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Inhaltsverzeichnis
 
Titel
Impressum
Vorwort
Einleitung und Zusammenfassung
 
I - Alter(n) als Chance
1 Auf dem Weg zu einem neuen Alters-Verständnis
2 Wie ist die Situation der Älteren auf dem Arbeitsmarkt?
3 Was kommt auf uns zu? - Der demographische Diskurs
4 Alter und Leistungsfähigkeit - Der Schlüssel für die Chancen-Perspektive
5 Herausforderungen annehmen - Aktiv werden
6 Von anderen lernen - Gute Beispiele
 
II - Handlungsansätze und Beispiele guter Praxis
1 Ältere Arbeitnehmer gesucht! Altersgrenzen überwinden und die besonderen ...
2 Nicht zurücklassen - Nicht stehen bleiben! Qualifikation weiterentwickeln in ...
3 Interessen und Möglichkeiten ausloten! Persönliche Entwicklungsplanung und Mitarbeitergespräche
4 Entwicklungswege (er)öffnen! Personalentwicklungswege und Fachkarrieren
5 Die Arbeitsfähigkeit sichern! Altersgerechter Personaleinsatz und Gruppenarbeit
6 Die Erfahrungen Älterer nutzen - Vom besonderen Know-how profitieren! ...
7 Arbeitszeit nach Lebensphasen ausrichten! Flexible Gestaltung und gleitender ...
 
III - Strategien und Erfolgsvoraussetzungen
1 Eine schlüssige Gesamtstrategie finden
2 Für die Aufgabe sensibilisieren
3 Die Ausgangssituation analysieren und einen Maßnahmenplan entwickeln
4 Verantwortliche gewinnen - Unterschiedliche Akteure einbinden
5 Die Bedeutung der Unternehmenskultur erkennen
 
IV - Serviceteil
1 Anleitung zur Berechnung der betrieblichen Altersstruktur
2 Checkliste zur alternsgerechten Arbeits- und Personalpolitik
3 Leitfaden für Mitarbeiter zur Neuorientierung im Beruf
4 Liste personalpolitischer Instrumente - 100 Tools
5 Förderinstrumente
6 Links und Praxisleitfäden
 
Literatur

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
 
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort
Die demographische Entwicklung - darin stimmen alle Bevölkerungsprognosen überein - wird die Struktur der Erwerbsbevölkerung nachhaltig verändern. Das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland wird altern und schrumpfen. Die Herausforderung, auch in Zukunft innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben, veranlasst schon heute eine wachsende Zahl von Unternehmen, sich mit dem Thema »ältere Mitarbeiter« zu beschäftigen. Zudem ist der sich bereits heute in manchen Regionen und Branchen abzeichnende Mangel an qualifizierten Fachkräften für eine wachsende Zahl von Unternehmen Anlass genug, noch intensiver als bislang über die Nutzung der Potenziale Älterer nachzudenken.
Die Unternehmen haben inzwischen vielfältige Ansätze entwickelt, um ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen bzw. sie länger in den Unternehmen zu halten. Mit gutem Erfolg. Allein in den letzten fünf Jahren ist die Beschäftigtenquote der Älteren um über zehn Prozent auf zuletzt 48,4 Prozent im Jahr 2006 gestiegen. Im zweiten Quartal 2007 lag die Beschäftigungsquote 55-bis 64-Jähriger erstmals über dem von der EU-Kommission für das Jahr 2010 anvisierten Zielwert von 50 Prozent (»Lissabon-Ziel«).
Um den inzwischen weit vorangeschrittenen Paradigmenwechsel hin zu längeren Erwerbsbiographien anzustoßen, haben die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und die Bertelsmann Stiftung im Rahmen des EU-Projektes »Proage - Die demographische Herausforderung meistern - innovationsfähig mit alternder Bevölkerung« bereits im Jahr 2001 zwei Studien zur Entwicklung von Handlungsperspektiven zur Bewältigung der demographischen Lücke in Auftrag gegeben. Während sich die erste Studie »Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer - Internationaler Vergleich und Handlungsempfehlungen« auf die notwendigen Veränderungen der gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer fokussierte, konzentrierte sich die zweite Studie »Erfolgreich mit älteren Arbeitnehmern« auf die betriebliche Handlungsebene. Die letztgenannte Publikation liegt mit diesem Buch unter dem Titel »Demographiebewusstes Personalmanagement« in einer grundlegend überarbeiteten und aktualisierten Neuauflage vor.
Dieser Leitfaden für die unternehmerische Praxis setzt auf der betrieblichen Ebene an, dort also, wo die (Neu-)Orientierung hin zu einer »alternsgerechten« Personalpolitik angeregt und umgesetzt werden muss. Der Leitfaden nimmt dabei die Chancen in das Blickfeld, die ältere Mitarbeiter und alternde Belegschaften für Produktivität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen bieten. Es gilt, die in den letzten Jahren erzielten Erfolge nachhaltig zu stabilisieren und weiter auszubauen. Denn sicher ist: Die großen Herausforderungen des demographischen Wandels stehen uns erst noch bevor.
Orientiert am Bedarf der betrieblichen Praktiker wird entlang von sieben Handlungsfeldern beschrieben, wie sich Unternehmen durch eine zukunftsgerichtete Personalpolitik und Arbeitsorganisation frühzeitig auf die veränderten Altersstrukturen der Belegschaften einstellen können. Beispielgebend werden Unternehmen dargestellt, die sich bereits mit der Thematik auseinandergesetzt, Lösungsstrategien entwickelt und in der Praxis umgesetzt haben. Die Fallbeispiele sollen als Anregung und praktische Arbeitshilfe dienen und Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen für die Thematik einer demographiebewussten Personalpolitik sensibilisieren.
Wir danken den Autoren Dr. Martina Morschhäuser und Achim Huber vom Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft für die umfassende Überarbeitung und Aktualisierung dieses Praxisleitfadens. Ihr Verdienst ist es, die Auswirkungen des demographischen Wandels für das einzelne Unternehmen ohne Dramatisierung dargestellt und zugleich der betrieblichen Praxis nachvollziehbare Handlungsansätze zur vorausschauenden Bewältigung dieser Herausforderungen aufgezeigt zu haben.
Gleichzeitig möchten wir uns - auch im Namen der Autoren - bei den zahlreichen Experten bedanken, die die durchgeführte Recherche unterstützt haben. Unser Dank gilt außerdem den Personalverantwortlichen und Belegschaftsvertretern aus den Betrieben, die mit ihrer Auskunftsbereitschaft und Mitwirkung die Neuauflage dieser Publikation begleitet haben.
 
Dr. Jürgen Wuttke
Leiter Abteilung Arbeitsmarkt
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
 
Dr. Jens U. Prager
Leiter Programm »Zukunft der Beschäftigung«
Themenfeld »Wirtschaft und Soziales«, Bertelsmann Stiftung
 
André Schleiter
Projektmanager »Zukunft der Beschäftigung«
Themenfeld »Wirtschaft und Soziales«, Bertelsmann Stiftung

Einleitung und Zusammenfassung
Die Erwerbstätigenquote älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen1 ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Sie lag schon im Jahr 2006 für die 55- bis 64-Jährigen bei über 48 Prozent. Damit ist das vom Europäischen Rat von Stockholm im Jahr 2001 formulierte Ziel, dass nämlich bis 2010 die Hälfte der EU-Bevölkerung in dieser Altersgruppe erwerbstätig sein solle, für Deutschland heute schon fast erreicht.
Allerdings steht die demographische Herausforderung in der Arbeitswelt erst noch bevor: Anzahl und Anteil junger Fachkräfte sind vergleichsweise gering und werden sich weiter verringern. Zwar ist nach bisherigen Prognosen kurz- und mittelfristig nicht von einem generellen Arbeitskräftemangel auszugehen, wohl aber zeigen sich schon heute Engpässe und Ungleichgewichte in spezifischen Teilarbeitsmärkten, die sich noch verstärken werden.
Vor allem aber erreichen die geburtenstarken Jahrgänge der »Baby-Boom-Generation« in den kommenden Jahren ein höheres Alter. Die heute Ende 30- bis 50-Jährigen sind die bei weitem personenstärkste Alterskohorte in der Erwerbsbevölkerung.
Auch viele Betriebe haben momentan eine Altersstruktur in Form eines Berges mit einer Spitze bei den Beschäftigten mittleren Alters, der sich Jahr für Jahr in die höheren Altersgruppen verschiebt.
Der Anteil der älteren Arbeitnehmer in den Unternehmen wird in absehbarer Zeit deutlich steigen. Gleichzeitig werden diese länger erwerbstätig sein als die heute ältere Generation. Die bisher probaten Mittel und Instrumente der vorzeitigen Ausgliederung Älterer werden, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen.
Angesichts heraufgesetzter Altersgrenzen zum Renteneintritt und des Abbaus staatlicher Frühverrentungsförderung wird es weit weniger häufig zu einvernehmlichen »Auflösungsdeals« zwischen Betrieb und Beschäftigten kommen.
Dieses Szenario ist jedoch aus der betrieblichen Perspektive keineswegs mit einem unweigerlich herannahenden »Problem« oder gar einer »demographischen Katastrophe« gleichzusetzen. Ältere Arbeitnehmer sind grundsätzlich nicht weniger leistungsfähig als jüngere - nicht das Niveau der Leistungen wandelt sich im Prozess des Älterwerdens, sondern eher das Spektrum der Leistungsfähigkeit.
Ist der Berufsverlauf durch Lern- und Entwicklungsprozesse geprägt, wächst die berufliche Kompetenz gemeinhin mit dem Alter. Unternehmen registrieren vielfach einen Know-how-Verlust, wenn langjährig Beschäftigte aus dem Betrieb ausscheiden.
Um nicht nur mögliche Probleme, sondern auch die Chancen in das Blickfeld zu nehmen, die alternde Belegschaften für die Produktivität und Innovativität der Unternehmen bieten, gilt es,
• die Potenziale der aktuell Älteren differenziert wahrzunehmen und zu nutzen sowie
• zu fördern, dass die Beschäftigten mittleren Alters, die gegenwärtig - bei hoher Ausgangsqualifikation - vielfach die Leistungsträger in Unternehmen darstellen, diese Wertigkeit auch in Zukunft als Ältere beibehalten können. Dafür müssen heute schon die Weichen richtig gestellt werden.
Demographiebewusstes Personalmanagement erstreckt sich auf alle Generationen im Unternehmen, auf die Gestaltung ihrer Beziehungen untereinander. Innovationen der Arbeitsstrukturen, Arbeitszeitregelungen und Qualifizierungsprozesse zielen hierbei nicht in erster Linie auf angepasste Modelle für Ältere. Indem sie auf die gesamte Erwerbsdauer ausgerichtet sind, kann es gelingen, die Integration der Älteren nachhaltig zu fördern und ihr Leistungspotenzial zu nutzen.
Mit dem vorliegenden Kompendium möchten wir dazu Anregungen geben sowie geeignete Konzepte und betriebliche Beispiele vorstellen. Es richtet sich an Personalverantwortliche in den Betrieben ebenso wie an Betriebsräte und Arbeitnehmer.
• Im einführenden ersten Kapitel stellen wir Argumente für einen Wechsel von der Risiko- zur Chancenperspektive bei der Beschäftigung Älterer zusammen. Wir werfen einen Blick auf die Problematik der Frühverrentungspolitik, erläutern den Zusammenhang zwischen Alter und Leistungsfähigkeit und benennen die Herausforderungen für Unternehmen und Arbeitnehmer durch eine gewandelte Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung.
• Im zweiten Kapitel werden sieben Handlungsansätze für einen chancenreichen Umgang mit älteren Arbeitnehmern und mit betrieblichen Alternsprozessen, verbunden mit Good-practice-Beispielen, vorgestellt. Einen Überblick gibt die nachfolgende Zusammenfassung in dieser Einleitung.
• Im dritten Kapitel stellen wir dar, worin die Erfolgsvoraussetzungen einer altersintegrativen Arbeits- und Personalpolitik liegen.
• Im abschließenden vierten Kapitel, dem Serviceteil, finden sich Werkzeuge zur Untersuchung und Bewertung der betrieblichen wie der individuellen Ist-Situation, Anregungen zu ihrer Veränderung sowie Hinweise auf Förderinstrumente und weitere Informationsquellen zum Thema.
Die Mehrzahl der dargestellten Good-practice-Beispiele wurde in einer empirischen Erhebung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung recherchiert. Weitere Praxisbeispiele wurden im Rahmen von Forschungs- und Umsetzungsprojekten untersucht, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, von der Hans-Böckler-Stiftung und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurden bzw. noch gefördert werden.
Ausgewählte Beispiele werden detailliert und ausführlich beschrieben, um so auch die Anlässe, Rahmenbedingungen, Umsetzungsvoraussetzungen und -schwierigkeiten der Maßnahmen nachvollziehen zu können. Ihnen liegen intensive Gespräche vor Ort mit den jeweiligen betrieblichen Promotoren zugrunde. Maßgeblich für die Auswahl der Beispiele war, dass sie jeweils innovative und grundsätzlich übertragbare Vorgehensweisen veranschaulichen. Zugleich werden unterschiedliche relevante Handlungsansätze durch sie illustriert.
Handlungsansätze
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Ältere Arbeitnehmer gesucht! Altersgrenzen überwinden und die besonderen Fähigkeiten Älterer gezielt nutzen

Nach vorliegenden Studien konzentriert sich die betriebliche Einstellungspolitik oftmals noch auf die Zielgruppe der jungen Fachkräfte (vgl. Becker, Bobrichtchev und Henseler: 2006; Deutsche Gesellschaft für Personalführung: 2005).
Eine wachsende Zahl von Unternehmen hat jedoch für sich inzwischen eine Alternative entdeckt. Sie haben gezielt in ihren Stellenausschreibungen nach älteren Mitarbeitern gesucht. Teils zunächst aus der Not geboren, gelingt es ihnen damit in vielen Fällen, Nachteile bei der Fachkräfterekrutierung aufgrund von Standort oder Betriebsgröße auszugleichen. Sie haben den Wert vieler älterer Arbeitsuchender schätzen gelernt und sind dabei, teils noch bestehende Vorbehalte praktisch zu widerlegen.

Erfahrung und soziale Kompetenz »einkaufen«

Am Beginn der Neuorientierung der Einstellungspolitik steht eine nüchterne Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften, des Aufwandes und Ertrages. Zu fragen ist, welche Gründe bislang der Einstellung eines älteren Mitarbeiters entgegenstanden. Kostenund Amortisationsrechnungen werden durch eine neue Facette ergänzt, wenn man auch den Zugewinn an Erfahrung und sozialer Kompetenz in Rechnung stellt, der mit der Einstellung eines Älteren mit »eingekauft« werden kann. Gleichzeitig lassen aber auch die Eigenbemühungen Älterer bei der Stellensuche nach. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegen, dass Unternehmen in drei Viertel der Fälle bei ausgeschriebenen Stellen keine Bewerbungen von über 50-Jährigen erhalten.

Unternehmensbeispiel Fahrion Engineering
▻ S. 49 ff.

Als betriebliches Beispiel wird die gezielte Rekrutierung hoch qualifizierter Ingenieure »ab 45« bei Fahrion Engineering dargestellt.

Nicht zurücklassen - Nicht stehen bleiben! Qualifikation weiterentwickeln in einer lernförderlichen Arbeitsorganisation

Ältere sind weniger an Weiterbildungsmaßnahmen beteiligt als Jüngere. Für die Zurückhaltung der Unternehmen beim Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen für Ältere mag das Argument der knappen Amortisationszeit eine Rolle spielen. Angesichts der Kürze der Zeit, in der neu erworbenes Wissen heute wieder obsolet werden kann, stellt sich jedoch die Frage, ob diese Sichtweise noch stimmig ist. Mangelt es Älteren an Lernfähigkeit und Lernbereitschaft? Die Qualifizierungsfähigkeit Älterer ist vielfach belegt. Allerdings sind ältere Arbeitnehmer selbst seltener davon überzeugt, dass ihnen berufliche Weiterbildung nutzen könnte. Interesse und Engagement, sich zu beteiligen, sind daher entsprechend oft niedriger.

Lernentwöhnung, mangelnde Lernmotivation

Auch Lernen will gelernt sein, und Lernen kann verlernt werden. Bei registrierten Qualifikationsmängeln Älterer und den in der Praxis hier und da auftretenden Schwierigkeiten und Motivationsproblemen geht es im Kern weniger um das Alter als um die bisherige Lerngeschichte. Hier stößt man vielfach auf einen Teufelskreis von Lernentwöhnung und mangelnder Lernmotivation, der aber durch gezielte Arrangements und persönliche Ansprache und Ermunterung durchbrochen werden kann.

Qualifikationsdefiziten vorbeugen - berufsbegleitend lernen

Damit Qualifikationsdefizite und Lernentwöhnung erst gar nicht entstehen, gilt es, lebenslang oder besser berufsbegleitend zu lernen. Dieser Appell richtet sich an die Arbeitnehmer, zugleich aber auch an die Organisation von Arbeit und Lernprozessen. Berufsbegleitendes Lernen setzt voraus, dass am Arbeitsplatz und im Arbeitsprozess Lernanreize vorhanden sind.
Der Ansatz einer lernförderlichen Arbeitsgestaltung kann systematisch verstärkt werden durch Rotationskonzepte, die zu einem organisierten Wechsel zwischen zwei oder mehreren Arbeitsfeldern führen. Notwendige Freiräume zum arbeitsbegleitenden Lernen können durch entsprechende Arbeitszeitregelungen abgesichert werden.

Unternehmensbeispiele Vetter Fördertechnik
▻ S. 59 ff.
SICK AG
▻ S. 64 ff.

Als betriebliche Beispiele werden eine Qualifizierungsinitiative für ältere Mitarbeiter bei Vetter Fördertechnik und die altersübergreifende Qualifizierung und Personalentwicklung der SICK AG beschrieben.

Interessen und Möglichkeiten ausloten! Persönliche Entwicklungsplanung und Mitarbeitergespräche

Galt es in der herkömmlichen Personalstrategie primär festzulegen, wann und auf welchem Wege die anstehenden Altersjahrgänge aus dem Betrieb ausscheiden, so geht es zukünftig verstärkt darum, im individuellen Einzelfall abzuklären, auf welche Weise die Produktivität eines Arbeitnehmers, der das Alter von 40, 50 oder 60 Jahren überschritten hat, am besten für den Betrieb genutzt und erhalten werden kann.

Persönliche Entwicklungsplanung in jedem Alter wichtig

Grundsätzlich sollte sich die Anregung einer persönlichen Entwicklungsplanung nicht nur auf die späte Berufsphase beschränken - Entwicklung ist in jedem Alter wichtig. Eine Möglichkeit dazu bieten Entwicklungsgespräche, die möglichst generationenübergreifend und in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu führen sind.
Dabei kommt es insbesondere darauf an, herauszufinden, wo die persönlichen Stärken des Mitarbeiters liegen, in welchen Feldern er sich weiterbilden könnte, welche Tätigkeiten oder Aufgaben ihm Schwierigkeiten bereiten und was getan werden kann, um diese Schwierigkeiten zu bewältigen. Von Bedeutung ist auch die Frage, ob ein Wechsel an einen anderen Arbeitsplatz oder in einen anderen Bereich, eine Erweiterung der bisher ausgeübten Tätigkeiten oder eine Änderung der Arbeitszeit anzustreben sind.
Eine Reihe von Betrieben - insbesondere Großunternehmen - bieten gezielt Mitarbeitern ab 40 die Teilnahme an speziellen Workshops zur beruflichen Standortbestimmung an.

Unternehmensbeispiele GEWES
▻ S. 77 ff.
Siemens
▻ S. 81 ff.

Auch unabhängig von möglichen betrieblichen Angeboten lohnt es sich für jeden Beschäftigten, ab einem bestimmten Alter beziehungsweise nach längerer Berufsausübung gründlich darüber nachzudenken, wo er beruflich steht und wo er (noch) hin möchte.
Als betriebliche Beispiele werden die Handhabung von Mitarbeitergesprächen als Instrument der Entwicklungsplanung bei GEWES und der Kompass-Prozess bei Siemens geschildert.

Entwicklungswege (er)öffnen! Personalentwicklungswege und Fachkarrieren

Mobilität in der Erwerbsbiografie resultiert nicht alleine aus den Anpassungsprozessen und technisch-organisatorischen Veränderungen in den Unternehmen. Wechsel der Tätigkeit ist auch unter Umständen erforderlich, wenn anders die Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit des Mitarbeiters auf Dauer gefährdet wäre.
Da traditionelle Karrierewege immer mehr Personen der mittleren Altersgruppe nicht mehr offen stehen, wird die systematische und gezielte Planung neuer, alternsgerechter Personalentwicklungswege zu einer wichtigen Gestaltungsaufgabe.

Alternsgerechte Personalentwicklungspläne bereits bei Berufsbeginn

Konzepte zur Gestaltung der Erwerbsbiografie setzen bereits beim Berufseinstieg an, nicht erst bei den Älteren. Dabei bietet sich an, verstärkt solche Tätigkeitsbereiche für erfahrene Mitarbeiter vorzusehen und zu erschließen, in denen sie ihre gesammelten Kenntnisse und gewachsenen Kompetenzen einbringen und entfalten können.
Nicht unbedingt müssen Personalentwicklungswege in Form aufeinander folgender Sprossen einer Leiter angelegt sein. Um die individuelle Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft zu fördern und zugleich physischen oder psychischen Abnutzungseffekten vorzubeugen, können auch die Übernahme von Fachfunktionen oder eine Rotation über unterschiedliche Tätigkeitsfelder auf gleicher Hierarchieebene organisiert werden.
Eine flexible Arbeitsorganisation bietet am ehesten die Gewähr, Spezialisierungsfallen zu vermeiden, in die ältere qualifizierte Mitarbeiter geraten, wenn sie über viele Jahre nur in einem eng begrenzten Tätigkeits- und Einsatzfeld arbeiten und auf diese Weise Gefahr laufen, dass für sie aufgrund technisch-organisatorischer Veränderungen oder unternehmenspolitischer Anpassungsmaßnahmen von heute auf morgen keine Verwendung mehr besteht.

Unternehmensbeispiel Freie Hansestadt Bremen
▻ S. 90 ff.

Als betriebliches Beispiel wird das Konzept der »geteilten Berufsbiografie« im Justizvollzug bei der Freien Hansestadt Bremen vorgestellt.

Die Arbeitsfähigkeit sichern! Altersgerechter Personaleinsatz und Gruppenarbeit


Arbeitsplatzbelastungen abbauen

Älter werden ist in Tätigkeitsfeldern mit spezifischen oder kumulierten Belastungswirkungen vielfach von Verschleißerscheinungen begleitet, die in manifeste, chronisch-degenerative Erkrankungen einmünden können.
Älter werden bedeutet andererseits Reifen in der Auseinandersetzung mit den beruflichen Anforderungen und Weiterentwicklung des fachlichen und sozialen Kompetenzprofils. Dies im eigenen Interesse und zum Nutzen des Betriebes auszuschöpfen, setzt jedoch grundlegend die Erhaltung der Gesundheit als Basis der Leistungs- und Einsatzfähigkeit voraus.

Tätigkeitswechsel

Eine zentrale Strategie besteht im Abbau von Belastungen im Bereich des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung, die das gesamte Spektrum arbeitsgestalterischer Maßnahmen der Ergonomie sowie des Arbeitsschutzes beinhaltet. Für verbleibende besonders belastungsintensive Arbeitsplätze und -bereiche kann eine begrenzte Verweildauer vereinbart werden. Hierzu ist es erforderlich, die Folgetätigkeiten zu klären und den Übergang durch Weiterbildung und Führungsmaßnahmen zu stützen und zu begleiten.

Gruppen- und Teamarbeit

Auch Gruppen- beziehungsweise Teamarbeit eröffnen Möglichkeiten eines altersgerechten Personaleinsatzes, indem sich das Tätigkeits- und Anforderungsspektrum für den Einzelnen erweitert. Durch den Tätigkeitswechsel werden sowohl langandauernde einseitige Belastungen vermieden als auch neue Kompetenzen erworben und die Flexibilität beziehungsweise Lernfähigkeit trainiert. Ein weiterer wichtiger Ansatz besteht in der Stärkung von Gesundheitsressourcen, beispielsweise durch Programme, in denen die Eigenverantwortung und Kompetenz der Beschäftigten für ihren eigenen Gesunderhalt gefördert werden.

Unternehmensbeispiel VW Nutzfahrzeuge
▻ S. 99 ff.

Als betriebliches Beispiel wird das »Kaskadenmodell - von der Gruppenarbeit zum IntegrationsWerk« bei VW Nutzfahrzeuge erläutert.

Die Erfahrungen Älterer nutzen - Vom besonderen Know-how profitieren! Zusammenarbeit von Jung und Alt


Know-how sichern

Mit dem Altersstrukturwandel kommen zukünftig personenstärkere Jahrgänge in das rentennahe Alter, deren Erfahrungen und Kompetenzen für Unternehmen oftmals unverzichtbar sind. Die Sicherung ihres Know-hows vor dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wird in manchen Firmen zu einer existenziell wichtigen Aufgabe.
Ganz zentral ist dabei der Kenntnisaustausch zwischen den Generationen der Mitarbeiter eines Unternehmens. Die spezifische Habenseite von Jung und Alt kann hierbei als ein Modell komplementärer Lern- und Arbeitsweisen verstanden werden.

Wissenstransfer zwischen Jung und Alt: altersgemischte Teams

Der Wissenstransfer zwischen den Generationen kann initiiert und gefördert werden, indem gezielt altersgemischte Teams für solche Aufgaben gebildet werden, für deren Bewältigung die Erfahrungen der Älteren, gegebenenfalls aber auch spezifische Kenntnisse der Jüngeren eine wichtige Rolle spielen. Die Zusammenarbeit kann sich sowohl auf die zeitlich befristete Durchführung einzelner Projekte beziehen als auch auf Dauer angelegt sein.

Paten, Mentoren, Coaches

Eine besonders intensive Form der kollegialen Zusammenarbeit wird ermöglicht, indem Tandems zwischen Erfahrungsträgern und Berufsanfängern gebildet werden. Durch die Arbeit zu zweit wird ein kontinuierlicher Austausch des Praxiswissens und der Erfahrungen gefördert. Ein Tandem bietet sich insbesondere vor dem betrieblichen Ausscheiden Älterer an. Paten, Mentoren oder Coaches werden temporär als erfahrene Ältere in einer Betreuerrolle für Jüngere (Berufsanfänger oder Nachfolger) tätig.

Unternehmensbeispiele microTEC
▻ S. 111 ff.
Sartorius AG
▻ S. 117

Als betriebliche Beispiele werden gemischte Teams bei microTEC und Lernpartnerschaften bei der Sartorius AG vorgestellt.

Arbeitszeit nach Lebensphasen ausrichten! Flexible Gestaltung und gleitender Übergang in den Ruhestand

In die Flexibilitätsanforderungen, die die moderne Arbeitswelt an Betriebe wie Arbeitnehmer stellt, wird in wachsendem Maße auch die Arbeitszeit einbezogen. Soweit es sich um flexible Wochenarbeitszeiten, Freizeitblöcke zum Abbau von Überstunden oder um Gleitzeitregelungen der täglichen Arbeitszeit handelt, hat eine Flexibilisierung im Sinne der Arbeitsorganisation ebenso wie im Interesse der Berufstätigen inzwischen weite Verbreitung und hohe Akzeptanz gefunden.

Work-Life-Balance: Flexibilisierung der Arbeitszeit im gesamten Berufsverlauf

Dagegen werden weitergehende Möglichkeiten zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten mit Blick auf den gesamten Berufsverlauf von Unternehmen wie Arbeitnehmern noch deutlich weniger in Betracht gezogen. Eine flexiblere Abstimmung von Arbeitszeiten, die individuell auf die Anforderungen der Lebens- und Altersphasen eingeht, wäre zugleich ein wichtiger Baustein einer neuen Work-Life-Balance.
Zahlreiche Teilzeitformen ermöglichen eine flexible Verteilung der Arbeitszeit, abgestimmt auf betriebliche Erfordernisse und persönliche Bedarfe des Mitarbeiters. Durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung bei Altersteilzeit, die heute überwiegend im Blockmodell geregelt wird, können z. B. Know-how-Transfer und die Regeneration Älterer gefördert werden.
Zeitkontenmodelle ermöglichen es, arbeitsfreie Zeiträume »anzusparen«, und bieten zugleich eine höhere Flexibilität im Personaleinsatz. Langzeitkonten über mehrere Jahre können für berufliche Weiterbildung, aber auch für einen gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben genutzt werden.

Know-how Älterer nach Berufsaustritt nutzen: Senior-Experten

Unternehmen gehen zudem neue Wege, um das spezifische Know-how ihrer älteren Mitarbeiter auch nach Berufsaustritt nutzen zu können (z. B. Ehemaligen-Gesprächskreise, Senior-Experten für bestimmte Projekte beziehungsweise zur Lösung spezieller Aufgaben).

Unternehmensbeispiele Bürkert
▻ S. 123 ff.
Bosch Management Support GmbH
▻ S. 128 ff.

Am Beispiel der Firma Bürkert werden neue Formen der beruflichen Weiterbildung wie auch der Arbeitszeitgestaltung geschildert. Die Bosch Management Support GmbH wird als Beispiel für die Nutzung der Erfahrungen pensionierter Fach- und Führungskräfte vorgestellt.

Strategien und Erfolgsvoraussetzungen


Integrative und präventive Handlungsansätze

Ein wesentliches Merkmal neuer Strategien einer alter(n)sgerechten Arbeitsund Personalpolitik ist, dass der Fokus nicht (nur) auf die Älteren gerichtet wird. Alter(n)sgerechte Ausrichtung betrieblicher Maßnahmen beginnt mit den Jüngeren (in ihrer Zusammenarbeit mit den Älteren), geht über die Mitarbeiter mittleren Alters (bei der Sicherung von Qualifikation, Gesundheit und Motivation) und schließt den Kreis mit den Älteren.
In einer solchen strategischen Neuorientierung greifen integrative und präventive Handlungsansätze ineinander. Zu den integrativen sind jene zu zählen, die auf Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses Älterer gerichtet sind. Die präventiven sorgen komplementär dafür, dass die Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter über den gesamten Erwerbsverlauf erhalten bleibt.

Ganzheitliche Strategie

Die jeweiligen Handlungsansätze werden vor allem dann wirksam, wenn sie nicht als isolierte Einzelmaßnahmen wirken, sondern in eine ganzheitliche Strategie eingebettet sind. Dabei wird es vielfach darum gehen, nicht bei einer Neuorientierung der Personalpolitik allein stehen zu bleiben. Erst wenn die Arbeits- und Organisationsprozesse neu gestaltet werden, kann es gelingen, dass ältere Belegschaften zur produktiven Chance für Unternehmen werden.

Unternehmensbeispiel KSB
▻ S. 138 ff.

Wie das Beispiel der Firma KSB deutlich macht, entwickeln Unternehmen, die sich mit dem Alternsthema auseinandersetzen, nicht nur ein einzelnes Vorhaben, sondern einen ganzen Maßnahmenstrauß. Die »demographische Frage« zieht sich durch fast alle personalpolitischen Themen, die unter diesem Blickwinkel in einem neuen Licht erscheinen.

Unternehmensbeispiel voestalpine
▻ S. 143 ff.

Um den aufgeworfenen Fragestellungen nachzugehen, bedarf es zugleich eher einer Open-end-Veranstaltung als eines zeitlich befristeten Projektes. Hierzu sind geeignete Projektstrukturen wichtig, wie am Beispiel des Unternehmens voestalpine deutlich wird, wo thematisch konzentrierte Expertengruppen in einem konzernumfassenden Ansatz zusammengestellt wurden.

Alle Akteure einbeziehen

Die Good-practice-Beispiele des Kompendiums zeigen außerdem, wie wichtig es ist, die Personalverantwortlichen, das Management und die Belegschaftsvertreter, die Fach- und Führungskräfte sowie die Mitarbeiter selbst bei einem solchem Vorhaben aktiv zu beteiligen und die Konzepte gemeinsam zu erarbeiten.
Langfristig ausgerichtete Strategien knüpfen an offenen, dialogorientierten Umgangsweisen im Unternehmen an, die gekennzeichnet sind durch einen hohen Stellenwert von Kommunikation und Reflexion, durch kollegiale und unterstützende Haltung unter den Beschäftigten, partizipativ ausgerichtetes Führungsverhalten, Suche nach flexiblen und individuellen Lösungsmöglichkeiten sowie durch eine grundsätzliche Offenheit von Personalverantwortlichen gegenüber Veränderungsvorschlägen der Mitarbeiter.

Neue »Möglichkeitsräume«

Letztlich geht es bei vielen der dargestellten Ansätze darum, dass die Unternehmen - bei Personaleinstellung wie Qualifizierungsangeboten, bei der Durchführung von Mitarbeitergesprächen wie bei der Bildung gemischter Teams - neue »Möglichkeitsräume« für Beschäftigte aller Altersgruppen eröffnen.

I
Alter(n) als Chance

1 Auf dem Weg zu einem neuen Alters-Verständnis

»Das Demographie-Problem« (Süddeutsche Zeitung, 20.8.2006), die »Demografiefalle« (Die Zeit, 16.5.2007) oder »Überalterung« (Hamburger Abendblatt, 23.10.2007), so lauten typische Schlagworte, mit denen in Pressemeldungen das Phänomen der alternden Erwerbsbevölkerung gekennzeichnet wird.
In dieser Begrifflichkeit erscheint eine wachsende Zahl älterer Arbeitnehmer per se als Bedrohung und Gefahr, der es - durch verstärkte Zuwanderung junger Arbeitskräfte oder eine höhere Geburtenrate - entgegenzuwirken gilt.

Herausforderungen annehmen

Dies ist sicher auch notwendig; der demographische Wandel - der sich in ähnlicher Weise in ganz Europa vollzieht - lässt sich allerdings aufgrund der Dimension der Veränderungen dadurch nicht umkehren. Junge Erwerbspersonen werden zwangsläufig weniger, die geburtenstarken Jahrgänge rücken in die höheren Altersklassen auf, und zugleich lässt sich die Frühverrentungsförderung im bisherigen Umfang nicht mehr finanzieren und hat sich außerdem als arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv erwiesen.
Deshalb wird von Politik, Verbänden und Gewerkschaften gleichermaßen gefordert, die »Herausforderungen des demographischen Wandels« anzunehmen. Der Appell richtet sich an alle. Für die Unternehmen bedeutet dies: Ältere müssen verstärkt eingestellt und länger beschäftigt werden. Für die Älteren heißt dies: Lebenslanges Lernen und Gesunderhaltung müssen eigeninitiiert die Voraussetzung dafür schaffen. Die Politik ist gefordert, die notwendigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und richtige Anreize für längere Erwerbsbiographien zu setzen.
»Meistern Sie die demographische Bedrohung«, »Personal- und Arbeitspolitik zukunftsfähig gestalten«, »Alt, erfahren, erfolgreich - Wie Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer Mitarbeiter langfristig sichern« oder schlicht »DemographieFit« - mit solchen und ähnlichen Titeln wenden sich heute zahlreiche Fachveranstaltungen an Personalverantwortliche, um sie für das Thema zu gewinnen.
Abb. 2: Erwerbspersonen nach Alter (2006)
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Quelle: eigene Darstellung nach Daten des Statistischen Bundesamtes
Insgesamt jedoch haben sich Personalverantwortliche wie Betriebs- und Personalräte des Altersstrukturwandels teilweise noch zu zögerlich angenommen. Es besteht weiterhin Handlungsbedarf bei der Gestaltung einer demographiefesten Personalpolitik.
Die Diskussion in Theorie und Praxis bezüglich älterer Arbeitnehmer hatte und hat teilweise noch einen starken Fokus auf sogenannte Altersrisiken wie Gesundheits- oder Qualifikationsdefizite.
Mit dem Kompendium werden demgegenüber insbesondere die Chancen ins Blickfeld genommen, die alternde Belegschaften für Produktivität und Innovativität der Unternehmen bieten können. Es geht um die Potenziale, die es zu nutzen gilt, und nicht nur um die Probleme, die zu vermeiden sind - und zwar nicht erst in weit entfernter, sondern schon in naher Zukunft.
Wir fragen gezielt nach den positiven Aspekten, die eine - nach Jahren ältere, aber in der Substanz ihrer Arbeitskraft »beschäftigungsfähige« - Belegschaft auszeichnet. Die Frage nach der Beschäftigungsfähigkeit stellen wir hierbei an beide Seiten:
• Welche Voraussetzungen schaffen jene Unternehmen, die in der Beschäftigung Älterer eine Chance erkennen?
• Und welchen Eigenbeitrag erbringen Arbeitnehmer, um auch im fortgeschrittenen Erwerbsalter noch integriert und voll leistungsfähig zu sein?
Dafür müssen zunächst die Gründe erfasst werden, die zum bisher vorherrschenden Muster der Personalpolitik führen. Denn Unternehmen, die ältere Arbeitnehmer weder beschäftigen noch einstellen, handeln auf ihre Weise rational. Es geht nicht darum, diese Gründe zu widerlegen, sondern sie zu verstehen und an ihre Stelle andere zu setzen, die der neuen Rationalität der Integration Älterer förderlich sind.

Chancen erkennen - Potenziale Älterer nutzen

Dies geschieht am besten und überzeugendsten durch das gute Beispiel. Das vorliegende Kompendium beschäftigt sich daher in seinem Hauptteil mit dem konkreten Nachweis betrieblicher Fälle, die auf je spezifische Art und Weise aus (möglichen) Problemen Chancen gemacht haben.

2 Wie ist die Situation der Älteren auf dem Arbeitsmarkt?

Die Frühverrentungspolitik - Die schwierige Auflösung einer Norm

Bis in die Gegenwart hinein war die staatliche Arbeitsmarktpolitik ebenso wie die betriebliche Personalpraxis im Segment der älteren Arbeitnehmer vorrangig durch Strategien bestimmt, die als »Externalisierungspolitik« charakterisiert werden können.
Getragen von einer breiten Interessenkoalition aus Arbeitgebern, Gewerkschaften, Betriebsräten und Beschäftigten wurde der vorgezogene Ausstieg aus dem Erwerbsleben durch Vorruhestands- und sogenannte »58er-Regelungen« erleichtert. Sozialverträglicher Übergang in den frühen Ruhestand, Instrument der Personalanpassung für die Unternehmen und Entlastung des Arbeitsmarktes - diese Strategie schien lange Zeit nur Gewinner zu kennen.
Ein erstes Gegensteuern brachten die Rentenreformen von 1992 und 1999 mit der grundsätzlichen Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre, dem Auslaufen vorzeitig wirksamer Rentenarten bis zum Jahr 2012 und der Einführung von Rentenabschlägen bei einem früheren Rentenbezug. Im Hintergrund standen dabei vor allem die sich verschärfenden Probleme bei der Finanzierung des Rentenversicherungssystems. Gleichzeitig wurde aber mit der Einführung der Altersteilzeit eine neue Option für eine frühzeitige Beendigung der Erwerbstätigkeit etabliert.

Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik

Spätestens seit dem Jahrtausendwechsel ist nun aber in der politischen und öffentlichen Diskussion ein Meinungsumschwung grundlegender Art zu erkennen. Einen weiteren Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel vollzogen Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung im Bündnis für Arbeit im November 2000: Statt einer vorzeitigen Ausgliederung aus dem Erwerbsleben sollte die verstärkte Beschäftigung älterer Arbeitnehmer künftig vorrangiges Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein.
Im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie wurde das Lissabon-Ziel einer Ausweitung der Erwerbsbeteiligung Älterer in allen EU-Staaten auf eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent bis 2010 beschlossen.
Abb. 3: Erwerbstätigenquoten der 55- bis 64-Jährigen im EU-Vergleich, in Prozent (2006)
Schweden69,6
Dänemark60,7
Estland58,5
Vereinigtes Königreich57,4
Finnland54,5
Zypern53,6
Lettland53,3
Irland53,1
Portugal50,1
Litauen49,6
Deutschland 48,4
Niederlande47,7
Tschechische Republik45,2
Spanien44,1
EU-25 43,7
Griechenland42,3
Frankreich38,1
Österreich35,5
Ungarn33,6
Luxemburg33,2
Slowakei33,1
Slowenien32,6
Italien32,5
Belgien32,0
Malta30,0
Polen28,1
Quelle: Eurostat-Datenbank; URL: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/
Abb. 4: Arbeitslosenquote der 55- bis 64-Jährigen in OECD-Staaten, in Prozent (2005)
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Quelle: OECD Employment Outlook 2006

Umkehr von der Frühverrentung

Von wissenschaftlicher Seite erfährt dieser Bewusstseinswandel argumentative Unterstützung, indem das Defizit-Modell des Alters widerlegt wird und Konzepte einer alternsgerechten Arbeits- und Personalpolitik aufgezeigt und öffentlichen wie betrieblichen Adressatengruppen gezielt vermittelt werden (vgl. Clemens 2001).
Dazu haben auch zahlreiche öffentlich geförderte Projekte und Initiativen beigetragen, in denen Erkenntnisse zum Thema »demographischer Wandel in der Arbeitswelt« gewonnen, Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet und zahlreiche Betriebe bei der Initiierung und Umsetzung von Maßnahmen für ein produktives Altern unterstützt wurden (vgl. www.demotrans.de; www.inqa.de; www.proage-online.de).

Anstieg der Erwerbsbeteiligung Älterer...

Festzustellen ist bislang einerseits, dass in Deutschland die Erwerbsbeteiligung Älterer in den letzten Jahren bereits deutlich angestiegen ist. Vor allem durch eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit in der Altersgruppe zwischen 55 und 60 Jahren und eine wachsende Erwerbsbeteiligung älterer Frauen stieg sie im Zeitraum von 2000 bis 2006 um zehn Prozentpunkte und liegt nun deutlich über dem Durchschnitt der EU-Staaten.

... aber noch zu hohe Arbeitslosenquote

Ebenso stieg das durchschnittliche Alter, in dem Arbeitnehmer erstmals eine Rente beziehen, zwischen 1996 und 2004 um ein Jahr auf nun rund 63 Jahre an (Knuth u. a. 2006). Allerdings geht noch immer nur jeder Fünfte unmittelbar aus einem Beschäftigungsverhältnis in den Ruhestand.
Gleichzeitig besteht in Deutschland bei den ab 55-Jährigen im Vergleich der europäischen Staaten eine weiterhin viel zu hohe Arbeitslosenquote. Während die Entlassungsrisiken für ältere Beschäftigte nach Brussig (2005) geringer als die der jüngeren einzuschätzen sind, sinken vor allem ihre Rückkehr- und Einstellungschancen mit zunehmendem Alter. Die Rekrutierung Älterer erfolgt demnach nicht ebenso selbstverständlich wie die der Jüngeren.