Oscar Wilde


Der glückliche Prinz und andere Märchen

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-71-2


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Die vornehme Rakete



Des Königs Sohn sollte Hochzeit halten, daher fanden allgemeine Lustbarkeiten statt. Er hatte ein ganzes Jahr auf seine Braut gewartet, und endlich war sie angekommen. Sie war eine russische Prinzessin und hatte den ganzen Weg von Finnland aus in einem Schlitten zurückgelegt, der von sechs Renntieren gezogen wurde. Der Schlitten besaß die Form eines großen goldenen Schwans, und mitten zwischen den Flügeln des Schwans lag die Prinzessin selbst. Ihr langer Hermelinmantel reichte bis zu ihren Füßen hinab, auf ihrem Kopf saß eine zierliche, silberbestickte Mütze, und sie war so bleich wie der Eispalast, in dem sie immer gelebt hatte. So bleich war sie, daß alle Leute staunten, als sie durch die Straßen fuhr. "Sie ist wie eine weiße Rose!" riefen sie und warfen von den Balkonen Blumen auf sie hinab.

Am Schloßtor wartete der Prinz, um sie zu empfangen. Er hatte träumerische, veilchenblaue Augen, und sein Haar war wie reines Gold. Als er sie sah, sank er auf ein Knie und küßte ihre Hand.

"Dein Bildnis war schön," flüsterte er, "aber du bist schöner als dein Bildnis," und die kleine Prinzessin errötete.

"Vorher war sie wie eine weiße Rose," sagte ein junger Page zu seinem Nachbar, "aber jetzt ist sie wie eine rote Rose," und der ganze Hof war entzückt.

Die nächsten drei Tage durch hatte jedermann nur die Worte im Munde: "Weiße Rose, rote Rose, rote Rose, weiße Rose," und der König gab Befehl, daß das Gehalt des Pagen verdoppelt werden sollte. Da dieser überhaupt kein Gehalt empfing, nützte ihm das nicht viel, aber es wurde für eine große Ehre angesehen und gebührend im Hofanzeiger mitgeteilt.

Als die drei Tage vorüber waren, wurde die Hochzeit gefeiert. Es war eine herrliche Zeremonie, und Braut und Bräutigam gingen Hand in Hand unter einem Baldachin von purpurnem Samt, der mit kleinen Perlen bestickt war. Dann gab es ein Prunkmal, das fünf Stunden dauerte. Der Prinz und die Prinzessin hatten die Ehrenplätze in dem großen Saal und tranken aus einem Kelch von reinem Kristall. Nur wahrhaft Liebende konnten aus diesem Kelch trinken, wenn falsche Lippen ihn berührten, wurde er mißfarben, blind und trübe.

"Es ist ganz klar, daß sie sich lieben," sagte der kleine Page, "so klar wie Kristall!" und der König verdoppelte sein Gehalt zum zweiten Male. "Welch eine Ehre!" riefen alle Höflinge.

Nach dem Mahl sollte ein Ball stattfinden. Die Braut und der Bräutigam sollten miteinander den Rosentanz tanzen, und der König hatte versprochen, die Flöte zu blasen. Er spielte sehr schlecht, aber nie hatte jemand gewagt, ihm das zu sagen, denn er war der König. Eigentlich kannte er nur zwei Melodien und wußte nie ganz genau, welche von beiden er gerade spielte; aber das machte nichts aus, denn, was er auch tat, jeder schrie doch: "Reizend! reizend!"

Der letzte Punkt des Programms war eine große Feuerwerkschau, die genau um Mitternacht losgelassen werden sollte. Die kleine Prinzessin hatte nie in ihrem Leben ein Feuerwerk gesehen, daher hatte der König den Befehl gegeben, daß der Königliche Kunstfeuerwerker an ihrem Hochzeitstage die Vorführung leiten sollte.

"Wie sieht eigentlich Feuerwerk aus?" hatte sie den Prinzen eines Morgens gefragt, als sie über die Terrasse ging.

"Es sieht aus wie das Nordlicht," sagte der König, der immer Fragen beantwortete, die an andere Leute gerichtet waren, "nur ist es viel natürlicher. Ich ziehe es sogar den Sternen vor, denn man weiß immer, wann es losgeht, und es ist so entzückend wie mein Flötenspiel. Du mußt es wirklich sehen."

So hatte man denn am Ende des Königlichen Gartens ein hohes Gestell errichtet, und sobald der Königliche Kunstfeuerwerker alles richtig hergerichtet hatte, begannen die Feuerwerkskörper miteinander zu reden.

"Die Welt ist wirklich sehr schön," rief ein kleiner Schwärmer. "Sehen Sie sich nur diese gelben Tulpen an. Wirklich! wenn sie richtige Knallschwärmer wären, könnten sie nicht lieblicher sein. Ich bin sehr froh, daß ich gereist habe. Reisen weitet wunderbar den Verstand, und man verliert alle seine Vorurteile."

"Der Königliche Garten ist nicht die Welt, Sie törichter Schwärmer," sagte eine große römische Kerze; "die Welt ist ein enormer Platz, und Sie würden drei Tage brauchen, um sie gründlich zu bereisen."

"Jeder Platz, den wir lieben, ist für uns die Welt," erklärte ein beschauliches Feuerrad, das im Anfang seines Lebens ein Verhältnis mit einer alten Spanschachtel gehabt hatte und sich viel auf sein gebrochenes Herz einbildete; "aber Liebe ist jetzt nicht mehr Mode; die Dichter haben sie getötet. Sie haben so viel darüber geschrieben, daß ihnen kein Mensch mehr glaubt, was mich auch nicht in Erstaunen setzt. Wahre Liebe duldet und schweigt. Ich erinnere mich selbst, wie ich einst, aber das ist jetzt ohne Belang. Romantik gehört der Vergangenheit an."

"Unsinn!" sagte die römische Kerze, "Romantik stirbt nie. Sie ist wie der Mond und lebt ewig. Die Braut und der Bräutigam zum Beispiel lieben sich ganz zärtlich. Eine Packpapierpatrone hat mir heute morgen alles ausführlich über die beiden erzählt. Sie lag mit mir zufällig in derselben Schublade und wußte die neuesten Hofnachrichten."

Aber das Feuerrad schüttelte seinen Kopf. "Romantik ist tot, Romantik ist tot, Romantik ist tot," hauchte es. Es war eines von jenen Leuten, die glauben, wenn sie etwas immer und immer wieder sagen, daß es dann wahr wird.

Plötzlich ertönte ein scharfes, trockenes Husten, und alle blickten sich um.

Es kam von einer schmalen, hochmütig dreinschauenden Rakete, die an das Ende eines langen Stockes gebunden war. Sie pflegte immer zu husten, bevor sie eine Bemerkung machte, um dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

"Hmmm! Hmmm!" sagte sie, und alle lauschten, mit Ausnahme des armen Feuerrades, das noch immer seinen Kopf schüttelte und hauchte: "Romantik ist tot!"

"Zur Ordnung!" schrie ein Knallschwärmer. Er war ein angehender Politiker und hatte immer einen hervorragenden Anteil an den Ortswahlen genommen, deshalb wußte er, wie man die richtigen parlamentarischen Ausdrücke anwendet.

"Ganz tot!" hauchte noch einmal das Feuerrad und schlief dann ein.

Sobald vollkommene Stille eingetreten war, hustete die Rakete zum drittenmal und begann dann zu reden. Sie sprach mit einer sehr langsamen, deutlichen Stimme, als diktierte sie ihre Memoiren, und sah die Leute, mit denen sie sprach, immer über die Achsel an. Sie hatte wirklich ein sehr hervorragendes Benehmen.

"Welch ein Glück ist es für den Sohn des Königs," bemerkte sie, "daß er gerade an demselben Tag verheiratet wird, an dem ich abbrenne. Wirklich, wenn es absichtlich so eingerichtet wäre, es hätte nicht glücklicher für ihn bestimmt werden können; aber Prinzen haben immer Glück."

"Du lieber Himmel!" sagte der kleine Schwärmer, "ich dachte, es wäre gerade umgekehrt, und wir würden zu Ehren des Prinzen abgebrannt werden."

"Bei Ihnen mag das ja zutreffen," entgegnete die Rakete; "wirklich, ich zweifle nicht daran, aber bei mir liegt die Sache doch ganz anders. Ich bin eine sehr vornehme Rakete und stamme von vornehmen Eltern. Meine Mutter war das berühmteste Feuerrad ihres Tages und wurde wegen seines eleganten Tanzens erwähnt. Als sie ihr großes öffentliches Auftreten hatte, drehte sie sich neunzehnmal herum, ehe sie ausging, und bei jeder Umdrehung schleuderte sie sieben rosa Sterne in die Luft. Sie maß dreiundeinhalb Fuß im Durchmesser und war aus dem besten Schießpulver gemacht. Mein Vater war wie ich eine Rakete und von französischer Abstammung. Er flog so hoch, daß die Leute fürchteten, er würde überhaupt nicht wieder herunterkommen. Er tat es aber doch, denn er hatte ein freundliches Gemüt, und er machte einen höchst brillanten Abstieg in einem Schauer von goldenem Regen. Die Zeitungen drückten sich über seine Vorführung in sehr schmeichelhaften Wendungen aus. Der Staatsanzeiger nannte ihn sogar einen Triumph der pylotechnischen Kunst." "pyrotechnisch, pyrotechnisch meinen Sie," sagte ein bengalisches Licht; "ich weiß, das Wort heißt pyrotechnisch, denn es stand auf meiner eigenen Blechbüchse geschrieben."

"Nun, ich habe pylotechnisch gesagt," antwortete die Rakete mit einem strengen Ton in der Stimme, und das bengalische Licht fühlte sich so zerschmettert, daß es sofort begann, die kleinen Schwärmer anzufauchen, um zu zeigen, daß es noch eine Person von einiger Bedeutung war.

"Ich sagte," fuhr die Rakete fort, "ich sagte ... wovon sprach ich doch gerade?"

"Sie sprachen von sich selbst," fiel die römische Kerze ein.

"Natürlich, ich wußte, daß ich einen interessanten Gegenstand erörterte, als ich so roh unterbrochen wurde. Ich hasse Roheit und schlechte Manieren jeder Art, denn ich bin unendlich feinfühlig. Niemand auf der ganzen Welt ist so feinfühlig, wie ich bin, dessen bin ich ganz sicher."

"Was ist das, eine feinfühlende Person?" fragte der Knallschwärmer die römische Kerze.

"Eine Person, die, weil sie selbst Hühneraugen hat, stets andern auf die Zehen tritt," antwortete die römische Kerze mit leisem Flüstern, und der Knallschwärmer platzte fast vor Lachen.

"Bitte, über was lachen Sie?" fragte die Rakete; "ich lache nicht."