Cover

Über dieses Buch:

Wer einen Hasen hat, braucht keinen Kerl … oder vielleicht doch? Eigentlich ist die sportliche Nicky vollkommen zufrieden mit ihrem Leben: Sie hat einen super Job als Personal Trainerin und mit Zwergkaninchen Mäxchen einen kuschelweichen Mitbewohner, der keinerlei männliche Allüren zeigt. Aber dann nimmt Nicky einen ganz besonderen Auftrag an: Sie soll den erfolgreichen Radiomoderator Paul kameratauglich machen. Sixpack statt Waschbärbauch – alles eine Frage der Disziplin! Doch genau die lässt Paul vermissen, da er nichts so sehr liebt wie Schokolade und Sahne. Unterstützt wird er dabei von seiner resoluten Haushälterin Elsa, für die „Diät“ ein anderes Wort für „Folter“ ist. Da hilft nur eins: Nicky zieht zu Paul und Elsa in die geräumige Villa. Und damit geht das Chaos so richtig los!

Über die Autorin:

Tina Grube, geboren in Berlin, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, arbeitete in renommierten Werbeagenturen und begann schließlich, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Ihre turbulenten Komödien wurden in mehrere Sprachen übersetzt, die beiden Bestseller Männer sind wie Schokolade und Ich pfeif auf schöne Männer erfolgreich verfilmt. Tina Grube pendelt heute zwischen ihren Wohnsitzen in New York und Mailand und arbeitet bereits an ihrem nächsten Roman.

Bei dotbooks erscheinen Tina Grubes Romane Männer sind wie Schokolade, Ich pfeif auf schöne Männer, Lauter nackte Männer, Schau mir bloß nicht in die Augen, Das kleine Busenwunder und Ein Mann mit Zuckerguss

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Neuausgabe Juli 2015

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel Der Schokoholic bei Blanvalet.

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Tina Grube und Verlagsgruppe Random House GmbH. Der Blanvalet Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House.

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung einer Illustration von Shutterstock/Leeremy

ISBN 978-3-95824-093-3

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Tina Grube

Ein Mann mit Zuckerguss

Roman



dotbooks.

Für meinen Mann

Weil du mit mir durch dick und dünn gehst, weil du jedes Gramm an mir liebst und ich an dir, weil wir gar nicht genug voneinander bekommen können.

Prolog

Die Raupe lebte ganz gemütlich und zufrieden vor sich hin. Bis sie eines Tages, wieder einmal auf der Suche nach leckeren, saftigen Blättern, vor einem Spiegel entlangkroch. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Das Wesen im Spiegel war sie selbst.

Sie hatte keine Taille. Sie war einfach rund und dick. Sie fand sich hässlich.

So beschloss sie, sich vor der Welt zu verstecken. Fortan lebte sie verborgen in einem Kokon. Da kam eine Fee vorbei. Die Fee erklärte der Raupe, dass sie eine wunderschöne Seele habe. Damit die Raupe das auch wirklich verstand, sprach die Fee voller Liebe immer wieder mit ihr, philosophierte über das Wunder des Lebens und die Schönheit des Seins, bis die Raupe sich endlich selbst zu mögen begann.

Als die Raupe schließlich aus dem Kokon herauskam, hatte sie sich verändert. Sie fühlte sich heiter, leicht, ganz unbeschwert. Und konnte sogar fliegen.

Kapitel 1
Ein Mann ohne Waschbrettbauch

Radio Funtime, Studio 1, 20.56 Uhr

Paul räuspert sich noch einmal, bevor er sein Mikrofon einschaltet.

»Wir sind am Ende der Sendung, Freunde. Doch ich will euch noch etwas mit auf den Weg geben. Gerade haben wir die traurige Geschichte von Britta gehört. Wenn man so enttäuscht wird, liegt es nahe, dass man sich eine Elefantenhaut zulegen will, die einen schützt. Aber ich sag euch eins: Selbst wenn es mal ganz dicke kommt, bewahrt euch eure Dünnhäufigkeit. Nur wer sensibel für das Leben bleibt, bleibt offen für Freude und Liebe. In diesem Sinne, genießt den nächsten Schmusesong in vollen Zügen. Ciao for now, euer Paul!«

Die rote Aufnahmelampe erlischt.

***

Lara und ich bahnen uns den Weg durchs Restaurant.

»Du bist die einzige Frau, die ich kenne, die seine Sendung nie hört«, sagt Lara und dreht sich kurz zu mir um.

»Ich schaffe das Leben auch so, ohne deinen Radioguru. Was hat er denn heute Tolles über den Äther verbreitet?«

Lara setzt sich an den uns zugewiesenen Tisch und schaut mich mit glänzenden Augen an. »Da war so ein Mädchen, das ist von ihrem Freund nach Strich und Faden belogen und betrogen worden.«

»Halleluja! Mal was ganz Neues!«

»Sei doch nicht immer so sarkastisch, Nicky.«

»Na, entschuldige, aber das ist ja jetzt keine so wahnsinnig originelle Geschichte.«

Lara zuckt mit den Schultern. »Mir geht es ja auch nur darum, was der Paul dazu gesagt hat.«

»Der Paul.« Ich muss kichern. »Du tust so, als ob er dein bester Freund wäre.«

»Er ist jedenfalls sehr weise. Also, hör zu: Er hat gesagt, man muss sich seine Dünnhäutigkeit bewahren, auch wenn man negative Erfahrungen macht.« Lara schaut mich nach diesem erleuchtenden Statement triumphierend an.

Dünnhäutigkeit. Meine Güte. Natürlich gehen solche Ratschläge mitten in Laras zart besaitetes Mädchenherz. Gerade will ich sie von ihrem fliegenden Teppich wieder auf den rauen Boden der Realität bringen, als mich eine Szene unweit von uns ablenkt.

Zwei Männer veranstalten ein ungewöhnliches Probesitzen. Eines haben die beiden gemeinsam: Sie sind richtig groß, genauer gesagt, lang: 1,90-Meter-plus-Typen mit Eignung für ein Basketball-Team. Einer von beiden allerdings ist viel von einem Mann, viel, viel, sehr viel sogar und somit als eleganter Korbwerfer reichlich ungeeignet. Das freundlichste Wort für dieses körperliche Phänomen wäre wohl »korpulent«. Jedenfalls versucht er gerade, sich auf eine Bank zu klemmen, die fest in den Boden montiert und somit unverrückbar ist. Das gemeine, unbewegliche Ding drückt seinen beachtlichen Bauch ungemütlich gegen den Tisch und verursacht eine gewisse Zweiteilung des Leibes in eine Wulst über und einen weiteren unter der Tischplatte. Ein Atemtest zeigt, dass er den Abend auf diese Art und Weise kaum überleben würde.

Er macht mit freundlichem Gesicht eine Bemerkung, die den Kellner offensichtlich sehr erheitert. Lachend weist er den beiden Männern einen anderen Tisch mit Stühlen zu. Stühle kann man ja praktischerweise so hinschieben, wie es gerade zur Konfektionsgröße oder in diesem speziellen Fall zur Übergröße passt. So gelingt schließlich das gefahrlose Einnehmen einer komfortablen Sitz- und Essposition an dem Tisch direkt hinter unserem.

An Lara ist das ganze Geschehen, das sich in ihrem Rücken abspielte, völlig vorbeigegangen. Sie träumt im Moment vor sich hin und malt dabei ein paar Muster auf ihren Block, ohne den sie nie das Haus verlässt. Meine Freundin Lara ist nämlich eine Künstlerin und verdient ihr Geld mit Illustrationen. Ihre Erdbeeren für die Kunden von der Marmeladenfirma zum Beispiel sehen so realistisch aus, als wären sie gerade frisch im Paradies mit Seidenhandschuhen vom Strauche gepflückt und anschließend liebevoll hochglanzpoliert worden, Katzenfutter kann sie derartig saftig und detailgetreu malen, dass die Tiere hysterisch miauend glatt das Etikett mit auffressen wollen. Und ihre zarten Zeichnungen für Märchenbücher lassen selbst verknöcherte, grantige Gemüter wieder an Elfen und Prinzessinnen glauben.

Erstaunlicherweise hat Lara sogar eine Ader für Karikaturen. Natürlich ist sie aufgrund ihres sanften Charakters gar nicht in der Lage, wirklich fies und gemein zu malen. Während ich auf eine Hakennase noch eine Warze setzen würde, verzichtet sie auf Kalauer jeglicher Art.

Vom Nebentisch ertönt nun die Stimme des korpulenten Gastes. Er bestellt Weißwein und Rotwein, Weißbrot und Butter, Vorspeise und Zwischengang und Hauptspeise und Käse und Dessert. Von nichts kommt nichts, wie sich an dieser beeindruckenden Auflistung mal wieder manifestiert.

Aus heiterem Himmel sieht Lara plötzlich so aus, als hätte sie eine überlebenswichtige Witterung aufgenommen. So wie die Gazelle im Busch den hungrigen Löwen riecht, der Cockerspaniel mitten im Blumenbeet einen verbuddelten Knochen erschnuppert oder das Mäuschen ein heiß ersehntes Stück Emmentaler in greifbarer Nähe erahnt.

»Nicky, Nicky!« Sie krallt ihre zehn Finger in meinen Arm.

»Was ist?«, frage ich erschrocken. Weniger um ihr Heil besorgt als um meine körperliche Unversehrtheit. Wer hätte gedacht, dass die zarte Lara einen derart stahlharten Griff haben kann.

»Nicky, das ist er!«

»Was ist wer?« Ich lege beruhigend meine noch freie Hand auf ihre Finger und versuche gleichzeitig, meinen umklammerten Arm wegzuziehen. Mit dem einzigen Erfolg, dass Lara ihren Druck verstärkt.

»Paul, na, Paul!«

»Paul?« Nun bin ich doch besorgt um ihren Geisteszustand.

Laras erwittertes Stück Emmentaler ist Paul? Radio-Paul?

Halluziniert sie etwa?

Hat sie das Wunschdenken übermannt?

Kann sie im Wachzustand vielleicht einer Paul-Fata-Morgana auf den Leim gegangen sein?

»Ich würde seine Stimme unter Tausenden erkennen«, flüstert Lara. »Ich höre sie schließlich jeden Tag!«

Endlich gelingt es mir, mich aus ihrem Griff zu befreien. Während ich meinen schmerzenden Arm reibe, betrachte ich Lara interessiert. Sie wirkt, als hätte sie die Schüttelfrostphase übersprungen und direkt von null auf hundert ein malariaähnliches Fieber bekommen. Fehlt nur noch, dass sie Schaum vorm Mund bekommt oder in haltloses Stottern verfällt.

»Dadadadada«, blubbert Lara.

Aha, wer sagt’s denn. Das Sprachzentrum ist bereits befallen.

»Jetzt!«, stöhnt sie.

»Was jetzt?«

»Jetzt spricht er wieder. Er muss hinter mir sitzen. Nicht zu fassen. Er muss wirklich direkt hinter mir sitzen«, flüstert Lara.

Ich schaue zu den beiden verhinderten Basketballspielern hinüber. Das kräftig ausgeprägte Exemplar redet und macht sich dabei über den Brotkorb her. Langsam und konzentriert drückt er eine beachtliche Schicht Butter auf das Baguette, scheibendick, als wäre sie lecker-leichter Aufschnitt ohne einen Hauch cholesterinhaltiger Ingredienzien. Mit einem beherzten Schuss aus dem Salzstreuer krönt er den gelblichen Butterberg. Schließlich ist er zufrieden mit seinem opulenten Werk und beißt genüsslich ein anständiges Stück von der kalorienbombigen Kreation ab. Wahrscheinlich erschüttert ihn gleich ein Fettorgasmus.

»Jetzt redet er nicht mehr«, sagt Lara.

Stimmt. Er kaut.

»Und du glaubst tatsächlich, das ist der Paul? Dein Radioguru?«

»Auf jeden Fall ist er das. O Gott, wenn ich mich nur umdrehen könnte, aber das wäre viel zu auffällig. Sag mir, wie sieht er aus?«

Wie sag ich’s meinem Kinde?

Wäre Koloss zu gemein?

Ich spähe zu ihm hinüber. Offenbar artet das Erklimmen von Butterbergen zu einer schweißtreibenden Beschäftigung aus, denn er entledigt sich gerade seiner Jacke. Rein optisch betrachtet, ist das allerdings keine so gute Idee, denn damit ist die letzte kaschierende Rüstung gefallen. Sein T-Shirt verschlägt mir noch zusätzlich die Sprache. Es ist ein blütenweißes Exemplar in Größe XXX-L (gesprochen: extra-extra-extra-large) mit zwei aufgedruckten Worten, die in großen Buchstaben quer über die Brust geschrieben stehen:

BIG BUDDAH.

Humor muss er also haben, wenn auch pechschwarzen.

»Nun sag schon, wie sieht er aus?« Lara drängelt.

»Er sieht ein bisschen aus wie ein, nun ja, wie ein großer Buddha vielleicht.«

Nun war es raus. Nicht gelogen und trotzdem politisch korrekt, denn ich habe nichts von mir gegeben, was er nicht über sich selbst sagen würde.

»Ich halte es nicht mehr aus«, stöhnt Lara. »Du bist echt keine große Hilfe, Nicky. Ich muss mich umdrehen, nur ganz kurz. Meinst du, das geht?«

»Nein, die Erde wird sich öffnen. Ein zwölfarmiges lila Ungeheuer mit Reißzähnen wird dich verschlingen.«

Sie verzieht das Gesicht. Die Arme wird gleich implodieren, wenn sie sich nicht endlich umdreht.

»Mensch, Lara, zier dich nicht, nun mach schon. Es kann doch nichts passieren.«

So recht glaube ich aber meinen eigenen Worten nicht. Sie könnte die Enttäuschung ihres Lebens erfahren, wenn sie ihren angebeteten Paul zum ersten Mal erblickt. Sie könnte auch vor Schreck einfach ohnmächtig werden und vom Stuhl fallen. Ich nehme sicherheitshalber schon mal ihre Hand.

Lara dreht sich vorsichtig um. Sie betrachtet ihn. Lange. Nun ja, es gibt halt eine Menge Mann zu sehen bei Paul, wenn es wirklich Paul ist. Schließlich wendet sie sich wieder mir zu.

»Das habe ich mir irgendwie gedacht«, sagt Lara leise.

Ich tätschele tröstend ihre Hand.

»Ja, das habe ich irgendwie geahnt«, wiederholt Lara. »War auch klar. Schließlich sind sie Spiegelbild der Seele.«

Irritiert lasse ich ihre Hand los. »Wovon sprichst du, bitte?«

»Na, ich habe mir immer vorgestellt, dass er wunderschöne Augen hat. Und ich habe Recht gehabt.« Zufrieden lehnt sich Lara zurück. »Wunderschöne braune Augen.«

Verwechselt sie hier etwas? Meint sie etwa den recht ansehnlichen Begleiter des vermeintlichen Pauls? Nein, der hat eher helle Augen, etwas in Richtung Grünlich-Blau.

»Aber, Lara, so ein Schaf kannst selbst du nicht sein, dass dir als Erstes seine Augen auffallen. Der Mann ist riesig, ich meine, na, du weißt schon, was ich meine.«

»Er ist dick, na und?«, fragt Lara gelassen und fängt an zu malen.

Schnell gleitet ihr Stift über das Papier. Sie zeichnet ein Wesen mit großen Augen und gewinnendem Lächeln. Das Wesen sieht aus wie Paul, nur ungefähr 70 Pfund leichter. Es trägt auch ein T-Shirt wie Paul, allerdings mit der Aufschrift »Dünner Buddha«. Kichernd ziehe ich das Blatt zu mir rüber. Meine Freundin Lara ist echt talentiert!

Wie das Entsetzliche dann plötzlich geschehen konnte, weiß ich selbst nicht. Ich habe die Zeichnung mit spitzen Fingern hochgehoben, weil auf dem Tisch ein paar Wasserspritzer glänzten, war einen Moment durch den Kellner abgelenkt, habe wohl das Blatt nicht fest genug gehalten, jedenfalls segelt es auf einmal von dannen. An dem Kellner vorbei, an Lara vorbei, an Pauls Freund vorbei, bis es endlich landet. Genau neben Pauls rechtem Fuß.

Lara starrt entgeistert ihrer Zeichnung hinterher. Ausgerechnet ich habe es geschafft, Lara in eine Salzsäule zu verwandeln. Stocksteif und erstarrt sitzt sie da, vor Schreck gelähmt, atemlos und mit weit aufgerissenen Augen. Sie würde sich unter Umständen nur nach einer Reihe diverser Injektionen jemals wieder bewegen können. Wenn sie nicht überhaupt binnen der nächsten Sekunden vor Scham grußlos ins Nirwana wechselt.

Mutig stehe ich auf. Ja, eventuell kann ich mit einem Hechtsprung die Situation noch retten, mich nach einem kurzen Anlauf und einer Rechtsdrehung direkt vor Pauls Füße werfen. Unter Umständen hält er mich für einen durchgeknallten Groupie, im schlimmsten Falle einfach für eine Bekloppte mit Fallsucht, was soll’s?

Gerade will ich mein Debüt als Standwoman geben und mich mit abschließender gekonnter Rolle auf den Boden schmeißen, als Paul sich bückt.

O nein!

O doch!

Er hebt das Blatt auf. Er starrt auf das Bild.

Ich weiß, was gleich passiert. Der Buddha wird sich in einen Sumo-Ringer verwandeln und mich in der Luft zerfetzen. Oder erst mal das Bild in der Luft zerreißen und mich dann wie eine Stoffpuppe quer durch den ganzen Raum schleudern.

Die Sekunden ziehen sich endlos hin. Zeitlupe, wie im Kino. Pauls Gesichtsausdruck lässt auf eine gewisse Verblüffung schließen. Wahrscheinlich wird die nächste Sekunde diesen Ausdruck in aufkeimende Wut verwandeln, woraufhin ungezügelter Zorn ausbrechen müsste.

Doch nichts dergleichen passiert. Die Verblüffung weicht einem Grinsen. Das Grinsen wird zu einem breiten Lächeln. Das Lächeln verwandelt sich in Sekunde vier in wohltönendes Lachen und entwickelt sich von tief unten aus Pauls breitem Brustkorb zu einem Lachcrescendo erster Güte. Sein großer, runder Bauch vibriert und unterstreicht den Heiterkeitsausbruch optisch auf fesselnde Art und Weise.

Nun schaut er mich an.

Kein Wunder.

Ich stehe einen Meter von ihm entfernt, immer noch in Sprungpose wie im Schwimmunterricht auf dem Startblock vor dem ersten Köpfer.

»Das ist ja toll!«, sagt er und deutet auf das Bild. »Du kannst ja super zeichnen.«

»Aber, ich ...« Ich drehe mich um und will gerade Lara als Urheberin identifizieren, als ich sie halb unter unserem Tisch verkrochen verneinende Handzeichen machen sehe.

»Äh, ich meine, bist du der Paul?«, frage ich blöde und stelle mich endlich gerade hin.

»Klar doch. Und wer bist du?«, fragt er zurück.

»Nicky.«

Zumindest ist mir gerade noch mein Name eingefallen. Kein Grund, um wirklich stolz zu sein, doch angesichts der unmöglichen Situation wenigstens eine richtige Meldung meines leicht vernebelten Hirns.

Paul stemmt sich mit den Händen auf den Tisch und steht mühsam auf. Wegen seiner Länge muss ich den Kopf in den Nacken werfen, um ihm in seine hübschen Augen zu schauen. Imposant ist natürlich ebenfalls seine Körperfülle, die aus nächster Nähe und dreidimensional ein Fliegengewicht wie mich schon beeindrucken kann.

»Wollt ihr Mädels uns nicht Gesellschaft leisten?«, fragt Paul. »Ein bisschen Lebensfreude kann uns heute nicht schaden, nicht wahr, Tom?«

»Wenn du meinst«, antwortet Tom, der Grünblau-Äugige, und runzelt die Stirn.

Nein, steh bloß nicht auf für eine Dame. Bleib sitzen und sei unfreundlich. Wahrscheinlich grüßt du eh am liebsten nur dein Spiegelbild.

»Aber nur unter einer Bedingung, Mädels«, sagt Paul. »Ihr müsst etwas essen. Hungerharken mag ich nicht.«

Na ja, es gibt Schlimmeres als kostenloses Essen, besonders wenn im Portemonnaie Ebbe herrscht wie in meinem. Obwohl ich befürchte, dass Lara, die uns fassungslos beobachtet, keinen Bissen hinunterbekommen wird. Ich bin sicher, ihre haltlose Schwärmerei für Paul hat inzwischen ihren Schluckreflex und die Spuckeproduktion zum Erlahmen gebracht. Mit trockenen Lippen formt sie ein »Ja«.

»Soll das eine Einladung sein?«, frage ich frech. Ha, mein wahres Ich ist wieder da. Sehr beruhigend.

»Klar doch, Mädels. Nun rutscht zu uns rüber!«

Ich stelle Lara vor, ignoriere den unwilligen Gesichtsausdruck des Mannes namens Tom und setze mich gemeinsam mit meiner zitternden Freundin an den Tisch der Titanen. Lara vibriert wie diese nervösen, überzüchteten Chihuahua-Hündchen, wenn die Raumtemperatur unter 28,5 Grad Celsius fällt, also quasi immer und überall, außer in den Tropen.

Nun brauchen wir wohl eine anständige Konversation. Von Lara ist kein Tönchen zu erwarten. Tom will offensichtlich nicht mit netten Mädels reden, die für ihn wohl nur aufdringliche Verehrerinnen des Radiomoderators Paul sind. Und eben dieser berühmte Paul kaut schon wieder irgendetwas.

So stelle ich mir einen unterhaltsamen Abend vor. Was man für eine warme Mahlzeit nicht alles auf sich nehmen muss. Jetzt soll ich wohl noch tanzen für meine Suppe. Na, meinetwegen.

»Bist du eigentlich Buddhist?«, frage ich Paul und zeige auf sein T-Shirt.

Er schluckt erst brav hinunter. »Nein, aber ich bin weise, wenn auch nicht so weise wie Buddha.«

»Stimmt«, platzt es unvermutet aus der bebenden Lara heraus. »Ich meine, dass du weise bist. Nicht, dass du weniger weise bist als Buddha. Äh, also, das kann ich nämlich gar nicht beurteilen, aber ...«

Die Arme. Ich muss sie retten. Sie stottert sich sonst noch in eine ganze Ansammlung von Fettnäpfen hinein. Doch Lara kennt kein Halten.

»... ich bin nämlich ein Fan. Beim Arbeiten, da höre ich dir immer zu. Und seit du nicht nur moderierst, sondern auch noch Chef des ganzen Radiosenders bist, gibt es zu allen Uhrzeiten so tolle Programme. Aber am liebsten höre ich dich und deine Weisheiten.«

Das war mal ein Outing.

Paul klopft sich auf die Brust. »Big Buddha dankt. Es gibt übrigens keine dünnen Buddhas«, sagt er grinsend und schiebt mir die Zeichnung mit seinem schlanken Zwilling hin.

»Aber dünne Weise. Zum Beispiel Ghandi«, gebe ich zurück.

»Der war Hindu und kein Buddhist«, fällt mir Tom ins Wort. Kurz wirft er mir einen abschätzenden Blick zu. Würde mich nicht wundern, wenn er mir gerade gedanklich den Stempel blond und blöd aufdrückt.

»Ach nee«, antworte ich in ironischem Tonfall und funkle ihn an. »Mir geht es doch nur darum, dass es Weise gibt, die fasten, um einen noch klareren Blick zu bekommen. Na, Paul, schon mal probiert abzunehmen, wegen der Weisheit, der Gesundheit und so?«

Eigentlich erwarte ich eine Antwort vom kauenden Paul. Stattdessen stöhnt sein Freund Tom demonstrativ. Und ich ernte zusätzlich einen Gesichtsausdruck, der darauf schließen lässt, dass dieser Mann nicht in mein Tanzkärtchen eingetragen werden möchte.

»Typisch Frau«, sagt Tom böse. »Ständig geht es ums Aussehen und um das verdammte Dünnsein. Was ist bloß in euch gefahren? Je knochiger, desto besser, glaubt ihr. Macht euch zum Narren, hungert schlecht gelaunt vor euch hin, findet euch erst schön, wenn man die Rippen zählen kann. Sehe ich ständig bei meinen Castings. Die Weiber zicken herum, sind permanent schlechter Stimmung vom Fasten und haben nur noch ein Thema. Diät, Diät, Diät.«

»Die Weiber?«, frage ich gedehnt.

Der Kerl will ein verbales Duell? Ohne Schwerter, Pistolen und Boxhandschuhe, dafür mit spitzer Zunge? Kann er haben! Alice Schwarzer ist ein schüchternes, zurückhaltendes Wesen gegen mich, wenn es um die Verteidigung der weiblichen Ehre geht, besonders um meine eigene.

Paul lacht. »Frieden, bitte, Frieden! Ihr seid doch gar nicht gemeint. Tom hat nämlich eine Castingfirma, da trifft er die merkwürdigsten Frauen. Er sucht für Filme und Fotoshootings, für die Werbung und für alles Mögliche die richtigen Schauspieler und Modelle.«

»Und alles, was du dabei gefunden hast, ist anscheinend ein sauberer Frauenhass, was?«, fahre ich ihn an. »Guck dich doch mal an. Du bist selber total schlank. Und deinen Freund willst du lieber dick sehen?«

Tom zieht eine Augenbraue hoch. Oh, wie ich das hasse. Zwei hochgezogene Augenbrauen, nun gut, ein Ausdruck des Erstaunens. Aber eine einzelne hochgezogene zeigt Verachtung und macht mich echt sauwütend. Da werde ich glatt zum Tier, nicht gerade zur Wildsau, aber zu einer bellenden Terrierdame allemal.

»Nein, nein!« Paul greift besänftigend ein. »Tom hat mich schon bei allen möglichen Diät-Versuchen unterstützt. Ich habe viel ausprobiert, das könnt ihr mir glauben.«

»Offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt?«, frage ich sachlich.

»Nur kurzfristig. Ich kriege prompt alle Kilos zuverlässig zurück«, stöhnt Paul. »Und zwar zusätzlich mit Zins und Zinseszins.«

»Der berühmte Jojo-Effekt.« Ich nicke. »Drei Pfund runter und vier wieder rauf. Nachher ist alles noch schlimmer als vorher.«

Paul gießt allen Wein ein. Lara nippt nur wie ein Spätzchen, Tom trinkt lediglich einen kleinen Schluck, während ich es eher mit Pauls Trinktempo halte. Wer weiß, wann ich wieder so einen guten Tropfen bekomme. Mein Budget sieht zurzeit höchstens nach einer wässrigen Schorle aus.

»Ist euch Dr. Atkins ein Begriff?«, fragt Paul. »Das war eine Diät für mich, dachte ich. Fleisch und Käse darf man essen, Eiweiß so viel man will, nur keine Kohlehydrate, dadurch kaum Obst und Gemüse. Ich habe nie Hunger gelitten, aber nach einer Woche hing ich schlapp vor meinem Mikrofon und fühlte mich wie ausgestopft mit Rindersteaks und Goudastücken. Fast hätte ich eine Abendshow versaut, weil ich nur noch von Äpfeln träumte. Von sauren, saftigen, grünen, glänzenden Äpfeln.«

»Von Äpfeln?«, fragt Lara erstaunt.

Er schmunzelt. »Ja, dabei mag ich Äpfel eigentlich gar nicht besonders, höchstens im Apfelkuchen oder auf einer französischen Tarte Tartin oder beim Apfel-Streusel vom Blech mit Sahne oder ...«

»Wir verstehen schon.« Bevor Paul hier sein ganzes Konditor-Repertoire auspackt, unterbreche ich ihn lieber. »Weiter mit den Äpfeln und Dr. Atkins.«

»Ja, jedenfalls brauchte ich was Frisches, Knackiges, etwas ohne Fett. Mir wurde plötzlich schon übel, wenn ich nur Gebratenes roch. Ich habe die Dr.-Atkins-Diät bei der Gelegenheit umgetauft. In Dr. Atkotz.«

Darauf trinken Paul und ich.

»Und dann Trennkost«, referiert Paul weiter. »Da hatte ich das Gefühl, ich hätte eine neue Religion entdeckt. Ich war freiwillig Missionar mit der Nummer. Das oberste Gebot war nicht mehr, du sollst nicht töten, sondern du sollst kein Eiweiß mit Kohlehydraten zusammen vertilgen. Ich fand auch einige andere Jünger, die aussahen, als hätten sie durch das Trennen das Licht entdeckt. Bis mir der ganze Kram auf den Nerv ging. Bei jedem Restaurantessen musst du die Hälfte auf dem Teller liegen lassen. Kein Reis zum Geschnetzelten. Keine Kartoffel zum Sauerbraten. Keinen Kloß zur Rehkeule. Das hat mich dann letztendlich geschafft. Zum Reh gehören einfach Klöße. Also, ein Feinschmecker hat diese Trennkost nicht erfunden.«

Tom mischt sich ein: »Trotzdem hast du in der Zeit gut abgenommen und keinen Mangel gelitten.«

»Doch, Genussmangel!« Paul zieht ein trotziges Gesicht.

»Süß«, flüstert mir Lara atemlos ins Ohr.

Oje. Lara findet unseren dicken Paul sogar mit trotzigem Kindergesichtchen niedlich. Ich fürchte, sie ist entweder plemplem geworden oder hat sich endgültig und haltlos in ihren Radioguru verknallt.

»Schließlich habe ich es ganz rigoros versucht. Mit Nulldiät. Ganz brav unter ärztlicher Aufsicht in so einer Klinik, wo du Unsummen dafür bezahlst, dass du nichts zu essen bekommst. Dafür gibt es zur Begrüßung gleich Wasser mit Glaubersalz zu trinken. Wisst ihr, was dieser Höllencocktail mit dem Darm macht?«

»Er bringt ihn sauber auf Hochtouren«, sage ich grinsend.

»Er vergewaltigt ihn. Hätte mein Dickdarm schreien können, wäre ich wegen Darmbrüllerei aus der Klinik geflogen. So was Bescheuertes«, schimpft Paul. »Schlacken sollen da angeblich ausgespült werden. Dabei gibt es gar keine Schlacken, die sich im Körper verstecken. Aber das habe ich erst erfahren, als mein Darm schon völlig leer war. Klar, er hatte nichts mehr drin, aber in meinem Kopf, da war nach wie vor das alte Programm.«

»Welches Programm?«, fragt Lara schüchtern.

Paul meint sicher weder das Fernsehprogramm noch das Programm zur Erhaltung des tropischen Regenwaldes noch das neueste sprechende Computerprogramm mit Lara Croft als Animationsfigur.

»Mein Programm«, antwortet Paul. »Das Paul-Programm: Ich habe Stress. Ich brauche etwas Leckeres zum Essen.«

»Alle Achtung!«, sage ich. »Wenigstens weißt du, woran du bei dir bist. Nette Kurzanalyse!«

Paul prostet mir dankbar zu. »Nach der Nulldiät habe ich dann die Kohlsuppendiät ausprobiert. Es dauerte nur ein paar Tage, bis ich total entkräftet war. Das ganze Haus stank nach Kohl, und als der Geruch endlich wieder raus war, war meine Freundin gleich mit verschwunden. Sie ward nie wieder gesehen. Ebenfalls übrigens ein guter Grund, beim Essen richtig zuzulangen.«

»Und?«, frage ich sanft, während mir der süffige Rotwein ein angenehm weiches Gefühl in den Knien verschafft, »wie fühlst du dich nun so als Diätopfer und Buddha?«

Gedankenverloren betrachtet Paul einen Bissen seines herrlichen Rindergulaschs. Während er kaut, überlegt er. Dann schaut er mir gerade in die Augen.

»Liebe Nicky, wenn du es ganz genau wissen willst: Ich fühle mich abhängig. Eklig abhängig und chronisch fresssüchtig.«

»Dann musst du die Kontrolle über dein Leben wiederbekommen!«, ermutige ich ihn und haue mit der Faust auf den Tisch.

Jawohl. Man kann doch nicht im Ernst einem Teller Gulasch und einer Cremetorte die Macht zugestehen, einen gestandenen Radioguru zu beherrschen. Das geht schlichtweg nicht!

»Ach ja«, antwortet Paul lakonisch. »Dann esse ich geraspelte Möhren ohne Dressing, und mir fällt ein Blumentopf auf den Kopf. Toll, diese Kontrolle über mein Leben. Was kontrollieren wir schon? Da fluche ich doch noch, wenn ich im Himmel einschwebe und statt Schokoladensoufflé nur Rohkost im Bauch habe.«

»Aber wenn du so weitermachst, kannst du eines Tages nicht mehr laufen. Entweder weil du mit deinem Übergewicht deine Gelenke ruiniert hast oder weil der Diabetes mellitus deine Zehen verfaulen lässt.« Auch das muss mal gesagt werden, finde ich.

Lara schnappt hörbar nach Luft. Zugegeben, der Weingeist war mit mir, aber ich habe ja nur ein paar nackte Tatsachen von mir gegeben.

»Du hast eine ganz schön große Klappe.« Paul grinst. »Bleibst nie eine Antwort schuldig, oder?«

»Nö, das Reden war noch nie mein Problem.« Ich lächle ihm zu. Wir verstehen uns. Wo ist eigentlich der Wein hin?

»Trotzdem, du mit deiner Figur hast gut lachen«, sagt Paul.

Mir ist aber nicht zum Lachen. Mein heutiger Luxuskörper hat nichts mit meiner pfundigen Vergangenheit zu tun. Ich vergesse nie, wie das ist, wenn Hosen-Bündchen immer enger werden, bis man halbe Blutergüsse an der Taille hat, wenn das Kinn sich kurzerhand verdoppelt und nicht mal mehr im Rollkragenpullover zu verstecken ist, wenn kleine Fettwülste die Augen von oben und unten belagern und zu Schlitzen verengen. Wenn Verkäuferinnen einen nicht nur mitleidig, sondern dazu noch hochnäsig aus dem Geschäft mit den schicken Sachen vertreiben, als wären sie was Besseres. Nur weil sie keine Säcke als Gewänder tragen müssen, um die arterielle Blutversorgung ohne das Abklemmen wesentlicher Gefäße nicht zu gefährden.

Hätte ich damals wenigstens eine anständige Opernstimme gehabt, wäre ich eventuell als blonde Walküre durchgegangen. Doch ohne Sangestalent gab’s keinen Applaus für meinen überdrallen Körper, meine dicken Arme, meine unförmigen Oberschenkel. Die rieben hilflos aneinander, rieben und rieben bei jedem Schritt, so dass sich große, runde Stellen zwischen den Beinen entzündeten und sich zu nässenden Wunden entwickelten. Hat schon mal jemand versucht, sich Riesenpflaster auf die Innenseiten wunder Schenkel zu kleben?

O Mann, ich weiß, was Sache ist. Ich bin ein Ex-Fett-Junkie, wie er im Buche steht.

Paul verleibt sich gerade sein Dessert ein. Etwas mit Schokolade, Bananen, Schlagsahne und neckischen kandierten Kirschen obendrauf. Glücklich sieht er dabei nicht aus.

»Ich sitze im Gefängnis«, blubbert er betrunken.

»Wie bitte?«, fragt Lara irritiert.

»Ich sitze im Gefängnis. Im Fettgefängnis.«

Der Kellner stellt uns eine Runde Grappa auf den Tisch. Ich will ja nicht unhöflich sein und nehme einen kräftigen Schluck. Dabei betrachte ich Pauls Körpermasse.

»Soll ich dich aus deinem Fettgefängnis herausholen?«

Huch, das war meine Stimme. Warum mache ich solche Angebote? Warum kann ich nicht einfach hier sitzen, zivilisiert essen und trinken und mich in ladyliker Zurückhaltung üben?

»Mich herausholen aus der ganzen Misere? Kannst du das?« Paul versucht, mich zu fixieren.

»Klar!«, antworte ich großspurig. »Ich weiß, wie das geht. Ich arbeite nämlich zufällig als Personal Trainer!«

»Wer hätte das gedacht!«, sagt plötzlich Tom. Die Ironie trieft aus seinen Worten.

»Du hast es nötig«, schnauze ich ihn an. »Alle Stars haben ihre Personal Trainer, die ihren Körper in Schwung bringen, ihn fit und schön machen. Trainer, die sie anspornen, die sie nicht allein lassen mit diesem Muss, schlank und muskulös auszusehen. Von dem Ergebnis lebst du doch schließlich. Was wäre eine Castingfirma ohne Leute, die vor einer Kamera präsentabel aussehen?«

Lara betrachtet mich prüfend. Sie kennt mich. Es besteht eine gewisse Gefahr, dass ich diesem abweisenden Tom in Kürze in sein aristokratisches Pokerface springe.

Hastig sagt sie: »Ja, außerdem ist Nicky nicht nur irgendein Personal Trainer, sie ist ein As unter den Trainern. Sie kann reden, sie kann tolle Geschichten erzählen, damit du von der Schinderei abgelenkt bist, sie ist total unterhaltsam, eine richtige Entertainerin!«

Tom erhebt sich. »Also, mir reicht es für heute. Paul, wir sehen uns morgen sowieso. Es ist schon spät, und ich brauche jetzt bestimmt keine Entertainerin mehr. Außerdem gehe ich lieber, bevor die Damen hier entdecken, dass sie eigentlich für die Bühne geboren sind ...«

Am liebsten würde ich ihm jetzt die Zunge herausstrecken. Oder ihm schnell ein Bein stellen, damit er seine kühle Distanziertheit zugunsten eines netten Adrenalinstoßes verliert und ihm beim Fallen zum Beispiel ein paar Strähnen aus seinem nach hinten gekämmten Haar in die Stirn springen. So ganz schlampig und gar nicht mehr Mister Perfect. Doch nach einem freundschaftlichen, kernigen Händeschütteln mit Paul verlässt er ungehindert und hoch aufgerichtet das Restaurant.

»Paul, weißt du eigentlich genau, was ein Personal Trainer ist? Ich kümmere mich um den Gesamtzustand eines Menschen. Wir reden über die Ernährung, über Lebensgewohnheiten und natürlich über ein geeignetes Bewegungskonzept. Schließlich ist nicht jeder zum Balletttänzer geboren.« Bei der Vorstellung von Paul in einem raschelnden Tütü-Röckchen muss ich kichern. »Nein, Spaß beiseite, Sport ist natürlich nicht wegzudenken.«

»Sport ist Mord«, nuschelt Paul.

»Es geht nicht nur um Sport. Es geht um ein neues Leben!«

»Sie kennt sich wirklich aus«, sagt Lara eifrig. »Sie war nämlich selbst einmal unwahrscheinlich ...«

Ich greife mit aller Kraft zu und quetsche Laras Oberschenkel. Was ich mal war, spielt hier keine Geige. Geständnisse einer Ex-Dicken zu später Stunde braucht hier niemand.

»Wir machen das ganz unkompliziert, Paul. Ich gebe dir meine Telefonnummer. Wenn du Hilfe mit dem Abnehmen willst, rufst du mich halt an.«

Dann trinken wir noch den Rest Rotwein aus. Ich bin plötzlich todmüde.

Auf dem Nachhauseweg im Taxi habe ich allerdings eine total elektrisierte, zappelige Lara neben mir. Unruhig rutscht sie auf dem Polster hin und her und verfällt erneut in ihre Paul-Schwärmerei: »Seine Augen sind wirklich wunderschön, nicht? Und hast du gesehen? Er hat längere Wimpern als wir beide zusammen.«

Kein Wunder. Der gute Paul wiegt schließlich hauch mehr als Lara und ich zusammen. Da sind die langen Wimpern wohl eine höfliche Gnade der Natur.

Kapitel 2
Wenn nachts im Kühlschrank ein Lichtlein brennt ...

Radio Funtime, Studio 1, 8.58 Uhr

»Es passieren immer wieder Dinge im Leben, Freunde, die man nicht erwartet. Sind das Zufälle? Ist es Schicksal? Ich glaube daran, dass alles seinen Sinn hat und man lernen muss, seiner Intuition zu vertrauen. Euer Gefühl sagt euch doch meist spontan, ob etwas gut oder schlecht für euch ist, oder? Glaubt an eure Eingebungen und lasst die guten Gelegenheiten, eure echten Chancen, nicht an euch vorbeirauschen. Ciao for now, euer Paul!«

Er schaltet das Mikrofon aus, zögert noch einen kurzen Moment und greift dann entschlossen zum Telefonhörer.

***

Ich glaub es nicht. Was ist denn das für ein Geräusch? Habe ich etwa den Wecker eingeschaltet? Wenn ja, warum? Und: Wie kann man nur so blöd sein? Schließlich habe ich heute frei!

Ich muss nicht ins Sportstudio, ich muss keine Aerobic-Klasse in quietschbunten Outfits mit Hampelmannbewegungen ins Schwitzen bringen, ich muss keine persönlichen Trainingskunden aufs Laufband zerren und dafür sorgen, dass sie von dem Ding nicht herunterfallen, ich muss mich selber kein Stück rühren, nicht mal den kleinen Zeh. Nein, nein, nein, ich brauche hier einfach nur zu liegen.

Wenn dieses unangenehme Geräusch nicht wäre, könnte ich sogar in Frieden liegen.

Vorsichtig öffne ich ein Auge. Nicht so einfach, wenn der Schädel diffus brummt. Mein Blick fällt auf Mäxchen, mein munteres Zwergkaninchen. Seine rosa Nase ist wie üblich schnuppernd in Bewegung, sein dunkles Fell glänzt im Sonnenlicht, das durch die nicht richtig zugezogenen Vorhänge fällt. Abscheulich, diese Helligkeit, widerwärtig geradezu.

»Mäxchen, tu was«, röchle ich in seine Richtung. »Mach, dass es leise ist. Mama muss schlafen.«

Das Geräusch hört auf. Ich öffne das andere Auge. Hab ich es doch von Anfang an gewusst. In Mäxchen steckt etwas ganz Besonderes. Er mag zwar klein sein, aber oho. Offensichtlich kann er zaubern und hat das Geräusch zum Verstummen gebracht.

Vorsichtig drehe ich meinen schmerzenden Kopf auf die andere Seite und kuschle mich wieder tief in die Bettdecke. Eines Tages würde ich es vielleicht sogar schaffen, Mäxchen einige Butler-Qualitäten beizubringen, wozu war ich schließlich ein Trainer? Personal Trainer, Tiertrainer, so groß ist der Unterschied sicher nicht. Dann könnte er jetzt auf ein Zeichen seiner Menschenmama mit einem kalten Lappen zu meinem Bett hoppeln, den ich mir nur allzu gerne quer über den Schädel legen würde.

»O nein, nicht schon wieder«, stöhne ich.

Das Geräusch ist zurückgekehrt. Der Wecker kann es nicht sein, der steht quasi neben mir, und das Geräusch ertönt mehr von hinten links. Langsam hebe ich den Kopf. Da liegt ein Sofakissen auf dem Fußboden. Das Sofakissen hat ein Kabel, wie lustig. Als ich gerade darüber nachdenke, ob es sich in ein Heizkissen verwandelt haben könnte, fällt mir ein, dass ich gestern Nacht vorsichtshalber ein Kissen auf das Telefon gelegt habe. Um eben zu vermeiden, von dem klingelnden Ding geweckt zu werden. Mist, demnächst verbanne ich das Telefon ins Gefrierfach. Da soll es mal sehen, ob es in der Kälte noch Lust hat zu bimmeln.

Auf allen vieren krabble ich aus dem Bett auf das Klingeln zu. Mäxchen hoppelt mir begeistert hinterher.

»Wer stört?«, ächze ich in den Hörer.

»Paul, hier ist Paul!« Eine männliche Stimme dringt an mein Ohr.

»Kenne keinen Paul. Falsch verbunden!«

So eine Frechheit. Da quält man sich an seinem freien Tag aus dem Bett für einen Deppen, der nicht mal richtig eine Telefonnummer wählen kann.

»Halt! Stopp! Nicht auflegen!«

Drei Befehle auf einen Streich. Ist bestimmt ein Macho. Wenn der glaubt, dass ich mich jetzt hinstelle und strammstehe, hat er sich gewaltig geirrt.

»Ich bin’s doch, Paul! Vom Radio. Von gestern Abend.«

»Ach herrje«, entfährt es mir.

Ich bin nämlich splitterfasernackt. In diesem Zustand kann ich nicht mit Männern telefonieren, die ich gerade erst kennen gelernt habe. Das hat eine Logik, selbst wenn es nicht so erscheint. Aber man telefoniert anders, wenn man nackt ist, ich schwör’s.

»Hast du auch einen Kater?«, höre ich Pauls Radiostimme an meinem Ohr, während ich versuche, mich mit einigen Verrenkungen in meinen Morgenmantel zu hüllen.

»Nee, einen Zwerghasen«, antworte ich und stolpere über den Morgenmantelgürtel. Mit letzter Kraft werfe ich mich aufs Sofa.

»Ich habe jedenfalls schon zwei Aspirin genommen.« Paul lacht sein wohltönendes Paul-Lachen. »Der Grappa war es. Normalerweise trinke ich nur Wein oder Schampus, nie Schnäpse. Das killt mich.«

»Mich offensichtlich auch«, gebe ich zu. »Mein Kopf war effektiv schon mal klarer.«

»Hör zu, Nicky. Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen, war wohl so ein Lichtblick-Moment. Ich brauche einen Bodyguard!«

»So berühmt bist du?«, frage ich. »Sind deine Fans hinter dir her? Gehen sie dir an die Wäsche? Wollen dich neidische Ehemänner verhauen? Oder findest du es nur mal schick, so einen Kerl um dich herumzuhaben, der einen finsteren Schlägerblick zur Schau trägt?«

Pauls Prusten dröhnt in meinen Ohren. Ich halte den Hörer etwas weg, weil laute Geräusche im Moment nicht sehr angenehm sind.

»Nein, nein, ich meine, ich brauche jemanden, der sich um meinen Body kümmert, verstehst du? Jemanden, der dafür sorgt, dass mein Körper gesund wird, fit wird, dass ich abnehme, verdammt noch mal.«

»Dürfen Radioheinis eigentlich öffentlich fluchen?«, frage ich. »Abnehmen hat übrigens nichts mit Verdammnis zu tun, in deinem Falle eher mit Erleuchtung.«

Es entsteht eine Pause. Paul scheint nachzudenken. Erleuchtung ist halt ein wunderbar großes Wort, das haut immer rein. Damit habe ich schon so manchen Klienten dazu gebracht, meine Turnübungen als etwas Biblisches zu betrachten.

»Ich brauche einen Diätschatten«, erklärt Paul nun. »Jemanden, der mich nicht aus den Augen lässt. Jemanden, der mein Essen kontrolliert, der mir einen Bewegungsplan macht, der einfach immer, immer da ist und auf mich aufpasst, damit ich nicht entgleise. Jemanden, der immer um mich herum ist, einfach immer und überall. Wie ein Schatten eben.«

»Wie wäre es mit einer schwer eifersüchtigen Ehefrau?«