Ludwig Thoma


Lausbubengeschichten

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-944869-86-5


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Kapitel 12 - Das Baby



In der Ostervakanz sind der Bindinger und die Marie gekommen, weil er jetzt Professor in Regensburg war und nicht mehr hier bei uns.

Sie haben ihr kleines Kind mitgebracht. Das ist jetzt zwei Jahre alt und heißt auch Marie.

Meine Schwester heißt es aber Mimi, und meine Mutter sagt immer Mimili.

Wie es der Bindinger heißt, weiß ich nicht genau. Er sagt oft Mädele, aber meistens, wenn er damit redet, spitzt er sein Maul und sagt: "Duzi, duzi! Du du!"

Es hat einen sehr großen Kopf, und die Nase ist so aufgebogen wie beim Bindinger. Den ganzen Tag hat es den Finger im Mund und schaut einen so dumm an.

Wie sie gekommen sind, ist meine Mutter auf die Bahn, und dann sind sie mit einer Droschke hergefahren.

Meine Mutter und die Marie haben das kleine Mädel an der Hand geführt. Der Bindinger ist hinterdrein gegangen.

Über die Stiege hinauf haben sie schon lebhaft miteinander gesprochen, und meine Mutter sagte immer: "Also da seid ihr jetzt, Kinder! Nein, wie das Mimili gewachsen ist! Das hätte ich nicht für möglich gehalten."

"Ja, gelt, Mama, du findest auch? Alle Leute sagen es. Doktor Steininger, unser Arzt, weißt du, findet es ganz merkwürdig. Nicht wahr, Heini?"

Dann hörte ich dem Bindinger seine tiefe Stimme, wie er sagte: "Ja, es gedeiht sichtlich, Gott sei Dank!"

Endlich sind sie oben gewesen, und ich bin unter der Tür gestanden.

Meine Schwester gab mir einen Kuß, und der Bindinger schüttelte mir die Hand und sagte: "Ach, da ist ja unser Studiosus! Der Cäsar wird dir wohl einige Schwierigkeiten machen? Gallia est omnis divisa in partes tres, haha!"

Ich glaubte, daß er mich schon examinieren wollte, aber meine Mutter rief: "Ja, Ludwig, du hast ja Mimili noch gar nicht begrüßt und siehst doch dein kleines Nichtchen zum erstenmal! Sieh nur her! Wie lieb und hübsch sie ist!"

Ich fand sie gar nicht hübsch; sie war wie alle kleinen Kinder. Aber ich tat so, als wenn sie mir gefällt, und lachte recht freundlich. Das freute meine gute Mutter, und sie sagte zu Marie: "Siehst du? Ich wußte es gleich, daß ihm Mimili gefallen wird. Sie ist auch zu reizend!"

Im Wohnzimmer war ein Frühstück hergerichtet; unsere Kathi mußte Bratwürste holen, und es gab Märzenbier dazu.

Ich freute mich, aber die anderen hatten keine Zeit zum Essen, weil sie immer um das Kind herum waren.

Es mußte seine Hände herzeigen, und wie ihm die Kapuze abgenommen wurde, sah man, daß es blonde Locken hatte, und da schrien sie wieder, als ob es was Besonderes wäre.

Meine Mutter küßte es auf den Kopf, und Marie sagte in einem fort: "Mimi, das ist deine Omama!" Und der Bindinger bückte sich, daß er ganz rot wurde, und sagte: "Du, du! Duzi, duzi!"

Da heulte es auf einmal, und Marie wisperte meiner Mutter ins Ohr, und sie gingen schnell hinaus damit.

Der Bindinger blieb herin, aber er setzte sich nicht zum Essen her, sondern ging auf und ab und machte ein ängstliches Gesicht. Dann rief er zur Tür hinaus: "Marie, es ist doch hoffentlich nichts Ernsteres." "Nein, nein!" sagte Marie, "es ist schon vorbei."

Dann kamen sie wieder herein mit dem Kind, und meine Mutter sagte: "Die lange Bahnfahrt, und dann das Ungewohnte und die Aufregung! Das kommt alles zusammen."

Ich war froh, wie sie einmal saßen und das Kind auf dem Kanapee ließen, denn die Bratwürste waren schon kalt.

Jetzt fingen wir an zu essen und zu trinken und stießen mit den Gläsern auf fröhliche Ostern an.

Meine Mutter sagte, daß sie schon lange nicht mehr so vergnügt gewesen ist, weil wir alle beisammen sind und Marie so gut aussieht, und das herzige Mimili. Und ich hätte auch ein besseres Zeugnis heimgebracht als sonst.

Ich mußte es dem Bindinger bringen, und er las es vor.

"Der Schüler könnte bei seiner mäßigen Begabung durch größeren Fleiß immerhin Besseres leisten."

Dann kamen die Noten. Lateinische Sprache III.

"Hm! Hm!" sagte der Bindinger, "das enspricht meinen Erwartungen. Mathematik II-III, griechische Sprache III-IV."

"Warum bist du hierin so schwach?" fragte er mich.

"Über das Griechische klagt Ludwig oft", sagte meine Mutter, "es muß sehr schwierig sein."

Ich wollte, sie hätte mich nicht verteidigt; denn der Bindinger redete jetzt so viel, daß mir ganz schlecht wurde.

Er strich seinen Bart und tat, als ob er in der Schule wäre.

"Wie kann man eine solche Ansicht äußern!" sagte er. "Das ist sehr betrübend, wenn man diesen verkehrten Meinungen immer und immer wieder begegnet. Gerade die griechische Sprache ist wegen ihres Ebenmaßes und der Klarheit der Form hervorragend leicht. Sie ist spielend leicht zu erlernen!"

"Warum hast du dann III-IV?" fragte mich meine Mutter. "Du mußt jetzt sagen, wo es fehlt, Ludwig."

Ich war froh, daß der Bindinger nicht wartete, was ich sagen werde. Er legte ein Bein über das andere und sah auf die Decke hinauf und redete immer lauter.

"Haha!" sagte er, "die griechische Sprache ist schwierig! Ich wollte noch schweigen, wenn ihr den dorischen Dialekt im Auge hättet, da seine härtere Mundart gewisse Schwierigkeiten bietet. Aber der attische, diese glückliche Ausbildung des altjonischen Dialektes! Das ist unerhört! Diese Behauptung zeugt von einem verbissenen Vorurteil!"

Meine Mutter war ganz unglücklich und sagte immer:

"Aber ich meinte bloß... aber weil Ludwig..."

Marie half ihr auch und sagte: "Heini, du mußt doch denken, daß Mama es nicht böse meint."

Da hörte er auf, und ich dachte, daß er immer noch so dumm ist wie früher.

"Heini ist furchtbar eifrig in seinem Beruf; sonst ist er so gut; aber da wird er gleich heftig," sagte Marie, und meine Mutter war gleich wieder lustig.

"Das muß sein", sagte sie, "in seinem Beruf muß man eifrig sein. Und du weißt jetzt, Ludwig, wie leicht das Griechische ist. Ja, was macht denn das kleine Mimili? Das sitzt so brav da und sagt gar nichts !"

Das Mädel schaute meine Mutter an und lachte. Auf einmal machte es seinen Mund auf und sagte: "Gugudada."

Es strampelte mit den Beinen und streckte seine Hand dabei aus. Es war doch gar nichts, aber alle taten, als wenn ein Wunder gewesen ist.

Meine Mutter war ganz weg und rief immer: "Habt ihr gehört! Das Kind! Gugu-dada!"

"Sie meint, der gute Papa. Gelt, Mimi? Und die liebe Omama!" sagte Marie.

"Nein, wie das Kind gescheit ist!" sagte meine Mutter. "In dem Alter! Das habe ich noch nicht erlebt. Das liebe Herzchen!"

Der Bindinger lachte auch, daß man seine großen Zähne sah. Er bückte sich über den Tisch und stach dem Mädchen mit dem Zeigefinger in den Bauch und sagte: "Wart, du Kleine, duzi, duzi!" Und zu meiner Mutter sagte er: "Sie hat einen lebhaften Geist und beobachtet ihre Umgebung mit sichtlicher Teilnahme. Ich hoffe, daß sie sich in dieser Richtung weiterentwickelt."

Meine Mutter wollte, daß ich es auch sehe, aber ich war so giftig auf den Bindinger und fragte: "Was hat es denn gesagt?"

"Hast du nicht gehört, wie sie ganz deutlich sagte: Gugu-dada?"

"Das ist doch gar nichts", sagte ich.

"Es heißt der gute Papa", sagte Marie und wurde ganz weinerlich. "Du bist recht abscheulich, Ludwig!"

"Wie kannst du das nicht verstehen?" sagte meine Mutter und schaute mich zornig an. "Das versteht jeder Mensch." "Ich kann es gar nicht verstehen", sagte ich.

"Weil du überhaupt nichts weißt, loser Bube!" schrie Bindinger und machte blitzende Augen, wie in der Schule; "wenn du jemals den Aristoteles kennenlernen wirst, so wirst du begreifen, daß die Sprache unseres Kindes die onomato-poetische, die schallnachahmende Wortbildung ist."

Er brüllte so laut, daß der Fratz zu weinen anfing. Marie nahm ihn auf den Arm und ging damit auf und ab. Meine Mutter ging daneben und sagte: "Will das Kindchen lustig sein? Will das Kindchen nicht mehr sprechen, gugu-dada?"

Aber der Bindinger lief hinterdrein und sagte: "Nein, es soll nicht sprechen! Es soll hier nicht mehr sprechen! Dieser Bube hat vor nichts Ehrfurcht."

Ich machte mir aber gar nichts daraus.

 

 

Inhalt



Kapitel 1 - Der vornehme Knabe

Kapitel 2 - In den Ferien

Kapitel 3 - Der Kindlein

Kapitel 4 - Gute Vorsätze

Kapitel 5 - Besserung

Kapitel 6 - Onkel Franz

Kapitel 7 - Der Meineid

Kapitel 8 - Die Verlobung

Kapitel 9 - Gretchen Vollbeck

Kapitel 10 - Die Vermählung

Kapitel 11 - Meine erste Liebe

Kapitel 12 - Das Baby

 

 

Kapitel 1 - Der vornehme Knabe



Zum Scheckbauern ist im Sommer eine Familie gekommen. Die war sehr vornehm, und sie ist aus Preußen gewesen.

Wie ihr Gepäck gekommen ist, war ich auf der Bahn, und der Stationsdiener hat gesagt, es ist lauter Juchtenleder, die müssen viel Gerstl haben.

Und meine Mutter hat gesagt, es sind feine Leute, und du mußt sie immer grüßen, Ludwig.

Er hat einen weißen Bart gehabt, und seine Stiefel haben laut geknarrzt.

Sie hat immer Handschuhe angehabt, und wenn es wo naß war auf dem Boden, hat sie huh! geschrien und hat ihr Kleid aufgehoben.

Wie sie den ersten Tag da waren, sind sie im Dorf herumgegangen. Er hat die Häuser angeschaut und ist stehengeblieben. Da habe ich gehört, wie er gesagt hat: "Ich möchte nur wissen, von was diese Leute leben."

Bei uns sind sie am Abend vorbei, wie wir gerade gegessen haben. Meine Mutter hat gegrüßt und Ännchen auch. Da ist er hergekommen mit seiner Frau und hat gefragt: "Was essen Sie da?"

Wir haben Lunge mit Knödel gegessen, und meine Mutter hat es ihm gesagt.

Da hat er gefragt, ob wir immer Knödel essen, und seine Frau hat uns durch einen Zwicker angeschaut. Es war aber kein rechter Zwicker, sondern er war an einer kleinen Stange, und sie hat ihn auf- und zugemacht.

Meine Mutter sagte zu mir: "Steh auf, Ludwig, und mache den Herrschaften dein Kompliment," und ich habe es gemacht.

Da hat er zu mir gesagt, was ich bin, und ich habe gesagt, ich bin ein Lateinschüler. Und meine Mutter sagte: "Er war in der ersten Klasse und darf aufsteigen. Im Lateinischen hat er die Note zwei gekriegt."

Er hat mich auf den Kopf getätschelt und hat gesagt: "Ein gescheiter Junge; du kannst einmal zu uns kommen und mit meinem Arthur spielen. Er ist so alt wie du."

Dann hat er meine Mutter gefragt, wieviel sie Geld kriegt im Monat, und sie ist ganz rot geworden und hat gesagt, daß sie hundertzehn Mark kriegt.

Er hat zu seiner Frau hinübergeschaut und hat gesagt: "Emilie, noch nicht fünfunddreißig Taler."

Und sie hat wieder ihren Zwicker vor die Augen gehalten.

Dann sind sie gegangen, und er hat gesagt, daß man es noch gehört hat: "Ich möchte bloß wissen, von was diese Leute leben."

Am andern Tag habe ich den Arthur gesehen. Er war aber nicht so groß wie ich und hat lange Haare gehabt bis auf die Schultern und ganz dünne Füße. Das habe ich gesehen, weil er eine Pumphose anhatte. Es war noch ein Mann dabei mit einer Brille auf der Nase. Das war sein Instruktor, und sie sind beim Rafenauer gestanden, wo die Leut Heu gerecht haben.

Der Arthur hat hingedeutet und hat gefragt: "Was tun die da machen?"

Und der Instruktor hat gesagt: "Sie fassen das Heu auf. Wenn es genügend gedörrt ist, werden die Tiere damit gefüttert."

Der Scheck Lorenz war bei mir, und wir haben uns versteckt, weil wir so gelacht haben.

Beim Essen hat meine Mutter gesagt: "Der Herr ist wieder da gewesen und hat gesagt, du sollst nachmittag seinen Sohn besuchen."

Ich sagte, daß ich lieber mit dem Lenz zum Fischen gehe, aber Anna hat mich gleich angefahren, daß ich nur mit Bauernlümmeln herumlaufen will, und meine Mutter sagte: "Es ist gut für dich, wenn du mit feinen Leuten zusammen bist. Du kannst Manieren lernen."