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Ernst Gesslbauer/Carin Dániel Ramírez-Schiller (Hrsg.)

Die Rolle von Guidance in einer sich wandelnden Arbeitswelt

 

 

 

Schriftenreihe der OeAD-GmbH

Band 7

Reihenherausgeber: Univ.-Prof. Dr. Hubert Dürrstein

Ernst Gesslbauer/
Carin Dániel Ramírez-Schiller (Hrsg.)

Die Rolle von Guidance in einer sich wandelnden Arbeitswelt

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Diese Publikation wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

© 2014 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: order@studienverlag.at

Satz: Studienverlag/Maria Strobl · maria.strobl@gestro.at

Umschlag: Studienverlag/Dominika Nordholm

Umschlagabbildung: Alexandra Reidinger · www.elysa.at

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ernst Gesslbauer, Carin Dániel Ramírez-Schiller

Teil I
Europäische und österreichische Strategien und Initiativen im Bereich Lifelong Guidance

Guidance für Bildung und Beruf: Herausforderungen und Antworten in einer Welt im Wandel. Was ändert sich?

Worauf kommt es an? Was bleibt?

Michaela Marterer, Peter Härtel

An die Freude?

Peter Plant

Guidance support for mid-life career transitions

Antje Barabasch, Alan Brown, Jenny Bimrose

Aktuelle Strategien für die Weiterentwicklung der Bildungsund Berufsberatung im Bildungsbereich im Hinblick auf den Wandel am europäischen Arbeitsmarkt

Gerhard Krötzl

Bildungs- und Berufsberatung für Erwachsene Lokal aktiv, überregional vernetzt

Peter Schlögl, Manon Irmer

Herausforderungen eines sich ändernden Arbeitsmarktes – Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Österreich und Europa

Martina Maurer

Niederschwellige Bildungsangebote – Kompetenzentwicklung bildungs- bzw. arbeitsmarktferner Personen als Beitrag zur Unterstützung der (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt

Martin Stark, Sandra Schneeweiß, Karin Steiner

Der Europass in der Beratung

Alexandra Enzi

Praktikerinnen und Praktiker im Bereich Lifelong Guidance werden fit für Europa – der Beitrag von Euroguidance Österreich

Eva Baloch-Kaloianov, Karin Hirschmüller

Teil II
Blick in die Praxis

Erosion von Jobsicherheit und atypische Beschäftigungsverhältnisse: Wie kann Resilienz trainiert werden?

Barbara Leymüller, Renate Rechner

Thematisches Netzwerk Work Based Learning and Apprenticeships (NetWBL)

Ulrike Engels, Ida Karner

Mitgebrachte Bildung in Österreich – durch verbesserte Anerkennungspolitik zum Brain Gain

Milica Tomić

Qualifikationspass Wien

Gertrude Hausegger

Innovative Ausbildungsmodelle und organisationsübergreifende Kooperationen

Gertrude Peinhaupt

Potenziale und Ressourcen von Mitarbeiter/innen 50+

Heide Cortolezis

The Introduction to the Four Rooms of Change™

Rajka Marković, Zvjezdana Dragojević

Teil III
Ausgewählte Projekte

Ausgewählte EU-geförderte Guidance-Projekte

Ernst Gesslbauer, Carin Dániel Ramírez-Schiller

Vorwort

Euroguidance Österreich nimmt seit 1997 am europäischen Euroguidance-Netzwerk teil und ist in der Nationalagentur Lebenslanges Lernen im Österreichischen Austauschdienst (OeAD) verankert. Das österreichische Euroguidance-Zentrum hat sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene eine Reihe von Aktivitäten gesetzt, um das zentrale Euroguidance-Ziel, die Stärkung der europäischen Dimension im Bereich Guidance (Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf), mit nationalen bildungspolitischen Schwerpunkten zu verknüpfen. Zu den Tätigkeitsschwerpunkten von Euroguidance Österreich zählen:

•   die (von Österreich, Tschechien und der Slowakei begründete) Cross Border-Initiative, in deren Rahmen gemeinsam mit Euroguidance-Zentren aus den Nachbarländern Fachseminare für Guidance Counsellors geboten werden, die zu einer interessanten internationalen Weiterbildungsschiene für österreichische Bildungs- und Berufsberater/innen geworden sind,

•   die Entwicklung von Produkten, die für die Bildungs- und Berufsberatung eingesetzt werden können, allen voran die auch online verfügbare Darstellung des österreichischen Bildungssystems (www.bildungssystem.at),

•   die Mitarbeit in der nationalen Lifelong Guidance-Steuerungsgruppe,

•   Beiträge in Ausbildungslehrgängen zu Bildungs- und Berufsberater/innen (WIFI, Donau-Universität Krems),

•   die zielgruppenspezifische Information österreichischer Bildungs- und Berufsberater/innen über die vielfältigen Möglichkeiten der Teilnahme am europäischen Bildungsprogramm und ganz besonders:

•   die Organisation jährlicher Guidance-Fachtagungen zu Themen, die in Österreich und Europa besonders aktuell sind. Die Fachtagungen bieten Vorträge nationaler und internationaler Expertinnen und Experten, eine Reihe methodenorientierter Workshops und auch einen Marktplatz verschiedener nationaler und internationaler Projekte und Initiativen. Neben Information und Diskussion steht dabei vor allem das Netzwerken im Zentrum.

Mit der vorliegenden Publikation will Euroguidance Österreich auf die immer wichtiger werdende Rolle von Guidance angesichts der raschen Veränderungen am europäischen Arbeitsmarkt und der schwindenden ökonomischen und sozialen Sicherheit aufmerksam machen und sie weiter stärken.

Guidance kann einen entscheidenden Beitrag leisten, damit Veränderung nicht (nur) als Bedrohung, sondern auch als Chance und Herausforderung verstanden und genutzt werden kann.

Die steigende Bedeutung von Guidance spiegelt sich auf europäischer Ebene in politischen Strategien wie Europa 2020, vor allem aber in der EU-Resolution „Council Resolution on better integrating lifelong guidance into lifelong learning strategies“ (2008) wider und auf nationaler Ebene in der nationalen Lifelong Guidance-Strategie, die Teil der österreichischen Lifelong Learning-Strategie ist.

Angesichts der stark gestiegenen Jugendarbeitslosigkeit steht derzeit in Europa die Bildungs- und Berufsberatung an der Schnittstelle zwischen Schule und Arbeitswelt im Fokus. In den letzten Jahren sind jedoch Trends zu beobachten, die verständlich machen, warum auch Guidance für Erwachsene zunehmend wichtiger wird: Den „Beruf auf Lebenszeit“ gibt es kaum noch, die Dauer der Erwerbstätigkeit steigt, gleichzeitig zeigen Ergebnisse der PIAAC-Studie für Österreich, dass die Schlüsselkompetenzen der 16- bis 65-Jährigen, besonders was Lesen betrifft, unter dem OECD-Durchschnitt liegen. Erwachsene müssen also länger arbeiten, besser ausgebildet sein und sich laufend fortbilden, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können – gefragt sind Flexibilität und „reskilling“ bzw. „upskilling“.

Guidance entlang der gesamten Kette des Lebenslangen Lernens, ein den geänderten Rahmenbedingungen angepasster, umfassender Guidance-Begriff und Beispiele für die praktische Umsetzung – das sind die Kernthemen der vorliegenden Publikation. Sie umfasst zwei Teile, der erste setzt sich mit europäischen und österreichischen Strategien und Initiativen im Bereich Lifelong Guidance auseinander und der zweite stellt unter dem Titel „Blick in die Praxis“ ausgewählte Methoden vor, um Guidance in einer sich ändernden Arbeitswelt wirksam werden zu lassen.

Euroguidance Österreich sieht es als eine seiner Aufgaben, EU-geförderte Projekte und Produkte, die von Relevanz für nationale bildungspolitische Schwerpunktthemen sind, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und ihnen eine Plattform für nachhaltige Verbreitung zu bieten. Sie finden daher in Teil III Beispiele EU-geförderter Guidance-Projekte, in denen zu den Themen der Publikation gearbeitet wurde und innovative Produkte entwickelt wurden.

Um mit seinen Veranstaltungen genau jene europäischen Themen aufzugreifen, die für das nationale Bildungssystem prioritär sind, kooperiert Euroguidance Österreich seit Jahren eng mit den österreichischen Vertreterinnen und Vertretern im „European Lifelong Guidance Policy Network“ (ELGPN), und zwar besonders mit Gerhard Krötzl vom Bundesministerium für Bildung und Frauen und Peter Härtel sowie Michaela Marterer von der Steirischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist die spezielle Funktion, die der erste Beitrag von Michaela Marterer und Peter Härtel hat, zu sehen: Er fokussiert auf den Übergang Schule-Arbeitswelt, eines der Kernthemen der Steirischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft. Gleichzeitig beleuchtet der Beitrag die vier thematischen Schwerpunktbereiche der EU-Guidance-Resolution von 2008 und die fünf strategischen Zielsetzungen in der Lifelong Guidance-Strategie Österreich und schafft Bezüge zu den anderen Beiträgen dieser Publikation.

Guidance noch stärker als Befähigung zum erfolgreichen Meistern des beruflichen (und privaten) Lebensweges wahrzunehmen und zu nutzen und diese Sichtweise auch weiterzuverbreiten – das ist Ziel unserer Publikation.

Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren und wünschen eine interessante Lektüre.

Ernst Gesslbauer und Carin Dániel Ramírez-Schiller

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© OeAD/Foto: Sabine Klimpt

Ernst Gesslbauer ist Leiter der Nationalagentur Lebenslanges Lernen in der OeAD-GmbH.

Carin Dániel Ramírez-Schiller ist Leiterin des Bereichs Erwachsenenbildung und Querschnittsthemen in der Nationalagentur Lebenslanges Lernen in der OeAD-GmbH.

Michaela Marterer, Peter Härtel

Guidance für Bildung und Beruf: Herausforderungen und Antworten in einer Welt im Wandel. Was ändert sich? Worauf kommt es an? Was bleibt?

Leben ist Entwicklung, Wandel, Veränderung. Und: Leben ist Lernen.

Auch die Arbeitswelt ist im Wandel. Allerdings ist dieses Phänomen nicht neu. Spätestens seit der Frühzeit der Industrialisierung gibt es keine Generation, die nicht von gravierenden Umstürzen der Arbeitswelt betroffen war. Dampfmaschine und Automatisierung, Fließband, Buchdruck und Automobil – das sind nur einige Symbolbegriffe für das, was Arbeitswelt in den letzten Jahrhunderten massiv beeinflusst hat.

Zweifellos sind viele Entwicklungen neu. Virtuelle Kommunikation, soziale Medien, globale Einflüsse auf alle regionalen und lokalen Entwicklungen, Tempo und Tiefgang von Umbrüchen, das sind Erscheinungen, die heute alle Lebens- und Arbeitswelten und alle Generationen betreffen.

Am gravierendsten wirkt sich jedoch das Auseinanderbrechen vieler jener Systeme und Strukturen aus, die Sicherheit versprochen und geboten haben. Lebenslange, „pragmatisierte“ Arbeitsverhältnisse und gesichertes Einkommen, generationenüberdauerndes Bestehen von Unternehmen, Produkten und Leistungen – all dies gehört, wenn es das je gegeben hat, der Vergangenheit an. Auch der Rahmen von Politik, Gesellschaft, Sozialwesen wird immer stärker überregional, global beeinflusst. Dem gegenüber steht eine erstaunliche Stabilität von Einrichtungen wie Schule, Verwaltung und öffentlich-rechtliche Institutionen. Gerade diese – insbesondere Schule und Bildungswesen, Arbeitsmarktservice und Politik – tragen jedoch Mitverantwortung dafür, Menschen zum Leben und Überleben in neuen Rahmenbedingungen zu befähigen. Dies beginnt in der frühen Kindheit, reicht von Primar- und Sekundarschule über die berufliche Ausbildung im Betrieb bis zu postsekundären und tertiären Einrichtungen – Hochschulen und Universitäten – und zum weiten Feld der Erwachsenenbildung. Das betrifft nicht nur „formale“ Systeme, gefordert sind auch nonformale und informelle Bildungs- und Lebensbereiche, außerhalb der formalen Strukturen.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass sich nicht nur die Arbeitswelt im Wandel befindet, sondern die gesamte Lebenswelt, Familien- und Sozialstrukturen, Medienwelten, Einflüsse aus Medien und virtueller Kommunikation und vieles mehr.

Was aber heißt dies für Guidance?

Guidance – Service oder Haltung?

„Das Leben der Bürger wird in immer stärkerem Maße durch vielfache Übergänge geprägt: insbesondere von der Schule zur Berufsausbildung und -fortbildung, zur höheren Bildung oder ins Berufsleben, von einer Beschäftigung zu Arbeitslosigkeit oder einer weiteren Ausbildung oder aber dem Verlassen des Arbeitsmarktes.

Beratung spielt eine maßgebliche Rolle bei wichtigen Entscheidungen, vor denen der Einzelne im Laufe seines Lebens immer wieder steht. Sie kann dabei zur Stärkung der Fähigkeit des Einzelnen beitragen, seine Laufbahn im Rahmen des heutigen Arbeitsmarktes sicherer zu gestalten und ein besseres Gleichgewicht zwischen Privat- und Berufsleben zu erreichen.“ (vgl. EU-Resolution, 2008, S. 2)

So lautet ein Ausschnitt aus der Resolution des Europäischen Rates zu Lifelong Guidance im Jahre 2008, auch auf der Grundlage des Verständnisses von lebensbegleitender Beratung, das in der ersten Resolution des Europäischen Rates von 2004 so festgehalten wurde:

„Vor dem Hintergrund des lebensbegleitenden Lernens erstreckt sich Beratung auf eine Vielzahl von Tätigkeiten, die Bürger jeden Alters in jedem Lebensabschnitt dazu befähigen, sich Aufschluss über ihre Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen zu verschaffen, Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsentscheidungen zu treffen sowie ihren persönlichen Werdegang bei der Ausbildung, im Beruf und in anderen Situationen, in denen diese Fähigkeiten und Kompetenzen erworben und/oder eingesetzt werden, selbst in die Hand zu nehmen.“ (Vgl. EU-Resolution, 2004, S. 2)

Das sind sehr umfassende Begriffe von „Guidance“, die aber vor einem noch weiter gehenden Hintergrund betrachtet werden müssen. Von welchem Menschenbild gehen wir aus? In welchem Bezug stehen individuelle Entwicklungen zu institutionellen Rahmenbedingungen? Ist es der Anspruch von Guidance, das Individuum zu befähigen, mit bestehenden Strukturen, auch mit sich verändernden Lebensund Arbeitswelten umzugehen, oder geht dieser Anspruch weiter: nämlich auch Strukturen und Systeme zu hinterfragen, wieweit sie dem „Humanum“ gerecht werden, und ob Menschen an Systeme oder Systeme an Menschen angepasst werden sollten.

illustration   Darauf geht Peter Plant in seinem Beitrag „An die Freude?“ ein, und unter dieser Fragestellung können auch alle weiteren – europäischen und nationalen – Entwicklungen zu Guidance betrachtet werden.

Lifelong Guidance in Europa und IBOBB in Österreich

Über den Tellerrand hinauszuschauen, von anderen europäischen Staaten zu lernen, sich auszutauschen und europäische Resolutionen im eigenen Land zu nutzen – das sind Kernprinzipien der Europäischen Union und sie zeigen die Relevanz der europäischen Zusammenarbeit.

illustration   Das ist das Thema des Beitrags von Gerhard Krötzl (BMBF) „Aktuelle Strategien für die Weiterentwicklung der Bildungs- und Berufsberatung im Bildungsbereich im Hinblick auf den Wandel am europäischen Arbeitsmarkt“.

In der EU-Resolution „Resolution Council Resolution on better integrating lifelong guidance into lifelong learning strategies“ (2008) wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert Lifelong Guidance in die jeweiligen Strategien von Lebensbegleitendem Lernen zu integrieren und vier Leitprinzipien mit vier Schwerpunktbereichen anzuwenden.

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Abbildung 1: Gegenüberstellung der EU-Resolution 2008 und der Nationalen Lifelong Guidance-Strategie Österreich 2007

In Österreich wurde für den Bereich der Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf (IBOBB) 2007 eine nationale Strategie formuliert, die sich an den Resolutionen 2004 und 2008 orientiert (vgl. Abbildung 1). Generelle Ausführungen zu den vier Schwerpunktbereichen erfolgen auf S. 21.

Der Arbeitsmarkt wandelt sich

Fachliche, technische, persönliche und soziale Qualifikationsanforderungen, demografische Entwicklungen, Internationalisierung, virtuelle Kommunikation – all das sind Herausforderungen für Mitarbeiter/innen und Unternehmer/innen gleichermaßen – und für alle, die beratend und begleitend für Bildung und Beruf tätig sind. Auch wenn die persönliche Entwicklung, das Erkennen und Entwickeln eigener Talente und Potenziale, Interessen und Perspektiven im Vordergrund stehen – Information und Kenntnis über wesentliche Situationen und Trends am Arbeitsmarkt, in der Berufswelt, in Branchen und Betrieben sind unverzichtbare Elemente persönlicher Orientierung, für Berater/innen und für Betroffene. Dies gilt besonders auch für die schulische Erstbildung. Wenn Lehrpersonen, Jugendliche, auch deren Eltern, nicht Einblick in reale Möglichkeiten am Arbeitsmarkt haben, können auch keine nachhaltig gelingenden Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden. „Early Work Experience“, authentische Begegnung mit betrieblicher Arbeitswelt und mit Personen aus unterschiedlichen Berufsfeldern sind unverzichtbare Elemente von Guidance.

Österreich weist im europäischen Vergleich eine – relativ – günstige Situation der Überleitung Jugendlicher von schulischer Erstbildung in Ausbildung und Beruf auf (siehe Abbildung 2).

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Abbildung 2: Arbeitslosenrate Jugendlicher in europäischen Staaten, in % Quelle: Eurostat-Abfrage vom 31.10.2014

Die relativ günstige Situation in Österreich ist wesentlich auf den hohen Anteil von Jugendlichen auf der Sekundarstufe II in Berufsbildung – ca. 80% der Jahrgänge von 15- bis 19-Jährigen, je zur Hälfte in Berufsbildenden Schulen und in beruflicher Ausbildung im Betrieb – zurückzuführen. Aber auch 9,1% arbeitslose Jugendliche fordern dazu heraus, die Situation der Überleitung Jugendlicher von Schule in Ausbildung und Beruf zu verbessern, auch der Arbeitsmarkt für Ältere, für Frauen im Wiedereinstieg, für Menschen mit Migrationshintergrund ist ein zentrales Thema.

illustration   Einen Überblick über Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Österreich und Europa bietet Martina Maurer in „Herausforderungen eines sich ändernden Arbeitsmarktes – Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Österreich und Europa“.

Die Bedeutung gelingender Übergänge von der schulischen Erstbildung in weitere Ausbildungs- und Berufswege

Übergänge an den Schnittstellen zwischen Schule, Ausbildung und Beruf sind entscheidende Weichenstellungen in wichtigen Phasen des Lebens für junge Menschen. Die Vorbereitung auf diese Entscheidungen ist eine wichtige Kernaufgabe für Bildungs- und Berufsorientierung in der Schule. Gelingende Übergänge hängen jedoch nicht nur von der Schule ab. Sie sind auch wesentlich bedingt durch das persönliche Umfeld, durch Familie, Freundinnen und Freunde, von Wirtschaft und Unternehmen. Prozesse des Sich-selbst-Findens und das Sich-aussetzen-Wollen in der Welt, das sind zumindest ebenso herausfordernde Aufgaben und Themen für Jugendliche und junge Erwachsene. In Österreich müssen wesentliche Entscheidungen von Schüler/innen, Jugendlichen bzw. deren Eltern schon sehr früh getroffen werden (Bruneforth et al., 2012). Das österreichische Schul- und Bildungssystem ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr fragmentiert und selektiert bereits nach vier Schuljahren.

1. Entscheidung bereits mit 10 Jahren: Neue Mittelschule oder AHS?

Diese Entscheidung bestimmt in der Praxis immer noch weitgehend den weiteren Verlauf der Bildungs- bzw. beruflichen Entscheidungen, auch wenn grundsätzlich Durchlässigkeit gegeben ist. Obwohl IBOBB in der 7. und 8. Schulstufe in beiden Schularten verpflichtend durchzuführen ist, zeigen Studien, dass die weiteren Bildungs- und Ausbildungswege oft bereits festgelegt sind. Die Wahrscheinlichkeit, zu einer Matura an einer AHS oder einer BHS zu gelangen, ist aus der AHS-Unterstufe wesentlich höher, während kaum Schüler/innen der AHS-Unterstufe in eine Polytechnische Schule bzw. in eine berufliche Ausbildung im Betrieb (Lehre) wechseln.

2. Entscheidung mit 14 Jahren: Berufsbildende mittlere oder höhere Schule oder Polytechnische Schule?

Diese Entscheidung führt entweder dazu, dass Jugendliche prozesshaft in ihrer Berufs- und Ausbildungswahl begleitet werden, wie es Aufgabe der Polytechnischen Schule ist, oder ab der 9. Schulstufe weder an einer allgemeinbildenden höheren noch an einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule weitere Begleitung im Bereich IBOBB (Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf) erhalten, da dies in deren Curricula nicht vorgesehen ist. 33% jener Schüler/innen, die eine Sekundarstufe II beginnen, brechen diese jedoch in den ersten drei Jahren ab. Es ist also entscheidend, in frühen Phasen des Bildungsweges nicht nur Information und Orientierung über künftige Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten zu erhalten, sondern auch jene Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die Voraussetzung dafür sind, mit Informationen umzugehen, eigene Talente und Potenziale zu entdecken und zu entwickeln und mit möglichen weiteren Bildungs- und Berufswegen in Bezug zu bringen.

3. Career Management Skills im Kindes- und Jugendalter

Es bedarf somit der „Career Management Skills“, also jener Fähigkeiten und Kompetenzen, Entscheidungen zu treffen, Informationen einzuordnen, eigene Stärken und Fähigkeiten zu erkennen, um Übergänge zu „managen“. „Übergangsmanagement“ als Sammelbegriff bezeichnet einen Ansatz zur umfassenden Gestaltung von Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und abgestimmten Prozessen für selbstverantwortete, aber begleitete Entwicklungsprozesse an Schnittstellen und Übergängen – „Passagen“ – zwischen schulischer Erstbildung, weiteren allgemeinen und beruflichen Bildungs- und Ausbildungswegen und zur Arbeitswelt. Neben der Berufsorientierung und der Schüler- und Bildungsberatung an Schulen sowie der Schulpsychologie und Bildungsberatung bedarf es also mehr eines Bündels von mehrdimensionalen Ansätzen: „Berufsorientierung“ im klassischen Sinne ist ebenso enthalten wie die Marke „IBOBB – Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf“, die auch die Elemente der Begleitung, des „Coachings“ und von Realbegegnungen mit der Arbeitswelt enthält. Stützsysteme wie Schulsozialarbeit, Jugendcoaching und psychosoziale Dienste ergänzen diese präventiven Leistungen. Career Management Skills können in diesem mehrdimensionalen Ansatz von Berufsorientierung von den Schüler/innen mit den unterschiedlichen Methoden der Professionen erfahren und erlernt werden. Dazu zählen Kind-Eltern-Lehrer/innen-Gespräche ebenso wie Portfolio-Methoden und reale Begegnungen mit Berufsbildern und Arbeitswelt, die Jugendliche dabei unterstützen, ihre ersten Entscheidungen zu treffen.

4. Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren

Was sind nun die wesentlichen Faktoren, die für das Gelingen von Übergängen entscheidend sind? Natürlich sind individuelle, persönliche, soziale Voraussetzungen, die junge Menschen mitbringen, wesentliche Bestimmgründe, aber darauf darf sich die Betrachtung nie reduzieren: Diese sind Grundlage und Ausgangspunkt, es muss aber sichergestellt werden, dass für alle Jugendlichen, unabhängig von familiären, sozialen, ethnischen, persönlichen Hintergründen geeignete Angebote und gangbare Wege zugänglich sind. Dazu sind vor allem folgende Ansatzpunkte zu beachten:

•   Strukturen und Prozesse im Bildungswesen sind wesentliche Bestimmfaktoren – wenn auch immer die persönliche Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Berater/innen und Klienten/innen im Vordergrund steht – es gibt eben strukturelle Voraussetzungen, die günstigere oder weniger günstige Einflüsse auf gelingende Übergänge ausüben – einige Beispiele dazu folgen.

•   Angebote und Zugänge zu Bildungs-, Ausbildungs- und Berufswegen sind Voraussetzung für den „nächsten Schritt“. Wenn kein Ausbildungsplatz vorhanden ist, ist auch der Zugang dazu nicht möglich. Übergangsmanagement hat also immer auch jenes Feld in Betracht zu ziehen, in das der „nächste Schritt“ gesetzt werden kann.

•   Die postsekundäre und tertiäre Landschaft stellt einen wesentlichen Faktor dar. Dabei ist nicht nur entscheidend, ob Zugang dazu möglich ist, sondern auch, ob Angebote von Art, Qualität und Bildungskultur so gestaltet sind, dass sie jungen Menschen Zugänge zu weiteren beruflichen Lebenswegen ermöglichen. Das ist nicht der Ruf nach ausschließlich „berufsbezogener“ Ausbildung, aber das Einfordern einer Haltung, die auch die Zeit nach Abschluss eines Studiums und die Welt außerhalb der Bildungseinrichtungen im Blick hat.

•   Sinngemäß gilt dies auch für Arbeitsmarkt und Unternehmenskulturen. Wie Unternehmen bereit sind, Jugendlichen und Absolvent/innen verschiedener Ausbildungswege die Chance zu bieten, Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung zu bieten, ist ein ganz wesentliches Kriterium für gelingende Übergänge und nachhaltige Entwicklungen.

•   Und nicht zuletzt sind es die Angebote und Services zur Information, Beratung, Orientierung für Bildung und Beruf und weiterer begleitender Maßnahmen in allen relevanten Disziplinen, die effektives Übergangsmanagement auszeichnen.

5. Empfehlungen der OECD – Herausforderungen für Österreich

Das hat ja die OECD schon vor Jahren im Abschlussbericht des großen Projektes „Transition from Initial Education to Working Life“ (OECD, 2000) deutlich ausgedrückt: Es geht hier nicht nur um orientierende, pädagogische, soziale Maßnahmen, es geht ganz entscheidend um

•   „Healthy economy“ – die beste Orientierung kann alleine wenig bewirken – ohne wirtschafts- und arbeitsmarktstützende Maßnahmen bleibt „Orientierung“ immer Stückwerk.

•   „Youth friendly enterprises“ – wenn Unternehmen ihre Türen nicht für junge Menschen öffnen, auch unter oft herausfordernden Bedingungen, ist jedes „Management“ für Übergänge überfordert.

•   „Clear structured pathways“ – sind die Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsoptionen nachvollziehbar und verständlich? Sind sie Entwicklungswege ohne „dead ends“? Sind sie akzeptabel, vom Aufwand, von der Organisation, vom „Image“?

•   „Tightly safety nets“. Und letztlich sind es all jene Angebote, innerhalb und außerhalb der Systeme, stützende, auffangende, wiedereingliedernde Aktivitäten und Services, die auch für jene Jugendlichen gelingende Wege ermöglichen, für die im „ersten Anlauf“, aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen immer, ein weiterer, gewünschter Weg nicht sofort gelingt.

Diese Hinweise fordern in unserem Lande – in Österreich – dazu heraus, Strukturen, Situationen und Services zu reflektieren, sie mit Bedingungen in anderen Ländern zu vergleichen, daraus Erkenntnisse und Lehren abzuleiten, als Grundlage für Weiterentwicklungen und Optimierungen von „Transition“ und Übergängen. Dazu zählen vor allem

•   das Nutzen und Weiterentwickeln aller Ansätze im IBOBB, insbesondere an den Übergängen von der Pflichtschulzeit in weiterführende Bildungs- und Ausbildungswege, aber auch als Lifelong Guidance in der Strategie zum Lebensbegleitenden Lernen in Österreich,

•   die „Professionalisierung“ der in Information, Beratung, Orientierung für Bildung und Beruf tätigen Personen, das heißt natürlich, Qualifizierung, Ausund Weiterbildung, meint aber mehr: die Heranbildung einer „Profession“, die ein gemeinsames Verständnis für die umfassende Aufgabenstellung und eine differenzierte Sicht auf unterschiedliche Einsatz- und Wirkungsbereiche entwickelt, sowie

•   ein realistisches, leistbares, aber auch vertretbares Verhältnis zwischen Personen, die in Beratung und Orientierung tätig sind, und den Klientinnen und Klienten, das heißt auch: Ressourcen und Personal, nicht nur für Berufsorientierung und IBOBB, sondern auch für weitere Stützsysteme für Schulen und Schüler/innen wie Jugendcoaching und Schulsozialarbeit, die gelingende Übergänge positiv begleiten können.

Österreich weist im europäischen Vergleich eine verhältnismäßig günstige Situation der Jugendbeschäftigung, der Early School Leaver und der sogenannten „NEETS“ – „Not in employment, education or training“ auf (ELGPN, 2014). Dies ist wesentlich bedingt durch die hohe Anzahl von Jugendlichen in Berufsbildung. Ca. 80 % der Jugendlichen auf der Sekundarstufe II befinden sich, je zur Hälfte, entweder in einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule oder in einer Ausbildung im Betrieb – duale Berufsausbildung /Lehre. Damit ist auch die hohe Bereitschaft der Unternehmen, Jugendlichen eine Chance zur Ausbildung zu bieten, ein Kriterium für die relativ günstige Situation – in keinem Land der Welt wird so vielen jungen Menschen so früh die Chance zu einer gesetzlich geregelten, auf Berufsbildern basierten Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule geboten wie in Österreich.

Dennoch verlieren wir auch in Österreich zu viele junge Menschen zu früh auf ihren Bildungs- und Ausbildungswegen (Herzog-Punzenberger, 2012). Verbesserung von Strukturen und Angeboten und das frühzeitige Entwickeln von Career Management Skills – siehe oben – sind daher nicht nur bildungspolitische, sondern auch wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben erstrangiger Bedeutung.

Wie bereits auf Seite 15 skizziert, im Folgenden genauere Ausführungen zu den vier Schwerpunktbereichen zu Lifelong Guidance, basierend auf dem Dokument der EU-Resolution 2008 und als integrierter Bestandteil der Nationalen Strategie zu Lifelong Guidance in Österreich.

Career Management Skills: damit die berufliche Laufbahn gelingt!

Encourage the lifelong acquisition of career management skills

Es braucht Schlüsselkompetenzen, damit die eigene berufliche Laufbahn geplant werden kann, d.h. sich für Bildung und/oder Ausbildung zu entscheiden oder den Übergang oder Wechsel vom Arbeitsplatz etc. meistern zu können. Zu diesen Schlüsselkompetenzen werden Lernkompetenz, soziale und interkulturelle Kompetenzen gezählt, aber auch Eigeninitiative und Unternehmergeist. Diese Kompetenzen sollen in jedem Lebensalter erworben und gestärkt werden können. Besonders in Übergangsphasen sind diese Kompetenzen gefragt.

illustration   Rajka Marković und Zvjezdana Dragojević führen in ihrem Beitrag „The Introduction to the Four Rooms of Change™“ in das theoretische Modell des schwedischen Psychologen Claes Janssen ein. Das Modell beschäftigt sich mit Veränderung, mit dem, was mit Menschen in der Phase von Übergängen passiert, und damit, wie man selbst den Veränderungsprozess beeinflussen und Verantwortung für die eigenen Emotionen und Aktionen übernehmen kann.