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Herausgegeben von Max Otte

  ADAM FERGUSSON  

DAS ENDE
DES GELDES

Hyperinflation und ihre Folgen
für die Menschen am Beispiel
der Weimarer Republik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

4. Auflage 2021

 

 

 

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Über den Autor

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Adam Fergusson wurde 1932 in Schottland geboren. Er schloss im Fach Geschichte an der Universität von Cambridge ab und arbeitete später als Journalist bei den Zeitungen Glasgow Herald, Statist und The Times. Er war Mitglied des Europäischen Parlaments, Sonderberater des britischen Außenministeriums und Berater für europäische Angelegenheiten für den internationalen Handel und die Industrie. Fergusson hat fünf Bücher geschrieben, darunter drei Romane, zahlreiche Artikel und Streitschriften, drei Musical-Komödien sowie zahlreiche leichte Verse. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature und lebt in London.

Über den Autor

Inhaltsverzeichnis

Das Ende des Geldes, 1921 bis 23 und heute von Max Otte

Vorwort

Anmerkung zur Ausgabe von 2011

1 Gold für Eisen

2 Freudlose Gassen

3 Die Rechnung wird präsentiert

4 Das Delirium der Milliarden

5 Das Abgleiten in die Hyperinflation

6 Sommer 1922

7 Das Habsburger Erbe

8 Die Herbstjagd nach Papiergeld

9 Der Ruhrkampf

10 Sommer 1923

11 Rudolf Havenstein

12 Am Boden des Abgrunds

13 Hjalmar Schacht

14 Massenarbeitslosigkeit

15 Die Wunden liegen offen

Nachwort

Bibliografie

Über den Herausgeber

Das Ende des Geldes,
1921 bis 23 und heute
von Max Otte

Mehr als sechs Jahrzehnte garantierte die Deutsche Bundesbank als unabhängige und hoch geschätzte Institution, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland der Schrecken der Hyperinflation der Jahre 1921 bis 1923 nicht wiederholen würde. Nie wieder wollten die Deutschen es in Kauf nehmen, dass durch die mutwillige Zerstörung des Geldes eine ganze Gesellschaft in den Abgrund gerissen wird. Aus gutem Grunde hatte die Bundesbank daher nur eine einzige Aufgabe: die Stabilität der Währung zu sichern.

Aus und vorbei. Seit die Bundesbank am 9. Mai 2010 gegen den Willen Axel Webers gezwungen wurde, dem Kauf von Anleihen durch die EZB zuzustimmen, um die Südländer zu stützen, ist sie nicht mehr unabhängig. Die Bundesregierung hat diesen Verstoß gegen geltendes EU-Recht ohne nennenswerten Widerstand hingenommen und Axel Weber fallen gelassen. Jetzt ist es wieder möglich, durch politischen Entscheid Geld zu schaffen – eine Technik, die in den USA und England unter dem Namen »Quantitative Easing« schon seit Ausbruch der Finanzkrise praktiziert wird. Ist der Selbstbedienungsladen der Notenbank aber einmal für die Politik eröffnet, führt der Weg mit großer Wahrscheinlichkeit in den Abgrund.1

In »Das Ende des Geldes« liefert der konservative englische Politiker und Intellektuelle Adam Fergusson eine plastische Schilderung der Hyperinflation und ihrer Folgen in Deutschland und Österreich in der Zeit von 1919 bis 1923. Dabei stützt er sich auch auf umfangreiche Quellen des englischen konsularischen Dienstes. Wenn man heute diesen Bericht über die ersten Jahre der Weimarer Republik liest, kann man sich nur wundern, dass Deutschland und Österreich in diesen Jahren nicht zusammengebrochen sind. Man kann nur über die Leidensfähigkeit, Kraft und Disziplin der deutschen und österreichischen Bevölkerung staunen. Angesichts eines verlorenen Krieges und einer Politik der Siegermächte, die darauf abzielte, Deutschland ökonomisch zu zerstören und zu degradieren, ging das Leben dennoch weiter.

Aber die Unsicherheiten, die mit dem Verfall der Währungen im Deutschen Reich und Österreich einhergingen, bewirkten eine tief greifende Verunsicherung der Menschen, beeinträchtigten die Moral, trieben große Bereiche der Mittelschicht in die Armut und schürten massive politische Konflikte. Nicht zuletzt lässt sich vor diesem Hintergrund die Radikalisierung eines Großteils der staatstreuen deutschen Mittelschicht verstehen, die Deutschland vom Ausland verraten und sich selbst durch den Staat nicht hinreichend geschützt sah. Hiervon handelt Fergussons Buch. Zu sehr sind die Jahre von 1919 bis 1923 schon in Vergessenheit geraten. Im Geschichtsunterricht wird die Zeit der Weimarer Republik fast nicht mehr gelehrt. Dabei kann gerade das Studium dieser Jahre wichtige Perspektiven für die aktuelle Situation liefern.

Um die im Buch geschilderten Vorgänge zu verstehen, ist die Kenntnis der größeren politischen Hintergründe von wesentlicher Bedeutung:

Am 8. Januar 1918 hatte der US-Präsident Woodrow Wilson in einer Rede vor dem US-Kongress sein 14-Punkte-Programm vorgestellt, dass die Basis für eine Nachkriegsordnung sein sollte. Das Programm beinhaltete unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sowie die »möglichste Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken und Herstellung einer Gleichheit der Handelsbedingungen für alle Nationen, die dem Frieden beitreten und sich zu seiner Aufrechterhaltung verbinden.«2

Am 11. November 1918 schlossen die Kriegsparteien einen auf 36 Tage befristeten Waffenstillstand, in den von deutscher Seite auch im Vertrauen auf Woodrow Wilsons 14 Punkte eingewilligt wurde. England wollte in den Verhandlungen aber eine nachhaltige Schwächung Deutschlands erreichten, um die Balance der Mächte auf dem Kontinent, die durch Deutschlands hoch effizientes Wirtschaftssystem, sein Bevölkerungswachstum und seine Innovationskraft aus dem Gleichgewicht geraten war, wiederherzustellen. Frankreich wollte Deutschland nach Möglichkeit komplett als Machtfaktor ausschalten.

Der junge John Maynard Keynes nahm für die englische Delegation als Ökonom des Schatzamtes an den Verhandlungen teil. Er war zunehmend entsetzt über den Verlauf der Verhandlungen, die seines Erachtens geradezu in Deutschlands Unglück führen würden. Konsequenterweise trat der junge Ökonom und Beamte aus Protest aus der Delegation aus. (Welcher aufstrebende Staatsbeamte würde sich heute noch so verhalten?) In seinem brillanten Buch über die ökonomischen Folgen des Friedensvertrages beschreibt er eindrücklich, wie sich letztlich nur noch ein Ziel durchsetzte: die maximale Schwächung und Demütigung Deutschlands. Keynes warnte sehr deutlich: »Wer weiß, wie viel ertragen werden kann und in welcher Richtung die Menschen schließlich Erlösung von ihrem Unglück suchen werden?«3

Anders als in den vorangegangenen Jahrhunderten üblich, wurde die deutsche Delegation nicht zu den Verhandlungen zugelassen. Das Ergebnis waren überaus harte Bedingungen. Am 7. Mai 1919 wurden die Bedingungen diktiert. Während der ganzen Zeit erhielt England seine Seeblockade gegen Deutschland aufrecht. Es konnten nur kleinste Nachbesserungen erzielt werden; die Siegermächte drohten mit dem Einmarsch in Deutschland.

Artikel 231 des Vertrags bestimmt: »Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.« Hierzu heißt es bei Wikipedia: »Der Vertrag wies allein dem kaiserlichen Deutschen Reich und seinen Verbündeten die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg zu. Er bedeutete eine anfängliche Isolation des Deutschen Reiches, das sich als Sündenbock für die Verfehlungen der anderen europäischen Staaten vor dem Weltkrieg sah. (…) Historiker beurteilen die Ursachen des Ersten Weltkriegs heute differenzierter, als es in dem Vertrag ausgedrückt wird. Der Artikel 231 sollte jedoch nicht die historischen Ereignisse analysieren, sondern die für das Deutsche Reich nachteiligen Friedensbedingungen juristisch und moralisch legitimieren.«4

Deutschland verlor seine Flotte, seine Kolonien, 13 Prozent seines Gebiets und 10 Prozent seiner Bevölkerung, zum Teil im direkten Widerspruch gegen das von Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Elsass-Lothringen fiel an Frankreich zurück, das seinerseits das Rheinland besetzte. Die wichtigen Industriegebiete Elsass-Lothringen, Saarland und Oberschlesien wurden abgetrennt. Österreich wurde es verboten, sich Deutschland anzuschließen.

Der Reparationszahlungen wurden zunächst überhaupt nicht beziffert und konnten von den Siegermächten nach Belieben festgesetzt werden. Für eine Nation, die im eigenen Bild gemäß der »Ideen von 1914« angetreten war, die »deutsche Kultur« gegen die »seelenlose westliche Zivilisation« zu verteidigen, war die Erschütterung unvorstellbar. »Der Krieg allein war für die deutsche Wirtschaft schon verheerend genug gewesen; das Waffenstillstandsabkommen zunächst und dann die Friedensbedingungen erschütterten sie in ihren Grundfesten.«5 »Die Plünderungen seitens der Alliierten, vor allem Frankreichs, waren zweifellos der Grund für die Volksaufstände. Hitlers rasanter Aufstieg zu Macht und Einfluss in München gründete im Wesentlichen auf seinen Angriffen auf die vermeintlichen Volksverräter, die das Land in den Augen der deutschen Bevölkerung im Jahr 1918 verraten und verkauft hatten.«6

Deutschland wurde im Februar 1920 eine Liste von »Kriegsverbrechern« übergeben, die ausgeliefert werden sollten. Auf der Liste befanden sich unter anderem Kaiser Wilhelm II., Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Dieses Ansinnen stellte für Deutschland eine Demütigung dar, denn in den vorausgegangenen Jahrhunderten waren zwar Friedensbedingungen oftmals hart, aber die Souveränität von Regierungen war seit dem Westfälischen Frieden von 1648 ein Grundstein der internationalen Rechtsordnung.

In einer Volksabstimmung vom März 1920 stimmte 60 Prozent der Bevölkerung Oberschlesiens für einen Verbleib beim Deutschen Reich, dennoch änderten die Sieger nachträglich die Bezirke und schlugen im Oktober 1921 etliche Landkreise im Osten Polen zu, was für viele Deutsche angesichts des von Woodrow Wilson proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker wie ein Verrat erscheinen musste.

Erst im April 1921 – also zweieinhalb Jahre nach dem Waffenstillstand vom November 1918 und zwei Jahre nach dem Friedensvertrag legte die Reparationskommission die Wiedergutmachung fest: 132 Milliarden Goldmark. Pro Jahr sollte Deutschland zwei Milliarden Goldmark und zusätzlich eine Summe in Höhe von 26 (!) Prozent seiner Exporte bezahlen.

Am 8. März 1921 besetzten französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf in der entmilitarisierten Zone. Aufgrund der bereits angelaufenen Hyperinflation verzichteten die Alliierten 1922 auf Reparationszahlungen in Form von Geld und forderten Sachleistungen ein. Als diese nach Meinung der Siegermächte nicht in ausreichender Form geliefert wurden, besetzten französische und belgische Truppen zwischen dem 11. und 16. Januar das gesamte Ruhrgebiet, um die Kohle-, Koksund Stahlproduktion unter die Kontrolle der Siegermächte zu bringen.

Die Reichsregierung rief zu passivem Widerstand auf, der erfolgte. Teilweise fanden auch Sabotageakte und Sprengstoffanschläge statt. In dieser Zeit übernahm die Reichsregierung in Berlin auch die Löhne von mehr als 2 Millionen Industriearbeitern, die sich oftmals unter erheblichen Risiken der Arbeit verweigerten. Zu diesem Zwecke wurde immer weiteres Geld gedruckt. Das Jahr 1923 war dann auch das Jahr der absoluten Hyperinflation. Während ein Dollar vor dem Krieg 4,20 Reichsmark kostete, waren es im Januar 1920 immerhin 42,00 Mark, im Oktober 1921 dann 420 Mark, im Oktober 1922 4430 Mark, am 31. Januar 1923 schon 49.000 Mark und zum Tiefpunkt des Geldwertes am 15. November 1923 4,2 Billionen Mark.7

Der Schaden des Ruhrkampfes wird auf 4 bis 5 Milliarden Goldmark geschätzt. Der neue Reichskanzler Gustav Stresemann verkündete am 26. September 1923 das Ende des Ruhrkampfs. Aber der passive Widerstand Deutschlands gegen die erdrückenden Bedingungen der Besatzungsmächte hatte letztlich sein Ziel erreicht: Auf Druck der USA und Großbritanniens verhandelte Frankreich mit Vertretern der Industrie im Ruhrgebiet in den sogenannten MICUM-Abkommen (Mission interalliée de Contrôle des Usines et des Mines) die Reparationszahlungen neu. Mit dem im Sommer 1924 verabschiedeten Dawes-Plan wurden die Reparationszahlungen insgesamt auf ein tragbares Maß gesenkt, sollten aber bis 1988 fortdauern. Die Besetzung der Ruhr endete erst ein Jahr später. Es folgte jene kurze Blüte der Weimarer Republik, die wir auch als »Goldene 20er« kennen.

Auch die großzügigen Kredite, welche die USA den Alliierten gewährt hatten, stellten eine wesentliche Behinderung der Erholung der Weltwirtschaft dar. Die USA liehen Großbritannien, Frankreich und anderen Verbündeten insgesamt 11,9 Milliarden Dollar, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern 11,1 Milliarden. Während Großbritannien bei der Reduzierung der Schulden gegenüber seinen Schuldnern durchaus zu Kompromissen bereit war, stellten sich die USA auf den Standpunkt, dass die Schulden zu bedienen seien. Damit war auch von dieser Seite kein Weg aus der Schuldenfalle möglich.8

Allerdings war auch die deutsche Kriegsfinanzierungspolitik ab 1914 eine wesentliche Ursache der Hyperinflation. Anders als England, das seinen Krieg auch durch Steuererhöhungen finanzierte, nutzte Deutschland im Vertrauen auf einen Sieg fast ausschließlich das Mittel des Kredits. Der Staat nahm Kredite bei der Notenbank auf. Eine Kriegsanleihe nach der anderen wurde bei der deutschen Bevölkerung platziert.

Nach dem Krieg sahen sich wesentliche Teile der Mittelschicht ihres Sparvermögens beraubt. Gleichzeitig entwertet die Inflation die Bezüge von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes und Pensionären. In Österreich konnte man »pensionierte Generäle beim Steineklopfen« beobachten, wie Fergusson an einer Stelle plastisch beschreibt. Durch die Inflation geriete die Mittelschicht schon damals in etwas, das wir heute als »schleichende Progression« kennen – durch die nominale Anhebung der Löhne rutschen Beschäftige in eine höhere Steuerklasse, ohne real mehr verdient zu haben. Die organisierte Arbeiterschaft konnte eine Zeit lang besser Lohnerhöhungen durchsetzen als die Mittelschicht, aber mit Einsetzen der Hyperinflation war auch hier das Elend groß.

Besser, wenn nicht gut, erging es den Besitzern von Sach- und Produktivvermögen. Die Bauern standen sich gut, obwohl viele auch dazu übergingen, kein Papier, sondern nur noch Tauschobjekte anzunehmen. Die Industrie hingegen konnte ihre Kriegsgewinne weitgehend sichern und verdiente oftmals ordentlich. Unternehmen exportierten zu Schleuderpreisen an ihre Auslands töchter und ließen die Gewinne dort beim Weiterverkauf anfallen. Industrielle und Spekulanten, von denen Hugo Stinnes sicher der Bekannteste war, kauften sich auf Kredite – die kurze Zeit später wertlos wurden – ganze Imperien zusammen. Angesichts dieser Umstände ist die Wut und Radikalisierung der deutschen Mittelschicht in den Jahren von 1919 bis 1923 zu verstehen, die sich unter anderem im Kapp-Putsch von 1920 und im Hitler-Putsch von 1923 manifestierte.

Nach der durch den genialen Hjalmar Schacht mit konzipierten Währungsreform vom 15. November 1923 begann die kurze Blütezeit der Weimarer Republik. Leider wurde sie durch die Börsenspekulation und den Börsen-Crash in den USA abrupt beendet. Während bis 1929 massive private Kredite aus den USA nach Deutschland und in andere Länder flossen und in den USA eine Spekulationswelle an den Aktienmärkten losgetreten wurde, änderte sich das schlagartig nach 1929. Nun flossen die Zahlungsströme in die USA zurück, sie wurden »repatriiert«. Deutschland stand wirtschaftlich vor dem Abgrund. Die Radikalisierung der Politik setzte erneut ein. Bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 wurde die NSDAP zweitstärkste Partei.

Mit Fergussons Buch tauchen wir tief in die ökonomischen Umstände dieser ersten Nachkriegsjahre ein. Fergusson schreibt:

»Die Gefahr (…) liegt in den Auswirkungen, die eine Inflation – unabhängig von ihren Ursachen – auf eine Nation, ihre Regierung, ihre Bevölkerung, ihre Autoritäten und die Gesellschaft hat. (…) Wenn das, was die besiegten Mittelmächte zu Beginn der 1920er-Jahre erlebten, irgendeine Erkenntnis für die Gegenwart und Zukunft bietet, dann diese: Der Zusammenbruch des anerkannten, traditionellen, vertrauensgeprägten Zahlungsmittels, der eigenen Währung also, die als Wertmaßstab aller Dinge dient, die den sozialen Status garantiert, von der die Gesellschaft abhängt und in der die Früchte der Arbeit bewahrt werden, löste eine enorme Gier, ein derart großes Unglück und einen solchen Hass aus – ein Gefühl, das zum großen Teil Ergebnis nackter Angst war –, wie sie keine Gesellschaft unbeschadet überstehen kann.«9

Geld ist nur ein – wenn auch ein sehr wichtiger – Bestandteil des Sozialvertrags. Heute zerstören wir leider eine Institution des erfolgreichen deutschen Wirtschaftsmodells – der sozialen Marktwirtschaft – nach der anderen. Die Grundfairness der Wirtschaftsordnung, – bei gleichzeitig weitgehender Freiheit des Einzelnen, – ist zunehmend gefährdet. Die Menschen in unserem Land können sich nicht mehr sicher sein, was ihre Renten, Sparanlagen und Riester-Sparpläne in einigen Jahren wert sind.

Bereits im Vorgriff auf die Einführung des Euro wurde § 3 des Bundesbankgesetzes allerdings am 22. Oktober 1992 dahingehend abgeschwächt, dass die Bundesbank nun »an der Erfüllung der Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken mitwirkt, mit dem vorrangigen Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten«.10 Mit dem Rücktritt Axel Webers und der Berufung des Merkel-Ziehkindes Jens Weidemann zum Bundesbankpräsidenten ist es damit vorbei. Die Währung der Deutschen ist wieder zum Spielball politischer Interessen, und zwar vor allem ausländischer politischer Interessen, geworden.

Durch die Aushöhlung der staatlichen Altersvorsorge wurden die Anleger zum Freiwild von Finanzvertrieben. Die Medizin mutiert immer mehr zur Zweiklassenmedizin. Das deutsche Handwerk wird mit bürokratischen Regelungen, die auf Großunternehmen zugeschnitten sind, in Bedrängnis gebracht. Der Staat ist zur Beute starker Interessengruppen geworden; wir mutieren zu neofeudalen Gesellschaften.11

Die Lobby der kapitalmarktorientierten Banken und der internationalen Finanzinteressen ist zum Beispiel bereits dabei, mit den Beschlüssen von Basel III auch das System der Volksund Raiffeisenbanken und Sparkassen, das mehr als 130 Jahre lang eine effiziente Versorgung des deutschen Mittelstandes mit Krediten gewährleistet hat, massiv in Bedrängnis zu bringen.12 Stattdessen fallen kreditfinanzierte Heuschrecken über funktionierende Unternehmen her, denen sie große Risiken zum schnellen Gewinn einiger Weniger aufbürden und die sie oftmals in den Ruin treiben. Ich kenne einen Automobilzulieferer, der von einem Private-Equity-Fonds übernommen wurde, sich vor Aufträgen nicht retten kann, und dennoch aufgrund der Schuldenlast Insolvenz anmelden musste. Das ist kein Einzelfall.

Es sieht so aus, als ob sich Europa nicht an den vorbildlichen Standards – neudeutsch »best practices« – orientiert, sondern an den Schuldenstaaten und am hemmungslosen Finanz- und Beutekapitalismus des angelsächsischen Modells. Wenn ich von einem Generalangriff auf das Deutsche Modell spreche, ernte ich oft Zustimmung bei den Vorständen von Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen. Diese erleben es unmittelbar und können mit ökonomischem Sachverstand beurteilen, was geschieht.

»Wer die Kapitalisten vernichten will, der muss ihre Währung zerstören«, hatte bereits Wladimir Iljitsch Lenin treffend gesagt. »Wer Deutschland zerstören will, der muss die Bundesbank zerstören«, könnte man hinzufügen. Nie hätte ich vor 25 Jahren, als ich begann, an der Universität zu Köln Volkswirtschaftslehre zu studieren, gedacht, dass es einmal so weit kommen könnte.

Die Diagnose ist erschreckend. Dennoch wäre es falsch, auf den sicheren Zerfall der Gesellschaft zu warten, sich Konserven in den Keller zu legen und zu lernen, sich von Wildpflanzen zu ernähren, zumindest als Hauptstrategie. Viele Menschen tun das mittlerweile, weil sie den Glauben an unser System verloren haben.13 Natürlich kann Krisenvorsorge nicht schaden. Aber auch in Zeiten großer Not funktionieren die meisten Gesellschaften noch irgendwie.

Wichtiger ist es, zu erkennen, wie das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland seit vielen Jahren ausgehöhlt wird. Noch wird Politik von Menschen gemacht. Wenn wir Wähler erkennen, wie derzeit systematisch die Basis der bürgerlichen und freiheitlichen Gesellschaft durch angeblich bürgerliche Parteien zerstört wird, ist es nicht zu spät, auf einen Politikwechsel zu hoffen und hinzuarbeiten. Die Berliner Republik ist nicht Weimar. Aber am Beispiel der Geschichte der Hyperinflation und der Weimarer Republik können wir studieren, welche Gefahren es abzuwehren gilt.

Endnoten

1   http://wirtschaft.t-online.de/ezb-stuetzt-krisenbanken-durch-die-hintertuer/id_44586864/index

2   http://de.wikipedia.org/wiki/14-Punkte-Programm

3   John Maynard Keynes: The Economic Consequences of the Peace. Dt.: Krieg und Frieden: Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles. Berenberg. Bonn, 2. Auflage 2009. Kapitel 4: Europa nach dem Vertrag. Online unter: http://www.gutenberg.org/files/15776/15776-h/15776-h.htm

4   http://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_von_Versailles

5   Fergusson, S. 46f.

6   Fergusson, S. 65f.

7   http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Inflation_1914_bis_1923

8   Charles Kindleberger: »Die Weltwirtschaftskrise, 1929–1939«, München 2010, S. 51ff.

9   Fergusson, S. 33

10  www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bbankg/gesamt.pdf

11  Hans Herbert von Arnim: Der Staat als Beute. Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen. München 1998. Sascha Adamek / Kim Otto: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter sich in Ministerien ihre Gesetze selber schreiben. Köln 2009.

12  Max Otte: Finanzplatz Deutschland vs. Deutsches Bankensystem – Zwei politökonomische Perspektiven für die Zukunft. In Frank Keuper/Dieter Puchta (Hrsg.): Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall. Wiesbaden 2009, S. 197–205. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/krisen-oekonom-otte-zerpflueckt-basel-iii-beschluss/3537924.html

13  Heike Faller: Endzeitstimmung: Rette sich, wer kann. DIE ZEIT, 23.02.2011, online unter: http://www.zeit.de/2011/09/Aussteiger-Endzeitstimmung

Vorwort

Wenn die Währung eines Landes keine Quelle der Sicherheit mehr darstellt und Inflation für eine ganze Bevölkerung zum Sorgenthema geworden ist, ist es zur Orientierung hilfreich, die Geschichte anderer Staaten zu betrachten, die diese tragischste und verstörendste aller menschlichen Erfahrungen bereits durchlitten haben. Wenn man jedoch die ganze Bandbreite an Literatur unterschiedlichster Richtungen – wirtschaftlich, militärisch, sozial, politisch und biografisch – untersucht, die sich mit dem Schicksal der besiegten Mittelmächte nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, entdeckt man einen wichtigen Mangel. Entweder ignorieren die ökonomischen Analysen von damals den menschlichen Faktor (aus Gründen, die den Ökonomen, die gelegentlich zur Annahme neigen, Inflationen seien bewusste Akte der Fiskalpolitik, bestens bekannt sind) – ganz zu schweigen von den militärischen und politischen Faktoren im Falle der Weimarer Republik und des postrevolutionären Österreichs. Oder die historischen Berichte übersehen und unterschätzen bei allen beeindruckenden Erkenntnissen und aller Gelehrsamkeit die Rolle der Inflation als größte Antriebskraft für die Erschütterungen, von denen sie erzählen. Berichte und Tagebücher aus erster Hand sind zwar von unschätzbarem Wert für die Bewertung der Inflation aus der menschlichen Perspektive. Aber sie haben die Tendenz, die Ereignisse entweder aus einem zu eingeengten Blickwinkel zu schildern – ein Gefecht kann völlig anders aussehen, je nachdem, aus welchem Granattrichter man es betrachtet. Oder sie schildern die finanziellen Kapriolen des Jahres 1923 auf so allgemeine Weise, dass die vielen katastrophalen Jahre, deren Höhepunkt und Vorbote das Jahr 1923 war, nicht angemessen zur Geltung kommen.

Den Todeskampf der Inflation, egal wie lange er dauert, kann man gewissermaßen mit akuten Schmerzen vergleichen. Die Schmerzen absorbieren den Menschen völlig und bestimmen sein gesamtes Denken und Handeln, solange sie anhalten. Aber sie sind vergessen, sobald sie enden – egal welche seelischen oder körperlichen Narben zurückbleiben. Das mag zum Teil das merkwürdige Phänomen erklären, dass zwischen der Episode der Weimarer Inflation und zahlreichen modernen Begebenheiten keinerlei Verbindung hergestellt wird, und umgekehrt. Dabei möchte man meinen, angesichts der Hartnäckigkeit, Langlebigkeit und Schrecken jener Inflation sowie ihrer fürchterlichen Konsequenzen, dass keine Untersuchung ohne ständige Bezugnahme auf diese eine prägende Lebensbedingung jener Zeit vollständig ist.

Umgekehrt gilt aber auch: Wie lässt sich die deutsche Inflation angemessen beschreiben, ohne auch die umstürzlerischen, politischen Aktivitäten der Nationalisten und Kommunisten, den Aufruhr in der Armee, die Auseinandersetzungen mit Frankreich oder das Problem der Kriegsreparationszahlungen sowie die gleichzeitig verlaufende Hyperinflation in Österreich und Ungarn zu erwähnen? Wie lässt sich die politische Bedeutung der Inflation ermessen? Wie lassen sich die Umstände beurteilen, unter denen eine Inflation in einer demokratischen Industrienation entsteht und außer Kontrolle gerät, wenn man ihren Verlauf nicht parallel zu den politischen Ereignissen jener Zeit verfolgt? Das Deutschland von 1923 war das Deutschland Ludendorffs, aber auch das Deutschland von Stinnes, Havenstein und Hitler. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Welten – der Armee, der Industrie, der Finanzen und der Politik – können diese vier bizarren Gestalten, die die deutsche Bühne beherrschten, gleichermaßen als Schurken bezeichnet werden. Ludendorff, der seelen- und humorlose, ehemalige erste Generalquartiermeister, Verehrer der germanischen Götter Odin und Thor, Sammelpunkt und Marionette der reaktionären Kräfte; Stinnes, der plutokratische Profiteur, der ausschließlich dem Mammon huldigte; Havenstein, der wahnwitzige Bankier und spätere Reichsbankpräsident, dessen einziges Ziel darin bestand, das Land mit Banknoten zu überschwemmen; Hitler, der machtbesessene Volksverhetzer, dessen Worte und Taten schon damals an alles Teuflische der menschlichen Natur appellierten. Allein was Havenstein betrifft, ist diese Beschreibung ungerecht. Die Tatsache, dass diese hoch angesehene und verdiente Finanzautorität einen hellen Verstand besaß, änderte jedoch nichts an den Verheerungen, die er anrichtete.

Man könnte aber auch sagen, es habe gar keine wirklichen Schurken gegeben: Die Akteure standen angesichts der wirtschaftlichen und politischen Launen vermutlich schon in den Startlöchern bereit, den Part zu spielen, den die Umstände diktierten. Gewiss gab es viele andere, die genauso verwerflich und unverantwortlich gehandelt haben, wie die Personen, die die Hauptrollen spielten. Das deutsche Volk war das Opfer. ›Der Kampf ließ die Menschen verwirrt und inflationsgeschockt zurück‹, wie ein Überlebender erklärte. ›Sie verstanden nicht, was mit ihnen geschah und wer der Feind war, der sie besiegt hatte.‹

Dieses Buch präsentiert einige neue, aber auch viele vergessene Fakten und bis heute unveröffentlichte Stellungnahmen und Anschauungen. Dabei sind besonders die Schilderungen derer nützlich, die die Ereignisse unbeteiligt beobachten konnten, weil ihre Geldbeutel, ihre Gesundheit und ihre Sicherheit von den Ereignissen um sie herum nicht betroffen waren. Die reichhaltigsten Archive sind in dieser Hinsicht die Aufzeichnungen des britischen Außenministeriums, die ursprünglich von der Botschaft in Berlin angefertigt wurden, in der Lord Edgar Vincent D’Abernon als britischer Botschafter in jenen Jahren eine der erfolgreichsten Missionen der damaligen Zeit erfüllte. Seine Informationen wurden vom konsularischen Dienst in allen wichtigen deutschen Städten erweitert und angereichert, zum Beispiel durch Berichte individueller Mitglieder der alliierten Kommissionen, die mit den Themen Wiedergutmachung und Entwaffnung betraut waren. Die Dokumente im britischen Staatsarchiv gehören zu den am besten zugänglichen und wichtigsten Quellen. Die britische Botschaft unterhielt über D’Abernon außerordentlich enge Kontakte zu hohen deutschen Politikern. Der Abzug der US-Truppen aus Deutschland zu Beginn des Jahres 1923 und die beinahe vollständige Unterbrechung jeglicher Kommunikation zwischen Berlin und Paris zu einem noch früheren Zeitpunkt machten jede Information von möglicherweise vergleichbarem Wert dagegen zu sporadischen und oberflächlichen Anekdoten. Ich habe daher nicht gezögert, mich auf die Aufzeichnungen des britischen Außenministeriums zu beziehen, insofern es mir angemessen erschien, und habe sie durch zeitgenössische deutsche Informationen und Berichte ergänzt.

Soweit möglich, habe ich versucht, die Handlungen, Reaktionen und Interaktionen in ihrer richtigen historischen Abfolge zu bewahren. Ich erhoffe mir davon, dass diese vielleicht offensichtliche Ordnung in jenem Fall sowohl neu als auch aufschlussreich ist. Und ich will darüber hinaus eine Reihe wichtiger, aber kaum beachteter Beziehungen offenlegen. In der Schilderung der Ereignisse bin ich einem bestimmten roten Faden gefolgt, der sich auch durch Österreich-Ungarn, Russland, Polen und Frankreich zog. An ihm musste ich teilweise streng festhalten. Dabei handelt es sich um einen Faden, zu dem die hohen Autoritäten gelegentlich den Bezug zu verlieren scheinen: Es geht um die Auswirkungen der Inflation auf die Menschen als Individuen und Nationen, und wie ebendiese selbst auf die Inflation reagierten.

Ich habe es jedoch nicht gewagt, auf Basis der Fakten, die ich hier niedergeschrieben habe, allgemeingültige Schlussfolgerungen über die Menschheit und die Inflation zu ziehen; die Fakten sprechen sehr gut für sich selbst. Noch weniger habe ich irgendwelche wirtschaftlichen Lektionen oder theoretische Erklärungen für wirtschaftliche Phänomene geliefert. Dieses Buch ist ausdrücklich keine ökonomische Studie. Allerdings hat die Inflation sowohl mit Menschen als auch mit Geld zu tun, daher wäre es unmöglich, diese Geschichte zu erzählen, ohne immer wieder Zahlen – und gelegentlich überwältigende Zahlen – zu nennen. Überwältigende Zahlen waren es, die die Menschen Mitteleuropas bedrängten und knechteten, bis sie nicht mehr konnten. Den Wert der Mark in den Jahren 1922 und 1923 kannte jeder; doch wer konnte eine Zahl erfassen, der zwölf Nullen folgten?

Im Oktober 1923 traf die britische Botschaft in Berlin die Feststellung, dass für ein britisches Pfund genauso viel Mark nötig waren, wie die Entfernung in Yards von der Erde bis zur Sonne betrug. Hjalmar Schacht, Deutschlands Reichswährungskommissar, erklärte, am Ende des Ersten Weltkriegs hätte man theoretisch 500.000.000.000 Eier für denselben Preis erhalten, für den man fünf Jahre später nur noch ein einziges Ei bekam. Als sich die Lage stabilisierte, entsprach die Summe der Papiermark, die für den Kauf einer Goldmark nötig war, exakt der Menge an Quadratmillimetern, die einen Quadratkilometer ausmachen. Mathematisch nicht bewanderten Leser sei zum Trost gesagt, dass es alles andere als gewiss ist, ob solche Berechnungen dazu beitrugen, irgendjemandem die Geschehnisse verständlicher zu machen.

Schwieriger war es, genügend einfache, verständliche Begriffe zu finden, um die kontinuierliche und sich stetig verschlimmernde Serie von Unglücksschlägen zu beschreiben, von denen das deutsche Volk in jener Zeit heimgesucht wurde, ohne sich ständig zu wiederholen. Diese Schwierigkeit erwähnte Lloyd George – während des Ersten Weltkriegs britischer Premierminister – in einer seiner Schriften aus dem Jahr 1923, indem er sagte, Worte wie ›Desaster‹, ›Ruin‹ und ›Katastrophe‹ hätten aufgehört, Angst und Schrecken zu verbreiten, so üblich sei ihr Gebrauch inzwischen geworden. Schon das Wort ›Desaster‹ hatte inflationären Charakter: In zeitgenössischen Dokumenten wurde es Jahr für Jahr verwendet, um Situationen zu beschreiben, die jedes Mal auf unberechenbare Weise noch schlimmer waren als alles bisher Dagewesene. Selbst als die Mark schließlich unterging und alles in Scherben lag, hörte man deutsche Bürger immer noch eine Katastrophe für die Zukunft prophezeien.

Ich habe daher versucht, die Zahl der Desaster, Zusammenbrüche, Kataklysmen, Kollapse und Katastrophen sowie die Grade an Krisen und Chaos in diesem Text auf ein verdauliches Maß zu begrenzen, das jeder Leser nach Maßgabe seiner persönlichen Anteilnahme steigern kann.

Auch in einer weiteren Sache wird dem Leser eine unabhängige Einschätzung abverlangt. Oft war es notwendig, dem britischen Pfund Sterling beziehungsweise dem US-Dollar die entsprechende Summe in Mark gegenüberzustellen, um das Ausmaß der Abwertung der Mark deutlich zu machen. Der kontinuierliche Inflationsprozess in allen westlichen Ländern macht die Umrechnung in heutige Werte zu einer äußerst undankbaren Aufgabe. Für den niedrigsten Wechselkurskorridor habe ich das Pfund-Sterling-System verwendet, das heißt, ein Pfund à 20 Schilling und 1 Schilling à 12 Pence. Aus heutiger Distanz ist jeglicher Vergleich der Lebenshaltungskosten sinnlos. Es könnte jedoch hilfreich sein zu wissen, dass man Mitte 1975 jede Sterlingsumme aus den 1920er-Jahren ungefähr mit dem Faktor 15 multiplizieren musste, um die dem Jahr 1975 entsprechende Summe zu erhalten. Ein Lohn von 200 Pfund im Jahr 1919 entsprach 1975 3.000 Pfund; 10 Schilling entsprachen sieben bis acht Pfund. Im Hinblick auf den Dollar würde ein Multiplikator von sechs oder acht wahrscheinlich ausreichen. Wenn eine Mark im Jahr 1913 Waren und Dienstleistungen im Wert von fast einem Pfund im Jahr 1975 entsprachen (einige Artikel waren aber wesentlich teurer; andere, wie zum Beispiel Arbeit, waren in realen Zahlen gemessen dagegen erheblich billiger), bietet sich eine einfache, wenn auch grobe Umrechnung für Leser, die in Pfund Sterling rechnen und die Vorstellung amüsant oder auch irritierend finden, 148.000.000 Pfund Sterling für eine Briefmarke zu zahlen: Für Mark sollten sie Pfund lesen.

Es gibt keine beständige Daumenregel für den Umgang mit den späteren Phasen der Inflation. Bis zum Herbst 1921 hinkte die inländische Entwertung der Mark gelegentlich dem Verlust ihres Außenwerts in Relation zu anderen Währungen hinterher und machte Deutschland damit zu einer Oase für Touristen. Später (mit Beginn des Jahres 1922), als das öffentliche Vertrauen in die Mark rapide abnahm, stiegen die Inlandspreise im Einklang mit dem Dollarkurs zügig an und nahmen auf eindrucksvolle Weise die anschließenden Einbrüche der Mark vorweg. Dies war ein Phänomen jener Zeit, welches das damalige Inflationsproblem auf fatale Weise verkomplizierte und das Interesse der Ökonomen auf Jahre hinaus wachhielt.

Dies ist, so glaube ich, eine moralische Erzählung. Sie trägt viel zur Bestätigung des Grundsatzes bei, dass man, wenn man eine Nation vernichten will, zunächst am besten ihre Währung vernichtet. Daher muss solides Geld das höchste Bollwerk der Verteidigung einer Gesellschaft sein.

Anmerkung zur Ausgabe von 2011

Bei Ersterscheinen dieses Buches im Jahr 1975 war – wie es im Vorwort heißt – der Vergleich der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Preise und Werte mit den Preisen und Werten der 20er-Jahre nur begrenzt hilfreich. Nach fünfunddreißig Jahren, in denen Währungen immer wieder abgewertet und miteinander verschmolzen wurden, starken Schwankungen unterworfen waren oder ganz abgeschafft wurden und die Löhne und Kosten höchst uneinheitlich gestiegen und gefallen sind, ergibt dieser Vergleich noch weniger Sinn. Gewiss, Statistiker schätzen, dass das Pfund Sterling aus dem Jahr 1923 heute 623 Pfund wert wäre, und dass ein Dollar des Jahres 1923 heute Waren und Dienstleistungen im Wert von 220 Dollar entsprechen würde. Anstatt den Leser jedoch mit interessanten, aber hoch spekulativen Vergleichsberechnungen zu belästigen, möchte ich Sie vielmehr dazu einladen, den Text so zu nehmen, wie er geschrieben wurde.

Im Umgang mit den überwältigenden Zahlen, mit denen Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik zu kämpfen hatte, behält das Buch dieselben numerischen Bezeichnungen bei, die damals verwendet wurden und auf den Banknoten ausgewiesen waren. Das heißt, dass eine Milliarde Tausend Millionen, eine Billion eine Million mal eine Million, die Bezeichnung Billiarde Tausend Billionen und eine Trillion eine Million hoch drei betrug. Die Anpassung dieser Bezeichnungen an die moderne Gepflogenheit im amerikanischen Sprachgebrauch, da eine Billion lediglich neun und eine Trillion lediglich zwölf Nullen enthält, schließt – so meine ich – nur an das an, was ein deutscher Minister in den 1920er-Jahren richtigerweise als »Delirium der Milliarden« bezeichnete.

1 Gold für Eisen1

Im Jahr 1913, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, waren die Deutsche Mark, der britische Schilling, der französische Franc und die italienische Lira mehr oder weniger das Gleiche wert, und vier oder fünf Münzen der jeweiligen Währung entsprachen ungefähr einem Dollar. Ende 1923 hätte man für einen Schilling, einen Franc oder eine Lira bis zu 1.000.000.000.000 Mark bekommen, auch wenn in der Praxis niemand mehr bereit war, die Mark als Zahlungsmittel für irgendetwas anzunehmen. Die Mark, die nur noch eine Million Millionstel ihres einstigen Wertes besaß, war tot. Ihr Siechtum hatte sich über fast zehn Jahre hingezogen.

Der tiefe Fall der Mark begann allmählich. In den Jahren 1914 bis 1918 war ihr Außenwert auf die Hälfte geschrumpft und hatte sich im August 1919 ein weiteres Mal halbiert. Anfang 1920 besaß die Mark nur noch ein Vierzigstel ihres Außenwerts, obwohl die Lebenshaltungskosten seit 1914 um weniger als das Neunfache gestiegen waren. Danach folgten neun Monate nervöser Fluktuation, im Anschluss geriet die Mark mit zunehmender Dynamik in die Abwärtsspirale und löste in der Folge soziales Elend und politische Unruhen aus. Doch erst 1923 stürzte die Mark über die Klippe der Vernunft, an die sie sich sozusagen viele Monate mit wachsender Verzweiflung geklammert hatte. Die Mark, die der österreichischen und ungarischen Währung in den Abgrund folgte, schlug dort noch härter auf als diese.

Im Jahr 1923, einem Jahr der galoppierenden Inflation, wurden die deutschen Finanzautoritäten von einer Art Wahnsinn ergriffen und Millionen von Menschen Opfer einer Wirtschaftskatastrophe. Dies war das Jahr der astronomischen Zahlen, das Jahr der »Schubkarreninflation« und der beispiellosen Finanzphänomene. Der Tod der Mark im November 1923 war schließlich eine gnädige Erlösung, denn die Ereignisse der vorhergehenden acht Monate hatten deutlich gemacht, dass sich die alte Mark niemals würde erholen können. Sie machten auch deutlich, dass Deutschland sehr harte und strenge Zeiten der Finanzrekonstruktion bevorstanden, die andernfalls möglicherweise hätten vermieden werden können. Die Wiederherstellung der Währungsstabilität, die Tausende von Menschen in den Bankrott trieb, Millionen Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubte und jede Hoffnung weiterer Millionen zunichte machte, forderte indirekt einen hohen Preis, den am Ende die ganze Welt bezahlen musste.

Die Inflation von 1923 war so grotesk und ihr Ende so plötzlich, dass ihre Geschichte oft eher als historische Kuriosität abgetan wurde, die sie zweifellos auch war, denn als Verkettung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Umstände von nachhaltiger Bedeutung. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Gründe für die Weimarer Inflation in vielerlei Hinsicht einmalig sind, weil die politischen Rahmenbedingungen heute anders sind oder es nahezu unvorstellbar ist, dass heutige Regierungen tatenlos zusehen würden, wie ein derartiges Finanzchaos entsteht. Die Gefahr, die erkannt werden muss, liegt in den Auswirkungen, die eine Inflation – unabhängig von ihren Ursachen – auf eine Nation, ihre Regierung, ihre Bevölkerung, ihre Autoritäten und die Gesellschaft hat. Je materialistischer die Gesellschaft, desto grausamer die Folgen der Inflation. Wenn das, was die besiegten Mittelmächte zu Beginn der 1920er-Jahre erlebten, irgendeine Erkenntnis für die Gegenwart und Zukunft bietet, dann diese: Der Zusammenbruch des anerkannten, traditionellen, vertrauensgeprägten Zahlungsmittels, der eigenen Währung also, die als Wertmaßstab aller Dinge dient, die den sozialen Status garantiert, von der die Gesellschaft abhängt und in der die Früchte der Arbeit bewahrt werden, löste eine enorme Gier, ein derart großes Unglück und einen solchen Hass aus – ein Gefühl, das zum großen Teil das Ergebnis nackter Angst war –, wie sie keine Gesellschaft unbeschadet überstehen kann.

Gewiss stürzten die Jahre 1922 und 1923 das deutsche, österreichische und ungarische Bürgertum in die Katastrophe und brachten Hunger, Krankheit, Entbehrung und gelegentlich den Tod über weite Teile der Bevölkerung. Die Menschen hätten sie jedoch überstanden, wenn diese beiden Jahre nichts anderes als ein schwerer Gewittersturm in ansonsten ruhigen Zeiten gewesen wären. Was die Moral der betroffenen Nationen jedoch ernsthaft beeinträchtigte, war die Tatsache, dass diese beiden Jahre lediglich den Höhepunkt der Unwirklichkeit jahrelanger drückender Belastungen darstellten. Über fast vier Jahre lauerte der ultimative finanzielle Kataklysmus ständig um die Ecke. Immer trat er ein, und mit jedem Mal drohte anschließend ein noch schlimmerer Kollaps – und diese Kette wiederholte sich ein ums andere Mal. Die Reden, die Zeitungsartikel, die offiziellen Aufzeichnungen, die diplomatischen Telegramme, die Briefe und Tagebücher aus jener Zeit, alle waren sich Monat für Monat und Jahr für Jahr einig, dass es nicht mehr lange so weitergehen könne. Und doch schleppte sich die Situation weiter dahin und verschlimmerte sich dabei zusehends. 1921 war es unvorstellbar, dass das Jahr 1922 noch grausamere Entwicklungen bereithalten könnte. Diese traten jedoch ein und wurden im Folgejahr von noch größeren Katastrophen übertroffen.

Die Verzweiflung der betroffenen Nationen allein der Inflation zuzuschreiben, wäre allerdings falsch. Im Winter 1918/1919 erlebten alle drei Länder im Anschluss an die Entbehrungen der Kriegsjahre und eine vernichtende militärische Niederlage politische Revolutionen. Das Wiedererstarken eines Nationalgefühls musste in der Folge zwangsläufig von Rachegefühlen beherrscht sein. Dieses Rachegefühl wäre selbst dann geblieben, wenn die Friedensverträge den Kriegsverlierern ermöglicht hätten, sich wirtschaftlich wieder aufzurappeln, egal wie mühselig dieser Prozess auch gewesen wäre. Es ist nicht immer klar, welche Ereignisse – Volksaufstände, Ultimaten der alliierten Siegermächte oder politisch motivierte Morde – zur Inflationspanik beitrugen, beziehungsweise welche Ereignisse selbst auf direkte oder indirekte Weise von der endlosen Geldentwertung und dem unaufhörlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten verursacht wurden.

Zweifellos verschlimmerte die Inflation jedes Übel, machte jede Chance auf einen nationalen Wiederaufschwung oder individuellen Erfolg zunichte. Und sie ließ schließlich genau die Bedingungen entstehen, in denen Extremisten der Rechten und Linken das Volk gegen den Staat, gegen Klassen und Rassen, gegen Familien und Ehegatten, gegen ganze Handelszweige, sowie gegen die Stadt- und Landbevölkerung aufhetzen konnten. Sie unterminierte die nationale Entschlossenheit, wo der einfache Wunsch oder die Notwendigkeit sie vielleicht unterstützt hätten. Aufgrund ihrer ungerechten und diskriminatorischen Natur brachte die horrende Inflation das Schlechteste in jedem Menschen hervor – dem Industriellen und dem Arbeiter, dem Landwirt und Bauern, dem Bankier und Ladenbesitzer, dem Politiker und dem Beamten, der Hausfrau, dem Soldaten, dem Kaufmann, Händler, Minenarbeiter, Geldverleiher, Pensionär, Arzt, Gewerkschaftsführer, Student und Touristen. Sie löste Angst und Unsicherheit unter denjenigen aus, die von beidem bereits zu viel kennengelernt hatten. Sie leistete der Xenophobie Vorschub. Sie förderte die Verachtung der Regierung und die Zerstörung von Recht und Gesetz. Sie korrumpierte sogar, wo Korruption bis dahin unbekannt gewesen war und allzu oft auch dort, wo sie unmöglich hätte sein sollen. Sie war das schlimmstmögliche Vorspiel für die Große Depression und deren Folgen, wenngleich sie von beiden Jahre entfernt war.

Man muss die Inflation, die zu Beginn der 1920er-Jahre herrschte, wieder in ihren historischen Kontext stellen. Das gewaltsame Bemühen, sie aus diesem Zusammenhang herauszubrechen, ist unklug. Schließlich würde niemand allen Ernstes behaupten, dass die deutsche Inflation unmittelbarer Auslöser der weltweiten Depression war, ja nicht einmal, dass sie alleiniger Auslöser für die Entstehung von Nazideutschland gewesen ist. Fraglos machte sie die Depression noch unerträglicher und trug als mitverantwortliche Ursache dazu bei, dem deutschen Nationalsozialismus den Weg zu ebnen. Es ist jedoch nicht der Zweck dieses Textes, einer demokratischen Industrienation, die mit einer hohen Inflation zu kämpfen hat, ein ähnliches Schicksal vorherzusagen. Vielmehr soll hier durch das Nacherzählen einer außerordentlichen Geschichte darauf aufmerksam gemacht werden, welche Verheerungen eine Inflation im Leben der Menschen anrichten kann, und was die Menschen sich als Folge gegenseitig antun können.

Die Ursprünge der deutschen Inflation sind in einiger Hinsicht von grundlegender und in anderer Hinsicht von nebensächlicher Bedeutung für dieses Thema. Sie waren sowohl interner als externer Natur. Selbst während des Kriegs war die deutsche Finanzordnung so beschaffen, dass sie dem nationalen Bankensystem die ungeheuerlichsten Geldexzesse ermöglichte. Durch diese Ordnung wurde die Nachkriegsinflation schließlich unkontrollierbar, während die Natur und die Präsentation der Reparationsforderungen der Entente das Anwerfen der Notenpressen unter völligem Ausschluss anderer, wünschenswerterer Strategien begünstigte. Und es darf auch nicht übersehen werden, dass Deutschlands Industrielle ihre Regierung rücksichtslos in den finanziellen Abgrund getrieben haben.

Nichtsdestotrotz bestand die natürliche Reaktion der meisten Deutschen, Österreicher oder Ungarn – eigentlich jedes Inflationsopfers – darin, zu glauben, dass nicht ihr Geld an Wert verliere, sondern dass die Waren, die sie kauften, in absoluten Zahlen immer teurer wurden; dass nicht ihre Währung an Wert verliere, sondern – und das vor allem zu Beginn der Inflation – die ausländischen Währungen unangemessen stiegen und damit die Preise aller lebensnotwendigen Güter in die Höhe trieben. Diese Sichtweise glich der Überzeugung, die Sonne, die Planeten und die Sterne drehten sich gemeinsam mit dem Mond um die Erde.

In einem ausführlichen Gespräch, das die Schriftstellerin Erna von Pustau, deren Vater einen Fischmarkt in Hamburg betrieb, viele Jahre später mit Pearl Buck führte, bestätigte sie diese Einschätzung:

»Üblicherweise sagten wir, ›der Dollar steigt schon wieder‹, während der Dollar in Wirklichkeit stabil blieb, aber unsere Mark an Wert verlor. Aber sehen Sie, wir konnten kaum sagen, dass unsere Mark fiel, weil sie in Zahlen gemessen ständig stieg – und so auch die Preise. Das war wesentlich sichtbarer als die Erkenntnis, dass der Wert unseres Geldes abnahm … All das erschien einfach nur wie ein Irrsinn, und er machte die Menschen irre.«