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Anita M. Kittel

Myofunktionelle
Störungen

Ein Ratgeber für Eltern und
erwachsene Betroffene

 

 

 

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

Auch als Buch erhältlich unter der ISBN 978-3-8248-0438-2

| Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Einleitung

Verordnung einer logopädischen Behandlung durch den Arzt

Was versteht man unter einer „Myofunktionellen Störung“, einer „Dystonie des Schluckaktes in der oralen Phase“ oder einer „Störung des orofazialen Gleichgewichts“?

Was passiert beim richtigen Schlucken?

Was passiert beim falschen Schlucken?

Wo befindet sich die Ruhelage der Zunge bei Falschschluckern?

Welche typischen Veränderungen sind bei einer Myofunktionellen Störung noch zu erkennen?

Welche weiteren Probleme können auftreten?

Wie lassen sich die beschriebenen Merkmale beseitigen, verbessern, verändern?

Ursachen von Myofunktionellen Störungen

Säuglingsernährung

Stillen als günstige Säuglingsernährung

Flaschenernährung als problematische Säuglingsernährung

Lutschgewohnheiten

Fingernägel kauen

Behinderte Nasenatmung

Zahn- und Kieferstellung

Kieferorthopädische Geräte

Reizüberflutung/Überforderung

Ursachen und mögliche Vorbeugung von Myofunktionellen Störungen

Wie kann professionelle Hilfe unterstützt werden?

Welche Übungen sind ungeeignet?

Geeignete Übungen zur Myofunktionellen Therapie bei Schulkindern

Geeignete Übungen für Jugendliche und Erwachsene

Geeignete Übungen für Kinder ab ca. 4 Jahren

Geeignete Übungen für Kinder zwischen 2 und 4 Jahren

Geeignete Übungen für Säuglinge und Kleinkinder

Nachwort

Anhang

Glossar

Literatur und Adressen

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Autorin

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Anita M. Kittel absolvierte ihre Ausbildung zur Logopädin in Erlangen. Seit 1982 besitzt sie eine eigene Logopädische Praxis in Reutlingen und beschäftigt sich intensiv mit der Myofunktionellen Therapie und der Entwicklung eigener Therapiekonzepte alternativ zu amerikanischen Programmen. Ihre Modifikationen gibt sie auf Tagungen und Kongressen, vor allem aber in Fortbildungen für LogopädInnen, SprachtherapeutInnen, SprachheilpädagogInnen, Atem-, Sprech- und Stimmlehrer Innen und ÄrztInnen, Eltern und Interessierte weiter.

| Vorwort zur Reihe

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie und Medizin. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren in der Therapie, in der Beratung und in der Aus-/Weiterbildung tätig sind.

Im vorliegenden Band „Myofunktionelle Störungen“ hat Frau Anita Kittel, eine durch ihre Publikationen und ihren Einsatz für die Sache weithin bekannte Therapeutin und Fachkollegin, die wesentlichen Aspekte der Thematik zusammenfassend dargestellt. Eltern betroffener Kinder finden kompetenten Rat, ebenso können jugendliche und erwachsene Betroffene Informationen und Tipps entnehmen. Ich wünsche dem Band eine gute Aufnahme durch die Leserinnen und Leser.

Prof. Dr. Jürgen Tesak †
Herausgeber

| Einleitung

Sie waren mit Ihrem Kind beim Kieferorthopäden und dieser sprach davon, dass Ihr/e 9-Jährige/r eine Myofunktionelle Therapie brauche, weil er/sie falsch schlucke. Er empfahl Ihnen, sich an eine Logopädin/eine Therapeutin zu wenden, um diese Therapie durchführen zu lassen.

Eventuell ist Ihr Kind aber noch jünger, vier oder fünf Jahre alt, und Sie wurden vom Kinderarzt zur Logopädin geschickt, weil Ihr Kind das /s/ oder das /sch/ nicht richtig aussprechen kann: Es stößt bei der s-Lautbildung an die Zähne an oder es bringt die Zunge zwischen die Zähne, das heißt, es lispelt. Es kann auch sein, dass die Luft seitlich entweicht, was umgangssprachlich als Hölzeln bezeichnet wird. Die Logopädin sagt Ihnen, dass zunächst nicht am Sprachlaut gearbeitet werden würde, sondern zuerst die Muskulatur der Zunge und der Lippen mithilfe einer Myofunktionellen Therapie ausgeglichen werden müsste.

Vielleicht hat Sie aber auch die Erzieherin darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr Kind undeutlich und verwaschen spreche.

Unter Umständen kommen Sie jedoch zur Logopädin, weil Ihnen aufgefallen ist, dass Ihr zweijähriges Kind extrem stark speichelt, wenig schluckt und ständig den Mund offen hat.

Möglicherweise ist Ihr Kind noch jünger: Ihr Kinderarzt ist sehr umsichtig und schickt Sie und Ihr Kind, das mit einer Behinderung zur Welt kam, gleich in den ersten Wochen zur Logopädin, weil bekannt ist, dass in diesen Fällen häufig Probleme mit dem Mundschluss, der Nasenatmung, dem Schlucken und der Sprachentwicklung auftreten können. Durch eine so frühzeitige Beratung, Anleitung oder Behandlung können viele Funktionen des Mundes gut gefördert und ungünstige Entwicklungen in vielen Fällen stark abgemildert werden.

Sollten Sie ein Kind mit einer Spaltbildung an Lippen und/oder Kiefer und Gaumen haben, dann suchen Sie ebenfalls sehr frühzeitig, d.h. in den ersten Lebenswochen, um Rat.

Auch ein Kind mit Morbus Down-Syndrom bekommt durch eine frühzeitige, gleich nach der Geburt einsetzenden Einflussnahme die Chance, eine korrekte Zungenlage zu entwickeln und den Mund geschlossen halten zu können. Durch die günstige Beeinflussung von Zunge und Lippen sind bessere Voraussetzungen für die spätere Artikulation gegeben.

| Verordnung einer logopädischen
Behandlung durch den Arzt

In diesem Ratgeber soll darauf eingegangen werden, bei welchen Problematiken Sie oder Ihr Kind eine Therapie benötigen.

Gründe für eine Therapie könnten sein:

Zahnstellungsanomalien in Verbindung mit einem gegen oder zwischen die Zähne gerichteten Schluckvorgang

Artikulationsstörungen in Verbindung mit inkorrektem Schluckmuster

Mundatmung

Schnarchen

Kiefergelenksbeschwerden

Kopf- und Gesichtsschmerzen

Eine geplante Kieferoperation

Probleme mit dem Zahnfleisch

Probleme mit dem Halt einer Zahnprothese

Schluckprobleme aufgrund einer Operation am Kehlkopf

Schluckprobleme aufgrund neurologischer Krankheiten

Schluckprobleme nach einem Schlaganfall oder einem Tumor

Durch diesen Ratgeber sollen Sie die Funktionen im Mund- und Gesichtsbereich in Kurzform kennen und verstehen lernen. Sie sollen erfahren, was Sie zusammen mit der Logopädin und unterstützend durch häusliches Üben tun können.

Die drei zuletzt genannten Gründe für eine Überweisung durch einen Arzt an die Logopädin kann ich allerdings nur streifen. Dafür sollten Sie einen besonderen Ratgeber in Anspruch nehmen (s. Herbst-Rietschel, 2009).

Ärztliche Diagnose und Leitsymptomatik (Haus-, Kinderarzt, Facharzt für innere Medizin) auf einem Heilmittelformular (DIN-A4-Blatt)

SP3 Störung der Artikulation, Dyslalie mit Störung des orofazialen Muskelgleichgewichts

(Wenn Artikulationsfehler des s-Lautes oder sch-Lautes oder anderer Laute neben einer Myofunktionellen Störung vorliegen.)

SC1 Störung des Schluckaktes in der oralen Phase

(Wenn keine Störung der Artikulation gleichzeitig vorliegt.)

→ Diese Diagnosen wird Ihr Hausarzt, Kinderarzt oder der HNO-Arzt auf die Heilmittelverordnung schreiben.

Ärztliche Diagnose und Verordnung (Kieferorthopäden, Zahnärzte) auf einem DIN-A6-Verordnungsblatt

Zungenfehlfunktion

Verdacht auf Sigmatismus

Sigmatismus und Zungenfehlfunktion

Sigmatismus addentalis

Sigmatismus interdentalis und orofaziale Muskelfunktionsstörung

Sigmatismus lateralis

Schetismus

Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung werde ich durchgängig von der ‚Logopädin’ sprechen, da Sie wahrscheinlich nur zu einem geringen Prozentsatz männliche Kollegen als Therapeuten bekommen werden. Selbstverständlich sind aber Personen beider Geschlechter gemeint! Eventuell sind Sie bei einer Therapeutin einer anderen Berufsgruppe in Behandlung – der Einfachheit halber werde ich auch hier von der ‚Logopädin’ stellvertretend für alle TherapeutInnen sprechen.

| Was versteht man unter einer

„Myofunktionellen Störung“, einer „Dystonie des

Schluckaktes in der oralen Phase“ oder einer

„Störung des orofazialen Gleichgewichts“?

Diese Begriffe hörten Sie möglicherweise von Ihrem Arzt, Ihrer Logopädin oder Sie lasen sie auf einer Verordnung für die Krankenkasse. Was bedeuten sie?

Mit ‚Myo’ ist ‚Muskel’ gemeint. ‚Myofunktionell’ heißt: die Funktion der Muskeln betreffend, allerdings nicht unbedingt der Hand- oder Beinmuskulatur, sondern ganz speziell der Muskeln des Mundes (oral) und des Gesichts (fazial). Dennoch werden Sie sehen, dass bei Problemen der Zungen- und Gesichtsmuskulatur oft auch an Rücken- und Bauchmuskulatur gearbeitet werden muss. Dazu aber später.

‚Dystonie’ kommt vom griechischen ‚Dys‘, es bedeutet ‚nicht ausgeglichen’, und ‚...tonie’ kommt von Tonus, was Muskelspannung bedeutet; es geht also um eine nicht ausgeglichene Muskelspannung beim Schlucken, und zwar während der Phase, die willentlich steuerbar im Mundraum (oral) abläuft.

Bevor ich erkläre, was das falsche Schlucken charakterisiert, will ich zuerst aufzeigen, was die normale Schluckfunktion ausmacht.

Was passiert beim richtigen Schlucken?