Für Penelope Betjeman

{7}Vorwort

Wie man sich erzählt (und ich will es ausnahmsweise glauben), kehrte eine für ihre kirchenfeindliche Gesinnung allgemein bekannte Dame vor einigen Jahren triumphierend von einer Reise nach Palästina zurück. »Endlich habe ich herausgefunden, wie es wirklich war«, verkündete sie ihren Freunden. »Die ganze Kreuzigungsgeschichte hat eine Engländerin, eine gewisse Ellen, erfunden. Der Fremdenführer hat mir sogar genau den Platz gezeigt, wo es passiert ist. Selbst die Priester geben es zu: Sie nennen ihre Kapelle Inventio Crucis, die Erfindung des Kreuzes.«

Es geht mir keineswegs darum, der Dame, die »Erfindung« und »Auffindung« nicht unterscheiden konnte, ihre Illusion zu nehmen – ich will nur eine alte Geschichte neu erzählen.

Dieses Buch ist ein Roman.

Ein Schriftsteller arbeitet mit Erlebnissen, die seine Phantasie in Gang bringen. In meinem Fall war es das planlose Herumlesen in historischen und archäologischen Werken. Das daraus entstandene Buch ist natürlich weder Geschichte noch Archäologie. Wo bei den Fachleuten gewisse Zweifel bestehen, habe ich des Öfteren die bildhafte Version der plausiblen vorgezogen; an ein oder zwei Stellen, wo die Quellen stumm blieben, habe ich sogar frei erfunden. {8}Dennoch glaube ich nicht, dass ich von der Geschichtsschreibung abweiche (abgesehen von einigen absichtlichen und erkennbaren Anachronismen zugunsten der »dichterischen Wahrheit«); auch dürf‌te wenig vorkommen, das sich nicht irgendwie auf Überlieferung und frühe Quellen berufen kann.

Zu Recht darf sich der Leser fragen: »Wie viel ist nun wirklich wahr?« Die Zeit von Kaiser Konstantin ist sonderbar undurchsichtig. Die Mehrzahl der Daten und Fakten, die Enzyklopädien vertrauensvoll nennen, halten keiner näheren Prüfung stand und lösen sich in Nebel auf. Das Leben der heiligen Helena beginnt und endet in Vermutungen und Legenden. Immerhin dürfen wir davon ausgehen, dass sie die Mutter Konstantins des Großen war (und Constantius Chlorus sein Vater); dass ihr Sohn sie zur Kaiserin erhob; dass sie sich im Jahr 326, als Crispus, Lician und Fausta ermordet wurden, in Rom aufhielt; dass sie kurz darauf nach Jerusalem reiste und sich an dem Bau der Kirchen in Bethlehem und auf dem Ölberg beteiligte. Es ist ferner so gut wie sicher, dass sie Ausgrabungen leitete, bei denen Holzstücke gefunden wurden, in denen sie sogleich, wie die ganze damalige Christenheit, das Kreuz erkannte, an dem unser Herr verschied; dass sie einen Teil davon zusammen mit vielen anderen Reliquien entführte und den Rest in Jerusalem ließ; dass sie längere Zeit im dalmatischen Nisch und in Trier lebte. So mancher Hagiograph glaubt, dass sie 325 in Nicäa war. Aber darüber wissen wir nichts.

Wir wissen weder wo noch wann sie geboren wurde. Britannien ist nicht unwahrscheinlicher als jedes andere Land. Jedenfalls haben britische Geschichtsschreiber sie {9}von jeher für sich in Anspruch genommen. Wir wissen nicht, ob Constantius im Jahr 273 in Britannien war, da uns alle Einzelheiten aus seiner Jugend fehlen. Seine Stellung und Fähigkeiten hätten ihn durchaus zu einem Gesandten von Tetricus befähigt; aber wenn wir ihn als solchen schildern, stützen wir uns nur auf Vermutungen. Helenopolis (das alte Drepana) am Bosporus behauptet aufgrund seines Namens, der Geburtsort von Helena zu sein; aber Konstantin war willkürlich in der Bezeugung seiner Familiengefühle. So hat er mindestens eine weitere Stadt, und zwar in Spanien, nach seiner Mutter benannt, und man weiß, dass er die palästinensische Hafenstadt Maiouma nach seiner Schwester Constantia umtauf‌te, die natürlich nicht in Palästina zur Welt kam. Dass ich aus York Colchester gemacht habe, liegt daran, dass ich mich vom Bildhaften habe leiten lassen. Das Geburtsdatum ist ungewiss, wie alle Daten dieser Epoche. Helenas Lobredner schildert sie auf ihrer Reise nach Jerusalem als eine Frau von über achtzig Jahren, was ich für eine fromme Übertreibung halte.

Wir wissen nicht, ob die Holzteile, die Helena fand, wirklich vom Kreuz Christi stammten. Die Frage seiner Konservierung braucht uns nicht kümmern, da Helena von unserem Heiland durch keine größere Zeitspanne getrennt war, als wir selbst von König Charles I. Gehen wir aber von seiner Echtheit aus, so müssen wir bei seiner Entdeckung und Wiedererkennung meines Erachtens auch dem Wunder einen gewissen Einfluss einräumen. Wir wissen, dass die meisten der heute an verschiedenen Orten verehrten Reliquien des wahren Kreuzes eindeutig von der in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts verehrten Reliquie {10}abstammen. Gemeinhin heißt es bekanntlich, es gebe genügend Holzstücke von jenem »wahren Kreuz«, um ein Kriegsschiff daraus zu bauen. Indessen hat im vorigen Jahrhundert ein französischer Gelehrter, Charles Rohault de Fleury, sich die Mühe gemacht, sämtliche Splitter nachzumessen. Er stellte eine Gesamtziffer von 4000000 mm2 fest, wohingegen das Kreuz, an dem unser Heiland litt, wahrscheinlich der Größe von 178000000 mm2 entsprach. Die Holzmenge braucht somit den Gläubigen keineswegs zu beunruhigen.

Folgende Namen sind reine Erfindung: Marcias, Calpurnia, Carpicius, Emolphus.

Die Gestalt des Ewigen Juden ist früher nicht mit Helena in Verbindung gebracht worden. Ich meinerseits habe es getan, um zwei sich widersprechende Geschichten über die Auffindung des Kreuzes dichterisch zu vereinen: die eine berichtet, dass Helena von einem Traum an den Fundort geleitet wurde; die andere, weniger glaubwürdige Geschichte, behauptet, dass sie einem alten Rabbiner die Wahrheit darüber abzwang, indem sie ihn in eine Zisterne hinabgelassen und dort eine Woche lang gefangen gehalten habe.

In ähnlicher Weise habe ich Constantius Chlorus eine Mätresse gegeben, obwohl er als außergewöhnlich tugendhaft bekannt war.

Ein Historiker macht aus Helena eine ältliche, aus Drepana stammende Konkubine. Den ertrunkenen Bithynier habe ich erfunden, um anzudeuten, dass ich nichts auf die Glaubwürdigkeit dieses Berichts gebe.

Weitere Erwägungen dieser Art klingen auf den folgenden Seiten hie und da an, doch wäre es langweilig, hier {11}darauf hinzuweisen. Sie sind für jeden da, der Vergnügen an ihnen hat.

Die ganze Erzählung ist eben weiter nichts als »etwas zum Lesen«: eine Legende.

{13}Helena