Lesen in Antike und frühem Christentum

Inhalt

Fußnoten

Präliminarien

Ähnlich verfährt man auf dem Portal Trismegistos: www.trismegistos.org/. Einführend zu diesem Portal DEPAUW/GHELDOF, Trismegistos.

Bzw. Sammlungspublikation.

Dem Vf. ist bewusst, dass Perseus aus lizenzrechtlichen Gründen z. T. auf nicht ganz aktuellen Editionen basiert.

1 Einleitung

Vgl. zum terminologischen Befund v. a. KINZIG, Καινὴ διαθήκη.

Und zwar sowohl im Hinblick auf die Erzähltexte als auch auf die Briefliteratur. Vgl. exempl. für viele MALBON, Echoes, passim; KLUMBIES, Rede, 166; FRENSCHKOWSKI, Epiphanie II, 150; MÜLLER, Schluß, 129; SCHMITT, Paroikie, passim; WEIDEMANN, Tod, 194; ZIMMERMANN, Christologie, 106; ROSE, Theologie, 59; FRITZEN, Gott, 100; LUZ, Hermeneutik, 188; KLUMBIES, Markusevangelium, 67.110.213; RÜGGEMEIER, Poetik, 64. Zu finden auch in der altertumswissenschaftlichen Literatur für andere antike Texte. Vgl. z.B. O’SULLIVAN, Xenophon, 125.128.

Vgl. exempl. für viele EBNER, Philemon, 167; LUZ, Hermeneutik, 185; HEILMANN, Wein, passim; JANTSCH, Jesus, 34.

Vgl. dazu BUCHINGER, Origenes; ROUWHORST, Liturgical Reading; LEONHARD, Liturgical Need, insb. 90–94.103f, mit Verweis u. a. auf MESSNER, Synode; ROUWHORST, Reading. Bezüglich Messners These, der sich entwickelnde Wortgottesdienst sei von der rabbinischen Sabbatliturgie beeinflusst worden, kommt C. Leonhard zum Fazit: „Rabbinic services of Torah reading neither provide a structural model for the Christian sequence of a Liturgy of the Word followed by the Eucharist (or the other way round) nor for the internal staging of a hierarchy of importance between different corpora of texts. There is no reason to assume any interdependence between the development of the typically Christian and rabbinic ritualization of the reading of sacred texts. Serious studies cannot reach firmer conclusions than ‘It is not unreasonable to assume some historical relationship …’ between the rabbinic Sabbath morning liturgy and analogous performances in Christianity“ (LEONHARD, Liturgical Need, 104; Zitat im Zitat ROUWHORST, Reading, 323).

Vgl. BULTMANN, Art. ἀναγινώσκω. S. dazu Anm. 7, S. 106.

Vgl. FRIEDRICH, Art. κῆρυξ, κηρύσσω, 695–714.

Im Übrigen findet sich auch in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft kein Lemma „Lesen“ oder „Lektüre“.

Vgl. dazu weiterführend und einschlägig in systematischer Perspektive HUIZING, Homo legens; HUIZING, Mensch; BADER, Lesekunst.

SCHNELLE, Bildung, 114, mit Verweis auf Nietzsches Antichrist und das vor allem von A. Deissmann und Overbeck geprägte Paradigma des unliterarischen Charakters neutestamentlicher Texte als Kleinliteratur (vgl. DEISSMANN, Licht; OVERBECK, Anfänge, 16–37), das bis über das 20. Jh. hinaus in der Forschung gewirkt hat. Vgl. z.B. THEISSEN, Literaturgeschichte, 129; THEISSEN, Entstehung, passim. Vgl. weiterführend zur Diskussion CANCIK, Gattung, 91f; BERGER, Art. Form- und Gattungsgeschichte, 439–441; und ausführlich SCORNAIENCHI, Jesus, 66ff; ferner zur sozialgeschichtlichen Diskussion auch MEEKS, First; STILL/HORRELL, First Urban Christians; WEISS, Elite; ÖHLER, Elend.

Vgl. THATCHER/KEITH/PERSON, JR./STERN, Dictionary.

1.1 Lesen im frühen Christentum – Zum Forschungsstand

Vgl. DEISSMANN, Licht; OVERBECK, Anfänge. Vgl. dazu GAMBLE, Books, 11–20.

Es ist bezeichnend und weist auf die Dringlichkeit des Desiderats hin, dass in neueren rezeptionsästhetischen Arbeiten etwa zu den Evangelien Reflexionen über antike Lesepraktiken weitgehend fehlen. Vgl. exempl. die Arbeit von M. B. Dinkler zur Repräsentation von Rede und Stille im LkEv (DINKLER, Silent Statements), für die eine solche Reflexion m.E. essentiell gewesen wäre, um die Auslegung historisch zu fundieren.

1.1.1 Lesen im „Gottesdienst“ bzw. in der „Gemeindeversammlung“

Vgl. dazu SALZMANN, Lehren, 3–22, u. WICK, Gottesdienste, 27–36, neben den einführenden Darstellungen METZGER, Geschichte; WAINWRIGHT/WESTERFIELD TUCKER, Worship.

Vgl. THEISSEN, Texte, 424, der den Begriff hier jedoch nicht näher definiert.

S. zur Forschungsgeschichte des unscharfen und zu wenig reflektierten Gebrauchs der Kategorie „Wortgottesdienst“ und zu notwendigen Differenzierungen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive weiterführend MESSNER, Wortgottesdienst, der in Weiterführung von ZERFASS, Schriftlesung, und Anknüpfung an BRADSHAW, Use, als Grundtypen den „anamnetischen“, den „katechetischen“ und den „latreutischen“ Wortgottesdienst einführt, die später zu Hybriden verschmelzen. Diese Kategorien sind freilich für die nachkonstantinische Zeit entwickelt worden und verdeutlichen, dass auch in der späteren Kirchengeschichte die Schriftlesung verschiedene Funktionen hatte. Für den Hinweis auf diesen Beitrag danke ich H. Buchinger.

Vgl. z.B. SALZMANN, Lehren, passim; KOLLMANN, Ursprung, 151. S. dazu JONAS, Mikroliturgie, 5.

Vgl. dazu u. a. KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl; SMITH, Symposium; WICK, Gottesdienste; HEILMANN, Wein, 9–20.

Vgl. zur Terminologie WICK, Gottesdienste, 21–26 [Zitat 21].

S. neben GLAUE, Vorlesung, 1–30; BAUMSTARK, Werden, 15–21, z.B. LIETZMANN, Messe, 258: „Daß dieser [Gottesdienst bestehend aus Bibellesung, Predigt und Gebet] einfach aus der Synagoge übernommen ist, darf als feststehend angenommen werden. Schriftlesung und Auslegung folgt dort der Rezitation des Morgengebets am Sabbath.“ S. außerdem exempl. HECKEL, Schrift, 42. Eine Gegenposition zu diesem Ableitungsparadigma nimmt W. Bauer ein, der bezweifelt, dass es Schriftlesungen von alttestamentlichen Texten in „heidenchristlichen“ Gemeinden gegeben hätte und entsprechend seines Paradigmas von der Entstehung des Christentums aus einer Vielfalt heraus (vgl. dazu BAUER, Rechtgläubigkeit) die Vielfältigkeit frühchristlicher „Wortgottesdienste“ betont. Vgl. BAUER, Wortgottesdienst, 42–47.63f. Gegen das Ableitungsparadigma wird auch in der modernen Liturgiewissenschaft argumentiert. Vgl. ROUWHORST, Liturgical Reading, 159.

S. u. 8.3.2.

S. u. 8.4.2.

So formulierte schon Herder 1796: „[D]as Evangelium Markus ist ein kirchliches Evangelium aus lebendiger Erzählung zur öffentlichen Verlesung in der Gemeinde geschrieben“ (HERDER, Erlöser, 210). S. dazu weiterführend FREY, Herder.

HENGEL, Probleme, 256 [Herv. im Original], mit Verweis u. a. auf KLEIST, Gospel, 91–127; TROCME, Passion. S. auch HARTMAN, Markusevangelium, der angesichts seiner Überlegungen zur Gattung des MkEv zu der Schlussfolgerung kommt, es sei „für eine gottesdienstliche Verlesung abgefaßt worden, die auch mit Unterricht verbunden war“ (168). S. außerdem GILFILLAN UPTON, Hearing, insb. 65–78, die auf der Grundlage von Beobachtungen stilistischer, rhetorischer und struktureller Merkmale eine intendierte Verlesung annimmt. Vgl. ferner BAUER, Wortgottesdienst, 54; MÜLLER, Beginning, 112–114.

S. z.B. die Kritik an dem Kontextualisierungsmodell bei GUTTENBERGER, Gottesvorstellung, 42, Anm. 212; WISCHMEYER, Forming, insb. 365.377; WISCHMEYER, Kanon, 641, Anm. 87; BECKER, Evangelist, 46, Anm. 41; LEONHARD, Liturgical Need. S. auch insgesamt Vorbehalte in der Liturgiewissenschaft, Rückschlüsse auf die liturgische Praxis der ersten zwei Jahrhunderte zu ziehen.

BUCHANAN, Questions, 159. S. auch schon A. Schweitzers Verdikt: „Jeder Versuch, für die Urgemeinde ein Nebeneinander von Mahlfeier und Wortgottesdienste anzunehmen, führt zu einem Gefasel, bei dem zur Erklärung der der uns erhaltenen Nachrichten über den ältesten christlichen Kult die unsinnigsten Behauptungen gewagt werden müssen.“ (zit. n. KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 334, Anm. 4.).

Vgl. dazu die Verortung Zahns in der Forschungsgeschichte zum neutestamentlichen Kanon bei MARKSCHIES, Epochen, 587f.

Vgl. ZAHN, Geschichte I, insb. 85–150.463ff.; ZAHN, Grundriss, 11ff. Zum Begriff „kirchliche Vorlesebücher“ s. z.B. ZAHN, Geschichte II, 110.

Vgl. HARNACK, Neue; S. weiterführend zur sog. Zahn-Harnack-Kontroverse MARKSCHIES, Epochen, 588–591.

Vgl. z. B. CAMPENHAUSEN, Entstehung, 197, der bezüglich Iust. mart. apol. 1,67,3 von „einer Art Vorstufe für die kommende Kanonisierung“ spricht. H. v. Lips sieht in der „Verwendung zur gottesdienstlichen Lesung“ ein wichtiges Kriterium der Bestimmung von Kanonizität, das aber allein nicht ausreiche. Vgl. LIPS, Kanon, passim [Zitat 111]. Für G. Theißen umfasst der Kanon „die Bücher, die im Gottesdienst gelesen werden“ (THEISSEN, Religion, 367; s. auch THEISSEN, Texte). Auch Hengel sieht in der „liturgischen Lesung im Gottesdienst“ das entscheidende Movens der Sammlung und Kanonisierung der neutestamentlichen Schriften. Vgl. HENGEL, Evangelien, 97, Anm. 282 [Zitat ebd.]. Vgl. programmatisch auch STUHLMACHER, Paulusschule, 289: „Das Neue Testament ist eine zur Verlesung in den christlichen Gemeinden bestimmte normative Auswahlsammlung aus dem urchristlichen Schrifttum der Zeit zwischen 30 und 120 n. Chr.“, [Herv. im Original].

Die gängigerweise angeführten Quellen (1Thess 5,27; Kol 4,16; Iust. Mart. apol. 1,67), sind aus vielerlei Gründen ungeeignet, die Institution einer liturgischen Lesung im frühen Christentum zu belegen, wie im Rahmen dieser Studie noch ausführlich zu zeigen sein wird.

So deutet C. Markschies zu Recht an, dass Zahns Kirche der frühen Zeit „aus einer gottesdienstlichen Gemeinde und ihrer liturgischen Ordnung“ bestehe, wobei „hier spezifische Elemente eines Erlangener Luthertums sichtbar werden“ (MARKSCHIES, Epochen, 591).

S. z.B. BAUER, Wortgottesdienst, 42 f, der hier T. Birts Arbeit zum antiken Buchwesen sehr selektiv rezipiert.

So finden sich z.B. bei LIPS, Kanon, 28f die Kategorien „Lesung außerhalb des Gottesdienstes“ (Unterrichtskontexte, private Verwendung) und „Literarische Verwendung durch theologische Schriftsteller.“

Vgl. HARNACK, Gebrauch; WALCH, Untersuchung. Vgl. dazu MARKSCHIES, Septuaginta, 139.

HARNACK, Gebrauch, 101.

HARNACK, Gebrauch, 23.

Vgl. HARNACK, Gebrauch, 101f

HARNACK, Gebrauch, 25.

Nicht überzeugend ist der Versuch von C. Markschies, die Evidenzen, die Harnack vorbringt, zu relativieren. Markschies spricht davon, Harnack befördere die Illusion, „jedes halbwegs wohlhabende christliche Haus habe eine Bibel besessen und auch darin gelesen“ (80f). Markschies warnt hier zwar zu Recht vor der Gefahr, moderne Vorstellungen von christlichen Haushalten des beginnenden 20. Jh. anachronistisch für die Antike vorauszusetzen. Als Gegenargument formuliert er allerdings auch rein thetisch in Bezug auf einen der Belege, die Harnack anführt und den er exempl. diskutiert (und zwar Orig. hom. 2 in Num. 1, wo Origenes empfiehlt, den Predigttext zuhause erneut ausführlich, d. h. für mehrere Stunden, zu lesen): „Man muß sich freilich klarmachen, daß dieses Ideal für einen durchschnittlichen Einwohner der Hafenstadt Caesarea überhaupt nicht zu erfüllen war; man hätte – wie Origenes selbst – in einer wissenschaftlichen Schule leben müssen oder in einem Kloster, um so viel Zeit des Tages für die Lektüre der Bibel aufzuwenden“ (MARKSCHIES, Lesen, 81). Markschies’ Argument impliziert, dass der „durchschnittliche Einwohner“ seines Erachtens weder Zugang zu Schriften noch Zeit zum Lesen gehabt hätte. Beides wird im Rahmen dieser Studie zu thematisieren sein.

HARNACK, Gebrauch, 23.

GAMBLE, Books, 39f [Herv. im Original]. S. z.B. auch im weitgehend rezeptiven Beitrag MITCHELL, Papyri: „Early Christians overcame this cultural barrier [JH: of mass illiteracy] by publicly reading their texts during worship gatherings.“

Das gilt, obwohl er die entsprechenden Studien zur Sozialstruktur rezipiert (vgl. GAMBLE, Books, 248), und zwar insofern, als er auf der Grundlage der These des grundsätzlich „oralen“ Charakters der antiken und frühchristlichen Literatur sowie der problematischen Thesen zum geringen Literalitätsgrad in der Antike insgesamt (vgl. GAMBLE, Books, 4–10.28–39; s. dazu 1.3.3) ohne weitere Evidenzen in den Quellen im Hinblick auf die gesamte Antike – und damit auch für das frühe Christentum geltend – formuliert: „Certainly, the capacity to read, the interest and leisure to do so, and the financial means to procure texts, belonged to few“ (GAMBLE, Books, 39).

S. o. Anm. 9, S. 21.

Vgl. GAMBLE, Books, 151.

Vgl. GAMBLE, Books, 211.

GAMBLE, Books, 212 [Herv. JH].

GAMBLE, Books, 213.

Vgl. neben den schon genannten Ausführungen zu christlichen Gemeindebibliotheken GAMBLE, Books, insb. 208–211.214–231.

Vgl. GAMBLE, Books, 231–237.

MÜLLER, Lesen, 7 [Herv. im Original].

MÜLLER, Lesen, 6.

MÜLLER, Lesen, 158 [Herv. im Original].

Vgl. GAMBLE, Books, passim.

Vgl. MÜLLER, Lesen, 52f.

1.1.2 Biblical Performance Criticism

z.B.: „Reading was therefore oral performance whenever it occurred and in whatever circumstances. Late antiquity knew nothing of the ‚silent, solitary reader‘“ (ACHTEMEIER, Verbum, 17 [Herv. im Original]; Zitat im Zitat HAVELOCK, Literate, 203); „The most important thing to be said is that in the Greco-Roman world virtually all reading was reading aloud; even when reading privately the reader gave audible voice to the text“ (GAMBLE, Books; s. auch GAMBLE, Literacy, 31); „Reading was always aloud“ (RICHARDS, Paul); „Reading in antiquity was not experienced as a silent scanning, mainly mental activity. It was a performative, vocal, oral-aural event. Reading aloud while others listened is a practice that cements sociability, adding distinct elements to the social functions of writing and publishing“ (BOTHA, Orality, 127).

KARRER, Instrument, 404. Vgl. exempl. für viele auch BEAVIS, Mark, 19 f.80; MÜLLER, Beobachtungen, 169f; AUNE, Revelation 1–5, 20f; CLARK, Christianity, 81. Diese Position ist freilich nicht neu. Vgl. z.B. BAHN, Reading, 433. Ferner für das alte Israel prominent vertreten durch BOYARIN, Placing. Vgl. in Bezug auf die Rollen vom Toten Meer z.B. MILLER, Media, 19f, passim.

Vgl. MCGUIRE, Letters, 150; GERHARDSSON, Memory, passim; BEAVIS, Mark, passim; KELBER, Gospel, 13; ACHTEMEIER, Verbum, passim; MOURNET, Oral, 133–141; MITCHELL, Emergence, 4f; HEARON, Implications, 4f; BRICKLE, Aural Design, passim; OEFELE, Evangelienexegese, 5–10.

Vgl. „Equally dominated by the oral environment was the practice of reading. It is apparent that the general […] practice was to read aloud“ (ACHTEMEIER, Verbum, 15).

„The normal mode of composition of any writing was to dictate it to a scribe“ (ACHTEMEIER, Verbum, 12).

„It was from this kind of environment, then, that the NT documents emerged and within which they were intended to communicate. That means that […] they are oral to the core, both in their creation and in their performance“ (ACHTEMEIER, Verbum, 19). Vgl. auch JAFFEE, Torah, insb. 25f; BECKER, Schreiben, 45.53–56; GILFILLAN UPTON, Hearing, passim.

„It is doubtless superfluous to say that in the beginning the written word or book merely preserved a record of that which had once been spoken. For the words and sentences of this record to recover life and meaning, it was necessary that they be reanimated by the voice of someone who understood the significance of the written characters“ (HENDRICKSON, Reading, 184).

Vgl. z.B. HENDRICKSON, Reading, 184; CARR, Schrift, 13. Diese Annahme bildet außerdem die Grundlage der Studie OEFELE, Evangelienexegese.

JAFFEE, Torah, 26.

Besonders einflussreich in der neutestamentlichen Forschung war diesbezüglich die ursprünglich Anfang der 1980er Jahre erschienene Monographie KELBER, Gospel, die vom Paradigma der mündlichen Überlieferung in der Homerforschung beeinflusst wurde (vgl. PARRY, Oral Verse-Making I; PARRY, Oral Verse-Making I; LORD, Singer) und die abhängig ist von der Kultur- und Medientheorie W. Ongs und dessen Unterscheidung mündlicher und schriftlicher Kulturen. Vgl. ONG, Orality. Forschungsliteratur, die sich an der paradigmatischen Unterscheidung Oralität/Literalität orientiert, ist Legion. Vgl. nur ALKIER/CORNILS, Bibliographie; für die Evangelienforschung IVERSON, Orality. Zu den Problemen der Metasprache vgl. RODRÍGUEZ, Reading (Lit.).

Dazu einführend BACHMANN-MEDICK, Cultural Turns, 104ff.

Vgl. zur Übersetzung den Buchtitel von OESTREICH, Performanzkritik.

RHOADS, Performance Criticism I; RHOADS, Performance Criticism II; RHOADS, Research; RHOADS, Performance. Vgl. auch TROBISCH, Performance.

Vgl. RHOADS/DEWEY, Paradigm Shift.

Vgl. z.B. MILLER, Performances; MILLER, Media (Lit.).

Vgl. RHOADS, Art. Performance Criticism, 282.

Vgl. BOTHA, Orality, 90–104.

Vgl. z. B. explizit ausgeführt bei BOTHA, Reading; BOTHA, Book, 17; BOTHA, Orality, 104–109.

Vgl. DEWEY, Gospel; WIRE, Case; DEWEY, Oral Ethos; HORSLEY, Text, 246ff. Vgl. in Bezug auf das Verhältnis von Q und Mt ferner KIRK, Q. Sehr viel vorsichtiger zu Spuren mündlicher Performanz im MkEv BREYTENBACH, Verschlüsselte Performanz?

„Incidentally, these practices remind us forcibly of the fluidity of all manuscript traditions in antiquity. What we would call an edition simply did not exist in antiquity: ἔκδοσις (usually translated with ‘publish’) merely indicated the stage at which the author let a version out of his own hands.“ BOTHA, Publishing, 347 [Herv.en im Original]. Redaktionelle Textvarianten auf das Phänomen einer ungeordneten Praxis der Zirkulation von Hss. zurückzuführen ist angesichts der doch recht stabilen hss. Überlieferung methodisch fragwürdig. Vgl. weiterführend zur Frage nach der Entstehung von Varianten HEILMANN/WICK, Varianten; GOLDMANN, Textgeschichte.

Vgl. u.a. BOTHA, Publishing; BOTHA, Orality, 113–131. S. dazu u. 5.

Vgl. HURTADO, Oral Fixation. Vgl. weiterführend IVERSON, Oral Fixation, und Hurtados Reaktion HURTADO, Correcting. S. jetzt auch die ausführliche Kritik bei KEITH, Manuscript, passim.

Vgl. BING, Scroll, insb. 106–115, gegen CAMERON, Callimachus.

HURTADO, Correcting, 327.

Vgl. HURTADO, Correcting, 325, mit Verweis auf Quint. inst. or. 10,3,19; 10,7,21f.

Vgl. HURTADO, Correcting, 335f.

S. z.B. SHIELL, Delivering, 11–38; SHINER, Proclaiming, passim; SHIELL, Reading, insb. 34–101; WARD/TROBISCH, Bringing, passim.

Vgl. HURTADO, Correcting, 335.

Dabei ist es symptomatisch, dass Quellen- und Metasprache nicht sauber getrennt werden, letztere nicht differenziert genug definiert und z.B. das englische Wort recitation in einem sehr breiten, heuristisch nicht zielführenden Sinn gebraucht wird. S. z.B. SHIELL, Reading, insb. 102–136; WARD/TROBISCH, Bringing, 17–23; LOUBSER, Oral, passim.

S. dazu ausführlich u. Anm. 21, 22, 24, S. 275.

Auch nicht für das Verlesen von Briefen beim Zielpublikum, wie BECKER, Activity, 94, es im Hinblick auf die Paulusbriefe formuliert. Becker distanziert sich allerdings von einigen Engführungen und Verkürzungen der Performanzkritik (vgl. ebd. 89). Das Verlesen eines Briefes ist zwar eine Form der „Öffentlichmachung“, sollte aber nicht mit dem in der Antike durchaus spezifisch zu fassenden Akt der Publikation verwechselt werden. Gegen BECKER, Activity, 94.

PARKER, Books, 213. S. zum antiken Konzept von Publikation sowie zur Institution der recitatio die Ausführungen unter 5.

So auch HURTADO, Oral Fixation, 205: „I reiterate that it is right to emphasise that literary texts were typically composed with a view to their oral effect (whether read silently or in groups).“ Aus meiner Sicht ist in diesem Kontext der Begriff oral bzw. mündlich unpräzise und könnte in die Irre führen. Stattdessen sollte man formulieren, dass sowohl die neutestamentlichen Erzähltexte als auch die Briefe nach Regeln der antiken Rhetorik gestaltet worden sind. S. dazu u. 8.3.2.

HURTADO, Oral Fixation, 338.

Vgl. HURTADO, Oral Fixation, 336–340 (s. u. auch Anm. 96, S. 240). Er verweist zwar in diesem Kontext auch auf rein visuell wahrnehmbare Elemente in den Hss. (z.B. die Nomina sacra), darauf, dass der Leser etwa in Mk 13,14 par. direkt angesprochen wird, und auf den Beleg einer Sammlung von Paulusbriefen in 2Petr 3,15 f, verortet diese jedoch weitestgehend in den Rahmen eines public reading im frühen Christentum. Er betont jedoch in HURTADO, Correcting, 205, deutlich expliziter: „in the earliest extant Christian manuscripts, we have physical evidence that the texts they contain were studied carefully, probably in sustained close attention by individual readers. But this is not at all to deny that the reading aloud of texts was a frequent (or even typical) feature in earliest Christian circles. I simply note that this was not the only way in which texts were read in the Roman period, by Christians or others.“

1.1.3 Public Reading/Communal Reading

Vgl. NÄSSELQVIST, Reading, insb. 2–12; s. auch NÄSSELQVIST, Conventions.

Vgl. NÄSSELQVIST, Reading, insb. 12 f.54.322.

Vgl. WRIGHT, Reading, 4–10 [Zitat 8].

Vgl. WRIGHT, Reading, 10.

Vgl. WRIGHT, Reading, 10.

So verweist er z.B. auf den Fehler, die ökonomischen Bedingungen des Schreibens und Erwerbens von Büchern zu hoch zu schätzen und vor der Gefahr der Anwendung der einfachen dichotomen Kategorie arm/reich (WRIGHT, Reading, 29–31), auf die hohe Mobilität, welche den Austausch von Literatur beförderte (WRIGHT, Reading, 34–38), auf die vielen Hinweise der weiten Verbreitung von Büchern (vgl. WRIGHT, Reading, 43f) und auf Evidenzen, dass römische Literatur des 1. Jh. nicht nur ein Elitenphänomen war und durchaus auch von Plebejern gelesen werden konnte (die Quelle, die er hier zitiert, ist Ov. trist. 3,1,81 f, nicht 1,1,82!). Vgl. WRIGHT, Reading, 45–47 (s. u. weiterführend Anm. 108, S. 133).

WRIGHT, Reading, 208.

Vgl. NÄSSELQVIST, Reading, 77–96.

1.1.3 Public Reading/Communal Reading

Vgl. WRIGHT, Reading, 43.

Mit PARKER, Books, 221f, gegen WRIGHT, Reading, 227.

Gegen WRIGHT, Reading, 215.

Gegen WRIGHT, Reading, 216.

Gegen WRIGHT, Reading, 230.

Vgl. WRIGHT, Reading, 217.

Vgl. GAUGER, ed., Sibyllinische Weissagungen, Einführung, 333.

Gegen WRIGHT, Reading, 208.219.

Vgl. WRIGHT, Reading, 18–21 [Zitat 18].

1.2 Die lange Debatte um die Frage nach dem „lauten“ und „leisen“ Lesen in der Antike

BALOGH, Voces Paginarum, 220.

Vgl. BALOGH, Voces Paginarum, 85f. S. auch STOCK, Augustin, 61f.

Vgl. die direkte Weiterarbeit an der These von Balogh bei HENDRICKSON, Reading; WOHLEB, Beitrag; MCCARTNEY, Notes; DI CAPUA, Osservazioni; STANFORD, Sound; vgl. exempl. für die Übernahme dieser These auch ROHDE, Lesen, 294: „Der antike Mensch hat bis in die späteste Zeit […] laut gelesen, auch wenn er allein las.“; LAKMANN, Platoniker, 36, Anm. 43: „Entweder hat er [scil. ein Sklave Plutarchs] es selbst gelesen, oder er hatte, da man in der Antike gewöhnlich laut las, beim Lesen mitgehört“; einflussreich auch KENNEY, Books, 12: „In general it may be taken for granted that throughout antiquity books were written to be read aloud and that even private reading often took on some of the characteristics of a modulated declamation.“; vgl. außerdem zur Verknüpfung des Paradigmas der generell „lauten“ Lektüre mit der primären Oralität griechischer Literatur THOMAS, Literacy, insb. 91–93; s. ferner zur Übernahme der These in der altorientalischen Forschung GRAYSON, Murmuring.

So auch der Hinweis bei BUSCH, Lesen, 42. Vgl. ausführlich zur Abhängigkeit der Aussagen zum „lauten“ und „leisen“ Lesen von den geistesgeschichtlichen Diskursen des 18. und 19. Jh.s BICKENBACH, Möglichkeiten, insb. 21–54.174–247.

S. dazu u. S. 230.

Sämtliche Werke, Sechster Teil, 35, Anm. 3: Vgl. auch NIETZSCHE, Jenseits, 207: „Der Deutsche liest nicht laut, nicht für’s Ohr, sondern bloss mit den Augen: er hat seine Ohren dabei in’s Schubfach gelegt. Der antike Mensch las, wenn er las – es geschah selten genug – sich selbst etwas vor, und zwar mit lauter Stimme.“ NIETZSCHE, Werke, 382: „man kann sich so das Bild des griech. Lesers aus Isocr. Zeit [bilden] vorstellen; einen langsamen Leser, der Satz für Satz einschlürft, mit verweilendem Auge und Ohre, der eine Schrift wie einen köstlichen Wein zu sich nimmt, alle Kunst des Autors nachfühlt.“ NORDEN, Kunstprosa, 6: „Eine vielleicht wenig bekannte Thatsache ist es, dass man im Altertum laut zu lesen pflegte.“ Vgl. forschungsgeschichtlich weiterführend ROHDE, Lesen; BICKENBACH, Möglichkeiten. Vgl. zum Hintergrund der medialen Veränderungsprozesse im 19. Jh. und deren Auswirkungen auf die Lesepraxis KITTLER, Aufschreibesysteme.

HENDRICKSON, Reading, 183.

Seine Thesen zum Lesen im antiken Griechenland hat er in zahlreichen Publikationen dargelegt und weiterentwickelt. Vgl u. a. SVENBRO, Interior; SVENBRO, Greece; SVENBRO, Griechenland; SVENBRO, Ameisenwege; SVENBRO, Stilles Lesen; SVENBRO, Phrasikleia.

SVENBRO, Phrasikleia, 49. Vgl. dazu ausführlich mit Bezug auf die jeweiligen Inschriften, die er häufig auch übersetzt, SVENBRO, Phrasikleia, 49–63.

Vgl. SVENBRO, Phrasikleia, 158–162.

SVENBRO, Phrasikleia, 158.

Vgl. SVENBRO, Phrasikleia, 147f; SVENBRO, Griechenland, 78f, mit Bezug auf Plat. Krit. 54d; soph. 263e–264a; Tht. 189e–190a; Phaid. 241b–c; apol. 31d. Es ist unvollständig die innere Lesestimme bloß als „mental repetition of the voice perceived in the text“ (EDMUNDS, Intertextuality, 66) zu beschreiben, da aus kognitionspsychologischer Sicht auch die Wahrnehmung der eigenen Stimme des jeweiligen Lesers eine Rolle für die innere Lesestimme spielt. Vgl. weiterführend z.B. FILIK/BARBER/ALEMAN, Inner Speech; VILHAUER, Characteristics (Lit.).

Vgl. KNOX, Reading.

SVENBRO, Griechenland, 79.

Dieses Argument wird aufgenommen von RÖSLER, Lesen.

Vgl. SVENBRO, Phrasikleia, 153–156.161–168. Vgl. dazu aber die kritischen Bemerkungen RÖSLER, Rez. Svenbro, Phrasikleia, 3.

SVENBRO, Griechenland, 84.

STROUMSA, Reading, 187.

Vgl. SAENGER, Silent Reading, 370–373; SAENGER, Space, 4–13.

Vgl. MCLUHAN, Gutenberg.

Hergestellt wird der Zusammenhang zwischen der Erfindung des Buchdrucks und der Entwicklung des „leisen“ Lesens aber schon von HENDRICKSON, Reading, 193; CHAYTOR, Medieval Reader; CHAYTOR, From, 5–21. Vgl. zur Übernahme dieser These z. B. GIESECKE, Buchdruck; GÖTTERT, Problemgeschichte, 104.

Vgl. SCHÖN, Verlust.

Vgl. KNOX, Reading.

Vgl. Athen. deipn. 4,16f (139c); Sen. ep. 88,37.

Vgl. KNOX, Reading, 421f.

Vgl. KNOX, Reading, passim.

Vgl. CLARK, Reading, 699f. Clark verweist außerdem noch auf Plin. ep. 5,5,5 – eine Stelle, auf die Knox nicht eingeht, die aber in mehrfacher Hinsicht und nicht nur in Bezug auf die Implikation, dass man sich Nero hier als „leisenLeser vorstellen kann, interessant ist.

Die Quellenstellen nennt er nicht.

Vgl. zum Folgenden KNOX, Reading, 428–435.

Vgl. dazu meine Ausführungen in Anm. 180, S. 151.

S. dazu u. Anm. 62, S. 230.

Vgl. zu diesen Quellen auch BURFEIND, Philippus, 139–141.

Vgl. SLUSSER, Reading.

KNOX, Reading, 435.

RÖSLER, Entdeckung, 316, Anm. 92: „Nun wirkte zwar in der Antike die originäre Mündlichkeit pragmatischer wie poetischer Kommunikation insofern dauerhaft nach, als lautes Lesen immer gebräuchlich blieb […]; doch ist damit kaum, wie oft unterstellt wird, die alltägliche Praxis der Textaufnahme zumal bei einem geübten Leser erfaßt. […] [Es] scheint […] auch aufgrund sachlicher Erwägungen unvorstellbar, daß sich bei einiger Leseroutine nicht von selbst eine Tendenz hin zu stillem Lesen ergab: zunächst die Zwischenstufe der sogenannten Subvokalisation […], schließlich Lesen als rein visuell-mentaler Vorgang. Die natürlichen Vorzüge waren ja evident genug: variables, freilich auch absolut schnelleres Lesetempo […] bis hin zu selektivem Überfliegen […], lange zusammenhängende Lesedauer (die Vorstellung eines stundenlangen, sich gar über den ganzen Tag erstreckenden lauten Lesens mutet nahezu absurd an). Insofern ist es dann wohl kaum anachronistisch, sich zumal jenen kreativen, die Impulse der Fiktionalität produktiv nutzenden Leseakt, wie er im folgenden umrissen wird, auch in der Antike vornehmlich in stiller Lektüre realisiert zu denken“, [Herv.en JH].

Vgl. GILLIARD, More. Gilliard, der den Forschungsstand seiner Zeit zusammenfasst und von der grundsätzlichen Fähigkeit antiker Leser, „leise“ lesen zu können auch unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ausgeht, warnt angesichts des Quellenbefundes davor, „that the predominance of orality does not mean exclusivity, either in writing or in reading“ (GILLIARD, More, 690).

Vgl. GAVRILOV, Techniques, 58, mit Verweis u. a. auf GRAY, Teaching.

Vgl. GAVRILOV, Techniques, 58. S. zu den Unterscheidungen 1.5.

GAVRILOV, Techniques, 59, mit Verweis auf LEVIN/ADDIS, Eye-Voice Span. Die Kategorie selbst ist schon viel länger in der Lesepsychologie etabliert. Vgl. z.B. BUSWELL, Experimental.

S. zu den beiden genannten Quellen u. 4.2.

Vgl. GAVRILOV, Techniques, 60f, mit Verweis u. a. auf SOKOLOV, Speech, 211.263; GIBSON/LEVIN, Psychology, 304ff.389f.

Vgl. GAVRILOV, Techniques, 70–73. S. die Weiterführung dieser Liste unter 10.1.

Vgl. zu dieser Interpretation von Aug. Conf. auch BURFEIND, Philippus, 139.

Vgl. KRASSER, „sine fine lecturias“, 218–220.

Vgl. GAVRILOV, Techniques, 61–66. Vgl. ausführlich z. den St., zum weiteren Kontext und zur Bedeutung des Lesens für Augustinus insgesamt, insb. für seine Spiritualität und Theologie, die unübertroffene Studie STOCK, Augustin.

Vgl. Balogh, Konfessionen, 266, der allerdings hier – entsprechend seiner Vorannahmen – in diachroner Hinsicht das plötzliche Auftreten des „stummen“ Lesens konstatiert.

Zu den Lexemen, die den haptischen Umgang mit dem Medium bezeichnen, vgl. HOLTZ, mots, 110f.

S. u. Anm. 37, S. 302.

GAVRILOV, Techniques, 68.

GAVRILOV, Techniques, 69.

Vgl. BURNYEAT, Letter; BURNYEAT, Postscript.

Vgl. BATTEZZATO, Techniques, 10f.

BURFEIND, Philippus, 144.

„Die dichtende Statue klagt, dass sie gezwungen wird, ihrem Herrn zuzuhören, wenn der bei ihr im Garten den Homer liest (rudis hic dominum totiens audire legentem cogor, Carm.Priap. 68,3f), so dass sie nun die Vokabeln aus Homer auswendig kennt.“ (BURFEIND, Philippus, 144).

Verba leges digitis, verba notata mero (Ov. am. 1,14,20).

Vgl. BENEDIKTSON, Reader, mit zus. Verweis auf Ov. ars 1,571f: „Leichte Schmeicheleien schreibe dünn mit Wein, dass auf dem Tische sie liest, deine Liebhaberin zu werden (blanditiasque leves tenui perscribere vino ut dominam in mensa se legat ilia tuam)“; s. auch Tib. elegiae 1,6,19f.

Paradigmatisch erscheint mir die Kritik der Arbeit von Knox durch Vertreter des SFB 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. Statt sachlicher Auseinandersetzung ist deren Kritik durch pauschalisierende und polemische Zurückweisung gekennzeichnet, die wiederum zu erkennen gibt, dass man die Infragestellung der communis opinio als eine Gefahr für das eigene Forschungsprogramm verstanden hat. G. Vogt-Spira weist Knox’ Kritik an Balogh lediglich in einer Fußnote mit dem Hinweis zurück, dass sie „überzogen“ (VOGT-SPIRA, Vox, 295, Anm. 2) sei, und verweist auf die Ausführungen von E. Lefèvre in einem von ihm herausgegebenen Sammelband. Lefèvre wiederum, der Knox’ Artikel als polemischen Feldzug gegen Balogh versteht, versucht die Position von Knox allein dadurch zu entkräften, dass er in Form eines sehr selektiven Zugriffs die Stichhaltigkeit von Knox’ Interpretation von Cic. Tusc. 5,116 hinterfragt, über die man sicherlich diskutieren kann. Vgl. LEFÈVRE, Literatur, 14 f. Der von ihm im direkten Kontext angeführte Quellenbeleg – die Metapher im Erechtheus von Euripides, „ich möchte die Stimme der Schreibtafel aufschlagen (δέλτων τ’ ἀναπτύσσοιμι γῆρυν)“ (TrGF, Fr. 363,6), sei „erst auf dem Hintergrund des lauten Lesens […] voll verständlich“ (LEFÈVRE, Literatur, 14) – kann gerade nicht als Evidenz für die generelle Praxis des „lauten“ Lesens herangezogen werden, da sie keinesfalls impliziert, dass der Leser der Schreibtafel die Stimme der Schreibtafel mit der eigenen Stimme vokalisieren muss. Mit der gleichen Logik könnte man z.B. aus dem Namen der 1890 gegründeten sozialdemokratischen Tageszeitung „Volksstimme“ eine ähnliche Schlussfolgerung für das ausgehende 19. Jh. ziehen.

Vgl. schon RAIBLE, Raible, Entwicklung, 8: „Es ist klar, daß man vor allem solche Texte in Scriptio continua, die man schon gut kennt, auch leise lesen kann.“; vgl. aber v. a. DORANDI, Autographie, 80–82; JOHNSON, Sociology, 618f; JOHNSON, Constructing, 328; JOHNSON, Readers, passim. Im Vergleich zu seinen älteren Publikationen (vgl. z.B. JOHNSON, Performance; JOHNSON, Function) ist eine ausdifferenzierende Distanzierung zur communis opinio zu erkennen. Vgl. auch die hilfreiche Übersicht bei DI MAZA, Silentium, und gegen die These, dass „in nicht-typographischen Gesellschaften grundsätzlich laut gelesen wurde“, BERTI/HASS/KRÜGER/OTT, Entziffern, 644. Sie konstatieren allerdings ebd. zu Recht: „Eine räumlich wie zeitlich weit ausgreifende Untersuchung der Modi lauten und leisen Lesens steht indes noch aus.“

BUSCH, Lesen, 34.

BUSCH, Lesen, 34.

Vgl. BUSCH, Lesen, 34–40. Ähnlich auch die Argumentation bei VALETTE-CAGNAC, lecture, 29–71.

So zitiert auch BUSCH, Lesen, 34, im Schlussteil seines Artikels die wesentlichen Schlussfolgerungen aus Baloghs berühmtem Artikel (s. o.). Vgl. ferner exempl. PARKES, Pause, 1.9; BLANCK, Buch, 71f; USENER, Isokrates, 74 (mit Verweis auf den Unterschied zwischen Vorlesen und subvokalisierendem individuellen Lesen).

1.3 Methodische Engführungen und Defizite der bisherigen Forschung

Dies erfolgt aber dann meist ohne konkreten statistischen Beleg. So behauptet z.B. BUSCH, Lesen, 13, dass die Fälle, in denen das griechische „Normalwort für ‚lesen‘ ἀναγιγνώσκειν […] durch Adverbien wie ἡσυχῇ und σιωπῇ […] [spezifiziert würden,] freilich abermals rar“ seien. Das mag zwar stimmen – eine kurze Suche in der TLG bringt allerdings schon ein paar Treffer (vgl. eindrücklich v. a. Lukian. philops. 31) – angesichts der großen Anzahl griechischer Lesetermini, -metonymien und -metaphern (s. u. 3) erscheint die statistische Ausgangsbasis allerdings wenig valide. Zudem basiert die Argumentation zuletzt auf einem Zirkelschluss, da Busch a priori davon ausgeht, dass alle anderen Stellen, an denen ἀναγιγνώσκω vorkommt, die „laute“ Lektüre meint, da man es ja sonst nicht markieren müsste. Zu seiner Argumentation bezüglich des Verbes legere s. unten mehr (s. u. 3.3).

Vgl. z.B. RAIBLE, Raible, Entwicklung, 8f; BUSCH, Lesen, passim.

Vgl. z.B. BUSCH, Lesen, 6.22.

Vgl. MCCUTCHEON, Silent, 14, der darauf hinweist, dass nicht nur „leises“ Lesen selten bezeugt sei, sondern auch „lautes“ Lesen in den Quellen nicht häufig explizit vorkommt.

Vgl. dazu die klugen Beobachtungen zu den methodischen Absurditäten der Debatte bei MCCUTCHEON, Silent, 13f.

BUSCH, Lesen, 9, Anm. 19.

BUSCH, Lesen, 9.

Freilich kann man den Beleg auch nicht für „leises“ Lesen anführen. Gegen GAVRILOV, Techniques, 70.

Vgl. BUSCH, Lesen, 28; auch SEIBERT, Exilwelt, 20, Anm. 38.

Eindeutig vokalisierende Lektüre ist in Ov. ars 3,340–346 vorausgesetzt, wobei hier allerdings an das Rezititieren vor der Geliebten gedacht sein dürfte.

Vgl. BUSCH, Lesen, 28.30f.

BUSCH, Lesen, 28.

BUSCH, Lesen, 28.

1.3.1 Geschriebenes als Abbild des Gesprochenen?

Vgl. BUSCH, Lesen, 15–19. Dieses Paradigma findet sich auch in exegetischer Fachliteratur. Vgl. z.B. HEARON, Mapping, 58.

Intensiv untersucht z.B. im Freiburger SFB 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“.

Auch gegen VOGT-SPIRA, Vox, 295, der in Quint. inst. or. 1,1,34 eine allgemeine Definition des „lauten“ Lesens sieht, m. E. aber geleitet durch die communis opinio die Frage nach einer Differenzierung zwischen Vorlesen und dem individuellem Lesen, die zumindest in analytischer Hinsicht zunächst geboten wäre, unterlässt. Auch gegen CHRISTES, Elemente, der einen Zusammenhang von konzeptioneller Mündlichkeit bei Tacitus und dem „lauten“ Vorlesen herstellt; sowie gegen die unzulässigen Pauschalurteile bei ERREN, Lesen. Vgl. zu dem hier besprochenen Problem meine Ausführung unten zu den Lesetermini unter 3.3.

Vgl. dazu MAAS, Schrift; HENNIGFELD, Geschichte; SCHLIEBEN-LANGE, Geschichte, 104–107; ausführlich zu Arist. int. 1 [16a3–18] NORIEGA-OLMOS, Psychology.

S. dazu weiterführend WILLE, Akroasis, 1101–1111. Zum Vorrang des Sehens gegenüber dem Hören s. außerdem die Quellen bei MAYR, Art. Hören, passim.

1.3.2 Die Frage nach dem Zusammenhang von Schriftsystem und Lesepraxis

Vgl. BUSCH, Lesen, 19–21.

Davor warnt auch THOMAS, Literacy, 93.

Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet H. Y. Gamble, der in einem englischen Text zu Anschauungszwecken die Wortzwischenräume entfernt hat und dies folgendermaßen kommentiert: „If a familiar text is surprisingly difficult, an unfamiliar one would present a far greater challenge. The relentless march of characters across the lines and down the columns required the reader to deconstruct the text into its discrete verbal and syntactical components. The best way to decipher a text written in this way was phonetic: sounding the syllables as they were seen and organizing them as much by hearing as by sight into a pattern of meaning.“ (GAMBLE, Books, 203f). Diese Form von Scheinevidenzerzeugung und rein thetischer Argumentation, die ohne Anhaltspunkte in den Quellen auskommt, ist methodisch fragwürdig. Ähnlich argumentieren ERREN, Lesen, 117f; SMALL, Wax Tablets, 17f; SHINER, Proclaiming, 12f.

Vgl. dazu die Kritik an P. Saengers Sicht auf die Antike bei BATTEZZATO, Techniques, 5f.

1.3.3 Die Frage nach der Literalität antiker Gesellschaften

Vgl. BUSCH, Lesen, 22–28.

Diese Schlussfolgerung findet sich zwar nicht bei Busch, der von einer weit verbreiteten basalen Lesefähigkeit ausgeht, gerade in Forschungsbeiträgen, die sich der sog. Performanzkritik zuordnen, ist dieser Begründungszusammenhang jedoch häufig zu finden (s. o. 1.1.2; s. außerdem Anm. 41, S. 29).

So auch zu Recht KRASSER, „sine fine lecturias“, 7.

So auch das Urteil von HURTADO, Oral Fixation, 331.

Vgl. dazu KEITH, Literacy; und den Überblick HEIL, Analphabet, insb. 276–282.

Vgl. HEIL, Analphabet, 286–289 (Lit.).

LkEvJohEvJesu6,313,55