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INHALT

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ÜBER DIE AUTORIN

Annemarie Schwarzenbach wurde am 23. Mai 1908 als Kind einer Zürcher Industriellenfamilie geboren. Nach dem Studium in Zürich und in Paris, das sie mit einer Promotion im Fach Geschichte abschloss, veröffentlichte sie mit 23 Jahren ihren ersten Roman, Freunde um Bernhard. Von 1933 an unternahm die rastlose Schriftstellerin und Journalistin, die eine enge Freundschaft mit Klaus und Erika Mann verband, zahlreiche Reisen in ferne Länder. Sie starb 1942, geschwächt durch lange Jahre der Drogensucht, an den Folgen eines Fahrradunfalls.

ÜBER DAS BUCH

Weihnachten 1929: Im Fahrstuhl eines Grandhotels in den Schweizer Alpen trifft die junge Erzählerin auf eine geheimnisvolle Frau im weißen Mantel. Ihre Blicke begegnen sich, Sekunden nur, es fällt kein Wort, und doch: Dieser Moment verändert alles, weckt Hoffnungen und Begehren. Inmitten des mondänen Treibens am Winterkurort »M.« wartet die junge Frau auf nur ein Wort, eine Geste der Anderen – um zu guter Letzt alle Warnungen in den Wind zu schlagen und allein ihrem Gefühl zu folgen.

Eine Frau zu sehen ist ein Text voller Erotik und Leidenschaft. Annemarie Schwarzenbach, die viel umworbene Millionärstochter in Männerkleidern, schrieb ihn mit nur 21 Jahren. Er wurde erst kürzlich im Schweizerischen Literaturarchiv gefunden.

»Ein atemloses, anmutiges Prosafragment über eine Liebe aus der Ferne zwischen zwei Frauen.«

Der Spiegel

Eine Frau zu sehen: nur eine Sekunde lang, nur im kurzen Raum eines Blickes, um sie dann wieder zu verlieren, irgendwo im Dunkel eines Ganges, hinter einer Türe, die ich nicht öffnen darf –

aber eine Frau zu sehen, und im selben Augenblick zu fühlen, dass auch sie mich gesehen hat, dass ihre Augen fragend an mir hängen, als müssten wir uns begegnen auf der Schwelle des Fremden, dieser dunkeln und schwermütigen Grenze des Bewusstseins …

ja, in dieser Sekunde zu fühlen, wie auch sie stockt, beinahe schmerzhaft unterbrochen im Gang der Gedanken, als zögen sich ihre Nerven zusammen, von meinen berührt. Und war ich nicht müde, verwirrten sich nicht in mir Bilder des Tages, noch sah ich Schneefelder, darauf die länglichen Schatten des Abends, sah Gedränge der Bar, Mädchen gingen vorüber, wurden von ihren Tänzern wie Puppen getragen, leichtsinnig lachten sie rückwärts über ihre schmalen Schultern, neben ihrem Lachen setzte dröhnend der Jazz ein, und man flüchtete sich davor in eine kleine Ecke, da winkte Li, ihr kleines Gesicht zuckte weiß unter hohen, rasierten Brauen. Sie schob mir ihr Glas hin, eigensinnig zwang sie mich, es auszutrinken, und sie legte die schmalen Hände um den Nacken des Norwegers, tanzend schwebte sie vorüber, und er hing mit den Augen an ihren Lippen.

Dann kam die kühle Winternacht uns entgegen, Lange ging neben mir und sprach in unbeholfenem Deutsch. »Es ist schade um Sie«, sagte er, »Sie wissen nicht, wie gefährlich die mongolischen Mädchen sind«, das war Li, und ich nickte, obwohl Li nicht gefährlich ist, ein zuckendes Porzellangesichtchen unter schmal rasierten Brauen, weiße Hände, auch sie unaufhörlich zuckend auf den Schultern der Männer, die sie durch das Gewühl der Tanzenden trugen – Li lächelt ja, ein ängstliches Kinderlächeln kann um ihren Mund sein, und ich weiß, dass die Männer seine Süßigkeit lieben, aber was ist das: neben dem Lächeln der Kleinen, der Blonden und Unschuldigen, die ohne Absicht sind und uns draußen in der Sonne begegnen, die uns ansehen und die man lieb hat, auch wenn man müde ist und schlecht geworden vom leise beginnenden Ekel aus Lachen und Fröhlichkeit, aus dem Zuviel von Rauch und Lärm.

Wie wohltuend streift die kühle Nachtluft mein Gesicht, Schnee klebt noch an meinen Schuhen. Schon ist neues Licht da, jemand nimmt mir die Skistöcke ab, ich gebe Lange die Hand, der eilig die Treppen hinaufgeht. Nun läute ich, der Liftboy schließt die Türe hinter mir, ich stehe mit gesenktem Kopf, während der Lift in der Halle hält: Einen Augenblick dringt Wärme und Geräusch hinein, ich hebe die Augen, eine Frau steht mir gegenüber, sie trägt einen weißen Mantel, ihr Gesicht ist braun unter dunkelm, männlich herb aus dem Gesicht gekämmtem Haar, ich erstaune vor der schönen und leuchtenden Kraft ihres Blickes, und nun begegnen wir uns, eine Sekunde lang, und ich fühle unwiderstehlich den Drang, mich ihr zu nähern, herber, schmerzlicher noch, dem ungeheuren Unbekannten zu folgen, das sich wie Sehnsucht und Aufforderung in mir regt –

Ich senke die Augen und trete einen Schritt zurück. Der Lift hält. Der Boy öffnet die Türe, mit einer kaum wahrnehmbaren Neigung des Kopfes geht die fremde Frau an mir vorüber –

24. Dez 1929

Es ist spät geworden, und ich bin müde. Zuerst waren noch Andere mit mir, wir tranken Kaffee, spät erst aßen wir zu Abend, die meisten Tische im Restaurant waren leer. Neben uns saß der alte Herr, der mich gestern zu einer Schlittenfahrt eingeladen hatte und der mich abends an Frau Bernsteins Tisch führte, damit ich sie kennen lerne. Er lächelte mir zu, hob sein Glas und neigte sich grüßend gegen mich. Ich fühlte, dass nur die Anwesenheit Anderer ihn davon abhielt, zu sagen »Zum Wohl Ena Bernsteins«, und ich nickte ihm lächelnd zu, in mir aber brach eine Welle von Blut heftig auf und drang beklemmend an mein Herz. Schweigend aß ich weiter und warf nur hie und da einen Blick auf die große Türe des Restaurants, obwohl ich wusste, dass sie nicht mehr kommen würde, hatte sie mir doch selbst gesagt, dass sie abends in ihrem Zimmer esse oder bei ihrer Freundin.

Endlich standen wir auf, der Kellner begleitete uns bis an die TüüßäÜ  die kraft ihres Hteramtes doch eine gewisse Gewalt ber mich besß  von der Harmlosigkeit eines solchen Unternehmens zu berzeugen und demgemßäüÜüäÄ