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Vorwort des Herausgebers

William Shakespeare, der Autor so zeitloser Stücke wie ›Romeo und Julia‹, ›Hamlet‹ und ›Othello‹, war nicht nur der bedeutendste Dramatiker aller Zeiten, sondern auch einer der größten Lyriker. – Vermutlich fand er Zeit für seine Versdichtungen und Sonette, wenn Londons Theater wegen Pest-Epidemien vorübergehend schließen mussten – was in jenen Jahren immer wieder vorkam. 1593 erschien etwa die Verserzählung ›Venus und Adonis‹, 1594 ›Die Schändung der Lucratia‹, und schließlich 1609 ein Band mit 154 Shakespeare-Sonetten.

Welche immense Bedeutung und Ausstrahlung gerade letztere erreichten, zeigt die Zahl der Übersetzungen ins Deutsche: Etwa 300 Übersetzer haben sich seit dem 18. Jahrhundert an den Sonetten versucht. Kein Werk der Weltliteratur – außer der Bibel – wurde häufiger ins Deutsche übertragen. Im Jahr 2012 zählte man 74 Gesamtübersetzungen und 80 Teilübersetzungen des Werkes. Von zwei einzelnen Sonetten, der Nummer 18 und der Nummer 66, gibt es sogar jeweils an die 180 Übertragungen.

Und diese Zahlen zeigen lediglich die Ausstrahlung der Sonette auf den deutschen Sprachraum. Aber auch in alle anderen lebenden Schriftsprachen der Welt wurde Shakespeares Lyrik zum Teil mehrmals übersetzt. Ja sogar in einige Kunstsprachen wie das Klingonische (aus der TV-Serie Star-Trek). – Eine geradezu unheimliche Wirkmächtigkeit zeigt sich hier, an die kein anderer Dichter auch nur annähernd heranreicht.

Der Grund dafür liegt in Shakespeares Sprache selbst: Der Mut zu sprachlichen Neuschöpfungen und avantgardistischer Ausdrucksform, der schon in seinen Dramen und Lustspielen deutlich wird – in Hamlet etwa gibt es hunderte von Wort-Neuschöpfungen – konnte sich in der Lyrik vollends ausleben. Shakespeare ging in seinen metaphernstarken Gedichten oft genug bis an die Grenze der Verständlichkeit – auch für seine englischen Zeitgenossen.

Die Sonette sagen etwas, das ist klar, aber sie sagen es nicht präzise und eindeutig – sondern transportieren den Inhalt oft genug wie auf einer schattenhaften Matrix von Gefühls- und Stimmungslagen. Nur dadurch, weil die Gedichte so deutbar, so vage sind, dienen sie als perfekte Folie, an denen sich hunderte von Übersetzern immer wieder aufs Neue abarbeiten können.

Dieses eBook zum Jubiläumsjahr bringt die komplette Lyrik Shakespeares zusammen, in der jeweils besten verfügbaren Übersetzung. Was freilich nicht immer leicht zu entscheiden ist, denn die Varianten sind, wie gesagt, gelegentlich unüberschaubar.

Bei den Sonetten werden zwei komplette Fassungen der 154 Sonette angeboten. Jene von Max Josef Wolff aus dem Jahre 1903, und die modernere und freiere, aber auch lesbarere Variante von Karl Kraus aus den Jahren 1932/33.

Nach all den geglückten und gescheiterten Versuchen, der Lyrik Shakespeares mit Übersetzungen gerecht zu werden, ist die Sache keinesfalls beendet. Nein, Shakespeare wird weiter Ansporn sein für weitere Nachdichtungen, und er hat das Motto dazu in seinem achtzehnten Sonett selbst mitgegeben:

»So long as man can breathe or eyes can see,

So long lives this, and this gives live to me.«

© Redaktion eClassica, 2014

 

Über den Autor

William Shakespeare (1564–1616) ist das vielleicht größte Mysterium der gesamten Literatur. Gab es ihn überhaupt? Oder ist der Name womöglich nur das Pseudonym eines Unbekannten, der seine Identität verschleiern wollte?

Was man an Fakten kennt, lässt sich etwa so zusammenfassen:

Als William Shakespeares Geburtsdatum wird oft der 23. April 1564 genannt, doch dieses Datum ist nicht gesichert; bekannt ist laut Kirchenregister der Holy Trinity Church in Stratford-upon-Avon nur der Tag seiner Taufe, der 26. April. Shakespeares Vater war der Weißgerber und Handschuhmacher John Shakespeare, der ein zielstrebiger und karrierebewusster Mann gewesen sein muss, denn er brachte es schließlich bis zum Amt des High Bailiff, was dem Bürgermeister entspricht.

Vermutlich besuchte der junge William die Lateinschule [›Grammar School‹] in Stratford-upon-Avon, die damals ein – verglichen mit anderen Städten – hohes Niveau hatte. Die Kinder erhielten dort bis zum 15. Lebensjahr Unterricht in Latein, Griechisch, Geschichte, Morallehre und Dichtkunst. Auch Grundkenntnisse der Rhetorik und Poetik wurden vermutlich gelehrt – und das alles in einer Intensität und Stringenz, die mit heutigen Schulen kaum vergleichbar ist. Eine Universität hat Shakespeare, nach dem was man weiß, jedoch nicht besucht.

Bereits im Alter von 18 Jahren heiratet William Shakespeare die acht Jahre ältere Bauerntochter Anne Hathaway, die zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war. Das Aufgebot wurde am 27. November 1582 bestellt, das Datum der Hochzeit ist nicht bekannt. Etwa sechs Monate nach der Trauung wird Tochter Susanna geboren. Knapp zwei Jahre später kommen dann die Zwillinge, der Sohn Hamnet und die Tochter Judith, zur Welt. Hamnet starb noch im Kindesalter, im Alter von elf Jahren. Über das Verhältnis von Shakespeare zu seiner Frau Anne weiß man absolut nichts – bis auf die Tatsache, dass er ihr in seinem Testament das »zweitbeste Bett« vermachte.

Das erste schriftliche Dokument, das belegt, dass Shakespeare in London aufgetaucht war, stammt vom Dichter Robert Greene, der ihn 1592 in einem Pamphlet als Emporkömmling diffamiert. Greene lästert, Shakespeare maße sich an zu dichten, obwohl er nicht wie die angesehenen Dichter seiner Zeit an einer Universität studiert habe. Shakespeare schreibt in London Schauspiele für seine Theatertruppe, an der er finanziell beteiligt ist, und spielt als Schauspieler in wechselnden Rollen mit. Wie die Tagebuchaufzeichnungen des Theaterunternehmers Philip Henslowe belegen, waren die Stücke sehr erfolgreich.

Ab 1599 ist Shakespeare Mitbesitzer des Londoner Globe Theatre. Als Teilhaber des Globe erwirbt er sich Vermögen und Einfluss. 1597 kauft Shakespeare das zweitgrößte Haus in seiner Geburtsstadt Stratford und beteiligt sich an einem weiteren Londoner Theater, dem Blackfriars Theatre. Mit 46 Jahren kehrt er als reicher Mann nach Stratford zurück und verbringt dort seine letzten Lebensjahre, beteiligt sich aber weiterhin an einigen Londoner Theaterproduktionen als Mitautor.

Im Alter von nur 52 Jahren, am 23. April 1616, stirbt er in Stratford und wird in der Holy Trinity Church beigesetzt. Die Todesursache ist nicht bekannt. Etwa 50 Jahre nach seinem Tod notiert jedoch John Ward, Vikar der Holy Trinity Church in Stratford, in sein Tagebuch: »Shakespeare, Drayton und Ben Jonson hatten ein fröhliches Zusammentreffen und tranken dabei anscheinend zu viel; denn Shakespeare starb an einem Fieber, das er sich dabei zugezogen hatte.« Diese Aussage wird heute als anekdotenhaft eingestuft – aber es ist alles, was man hat.

Es gibt keine Tagebücher, keine persönlichen Worte, und nur sehr wenige Aussagen von Zeitgenossen über ihn. Was Shakespeare privat bewegte, ob er jemals England verlassen hat, wer seine engsten Freunde waren, wie er es mit der Sexualität und Religion hielt; – wie er selbst politisch dachte (nicht seine Protagonisten), was er mit Vorliebe aß und trank, wie er sich die Zeit vertrieb – wir wissen es nicht. Und es gibt gerade eine Handvoll Tage, von denen man mit Sicherheit sagen kann, wo er sich aufhielt.

Jedoch, dass die Faktenlage so kümmerlich ist, ist gar nicht ungewöhnlich. Es entspricht eher dem, was man an dokumentierter Biographie eines Theater-Schriftstellers dieser Zeit erwarten kann.[1] Durch die intensive Forschung weiß man über Shakespeare inzwischen sogar verhältnismäßig viel, verglichen mit anderen Theaterleuten dieser Zeit. Thomas Dekker etwa war damals einer der führenden Stückeschreiber, und doch wissen wir wenig mehr über ihn, »als dass er in London geboren wurde, sehr produktiv war und gelegentlich Schulden hatte. Ben Jonson war noch berühmter, doch die meisten und wichtigsten Lebensdaten, Jahr und Ort seiner Geburt, wer seine Eltern waren, wie viele Kinder er hatte – sind unbekannt oder nicht verbürgt.«[2]

Zu seinen Lebzeiten und bis zweihundert Jahre nach seinem Tod »äusserte niemand auch nur den geringsten Zweifel an Shakespeares Autorenschaft«.[3] Die Theorie, ein anderer Autor würde sich hinter dem Namen Shakespeare verbergen, kam erst im 19. Jahrhundert auf, und ist bis heute – unter dem Namen Anti-Stratfordianismus – in Mode geblieben. Bei nüchterner Betrachtung der Faktenlage erweist sie sich als Chimäre.

© Redaktion eClassica, 2014

 

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Anmerkungen:

[1] gemäß David Thomas, Chefarchivar des Englischen Nationalarchivs, zitiert nach Bill Bryson in: ›Shakespeare – wie ich ihn sehe‹

[2] Bill Bryson in: ›Shakespeare – wie ich ihn sehe‹

[3] schreibt Shakespeare-Forscher Jonathan Bate, zitiert nach Bill Bryson, ebd.

 

Verwendete Quellen:

• Alan Posener: William Shakespeare, Rowohlt, Hamburg 1995

• Der große Brockhaus Literatur, Wiesbaden 2002

Bill Bryson: Shakespeare, The World as a Stage, Harper Press, London 2007

deutsche Ausgabe: Bill Bryson: Shakespeare – wie ich ihn sehe, Goldmann, München 2008

Websites: shakespeare-online.com, listverse.com, plays.about.com, william-shakespeare.info, Wikipedia

 

 

Originaltitel und Veröffentlichungs-Jahr der Werke (nach heutigem Stand der Forschung)

Venus und Adonis – Venus and Adonis; 1593

Die Schändung der Lucretia – The Rape of Lucrece; 1594

Der Phoenix und die Turteltaube – The Phoenix and the Turtle; gedruckt 1601

Der Liebenden Klage – A Lover’s Complaint; 1609

Der verliebte Pilger – The Passionate Pilgrim; 1609

Sonette – Sonnets; 1609