Ein Ratgeber für
Betroffene, Angehörige und
Therapeuten
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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1. Auflage 2006
ISBN 978-3-8248-0685-0 (PC-PDF)
Alle Rechte vorbehalten
© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein 2006
Lektorat: Doris Zimmermann
Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck
Umschlagfotos: www.photocase.com, Archiv Schulz-Kirchner Verlag
Druck und Bindung: Elektra, Niedernhausen
Printed in Germany
Vorwort des Herausgebers
Einleitung
Gewebeveränderungen im Bereich der Zunge und des Mundbodens
Das Plattenepithelkarzinom
Häufigkeit und Ursachen der Erkrankung
Erste Symptome und Prognose
Die medizinische Versorgung oraler Tumore
Diagnostik
Das therapeutische und chirurgische Vorgehen
Anatomie und funktionelle Besonderheiten der Zunge
Die Versorgung der Zunge
Die Zungenmuskeln
Zungen- und Mundbodenresektionen in der Tumorchirurgie
Das operative Vorgehen bei oraler Defektdeckung
Strahlenbehandlung und Chemotherapie
Das Leben nach einem chirurgischen Eingriff oder einer Radiochemotherapie
Die Nahrungsaufnahme
Die Lautbildung
Die Bildung von Vokalen
Die Bildung von Konsonanten
Übungen zur Schulung von Lippen-, Kiefer- und Zungenbewegungen
Motorische Übungen
Artikulatorische Übungen
Der motorische Untersuchungsbogen
Tumornachsorge
Informations- und Literaturhinweise
Glossar
Bildnachweis
Die Ratgeber für „Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen der Gesundheit, der Medizin und der Therapieberufe (Sprachtherapie, Ergotherapie, Physiotherapie). Die Autorinnen und Autoren der Reihe sind ausgewiesene Fachleute mit langjähriger Erfahrung in Therapie, Beratung und Lehre.
Orale Tumore sind ein interdisziplinäres Thema, zu dem kaum allgemein verständliche Literatur existiert. Erfreulicherweise hat Frau Dr. Koppetsch diese Lücke mit ihrem Band in der RATGEBER-Reihe geschlossen. Für Betroffene, Angehörige wie auch Fachleute werden Grundtatsachen der Problematik kompetent und verständlich dargelegt. Wir hoffen, mit dieser Arbeit indirekt zur Lebensqualität Betroffener beitragen zu können.
Prof. Dr. Jürgen Tesak
Dekan Fachbereich Gesundheit
Europa Fachhochschule Fresenius
Hinweise auf die Kenntnis von Karzinomen der Mundhöhle sind bereits im Corpus hippocraticum (5.-3. Jhd. v. Chr.), dem umfassenden Sammelwerk der altgriechischen Heilkunde, zu finden. Auch die Problematik der Beurteilung und Behandlung von Mundhöhlenkarzinomen wird schon in historischen Schriften besprochen und diskutiert. Sie wurde jedoch lange Zeit nur als Teilgebiet der Onkologie behandelt, und so existieren in älteren medizinischen Schriften lediglich allgemeinärztliche und chirurgische Abhandlungen. Ihr vordergründiges Ziel war es, das Überleben der Patienten zu sichern, der Erhalt der Lebensqualität spielte jedoch eher eine untergeordnete Rolle.
Erst in den vergangenen Jahrzehnten nahm, neben dem Ziel Untersuchungs-, Aufnahme-, Diagnoseverfahren und chirurgische Techniken weiterzuentwickeln, das Bemühen um den Erhalt der Lebensqualität der betroffenen Patienten zu. Heute beschäftigen sich Fachdisziplinen wie die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die Onkologie, die Sprachtherapie und Sprachpathologie, die Klinische Linguistik und die Phonetik/ Sprachakustik mit den unterschiedlichen Behandlungsmethoden oraler Tumore und den daraus resultierenden funktionellen Folgen. Trotz des wachsenden Interesses wird in verschiedenen Fachartikeln häufig kritisch betont, dass es zu wenige Veröffentlichungen und zu wenige Langzeitstudien gibt, die klinisch und therapeutisch relevant sind. Die Möglichkeiten der Information sind daher nur sehr begrenzt. Der vorliegende Ratgeber soll helfen, diese Lücke zu schließen. Da er sowohl für Betroffene als auch Therapeuten gedacht ist, und somit unterschiedliche Lesergruppen angesprochen werden sollen, wurde die Thematik so bearbeitet, dass zunächst die Problematik der oralen Tumore und mögliche therapeutische und medizinische Behandlungsverfahren dargestellt werden. Im Anschluss werden die häufigsten funktionellen Folgen und Möglichkeiten der Bewegungs- und Artikulationsschulung und der Tumornachsorge vorgestellt.
Um besonders dem fachfremden Leser das Verständnis für die vielfältigen Fachbegriffe zu erleichtern, wurden die wichtigsten entweder im Text oder im Glossar erklärt. Auf ihren Gebrauch wurde bewusst nicht verzichtet, da Betroffene in der Praxis häufig mit ihnen konfrontiert werden.
Informations- und Literaturhinweise, eine Zusammenstellung informativer Ratgeber, ein Verweis auf online-Foren und mögliche Ansprechpartner werden am Ende des Ratgebers vorgestellt.
Ein umfassender Literaturüberblick ist im Internet unter:
http://www.schulz-kirchner.de/logopaedie/downloadsl.htm einsehbar.
Mit Gewebeveränderungen beschreibt man gutartige (benigne) oder bösartige (maligne) Neubildungen von Gewebe (Krebs, Neoplasien, Tumore). Sie können überall im Körper vorkommen, so auch in der Mundhöhle (Cavum oris proprium).
Gutartige Neubildungen bestehen aus Zellen, die den normalen Zellen ähneln. Sie wachsen langsam, erzeugen keine Tochtergeschwülste und durchdringen in der Regel beim Wachstum nicht das umliegende Gewebe. Sie verdrängen das Nachbargewebe jedoch mit fortschreitendem Wachstum und können das umliegende Gewebe z.B. durch zu großen Druck (Drucknekrosen) verletzen oder zerstören.
Unter bösartigen Neubildungen (Malignome, Neoplasien) versteht man autonome (unabhängige) und irreversible (nicht umkehrbare) Gewebewucherungen, so genannte ungeordnete Zellhaufen mit fortschreitendem Wachstum. Sie bestehen aus entarteten Zellen, die sich teilen und das umliegende gesunde Gewebe zerstören. Maligne Tumore wachsen nicht nur nach außen (expansiv), sondern auch nach innen (infiltrativ) und zerstören das Gewebe (gewebedestruierend). Sie wandern vom Ursprungsort über das Blut- oder Lymphsystem in andere Organe und vermehren sich dort als Tochtergeschwülste (Metastasen).
Unter malignen Kopf-Hals-Tumoren versteht man bösartige Tumore, die sich im Mund-Nasen-Rachenraum sowie im Hals entwickeln. Nach dem Ursprungsgewebe unterscheidet man:
Karzinome, die sich aus der Haut oder der Schleimhaut entwickeln (Abb. 1.1-links),
Lymphome, die im lymphatischen Gewebe entstehen (Abb. 1.1-rechts),
Sarkome, die sich vom Binde- und Stützgewebe ableiten (Abb. 1.2).
Zu den am häufigsten vorkommenden bösartigen Neoplasien im Bereich der Schleimhäute und an deren Übergang zur normalen Haut zählt das Plattenepithelkarzinom (PECA) (Abb. 1.3). Seine Häufigkeit wird mit über 95% aller Kopf-Hals-Tumore angegeben. Daher soll im Folgenden auf diese Form der malignen Gewebeveränderung ausführlicher eingegangen werden.
Das PECA wird auch als spinozelluläres Karzinom oder Stachelzellkarzinom bezeichnet. Man unterscheidet zwischen dem verhornenden PECA, der häufigsten Form, und dem nicht verhornenden PECA, welches seltener vorkommt, jedoch aus klinischer Sicht bösartiger ist. Im Bereich der Zunge handelt es sich meist um verhornende Plattenepithelkarzinome, die durch ein infiltrierendes Wachstum (in die Umgebung hineinwachsend) gekennzeichnet sind.
Die Entstehung des PECA beginnt mit der Aufhebung der normalen Zellstruktur und der Entwicklung zellulärer Atypien (Fehlentwicklung). Der Tumor wächst und gibt gleichzeitig Tochterzellen (Metastasen) ab. Diese wachsen in den Absiedlungsgebieten weiter.
Eine weitere Einteilung der Tumore findet man in der Unterscheidung zwischen endophytischen und exophytischen Formen (Abb. 1.4). Die endophytischen Tumore wachsen in den Zungenmuskel und stellen die häufigste Form dar, während die exophytischen Tumore nach außen wachsen und seltener zu beobachten sind. Mit fortschreitendem Geschwulstwachstum verwischen die Grenzen zwischen den beiden Formen.