Graeme Obree

RADSPORT-TRAINING

mit der Methode Obree

Ganz einfach
besser Rad fahren

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

Inhalt

 

Vorwort

Einleitung

1

Was ist Training?

2

Erste Schritte

3

Ihr Rad und das richtige Setup

4

Indoor-Training

5

Trainingseinheiten

6

Die Psychologie der Vorbereitung

7

Die Psychologie des Wettkampfs

8

Atmung

9

Die richtige Tritttechnik

10

Stretching

11

Zeitfahren

12

Ernährung

13

Krankheit und andere Rückschläge

14

Internationale Ehren

15

Die Dichotomie des Sports

Fazit

Danksagung

Fotos

 

Vorwort

John Beattie, Fernsehmoderator und ehemaliger Auswahlspieler der schottischen und britischen Rugby-Nationalmannschaft

Als ich Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre auf Borneo aufwuchs, waren sämtliche meiner Helden Schotten. Mein Vater spielte auf einem alten Plattenspieler Dudelsackaufnahmen, und meine Brüder und ich marschierten dazu auf den blanken Holzdielen. Er erzählte uns die Geschichten schottischer Großtaten, während wir hinaus auf den dunstigen Dschungel blickten.

Mein Vater stammte aus Govan und war ein junger Kautschuk-Farmer, aber er erzählte von den Erfindern, den Friedenskämpfern, einigen Kriegshelden und natürlich von erfolgreichen Sportlerinnen und Sportlern. Da waren zum Beispiel der Automobilrennfahrer Jim Clark, der Boxer Benny Lynch, zahllose Fußballspieler und später der Schwimmer Bobby McGregor.

Selbst als kleiner Junge begriff ich schon damals, dass es für Schotten ungewöhnlich war, in ihrem Sport zu den Besten der Welt zu gehören. Hatten sie es aber geschafft, so hatten sie dies unter großen Opfern erreicht und waren besondere Männer und Frauen.

In meiner Karriere als Rugbyspieler war ich mir sehr wohl bewusst, nicht der Beste der Welt zu sein. Bisweilen gehörte ich nicht einmal zu den Besten in Schottland, aber genau das spornte mich und meine Freunde an, über uns hinauszuwachsen und hin und wieder nicht für möglich gehaltene Siege zu feiern.

Der Fähigkeit, besondere Lösungen zu finden und erfolgreich umzusetzen, haftet etwas sehr Schottisches an. Die Erfolge im Rugby waren Schottlands Fortschritten auf theoretischem Gebiet zu verdanken. Jim Telfer war als Trainer seiner Zeit voraus, und unter Anleitung von Fitness-Guru David McLean gehörten die schottischen Spieler weltweit zu den Ersten, die ein spezifisches Fitnesstraining absolvierten. Wir bekamen unsere individuellen Gewichte und ein maßgeschneidertes Programm mit Übungen verpasst und wurden auf dem Laufband getestet, bis wir umfielen.

Für mich waren die Erkenntnisse Gold wert, denn ich befand mich auf einer zehnjährigen Entdeckungsreise, während derer ich auf der Suche nach immer neuem Wissen zahllose großartige Bücher las – unter anderem die Werke des südafrikanischen Rugby-Trainers Danie Craven – und mich regelmäßig mit einflussreichen Männern wie Bill Dickinson austauschte, der zu jener Zeit bei der schottischen Rugby-Nationalmannschaft als »Berater des Kapitäns« fungierte.

Das hat mich schon immer am Sport fasziniert: Es ist eine ständige Suche nach Wissen. Sport ist für alle da, und jeder möchte dieses Wissen einfach und verständlich vermittelt bekommen. Und das bringt mich auf Graeme Obree.

Graeme ist bekannt dafür, keine Kompromisse einzugehen und alles in die Waagschale zu werfen. Von dieser Qualität zeugt auch dieses Buch, in dem 45 Jahre Erfahrung in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Fahrrad als Sportgerät und dem Dasein als Athlet stecken. Wie eine Art Konfuzius aus Ayrshire ist er bis ins letzte Detail mit seinem Geist, seinem Körper und seiner Beziehung zum Sport vertraut. Mitunter grenzt seine Herangehensweise fast an Besessenheit, aber was ihn auszeichnet, ist ein überaus wacher Intellekt, der seine Leidenschaft befeuert und ihn befähigt, mit einem ganzheitlichen Ansatz den für ihn richtigen Weg zu finden. Das soll nicht heißen, dass er immer Recht hätte, denn das ist nicht der Fall, aber Graeme ist stets bereit, sich auf die Suche nach einer besseren Lösung zu machen, um eine Leistungssteigerung zu erzielen.

Wie alle großen Sportler beherrscht er sein Handwerk aus dem Effeff. Alles, was über das Radfahren, Aerodynamik, Physik, Kraft oder sportliche Leistungsfähigkeit in Erfahrung zu bringen ist, hat er sich in einem jahrelangen, höchst akribischen (Selbst-)Studium angeeignet. »Graeme weiß«, um Robert Millar zu zitieren, einen anderen Großen des schottischen Radsports, »genau, wovon er redet.«

»Radsporttraining mit der Methode Obree« ist ein umfang- und facettenreicher Ratgeber für alle Radfahrer, vor allem solche, für die der Sport eine neue oder wiederentdeckte Leidenschaft ist. Dieses Buch bietet einen riesigen Fundus und eine große Bandbreite an Wissen und Einsichten. Aber es ist für interessierte Laien geschrieben, fast wie eine Erzählung, und weder mit unverständlichem Fachchinesisch überfrachtet noch mit Lobpreisungen, die den Leser animieren wollen, sich unbedingt für teures Geld die neuesten Produkte und alle möglichen vermeintlichen Innovationen anzuschaffen. Im Gegenteil.

»Radsporttraining mit der Methode Obree« ist das etwas andere Trainingshandbuch. Es stellt komplexe Zusammenhänge auf verständliche Weise dar und richtet sich ebenso an reine Hobbyradsportler wie an Elitefahrer. Beim Lesen werden Sie das Gefühl haben, einem großen Geist zu lauschen, der sich zu den Fragestellungen und Herausforderungen wahrhaftig eigene Gedanken gemacht hat. Und es sind dies zumeist Fragestellungen und Herausforderungen, die sich ohne weiteres auch auf andere Sportarten übertragen lassen.

Hinzu kommt: Die Ratschläge, die Graeme Obree in diesem Buch darlegt, haben ihn selbst groß gemacht und an die Spitze geführt. Auch in diesem Sinne ist das hier präsentierte Wissen außergewöhnlich.

Als er Weltrekorde brach, gab es irgendwo Väter, die ihren Söhnen von diesem Graeme Obree erzählten, einem Schotten, der in seinem Sport der Beste der Welt war. Einer dieser Väter war ich.

Einleitung

Als ich mit 15 einem Radsportclub in der Nähe beitrat, hatte ich keine Ahnung, dass ich einmal Weltmeister werden und mir den Stundenweltrekord sichern würde. Am Anfang fuhr ich einfach in Jeans und Steppjacke und hatte keinerlei Interesse, an irgendwelchen Rennen teilzunehmen. Am Radfahren fesselte mich die Aussicht, neue Horizonte entdecken zu können.

Ich hatte das Glück, dass ich in einem Verein unterkam, in dem ich von Anfang an eine Menge über die zwei wichtigsten Aspekte des Radfahrens lernte: über die Ausrüstung und über die spezifischen körperlichen Anforderungen dieses Sports. Weil ich knapp bei Kasse war, musste ich notgedrungen irgendwie das Beste aus gebrauchtem oder beschädigtem Material machen, aber das war eine hervorragende Schule, die mir beibrachte, was beim individuellen Aufbau eines Fahrrads funktionierte und was man lieber bleiben ließ. Schließlich landete ich doch relativ schnell beim Radrennsport, gleichzeitig unternahm ich jedoch auch weiterhin mit erfahrenen Vereinskollegen ausgedehnte Touren durch Schottland. Dies alles setzte einen Lernprozess in Gang, der bis heute anhält.

Mit einer Bahnmaschine, die noch aus Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg stammte, und einer Mischung aus (damals) aktuellen Trainingskonzepten und meinen eigenen Ideen wurde ich 1983 schottischer Juniorenmeister. Es war die Ära, in der neue Ansätze wie zum Beispiel Tempo-, Intervall- oder Krafttraining zusehends das alte »Friss so viele Kilometer wie möglich«-Mantra in Frage stellten. In diesem Vakuum an klaren Leitlinien entschied ich, dass es das Beste wäre, mich einfach an die Trainingsmethoden zu halten, die a) bei mir in der Praxis funktionierten und b) deren Logik auch in der Theorie einer sorgfältigen kritischen Analyse standhielt.

In den folgenden Jahren machte ich es mir zur Gewohnheit, jeden einzelnen Aspekt des Material-Setups, der Fahrtechnik, der Sitzposition, der Ernährung und des Trainings zu hinterfragen. Dies führte 1986 zur Entwicklung der geduckten Ski-Tuck-Position, die ich verwendete, als ich 1993 auf meinem selbstkonstruierten Rad »Old Faithful« einen Angriff auf den Stundenweltrekord unternahm. Die Jahre dazwischen verbrachte ich mit Analysen vieler weiterer Aspekte, die bei Radsport-Wettkämpfen und in deren Vorbereitung eine Rolle spielen und die zusammengenommen einen großen Einfluss auf die Effizienz eines Radfahrers haben.

Die »Methode Obree« wurde seinerzeit gern auf die besondere Ski-Tuck-Position verkürzt. Tatsächlich aber konnte ich schon bei meinem ersten Stundenweltrekord in jeder Hinsicht auf einen großen Fundus an Erfahrungswissen bauen, den ich mir in zahllosen Experimenten erarbeitet hatte: durch Versuch und – in sehr vielen Fällen auch – Irrtum. Am Tag, an dem ich den Stundenweltrekord brach, setzte ich mich auf ein Rad, das heute vor allem deshalb legendär ist, weil ich beim Bau Teile einer ausrangierten Waschmaschine verwendet hatte. Doch was die Leute nicht sahen, das waren meine Tritttechnik, die auf maximale Effizienz ausgelegt war, und meine ungewöhnliche Atmungskontrolle. Ebenfalls übersehen wurde mein unverwüstlicher Glaube an mich selbst und an meine Methoden. Dieses Selbstbewusstsein war allerdings nicht einfach Teil meiner Persönlichkeit. Vielmehr resultierte es aus der Erkenntnis, dass es unmöglich ist, eine optimale Leistung zu erreichen, wenn man nicht auch die Kraft des Geistes einsetzte.

Nachdem ich frühzeitig mit alternativen Trainingsansätzen experimentiert und mich in den 1980ern auch im Speedskating und als Triathlet versucht hatte, entwickelte ich irgendwann ein beinahe manisches Bedürfnis, alle möglichen Informationsquellen nach Dingen abzuklopfen, die mich womöglich weiterbringen könnten. Dies alles geschah in dem Bestreben, so etwas wie »Best Practices« für die athletische Herausforderung des Radfahrens zu ermitteln. Ich versuchte, jedes kleinste Detail aller denkbaren Ansätze zu analysieren, ganz gleich, ob diese Ansätze nun traditioneller oder kommerzieller Natur waren (wobei mir selbstverständlich klar war, dass es bei Letzteren vor allem darum ging, neue Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen). Um meinen Verstand zu schärfen, saugte ich so viele Informationen wie möglich aus Fachbüchern und wissenschaftlichen Studien auf, während ich gleichzeitig versuchte, nicht das Bewusstsein dafür zu verlieren, was sich richtig anfühlte.

Nachdem ich 1993 Stundenweltrekordler und Verfolgungsweltmeister geworden war, wurde meine geduckte Position von der UCI verboten. Mir blieb nichts anderes übrig, als dieselben Analysemethoden erneut einzusetzen – diesmal, um das Potenzial jener neuen Lenkeraufsätze zu maximieren, wie sie von anderen Fahrern in der Zwischenzeit verwendet wurden. Das Ergebnis war die Superman-Position mit komplett nach vorn ausgestreckten Armen. Mit dieser Position holte ich mir den WM-Titel zurück, und sie wurde mit großem Erfolg von anderen Fahrern kopiert, aber bald darauf ebenfalls verboten.

Ich machte weiter, notgedrungen mit konventioneller Sitzposition, und mit Hilfe meines Trainingswissens siegte ich 1997 bei der britischen Meisterschaft im Einzelzeitfahren – ein eindeutiger Beleg, dass ich auch dank athletischer Überlegenheit gewinnen konnte. Seither habe ich im Laufe der Jahre noch sporadisch (und durchaus erfolgreich) an Wettkämpfen teilgenommen. Und gerade auch weil ich kein Auto besitze, ist mein Interesse an den Leistungs- und Effizienzaspekten des Radfahrens erhalten geblieben. Im Rahmen weiterer Untersuchungen war es mir möglich, meine Atem- und Tritttechnik nochmals zu verbessern, und ich verfüge heute über einen Wissensschatz, der mir früher in meiner Karriere sicherlich sehr von Nutzen gewesen wäre. Schade, dass ich ihn damals noch nicht besessen habe.

Was ich Ihnen mit diesem Buch erläutern und an die Hand geben möchte, ist letztlich nichts anderes als mein eigener Modus Operandi: die »Methode Obree«. Rennradfahren als Breitensport hat in den vergangenen Jahren enorme Popularität erlangt, und insbesondere Anfänger müssen sich darauf gefasst machen, mit einer wahren Flut an (nicht selten widersprüchlichen) Ratschlägen bombardiert zu werden. Es ist gut möglich, dass Sie nicht alle Vorschläge, die Sie auf den folgenden Seiten finden, für sich selbst als sinnvoll erachten werden. Das ist überhaupt kein Problem. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass Sie in diesem Buch sämtliche Methoden, die sich für mich in Praxis und Theorie bewährt haben, detailliert kennenlernen können – nicht mehr und nicht weniger. Ich habe mein Bestes gegeben, um dabei so objektiv wie möglich zu bleiben. Aber das ist natürlich nicht immer machbar, und wenn eine Aussage nur meine persönliche Meinung darstellt, habe ich versucht, dies deutlich zu machen. Ich hoffe, dass sich meine Ansätze und Tipps auch für Sie als nützlich erweisen werden und dass Ihnen die Lektüre dieses Buch helfen wird, sich als Radsportler ein Stück weit zu steigern.