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Über dieses Buch:

Das Single-Leben hat auch seine Schokoladenseiten! Endlich kann Karrierefrau Lisa tun und lassen, was sie will. Doch als ihr der neue Kollege begegnet, weiß sie: Das ist kein Mann für eine Nacht – Lisa ist sich sicher, dass Kay der Richtige für sie ist. Daran können auch sein offensichtliches Desinteresse und die weisen Ratschläge ihrer besten Freunde Marthe und Peter nichts ändern. Mit allen Mitteln versucht Lisa, Kays Herz zu erobern – doch dabei übersieht sie beinah, dass ihre große Liebe sie schon längst gefunden hat …

So erfrischend und süß wie Blaubeereis: Zwei beste Freundinnen stürzen sich auf der Jagd nach dem Richtigen in prickelnde romantische Abenteuer und erleben einen unvergesslichen Sommer an der Elbe.

Über die Autorin:

Alice Vaara, geboren in Speyer, studierte in Bonn Germanistik und Psychologie und lebt inzwischen in Hamburg, wo sie für verschiedene Fernsehproduktionen als Autorin arbeitet. Ihre wahre Leidenschaft aber ist die Schriftstellerei.

Bei dotbooks erscheint außerdem Küsse mit Meerblick.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Juli 2019

Dieses Buch erschien bereits 1998 bei Gustav H. Lübbe GmbH & Co. und 2015 bei dotbooks GmbH unter dem Titel Schokoküsse zum Dessert.

Copyright © der Originalausgabe 2005 Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/azure1, Esther Fuego und ThomBal

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-182-4

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Alice Vaara

Liebesglück und Sommerregen

Roman

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

TEIL 1

TEIL 2

TEIL 3

Lesetipps

Für Dörte und Susanne

PROLOG

Am dreißigsten August des Jahres neunzehnhundertneunundsiebzig flirrt die Nordseeluft in der Mittagssonne, und nur die leichte, vom Meer her über den Strand von St. Peter-Ording streichende Brise lässt die Hitze einigermaßen erträglich erscheinen. Lisa und Marthe sitzen auf einer bunt gemusterten Decke unter einem Sonnenschirm, wühlen mit ihren Zehen im Sand und knabbern abwechselnd an einem weichen Sandwich mit Schinken und Käse. Während Marthe, neben der ein aufgeschlagenes Buch liegt, reichlich träge und gelangweilt kaut, um dann die Zwischenmahlzeit wieder an Lisa weiterzureichen, suchen Lisas Augen konzentriert die Umgebung ab. Schließlich zeigt sie aufgeregt, aber diskret mit einer Sandwich-Ecke auf einen weizenblonden Typen, der mit seinen Freunden Volleyball spielt.

»Marthe, dort! Schau mal, da ist er. Ich habe doch gewusst, dass er kommt. Sieht er nicht total süß aus? Der ist bestimmt Schwede. Oder Däne. Außerdem hat er ganz tolle Wimpern. Die sind total dunkel, trotz der hellen Haare.«

Marthe hält sich die Hand schützend über die Augen und blinzelt ins Gegenlicht.

»Kann ich von hier aus nicht sehen. Aber der ist ganz schön klein, oder?«

Lisa schüttelt ganz energisch den Kopf: »Quatsch. Das kommt dir auf die Entfernung nur so vor. Los, wir gehen hin und fragen, ob wir mitspielen können.«

Lisa erhebt sich und rückt mit der linken Hand unbewusst ihr Bikinihöschen zurecht. Marthe nimmt ihr das Sandwich ab und beißt hinein, macht ansonsten jedoch keinerlei Anstalten, sich zu bewegen. Lisa verleiht ihrer Aufforderung Nachdruck: »Jetzt komm schon!« Dann fügt sie etwas sanfter, fast bittend hinzu: »Allein trau ich mich nicht.«

Marthe steht mit mürrischem Gesicht auf und meckert: »Wieso kann ich eigentlich nie in Ruhe essen? Oder lesen.«

Lisa lächelt ihre Freundin gewinnend an, zupft kontrollierend an ihrem Pferdeschwanz und stapft dann in Richtung Volleyballfeld durch den Sand, Marthe im Schlepptau, die noch am letzten Sandwich-Bissen kaut. Mit jedem Meter, den sich Lisa und Marthe den Spielenden nähern, wird Lisas Schritt ein wenig unsicherer. Der vermeintliche Skandinavier, den sie im Visier hat, blickt zu ihr herüber und raunt seinen Freunden etwas zu. In diesem Moment kommt hinter Lisas Rücken ein kleiner, dunkelblonder Junge mit einer Tüte Eis herangeflitzt. Blitzschnell zupft er von hinten an der oberen Schlaufe von Lisas Bikinioberteil, das sich sofort löst, und drückt ihr gleichzeitig das Eis in den Rücken, sodass sie vor Schreck laut aufquiekt. In der gleichen Sekunde realisiert Lisa, dass ihr Bikinioberteil runtergerutscht ist und das ganze, vorwiegend halbstark-männlich besetzte Volleyballfeld sich über ihren nun freiliegenden Busen amüsiert. Sie dreht sich entsetzt um, bindet schnell das Oberteil wieder zu, wirft dem auf der Flucht befindlichen kleinen Jungen einen funkelnden Blick hinterher und zischt Marthe zwischen schmal zusammengepressten Lippen zu: »Wie peinlich! Das wird Peter mir büßen!«

Während Marthe noch damit beschäftigt ist, ihr Grinsen zu unterdrücken, hat Lisa ihr Oberteil wieder in die ordnungsgemäße Position gerückt und sprintet mit großen Sätzen hinter Peter her. Es dauert keine zehn Sekunden, da hat sie ihn eingeholt, springt ihn an und balgt sich mit ihm fluchend im Sand. Marthe rennt hinterher, und während Peter um Hilfe schreit, erreicht sie die Kampfhähne, stürzt sich nun ihrerseits auf Lisa und trommelt mit den Fäusten auf sie ein.

»Lass meinen kleinen Bruder los, Lisa! Lass ihn los, das war doch nur Spaß!«, ruft sie und versucht, die aufgebrachte Lisa von Peter wegzuziehen.

Etwa eine weitere knappe Minute später – es ist ein rechter Stresstag für Marthe – rennt sie aufgelöst auf zwei Frauen zu, die im Hintergrund des weitläufigen Strandes entspannt in einem Strandkorb sitzen und rauchen.

»Mama, Mama, komm schnell, Peter blutet ganz schlimm, weil die Lisa hat ihm in den Arsch gebissen!«

Atemlos steht sie vor den zwei Frauen und blickt die Ältere von beiden, eine braun gebrannte, fröhlich aussehende Mittvierzigerin, hilfesuchend an. Die Frau heißt Marlene und schaut Marthe tadelnd ins glühende Gesicht.

»Man sagt nicht ›Arsch‹, man sagt ›Hintern‹. Oder ›Po‹.«

Marthe nickt beiläufig und zerrt an ihrer Mutter, die sich erhebt und beruhigend versichert, sofort rettend an den Ort des blutigen Dramas zu kommen. Marthe rennt ungeduldig wieder zurück zu Peter, der jammernd auf dem Bauch liegt, sich den Hintern hält und Lisa beschimpft, die triumphierend neben ihm sitzt. Das Eis liegt neben Peter im Sand, ganz paniert und halb geschmolzen.

Am Strandkorb wendet sich Marlene ihrer um einiges jüngeren Freundin Heike zu, die nun ebenfalls aufgestanden ist. »Da reiße ich mir seit zehn Jahren den Arsch als Deutschlehrerin auf, und meine eigene Tochter kann nicht mal einen einfachen Kausalsatz in die syntaktisch korrekte Reihenfolge bringen.«

Heike drückt grinsend den Joint in einem in den Strandkorb integrierten Aschenbecher aus: »Du hast Probleme! Meine Lisa ist gerade dreizehn geworden, aber schon so gewalttätig wie die RAF und die GSG neun zusammen.«

Lächelnd schlendern die Mütter über den Strand, um ihre Kinder in jeder Hinsicht zu verarzten.

TEIL 1

Der vierundzwanzigste August des Jahres zweitausendundzwei war ein sehr heißer Tag in Hamburg, obwohl sich schon der ganze Monat durch ungewöhnlich hohe Temperaturen ausgezeichnet hatte. Während die Osthälfte Deutschlands unter dem schlagzeilenträchtigen Jahrhundert-Hochwasser litt und den Bewohnern der südlicher gelegenen Gefilde von Bayern über Hessen bis ins Saarland tennisballgroße Hagelkörner auf den Kopf knallten, erfreuten sich die Nordlichter der meteorologischen Umkehrung der üblichen Verhältnisse: Die meisten Deutschen mussten Brackwasser pumpen und Dreck schaufeln, während in Hamburg die Elbe brav in ihrem Bett blieb und zum Sonnen, Flanieren und Biertrinken am Strand einlud.

Lisa drehte das Wasser auf »kalt« und hielt die Luft an. Sie ergriff entschlossen den Duschkopf, lenkte den Strahl hektisch von unten nach oben und zurück über ihren Körper und drehte dann langsam ausatmend das Wasser ab. Nachdem sie sich trockengerubbelt hatte, trat sie nackt vor den großen Spiegel im Schlafzimmer und betrachtete sich eingehend: Wo nagte der Zahn der Zeit? Überschritt man mit dem sechsunddreißigsten Geburtstag einen Rubikon, der die Jugend auf Nimmerwiedersehen ins Reich der Nostalgie verbannte? Sie beugte sich vor, ganz nah an den Spiegel heran: Gab es neue körperliche Katastrophen, die gestern noch nicht sichtbar gewesen waren? Krähenfüße, Hühneraugen, Krampfadern? Lisa konnte zu ihrer Beruhigung nichts Außergewöhnliches erkennen. Lach- und Denkfalten musste man als selbstbewusste Frau ohne Panik akzeptieren. An der Körpergröße von einsfünfundachtzig war nichts zu ändern – zumindest bis sie in etwa drei Dekaden als alte Frau zu schrumpfen beginnen würde. Und die vor einigen Jahren ins Auge gefasste Brustverkleinerung hatte sie aus Angst vor der Operation und vor Schmerzen längst verworfen. Okay, der Busen neigte sich leicht in Richtung Erdmittelpunkt, aber das war wohl eher das schon seit langem sichtbare Ergebnis der Schwerkraft als das des fortschreitenden Alters – wahrlich kein Wunder bei Körbchengröße Doppel-D. Mit der rechten Hand griff Lisa sich in den Bauchspeck und wurde fündig. Ja, gestand sie sich ehrlich ein, daran könnte man was tun. Sollte man wohl auch. Sie ließ sofort wieder los, zu schrecklich war der Gedanke an schweißtreibenden Sport und eine dauerhafte Diät, und wandte sich erfreulicheren Betrachtungen zu. Die Beine, fand sie, nachdem sie sie von rechts nach links und zurück gedreht hatte, die Beine sind immer noch unschlagbar. Am besten würde sie heute den kurzen Rock aus schwarzem Batist anziehen, darunter die Pumps des spanischen Designers und darüber das Shirt mit dem tiefen Ausschnitt. Und darüber wiederum den sündhaft teuren Häkelschal, der mit rubinroten Perlen und Pailletten besetzt war – ein aufregendes Outfit zu ihren blonden Haaren und den blauen Augen.

Lisa war zufrieden mit ihren Entscheidungen und legte sich die ausgewählten Klamotten fein säuberlich auf dem Bett zurecht. Vorher musste der Alabasterleib jedoch noch mit duftenden Substanzen eingecremt werden.

Eine gepflegte halbe Stunde später warf Lisa mit Zornestränen in den Augen den Batistrock in die Ecke, das Shirt flog hinterher. Zu kurz, zu eng, zu peinlich. Offensichtlich hatte sie wieder unbemerkt ein paar Kilo zugelegt. Trotzig griff sie nach ihren Jeans. »Egal«, schnauzte sie wütend ihr Spiegelbild an, »egal, egal! Ich habe heute Geburtstag! Ich werde Geschenke bekommen und im Mittelpunkt stehen! Und ich werde mich mit jedem einzelnen Kilo Körpergewicht feiern lassen!«

Zur gleichen Zeit saß Marthe einige Kilometer weiter in ihrem Schlafzimmer an der schwarzen Schleiflack-Schminkkommode aus den Dreißigerjahren, die sie hauptsächlich zum Aufbewahren alter Briefe und kleinerer Andenken an die Kindheit nutzte. Heute jedoch trug sie sorgfältig Make-up auf, malte sich Lidstriche und zog die Lippen nach. Dabei summte sie leise die Calypso-Songs von Robert Mitchum mit, die durch die geöffnete Tür aus dem Wohnzimmer zu ihr drangen. Als sie eine der filigranen Schubladen öffnete, um einen Lippenstift zu suchen, fiel ihr ein Foto in die Hände. Es zeigte Lisa und sie als kleine Mädchen an einem sonnigen Strand – beide in gepunkteten Bikinis und unbeschwert frech in die Kamera feixend. Marthe klemmte das Foto lächelnd an den Spiegel. Sie beschloss, es Lisa heute Abend zu schenken.

Während Marthe geduldig versuchte, ihre schon seit Jahren komplett ergrauten, aber unglaublich dicken, lockigen, langen Haare in eine ansprechende Hochsteckfrisur einzudrehen, erinnerte sie sich an die Stationen ihrer langjährigen Freundschaft mit Lisa.

Sie hatten sich schon im Kindergarten kennen gelernt. Lisa war mit ihrer blutjungen, allein erziehenden Mutter Heike, einer leicht ausgeflippten Hippie-Braut, in die Nachbarschaft gezogen. Langsam hatten sie sich angefreundet, genau wie ihre Mütter, die beide das freiwillige Schicksal teilten, in ihrem Leben auf einen Ehemann zu verzichten. Lisa war zwei Jahre jünger als Marthe, und so hatten sie sich bei der Einschulung erst einmal aus den Augen verloren. Aber später auf dem Gymnasium wurden sie unzertrennlich, was nicht zuletzt daran lag, dass sie, zusammen mit ihren Müttern, auch häufig die Urlaube gemeinsam verbrachten.

Marthe musste lächeln. Wenn ihr um fünf Jahre jüngerer Bruder Peter nicht gewesen wäre, hätte es kein einziges männliches Wesen in den beiden Kleinfamilien gegeben. Sicher, ihre Mütter hatten diverse Affären, doch lange hielt nie etwas. Marthe und Lisa wuchsen beide ohne die permanente Anwesenheit männlicher Dominanz auf, was sie beide zu selbstbewussten, für manche Männer geradezu provokant selbstbewussten Frauen heranreifen ließ. Der einzige »Mann« im Hause trug meist kurze Hosen und kletterte auf Bäume:

Peter war ihnen einfach immer nur schrecklich auf die Nerven gegangen mit seinen kindischen Streichen. Inzwischen war er zwar dreiunddreißig herangereifte Jahre alt, doch ernst nehmen konnte man ihn immer noch nicht. Zumindest Marthe und Lisa nicht, und daran würde sich wohl kaum jemals etwas ändern.

Konrad kam herein und küsste Marthe zärtlich in den Nacken. »Schön siehst du aus«, schmeichelte er mit leiser Stimme. Er setzte sich zu ihr und betrachtete sie beim Schminken. Er selbst war schon für die Party angezogen, was daran lag, dass er keine Notwendigkeit sah, sich umzuziehen. Konrad trug wie immer ein kariertes Baumwollhemd über einem weißen Shirt und Jeans, seine blonden Haare strubbelten wild um den Kopf. Marthe hatte sich vor einigen Jahren in die unkomplizierte Ausstrahlung Konrads verliebt, in sein warmherziges Wesen und die Lachfältchen um seine Augen. Damals, als sie noch im Verlag gearbeitet hatte, hatte Konrad in seiner Natürlichkeit eine echte Wohltat gegen die teilweise sehr aufgesetzte und sich überaus wichtig nehmende Journaille dargestellt. Und das war bis heute so geblieben.

Konrad nahm das eingeklemmte Foto von Lisa und Marthe vom Spiegel. »Immer noch so strahlend wie damals«, fügte er lächelnd hinzu. »Ist das Lisa, da neben dir?«

Marthe nickte: »Das war an der Nordsee. In St. Peter-Ording. Da sind wir sehr oft hingefahren.«

Konrad betrachtete eingehend das Foto. »Unglaublich, dass ihr schon so lange befreundet seid. Eigentlich passt ihr überhaupt nicht zusammen.«

Marthe nahm ihm das Foto unwillig aus der Hand und steckte es zurück: »Wieso nicht? Bloß weil mich immer alle für eine ernsthafte Intellektuelle halten und Lisa als oberflächliche Extrovertierte gilt? Wie banal, mein Schatz!«

»Na ja, ich weiß nicht. Da ist schon irgendwas dran. Obwohl sich euer Lebensweg, von außen betrachtet, sehr ähnelt. Ihr macht Abi und studiert beide Psychologie. Du fängst als Journalistin an und landest absurderweise als Ernährungsfachfrau bei einer angesagten Publikumszeitschrift. Dort willst du dich nicht länger unter Wert verkaufen, also besinnst du dich auf deine Wurzeln und eröffnest eine Praxis als Psychotherapeutin, während Lisa in der Werbung Slogans für Slipeinlagen entwickelt.«

Marthe reagierte leicht ungehalten: »Na und? Außerdem hat sie da aufgehört und arbeitet jetzt als Journalistin bei meiner früheren Zeitschrift. So what?«

Konrad kicherte: »Und da gibt sie Sex-Ratschläge als staatlich geprüfte Psychologin mit dem postfeministischen Zertifikat der weiblichen Spaßgesellschaft. Das hast du selbst mal gesagt!«

Marthe grinste. »Lisa und ich sind wahrlich nicht immer einer Meinung. Aber ich mag sie wahnsinnig gern. Wahrscheinlich gerade, weil sie so anders ist als ich.«

Konrad trat hinter Marthe und legte beide Hände auf ihre Schultern. Er beugte sich hinunter und begann, an Marthes Ohrläppchen zu saugen. Unterdessen glitten seine Hände ihr Dekolletee hinab.

»Ich mag dich so, wie du bist. Und zwar so sehr, dass mir gerade ganz seltsam wird«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Marthe drehte sich auf ihrem Stuhl und blickte lächelnd zu ihm auf: »Es ist kurz nach sieben. Lisa kommt bald. Wir wollen noch ein paar Sachen herrichten, bevor die ersten Gäste eintrudeln.«

»Lisa kommt doch sowieso zu spät«, erwiderte Konrad und zog Marthe von ihrem Stuhl vor dem Schminktisch aufs Bett.

Als Lisa wie üblich eine Viertelstunde später als verabredet eintraf, in alten Jeans und Shirt, aber mit großem Abend-Make-up und zwei Schüsseln voller Salat in ihrer aus ausgewaschenen und lackierten Milchtüten gefertigten Designertasche, war Marthe gerade wieder dabei, sich die Lippen nachzuziehen und die Haare hochzustecken. Sich schnell noch das Hemd zuknöpfend, öffnete Konrad die Tür und drückte Lisa fest an sich: »Alles Liebe zum Geburtstag, meine Große!«

Peter lag unterdessen in den Kneipenluft ausdünstenden Klamotten vom Vortag im selben Haus ein Stockwerk tiefer auf seinem Bett und schlief. Neben ihm schnarchte seine Freundin Kerstin, genannt Kerry, in ihrem militärisch grünen Feinripp-Unterhemd leise vor sich hin. Von ihr war nur ein Tribal-Tattoo am Oberarm, ein fast glatt rasierter Schädel und etwa siebzehn kleine silberne Ringe zu sehen, die das linke Ohr perforierten. Auf dem Boden um das Bett herum lagen jede Menge Klamotten, eine halb volle Plastikflasche Cola und einige nicht zueinander passende Socken verteilt, die jetzt, im August, wohl noch Überbleibsel des verregneten und kühlen Julis waren, sowie eine leere Pizzaschachtel und mehrere aufgeschlagene Sportmagazine. Mitten in diesem Chaos auf dem Fußboden stand, in unbequemer Entfernung zum Bett, ein großer, altmodischer Wecker, der sich unaufhörlich tickend der Zwanzig-Uhr-Marke näherte. Als das blecherne Monstrum auf eindringlich unmelodische Weise zu bimmeln begann, regte sich Peter träge in seinem Bett. Kerry rührte sich nicht einmal. Noch im Halbschlaf fummelte Peter suchend neben seiner Schlafstatt herum, doch als er nicht fündig wurde, sah er sich fluchend gezwungen, zumindest ein Auge zu öffnen. Er erblickte den Wecker, nahm die Colaflasche und warf sie zielsicher. Der Wecker fiel um und verstummte. Peter drehte sich zur Seite und schlief zufrieden brummelnd weiter. Das Schild neben dem Wecker, auf dem in Großbuchstaben stand STEH AUF, DU PENNER! LISA HAT GEBURTSTAG, hatte er gar nicht bemerkt.

Doch die Party, die Konrad und Marthe für Lisa gaben, kam auch ohne Peter und Kerry in vollen Gang. Es herrschten immer noch fast tropische Temperaturen, aber trotz der aufgestauten Hitze, die bewegungslos zwischen den Gemäuern der alten Stadtvillen von Eimsbüttel stand, wurde der Balkon kaum genutzt. Einem unerklärlichen Partygesetz zufolge drängten sich die Gäste in der Küche, pickten unter Zuhilfenahme von Zahnstochern mit einer Hand nach den Hackbällchen in Knoblauchsoße, hielten mit der anderen das Glas oder die Flasche und bemühten sich erfolgreich, gleichzeitig zu essen, zu trinken, zu rauchen und zu reden.

Obwohl die Party in Marthes und Konrads Fünf-Zimmer-Altbauwohnung stattfand – Lisas schicke Bude in Winterhude war einfach zu klein für so viele Menschen –, übernahm Lisa selbstverständlich die Pflichten der Gastgeberin. Sie lief von der Küche ins Wohnzimmer, parlierte hier, scherzte da, leerte die Aschenbecher aus und suchte ständig nach ihrem Caipirinha, von dem sie nie wusste, wo sie ihn abgestellt hatte. Zur Not musste eben ein neuer her. Zwischendurch kümmerte sie sich um die Musik, wechselte ihre schon vor Wochen sorgsam selbst gebrannten CDs und feuerte die im Vorderzimmer Tanzenden mit aufreizendem Hüftschwung zu Höchstleistungen an.

Die meisten der Gäste waren Lisas Kollegen aus der Redaktion, in der auch Marthe früher gearbeitet hatte. Für Marthe war es mehr als erfreulich, die ganzen »Pappnasen«, wie sie sie nannte, wiederzusehen. Sie stand mit Mitarbeitern ihres alten Ressorts »Ernährung und Gesundheit« zusammen, witzelte über frühere Trüffeltouren ins Perigord und die tausendste Reportage über die Kartoffel als »tolle Knolle«.

Sabine, früher Marthes rechte Hand und inzwischen ihre Nachfolgerin im Ressort, wollte nicht so recht verstehen, wie Marthe den trotz aller Routine immer noch glamouröseren Journaille Job mit all den netten Pressereisen gegen die tägliche Tristesse der Beschäftigung mit den deprimierenden Problemen anderer hatte eintauschen können. Als Lisa mit ihrem vierten Caipirinha dazutrat, erklärte Marthe gerade ernsthaft, weshalb sie einen solchen Richtungswechsel in ihrer beruflichen Karriere vorgenommen hatte.

»... glaub mir, Sabine, ich habs wirklich nicht mehr ertragen. Jedes Jahr im Januar kommt die erste Diät ins Heft, weil die Leser sich an Silvester vorgenommen haben, die Weihnachtsgans vom Hüftgürtel zu kriegen. Im März wird dann für die ideale Bikinifigur noch mehr gehungert. Im Sommer hält man die Linie, und kurz darauf geht schon wieder die Prophylaxe gegen den drohenden Winterspeck los. Kein Wunder, wenn immer mehr junge Mädchen und inzwischen auch Männer magersüchtig werden.«

Sabine nickte ernst, doch Lisa war das Gespräch eindeutig zu stimmungstötend. Sie drückte Marthe ihren Cocktail in die Hand, grinste und meinte sarkastisch:

»Sei doch froh! All die Magersüchtigen landen jetzt bei dir auf der Couch und finanzieren deine Handtaschen-Sammlung.«

Marthe warf Lisa einen irritierten Blick zu und wollte etwas entgegnen, doch Lisa war schon weitergezogen und zerrte Volker, einen älteren und immer überkorrekt gekleideten Angestellten aus dem Archiv, auf die Tanzfläche. Sie drehte die Musik noch etwas lauter und begann unter dem kritischen Blick Marthes, den völlig verunsicherten Volker mit ihren im Takt wogenden Brüsten zu bedrohen.

Vier Stunden später waren alle Gäste gegangen. Marthe räumte ein wenig auf, während Lisa sich im Badezimmer oral von den Caipirinhas verabschiedete. Als Lisa endlich ins Wohnzimmer zurückkam und sich schwankend aufs Sofa fallen ließ, hatte Konrad schon Kaffee gekocht und ihr eine Tasse hingestellt. Inzwischen ein klitzeklein wenig ernüchtert, blickte Lisa sich um und stellte mit schlechtem Gewissen fest, dass die Wohnung zwar noch nicht sauber, aber immerhin schon wieder in einem erträglichen Zustand war. Schwach bedankte sie sich.

»Hört jetzt bitte mit dem Saubermachen auf. Ich habe doch versprochen, dass ich das morgen früh übernehme. Wenn ihr mir schon eure Wohnung für meine Geburtstagsparty zur Verfügung stellt ...« Sie brach erschöpft ab.

Konrad beugte sich über sie und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Mach dir keine Sorgen, Große. Werd du erst mal wieder nüchtern. Und das kann eine Woche dauern, so breit wie du bist.«

»Stimmt doch gar nicht«, maulte Lisa wider besseres Wissen. Sie wankte ganz eindeutig, als sie sich nach vorne beugte, um die Kaffeetasse zu nehmen. Marthe setzte sich auf den Sessel Lisa gegenüber und schaute die Freundin mit prüfendem Blick an. Konrad nahm auf der Sessellehne neben Marthe Platz.

»Hat dir die Party gefallen?«, fragte er Lisa in beiläufigem Plauderton.

»Klar«, antwortete Lisa. Doch plötzlich traten ihr Tränen in die Augen.

Erschrocken hakte Konrad nach: »Um Himmels willen, was ist denn mit dir?«

Lisa schniefte nun recht heftig, was ihre immer noch leicht lallende Aussprache kaum verständlicher machte. »Überhaupt nicht hats mir gefallen, gar nicht! Scheißparty!«

Konrad blickte Marthe fassungslos an. Sie gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er sich jetzt bitte schön zurückziehen und das Schlachtfeld der Frustration einer Fachfrau und Freundin überlassen solle. Konrad begriff sofort, strich der nun herzerweichend weinenden Lisa übers Haar und murmelte einen Gutenachtgruß, bevor er sich verzog. Marthe wartete, bis Lisas Schluchzen abebbte. Dann reichte sie ihr ein Taschentuch, in das Lisa laut vernehmlich schnäuzte.

»Okay«, sagte Marthe, »und jetzt Klartext: Was ist mit dir? Du warst schon den ganzen Abend so komisch.«

Lisa blickte irritiert auf. Plötzlich begann sie zu lachen, laut und immer lauter – ein plötzlicher Stimmungswechsel, wie er unter übermäßigem Alkoholeinfluss durchaus üblich ist.

»Kannst du mir mal verraten, was dich plötzlich so amüsiert?«, fragte Marthe ein wenig missmutig.

Lisa nickte enthusiastisch. »Weißt du noch, vor zwei Jahren, die Party bei Uwe?«

»Du meinst die Party, bei der du mit Bernd beim Vorspiel in der Badewanne erwischt worden bist, woraufhin seine Freundin einen Heulkrampf bekam und mir in ihrer Verzweiflung ekstatisch in die Schulter biss?«, hakte Marthe nach.

»Und Uwe ohnmächtig geworden ist, als er dich bluten gesehen hat«, fügte Lisa, vor Vergnügen glucksend, hinzu.

Marthe schaute Lisa streng an. »Die Party heute hat dir also nicht gefallen, weil es zu wenig Verletzte gab?« Lisa hielt im Lachen inne und verzog das Gesicht blitzschnell erneut in Richtung Drama und Katastrophe. »Neeeiiiiiin«, meinte sie gedehnt.

»Was denn dann?«

»Weil, weil...« Lisa artikulierte undeutlich, da ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen, »weil keiner da war, kein einziger Mann, der sich für mich interessiert hat.«

»Verstehe«, erwiderte Marthe nicht ohne eine gewisse »Das-nun-wieder!«-Strenge.

»Nein, du verstehst nicht«, widersprach Lisa heftig, »du hast seit über zwei Jahren deinen Konrad: Sogar Karen, die nie eine Beziehung wollte, hängt jetzt aus lauter Liebe zu ihrem Palästinenser in Gaza-Stadt rum und wirft vermutlich Steine nach dem israelischen Militär! Und ich?«

Marthe konnte nicht anders, sie fand Lisas typischen Schmollmund und ihre Klagen über die Ungerechtigkeiten der Welt einfach lustig. »Willst du auch einen Palästinenser, meine Süße? Aufgewachsen im Flüchtlingslager, Lebenserwartung so circa fünfunddreißig Jahre? Aber glutäugig ...«, fragte sie Lisa in neckend-mitleidigem Tonfall.

Lisa musste nun auch ein wenig grinsen. »Nein, du blöde Kuh! Ich will Brad Pitt!«

Marthe schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn: »Oh, Lisa, es tut mir sooo Leid, kannst du mir das je verzeihen? Ich habe doch glatt vergessen, ihn einzuladen. Dabei waren wir vorgestern noch zusammen in der Eukalyptus-Sauna!«

Die beiden lachten laut zusammen, als Konrad, nur mit einer labberigen Boxershorts mit aufgedrucktem Einstein-Porträt bekleidet, hinter Marthes Rücken zum Klo schlurfte.

Lisa blieb das Lachen im Hals stecken: »Hast du das gerade gesehen?« Sie wies mit dem ausgestreckten Arm in den nun leeren Flur hinaus.

Marthe wandte sich irritiert um: »Nein, was? Brad Pitt?«

Lisa schüttelte energisch den Kopf: »Im Gegenteil! Einstein auf zwei haarigen, dünnen Beinen. Und über seinem Kopf der Bauch deines Mackers!«

Marthe begann wieder zu lachen. »Ich habe diese Unterhose vor ein paar Wochen mal in den Müll geworfen. Aber Konrad hat sie wieder rausgefischt. Er behauptet steif und fest, dass Einstein seinem Penis klar macht, wie relativ alles ist. Männer sind so bescheuert!«

»Ich will auch einen«, bemerkte Lisa plötzlich todernst.

»Einen Penis?« Marthe prustete von neuem los.

»Einen Mann. Egal, wie bescheuert.«

Marthe sah Lisas traurigen Augen an, wie sehr sie von dieser Sehnsucht im Moment gebeutelt war.«Und heute Abend waren wieder nur Pärchen da«, sprach sie Lisas trübe Gedanken laut aus.

Lisa nickte: »Der Einzige, den ich toll fand, war dieser dunkelhaarige Typ, den Klaus mitgebracht hat. Und der ist nach zwei Stunden mit Steffi abgezogen.«

Lisa sah plötzlich sehr müde aus. Sie ließ sich tief in das Sofa sinken und barg ihren Kopf auf dem Kissen. Marthe erhob sich aus ihrem Sessel. Konrad, der inzwischen von der Toilette zurückgekommen war, blieb im Flur stehen und sah, wie Marthe sich über Lisa beugte und sie liebevoll zudeckte.

»Schlaf dich aus. Morgen gehts dir wieder besser«, flüsterte sie Lisa zu. Als Marthe sich umwandte und zu Konrad ging, war Lisa schon eingeschlafen.

Eine Mütze voll Schlaf später – der Tag lief schon lange – tauchten Marthe und Konrad reichlich zerknittert in der blitzblanken Küche auf. Der Duft von frischem Kaffee und das Brutzeln von Rührei hatte sie angelockt. Fröhlich hantierte Lisa zwischen den Gerätschaften; der Tisch war schon für drei gedeckt.

»Gut, dass ihr endlich kommt. Ich hätte euch sonst einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt«, vermeldete Lisa gut gelaunt.

Konrad hielt sich den Schädel. »Kannst du mir mal sagen, wie du nach deinen circa zwanzig Caipis jetzt schon wieder aufrecht stehst? Und wo sind die Aspirin?«, fragte er stöhnend.

Lisa wies auf die Frühstücksteller: »Aspirin liegt bereit. Und der Alk? Tja, Konrad, ich bin erst sechsunddreißig. Da steckt man eine harte Nacht noch locker weg. Du mit deinen einundvierzig gehörst halt schon auf die Pflegestation«.

Marthe und Konrad setzten sich an den Tisch, während Lisa das Rührei mit den restlichen Hackbällchen von der Party auf die Teller verteilte. Konrad löste sich zwei Aspirin auf und verweigerte erst mal jede weitere Nahrungsaufnahme. Etwas angewidert sah er zu, wie beide Frauen kräftig zulangten.

Auch Marthe beobachtete Lisas Appetit vergnügt. »Hast du dein Tief von heute Nacht überwunden?«

Zwischen zwei Bissen bestätigte Lisa entschlossen: »Ich habe die negative Energie dieses alkoholbedingten Ausfalls in positive und vorwärts gerichtete Gedanken transformiert.«

»Hört, hört«, spottete Marthe freundlich, »und was soll das heißen?«

»Ich will geküsst werden«, antwortete Lisa mit schwärmerischem Blick, »zärtlich, süß und innig!«

Marthe erhob sich, ging an den Schrank, öffnete ihn und warf Lisa eine Schachtel Schokoküsse zu. »Hier. Zärtlich auf der Zunge und süß im Abgang.«

Betont beleidigt pfefferte Lisa die Schachtel in die Ecke. »Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde!«, erklärte sie streng.

Marthe grinste nur, während Konrad abwesend an seinem Aspirin-Drink nippte.

Lisa schüttelte tadelnd den Kopf und nahm ein Hackbällchen in den Mund, was ihre Aussprache extrem undeutlich machte: »Isch 'uch mir halt 'n, wenn isch 'n will.«

»Wie bitte?«, wollte Konrad wissen. »Worum gehts?« Lisa schluckte ihren Bissen hinunter. »Ich habe beschlossen, mir einen Mann zu suchen. DEN Mann! MEINEN Mann. The One and Only.«

Marthe ließ ihre Gabel sinken: »Du willst doch nicht wieder eine Kontaktanzeige aufgeben?« Ohne Lisas Antwort abzuwarten, wandte sie sich an Konrad und fuhr mit Katastrophenahnung in der Stimme fort: »Das hat sie nämlich schon mal gemacht. Und das Ende vom Lied war, dass Karen und ich sie in Malaga in Strapsen an eine Heizung gekettet fanden!«

Konrad schaute verwirrt zwischen Lisa und Marthe hin und her und meinte dann entrüstet zu Marthe: »Das hast du mir nie erzählt! Eine Entführung?«

Lisa fuhr mit vollen Mund dazwischen: »Das wird sie dir auch jetzt nicht erzählen.«

Doch Marthe ignorierte Lisas Zwischenruf geflissentlich und klärte Konrad auf: »Perverse Sexspiele! Aber Karen und ich dachten zuerst ebenfalls an eine Entführung. Deshalb bekam Lisas Lover ja auch eine Kostprobe von Karens Karate-Künsten. Und wir durften dann alle drei eine Nacht im spanischen Gefängnis verbringen.«

»Wo sich der Antonia-Banderas-Bulle dann gleich in Karen verknallt hat. Und dir ist Martin hinterhergereist, um dich zu retten. Und was war mit mir? Nix! Ich war allein und bin es immer noch. Und das werde ich jetzt ändern. Endgültig!«, beschwerte sich Lisa.

»Könnt ihr mir jetzt endlich mal erklären, wovon ihr redet?«, wollte Konrad beleidigt wissen.

»Nicht jetzt, Schatz«, war Marthes lapidare Antwort. Sie wandte sich wieder an Lisa: »Aber diese blöde Geschichte damals hat dir doch bewiesen, dass Kontaktanzeigen keine echten Lösungen bieten.«

Lisa hielt dagegen: »Stimmt nicht. Ich wollte damals nur Sex, und den habe ich auch bekommen. Aber beruhige dich: Ich will keine Anzeige aufgeben. Es geht mir nicht um Sex ... also nicht nur, sondern um meine Zukunft. Und die werde ich aktiv gestalten. Ab sofort.«

»Wo war Peter eigentlich gestern Abend? Der war gar nicht auf der Party«, murmelte Konrad plötzlich abwesend.

Marthes Gesicht verfinsterte sich: »Dieser Loser! Keine Ahnung, wo der abgeblieben ist!« Sie spießte ein Hackbällchen auf und steckte es sich in den Mund.

Lisa musste lachen: »Lass deinen Bruder leben! Am Freitag hat St. Pauli gespielt. Der ist bestimmt versackt und hat den Samstag durchgepennt.«

»Eben. Loser. Sag ich doch«, kommentierte Marthe ungnädig.

Konrad erhob sich: »Ich gehe mal runter und sehe nach ihm. Vielleicht will er ja mein Rührei.«

Als Konrad zur Tür hinaus war, mussten Marthe und Lisa unwillkürlich grinsen.

»Feigling«, meinte Marthe lapidar.

Lisa gluckste vergnügt: »Konrad hat die Flucht ergriffen, weil er unser Frauengelaber unerträglich findet, oder?«

Marthe nickte überzeugt: »Und außerdem will er Peter fragen, ob der etwas über die perversen Sexspiele an der Heizung in Malaga weiß.«

»Du hast ihm das echt nie erzählt? Nett von dir.« Lisa hielt Marthe auffordernd ihre leere Kaffeetasse hin.

Marthe schenkte nach. »Jetzt sag aber mal im Ernst, wie stellst du dir das denn vor: deine Zukunft aktiv zu gestalten – in Bezug auf einen Mann? Willst du dir einen schnitzen?«

»Ich bestelle ihn mir beim Universum«, entgegnete Lisa verschmitzt.

Marthe stellte die Kaffeekanne mit einem lauten Knall auf der Tischplatte ab. »Liest du immer noch diesen Eso-Mist? Die Prophezeiungen der Klementine oder so?«

Lisa lachte laut auf. »Damit kann ich dich sofort auf hundertachtzig bringen. Du bist ein wissenschaftsgläubiger Kleingeist, weißt du das?«

Bevor Marthe noch etwas entgegnen konnte, betrat Konrad mit Peter im Schlepptau die Küche. »Peter war schon auf dem Weg zu uns nach oben», erklärte er das schnelle Wiederauftauchen.

»Um Futter am Trog zu suchen«, vermeldete Marthe spitz.

Peter ignorierte Marthe grinsend, beugte sich über Lisa und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf den Mund. »Glückwunsch, mein Zuckerschnäuzchen. Und sei nicht böse, dass Kerry und ich die Party verpennt haben. Aber ...«

»... St. Pauli hat gespielt. Und dann musstet ihr hinterher in die Fankneipe, und dann wurde es spät und später«, ergänzte Lisa lächelnd.

»Ich habe dir aber was Tolles mitgebracht.« Peter hielt Lisa ein recht winziges Päckchen hin. Während sie an der lieblosen Verpackung aus Zeitungspapier zerrte, setzte er sich auf Konrads Platz und machte sich über das Rührei her. »Das ist ja kalt«, moserte er.

»Musst du halt früher aufstehen, Brüderchen«, wies Marthe ihn in die Schranken.

»Ein Feuerzeug«, stellte Lisa ohne große Begeisterung fest, nachdem sie die vielen Schichten Papier um das Päckchen endlich erfolgreich zerfetzt hatte.

»Ja, aber nicht irgendein x-beliebiges!«, erklärte Peter stolz und beugte sich zu Lisa, »schau mal, das ist ein Original-Zippo mit dem Totenkopf von St. Pauli eingraviert. Limitierte Auflage!«

Lisa drehte das Feuerzeug etwas ratlos in der Hand und versuchte mühsam, sich zu begeistern.

»Lisa raucht doch gar nicht, das weißt du«, gab Marthe zu bedenken.

»Dann soll sie halt damit anfangen«, wehrte Peter den Einwand ab und stopfte sich kaltes Rührei in den Mund.

»Vielleicht fange ich sogar wirklich damit an«, lächelte Lisa, »wo sich doch jetzt eh mein ganzes Leben ändert.«

Marthe schüttelte missbilligend den Kopf.

Peter schaute Lisa – wenn auch nur mäßig interessiert – an: »Wieso denn?«

»Weil ich mir einen Mann suche – für eine feste Beziehung.« Lisa goss Peter Kaffee ein.

»Ach so. Na dann, viel Glück«, meinte er und trank laut schlürfend.

Lisa nickte überzeugt. »Danke. Das werde ich haben.«

In der Sonntagnacht nach der Party befindet sich Lisa in der Bretagne. Sie liegt nackt in einer kleinen versteckten Bucht im von der Sonne erhitzten Sand und hört leise Musik. Sie weiß ganz genau, dass dieser Typ wieder oben auf der Klippe sitzt und sie beobachtet – wie schon seit Tagen. Er will sehen, wie Wind und Sonne ihren nackten Körper trocknen, bis nur noch ein paar kleine Schweißperlen auf ihrer Haut glitzern. Auf dem Rückweg zu dem von ihr angemieteten Haus wird er am Wegrand stehen und ihr hinter seiner Ray-Ban-Sonnenbrille in die Augen sehen.

Sie hat keine Angst vor ihm, im Gegenteil. Irgendwie fühlt sie sich mächtig zu ihm hingezogen. Er ist so geheimnisvoll. Und unter seinem Bart und seinen zottigen Haaren ist er verdammt attraktiv, das weiß sie genau. Er schaut immer so düster, aber heute nimmt er die Sonnenbrille ab, als sie auf dem Rückweg zum Haus an ihm vorbeigeht, und lächelt sie verlegen an. Sie lächelt zurück und geht weiter.

Das Haus hat sie für zwei Monate gemietet, um endlich einmal von der blöden Journaille und der dazugehörigen oberflächlichen Szene zu entspannen und zu sich selbst zu finden. Abends jedoch geht sie in die Dorfkneipe, wo alle Jungs wie verrückt hinter ihr her sind und sie für ihr fulminantes Kickerspiel bewundern. Sie kann natürlich perfekt Französisch und auch ein wenig Bretonisch.

Plötzlich kommt der bärtige Typ herein, zum ersten Mal. Er bleibt an der Tür stehen. Unter dem lautstarken Protest ihrer Fans verlässt Lisa den Kicker und geht zu ihm. Sie nimmt ihm die Sonnenbrille ab, die er überraschenderweise auch hier trägt, und sagt verschwörerisch zu ihm:

»Heute habe ich in deinen Augen die Hölle gesehen. Und in deinem Lächeln den Himmel.«

Er nimmt sie bei der Hand und erwidert leise: »Let's go.«

Sie nickt und folgt ihm hinaus. Sie gehen zu der kleinen Bucht und reden die ganze Nacht. Über die Sterne, das Leben, über Trauer und Freude, Glück und Leid. Dann nimmt sie ihn mit zu sich nach Hause und schläft mit ihm. Keiner von ihnen hat den anderen nach seinem Namen gefragt.

Der Sex ist wundervoll, fast mystisch. Nie zuvor hat sie einen Mann gehabt, der so instinktiv und liebevoll auf ihren Körper eingegangen ist. Danach liegt er zuerst lange Zeit still da. Dann nimmt er sie in die Arme und beginnt, ein wenig zu weinen. Er gesteht ihr, dass er seit Monaten völlig verzweifelt gewesen ist, weil er keine Wahrheit mehr in seinem Leben finden konnte – nur noch seichte, glanzlose Verlogenheit. Aber sie hat ihn im Innersten berührt, schon als er sie zum ersten Mal gesehen hat. Er liebt sie und will, dass sie immer bei ihm bleibt.

Sie gesteht ihm, das Gleiche zu empfinden – ganz so, als hätte sie ihr Leben lang auf ihn gewartet. So als kenne sie ihn schon ewig. Seine Miene nimmt einen sorgenvollen Ausdruck an. In ihr Leben werden große Veränderungen eintreten.

Sie fragt nach. Er erhebt sich und geht ins Badezimmer. Dann tritt er aus dem hell erleuchteten Bad wieder in das Halbdunkel des Schlafzimmers und legt sich neben sie. Er knipst die kleine Lampe neben dem Bett an. Er hat sich rasiert und die langen Haare fein säuberlich zurückgebunden. Sie wendet den Kopf zu ihm und sieht: Es ist Brad Pitt. Leise sagt sie zu ihm: »Das macht nichts.« Sie kuscheln sich aneinander und schlafen ein.

Lisa zog die dünne Decke in ihrem einsamen Bett in Eimsbüttel wohlig seufzend bis zur Nasenspitze hoch. Sie grinste ein wenig über ihre romantisch-kitschigen Hedwig-Courths-Mahler-Fantasien mit aktualisierter Starbesetzung und nahm sich vor, morgen Abend endlich mal wieder den mindestens ebenso knackigen Will Smith zum Helden ihrer Gutenachtträume zu machen – schon aus Gründen der farblichen Abmischung. Und vielleicht das Ganze mit einer etwas fröhlicheren Note, eher so im groovigen HipHop-Slang ... Mit genussvollem Lächeln schlief Lisa ein.

Am nächsten Morgen ging sie einen Teil des Weges zum Büro zu Fuß, weil ihr Mercedes zur Inspektion in der Werkstatt war. Sie war mit der U-Bahn von Winterhude bis Klosterstern gefahren und dort ausgestiegen, um noch ein wenig das schöne Wetter zu genießen. Einen unbewussten Schritt vor den anderen setzend, lief sie langsam durch Harvestehude, und ihre ganze Aufmerksamkeit war nach innen gekehrt, auch wenn sie im Vorübergehen leicht mit der Hand über die an den Vorgärten der Villen gepflanzten Hecken strich. Im Gepäck hatte sie ihre Aktenmappe und eine Menge Pläne. Sie war vor zwei Tagen sechsunddreißig Jahre alt geworden und freute sich auf ihre Zukunft. Aber noch beschwingter als die Entscheidung, dass sie sich einen Mann suchen würde, war die Tatsache, dass sie überhaupt eine Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte ganz bewusst einen Punkt gesetzt und damit einen Neuanfang markiert. Ihr Gefühl sagte ihr, dass das gut und richtig war.

Der Montagmorgen begann üblicherweise mit der kleinen Redaktionssitzung, in der vom Chef der Stand der Dinge abgefragt wurde. Heute jedoch war die große Sitzung angesagt, die monatliche Planung für das nächste Heft. Jedes Ressort brachte seine Themenvorschläge zur Sprache, die dann diskutiert, akzeptiert oder abgelehnt wurden – eine nur scheinbar demokratische Veranstaltung, die letztlich jedoch immer vom Chefredakteur Olli in diktatorischer Weise dominiert wurde. Der achtundvierzigjährige, sportlich aktive Olli war davon überzeugt, den Journalismus erfunden zu haben, und all sein aufgesetzt freundschaftliches Gehabe änderte nichts an der Tatsache, dass er von heimtückischem Charakter war und seinen Redakteuren immer wieder in den Rücken fiel, wenn es für ihn von Vorteil war. Auch seine Editorials – er ließ es sich natürlich nicht nehmen, sie selbst zu schreiben – zeugten nur von mangelndem Talent und einem bedenklichen Humor, der an den Brachialwitz eines Bud-Spencer-Films aus den Siebzigern angelehnt war. Lisa war einmal mit ihm aneinander geraten, weil er ihren gut recherchierten und ernsthaft Anteil nehmenden Artikel über Kontaktsuche per Annonce im Editorial mit dem Spruch »Einsamer sucht Einsame zum Einsamen« angekündigt hatte. Als sie ihn mit aller gebotenen Vorsicht gebeten hatte, diesen sprachlich echt wahnsinnig gelungenen Gag, der vor allem von einer unglaublichen Frische sei, vielleicht doch lieber zu streichen, weil eventuell die ein oder andere Leserin ... Olli hatte sie mitleidig angesehen und sie aufgefordert, ihre lächerlichen Emanzen-Attitüden zu Hause zu lassen, wenn sie für ihn arbeiten wolle.

Heute eröffnete Olli die Sitzung mit Erfolgsmeldungen: Der Herausgeber habe ihn belobigt, das Team natürlich auch, denn die Auflage sei weiter gestiegen, und auch die Abos verkauften sich immer besser. Olli nahm diese Nachricht zum Anlass, die von ihm eingeschlagene Marschroute der Nutzwert-Orientiertheit mit seinen üblichen fußballerischen Vergleichen als journalistisches Nonplusultra darzustellen und seine Mannschaft diesbezüglich zu neuen Höchstleistungen anzuspornen. Wie sein Namensvetter Olli Kahn auch stets sage: Weiter, weiter, immer weiter ...