N.C. Shepard

Das Protektorat

Datenfragment Eins

 

 

 

 

 

 

„Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.“

 

Erstes Newtonsches Gesetz der Physik

 

 

 

N.C. Shepard

Das Protektorat

Datenfragment Eins

 

 

 

 

 

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Glossar

Erklärung der wichtigsten Begriffe und einiger Personen.

 

Vampire: Aristokratische Gesellschaft einer Spezies, deren Ernährung unter anderem vom Erhalt der Menschheit abhängt. Erbitterte Rivalen der Werwölfe um die Nahrungsquelle Mensch.

Vampirgift: Trägerstoff, der in der Lage ist, bei ausreichender Dosierung eine Veränderung eines Organismus herbeizuführen. Führt bei Werwölfen und Protektoren zu einer Verringerung der Selbstheilungskräfte.

Innerer Zirkel: Politische Führer und Gerichtsebene der vampirischen Gesellschaft. Angeführt von den Ratsmitgliedern. Es sind drei dieser führenden Zirkel bekannt mit den Sitzen Rom, London und Athen. Mitglieder dieser Zirkel tragen mit Stolz silberne Kragenknöpfe, deren Wappen sie als Angehörige einer der drei Inneren Zirkels ausweisen.

Zirkel: Allgemeine Gruppe von Vampiren, die ihren Zirkel häufig auch als Familie bezeichnen.

Befehlsstimme: Suggestive Stimme, die bewusstseinsverändernd auf ihr Ziel einwirkt. Entscheidend hierbei ist nicht das Wort, das benutzt wird, sondern der dahinter stehende Befehl.

Endras: Heerführer der Vampire.

Arman: Einer der Abkömmlinge eines Ratsmitgliedes des Inneren Zirkels.

Francis: Ein vampirischer Freund von Zed und Anführer eines Zirkels, der nach einer von Menschen unabhängigen Ernährung sucht.

Vagrant: Ein Vampir ohne Zirkel und festen Standort.

Werwölfe: Impulsive Spezies, die in der Lage ist, ihre Gestalt zu verändern. Rivalen der Vampire um die Nahrungsquelle Mensch.

Sethiel: Einer der Heerführer der Werwölfe, der bei der Erschaffung der Protektoren anwesend war.

Werwolfblut: Katalysator, der bei der Erschaffung der Protektoren verwendet wurde.

Rudeldenken: Eine geistige Verbindung der Werwölfe untereinander, da sie in ihrer tierischen Form nicht in der Lage sind zu sprechen.

Protektorat: Von Vampiren und Werwölfen erschaffene Gruppe von sechzehn Wächtern, um eine Regulation herbeizuführen, welche die Spezies Mensch als Nahrungsquelle erhält. Spätere Umwandlungen von Protektoren erfolgten durch Auslösung eines genetischen Prozesses. Heutige bekannte Mitglieder: Ceren (Leiter des Protektorates), Bartholome (der Archivar), Kiara, Galen, Jona, Amirya, Sean, Jade, Sergej, Quan, Loao, Lin, Zed.

Kollektiv: Geistige Verbindung zwischen den Protektoren, ähnlich dem Rudeldenken der Werwölfe, in welcher Informationen ausgetauscht werden können. Der Austausch reicht bis hin zur Übermittlung von Bildern.

Domizil: Ein in Hood River gelegenes Gebäude, in welchem Treffen des Protektorates stattfinden.

Dämmer: Schlafähnlicher Zustand eines Protektors, in welchem eine erhöhte Regenerationsrate des Körpers erreicht wird.

Rapport: Geistige Verbindung zweier oder mehrerer Protektoren unter Ausschluss des Kollektivs.

Instinktebene: Auf dieser Ebene des Bewusstseins wird ein Protektor nur noch durch seine Instinkte geleitet. Bei den meisten Protektoren sind die Erinnerungen während dieser Zeit verschwommen.

 

Hal, Halen: Menschlicher FBI-Agent, dessen sich Zed zeitweise bedient.

Bergland von Edom, Jordanien 800 v. Chr.

Bergland von Edom, Jordanien 800 v. Chr.

Erinnerungen

Der Krieg tobte jetzt schon seit Jahrhunderten und in den letzten Jahrzehnten hatte sich der Konflikt weiter verschärft. Große Teile des fruchtbaren Halbmondes zwischen Ägypten und Sumer lebten im Schatten der Angst. Verwesung lag in der Luft, und Halbwesen, die er nie hätte dulden dürfen, streiften durch die Straßen. Der Vampir verzog vor Abscheu sein Gesicht und trieb sein Pferd vorwärts. In anderen Teilen der Welt sah es nicht viel besser aus und es wurde Zeit, die Sache wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Als er und sein Gefolge vor der Felswand ankamen, in die der Tempel für einen Gott, der ihn nicht berührte, gebaut worden war, zwang er sein Reittier zum Halten und forderte seine Begleiter zum Absitzen auf. Die andere Seite war bereits eingetroffen, also gab es keine Zeit zu verlieren. Im Inneren war es stickig. Sonnenstrahlen, die durch das Oberlicht fielen, brachen sich in den aufgestellten Spiegeln und erhellten den Raum. Eine einfache Arbeit, die ihren Zweck für das menschliche Auge erfüllte. Er betrachtete den tanzenden Staub, den seine Schritte aufwirbelten. Der Werwolf erwartete ihn bereits und die braunrötlichen Augen beobachteten jede seiner Bewegungen. Fixierten ihn. Der Vampir unterdrückte mühsam den Impuls, seinen Gegner direkt anzugreifen, er musste sich auf den Anlass seines Kommens konzentrieren. Es brauchte Zeit, eine Strategie zu ändern, etwas Neues zu erschaffen und er brauchte den Werwolf, um seine Pläne in die Tat umzusetzen.

„Sethiel, ich begrüße dein Erscheinen“, seine eigene Stimme klang schneidend in der Stille des Raumes. „Ich hatte dem zugestimmt und ich stehe zu meinem Wort.“ Das Knurren des Werwolfes klang misstrauisch und er würde dieses Misstrauen umgehen müssen, wenn er seine Wache haben wollte. Für eine Weile lastete Stille im Raum, und sie maßen sich wie Gegner einander mit Blicken.

Der Vampir wusste, jede unbedachte Bewegung, jede Provokation zöge ein Blutbad nach sich, aber er brauchte die Kriegspause und würde sie mit allen Mitteln erwirken. Auch wenn sie nur für eine unbestimmte Dauer anhalten sollte. Es würde ein zerbrechlicher Frieden werden, auf sehr dünnem Eis gebaut. Doch vielleicht würde es lange genug sein, dem Krieg Einhalt zu gebieten, der hungrig jeden Tag neue Landstriche verschlang.

„Also du willst eine Wache“, die Muskeln im Nacken des dunkelhäutigen Werwolfes spannten sich an.

„Eine neutrale Wache, es gibt zu viele sinnlose Ausschreitungen“, die Lippen des Vampirs verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Es war wichtig, dass die Werwölfe glaubten, es würde eine neutrale Wache werden.

„Wie immer ihr es nennen wollt, Endras“, bemüht, den Namen nicht wie einen Fluch klingen zu lassen, verzog der Werwolf das Gesicht, „und von drei Völkern je einen Teil?“ Die Augen des Dunklen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

„Weder von der einen Seite noch von der anderen beeinflusst“, ergänzte der Vampir mit sanfter Stimme.

Der Dunkle nickte, doch seine Haltung verriet unverändert Misstrauen. „Mischlinge. Ich habe noch nie einem Mischling getraut und dir noch weniger, Endras“, das Knurren ihres Anführers ließ Unruhe in den Reihen der Werwölfe aufkommen.

„Nein, Sethiel“, der Vampir machte eine beschwichtigende Geste, „es ist das Ende des Wahnsinns, den wir die letzten Jahrhunderte gelebt haben. Sieh hin! Unsere Armeen vernichten das, was wir jagen. Unser Blut tränkt die Erde. Gräueltaten, die keiner von uns gewollt haben kann, geschehen an den unterschiedlichsten Orten.“ Er rief sich selbst zur Ruhe und seine hellen Augen blickten ernst. „Jeder von uns hat acht bestimmt. Sechzehn, die die Länder durchstreifen, die über das wachen, was wir nicht mehr kontrollieren können.“

Der Vampir schloss die Lider und atmete tief ein, wenn es funktionieren sollte, brauchte er den Werwolf, ob es ihm gefiel oder nicht. Langsam hob er die Hand, er musste diese Verhandlungen vorantreiben, was immer es kostete. Acht Männer, die bisher hinter seiner Leibwache gewartet hatten, traten hervor. Er hatte sie gut ausgewählt. Ihre Bewegungen verrieten, dass sie Kämpfer waren, ihre Haut war von der Sonne gebräunt und sie hielten ihre Köpfe gesenkt.

„Überzeuge dich, kein besonderes Blut“, ermunterte er den Werwolf und beobachtete, wie sich sein Gegenüber wachsam den Männern näherte. Herzschläge verstrichen. Der Werwolf ließ sich Zeit, dann nickte er zustimmend. Innerlich begann der Vampir zu lächeln. Dieser Teil der Täuschung war gelungen. Sein Plan würde aufgehen.

„Du hast anscheinend Wort gehalten, Bluttrinker.“ Auf eine Handbewegung des Werwolfs hin traten weitere Männer nach vorn. Der Vampir musterte sie kurz, dann nickte er. Wie erwartet hielt sich Sethiel an die Abmachung, Menschen auszuwählen, es genügte ihm, ihre Bewegungen zu sehen. Was für ein Narr. Es war ein Wunder, dass sie die Werwölfe noch nicht geschlagen hatten. Dann hätte er sich seinen Zug sparen können.

„Dann lass es uns vollenden, bevor ich es mir noch anders überlege und meine Zähne in deine Kehle schlage, um diesen Krieg auf andere Weise zu beenden“, grollte Sethiel und begann sich unruhig zu bewegen. Innerlich triumphierte der Vampir, der Pakt zwischen ihnen bestand und nun würden die Männer die Blutlinien in sich vereinen, um die zerbrechliche Balance zu wahren. Der Wolf machte eine Geste und eine Frau huschte herein. Ihre Bewegungen waren katzenhaft. Als einer der Leibwachen ihr versehentlich zu nahe kam, gab sie einen zischenden Laut von sich, woraufhin ein vielstimmiges Knurren erklang. Der Vampir konnte die Anspannung spüren, als die Frau eine Kiste vorn auf den Marmorblock stellte. Was hätte er in diesem Moment für einen Empathen gegeben. Aber er musste das Beste aus der Situation machen. Ihn noch immer beobachtend, nickte der Werwolf der Frau zu: „ Das Blut. Auch wenn mir schleierhaft ist, was es dir hilft.“ Der Vampir nickte und rief seinen Boten. Neben ihm tauchte ein Junge auf. Die Haut weiß und die Augen halb geschlossen. Er übergab seinem Herrn eine Amphore aus Jade. Zärtlich strich der Vampir ihm über das Haar. „Das Gift, unser Geschenk.“

„Wir wissen nicht, was daraus entsteht, unsere Völker haben sich niemals vermischt.“ Der Werwolf sprach das letzte Wort aus, als wäre eine Vermischung für ihn etwas Abscheuliches.

„Ich teile deine Bedenken, Sethiel, aber welche Alternativen bleiben?“, entgegnete der alte Vampir lächelnd, er war seinem Ziel so nahe. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass etwas seine Pläne vereitelte. Sobald die neue Wache Erfolg hatte, würde er einen Weg finden, sie für seine Zwecke zu nutzen. Berechnend blickte er den Männern hinterher, als sie in den unteren Bereich des Tempels eskortiert wurden. Seine Wahl war gut und alles würde nach seinen Plänen verlaufen. Sollten sich die Werwölfe in Sicherheit fühlen, zu spät würden sie bemerken, wie dünn das Eis war, auf das er sie gelockt hatte. Er lauschte den Schreien der Männer, als sich in ihnen das Blut und das Gift vermischten, hörte wie ihre Herzen das letzte Mal schlugen. Einer seiner Berater lehnte sich zu ihm herüber und der Vampir blickte überrascht auf, als er die Information des Telepathen hörte. Dass es seinen Wesen nach dem Blut ihrer Schöpfer verlangte, hatte er nicht vermutet. Ein ungewollter Nebeneffekt, aber er würde es in der weiteren Planung einkalkulieren. Wichtig war nur, dass er am Ende die Waffen besaß, die ihm zum Sieg führen würden. Alles was er brauchte, war etwas Zeit und die würde er sich durch diesen Frieden verschaffen. Sein Lächeln war auch dann noch nicht verschwunden, als er sein Pferd nach Norden lenkte. Den Werwölfen hatte er Sicherheit geschenkt, für den Moment. Aber welche Rolle spielten schon ein paar Jahrhunderte. Werwölfe dachten einfach zu kurzfristig, wie es eben ihre tierische Natur war.

Boston, Vereinigte Staaten von Amerika, 2005