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Hermann Schladt (Hrsg.)

Die Farbe der Unschuld - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 5





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80331 München

Vorspann

Düstere Welten – Band 12

Hermann Schladt – Die Farbe der Unschuld – Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern, Band 5

1. eBook-Auflage – Mai 2015

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Lothar Bauer

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

Hermann Schladt (Hrsg.)

 

Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern

 

Anthologie zum Story-Wettbewerb des vss-verlag

 

Band 5

 

Die Farbe der Unschuld

Vorwort

 

“Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern” ist der zehnte und bisher erfolgreichste Story-Wettbewerb des vss-verlags. Und das nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht.

So sah sich die Jury vor die Mammutaufgabe gestellt, 118 Beiträge bewerten zu müssen. Die meisten trafen erst kurz vor Einsendeschluss ein; viele bewegten sich in ihrer Länge am vorgegebenen Limit. Kein Wunder, dass es fast ein halbes Jahr gedauert hat, bis endlich das Ergebnis verkündet werden konnte.

Und zu den zehn platzierten Storys wurde weitere vierzig Geschichten für würdig befunden, in der Anthologie – besser gesagt in den Anthologien – veröffentlicht zu werden. Ein Beitrag wurde leider vom Autor zurückgezogen, sodass in den fünf Anthologiebänden jetzt 49 Kurzgeschichten veröffentlicht werden.

Wenn man auf das Teilnehmerfeld schaut, ergibt sich ein sehr buntes Bild. Alle „Altersklassen“ sind vertreten, von ganz jungen Autorinnen und Autoren, bis hin zu lebenserfahrenen älteren Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Für etliche ist die Story in diesen Bänden ihre erste Veröffentlichung, andere haben eine Bibliografie, deren Umfang schon fast die Länge eine Shortstory erreicht.

Und ich bin sicher und hoffe von ganzem Herzen, das auch in diesen Anthologien wieder der ein oder andere Name auftaucht, der in der Zukunft einen guten Klang in der deutschsprachigen Literaturszene erlangen wird.

In diesem Sinne nochmals ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Wettbewerb, und alles Gute und viel Erfolg beim künftigen Schreiben.

 

Hermann Schladt

Herausgeber

 

Die Top-Ten des Wettbewerbs

1. Melanie Brosowski In ihrem Bann

2. Daniel Huster Die letzten Gesichter

3. Karin Jirsak * H *

4. Heike Pauckner Mörder am Fluss

5. Holger W. Jörg Die Geschichte vom Wolfstöter

6. Corinne Hocke Die Farbe der Unschuld

7 Matthias Bäßler Der Ruf des Wendigo

8 Carola Ruder Nachts

9 Nora Spiegel Das Seehundfell

10 Rahel Meister Hungrig

 

Und hier die neunuddreißg Storys, die ebenfalls veröffentlicht werden:

 

Schirin Abomaali Der sterbende Wolf

Leonie Arnold Ben

Elisa Bergmann Es ist ein Band von meinem Herzen

Thomas Bilicki Das Tier in mir

Kathrin Breimeier & Sophie Großmann Der Weihnachtsstern

Ulli Brixel Einsatz auf CeBaRem

Norbert Faulhaber Terror auf dem Campus

Katharina Glas Agonie

Caroline Gützer Streuner

Ernst-Diedrich Habel Werwölfe im Harz

Andreas Haider Hell in Purgatory City

Bianca Heidelberg Die Füchsin

Marina Heidrich G2 Alpha

Klaus Held Das rauchlose Feuer

Jessica Iser Wolfstod

Philip C. Kasten Blutmond über dem Ebertal

Monika Klein Hallo Fetty

Kerstin Kramer Valeria

Doris Krüger Seelenwechsler

Violetta Leiker Wer einmal lügt

Manfred H. Lipp Feuersturm

Katharina Lohmann Zyklus

Katharina Ludwig Mitena – Das Schattenkind

Gabriel Maier Die Wolfsfalle

Tanja Rosenbaum Schimmer

Paul Sanker Unerwartete Gäste

Maren Schaefer Von Holzpuppen und anderen Menschen

Erik Schreiber Werwolf

Martin Spiegelberg Schwein ist mein ganzes Herz

Ylva Spörle Gerufen

Katharina Stein Erwachender Instinkt

Patricia Strunk Zimmer 26

Björn Sünder Abdrücke

Hagen van Beeck Ein Vampirmädchen Namens Rosalie

Bianca Volz Schattenwein

Wanda Wälich Roter Schnee

Günter Wirtz Odins Gabe

Martin Spiegelberg - Schwein ist mein ganzes Herz

 

Merkwürdiger Typ, der Herr Professor. Das heißt: eben nicht merkwürdig. Normalerweise stellt man sich unter einem Professor etwas anderes vor. Ein kleines verhutzeltes Männchen im abgetragenen Anzug. Drahtbrille und wirre weiße Haare machen das Bild komplett. Also sah er deswegen merkwürdig aus, weil er eben nicht merkwürdig aussah. Jedenfalls in der Vorstellung von Leuten wie mir, die nicht täglich mit Akademikern zu tun haben.

Der Bursche, der beschwingten Schrittes mein Büro betrat, hätte für einen Klamotten-Katalog Modell stehen können. Zugegeben nicht gerade für Teenie-Mode, aber doch für die elegante Kleidung des erfolgreichen Geschäftsmannes in mittlerem Alter.

Der Anzug nach Maß, sah mein geschultes Auge sofort. Ich lege höchsten Wert auf gepflegte Kleidung, nicht nur bei mir selber, auch bei meinen Angestellten. So manchem, der diese Regel nicht eingehalten hat, musste ich schon eine... na, nennen wir es mal väterliche Ermahnung erteilen.

Der Professor hatte eine Figur wie ein Langstreckenläufer, kurze graumelierte Haare und ein Auftreten, das man nur als "befehlsgewohnt" bezeichnen kann. Kein Wunder, er war schließlich nicht nur Chefarzt, sondern auch Besitzer einer Privatklinik. Und ein Baron noch dazu.

Vorsicht, Toni, sagte eine innere Stimme, der Mann ist nicht zu unterschätzen. Diese Stimme ist verdammt zuverlässig und hat mich schon oft bei Entscheidungen unterstützt. Auch bei ganz spontanen.

"Buona Sera, Signor Canario, io sono il Professore von Klugenheim", sagte er, und streckte mir seine - übrigens perfekt manikürte - Hand hin.

Sofort einen auf'n Deckel, sagte die bewährte innere Stimme, sonst wird er zu groß. Das hat bei meinen Mitarbeitern und Geschäftsfreunden, wenn man sie so nennen darf, immer gewirkt.

Darum ignorierte ich die Pfote und sagte: "Verschonen Sie mich mit Ihrem mickrigen Touristen-Italienisch. Ich lebe seit über zwanzig Jahren in Bayern und spreche besser Deutsch als die meisten Ihrer Landsleute. Also: zur Sache, ich habe meine Zeit nicht gestohlen, auch wenn Leute wie Sie meinen, unsereiner hätte alles zusammengeklaut, was er besitzt."

Der befehlsgewohnte Chefdoktor war nicht im Geringsten beeindruckt von meiner Schnodderigkeit. Im Gegenteil, er überspielte die Situation, in der die meisten anderen zwanzig Zentimeter kleiner geworden wären.

Er zog die gepflegte Chirurgenpfote zurück als wäre nichts gewesen und sagte:

"Sie sind ein Mann nach meinem Herzen, Herr Canario. Glauben Sie mir, auch für mich ist Zeit ein äußerst kostbares Gut. Und 'Zur Sache' könnte man als das Motto meines Lebens bezeichnen."

"Also los."

"Es geht", sagte er, "um Ihren Neffen Giuseppe, der bei Ihnen offiziell als Kellner angestellt ist."

"Um das gleich klarzustellen", sagte ich und folgte wieder der unbestechlichen inneren Stimme, "Beppe ist Kellner in meinem Restaurant, und sollten Sie etwas anderes behaupten, oder gar Andeutungen in Richtung illegaler Geschäfte machen, dann werden Sie Probleme mit meinen Anwälten kriegen." Wenn Sie Glück haben, fügte ich im Geiste hinzu.

"Nichts liegt mir ferner, Herr Canario, oder darf ich Sie Don Antonio nennen?"

"Mir scheißegal, wie Sie mich nennen, wenn Sie nur endlich auspacken."

"Gut", sagte er. "Giuseppe liegt in meiner Klinik im Koma, er ist an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Sein Herzfehler ist wahrscheinlich angeboren. Er braucht eine neue Herzklappe, und darüber möchte ich mit Ihnen reden."

"Da gibt’s nichts zu reden", antwortete ich. "Er ist privat versichert, das Beste ist gerade gut genug, sonst hätte ich ihn nicht in Ihre schweineteure Anstalt geschickt, und was die Kasse nicht zahlt, zahle ich, selbstverständlich."

"Geld ist kein Thema. Worum es geht, ist das Material der Herzklappe. Wir haben die Wahl zwischen anorganischem und organischem Material."

"Was ist besser?", fragte ich.

"Das kommt darauf an. Beides hat seine Vor- und Nachteile."

"Dürfte ich den Herrn Professor höflichst um eine klare, deutliche und verständliche Antwort bitten?"

Langsam fing der Typ an, mir auf den Keks zu gehen. Andererseits hatte er mir sicher etwas Interessantes mitzuteilen, sonst würde er sich mit einem wie mir erst gar nicht einlassen.

"Okay. Es hat sich herausgestellt, dass die Implantation von Fremdgewebe unter bestimmten Umständen einen Einfluss auf den Organempfänger hat, der über die Heilung seiner Krankheit hinaus geht. Im Versuch hat sich gezeigt, dass sich das Empfänger-Tier stark verändert. Erstens der Charakter, zweitens die DNA."

"Scheiß-DNA! Mistzeug, verdammtes!", brüllte ich. Manchmal blitzt das sizilianische Temperament auch nach vielen Jahren kühler Fremde noch durch.

"Seit sie das erfunden haben, sitzen Giorgio und zwei weitere von meinen besten Männern im Knast, nur weil sie am Tatort 'ne Kippe oder 'n Kaugummi weggeschmissen haben!"

"Nun, 'erfunden' ist vielleicht nicht ganz der richtige..."

"Schmink' dir den Oberlehrer ab, du Arschloch! Sonst drücke ich hier drauf", ich zeigte ihm den in meinen Schreibtisch eingelassenen Klingelknopf, "und dann wirst du durch die Mangel gedreht bis du lachst."

Komischerweise war er auch diesmal nicht sonderlich beeindruckt.

"Das wäre nicht im Interesse Ihres Neffen. Schließlich wird er morgen operiert, und zwar von mir."

"Okay okay, war nicht so gemeint. Also weiter", lenkte ich ein. In diesem Fall war ich wohl ausnahmsweise zu weit gegangen. Schlechtes Zeichen.

"Zurück zum Tierversuch: Ich habe einem Pudel die - mit einem von mir entwickelten Spezialverfahren behandelte - Herzklappe einer Katze implantiert. Dieses Verfahren war ursprünglich dazu gedacht, die Abstoßungs-Reaktion zu reduzieren, oder sie gar zu verhindern."

Ich war jetzt ganz Ohr. Es fing langsam an, interessant zu werden. Also unterbrach ich den professoralen Redefluss vorerst nicht mehr.

"Der Hund vertrug die Katzenklappe ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Teilerfolg. Aber nach circa einer Woche ging es los: Er fing an, mir um die Beine zu streichen, wenn er hungrig war, und zwar mit Bewegungen die ganz und gar nicht hundegemäß waren."

"Jetzt sagen Sie bloß noch, dass er auch gemaunzt hat statt gebellt", sagte ich.

"Nicht nur das, er schnurrt sogar, wenn er sich wohlfühlt. Kurz gesagt: Er wurde zu einem Mittelding zwischen Katze und Hund. Und als ich ihm nach einer weiteren Woche Blut abnahm, stellte ich fest, dass seine DNA mit der einer Katze identisch war."

"Und was hat das mit mir und Beppe zu tun?"

"Nun", sagte er, "ich habe eine spezialbehandelte Herzklappe schweinischen Ursprungs vorrätig, die ich ihrem Neffen gern implantieren würde."

Ich konnte es nicht glauben. Ich griff in das Schränkchen unter meinem Schreibtisch und holte eine Flasche Grappa -Extraabfüllung für Don Antonio- und zwei Gläser heraus. Ich schenkte großzügig ein, wir tranken, und ich fing an, die Tragweite der ganzen Sache zu kapieren.

"Fahren Sie fort", sagte ich.

"Die durch die Transplantation verursachten Veränderungen dürften sehr in Ihrem Interesse liegen. Erstens können Sie sich kaputtlachen über eine ratlose Polizei, die am Tatort eine Kippe mit Schweine-DNA findet. Und zweitens die Sache mit dem Charakter. Was auch immer Ihr... äh... Kellner noch an Moral und Ethik in sich hat, wird sich mit Hilfe der Schweineherzklappe langsam aber sicher in Luft auflösen. Tiere sind glücklicher als wir. Ein Schwein würde einen lebenden Menschen auffressen, wenn es Hunger hat. Völlig ohne Gewissensbisse."

"Und warum gibt es diese Veränderungen?"

"Tja, wie vieles in der Medizin ist in diesem Fall das 'warum' völlig unerforscht, und bisher ist es auch unerklärlich. Ähnlich wie die Homöopathie. Bei einer C30-Potenzierung wird der Wirkstoff so extrem verdünnt, dass er gar nicht wirken kann. Trotzdem wirkt er, und nicht nur bei Leuten, die sich das einbilden, sondern auch bei Tieren und Säuglingen."

"Und genauso unerklärlich aber wahr ist die Veränderung der Menschen durch tierische DNA, verbunden mit dem Klugenheim-Verfahren?", fragte ich.

"Tolle Idee!", sagte er. "Ich bin noch gar nicht darauf gekommen, es so zu nennen. Aber Spaß beiseite, Sie haben es erfasst. Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass die Veränderungen ein unerwarteter Nebeneffekt der Spezialbehandlung sind", sagte der Professor und grinste mich fröhlich an.

"Und wie genau behandeln sie die Ersatzteile?", fragte ich.

"Berufsgeheimnis. Außerdem würden Sie die medizinischen Details auch gar nicht verstehen. Schauen Sie, ich habe zwei Möglichkeiten: Zu versuchen, das Verfahren zum Patent anzumelden, mich für verrückt erklären zu lassen und meine Approbation zu verlieren. Oder ein Geschäft mit Don Antonio zu machen. Und ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Geschäftsbeziehung."

"Allright, nix wie rein mit dem schweinischen Ersatzteil. Über den Preis..."

"...werden wir am besten sofort verhandeln. Bei Erfolg könnte ich noch andere Ihrer Kellner behandeln, dann lässt sich auch über einen Mengenrabatt reden."

"Also, wie viel schlagen Sie vor, Herr Professor?"

Der Preis war happig, selbst für meine Verhältnisse. Aber ich schaffte natürlich, ihn um etwa fünfzehn Prozent herunterzuhandeln. Hatte er sicher gewusst, dass das bei uns ein ungeschriebenes Gesetz ist, und den Preis gleich höher angesetzt, wie im Schlussverkauf. Aber egal, die Idee, und die daraus resultierenden Möglichkeiten, waren Gold wert.

 

Wie nicht anders zu erwarten -von Klugenheim war schließlich eine international anerkannte Koryphäe- erholte sich mein Neffe sehr schnell von der Operation, und er konnte nach kurzer Zeit aus der Klinik entlassen werden. Ich gab ihm noch etwas Zeit zum Erholen, aber nach einigen Wochen bekam er seinen ersten Auftrag.

Ich flog mit ihm in die alte Heimat, wo wir ein Familiengeschäft zu erledigen hatten. Ich wollte ihm unbedingt bei dem Job über die Schulter kucken, wer weiß, vielleicht waren erste Veränderungen schon zu sehen.

Im Haus des Richters, der es gewagt hatte, ein Mitglied unserer Familie nicht nur anzuklagen, sondern auch noch zu verurteilen - natürlich einer aus dem Norden -, erfüllte er seinen Job so perfekt wie immer, aber mit einer Grausamkeit und Brutalität, die ich bei ihm bisher noch nie erlebt hatte.

Ich bat ihn, den Überresten des Richters kräftig ins Gesicht zu spucken, und er gehorchte mir freudig.

Wir verließen das Haus im Schutz der Dunkelheit, und ich sagte zu Beppe:

"So, mein Freund, das hast du sehr gut gemacht. Glaube nicht, dass ich dir misstraue. Ich bin bloß mitgekommen, um dir zu helfen, falls dir schlecht wird oder du ohnmächtig wirst. Schließlich ist deine Operation noch nicht lange her."

"Schon klar, chrrn", sagte er.

Ich weiß, chrrn ist ein schwacher Abklatsch des Lautes, der aus seiner Kehle drang, aber so ähnlich klang es. Auch die Einsilbigkeit war eine ganz neue Eigenschaft bei ihm, normalerweise bekam er das Maul kaum zu.

"Und jetzt, weil du so gut gearbeitet hast, lade ich dich zum Essen bei Luigi ein."

"Au ja. Essen! Chrrn", antwortete er.

Ich hatte mit Absicht nicht mit Beppe über Geld gesprochen, und er sprach mich auch jetzt nicht darauf an. Ebenfalls ein völlig neuer Charakterzug bei einem, der früher auf schnelle Autos und teure Callgirls scharf war und ständig meckerte, ich würde ihn zu schlecht bezahlen.

Bei Luigi, dessen Restaurant weit über die Grenzen Siziliens - und sogar Italiens - hinaus bekannt ist, musste ich ihn mehrmals zur Ordnung rufen, denn seine früher untadeligen Tischmanieren ließen inzwischen sehr zu wünschen übrig.

Es gibt einen alten deutschen Kinderreim:

"Was sollen wir trinken?", fragten die Finken.

"Bier!", rief der Stier.

"Wein!", rief das Schwein.

Dieser Spruch entpuppte sich als die pure Wahrheit, so dass ich Beppe auch diesbezüglich ermahnen musste, denn er goss den edlen Vino Rosso, von Luigi selbst angebaut, in sich hinein, dass es, wie man in Bayern sagt, der Sau graust.

Er, früher ein aufmüpfiger Besserwisser, nahm den Tadel folgsam und ohne Widerspruch an.

Experiment geglückt, dachte ich. Hier hatte ich meinen idealen Arbeitnehmer.

 

Am nächsten Morgen flogen wir mit der ersten Maschine zurück nach München, und wenige Tage später las ich in der sizilianischen Tageszeitung, die ich abonniert habe, die erwartete Nachricht. Die Schlagzeile lautete: "PORCA MISERIA".

Die Polizei war - wie erwartet - äußerst erstaunt, im Haus des Richters keinerlei menschliche Spuren gefunden zu haben, sondern nur eine eingetrocknete Flüssigkeit, die sich als Speichel eines Schweines herausstellte. Auf was für nette Ideen doch die Journalisten beim Verfassen ihrer Titelseiten kommen. Von mir war natürlich nichts zurückgeblieben, denn ich hatte einen weißen Spurensicherungs-Overall angehabt. Praktisch. Lässt sich ganz klein zusammenfalten und verschwindet in jeder öffentlichen Mülltonne.

Das war der Versuchsballon, ein absoluter Volltreffer, und Beppe wurde zum erfolgreichsten Vollstrecker, den unsere Familie je erlebt hatte. Und zum preiswertesten noch dazu, denn das Schwein ist nicht nur ein nützliches und gelehriges Tier, sondern auch kein besonders anspruchsvolles. Ein Dach über dem Kopf - er wohnte in meinem Haus, seit er als Vierzehnjähriger per Anhalter von Sizilien nach München gekommen war -, genug zu essen und trinken - nach jedem erledigten Job spendierte ich ihm eine Flasche Wein, nicht den von Luigi, denn seine Weinkennerschaft war ihm auch abhanden gekommen -, und gelegentlich eine Suhle.

Einmal pro Woche, wenn ich sowieso hin musste um nach dem Rechten zu sehen, begleitete ich ihn in die familieneigene Schweinesuhle. Auch da war eine Zurechtweisung vonnöten, denn die Mädchen beschwerten sich bei der Madame, und die Madame bei mir, er würde sich über sie her machen 'wie ein Tier'. Wie Recht sie doch hatten.

 

Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil, das von der Filmindustrie genährt wird, dass in unserer Branche die Söhne automatisch in die Fußstapfen ihrer Väter treten. Im Mittelalter mag es selbstverständlich gewesen sein, dass der Sohn eines Bäckers auch Bäcker wird, aber die Zeiten haben sich geändert.

Die meisten unserer Leute landen aus Armut und daraus resultierender Chancenlosigkeit, aus Neigung, oder einfach aus Dummheit in unserem Geschäft. Einer, der für jeglichen qualifizierten Beruf zu blöde ist, kann sich immer noch als Schutzgeldeintreiber verdingen.

Die Chefs jedoch wünschen sich Kinder, die mit dem Geschäft nichts zu tun haben. Deshalb ist es kein Wunder, dass mein Sohn Enrico nicht nur ein Einser-Abitur hingelegt, sondern auch Medizin studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen hat. Und wie es der Herrgott - oder der Teufel - will, hat er sich, sobald er seine Assistentenzeit absolviert hatte, auf die Herzchirurgie gestürzt.

So lag es nahe, dass ich zwei und zwei zusammenzählte, und, nachdem der gute Beppe sich so vorteilhaft entwickelt hatte, dem Herrn Professor einen Besuch abstattete. Natürlich nach Anmeldung und in Begleitung zweier meiner muskulösesten Kellner.

Die Klinik, in der wir ihn besuchten, war noch vornehmer als ich sie mir vorgestellt hatte. Prunk und Protz pur, und das in einem der nobelsten Vororte von München.

Er begrüßte uns sehr höflich und zuvorkommend, schließlich waren wir Partner, und erkundigte sich sogar nach dem Befinden meiner Familie.

"Genau deshalb bin ich bei Ihnen", sagte ich.

"Es geht allen sehr gut, mein Sohn hat gerade seinen Facharzt gemacht und wünscht sich nichts sehnlicher, als bei Ihnen sein Wissen zu erweitern. Wenn Sie wollen, sogar ohne Bezahlung."

Der Professor, aalglatt wie immer, lächelte, schaute mich an, schaute meine zugegebenermaßen etwas grimmig dreinblickenden Begleiter an, und sagte schließlich:

"Aus der Tatsache, dass Sie die beiden starken Herren dabei haben, schließe ich, dass es sich um ein Angebot handelt, das ich nicht ablehnen kann."

"So könnte man es formulieren", antwortete ich, "obwohl ich diese Formulierung nicht mag."

Nun war es an mir, sphinxartig zu lächeln.

"Nennen wir es lieber ein Angebot, von dem wir beide nur Vorteile haben: Sie einen begabten und lernwilligen Assistenten, und wir als einzige Gegenleistung den Trick mit der Fremdgewebe-Behandlung."

"Wissen Sie was, Herr Canario, ich bin einverstanden. Geld kann ich mit dem Verfahren sowieso nicht mehr verdienen. Und einen tüchtigen Helfer kann ich gut gebrauchen. Außerdem, was bleibt mir übrig? Wer sich mit Wölfen zu Tisch begibt, weiß eben nie, ob er der Ehrengast oder das Hauptgericht ist."

Dass er so schnell und bereitwillig auf meinen Vorschlag einging, hätte mich stutzig machen sollen. Trotzdem antwortete ich:

"Sie haben es erfasst."

"Also, Ihr Filius hat den Job. Das muss gefeiert werden", sagte der Professor, und griff in seinen Schreibtischschrank. Aha, dachte ich, Grappa-Time, vielleicht auch ein edler Malzwhisky oder Cognac. Er zog jedoch eine Gasmaske aus dem Schränkchen, setzte sie blitzschnell auf, und ehe einer von uns reagieren konnte, waren wir schon im Reich der Träume. Was für ein Gas es war, das er über irgendeinen versteckten Knopf in sein Büro ließ, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ein verdammt schnell wirkendes.

 

Ich wachte in einem Käfig auf, der mit einer Liege, einem Tisch, einem Stuhl, einem Waschbecken und einer Toilette ausgestattet war. Die Gitterstäbe waren aus Edelstahl, und hatten nur eine kleine Klappe. Für das Essen, vermutete ich. Auch die Möbel waren aus Stahl, zudem noch am Boden festgeschraubt. Keine Möglichkeit zu fliehen, nichts, was man als Waffe benutzen könnte, stellte ich sofort fest. Erst dann fiel mir auf, dass ich splitternackt war.

Was war los? Ganz allmählich kam die Erinnerung daran, wie Klugenheim mich und meine Leute ausgetrickst hatte. Na warte, du Schwein, dachte ich, dafür bezahlst du.

Der Käfig befand sich in einem gekachelten Raum, dessen Tür sich öffnete. Der Professor höchstpersönlich kam herein, in den Händen ein Tablett.

"Guten Morgen, Herr Canario, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen", sagte er.

"Lass mich hier raus, cazzo, sonst wirst du es bitter bereuen. Meine Leute werden mich finden, und dann..."

"Ihre Leute haben die Leichen Ihrer zwei Affen schon gefunden. Und dass Sie spurlos verschwunden sind, wundert niemanden. Konkurrenzkampf unter Gangstern. Außerdem glaube ich nicht, dass jemand Sie wirklich vermissen wird."

Mein Deutsch verließ mich. Ich brüllte mindestens fünf Minuten auf Sizilianisch. Alle Beleidigungen, die mir einfielen. Dann war ich erschöpft und ließ mich auf die Liege fallen.

Der Professor schob das Essenstablett durch die Klappe.

"Stärken Sie sich. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen, sie müssen bei Kräften bleiben. Ich habe noch Großes mit Ihnen vor", sagte er und verließ den Raum. Es schmeckte tatsächlich ausgezeichnet. Also nicht nur protzige Fassade, sondern auch Gourmet-Küche. Eigentlich ließ es sich hier ganz gut aushalten.

Erst später bemerkte ich den Verband an meinem rechten Oberschenkel. Was mochte es damit auf sich haben? Vielleicht hatte ich mich verletzt, als ich in Ohnmacht gefallen war. Ich würde den Professor bei seiner nächsten Visite fragen.

Er brachte mir tatsächlich am Morgen wieder mein Frühstück, das er jedoch von einer Krankenschwester tragen ließ. Er selbst trug eine schwarze Katze.

Die Frage nach dem Verband beantwortete er mit einem lapidaren 'Das werden Sie schon noch merken.'

Komisch das alles, auch dass die Katze, die ich jetzt erst genauer ansah, ein gelocktes Fell hatte. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt.

"Können Sie sich vorstellen, wen oder was ich auf dem Arm habe?"

Ich hatte eine dumpfe Ahnung, aber mein Gehirn war zu benebelt, um diese Ahnung zu konkretisieren.

Klugenheim verließ meine Zelle, wobei er leise einen alten Schlager vor sich hin sang: "Mein Hund beißt jeder hübschen Frau ins Bein..."

So vergingen die Tage, und ich merkte, dass mir die Gefangenschaft nichts ausmachte. Auch das Fehlen meiner Kleidung war nicht tragisch. Ich war schon immer stark behaart, und jetzt wurden die Haare von Tag zu Tag dichter. Und sie verfärbten sich zusehends. Aus pechschwarz wurde blond, oder eher gelb.

Nach etwa zwei Wochen - ich weiß es nicht genau, denn ich hatte das Zeitgefühl verloren - brachte der Professor bei seiner Visite zwei bullige Pfleger mit.

"So, mein guter Canario", sagte er, "jetzt ist es Zeit für einen Umzug. Die hiesigen Gegebenheiten sind für Sie wohl nicht mehr ganz... sagen wir: adäquat. Sie werden bei der Verlegung doch keine Schwierigkeiten machen?"

"Aber nein, warum sollte ich? Ich habe mich in meinem Leben noch nie so wohl gefühlt", wollte ich sagen, aber es kam nur Gezwitscher heraus.

Man brachte mich in eine andere Zelle, in der ein anderer Käfig aufgebaut war.

Keine Möbel mehr, keine Sanitäreinrichtung. Nur eine lange dicke Holzstange in etwa einem Meter Höhe und zwei Näpfe, einer für Wasser, einer für Nahrung. Außerdem war der Boden mit Sand bedeckt.

Mit den Worten: 'Ist doch viel schöner so' ging der Professor raus.

Ich stellte mich probeweise auf die Stange, wobei mir auffiel, dass an meinen beiden Füßen zwei Zehen verkümmert, die anderen jedoch lang, gebogen und sehr kräftig geworden waren. Das war eine bequeme Haltung, viel besser als die blöde Liege, auf der ich in letzter Zeit sowieso nicht mehr gut geschlafen hatte.

Was ich vorhin hatte sagen wollen, war nicht gelogen, mir ging es wirklich phantastisch. Ich schüttelte mein Gefieder und trillerte mein Lieblingslied: Canarioho, cantare ohohoho...

 

Herr Professor von Klugenheim ging bester Laune durch die Gänge seiner Klinik. Es hatte sich alles so entwickelt wie geplant. Der Kanari gedieh prächtig, Beppe war wahrscheinlich längst an den nächsten Schlachthof verscherbelt worden. Was er den Mafiosi, diesem Krebsgeschwür der Menschheit, nicht verraten hatte, war, dass nach der Verpflanzung das implantierte Gewebe dominiert, und die Oberhand gewinnt.

Es ging auf Weihnachten, und wie jedes Jahr feierte die Sippe derer von Klugenheim auf dem Stammsitz der Familie. Diesmal war es seine Aufgabe, für das Essen zu sorgen. Er hatte hervorragende Köche in seiner Klinik beschäftigt, und er war schon sehr gespannt, was sie aus einem Hundert-Kilo-Stück Geflügel zaubern würden.