Die Drei Fragezeichen
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und der Hexengarten

erzählt von Kari Erlhoff

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2015, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-14735-1

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Böse Blumen

»Habt ihr schon mal gegen Pflanzen ermittelt?«

Peter Shaw schloss den Metallschrank mit den Bällen ab, dann drehte er sich zu dem Fragesteller um. Es war Jesse Everett, ein dunkelblonder Junge aus seinem Basketball-Team.

»Ich meine, ihr seid doch Detektive«, setzte Jesse eilig hinzu. »Und ihr übernehmt Fälle, in denen es um merkwürdige Vorkommnisse geht.«

»Schon.« Peter schnappte sich seine Wasserflasche, die er am Spielfeldrand abgestellt hatte, und genehmigte sich einen großen Schluck. Die Mannschaft der Rocky Beach Highschool bereitete sich auf das Spiel zum Saisonstart vor – ein wichtiges Match gegen die überaus starken Laguna Lions. Heute war das Training besonders lang und anstrengend gewesen. Peter sah den anderen Spielern hinterher, die nun eilig in der Umkleide verschwanden. Jesse hingegen zupfte unschlüssig an seinem Trikot herum und starrte auf den grauen Boden der Turnhalle. »Ich hätte da vielleicht einen Fall für euch.«

»Mit kriminellen Pflanzen?« Peter unterdrückte ein Lachen. Prompt stellte er sich ein paar Rosen vor, die eine Bank überfielen, während die Tulpen draußen im Fluchtwagen warteten. »Du machst Witze!«

Allerdings sah Jesse nicht so aus, als wäre er zu Scherzen aufgelegt. Peter gab sich Mühe, nicht doch noch zu lachen. Schließlich wollte er sein Gegenüber nicht verärgern. Der Zweite Detektiv hatte außerhalb der Schule wenig mit Jesse zu tun, aber er schätzte ihn als fairen und sportlichen Teamkollegen.

»Es klingt verrückt, ich weiß.« Jesse grinste verlegen. »Als mir meine kleinen Geschwister von der Sache erzählten, konnte ich es zunächst auch nicht glauben. Aber mittlerweile fürchte ich, dass sie tatsächlich recht haben.«

Peter wusste, dass Jesse Everett draußen auf dem Land auf einer kleinen Farm wohnte. Sie lag recht einsam, einige Kilometer von Rocky Beach entfernt, in der Nähe des Santa Inez Creek. Die ganze Basketballmannschaft der Rocky Beach High war im vergangenen Jahr zu einem Barbecue dort gewesen. Soweit sich der Zweite Detektiv erinnern konnte, gab es bei der Farm der Everetts Maisfelder, Weiden mit Kühen und Pferden und ein paar Obstbäume. Ob Jesses Geschwister etwas Unheimliches im Maisfeld beobachtet hatten? Vielleicht hatte sich dort ein Tier versteckt? Doch dann fiel Peter ein, dass die Pflanzen jetzt, Ende November, bereits abgeerntet waren. Dort, wo der mannshohe Mais gewachsen war, gab es vermutlich nur noch Stoppeln.

»Also«, fragte Peter nachdenklich. »Was ist denn genau passiert?«

»Es ist eine längere Geschichte«, antwortete Jesse. Er fuhr mit dem rechten Fuß die bunten Linien auf dem Boden nach. »Halte mich bitte nicht für verrückt.«

»Die drei ??? nehmen aus Prinzip jede Anfrage ernst«, versicherte Peter mit den Worten, die sonst sein Freund und Chef Justus Jonas gern benutzte. »So absurd sie auch zunächst scheinen mag. Also erzähl ruhig, was deinen Geschwistern geschehen ist.« Er lächelte Jesse aufmunternd zu und nahm dann einen weiteren tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche.

»Nun, die Kurzversion davon ist, dass die drei eine Mutprobe machen wollten. Mitten in der Nacht sind sie zu einem Anwesen in unserer Nähe gelaufen und dort in ein paar alte Gewächshäuser eingestiegen. Das war für die Kleinen auch so schon ganz schön gruselig. Aber die Gewächshäuser waren noch um einiges unheimlicher als erwartet.« Erneut zögerte Jesse. »Die Kinder schwören, dass es dort nicht mit rechten Dingen zuging. Sie behaupten, die Pflanzen würden ein Eigenleben führen.«

»Ein Eigenleben?«

»Ja, da waren angeblich tanzende kleine Lichter in der Dunkelheit und die Pflanzen bewegten sich. Außerdem wollen meine Geschwister körperlose Stimmen zwischen den Blättern gehört haben. Die Kleinen waren außer sich, als sie bei unserer Farm ankamen. Unsere Mutter konnte sie kaum beruhigen. Jetzt wollen sie nur noch bei Licht schlafen und reden ständig von den Geisterpflanzen.«

Bei Spukgeschichten konnte Peter normalerweise nicht anders, als sich demonstrativ zu gruseln. Und wenn es nur darum ging, den Ersten Detektiv, Justus Jonas, zu provozieren. Der war nicht nur ausgesprochen mutig, sondern fand auch immer wieder logische Erklärungen für seltsame Phänomene. Aber zum einen war Justus nicht hier und zum anderen war der Gedanke an spukende Blumen absurd. Der Zweite Detektiv konnte sich eine entsprechende Bemerkung einfach nicht verkneifen. »Vielleicht sind ein paar Pflanzenreste im Mondschein auf dem Komposthaufen erwacht und dann als Zombies durch die Gegend gewandert.«

Jesse lachte nicht. Im Gegenteil – er sah enttäuscht aus. »So etwas Ähnliches haben meine Eltern auch gesagt.«

»Entschuldige«, sagte Peter schnell. Justus hätte ihn jetzt bestimmt getadelt. Die drei ??? wollten schließlich unvoreingenommen an ihre Fälle herangehen.

»Schon gut.« Jesse winkte ab. »Ich will mich nicht lächerlich machen. Bitte erzähle niemandem aus dem Team, dass ich dich und deine beiden Freunde engagieren wollte, okay?« Der hochgewachsene Junge drehte sich um und ging mit hängenden Schultern auf die Tür der Umkleidekabine zu.

»Warte!«, rief ihm Peter hinterher. »Du kennst doch bestimmt unser Motto!«

Jesse blieb stehen. »Wir übernehmen jeden Fall?«

»Ja, genau!«, bestätigte Peter. »Wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache und harmlose Erklärung für das Licht und die Geräusche. Zum Beispiel Arbeiter, die eine Spätschicht eingelegt haben. Das müsste man recht leicht herausfinden können.«

»Das mit den Lichtern und den Stimmen ist ja noch längst nicht alles!« Jesse machte wieder ein paar Schritte auf Peter zu. »Das ist gewissermaßen nur die Vorgeschichte. Ich habe selbst etwas gesehen, das –«

»Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?« Die Stimme von Trainer Tong dröhnte zu ihnen herüber. »Das ist eine Sporthalle, keine Cafeteria. Seht zu, dass ihr euch umzieht und Land gewinnt. Ich will endlich Feierabend machen!«

»Wir gehen ja schon, Sir«, rief Peter. Trainer Tong war ein ausgesprochen guter Coach, aber er war auch streng mit den Jungen. Wenn man mit ihm klarkommen wollte, tat man besser, was er sagte.

»Also los, raus hier!« Nun grinste Tong. »Ihr könnt euer kleines Kaffeekränzchen draußen abhalten, Mädels!«

»Mädels!«, ereiferte sich Jesse leise. »Ich hör wohl nicht richtig! Nur, weil wir noch etwas zu besprechen haben.«

»So ist er eben.« Peter setzte sich in Bewegung. »Komm. Am besten, du erzählst die ausführliche Version, wenn Justus und Bob dabei sind. Kannst du nachher auf den Schrottplatz an der Sunrise Road kommen? Das Gebrauchtwaren-Center T. Jonas. Da haben wir unser Hauptquartier.«

»Heute geht es leider nicht.« Jesse öffnete die Tür zu den Umkleidekabinen. »Ich habe meinem Vater versprochen, gleich nach dem Training nach Hause zu kommen. Ein Weidezaun muss repariert werden. Da braucht er meine Hilfe.«

»Klingt nach harter Arbeit.«

»Es geht. So ist es halt bei uns auf dem Land. Aber habt ihr nicht Lust, morgen alle drei mit zu uns auf die Farm zu kommen?«, fragte Jesse, während er die Schnürsenkel an seinen Basketballschuhen löste. »Wenn ihr den Fall übernehmen wollt, solltet ihr bei uns übernachten. Tagsüber passiert nämlich nichts Ungewöhnliches.«

»Wir verschaffen uns erst einmal einen Überblick. Dann sehen wir weiter, okay?«

»Prima«, gab Jesse zurück. »Ich gebe dir unsere Adresse und unsere Telefonnummer.«

Als Peter kurz darauf unter der Dusche stand, war er äußerst zufrieden. Die drei ??? hatten offenbar einen neuen Fall. Dieses Mal würde die Ermittlungsarbeit bestimmt einfach nur Spaß machen. Immerhin ging es weder um gefährliche Kriminelle noch um Flüche, Monster oder böse Omen. Mit ein paar Blumen würden er und seine Freunde locker fertigwerden. Das wäre für die drei Detektive quasi ein Sonntagsspaziergang.

Gefahr am toten Baum

»Nächstes Mal nehmen wir das Auto!« Justus Jonas trat kräftig in die Pedale seines Fahrrads. Die drei ??? befanden sich auf dem Weg zur Farm der Everetts. Während Peter locker vorwegradelte, bildete der Erste Detektiv mit einigem Abstand das Schlusslicht. Eine Tatsache, die seiner Laune nicht gerade guttat.

Bob Andrews lachte. »Komm, Just, das Wetter ist ideal für eine Radtour. Überraschend milde 17 Grad und Sonne. Was will man mehr im November?«

»Überraschend?« Justus stöhnte. »Wir leben in Südkalifornien, nicht am Nordpol. Aus meteorologischer Perspektive ist die aktuelle Wetterlage daher lediglich durchschnittlich.«

»Dann nimm es als kleine sportliche Herausforderung«, meinte Peter. Er bremste mehrfach leicht ab, bis er erst auf einer Höhe mit Bob und schließlich mit Justus war. »Freu dich doch schon mal auf die Geisterblumen!«

Der Erste Detektiv freute sich ganz offensichtlich nicht, sondern starrte missmutig auf die Straße vor ihm. Die schlängelte sich scheinbar endlos dahin. Die drei ??? hatten Rocky Beach mittlerweile verlassen. Obwohl Südkalifornien allgemein sehr trocken war, sorgte hier ein Fluss namens Santa Inez Creek für saftige Weiden und fruchtbares Ackerland. Statt Häusern und Gärten lagen neben der Straße nun Orangenplantagen, Maisfelder und Weiden. Hin und wieder fuhren sie an Feldwegen vorbei, die zu einzelnen Farmen führten. Der Erste Detektiv wich einem Schlagloch aus. »Wir sind uns wohl alle einig, dass Pflanzen kein geheimnisvolles Nachtleben führen.«

»So würde ich das nicht sagen«, warf Bob ein. »Nachdem Peter uns gestern von dem Auftrag erzählt hat, habe ich mich schlaugemacht. Immerhin bin ich für Recherche zuständig.«

»Wir kennen doch noch gar keine Details und –«, setzte Justus an, doch der Zweite Detektiv ließ ihn nicht ausreden.

»Was auch immer da vor sich geht: Die Blumen sind bestimmt unschuldig.«

»Löblich, dass du dieses Mal versuchst, eine rationale Perspektive einzunehmen«, gab Justus zurück.

»Nun lasst mich doch einfach mal berichten, was ich herausgefunden habe!«, sagte Bob mit Nachdruck. »Ihr werdet gleich staunen, was Pflanzen nachts so alles machen.«

»Rumstehen?«

»Es gibt einen Kaktus namens ›Königin der Nacht‹, der nur einmal im Jahr blüht – natürlich nachts«, eröffnete Bob seinen Freunden. »Und dann sind da noch Fledermauspflanzen, die nachtaktive Insekten anlocken.«

»Nicht sehr gruselig«, stellte Peter gut gelaunt fest. »Es sei denn, man ist eine Motte.«

»Stimmt«, gab Bob zu. »Für die sind auch die sogenannten Gespensterpflanzen gefährlich. Diese Blumen locken ebenfalls Insekten an und betäuben sie.«

»Meinetwegen gibt es besondere Pflanzen. Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass sie nachts aus ihren Töpfen kriechen, um die Gegend unsicher zu machen.«

»Wieder falsch«, konterte Bob. »Die Teufelszwirne, die auch als Hexenseide bekannt ist, greift wie ein kleiner Vampir Tomaten an. Sie ortet ihre Beute über den Geruch und kriecht dann quasi zu ihr hin.«

»Das ist mir auch bekannt«, mischte sich Justus ein. »Es handelt sich um ein sehr interessantes Phänomen der Botanik – zumal Pflanzen an sich keine Geruchsorgane haben.«

Nun wurde Peter ungeduldig. »Schön. Die Pflanzen sind schlau und durchtrieben und manche von ihnen können sogar herumschnüffeln wie Spürhunde. Aber deshalb spuken sie doch noch nicht! Kommt, Kollegen. Wir reden hier über Blumen!«

»Natürlich habe ich mich auch über Legenden und angebliche Spukerscheinungen informiert«, sagte Bob. »Eine Frau in Georgia behauptete, dass ihre Geranien zu ihr sprachen.«

Ein breites Grinsen trat auf Peters Gesicht. »Das ist irre, nicht gruselig!«

»Die Geranien wollten die Frau ständig zu Dingen überreden, die sie nicht wollte. Zum Beispiel dazu, mehr zu rauchen oder sonntags weniger Geld in der Kirche zu spenden. Schließlich musste ein Priester kommen und die Blumen mit Weihwasser gießen.«

»Und was passierte dann?«

»Angeblich sangen die Blumen danach nur noch fromme Lieder.«

Peter prustete los. »Solche Gruselgeschichten kannst du gern öfter erzählen, Bob!«

»Ich würde überprüfte Fakten bevorzugen«, mischte sich Justus ein. »Wer auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand hat, kann sich denken, dass hier jemand mit üblen Absichten ein Täuschungsmanöver inszeniert hat. Vermutlich mit einem Tonbandgerät.«

»Oder die Frau aus Georgia ist einfach nur verrückt gewesen«, überlegte Peter.

»Das wäre auch eine denkbare Erklärung«, räumte Justus ein. »Fest steht jedenfalls, dass Geranien über keine Stimmbänder verfügen und daher auch nicht in der Lage sind, zu sprechen.«

»Schön, dass wir das geklärt haben«, sagte Bob. »Es gab da aber auch deutlich weniger humorvolle Legenden. Zum Beispiel die von der krummen alten Eiche, die an einer Landstraße stand. Obwohl die Straße ganz gerade verlief, bogen immer wieder Autos aus unerklärlichen Gründen ab und rammten den Baum. Der Baum schien die Wagen wie magnetisch anzuziehen. Und er selbst bekam nie einen Kratzer ab. Da sich seine Blätter dauerhaft rot färbten, nannten die Leute in der Gegend ihn den Blutbaum. Man munkelte, dass er einen bösen Kern hätte.«

»Und das soll wirklich passiert sein?« Peter blickte auf eine alte Korkeiche, die ein Stück vor ihnen an einer Wegkreuzung stand. Offenbar war sie abgestorben. An den knorrigen Ästen hing kein einziges Blatt. Sie erinnerte den Zweiten Detektiv an eine bucklige Hexe, die ihre dünnen Finger in den Himmel streckte.

»Die Unfälle mag es gegeben haben«, sagte Justus an Bobs statt. »Aber der Grund dafür muss nicht der Baum gewesen sein.«

Peter bremste erneut ab. »Ich glaube, wir müssen dort vorne irgendwo abbiegen.«

»Bei der toten Eiche?« Bob drosselte ebenfalls sein Tempo.

Als sie die Kreuzung erreicht hatten, sahen die drei Detektive, dass es zwei Abzweigungen gab. Sie stiegen von den Rädern und sahen sich um. Laut Landkarte kam man zum Santa Inez Creek, wenn man weiter geradeaus fuhr. Der linke Weg hingegen war eine Zufahrt, die von halb verfallenen Mauern aus Feldsteinen gesäumt war. Ein Wegweiser, der an den kahlen Baum genagelt war, deutete in diese Richtung. »Frostgrove«, stand darauf.

Justus streckte sich. Sein Rücken tat ihm von der Fahrt auf der Schotterpiste weh. »Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich bei Frostgrove um das Anwesen mit den Gewächshäusern.«

»Das, bei dem die Kinder nachts die Mutprobe gemacht haben?«, wollte Bob wissen.

»Ich glaube schon«, gab Peter zurück.

Justus streckte noch einmal seine Arme, dann blickte er auf seine Uhr. »Schade, dass Jesse bereits auf uns wartet, sonst könnten wir einmal kurz vorbeifahren.«

»Zur Farm der Everetts müssen wir nach rechts.« Peter deutete in die entgegengesetzte Richtung, wo eine breitere Straße abbog.

»Na, dann sollten wir keine Zeit verlieren«, meinte Bob und stieg wieder auf sein Rad.

Die drei ??? wollten gerade losfahren, als hinter ihnen ein Hufschlag erklang, der schnell näher kam – viel zu schnell! Ein großes schwarzes Pferd mit einem ebenso schwarz gekleideten Reiter galoppierte direkt auf sie zu.

»Vorsicht!«, schrie Peter. Das Tier machte keine Anstalten, zu stoppen. Der Zweite Detektiv musste nicht lange nachdenken. Im Bruchteil von Sekunden würden ein paar hundert Kilo Lebendgewicht ihn und seine Freunde von den Beinen reißen. Ein Zusammenprall, der die drei Jungen das Leben kosten konnte! Er packte Bob am Kragen und warf sich zur Seite. Sein Fahrrad kippte um und blieb auf dem Sandboden liegen. Auch Justus, der etwas weiter abseits stand, ließ sein Rad fallen und machte einen Satz nach rechts. Beinahe wäre er gestolpert. Er ruderte heftig mit den Armen und fing sich gerade noch auf.

»Aus dem Weg!«, brüllte der Reiter ungehalten. Peter blickte für den Bruchteil einer Sekunde in das hohlwangige Gesicht des Mannes, das halb im Schatten seiner breiten Hutkrempe lag. Eine lange Narbe zog sich über die Lippe bis kurz unter das dunkle rechte Auge. Mehr konnte Peter nicht erkennen. Keine zwei Meter vor den Jungen riss der Mann die Zügel herum. Gleichzeitig gab er seinem Tier die Sporen. Es schnaubte und schlug mit den Hinterbeinen aus. Peters Fahrrad verfehlte es dabei nur um Zentimeter. Dann bogen Ross und Reiter auf die Straße ab, die nach Rocky Beach führte. Staub und Sand wirbelten auf.

Bob hustete. »Meine Güte, der hatte es eilig.«

»Unverantwortlich!«, knurrte Peter. »Total unverantwortlich!«

»Er kam von Frostgrove«, bemerkte Justus, während er sich den Staub von der Hose klopfte. »Und er war offensichtlich sehr schlecht gelaunt.«

Peter blickte dem Reiter hinterher. »Ich frage mich, warum Jesse und seine Geschwister Angst vor irgendwelchen Blumen haben. Den Mann da fand ich jetzt sehr viel unheimlicher. Habt ihr gesehen, wie der gekleidet war?«

»Und ob, Zweiter«, sagte Bob. »Mit seinem langen dunklen Mantel und den Lederstiefeln sah er fast aus wie ein Landmann aus dem vorletzten Jahrhundert.«

»Ich finde, er sah aus wie der Tod«, meinte Peter. »Fehlte nur noch die Sense.« Er hob sein Fahrrad auf und justierte das Rücklicht, das leicht verbogen war. »Passt ja. Der Tod begegnet uns am toten Baum. Wenn das mal kein böses Omen ist.«

»Peter«, sagte Justus mit amüsiertem Unterton in der Stimme. »Es gibt keine bösen Omen!«

»Das mag sein«, gab Peter zurück. »Aber ehrlich gesagt, möchte ich dem Mann nicht noch einmal begegnen – und seinem Pferd auch nicht!«

Eine ernst gemeinte Warnung

Ohne weitere Zwischenfälle kamen die Jungen bald zu der Farm der Everetts. Sie bestand aus einem gemütlichen Wohnhaus mit einem wild bewachsenen Garten, einer Scheune, einer Koppel und einem Pferdestall. Während es in Südkalifornien viele Landwirte gab, die Weinanbau und Viehzucht im großen Stil betrieben, hatten die Everetts einen beinahe altmodischen kleinen Bauernhof. Haus und Scheune waren in die Jahre gekommen, aber von den Besitzern gut in Schuss gehalten. Ein paar Hühner pickten auf dem Hof, und in einem Gehege stolzierte ein prächtiger Truthahn umher, der das Thanksgiving-Fest überlebt hatte.

»Willkommen auf der Yellow Corn Farm.« Jesse kam den drei ??? mit großen Schritten entgegen. »Und danke, dass ihr den Fall übernehmt.«

»Nun, wir werden natürlich zunächst überprüfen, ob es hier überhaupt einen Fall gibt.« Justus sah zu dem deutlich größeren Jungen auf. »Aber bis diese Frage geklärt ist, sind wir offen für alles, was du zu berichten hast.«

Jesse wirkte für den Bruchteil einer Sekunde beleidigt, hatte sich dann aber schnell im Griff. »Kommt mit in die Scheune. Dann können wir in Ruhe reden – ohne dass meine Mutter oder meine große Schwester uns gleich Arbeit aufbürden.«

Sie überquerten nebeneinander den Hof, wobei sie ein paar Hühnern ausweichen mussten, und betraten das Zwielicht der Scheune.

»Da rauf!« Gegenüber von ein paar leeren Pferdeboxen führte eine Holzleiter ins Obergeschoss.

»Kennst du zufällig einen hageren Mann, der ein schwarzes Pferd reitet?«, fragte Justus, als er hinter Jesse auf die Leiter trat. Die Sprossen knarrten bedenklich unter ihrer Last. Justus hoffte inständig, dass sie halten würden.

»Er war altmodisch gekleidet und hat eine Narbe im Gesicht«, fügte Peter hinzu. »Ziemlich unheimlicher Typ!«

»Das muss Charles Morland gewesen sein«, überlegte Jesse, der bereits oben angekommen war. »Das ist unser Nachbar. Ein etwas seltsamer Engländer. Er hat knapp zwei Kilometer von hier ein kleines Anwesen.«

»Etwas seltsam ist gut.« Peter betrat den Heuboden. Er musste riesig sein. Das hintere Ende konnte man in der Dunkelheit nicht erkennen. In einer Ecke waren alte Decken ausgebreitet, die nach Pferd rochen.

Jesse setzte sich. »Das ist mein Geheimquartier.«