. Nur so, ahnte sie, würde sie Frank jemals näherkommen können.

Schnell, sehr, sehr schnell hatte der junge Mann mit dem sympathischen Lächeln und dem fundierten Wissen Erfolg. Ein paar große Geschäfte mit Wirtschaftsmanagern, ein alter Kunstsammler, der ihn förderte, ihm Kontakte verschaffte – mit dreißig Jahren war Frank schon ein gemachter Mann und hatte in der Branche Ansehen erworben.

Andrea setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um ihm wieder nahezukommen. Als Frank eine Mitarbeiterin für die neue Filiale suchte, war ihre große Chance gekommen. Nicht nur durch Sachkenntnis stach sie ihre beiden Mitbewerberinnen und einen älteren Konkurrenten aus. Frank war froh, jemanden zu haben, den er kannte, dem er vertrauen konnte.

Und jetzt waren sie ein Team.

Aber leider nicht mehr!

Andrea liebte Frank immer noch so bedingungslos wie damals, als Teenager. Er jedoch sah in ihr höchstens die jüngere Schwester oder eine gute Freundin. Seine Liebe ... ja, wem gehörte eigentlich seine Liebe? Sie wusste es nicht. Hatte er eine Geliebte? Und wenn ja: Wer war sie?

Drei bis vier Monate im Jahr zog Frank sich zurück. Wohin, wusste niemand. Und er verriet es nicht einmal Andrea.

»Du hast doch alle nötigen Vollmachten«, erklärte er immer wieder, wenn sie ihm vorhielt, dass er fürs Geschäft erreichbar sein müsse. »Und wenn es wirklich mal brennen sollte – abends schalte ich mein Handy ein, dann kannst du dich ja melden.«

In einer Woche würde er wieder zu einer dieser geheimnisvollen Touren aufbrechen. Das hatte er schon angekündigt.

Andrea hatte alles Erdenkliche versucht, um ihm nachzuspionieren und herauszufinden, wohin er fuhr. Und mit wem. Aber wie immer war sie dabei erfolglos geblieben.

Die melodische Türglocke ertönte. Neue Kunden kamen. Frank bediente einen jungen Amerikaner, der sich nach einer alten englischen Bibel erkundigte. Andrea kümmerte sich um ein Ehepaar, das sich für Jugendstilschmuck interessierte.

Die gewünschte Bibel hatte Frank nicht vorrätig, versprach aber, sich nach einem geeigneten Stück umzusehen. »Wie lange sind Sie noch in der Stadt?«, erkundigte er sich.

»Vier Tage.«

»Das müsste reichen. Ich werde gleich mit einigen Händlern telefonieren und sage Ihnen Bescheid, ob ich etwas für Sie habe auftreiben können. Darf ich Ihr Hotel erfahren?«

»Ich wohne im Hilton. Hier, meine Karte. Wäre schön, wenn Sie mir helfen könnten. Mein alter Dad wünscht sich schon lange so ein Stück.«

»Ich tue mein Möglichstes.« Frank brachte den Kunden noch zur Tür, dann zog er sich ins Büro zurück, um die notwendigen Telefonate zu tätigen.

Zum Glück bekam er rasch positiven Bescheid – und konnte dann, da Andrea noch immer mit den Kunden beschäftigt war, zwei Telefongespräche führen, die auf keinen Fall für die Ohren seiner Mitarbeiterin bestimmt waren.

Kapitel 3

Das alte Fachwerkhaus lag in einem beinahe parkähnlichen Garten, dessen hinteren Teil alter Baumbestand dominierte. Fast hundert Jahre alte Fichten und teilweise noch ältere Eichen standen hier und waren Heimat für unzählige Vögel und etliche Eichhörnchenfamilien.

Von der Bruchsteinterrasse aus hatte man einen wundervollen Blick hin zu dem kleinen Wald. Davor befand sich ein kleiner, künstlich angelegter Teich, in dessen Mitte eine Miniaturausgabe des Hauses stand. Dr. Wolfgang Herford hatte es vor fast zwanzig Jahren für seine Enkelin Julia gebaut. Inzwischen lebte sicher schon die sechste oder siebte Entenfamilie darin.

Am Teichrand standen Schilfgräser und drei alte, englische Rosenstöcke, die der alte Apotheker liebevoll pflegte, denn diese Blumen erinnerten ihn stets an seine viele Jahre zuvor verstorbene Frau.

Julia glich ihr sehr. Nicht nur äußerlich. Auch ihr offenes, zielstrebiges Wesen hatte sie von der Großmutter. Julias Eltern waren vor sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben – sie waren auf dem Weg zur Abiturfeier ihrer Tochter gewesen.

Lange hatte das Mädchen gebraucht, um diesen Schock zu verarbeiten, doch die liebevolle Fürsorge des Großvaters hatte vieles dazu beigetragen, dass Julia ihr Lachen nach einer Weile wiederfand.

Statt Pharmazie zu studieren, wandte sie sich dem Journalismus zu. Schreiben war schon immer ihr Hobby gewesen, und dass sie viel Talent besaß, bestätigten ihr die Lehrer immer wieder.

Inzwischen hatte Wolfgang Herford seine drei großen Geschäfte verpachtet. Nur hin und wieder half er noch aus, stellte eigene Salben und Tinkturen her, die vor allem bei den Ärzten, die viel von Naturheilmitteln hielten, hoch im Kurs standen.

»Du sitzt ja da und träumst!« Julia gab ihrem Opa einen Kuss auf die Wange. »Dabei wollten wir doch zusammen essen fahren.«

»Das hab ich nicht vergessen. Schließlich ist es dein letzter Abend hier.«

»Opa! Du tust ja so, als bräche ich zu einer Weltreise auf. Dabei sind nur zwei, drei Wochen Toskana geplant.«

»Eine verrückte Idee, eine so herrliche Landschaft im Winter zu besuchen.«

»Ich fahre ja nicht wegen der einzigartigen Landschaft dorthin, sondern um einen Mann zu suchen, der angeblich ein einsames Landhaus in der Nähe Venedigs besitzt. Oder irgendwo bei Florenz. Aber das ist die unwahrscheinlichere Variante, die haben Kollegen von mir schon abgecheckt.«

»Ist es wirklich so wichtig, diesen Franco Fabiani aufzuspüren?« Wolfgang Herford schüttelte den Kopf. »Ich hab zwei Bücher von ihm gelesen – gut geschrieben, toller Stil. Aber nicht gerade so weltbewegend, dass man deshalb durch die Gegend fahren muss, um dieses Wunderwesen von Autor aufzuspüren.«

Julia lachte. »Das kann auch nur ein alter Herr von vierundsechzig Jahren sagen! Als junge Frau wärst du sicher auch ein Fan von Franco Fabiani.«

Stirnrunzelnd sah der Apotheker seine Enkelin an. »Jetzt sag nur, dass du auch total ausflippst, wenn du ein Buch von ihm liest.«

»Nein, nein, keine Sorge, so schlimm ist es nicht. Aber ich find seinen Stil schon toll. Und spannend sind die Romane auch. Irgendwie ... außergewöhnlich.«

»Eben Bestseller.«

»Das klingt aus deinem Mund wie ein Schimpfwort.«

»Ach was. Ich denke nur, dass man den Publikumsgeschmack heutzutage sehr gut durch gezielte Marketingstrategien beeinflussen kann. Wenn du mich fragst – es ist total falsch, diesen Autor aufzuspüren. Wenn sein Inkognito erst mal gelüftet ist, ist die Luft raus.«

»Aber ich bin Journalistin, Opa!« Julia trank schnell einen Schluck des guten Grauburgunders, den sich ihr Großvater eingegossen hatte. »Ich muss herausfinden, wer er ist. Sein Verlag sieht das natürlich völlig anders. Die sind sehr drauf bedacht, dass niemand die wahre Identität von Franco Fabiani entdeckt.«

»Und du bist dann diejenige, die den Frauen dieser Welt alle Illusionen raubt«, lachte Wolfgang und fuhr sich übers kurz geschnittene, graue Haar. »Meine Enkelin entzaubert einen Mythos!«

»Du bist ein elender Spötter! Aber jetzt komm, ich hab einen Bärenhunger. Und im Waldschloss gibt's jetzt ganz köstliche Forellen, hab ich gehört.«

»Gib mir fünf Minuten, dann können wir fahren.«

»Ich füttere noch schnell die Katzen.«

»Sie jagen meine Eichhörnchen, lass das lieber.«

»Wenn sie satt sind, jagen sie nicht«, wandte Julia lachend ein. Seit Wochen kam eine Katzenmutter mit ihren beiden Jungen zum Gartenhaus. Julia hatte der abgemagerten schwarzen Katze, die durch die Aufzucht ihrer Kleinen sehr geschwächt wirkte, Fressen gebracht – und die scheue Katze hatte sich von da an jeden Abend eingefunden.

Die beiden Jungtiere, die offensichtlich viel zu spät geworfen worden waren – denn im Winter war eigentlich nicht die Zeit dafür –, fraßen inzwischen auch schon aus ihren Näpfen. Eines der Kleinen war getigert mit weißen Pfoten, das andere war bunt gescheckt.

»Wir haben eine Glückskatze!«, hatte Julia sich gefreut. Und natürlich hatte Wolfgang Herford seiner Enkelin die Freude an den Samtpfoten nicht nehmen können. Ja, er hatte sogar versprochen, die Tiere während Julias Abwesenheit zu füttern.

Der Abend verlief für Großvater und Enkelin sehr harmonisch. Der Gesprächsstoff ging ihnen nicht aus, doch immer wieder kamen sie auf die Toskana zu sprechen.

»Florenz ist ein Juwel«, sagte Wolfgang Herford. »Ich war mit deiner Großmutter mehrmals da. Und auch in Venedig. Jetzt müsste es dort still sein. Wenig Touristen, die ja die Sommermonate bevorzugen, obwohl es dann viel zu stickig ist. Aber jetzt ...« Er lächelte in der Erinnerung. »Wir waren mal zum Karneval dort ... vielleicht kannst du das erleben.«

»Wer weiß. Es kommt ganz darauf an, wann ich diesen Franco Fabiani finde. Und ob überhaupt«, setzte Julia mit einer etwas skeptischen Miene hinzu.

Kapitel 4

Der Schneefall der Nacht war am späten Vormittag in Regen übergegangen. Die dünne Schneedecke verschwand zusehends, machte graubraunem Matsch Platz.

In den Redaktionsräumen der Zeitschrift »Donna« herrschte die übliche Freitagsstimmung: Letzte Korrekturen am Blatt. Aktuelle News, die noch eingefügt werden mussten. Termindruck von Seiten der Herstellung – und blank liegende Nerven des Chefs vom Dienst.

Julia kannte das alles. Und sie liebte es! Genau so hatte sie sich ihren Job gewünscht: Aktion. Nervöse Spannung. Gespannte Neugier. Aber auch seriösen Journalismus.

Das alles bot »Donna« – mit der ironischen Konsequenz, dass sie, die Jüngste im Team, sich heute in Richtung Süden aufmachen musste, um diesen legendären Bestsellerautor aufzuspüren.

»Ich drück dir sämtliche Daumen«, sagte Elke und zog die Freundin kurz an sich.

»Ich kann jeden guten Wunsch brauchen.« Julia sah zur Tür des Redaktionsleiters. »Er lässt sich nicht blicken, der Feigling. Der weiß ganz genau, dass er mich mit einem Auftrag losschickt, den ich kaum erfüllen kann.«

»Denk positiv. Das hilft.« Elke lächelte aufmunternd. »Und jetzt los, sonst wird es dunkel, noch bevor du in Florenz bist. – Und meid dich zwischendurch. Du kannst auch bei mir zu Hause anrufen, da können wir ungestörter reden.«

»Wenn deine Zwillinge nichts dagegen haben«, lachte Julia, die ihre gute Laune wiedergefunden hatte. Elke hatte ja Recht: Es half gar nichts, mit negativer Einstellung an den Auftrag ranzugehen.

Etwa zwei Stunden lang hielt ihre gute Laune an. Dann, kurz hinter Rosenheim, begann der Regen wieder in Schnee überzugehen. Dazu kam heftiger Wind auf. Die Scheibenwischer von Julias altem Audi, der einst ihrer Mutter gehört hatte und den sie heiß und innig liebte, arbeiteten auf Hochtouren.

»Mist. Das fängt wirklich nicht verheißungsvoll an«, murmelte sie und suchte im Autoradio nach einem guten Musiksender.

Robbie Williams ... dann ein bisschen Sinatra und Ella Fitzgerald ... die Stimmung wurde besser!

Zur gleichen Zeit saßen einander in einem Büro in Münchens Süden Frank Mertens und ein etwas korpulenter Mann in den Vierzigern gegenüber.

»Willst du wirklich jetzt noch los?«, fragte Karsten Saalburg.

»Warum nicht? In gut vier Stunden bin ich im Haus.«

»Sollen wir nicht noch mal das Konzept durchgehen?« Karsten, vierundvierzig Jahre alt und vom ersten Moment an Franks Lektor, griff schon nach seinem Laptop.

»Lass es gut sein, ich hab die Story eigentlich schon komplett im Kopf.« Frank stand auf. »Du weißt doch, wie ich am liebsten arbeite: Ich hab mein Konzept, das schreib ich auf –und du musst dann mit dem fertigen Manuskript klarkommen.«

»Ja, ja, nach dem Prinzip ›friss oder stirb‹.« Karsten Saalburg seufzte tief auf.

»Du bedauernswerter Mensch!« Frank grinste. »Dabei weißt du genau, dass ich dir den nächsten Bestseller liefern werde. Lass du dir in der Zwischenzeit was für die Presse einfallen.«

»Du bist 'ne Diva geworden.«

»Tja, mein Bester, so sind wir nun mal, wir Starautoren!« Lachend öffnete Frank die Tür. »Mach's gut, mein Alter. Grüß mir deine Katrin und die Kinder. Ich bring ihnen was aus Italien mit.«

Frank war der Patenonkel der drei Kinder, die sein Freund Karsten mit seiner Katrin hatte. Eigentlich war er nur der Patenonkel des letzten Kindes. Pia war jetzt drei und ein süßer Fratz mit weißblonden Locken und einem Lächeln, das jeden dahinschmelzen ließ.

Ihre beiden Geschwister, der zehnjährige Jens und die achtjährige Elena, hatten allerdings beschlossen, auch so einen lustigen Patenonkel wie die kleine Schwester haben zu wollen. Ihre Paten waren jeweils die beiden Großväter.

»Das ist Betrug«, hatte Jens mal erklärt. »Und es ist ungerecht.«

»Ich muss dir Recht geben«, hatte Frank spontan gesagt – und sich gleich die Antwort eingehandelt:

»Wenn du das so siehst ... dann werd doch unser Adoptiv-Patenonkel.«