Sir Walter Scott


Ivanhoe

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-62-0


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Kapitel 44



So ists zu Ende wie ein Weibermärchen.

Webster


Als die ersten Eindrücke der Überraschung geschwunden waren, fragte Wilfred den Großmeister, ob er männlich und rechtlich seine Pflicht in dem Kampfe getan habe?

"Männlich und rechtlich ist sie getan worden," erwiderte der Großmeister; "ich erkläre daher das Mädchen für frei und schuldlos. – Die Waffen und der Leichnam des entseelten Ritters stehen zur Verfügung des Siegers."

"Ich mag ihn seiner Waffen nicht berauben," sagte der Ritter von Ivanhoe, "auch wünschte ich seinen Leichnam nicht beschimpft zu sehen. Er hat für das Christentum gefochten; Gottes Hand, nicht menschliche Gewalt hat ihn zu Boden gestreckt. Aber laßt ihn im Stillen beerdigen, wie einen, der in einem ungerechten Streite gefallen ist. – In Ansehung des Mädchens –"

Hier wurde er durch den Hufschlag von Rossen unterbrochen, die so schnell und in solcher Anzahl herbeieilten, daß der Boden unter ihnen zu beben schien. Der schwarze Ritter sprengte in die Schranken. Ihn begleitete eine zahlreiche Menge Bewaffneter und mehrere Ritter in voller Rüstung.

"Ich komme zu spät!" sagte er, um sich schauend. "Ich hatte BoisGuilbert für mich ausersehen. Ivanhoe, war es recht, solch ein Abenteuer zu übernehmen, da Du Dich kaum selbst im Sattel halten konntest?"

"Der Himmel," versetzte Ivanhoe, "hat sich diesen stolzen Mann zum Opfer erkoren. Er sollte die Ehre nicht haben, so zu sterben, wie Ihr es gewollt."

"Friede mit ihm," sagte Richard, indem er ernst auf den Leichnam schaute, "sei es, wie es wolle, er war tapfer, und ist in seiner Rüstung echt ritterlich gestorben. Allein wir dürfen keine Zeit verlieren. – Bohun, tue Deine Pflicht!"

Aus des Königs Gefolge trat sogleich ein Ritter hervor, und indem er seine Hand auf Albert Malvoisins Schulter legte, sagte er: "Ich verhafte Dich wegen Hochverrats!"

Der Großmeister hatte bisher verwundert dagestanden, jetzt sprach er:

"Wer ist es, der es wagt, einen Ritter des Tempels von Zion innerhalb des Umkreises seines eigenen Präceptoriums und in Gegenwart des Großmeisters selbst zu verhaften? Und auf wessen Befehl geschieht diese kühne Beleidigung?"

"Ich bewirke die Verhaftung," versetzte der Ritter, "ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Großconnetable von England."

"Und er verhaftet Malvoisin," sagte der König, indem er sein Visier aufhob, "auf Befehl Richard Plantagenets, der hier gegenwärtig ist. Conrad MontFichet, es ist gut für Dich, daß Du nicht mein geborner Untertan bist. Aber Du, Malvoisin, Du stirbst nebst Deinem Bruder Philipp, ehe die Welt um acht Tage älter ist."

"Ich widersetze mich dem Urteile!" sagte der Großmeister.

"Stolzer Templer!" versetzte der König, "das kannst Du nicht. Blicke auf und sieh die königliche Fahne Englands auf Deinen Thürmen, an Stelle der des Tempels! Sei klug, Beaumanoir, und versuche keinen vergeblichen Widerstand! Deine Hand liegt in des Löwen Rachen!"

"Ich werde nach Rom gegen Dich appelliren," erwiderte der Großmeister, "wegen Kränkung der Freiheiten und Vorrechte unseres Ordens."

"Meinetwegen!" sagte der König, "aber um Deiner selbst willen mahne mich jetzt nicht daran. Löse Dein Kapitel auf und ziehe mit Deinen Gefährten nach dem nächsten Präceptorium, wenn Du eins finden kannst, das sich noch keiner hochverrätherischen Verschwörung gegen den König von England schuldig gemacht hat. Oder willst Du bleiben, so theile unsere Gastfreundschaft und bezeuge unsere Gerechtigkeit."

"Soll ich ein Gast sein in dem Hause, wo ich befehlen müßte?" sagte der Templer; "nie, niemals! Kaplan, stimme an den Psalm: Quare fremuerunt gentes? Ritter, Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet euch, dem Banner Beau séant zu folgen!"

Der Großmeister sprach mit einer Würde, die Englands König selbst in Verlegenheit setzte, und seinen erstaunten und erschrockenen Anhängern Mut einflößte. Sie drängten sich um ihn her, wie die Schafe um den Wächterhund, wenn sie den Wolf heulen hören. Allein sie bewiesen keineswegs die Furchtsamkeit der Schafe, sondern man bemerkte finstere Stirnen und Blicke, welche mit Feindseligkeiten drohten, die sie nicht wagten in Worten zu äußern. Sie zogen sich in eine dunkle Reihe von Speeren zusammen, aus welcher die weißen Mäntel der Ritter unter den schwarzen Kleidern ihrer Diener wie die hellen Säume dunkler Wolken hervorschimmerten. Die Menge, welche ein lautes Geschrei des Mißfallens ausgestoßen, schwieg und betrachtete stumm die furchtbare und erfahrene Kriegsschaar, die der König so unvorsichtig herausgefordert hatte, und scheu wich sie zurück.

Der Graf von Essex, als er die versammelte Macht vor sich sah, drückte seinem Rosse die Sporen in die Seiten, und sprengte vor und rückwärts, um seine Gefährten zum Widerstand gegen eine so furchtbare Schaar zu sammeln; Richard allein, gleich als liebe die Gefahr, die seine Gegenwart erzeugt hatte, ritt langsam an der Front der Templer hinunter und rief: "Wie, ihr Herren? Unter so tapferen Rittern will nicht einer eine Lanze mit Richard brechen? Ihr Herren des Tempels, eure Damen müssen sehr von der Sonne verbrannt sein, wenn ihr sie nicht des Splitters einer Lanze wert haltet!"

Der Großmeister der Templer ritt auf diese Worte vor und sprach:

"Die Brüder des Tempels fechten nicht um so eitler und profaner Zwecke willen, auch nicht mit Dir, Richard von England, soll in meiner Gegenwart ein Ritter eine Lanze brechen. Der Papst und die Fürsten Europas mögen entscheiden, ob ein christlicher Fürst wohlgethan hat, eine Sache so zu verfechten, wie Du es heute getan hast. Unangegriffen entfernen wir uns, niemanden angreifend. Deiner Ehre vertrauen wir die Waffen und Effekten des Ordens, die wir nicht mitnehmen können, und auf Dein Gewissen wälzen wir das Ärgernis und die Kränkung, die Du heute dem Christentum zugefügt hast."

Mit diesen Worten und ohne eine Antwort zu erwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeter bliesen einen wilden Tusch nach orientalischer Art als das gewöhnliche Signal der Templer zum Abmarsch. Sie bildeten ihren Nachtrab zu einer Kolonne und ritten langsamen Schrittes fort, gleich als wollten sie zeigen, daß es nur der Wille ihres Großmeisters, keineswegs aber Furcht vor der ihnen gegenüberstehenden Macht sei, was sie zum Abzug bewege.

"Bei der heiligen Jungfrau!" sagte König Richard, "es ist Schade, daß die Templer nicht so zuverlässig, als tapfer und disciplinirt sind."

Die Menge, gleich einem furchtsamen Hunde, der erst bellt, wenn der Gegenstand, der ihn beleidigte, den Rücken gewandt hat, ließ ein Geschrei vernehmen, als die Schaar den Platz verließ.

Während des Lärms, den der Rückzug der Templer verursachte, sah und hörte Rebekka nichts von alle dem, was sie umgab. Sie lag bewußtlos in den Armen ihres alten Vaters, der sie endlich durch sein Zureden aus ihrer Betäubung erweckte.

"Laß uns von hinnen, mein theures Kind," sagte er, "mein wiedergefundener Schatz, laß uns gehen und uns dem edlen Jüngling zu Füßen werfen!"

"Nein, nein," sagte Rebekka, "ich darf es jetzt nicht wagen, mit ihm zu reden. O, ich möchte noch mehr sagen, als – nein, mein Vater, laß uns augenblicklich diesen bösen Ort verlassen."

"Aber, liebste Tochter," entgegnete Isaak, "ihn zu verlassen, der so weit hergekommen ist, als ein tapferer Mann mit Speer und Schild, sein eigenes Leben nicht achtend, wenn er Deine Gefangenschaft nur löste, und Du, Du, die Tochter eines verachteten Volkes, ihm ganz fremd, o, das ist ein Dienst, der dankbar erkannt werden muß."

"Ja, ja, dankbar, demütigst erkannt, das soll er werden, doch jetzt nicht, nur jetzt nicht! Um Deiner geliebten Rahel willen, schlage mir diese Bitte nicht ab, – jetzt nicht."

"Aber," sagte Isaak, noch immer in sie dringend, "sie werden uns für undankbarer halten als schnödes Vieh" –

"Siehst Du denn nicht, teurer Vater, daß König Richard zugegen ist, und daß" –

"Du hast Recht, meine gute, meine kluge Rebekka! Fort von hier! Fort von hier! – Er durstet nach Geld, gewiß; denn er ist erst aus Palästina und, wie man sagt, aus dem Gefängnisse zurückgekehrt – und einen Vorwand dazu wird er schon finden, weil ich mit seinem Bruder Johann verkehrt habe. Fort, laß uns von hinnen eilen!"

So zog er seine Tochter mit sich aus den Schranken fort und brachte sie, da er schon Pferde in Bereitschaft hatte, glücklich in das Haus des Rabbiners Nathan.

Kaum hatte sich die Jüdin, deren Schicksal das Hauptinteresse des Tages ausmachte, unbemerkt entfernt, so wandte sich die Aufmerksamkeit des großen Haufens auf den schwarzen Ritter. Die Luft erscholl nun von dem Rufe: "Lange lebe Richard der Löwenherzige! Nieder mit den Templern!"

"Ungeachtet dieser Lippentreue," sagte Ivanhoe zu dem Grafen von Essex, "war es doch gut, daß der König die Vorsicht brauchte, Dich mitzunehmen, edler Graf, und noch einige Deiner treuen Begleiter."

Der Graf lächelte und schüttelte den Kopf.

"Tapferer Ivanhoe, kennst Du denn unsern Herrn so wenig, daß Du ihn im Verdacht hast, eine so weise Vorsichtsmaßregel zu ergreifen? Ich wollte mich eben nach York begeben, weil ich gehört hatte, daß Prinz Johann dort eine Partei bilde, da traf ich König Richard, gleich einem irrenden Ritter hierher eilend, um bloß mit seinem einzigen Arm das Abenteuer des Templers und der Jüdin zu enden. Ich schloß mich ihm fast wider seinen Willen an."

"Und was bringst Du neues von York, tapferer Graf?" fragte Ivanhoe; "werden die Rebellen uns Trotz bieten?"

"Nicht mehr als der Decemberschnee der Julisonne trotzt," sagte der Graf; "sie zerstreuen sich, und glaubst Du wohl, daß Johann uns selbst die Nachricht davon gebracht hat?"

"Der Verräter! Der undankbare Verräter!" sagte Ivanhoe, "hat ihn Richard nicht ins Gefängnis werfen lassen?"

"O, er empfing ihn," sagte der Graf, "als wenn sie sich nach einer Jagdpartie begegnet wären; und indem er auf uns und unsere Bewaffneten deutete, sagte er: Du siehst, Bruder, ich habe ein paar hitzige, aufgebrachte Leute bei mir; Du tust am besten, zu unserer Mutter zu gehen und dort zu bleiben, bis die Gemüter besänftigt sind."

"Und das war alles, was er sagte?" entgegnete Ivanhoe; "sollte man nicht behaupten, Richard ermuthige durch seine Milde die Verrätherei?"

"Ja," sagte der Graf, "wie man sagen kann, derjenige fordere den Tod heraus, der mit einer gefährlichen, ungeheilten Wunde es unternimmt, ein Gefecht zu bestehen."

"Der Scherz sei Dir verziehen, Graf," sagte Ivanhoe; "allein bedenke, ich wagte nur mein eigenes Leben, Richard setzt die Wohlfahrt seines Reiches aufs Spiel!"

"Diejenigen," versetzte der Graf, "welche sich ihre eigene Wohlfahrt nicht sehr angelegen sein lassen, bekümmern sich in der Regel auch nicht viel um die anderer. Aber laß uns zum Schlosse eilen, Richard will einige der untergeordneten Mitglieder der Verschwörung bestrafen, obgleich er ihrem Anführer verziehen hat."

Aus den gerichtlichen Untersuchungen, die bei die ser Gelegenheit geführt wurden, scheint so viel zu erhellen, daß Moritz de Bracy über das Meer entkam und in die Dienste Philipps von Frankreich trat; Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, der Präceptor von Templestowe, wurden hingerichtet. Waldemar Fitzurse, obgleich die Seele der Verschwörung, kam mit der Verbannung davon.

Kurz nach dem erwähnten Zweikampfe wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards beschieden, der sich zu York aufhielt. Cedric schüttelte zwar den Kopf zu dieser Botschaft, fand sich aber doch ein. In der Tat hatte Richards Rückkehr jede Hoffnung in ihm erstickt, die sächsische Dynastie in England wiederhergestellt zu sehen; denn so bedeutend auch der Anhang der Sachsen bei einem bürgerlichen Kriege gewesen sein möchte, so war es doch klar, daß sie unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts ausrichten konnten, da er durch seine persönlichen Eigenschaften und seinen kriegerischen Ruhm die Herzen des Volkes gewonnen hatte.

Athelstane gab die Bewerbung um Rowenas Hand auf. Als Cedric einen letzten Versuch machte, ihn für sein Projekt zu gewinnen, fand er ihn in einem wütenden Kampfe mit den Mönchen, die ihn lebendig beerdigt hatten. Er schonte keine Glatze, deren er habhaft wurde, und ließ jeden Mönch drei Tage lang – fasten.

Kaum war Cedric sieben Tage am Hofe gewesen, als er auch schon seine Einwilligung zur Vermählung seiner Mündel Rowena mit seinem Sohne Wilfred von Ivanhoe gegeben hatte.

Die Trauung unseres Helden wurde in einem der erhabensten Tempel, dem Münster zu York, gefeiert. Der König selbst wohnte ihr bei, was die Sachsen höchst zuversichtlich stimmte. Die römische Kirche entfaltete dabei all den Pomp, den sie noch jetzt mit so günstigem Erfolge zu benutzen weiß, um die Gemüter zu gewinnen und zu fesseln.

Gurth, stattlich ausstaffirt, folgte seinem jungen Herrn, dem er so treu gedient hatte, als Knappe, und der großmütige Wamba trug an diesem Tag eine neue Kappe und einen ungeheuren Schmuck von silbernen Glöckchen. Sowie sie Wilfreds Unglück und Gefahren redlich geteilt hatten, blieben sie auch im Glück seine Gefährten.

Außer diesem Dienergefolge wurde die Hochzeit noch verherrlicht durch den Besuch vornehmer Normänner und Sachsen, die den allgemeinen Jubel der niederen Stände teilten, welche in dieser Verbindung ein Pfand künftigen Friedens erblickten. Cedric lebte noch so lange, um den Anfang dieser Verschmelzung zu bemerken; allein erst unter der Regierung Eduards des Dritten wurde die Mischsprache, die jetzt englisch heißt, am Hofe zu London gesprochen, sowie auch erst von dieser Zeit an der feindliche Unterschied zwischen Normannen und Sachsen gänzlich verschwunden zu sein scheint. Doch sprach man bis zum Jahre 1400 in den oberen Schichten des Volkes noch französisch, wenn auch sehr vom Pariser Accent abweichend.

Am zweiten Morgen nach ihrem Hochzeitstage wurde der Lady Rowena von ihrer Zofe Elgitha gemeldet, daß ein junges Mädchen da sei, welches mit ihr ohne Zeugen zu sprechen wünsche. Rowena wunderte sich darüber, wurde aber neugierig, ließ das Mädchen hereinkommen, und befahl ihren Leuten, sich zu entfernen.

Sie trat ein – eine edle, imposante Gestalt. Der lange, weiße Schleier, der sie umfloß, beschattete mehr die Anmut und Majestät ihres Wesens, als daß er sie verhüllte. Ihr Benehmen war höchst achtungsvoll, doch ohne den mindesten Schatten von Furcht, oder das Bestreben, sich Rowenas Gunst zu erwerben. Rowena war stets bereit, fremde Ansprüche anzuerkennen und fremde Gefühle zu teilen. Sie stand auf, und würde sogleich den liebenswürdigen Besuch zu einem Sitze geführt haben, aber dieser sah Elgitha an, und äußerte abermals den Wunsch, mit Lady Rowena allein zu reden. Elgitha war nicht so bald verschwunden, als zum Erstaunen der Lady von Ivanhoe die schöne Fremde sich auf ein Knie vor ihr niederließ, ihre Hand vor die Stirn legte, dann das Haupt zur Erde beugte, und trotz Rowenas Widerstand den gestickten Saum ihres Kleides küßte.

"Wozu das?" fragte die überraschte junge Frau; "warum beweiset Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?"

"Weil ich Euch, Lady von Ivanhoe," sagte Rebekka aufstehend und ihre gewohnte ruhige Würde wieder annehmend, "gesetzlich und ohne Zurückweisung die Schuld der Dankbarkeit abtragen kann, die der Ritter von Ivanhoe von mir zu fordern hat. Ich bin, verzeiht die Kühnheit, womit ich Euch die Huldigung nach der Sitte meiner Nation darbringe, ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Tempelstowe sein Leben wagte."

"Mädchen," sagte Rowena, "Wilfred von Ivanhoe hat an jenem Tage nur in geringem Maße Eure unermüdete Teilnahme bei Pflege und Heilung seiner Wunden vergolten. Sprich, kann ich, kann er Dir in etwas dienen?"

"Nein," versetzte Rebekka ruhig, "doch bitte ich Euch, ihm mein dankbares Lebewohl zu bringen."

"Ihr wollt also England verlassen?" sagte Rowena, die sich kaum von dem Erstaunen über diesen seltsamen Besuch erholen konnte.

"Ich verlasse es, Lady, ehe der Mond wieder wechselt; mein Vater hat einen Bruder, der bei Mahomed Boabdil, dem Könige von Granada, in großer Gunst steht. Dorthin gehen wir, des Friedens und Schutzes sicher gegen Zahlung eines Tributs, den die Muhamedaner von unserm Volke zu fordern pflegen."

"Und seid ihr denn nicht eben so geschützt in England?" sagte Rowena. "Mein Gemahl steht bei dem Könige in Gunst, der König selbst ist gerecht und edelmütig."

"Lady," sagte Rebekka, "daran zweifle ich nicht; aber Englands Volk ist ein stolzes Geschlecht, immer mit seinen Nachbarn, oder unter sich selbst uneinig, und stets bereit, das Schwert einander in die Brust zu stoßen. Das ist kein sicherer Aufenthalt für die Kinder meines Volkes. Ephraim ist eine muthlose Taube, Isaschar ein überbürdeter Sklav, der zwischen zwei Lasten einherschreitet. In keinem Lande des Krieges und Blutes, umgeben von feindlichen Nachbarn und durch innern Zwiespalt zerrissen, kann Israel hoffen, auf seiner Wanderung Ruhe zu finden."

"Aber Du, Mädchen," sagte Rowena, "Du hast doch gewiß nichts zu fürchten! Sie, die am Krankenbette Ivanhoes als Arzt und Pflegerin wachte, sie kann nichts zu fürchten haben in England, wo Sachsen und Normannen sich wetteifernd bemühen werden, ihr die meiste Ehre zu beweisen."

"Eure Rede ist schön," entgegnete Rebekka, "und Eure Absicht noch schöner. Aber es kann nicht sein, eine Kluft ist zwischen uns befestigt. Unsere Geburt, unser Glaube verbietet uns, sie zu überschreiten. So lebt denn wohl! Doch ehe ich scheide, gewährt mir noch eine Bitte! Der bräutliche Schleier bedeckt Euer Angesicht, erhebt ihn, und laßt mich das Gesicht schauen, von dem der Ruf so bewundernd spricht."

"Es ist des Anschauens kaum wert, allein ein Gleiches von meinem Gaste erwartend, hebe ich den Schleier auf."

Sie tat es, und teils im Bewußtsein ihrer Schönheit, teils aus Scham, errötete sie dergestalt, daß Wangen, Stirn, Nacken und Busen wie mit Purpur übergossen waren. Rebekka errötete gleichfalls, allein es war nur eine vorübergehende Empfindung, und bald von tieferen Gefühlen ergriffen, entschwand die Röthe aus ihren Zügen, wie die Purpurwolke ihre Farbe verliert, wenn die Sonne unter den Horizont hinabsinkt.

"Lady," sagte sie, "das Antlitz, welches Ihr mir gezeigt habt, wird lange in meinem Gedächtnisse bleiben. Anmut und Güte sind darin vereinigt, und wenn sich ein Anstrich von dem Stolze und der Eitelkeit der Welt mit einem solchen Ausdrucke von Liebenswürdigkeit vermischen sollte, wie mögen wir tadeln, daß das, was von der Erde stammt, die Farbe seines Ursprungs trägt? Lange werde ich mich Eures Gesichts erinnern, und gebe Gott, daß ich meinen edlen Befreier verlasse, vereinigt mit".

Sie stockte, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Schnell aber trocknete sie dieselben und antwortete auf Rowenas besorgliche Erkundigung nach ihrem Befinden: "Ich befinde mich wohl, Mylady, ganz wohl; aber mein Herz schwillt mir im Busen, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Tempelstowe denke! Lebt wohl! Doch einer, der geringste Teil meiner Pflicht ist noch unvollbracht. Nehmt dieses Kästchen und seid nicht ungehalten über seinen Inhalt."

Rowena öffnete das kleine, mit Silber beschlagene Kästchen und erblickte einen Halsschmuck und diamantene Ohrgehänge von unermeßlichem Werte.

"Unmöglich," sagte sie, das Kästchen zurückgebend, "ein Geschenk von solchem Werte darf ich nicht annehmen."

"O, nehmt es doch," versetzte Rebekka; "Ihr habt Macht, Rang, Einfluß; wir haben Reichtum, die Quelle unserer Kraft und unserer Schwäche; der Wert dieser Spielereien würde nicht halb so viel auszurichten vermögen, als Euer leisester Wunsch; Euch ist diese Gabe von geringer Bedeutung, mir aber von noch geringerer. Laßt mich nicht glauben, daß Ihr so niedrig von meinem Volke denkt, wie der gemeine Haufe Eurer Landsleute; denkt Ihr auch, daß ich diese flimmernden Steine höher schätze als meine Freiheit? Oder daß mein Vater sie nur der Rede wert hält, im Vergleich mit der Ehre seines einzigen Kindes? Nehmt sie, Lady, mir sind sie ohne Wert, denn nie werde ich wieder Edelsteine tragen."

"Seid Ihr denn so unglücklich?" fragte Rowena, ergriffen von der Art und Weise, in der Rebekka diese letzten Worte aussprach. "O, bleibt bei uns! Der Rat heiliger Männer wird Euch von Eurem unglücklichen Gesetze befreien, und ich will Eure Schwester sein!"

"Nein, Lady," entgegnete Rebekka, mit derselben sanften Schwermut in ihrem schönen Gesichte und ihrer milden Stimme, "das kann nicht geschehen. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht für das Klima paßt, unter dem ich wohnen will, und unglücklich, Lady, will ich nicht sein. Er, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein, wenn ich seinen Willen tue."

"Habt Ihr denn Klöster, in deren eins Ihr Euch zu begeben gedenkt?" fragte Rowena.

"Nein, Mylady," sagte die Jüdin, "aber unter unserm Volke hat es seit Abrahams Zeiten Frauen gegeben, welche ihre Gedanken dem Himmel weihten, und ihre Handlungen der Menschenliebe; sie pflegten den Kranken, speisten den Hungrigen und trösteten den Elenden. Unter diese soll Rebekka gezählt werden. Das sage Deinem Herrn, wenn er nach dem Schicksal derjenigen fragen sollte, deren Leben er einst rettete."

Es war ein unwillkürliches Beben in Rebekkas Stimme, und eine Zartheit in ihrem Tone, die vielleicht mehr verriethen, als sie wünschte. Sie eilte, von Rowena Abschied zu nehmen.

"Lebt wohl, lebt wohl," sagte sie. "Möge der, welcher Juden und Christen schuf, seine schönsten Segnungen über Dich ausschütten. Das Schiff, welches uns von hier tragen soll, möchte vielleicht unter Segel gehen, ehe wir den Hafen erreichen können."

So schlüpfte sie aus dem Zimmer und ließ Rowena in Erstaunen zurück, gleich als sei ein Traumgesicht an ihr vorübergegangen. Die schöne Sächsin erzählte die wunderbare Unterredung ihrem Gemahl, auf dessen Gemüt sie einen tiefen Eindruck machte. Er lebte lange und glücklich mit Rowena; denn beide waren einander mit der reinsten Liebe zugetan, welche sehr erhöht wurde durch das Andenken an die Schwierigkeiten, die sich ihrer Verbindung entgegengestellt hatten. Indessen würde es vermessen sein, zu fragen, ob die Erinnerung an Rebekkas Schönheit sich nicht öfter bei ihm erneute, als der schöne Sprößling König Alfreds es gern gesehen.

Ivanhoe zeichnete sich in Richards Diensten bedeutend aus und erhielt fernere Beweise seiner königlichen Gunst. Er würde sich wohl noch höher aufgeschwungen haben, hätte nicht der frühe Tod Richards vor dem Schlosse Chalez bei Limoges dies verhindert. Mit dem Leben eines edelmütigen, aber feurigen und romantischen Monarchen scheiterten alle Pläne, die sein Ehrgeiz und sein Edelmut entworfen hatten, und auf ihn lassen sich mit geringer Veränderung die Verse anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden dichtete:

Ihm ward der Tod verhängt am fremden Strand
Vor einer kleinen Burg von niedrer Hand;
Erbleichend staunte man den Namen an
Stoff für Moral; doch Stoff auch zum Roman.

 

 

Inhalt



Einleitung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22 

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

 

 

Einleitung



Über jene liebliche Gegend des fröhlichen England, die von dem Flusse Don bewässert wird, dehnte sich in alten Zeiten ein weiter Wald aus, der den größeren Teil der schönen Hügel und Thäler zwischen Sheffield und der anmuthigen Stadt Doncaster bedeckte. Die Überbleibsel dieses Waldes sind noch in der Nähe der Landspitze Wentworth, WarncliffePark und um Rotherdam zu sehen. Hier hauste vor alters der fabelhafte Drache von Wantley; hier wurden mehrere der blutigsten Schlachten während der Bürgerkriege der beiden Rosen gefochten; und hier blühten auch in alten Zeiten jene Banden von tapferen Geächteten, deren Taten in den englischen Volksliedern so häufig verherrlicht wurden.

Dies ist vornehmlich der Schauplatz unserer Erzählung; der Zeit nach fällt dieselbe gegen das Ende der Regierung Richards des Ersten, als seine Rückkehr aus der langen Gefangenschaft von seinen verzweifelnden Untertanen, die in der Zwischenzeit jeder Unterdrückung ausgesetzt waren, mehr gewünscht als gehofft wurde. Die Edlen, deren Macht während Stephans Regierung alle Grenzen überschritt, und welche Heinrichs des Zweiten Umsicht kaum zu einiger Unterwürfigkeit zurückgeführt, hatten jetzt ihre alte Freiheit in der äußersten Ausdehnung wieder gewonnen, verachteten das ohnmächtige Einschreiten des englischen Staatsrats, befestigten ihre Schlösser, verstärkten die Anzahl ihrer englischen Dienstleute, machten ihre ganze Umgebung von sich abhängig und wendeten alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel an, sich an die Spitze von Streitkräften zu stellen, die sie in den Stand setzten, bei den drohenden bürgerlichen Unruhen eine Rolle zu spielen.

Die Lage des niedern Herrenstandes oder der sogenannten Freisassen, die kraft des Gesetzes und Geistes der englischen Constitution berechtigt waren, sich von der Feudaltyrannei unabhängig zu erhalten, wurde jetzt höchst bedenklich. Wenn sie sich, was gewöhnlich der Fall war, in den Schutz eines der winzigen Könige in der Nachbarschaft begaben, Lehnsdienste in seinem Haushalt übernahmen, oder sich durch gegenseitige Schutz und Trutzbündnisse verbindlich machten, ihn bei seinen Unternehmungen zu unterstützen, so mochten sie sich freilich für den Augenblick Ruhe erkaufen; doch geschah dies nothwendigerweise mit Aufopferung jener Unabhängigkeit, die jedem englischen Herzen so teuer war, und auf die gewisse Gefahr hin, als Teilnehmer in jede unbesonnene Unternehmung verwickelt zu werden, zu welcher der Ehrgeiz ihres Beschützers denselben nur immer verleiten mochte. Andrerseits waren die Mittel zu Quälerei und Bedrückung, die den großen Baronen zu Gebote standen, so vielfach und derartig, daß ihnen selten ein Vorwand und nie der Wille fehlte, jeden ihrer weniger mächtigen Nachbarn, der es wagte, sich ihrer Autorität zu entziehen und in den gefahrvollen Zeiten von den Landesgesetzen Schutz zu erwarten, in Schrecken zu setzen und bis an den Rand des Verderbens zu verfolgen.

Ein Umstand, der sehr dazu beitrug, die Tyrannei des Adels und die Leiden der niederen Klassen zu erhöhen, rührte von der Eroberung Wilhelms, Herzogs der Normandie, her. Vier Menschenalter hatten nicht hingereicht, das feindselige Blut der Normannen und Angelsachsen zu verschmelzen oder durch gemeinschaftliche Sprache und wechselseitige Interessen zwei feindliche Rassen zu einigen, von denen die eine noch immer den Stolz des Triumphes fühlte, während die andere unter den Folgen der Niederlage seufzte. Die Macht war infolge der Schlacht bei Hastings gänzlich in den Händen des normännischen Adels, und wie die Geschichtsschreiber versichern, wurde dieselbe keineswegs mit Mäßigung geübt. Das ganze Geschlecht der angelsächsischen Fürsten und Edeln war mit wenigen Ausnahmen ausgerottet oder aus seinem Erbe verdrängt; auch war die Zahl derer nicht groß, welche in dem Lande ihrer Väter Besitzungen der zweiten oder einer noch niedrigern Lehnsklasse hatten. Schon längst war die königliche Politik dahin gerichtet gewesen, durch gesetzliche oder ungesetzliche Mittel die Kraft jener Bevölkerung zu schwächen, von der man annehmen konnte, daß sie den unauslöschlichsten Widerwillen gegen ihre Besieger hege. Alle Monarchen vom normännischen Stamm hatten die unverkennbarste Vorliebe für ihre normännischen Untertanen gezeigt; die Jagdgesetze und viele andere, die nicht weniger dem milderen und freiern Geiste der angelsächsischen Verfassung unbekannt waren, hatte man dem Nacken der unterjochten Einwohner aufgelegt, um gleichsam die Last der Lehnsfesseln noch zu vermehren. Am Hofe und in den Schlössern der Großen, wo man den Pomp und die Pracht nachahmte, bediente man sich ausschließlich des normännischen Französisch, in den Gerichtshöfen wurden die Verhandlungen und Urteile in derselben Sprache abgefaßt. Kurz, französisch war die Sprache der Ehre, des Rittertums und selbst der Gerechtigkeitspflege, während das bei weitem männlichere und ausdrucksvollere Angelsächsisch dem Gebrauche der Bauern und Leibeigenen überlassen wurde, die keine andere Sprache kannten. Indes veranlaßte der nothwendige Verkehr zwischen den Herren des Bodens und jenen untergeordneten Wesen, die diesen Boden bebauten, die allmähliche Bildung eines aus dem Französischen und Angelsächsischen gemischten Dialekts, in welchem sie sich gegenseitig verständlich machen konnten, und aus dieser Notwendigkeit entstand nach und nach die Structur des Neuenglischen, in welchem die Sprache der Sieger und der Besiegten glücklich verschmolzen ist, und die später durch die Schätze der classischen Sprachen und die der südlichen Nationen Europas so sehr bereichert und vervollständigt wurde.

Dieser große nationale Unterschied blieb bis zu den Zeiten Eduards III. bestehen, wenn auch nicht gerade Kriege oder Empörungen das Dasein der Angelsachsen bekundeten. Aber es erhielt sich eine volksthümliche, sogar in späterer Zeit noch bisweilen alliterirende Literatur neben den französisch geschriebenen Ritterromanzen, die nur dem Adel zugänglich waren.

Kapitel 1



So sprachen sie, dieweil die satten Schweine Heimzogen
Abends aus dem Buchenhaine
Mit Quieken, Grunzen, widerwill'gem Schrei'n
Ging jedes lärmend in den Stall hinein.

Popes Odyssee

Die Sonne ging über einer der grasreichen Lichtungen jenes Waldes unter, den wir in dem Vorwort erwähnt haben. Hunderte von Eichen mit breitem Wipfel, kurzem Stamm und weit verbreiteten Ästen, die vielleicht noch den Marsch der stattlichen römischen Legionen gesehen hatten, streckten ihre knorrigen Arme über einen dichten Teppich frischen Rasens aus. An einigen Stellen waren sie mit Buchen, Stechpalmen und so dichtem Unterholz vermischt, daß die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne nicht hindurchdrangen; an anderen Stellen standen sie weit auseinander und bildeten jene langen Fernsichten, in deren Irrgängen das Auge sich mit Entzücken verliert, während die Phantasie dieselben als die Pfade zu noch wilderen Szenen der Waldeinsamkeit betrachtet. Hier verbreiteten die roten Strahlen der Sonne ein gebrochenes Licht, welches zum Teil an den belaubten Ästen und moosbewachsenen Stämmen der Bäume hing, zum Teil einzelne Stellen des Rasens beleuchtete. Ein freier Baum in der Mitte dieser Lichtung schien den Gebräuchen druidischen Aberglaubens geweiht gewesen zu sein, denn auf dem Gipfel eines kleinen regelmäßigen und darum fast künstlich zu nennenden Hügels zeigte sich noch der Rest eines Kreises von rauhen, unbehauenen Steinen, deren ungeheure Größe auffiel. Sieben standen aufrecht, die übrigen waren wahrscheinlich durch den Eifer eines zum Christentum Bekehrten umgestürzt und lagen teils in der Nähe ihrer früheren Stelle, teils am Abhang des Hügels. Nur ein einziger großer Stein war bis an den Fuß herabgestürzt und hemmte den Lauf eines kleinen Baches, der sich friedlich um die Erhöhung wand, und verlieh durch seinen Widerstand dem ruhigen und sonst stillen Bächlein eine murmelnde Stimme.

Die beiden menschlichen Gestalten, die diese Landschaft belebten, teilten hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Ansehens den wilden und ländlichen Charakter, der dem Gehölze von West Riding (Yorkshire) zu jener Zeit eigen war. Der ältere von diesen Männern hatte ein wildes und finsteres Aussehen. Seine Kleidung war von der einfachsten Art, die man denken kann. Sie bestand in einer eng anschließenden Jacke mit Ärmeln, die aus einem gegerbten Tierfelle verfertigt war, an welchem man ursprünglich das Haar gelassen hatte. Doch da es an vielen Stellen abgescheuert war, so konnte man an den wenigen noch übrigen Haarbüscheln nur mit Schwierigkeit unterscheiden, welchem Tiere es angehört hatte. Dieses Kleid reichte dem Manne der Vorzeit vom Halse bis an die Kniee, und war das einzige, welches er trug. Am Halse befand sich eine Öffnung, die nur groß genug war, um den Kopf durchzulassen, woraus man schließen konnte, daß er es nach Art eines heutigen Hemdes oder einer altertümlichen Halsberge anlegte, indem er es über Kopf und Schultern zog. Sandalen, mit Riemen von Eberfell festgebunden, schützten seine Füße, und eine Rolle dünnen Leders war künstlich um seine Beine gewickelt, die bis über die Wade ging und wie die eines schottischen Hochländers die Kniee bloß ließ. Um die Jacke fester um den Leib zusammenzuziehen, war sie in der Mitte von einem breiten ledernen Gürtel gehalten und mit einer kupfernen Schnalle versehen. An der einen Seite desselben war eine Tasche befestigt, und an der andern hing ein Bockshorn, mit einem Mundstück, um darauf zu blasen. In demselben Gürtel stak eins von jenen langen, breiten, scharf zugespitzten, zweischneidigen Messern, mit einem Griffe von Bockshorn, wie sie in der Gegend, selbst zu jener frühen Zeit, unter dem Namen Sheffielder Messer fabricirt wurden. Der Mann trug keine Kopfbedeckung. Sein Haupt wurde bloß durch sein eigenes dichtes Haar beschützt, welches verschlungen und zusammengefilzt war. Es hatte von der Sonne eine rostige dunkelrothe Farbe angenommen und bildete einen Gegensatz zu dem mächtigen Barte an seinen Wangen, der von gelblicher Farbe war. Nur ein Teil seiner Kleidung blieb bis jetzt unerwähnt, der zu merkwürdig ist, um übergangen zu werden. Es war dies ein kupferner Ring, einem Hundehalsband nicht unähnlich, doch ohne Öffnung und um seinen Hals so lose festgelöthet, daß er ihn nicht am Atmen hinderte, aber doch so dicht anliegend, daß er ohne Anwendung einer Feile nicht abgenommen werden konnte. Auf diesem seltsamen Halsschmucke war in angelsächsischen Runen eine Inschrift folgenden Inhalts eingegraben: "Gurth, der Sohn Beowulfs, ist der geborne Leibeigene Cedrics von Rotherwood."

Neben dem Schweinehirten, denn ein solcher war Gurth, saß auf einem der umgestürzten druidischen Denkmäler ein Mann, dem Ansehen nach etwa zehn Jahre jünger, dessen Kleider, obgleich denen seines Gefährten ähnlich, von etwas besserem Material, jedoch phantastischer, waren. Seine Jacke war von heller Purpurfarbe, auf die man versucht hatte, groteske Zieraten in verschiedenen Farben zu malen. Außer der Jacke trug er noch einen kurzen Mantel, der kaum bis zur Hälfte über seine Schenkel reichte. Er war von hochrothem Tuch, ziemlich beschmutzt, und mit einem hellgelben Besatze versehen; da er ihn von einer Schulter auf die andere legen oder nach Gefallen ganz um sich zuziehen konnte, weil die Weite mit der Kürze in keinem Verhältnis stand, so bildete derselbe ein seltsames Stück Draperie. Er trug dünne silberne Armbänder und ein Band von demselben Metall um den Hals, auf welchem die Inschrift stand: "Wamba, der Sohn des Witleß, ist der Leibeigene Cedrics von Rotherwood." Dieser Mensch trug dieselben Sandalen wie sein Gefährte, aber anstatt der ledernen Umhüllung steckten seine Beine in einer Art von Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war. Auch war er mit einer Kappe versehen, an welcher mehrere Schellen von der Größe derjenigen, die man den Falken anhängt, rings herum angebracht waren; dieselben klingelten, sobald er den Kopf von einer Seite zur andern bewegte, und da er selten eine Minute in der nämlichen Stellung blieb, so schien das Geklingel fast unaufhörlich. Um den Rand seiner Kappe befand sich eine steife lederne Binde, die aber ausgeschnitten war und einer Grafenkrone glich, während sich aus dem Innern derselben ein langer Beutel erhob und auf die eine Schulter niederfiel, ähnlich einer altmodischen Nachtmütze, einem Filtrirsack oder dem Kolpak eines deutschen Husaren. An diesem Teile der Kappe waren die Schellen befestigt, was ihn zusammen mit der Form seiner Kopfbedeckung und dem halb verrückten halb pfiffigen Ausdruck seines Gesichts hinlänglich als einen jener Hansnarren oder Spaßmacher bezeichnete, die in den Familien der Reichen gehalten wurden, um die Langeweile jener lästigen Stunden zu verkürzen, die sie im Hause zuzubringen genötigt waren. Auch er trug, wie sein Gefährte, eine Tasche am Gürtel, hatte aber weder Horn noch Messer. Man rechnete ihn wahrscheinlich zu der Klasse von Menschen, denen man scharfe Werkzeuge nicht gern anvertraut. Anstatt derselben führte er ein hölzernes Schwert, ähnlich demjenigen, mit welchem Harlekin auf der modernen Volksbühne heute noch seine Wunder ausführt.

Das äußere Aussehen dieser beiden Männer bildete kaum einen stärkeren Contrast als ihr Ausdruck und ihr Benehmen. Der Knecht war finster und traurig. Sein Blick war mit dem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit auf den Boden geheftet, und man hätte diese für Gefühllosigkeit halten können, wenn nicht das Feuer, welches hin und wieder in seinem roten Auge funkelte, bezeugt hätte, daß dort unter dem Anschein düstrer Trostlosigkeit ein Gefühl des Druckes und die Neigung zum Widerstand schlummre. Wambas Blicke dagegen zeigten, wie das bei dieser Klasse gewöhnlich, eine Art leerer Neugier nebst der äußersten Selbstzufriedenheit hinsichtlich seiner Lage und der Figur, die er spielte. Ihr Gespräch wurde in angelsächsischer, d.h. der deutschen Sprache geführt, welche, wie wir bereits gesagt haben, von den unteren Klassen damals allgemein gesprochen wurde. Wollten wir ihre Unterhaltung im Original mitteilen, so würde der jetzige Leser wohl nur wenig davon verstehen, und darum liefern wir ihm die folgende Übersetzung.

"Sanct Witholds Fluch über dieses verdammte Schweinevieh!" sagte der Hirt, nachdem er heftig auf seinem Horn geblasen hatte, um die zerstreute Schweineheerde zu versammeln, die zwar seinen Ruf mit gleich melodischen Tönen beantwortete, aber keineswegs eilte, sich von dem üppigen Mahle der Buchmast und Eicheln zu entfernen, an denen sie sich erlabte, oder die sumpfigen Ufer des Baches zu verlassen, wo einige Borstentiere, halb im Schlamm versenkt, gemächlich ausgestreckt lagen, und den Ruf des Hüters nicht hörten. "Sanct Witholds Fluch über sie und mich!" sagte Gurth; "wenn der zweibeinige Wolf nicht vor Anbruch der Nacht einige von ihnen aufschnappt, so bin ich kein Mann! Hier, Packan, Packan!" rief er mit lauter Stimme einem zottigen, wolfähnlichen Hunde zu, welcher umherhinkte, als wolle er seinem Herrn die widerspenstigen Grunzer zusammentreiben helfen. "Der Teufel reiße ihm die Zähne aus." sagte Gurth, "und die Mutter des Unheils komme über den Wildmeister, der unsern Hunden die Vorderzehen abschneidet und sie zu ihrem Geschäft untauglich macht! Wamba, mach Dich auf und hilf mir, wenn Du ein Mann bist; lauf um den Hügel, um ihnen den Wind abzuschneiden; hast Du sie vor Dir, so kannst du sie treiben wie unschuldige Lämmer."

"Wahrlich," sagte Wamba, ohne sich von der Stelle zu rühren, "ich habe meine Beine über die Sache befragt, und die sind durchaus der Meinung, daß meine bunten Kleider durch diese Pfützen zu schleppen eine unfreundschaftliche Handlung gegen meine hohe Person und meine königliche Garderobe sein würde; deshalb rate ich Dir, Gurth, Deinen Packan zurückzurufen und die Herde ihrem Schicksal zu überlassen. Mögen nun Banden reisiger Kriegsleute sie treffen, oder Geächtete, oder wandernde Pilger, die werden doch vor morgen früh zu Deiner nicht geringen Ruhe und Behaglichkeit in Normänner verwandelt werden."

"Die Schweine sollen zu meiner Behaglichkeit in Normänner verwandelt werden?" sagte Gurth, "erkläre mir das, Wamba, denn mein Hirn ist zu schwerfällig und mein Gemüt zu aufgeregt, um Räthsel zu lösen."

"Nun, wie nennst Du die grunzenden Bestien, die hier auf ihren vier Beinen umherlaufen?" fragte Wamba.

"Schweine, Narr, Schweine," sagte der Hirte, "jeder Narr weiß das."

"Und Schwein ist gut deutsch oder vielmehr angelsächsisch," sagte der Spaßmacher; "aber wie nennst Du die Sau, wenn sie abgebrüht, geviertteilt und gleich einem Verräter an den Fersen aufgehängt ist?"

"Porc," antwortete der Schweinehirt.

"Es ist mir lieb, daß auch das jeder Narr weiß," sagte Wamba, "und Porc, meine ich, ist gut normännisch. Wenn also das Tier lebt und unter der Obhut eines sächsischen Knechtes steht, so führt es auch seinen sächsischen Namen, wird aber ein Normann und Porc genannt, sobald es ins Schloß gebracht wird, um von adeligen Franz oder Normännern verspeist zu werden. Was denkst Du dazu, Freund Gurth, he?"

"Die Lehre ist leider zu wahr, Freund Wamba, wie sie auch immer in Deinen Narrenschädel mag geraten sein."

"Ja, ich kann Dir noch mehr sagen," fuhr Wamba in demselben Tone fort; "da ist der Ochs, der alte Alderman, der behält seine deutsche Benennung, so lange er noch unter der Obhut von Leibeigenen steht wie Du, wird aber Monsieur Boeuf und ein feuriger französischer Ritter, wenn er vor den verehrungswürdigen Kiefern ankommt, die ihn verzehren sollen. Auch Mynheer Kalb wird auf gleiche Weise Seigneur de Veau; der Hammel ist angelsächsisch, so lange er der Wartung bedarf, und nimmt den normännischen Namen Mouton an, sobald er Gegenstand des Genusses wird."

"Bei Sanct Dunstan," antwortete Gurth, "Du sprichst nur zu traurige Wahrheiten aus; es ist uns wenig mehr übrig gelassen als die Luft, die wir einatmen, und die scheint man uns erst nach langem Bedenken zugestanden zu haben, vielleicht nur, um uns in den Stand zu setzen, die Last zu tragen, welche sie auf unsere Schultern legen. Das Schönste und Fetteste ist für ihren Tisch; das Liebenswürdigste für ihr Lager; die Besten und Tapfersten versehen ihre fremden Herren mit Kriegern, deren Gebeine in fernen Ländern bleichen, und lassen nur wenige zurück, welche den Willen und die Macht haben, uns unglückliche Sachsen zu beschützen. Gottes Segen über Cedric, er hat das Werk eines Mannes getan, der sich in die Bresche stellt, aber Reginald Front de Boeuf will in Person auf seine Besitzungen kommen, und wir werden bald sehen, wie wenig Cedrics Mühe ihm helfen wird. – Hier, hier!" rief er wieder mit erhobener Stimme, "ho ho! ho ho! Gut! Packan! gut! Du hast sie jetzt alle vor Dir und treibst sie wacker heran."

"Gurth," sagte der Possenreißer, "ich weiß, daß Du mich für einen Narren hältst, sonst würdest Du nicht so unbesonnen sein Deinen Kopf in meinen Rachen zu stecken. Ein Wort zu Reginald Front de Boeuf oder Philipp Malvoisin, daß Du verräterisch gegen Normannen geredet hast, würde machen, daß Du an einem dieser Bäume zappeltest, zum Schrecken aller, welche von Würdenträgern Übles reden; Du bist ja doch nur ein verworfner Sauhirt!"

"Hund, Du wirst mich doch nicht verraten," sagte Gurth, "nachdem Du mich verleitet hast, Mißgünstiges zu sagen?"

"Dich verraten?" anwortete der Possenreißer; "nein, das wäre der Streich eines weisen Mannes; ein Narr kann sich nicht halb so gut helfen – aber still, wer kommt hier?" sagte er, indem er auf den Hufschlag mehrerer Pferde horchte, welcher eben hörbar wurde.

"Kümmere Dich nicht um die da," antwortete Gurth, der jetzt seine Herde vor sich hatte und sie mit Packans Hilfe einen der langen schattigen Baumgänge hinuntertrieb, die wir soeben zu beschreiben versucht haben.

"Nicht doch! Ich muß die Reiter sehen," antwortete Wamba; "vielleicht kommen sie aus dem Feenlande mit einer Botschaft vom König Oberon."

"Die Pest hole Dich!" versetzte der Schweinehirt, "willst Du von solcherlei Dingen reden, während ein furchtbares Wetter mit Donner und Blitz nur wenige Meilen von uns wüthet? Horch, wie der Donner rollt! und als Sommerregen sah ich noch nie so große grade Tropfen aus den Wolken niederfallen; auch die Eichen seufzen und krachen, trotz der ruhigen Luft, in ihren großen Ästen, als kündigten sie ein heftiges Ungewitter an. Du kannst vernünftig sein, wenn Du willst; folge mir nur diesmal und laß uns nach Hause, ehe das Ungewitter zu toben beginnt, denn es wird eine furchtbare Nacht werden."

Wamba schien die Gewalt dieser Anrede zu empfinden und begleitete seinen Gefährten, der seine Wanderung begann und den langen Knotenstock aufnahm, der neben ihm im Grase lag. Dieser Eumäus der Zweite schritt hastig die Lichtung des Waldes hinunter und trieb mit Packans Hilfe die ganze Herde seiner unharmonischen Pfleglinge vor sich her.

Kapitel 2



Auch war ein Mönch da, wie zum Herrn gemacht
Der jagend oft zu Roß den Tag vollbracht.
Gar stattlich wie ein Abt zu sein begehrt,
Im Stalle hielt er manch ein muntres Pferd.
Und wenn er ritt, so klingelten die Zügel
Wie das Kapellenglöcklein an dem Hügel,
Allwo der Lord in einer Zelle wohnte.

Chaucer

Trotz des gelegentlichen Mahnens und Scheltens von Seiten seines Gefährten konnte Wamba, da der Hufschlag der Pferde sich immer mehr näherte, nicht verhindert werden, mehrmals, unter welchem Vorwande es auch sein mochte, auf dem Wege stillzustehen. Bald riß er eine Traube halbreifer Haselnüsse ab, bald wandte er sich um, einem Dorfmädchen nachzuglotzen, das über ihren Weg ging. Die Reiter holten sie deshalb schnell auf der Straße ein.

Es waren zehn Mann, von denen die beiden voran reitenden Männer von bedeutender Wichtigkeit, und die andern ihre Gefolgsleute zu sein schienen. Den Stand und Charakter des einen von ihnen zu erraten war nicht schwer. Er war offenbar ein Geistlicher von hohem Range; seine Kleidung war die eines Cisterciensermönchs, bestand jedoch aus viel feineren Stoffen, als die Regel jenes Ordens sie gestattete. Mantel und Kapuze waren von dem besten flandrischen Tuch und sie legten sich in weiten, aber nicht ungraziösen Falten um eine schöne, obgleich etwas corpulente Figur. Sein Gesicht trug ebensowenig die Zeichen der Selbstvernichtung, als sein Kleid Verachtung weltlichen Glanzes andeutete. Seine Züge waren schön zu nennen, wenn nicht unter seinem Augenlide jenes schlaue epikureische Blinzeln gelauscht hätte, das den vorsichtigen Wollüstling andeutet. In anderer Hinsicht hatten Stand und Verhältnisse ihn eine schnelle Herrschaft über seine Gesichtszüge gelehrt, die er nach seinem Belieben zu einem feierlichen Ausdruck zusammenziehen konnte, obgleich sie gewöhnlich nur gutgelaunte, gesellige Nachsicht andeuteten. Den klösterlichen Regeln und den Edicten der Päpste und Concilien zum Trotz waren die Ärmel am Kleid dieses Würdenträgers gefüttert und hatten Aufschläge von kostbarem Pelzwerk. Sein Mantel ward am Halse von einem goldenen Haken zusammengehalten, und die ganze zu seinem Orden gehörige Kleidung war so sehr verfeinert und verziert, wie die einer schönen Quäkerin des heutigen Tages, die, während sie das Costüm ihrer Secte beibehält, der Einfachheit desselben durch die Wahl des Stoffes und die Art, wie sie denselben anwendet, eine gewisse kokette Anziehungskraft zu geben weiß, die nur zu sehr an die Eitelkeit der Welt erinnert.