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Prof. Dr. Volker Zotz, geb. 1956, ist Religionswissenschaftler und Philosoph. Er verbringt einen Großteil seines Lebens in Süd- und Ostasien und forschte u. a. zehn Jahre an japanischen Universitäten zum Konfuzianismus und Buddhismus. Unter seinen Büchern: Konfuzius für den Westen (Frankfurt am Main 2007), Konfuzius (Reinbek 2000), Auf den glückseligen Inseln. Buddhismus in der deutschen Kultur (Berlin 2000), Geschichte der buddhistischen Philosophie (Reinbek 1996).

Zum Buch

»Bei einem selbst beginnt das Menschlichsein.
Wie könnte es bei einem anderen beginnen?«
KONFUZIUS

Vor 2500 Jahren eröffnete Konfuzius in China eine kleine Schule für Anwärter auf den Staatsdienst. Er wollte sie nicht nur fachlich bilden, sondern auch charakterlich. Dazu griff er auf traditionelle Werte Chinas wie überlieferte Riten, Orakel und den Ahnenkult zurück. Zu seinen Lebzeiten jedoch hatten seine Ansichten und Methoden kaum Erfolg und wurden im 3. Jh. v. Chr. sogar verboten. Dennoch trat der Konfuzianismus, der als Philosophie, Soziallehre oder Religion erscheinen kann, einen beispiellosen Siegeszug an. Bis heute prägt er nicht nur Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in China, sondern auch in Korea, Vietnam, Singapur und Japan. Die konfuzianischen Weisheiten bieten bis in die Gegenwart Orientierung für das Individuum im Alltag und liefern einen Schlüssel zum Verständnis der Geschichte und aktueller Entwicklungen in Asien.

Volker Zotz

Der Konfuzianismus

Volker Zotz

Der Konfuzianismus

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Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015
Covergestaltung: network! Werbeagentur GmbH, München
Bildnachweis: Confucius Birthday Ceremony, © mauritius images/Alamy
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0493-6

www.verlagshaus-roemerweg.de

»Bei einem selbst beginnt das Menschlichsein.
Wie könnte es bei einem anderen beginnen?«

Konfuzius

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung
GIBT ES DEN KONFUZIANISMUS?

Probleme eines Etiketts

Eine Religion?

Eine Philosophie?

Vielfalt und Entwicklung

1. Früh verkannt und spät vergöttlicht
GESTALT UND WIRKEN DES KONFUZIUS

Unsichere Quellen

Ein Beamter wird Lehrer

Der Lehrplan

Die Reise ins Altertum

Brüchige Erfolge

Fassung in der Not

Das Ende des Gescheiterten

Genial oder banal?

2. Tradition als Maß
SECHS KANONISCHE WERKE

Eine offene Überlieferung

Böse Menschen haben keine Lieder

Aus Geschichte lernen

Von Sitten und Riten

Die Wirkung der Klänge

Gesetze des Wandels

Verschlüsselte Botschaften

3. Vom Neuen im Alten
DIE LEHRE DES KONFUZIUS

Reformator oder Bewahrer?

Menschlichsein als Aufgabe

Zurück zu den Riten

Der Weg des Lernens

Die Worte berichtigen

Und das Jenseits ?

4. Himmel und Mensch
KLASSISCHE INTERPRETEN DES KONFUZIANISMUS

»Genialität der Beschränkung«

Zisi: Maß und Mitte

Menzius: Vom Guten im Menschen

Xunzi: Wider den Aberglauben

Dong Zhongshu: Den Widerspruch versöhnen

Zhu Xi: Struktur und Kraft

Lu Jiuyuan: Alles im Bewusstsein

5. Vergiftet Konfuzius die Welt?
KRITIKER UND GEGNER

Tun, was nicht geht

Mozi: Wider kostspielige Musiker

Zhuang Zhou: Konfuzius als armer Schüler

Freiheit oder Zwang

6. Die Gegenwart der Ahnen
NÄHE UND FERNE DER TOTEN

Unfassbares Geisterreich

Tod und Bestattung

Die beständige Familie

Vom Trauern

7. Siegeszug mit Pausen
KONFUZIANISMUS IN CHINA

Grundlage des Staates

Buddhistische Herausforderung

Von der Sterblichkeit

Konfuzius in der Moderne

8. Über die Grenzen
KONFUZIANISMUS IN OSTASIEN

Die Ausbreitung

Staatstragende Kraft

Geschichte und Kaiserkult

Buddhismus als Ahnendienst

9. Das Echo
KONFUZIUS UND DER WESTEN

Li für Europa?

Verkünder der Vernunft oder Schwätzer?

Ein Weg für Europa?

Motor oder Bremse der Wirtschaft?

Abkürzungen zitierter klassischer Werke

Literatur

Zu Konfuzius’ Leben und Wirken

Denken und Kultur Chinas

Zu Entwicklung des Konfuzianismus

Vorwort

»Tragen Handlungen nicht zum Erfolg bei, führt eine Suche nicht zum Ziel, helfen Qualen und Bürden nicht, ein Problem zu lösen, dann solltest du sie ganz von dir werfen. Gestatte ihnen nicht, dich zu behindern oder für einen einzigen Augenblick in Unruhe zu versetzen. Denke nicht sehnsüchtig an Verflossenes, und sorge dich nicht um das, was kommen soll. Ergib dein Herz keinem Bedauern und Kummer. Kommt die rechte Zeit, dann handle! Reagiere auf Dinge, wie sie auftreten. Urteile über die Angelegenheiten, wenn sie anstehen. Dann werden das Richtige und das Falsche, das Erlaubte und das Unerlaubte offensichtlich sein.« (Xunzi XXI, 16)

Diese Worte stammen von dem Konfuzianer Xunzi, der im 3. Jahrhundert v. Chr. zahlreiche Themen der Politik, Pädagogik, Musik und Ethik behandelte. Dass er auf diese Weise immer wieder auf das praktische Leben zu sprechen kam, ist typisch für das klassische konfuzianische Denken. Dieses stellte eine Bewährung des Menschen im Jetzt über Spekulationen um Künftiges und Prinzipielles. Es fragte stets nach dem unmittelbar Sinnvollen und Zweckmäßigen, wobei es sich an der Vergangenheit orientierte, also aus der Geschichte lernen wollte.

In den Entwicklungen von zweieinhalb Jahrtausenden durchlief das, was man inzwischen Konfuzianismus nennt, große Veränderungen. Es verband sich in vielfältigen Formen mit anderen Geistesströmungen Ostasiens, was die verwirrende Situation zur Folge hat, dass man verschiedenste und mitunter einander widersprechende Positionen mit demselben Etikett des Konfuzianismus bezeichnet findet. Das vorliegende Buch stellt anfängliche und zentrale Motive sowie einige charakteristische historische und aktuelle Ausprägungen dessen vor, was der Sammelbegriff heute umfasst. Es ist ein Ergebnis wissenschaftlicher wie existenzieller Begegnungen mit den chinesisch beeinflussten Traditionen Ostasiens.

Zur tieferen Beschäftigung mit chinesischen Traditionen des Denkens und der Praxis regte mich Lama Anagarika Govinda (1898–1985) an, nachdem er 1981 eine Studie über das Yijing veröffentlichte, das auch für den Konfuzianismus bedeutende Buch der Wandlungen. Govinda, der sich chinesischen Überlieferungen im Rahmen einer weiten spirituellen Praxis geöffnet hatte, empfahl mir in Gesprächen die Betrachtung des Daoismus und Konfuzianismus im Rahmen meiner philosophischen und wissenschaftlichen Tätigkeiten.

Möglichkeiten zur intensivierten Auseinandersetzung mit Konfuzianischem ergaben sich dann in Japan, als ich zwischen 1989 und 1998 in Kyōto am Institut für buddhistische Kulturstudien der Ryūkoku Universität und am Shin Buddhist Comprehensive Research Institute der Ōtani Universität arbeitete. Im Schwerpunkt mit Forschungen zur Geschichte und Praxis des Buddhismus in Ostasien befasst, erkannte ich bald, wie tief der Konfuzianismus dessen Denken und Ausübung bestimmte. Tatsächlich erschließt sich der Sinn vieler Elemente des Buddhismus in China, Korea und Japan, etwa dessen Rituale für Verstorbene, nicht aus den indischen Quellen der Lehre, sondern aus deren konfuzianischen Transformationen.

In Japan durfte ich zudem über einige Jahre intensiv am liturgischen Leben und den Festen eines Shintō-Schreins teilhaben, der den als Sumiyoshi daijin bezeichneten Göttern geweiht ist. Auch für den Kult der japanischen Gottheiten des Shintō sowie für nahezu jeden Aspekt der traditionellen Kultur des Landes lassen sich starke konfuzianische Einflüsse beobachten.

An dieser Stelle möchte ich nur wenige der Persönlichkeiten in Ostasien namentlich anführen, denen ich für ihren Rat und ihre Unterstützung bei meiner Beschäftigung mit dem Konfuzianismus dankbar verbunden bin, unter ihnen akademische Kollegen, konfuzianische Gelehrte, buddhistische Geistliche und Priester des Shintō.

Shōken Yamasaki (1907–1989), der drei Jahrzehnte an der Ryūkoku Universität Pädagogik lehrte, vermittelte mir bei seinem Europaaufenthalt 1988 eindrucksvolle Aufschlüsse über klassische Bildungstraditionen Ostasiens und ermutigte mich dazu, im Folgejahr meine Arbeit in Japan anzutreten. Keisai Doki, der vormalige Abt des Senpuku-Tempels in Takaoka, förderte in intensiven Gesprächen des Jahres 1996 besonders mein Verständnis chinesischer und japanischer Überlieferungen in ihrem Verhältnis zu Europa.

Seit 1998 gehöre ich dem Institut Hokekyō Bunka Kenkyūjo an der Risshō-Universität in Tōkyō an. Hier wurde mir der Austausch mit dem Kulturwissenschaftler Yukio Kotani wertvoll, der bis zu seinem Tod ein persönlicher Schüler des Gelehrten Hanjirō Tominaga (1883–1965) war. Tominaga unterrichtete – wie Konfuzius zweieinhalb Jahrtausende zuvor – als Privatgelehrter einen Kreis Interessierter auf Basis klassischer Literatur. Mit Yukio Kotani, dem ich zahlreiche Anregungen verdanke, unternahm ich erste Besuche im konfuzianischen Tempel Yushima Seidō, dessen Tradition bis in die 1630er Jahre zurückgeht.

Auch in China vermittelten mir, insbesondere in Shangdong und Bejing, viele Begegnungen und Erfahrungen kostbare Einblicke in den Geist und die lebendige Kultur des Konfuzianismus, der in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebt. »Zerschlagt den alten Kuriositätenladen des Konfuzius«, forderte schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine intellektuelle Strömung, die von der studentischen »Bewegung des vierten Mai« (1919) ausging. Die Vorbehalte gegen den Konfuzianismus, den man mit allem assoziierte, was Chinas Fortschritt zu hemmen schien, nahm in den 1970er und 1980er Jahren noch zu. Inzwischen hat sich das Blatt vollständig gewendet, denn nach einer Phase des sehr kritischen Abstands lässt sich klarer sehen, wie nicht alles, was man im Lauf der chinesischen Geschichte mit Konfuzius und seinen klassischen Interpreten rechtfertigen wollte, im Sinn deren Denkens war. Seit 2004 heißen chinesische Kultur-Institute im Ausland nach Konfuzius. Im Konfuzius-Tempel in Beijing und der nahen Akademie Guozijian, die bis zum Ende der Qing-Dynastie 1911 als höchstrangige konfuzianische Bildungsstätte im chinesischen Reich galt, wird seit 2014 wieder der Übergang Jugendlicher zum Erwachsensein in einem modifizierten alten Stil rituell begangen.

Viele derartige Anzeichen machen deutlich, dass dem Konfuzianismus in jüngerer Zeit gerade in China zunehmend mehr als nur historische Bedeutung zukommt. Es bleibt eine spannende Frage, inwieweit im Zeitalter der Globalisierung und der aus ihr resultierenden kulturellen Nivellierungen als konfuzianisch bezeichnete Traditionen, Inhalte und Institutionen ihren Platz in den angestammten Gebieten bewahren, ihn neu definieren und darüber hinaus Bedeutung erlangen.

Danken für ihre kostbare Inspiration und Hilfe möchte ich Birgit Zotz, die meine Forschungen und Überlegungen zum Konfuzianismus seit einem Jahrzehnt in China, Indonesien, Europa und den USA begleitet.

Als erste literarische Frucht meiner Auseinandersetzung mit dem Konfuzianismus erschien 2000 das Buch Konfuzius (Reinbek bei Hamburg 2. Aufl. 2008), das sich im Schwerpunkt mit der Gestalt des so genannten Stifters der Tradition und den ihm unmittelbar zugeschriebenen Lehren beschäftigt.

Der Frage, ob sich aus dem Konfuzianismus Impulse für Menschen in Europa gewinnen lassen, ging ich dann sieben Jahre später mit dem Buch Konfuzius für den Westen. Neue Sehnsucht nach alten Werten (Frankfurt a. M. 2007) nach.

Nach sieben weiteren Jahren kam von Rebecca Hausdörfer aus dem marixverlag die Anregung, mit dem hier vorliegenden Buch einen Gesamtüberblick über die wesentlichen Motive und Entwicklungen konfuzianischer Traditionen zu bieten. Gerne bin ich diesem Vorschlag gefolgt, wobei mir bewusst war, dass bei der Behandlung einer in mehreren großen Kulturen Asiens verbreiteten 2500-jährigen Tradition mit ebenso langer Vorgeschichte das Meiste ungesagt bleiben muss.

Der Konfuzianismus brachte eindrucksvolle Systeme des Denkens, eine wirkungsvolle Literatur, über Jahrhunderte staatstragende Institutionen, Bildungseinrichtungen und Tempel mit viel gerühmter Architektur hervor. Wenn in diesem Buch einiges davon behandelt wird, soll nie das zentrale Anliegen der klassischen Gestalter des Konfuzianismus vergessen werden: Es ging ihnen vor allem um die Ethik eines verantwortlichen, konsequenten und von Menschlichkeit bestimmten Lebens, die sie oft in Einfachheit und ohne Schnörkel präsentierten: »Führe nichts aus, was du nicht tun willst. Verlange nichts, wovon du beschlossen hast, es nicht zu verlangen. Das reicht schon.« (Menzius XIII, 17)

Peoria (Illinois) im August 2014

Volker Zotz

Einführung

GIBT ES DEN KONFUZIANISMUS?

Probleme eines Etiketts

»Der Konfuzianismus« prägte Ostasien nicht nur historisch, sondern stellt bis heute eine treibende Kraft für die Gesellschaft, die Wirtschaft sowie das Geistesleben in China, Korea, Japan, Vietnam, Singapur und in weiteren Ländern dar. Will man aktuelle Vorgänge im für frühere Generationen »Fernen Osten« begreifen, der politisch und ökonomisch unaufhörlich näher rückt, sind Kenntnisse über »den Konfuzianismus« geboten.

Entsprechend wurde er in der Literatur zu einer viel behandelten Größe. »Der Konfuzianismus hat den Charakter der sozialen Beziehungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft in den letzten zweieinhalb Jahrtausenden sehr viel stärker beeinflusst als beispielsweise der Buddhismus oder der Taoismus«, schreibt Francis Fukuyama.1 »Der Konfuzianismus entstand um 500 v. u. Z. als eine Art Morallehre und Verhaltenskodex«, lesen wir bei dem Politologen Jürgen Rothlauf.2 »Der Konfuzianismus beanspruchte auch eine universelle Relevanz seiner Lehren«, formuliert der Sinologe Karl-Heinz Pohl.3

So selbstverständlich man hier über »den Konfuzianismus« spricht und so zutreffend jeder dieser Sätze sein mag, lässt sich eine Frage nicht umgehen: Gibt es diesen Konfuzianismus überhaupt? Nachdem sowohl in wissenschaftlichen Disziplinen als auch in Medien ganz bestimmt davon die Rede ist, mag am Beginn eines Buchs, das wiederum diesen Begriff im Titel führt, die Überlegung verwundern, ob der behandelte Gegenstand wirklich existiert. Doch ist die Frage unumgänglich, um gröbere Missverständnisse zu vermeiden.

Als Ausdruck ist »Konfuzianismus« eine europäische Erfindung. In China gab es zweieinhalb Jahrtausende keinen Begriff, der dem in europäischen Sprachen gängigen Wort entspräche. Der Terminus und eine erste Entscheidung, was er bezeichnen soll, gehen auf abendländische Jesuiten zurück, die China als Missionare besuchten. Pater Matteo Ricci (1552–1610), der seit 1582 im »Reich der Mitte« wirkte und in Wort und Schrift dessen Sprache erlernte, führte seine Dialogpartner in die westliche Mathematik und andere Aspekte europäischer Kultur ein.4 Seine 1595 erschienene Abhandlung Jiaoyou lun, die sich auf Basis von Gedanken des römischen Autors Cicero dem Wesen der Freundschaft widmet, fand große Anerkennung bei gebildeten Chinesen.

Seinerseits studierte der Pater sorgfältig die chinesische Kultur. Den damals bereits vor eineinhalb Jahrtausenden aus Indien ins Land gekommenen Buddhismus lehnte der Jesuit, der das Christentum verbreiten wollte, als Kult um einen zum Götzen erhobenen Menschen ab.5 Doch die von den Gelehrten des Hofs gepflegte klassische Literatur Chinas beeindruckte ihn tief. Wie er erfuhr, stellte dieses Schrifttum zweitausend Jahre zuvor ein gewisser Kong Fuzi zusammen, was »Kong, der Lehrmeister« bedeutet. Von diesem ging eine ungebrochene Tradition der Gelehrsamkeit und Interpretation aus.

Kong Fuzi wurde im Sprachgebrauch der Jesuiten latinisiert, worauf der heute geläufige Eigenname »Konfuzius« zurückgeht. Die auf die Ideen dieses alten Meisters gegründete Tradition nannten sie in der Folge Konfuzianismus, eine Wortprägung aus dem latinisierten Namen des Mannes mit dem griechischen Suffix isma. Als Ismus weist diese Beifügung auf eine bestimmte Art des Handelns hin. Damit hatte man mit dem Terminus »Konfuzianismus« eine Geistesrichtung definiert, die ihr Vorgehen an Konfuzius ausrichtet.

Die Konfuzianer selbst hatten sich nie als Anhänger eines bestimmten Menschen wahrgenommen – sie nannten ihre Bewegung Rujia. Das Wort Ru besitzt nach Xu Shen, einem um 120 verstorbenen Wörterbuchautor, den Sinn von »sanft«. Die in der Tradition des Konfuzius wirkenden Gelehrten gingen mit ihren Studien einer »sanften« Tätigkeit nach, verstanden sich als feine und friedliebende Menschen. Doch mag Ru ursprünglich auch die Spezialisten für das Ritual bezeichnet haben.6 Tatsächlich kennt die Tätigkeit der Ru die beiden Aspekte theoretischer Gelehrsamkeit und praktizierter Ritualistik. Entsprechend unterscheidet der chinesische Sprachgebrauch den eher akademischen Aspekt der Tradition als Rujia vom eher kultischen als Rujiao.

Indem sie nicht das einheimische Ru übernahmen oder übersetzten, sondern die Begriffe »Konfuzianer« und »Konfuzianismus« neu prägten, folgten Christen und Jesuiten dem Muster ihrer Eigenbezeichnungen, um eine Geistesrichtung nach der jeweiligen vermeintlich für die Strömung maßgebenden Person zu benennen. Dieses Verfahren verfehlt häufig das Selbstverständnis anderer. Wurden z. B. Muslime, wörtlich »(Gott) Ergebene« und Anhänger des Islam (»Hingabe«), früher als Mohammedaner etikettiert, verschob dieser Begriff den inhaltlichen Akzent von der tatsächlichen Ausrichtung auf den transzendenten Gott zu einem als Mittler verstandenen Menschen. Aus der Innenperspektive so Benannter liegt eine ebenso grobe Verzerrung vor wie im Fall der Konfuzianer.

Diese konnten in ihrer Selbstbezeichnung den Namen des Kong Fuzi nicht führen, weil dieser sich der Überlieferung zufolge gar nicht als Stifter einer Weltanschauung oder Bewegung verstand: »Ich vermittle, doch schaffe nichts. Dem Alten bin ich treu und liebe es.« (L VII, 2)7 Weil Konfuzius demnach nichts beginnen, sondern Früheres bewahren wollte, umfasst der Konfuzianismus nach seiner Innenansicht vor allem Vorkonfuzianisches.

Matteo Ricci und seine Ordensbrüder trugen nicht nur zum Entstehen und zur Definition des Begriffs »Konfuzianismus« bei, sondern auch zum Einordnen des damit Bezeichneten in bestimmte Kategorien kulturellen Lebens. Hätten sie ihre Gesprächspartner in China gefragt, ob es sich beim Konfuzianismus um eine Religion oder um eine Philosophie handele, wären diese zweifellos ratlos gewesen. Sie besaßen für diese Begriffe keine tauglichen Äquivalente. Das heute in China für den Religionsbegriff allgemein verwendete Wort zongjiao bezeichnete in jenen Tagen nur die einzelnen Schulrichtungen des Buddhismus. Der Begriff zhexue, der inzwischen für die Philosophie Verwendung findet, wurde in China erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt, um das abendländische Denken zu bezeichnen.

Die Jesuiten entschieden im Rahmen des ihnen vertrauten Bezugssystems, dass der Buddhismus mit seiner Erlösungslehre eine Religion sei, der Konfuzianismus hingegen keine. Damit siedelten ihn die Patres in seiner Praxis, im Brauchtum und in seinem Denken implizit in der Philosophie an, womit sie den Konfuzianismus mit ihrem katholischen Glauben für vereinbar halten durften. Wenn die Begegnung des Christentums mit den Philosophien von Platon und Aristoteles eine für Europa angemessene Theologie hervorbrachte, sollte dann nicht für China dasselbe durch ein Zusammentreffen mit der Philosophie des Konfuzius und seiner Nachfolger geschehen können?

Eine Religion?

Nicht alle ihm begegnenden Europäer sahen den Konfuzianismus außerhalb der Sphäre des Religiösen angesiedelt. Seine Praktiken unterschieden sich äußerlich in vielem nicht von denen der Buddhisten, die vor den Statuen ihrer Buddhas und Bodhisattvas Licht, Weihrauch und Nahrung opferten, während sie aus heiligen Schriften rezitierten. Auch vor Skulpturen des Konfuzius und seiner Schüler brannte Räucherwerk und wurden Gaben dargebracht. Dazu kam neben einer Vielzahl mit Göttern und Geistern verbundener alter Riten, zu denen Konfuzianer die Menschen anhielten, die überragende Bedeutung einer kultischen Ahnenverehrung.

Ricci sowie viele seiner Brüder und Nachfolger stuften all dies als unreligiöses Brauchtum ein, als weltliche und soziale Zeremonien zur Verehrung bedeutender philosophischer Lehrer und als eine feierliche Ausdrucksform der Dankbarkeit gegenüber den Vorfahren. Nach ihrem Verständnis konnte man als chinesischer Christ ebenso problemlos auch ein Konfuzianer sein wie als europäischer Christ ein Aristoteliker.

Dies bezweifelten nicht nur einige Jesuiten, sondern vor allem die ebenfalls in China missionierenden Mönche der Franziskaner und Dominikaner. Diese wollten das Christentum in seiner in Europa gewachsenen Gestalt verbreitet sehen und es vom Beiwerk konfuzianischer Riten und Überlieferungen freihalten. Dies war ein Auslöser des so genannten Ritenstreits.

Der Dominikaner Juan Bautista Morales setzte 1645 bei Papst Innozenz X. ein Verbot konfuzianischer Praktiken für Katholiken durch. Der Jesuit Martino Martini erreichte 1656 dessen Rücknahme unter Papst Alexander VII. Der französische Theologe Charles Maigrot, der konfuzianische Riten als abergläubische Praktiken wertete, veranlasste Papst Clemens XI. schließlich, das Verbot 1704 wieder in Kraft zu setzen. Mit seiner Bulle Ex illa die stellte Clemens 1715 dann ausdrücklich fest, chinesischen Konvertiten wäre die Verehrung des Konfuzius, die Teilnahme an Riten in konfuzianischen Tempeln und die kultische Ahnenverehrung untersagt.8

Der chinesische Kaiser Yongzheng unterdrückte in der Folge das Christentum, und die Diskussion unter europäischen Theologen hörte nicht auf. Deshalb beendete Papst Benedikt XIV. mit der Bulle Ex quo singulari 1742 den Streit, indem er das Verbot bekräftigte und von Missionaren einen Eid forderte, das Thema künftig nicht mehr aufzubringen. 1939 wurde dann unter Papst Pius XII. mit der Verfügung der Glaubenskongregation Plane compertum die Verehrung des Konfuzius und der Ahnen wieder gestattet.

Dieses Hin und Her zeigt, wie schwer sich Europäer seit Anfang der Begegnung mit einer Einschätzung des Konfuzianismus taten. Hatte man eine andere – und damit nach christlicher Einschätzung falsche – Religion vor sich, eine philosophische Richtung, eine literarische Tradition oder eine weltanschaulich nicht festgelegte Verbindung überlieferter Landessitten?

Bis zur Gegenwart gibt es auch unter Wissenschaftlern darauf keine allgemein akzeptierte Antwort. So schränkt beispielsweise der Sinologe und Theologe John Berthrong zwar ein, dass sich der Konfuzianismus »über das Wesen und die Eigenschaften Gottes wenig Gedanken machte. Oft wurde er deswegen nicht einmal als Religion angesehen. Aber er ist eine Religion«.9 Ebenso überzeugt – jedoch vom Gegenteil – gibt sich der Kulturwissenschaftler Geert Hofstede: »Konfuzianismus ist keine Religion sondern eine Reihe pragmatischer Regeln für das tägliche Leben, abgeleitet von dem, was Konfuzius als die Lektionen der chinesischen Geschichte sah.«10

Die gegenteiligen Schlüsse, zu denen man in dieser Frage kommt, gehen nicht allein darauf zurück, dass die Wissenschaft keine allseitig anerkannte Definition des Begriffs der Religion kennt. Das Phänomen des Konfuzianismus entzieht sich, sogar wenn man von einem ganz bestimmten Religionsbegriff ausginge, der eindeutigen Zuordnung. Vielleicht lässt der Sinologe und Religionswissenschaftler Roman Malek aus diesem Grund Vorsicht walten: »Konfuzianismus beinhaltet religiöse Elemente, kann aber – streng genommen – nicht als Religion gelten; es ist vielmehr eine ›Weltanschauung‹ bzw. eine ethisch-soziale Lehre.« Nur wenige Seiten später stellt Malek dann fest: »Man kann also von einer konfuzianischen Religiosität durchaus sprechen.«11 Was hier wie ein Eiertanz erscheint zwischen »streng genommen« keiner Religion, die aber doch »durchaus« religiös ist, weist auf das Fehlen angemessener Kategorien zum Einordnen des Konfuzianismus hin.

Eine Philosophie?

Würde die Philosophie als Schublade besser passen? Als der Konfuzianismus in Europa bekannt wurde, waren sich führende Philosophen uneins, ob Konfuzius und seine Tradition etwas zu ihrer Disziplin beizutragen hätten. Neigten Leibniz, Christian Wolff und Voltaire zu einer positiven Antwort, wollte Immanuel Kant die Aussprüche des Konfuzius als »unerträglich« werten »weil sie einjeder herplappern kann«.12 Auch Hegel und sein Antipode Schopenhauer waren sich einig, dass eine Beschäftigung mit Konfuzius wenig böte. Es wäre besser für die Reputation des Mannes gewesen, meinte Hegel nach der Lektüre seiner Aussprüche, »wenn sie nicht übersetzt worden wären«.13 Zu banal erschien ihm das hier Überlieferte. Schopenhauer, der die buddhistische Überlieferung Chinas schätzte, hielt die Worte des Konfuzius für »etwas ganz spezifisch Fades und Langweiliges«.14

Der Stil der konfuzianischen Quellen unterschied sich tatsächlich stark von dem, was in Europa als philosophischer Text galt. Schon deshalb war die Frage, ob in diesen philosophiert werde, nicht unstrittig zu entscheiden. Bis heute lässt sich darüber diskutieren, und auch asiatische Wissenschaftler melden gelegentlich Zweifel an, ob »Philosophie« ein angemessener Sammelbegriff für nicht in Europa gewachsene Traditionen wäre. Min OuYang schlug vor, statt von einer »chinesischen Philosophie« von der Sinosophie zu sprechen.15

Begriffe wie Religion, Philosophie und Brauchtum taugen ebenso wenig wie viel zum Charakterisieren dessen, was man Konfuzianismus nennt. Sie führen nicht allzu weit, weil es unter anderen Bedingungen entstandene Kategorien sind, denen in China nichts entsprach. Ihr Gebrauch trägt im Grunde fremde Unterscheidungen und Erlebnisweisen in den Konfuzianismus. Andererseits ist es ein unumgänglicher und tatsächlich hilfreicher Reflex, Unbekanntes in die Raster des bereits Vertrauten einzuordnen, um überhaupt am Anfang damit umgehen zu können.

Wichtig ist ein Bewusstsein dafür, dass Etikettierungen mit vertrauten Einteilungen, so sehr sie der Orientierung und Annäherung dienen, Sachverhalte nicht in ihren ursprünglichen Zusammenhängen und Bedeutungen erfassen. Dies gilt weit über Aussagen wie jene hinaus, ob der Konfuzianismus eine oder keine Religion oder Philosophie darstellt. Beim Gebrauch zahlreicher Begriffe wie Seele, Gott und Geist, schwingen dem kulturellen Hintergrund eines Lesers entsprechende Assoziationen mit, die vielfach nicht treffen.

So wird in der Folge von der »Seele« gesprochen, um ein hun oder shen Genanntes wiederzugeben, das nach dem leiblichen Tod des Menschen fortbestehen soll. Mancher christlich Sozialisierte könnte mit dem Seelenbegriff automatisch die Eigenschaft »ewig« verbinden, was am Gemeinten vorbeigeht. Nach altem chinesischen Verständnis kann ein den Tod zunächst Überdauerndes durchaus vergänglich sein. Um die Lesbarkeit nicht durch viele unvertraute Termini zu erschweren, werden in diesem Buch chinesische Begriffe dennoch weitgehend übersetzt. Es gilt, der Gefahren allzu schneller Gleichsetzungen gewahr zu bleiben.

Auch mit dem Wort Konfuzianismus entspricht dieses Buch dem westlichen Sprachgebrauch. Über das in China Rujia und Rujiao Genannte hinaus schließt der Sammelbegriff hier ein, was sich während zweieinhalb Jahrtausenden in China, Japan und anderen Regionen auf Konfuzius bezog. Die damit aus heutiger Perspektive zusammengefassten Persönlichkeiten, Bewegungen und Institutionen besaßen ihrerseits keine gemeinsame Identität als Konfuzianer und hätten sich bei gegenseitiger Kenntnisnahme oft kaum demselben Lager zugehörig empfunden. Konfuzianismus steht darum nicht wie Katholizismus für ein System mit innerer Identität, verbindlichen Lehren und gemeinsamen Einrichtungen. Es gibt kein räumliches, personales oder geistiges Zentrum der kultur- und geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die sich auf Konfuzius beziehen.

Vielfalt und Entwicklung

Der Pluralität dessen, was man Konfuzianismus nennt, nähert sich das vorliegende Buch in neun Kapiteln, in denen, so oft dies möglich und angemessen ist, auch Quellen zitiert werden sollen, um die Tradition selbst sprechen zu lassen.

Das erste Kapitel Früh verkannt und spät vergöttlicht beschäftigt sich mit der überlieferten Gestalt und dem Wirken des Konfuzius. Nachdem dieser zu Lebzeiten wenig erfolgreich war und seine Lehre in China nach seinem Tod zunächst verboten wurde, galt er schließlich Generationen in Ostasien als das Muster eines vollkommenen Menschen. 1906 versuchte sich das chinesische Kaiserreich vor dem drohenden Untergang zu retten, indem es Konfuzius dieselben göttlichen Ehren wie dem Himmel und der Erde zusprach.16

Dieses Auszeichnen des Konfuzius, um das Reich zu erhalten, beschwor dessen überliefertes Selbstverständnis als Bewahrer und Vermittler der Werte einer großen Vergangenheit. Das zweite Kapitel Tradition als Maß widmet sich diesen Werten, die in den als Klassikern bezeichneten Büchern ihren Niederschlag fanden. Konfuzius selbst soll den Kanon dieser Werke, deren Geschichte lange vor ihm beginnt und deren Entwicklung nach seinem Tod weiterging, aus altem Material kompiliert und interpretiert haben.

Das dritte Kapitel Vom Neuen im Alten behandelt Umwertungen des Tradierten, die sich trotz des starken Bekenntnisses der Treue zur Vergangenheit bei Konfuzius finden. Es geht hier um die in der älteren Überlieferung erkennbaren eigentlichen Lehren des Konfuzius, der den von ihm hoch geachteten von früheren Generationen ererbten Wertekanon in Einklang mit einem autonom reflektierenden und entscheidenden Menschen bringen wollte. Karl Jaspers urteilte über das von Konfuzius hier Geleistete als »in China das erste sichtbare großartige Aufleuchten der Vernunft in ihrer ganzen Weite und Möglichkeit«.17

Bedeutende Nachfolger entwickelten das von Konfuzius Angestoßene weiter. Das vierte Kapitel Himmel und Mensch stellt wichtige Interpreten des Konfuzianismus wie Menzius, Xunzi und Dong Zhongshu vor. Deren einander zum Teil widersprechende Auslegungen zeigen, wie sich die Lehre des Konfuzius in einem breiten Spektrum entfalten ließ.

Das fünfte Kapitel Vergiftet Konfuzius die Welt? wendet sich entschiedenen Widersachern des Konfuzianismus zu, deren es seit früher Zeit nicht wenige gab. Mozi, selbst ein scharfer Gegner, zitierte im 4. Jahrhundert v. Chr. die Kritik eines vorgeblichen Zeitgenossen des Konfuzius: »Mit seinem ausgesuchten Gebaren und seinem Hang zu Verfeinerungen vergiftet Konfuzius die Welt.«18

Ein wesentliches Element des Konfuzianismus bildet die kultische Verehrung von Vorfahren, die im sechsten Kapitel Die Gegenwart der Ahnen zum Thema wird. Zur Familie eines Menschen gehören neben lebenden Verwandten auch Verstorbene, deren regelmäßig rituell gedacht wird. Dieser konfuzianisch geprägte Ahnenkult liefert einen Schlüssel zum Verständnis des Menschen- und Gesellschaftsbildes in China, Korea, Japan und Vietnam.

Mit der Han-Dynastie, deren Vertreter ab 206 v. Chr. regierten, gewann der Konfuzianismus zunehmend an Bedeutung in China, um schließlich zur tragenden Säule des Staates in der Politik und Kultur zu werden. Dieser Entwicklung geht das siebte Kapitel Siegeszug mit Pausen nach, wobei unter anderem gefragt wird, wie der Konfuzianismus in die Politik wirkte und dem Buddhismus begegnete. Auch auf die neuere Zeit wird eingegangen. Kritisierten chinesische Intellektuelle den Konfuzianismus bis in die 1970er Jahre als rückständig, erlebt er seit einigen Jahrzehnten eine Renaissance seiner Werte und Institutionen.

Das achte Kapitel Über die Grenzen betrachtet, wie der Konfuzianismus von China in weitere Regionen Ostasiens ausstrahlte, um dort eigene Ausprägungen zu erfahren. Dies wird im Schwerpunkt am Beispiel Japans gezeigt, wo konfuzianische Ideen die Organisation des Staates, das Selbstverständnis der Samurai und die Gestalt des Buddhismus stark beeinflussten.

Im neunten Kapitel Das Echo wird nach historischen und denkbaren weiteren Wirkungen des Konfuzianismus fern seiner angestammten Regionen gefragt. Seit sich erstmals Jesuiten im 16. Jahrhundert intensiv mit dem Konfuzianismus auseinandersetzten, stieß er im Westen auf schroffe Ablehnung, Gleichgültigkeit und begeisterte Zustimmung. Besitzt er das Potenzial, im Westen mehr zu sein als nur hilfreich beim Verständnis der Geschichte und Gegenwart Ostasiens?

Anmerkungen

Häufiger zitierte klassische Werke sind nicht unter den Anmerkungen belegt, sondern jeweils in Klammern unmittelbar hinter ihrer Zitierung im Text. Siehe dazu unter Abkürzungen klassischer Werke.

1Francis Fukuyama: Konfuzius und Marktwirtschaft. Der Konflikt der Kulturen. München 1995, S. 109.

2Jürgen Rothlauf: Interkulturelles Management. Mit Beispielen aus Vietnam, China, Japan, Russland und den Golfstaaten. München 42012, S. 400.

3Karl-Heinz Pohl: »Zur Universalität und Relativität von Ethik und Menschenrechten im Dialog mit China.« In: Bernd von Hoffmann (Hg.): Universalität der Menschenrechte. Kulturelle Pluralität. Frankfurt a. M. 2009, S. 117–133, hier S. 125.

4Vgl. Jonathan D. Spence: The Memory Palace of Matteo Ricci. London 1985, S. 210.

5Johannes Bettray: Die Akkomodationsmethode des P. Matteo Ricci S. J. in China. Analecta Gregoriana Vol. 76. Rom 1955, S. 256–267.

6Zur Herkunft von Ru vgl. Yong Chen: Confucianism as Religion: Controversies and Consequences. Leiden 2013, S. 26–29.

7Die Abkürzung L steht für das Buch Lunyu.

8Vgl. Anton Hounder: Der chinesische Ritenstreit. Aachen 1921.

9John Berthrong: »Weise und Unsterbliche: Die chinesischen Religionen.« In: Christopher Partridge (Hg.): Das große Handbuch der Weltreligionen. Wuppertal 2006, S. 394–420, hier S. 394.

10Geert Hofstede, Michael Harris Bond: »The Confucius Connection. From Cultural Roots To Economic Growth.« In: Organizational Dynamics 16.1988 (4), S. 5–21, hier S. 7–8.

11Roman Malek: »Konfuzianismus.« In: Johann Figl: Handbuch Religionswissenschaft. Innsbruck und Göttingen 2003, S. 298–306, hier S. 298 und S. 304.

12Vgl. Helmuth von Glasenapp: Kant und die Religionen des Ostens. Kitzingen a. M. 1954, S. 104.

13Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke in zwanzig Bänden, Bd. XVIII. Frankfurt a. M. 1971, S. 142–143.

14Arthur Schopenhauer: Ueber den Willen in der Natur. Frankfurt a. M. 21854, S. 118. Schopenhauer relativiert seine Einschätzung mit der Formulierung »nach den Uebersetzungen zu urtheilen«.

15Min OuYang: »There is No Need for Zhongguo Zhexue to be Philosophy.« In: Asian Philosophy. Vol. 22, No. 3, August 2012, S. 199–223.

16Hierzu und zum Konfuzianismus in China in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. Zheng Yuan: »The Status of Confucianism in Modern Chinese Education, 1901–49: A Curricular Study.« In: Glen Peterson, Ruth Hayhoe, Yongling Lu: Education, Culture, and Identity in Twentieth-century China. Ann Arbor, MI. 2001, S. 193–216.

17Karl Jaspers: Die großen Philosophen. Band 1. München 1959, S. 179.

18Mo Ti: Von der Liebe des Himmels zu den Menschen. Aus dem Chinesischen übersetzt und herausgegeben von Helwig Schmidt-Glintzer. München 1972, S. 223.

1. Früh verkannt und spät vergöttlicht

GESTALT UND WIRKEN DES KONFUZIUS

Unsichere Quellen

Die Geschichte des Konfuzianismus beginnt im 6. Jahrhundert v. Chr. mit einem Mann, der zu Lebzeiten kaum ahnte, dass seine Ideen später große Teile der Menschheit prägen würden. »Konfuzius lebte in einer wirren Epoche. Keiner konnte ihn anerkennen.« So heißt es im Garten der Geschichten (shuoyuan), einem Buch des kaiserlichen Bibliothekars Liu Xiang aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Der Autor nennt jene Zeit wirr, weil mit dem Verfall der Stärke des Hauses Zhou, das vom 11. bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. Chinas Herrscher stellte, die einst geregelten Verhältnisse niedergingen. Teilstaaten des Reichs stritten um Vorrang und mächtige Clans nutzten die ungeordnete Situation für den eigenen Vorteil.

Dieser Entwicklung wollte Konfuzius entgegensteuern, wobei ihn, wie Liu Xiang schreibt, keiner billigen konnte. Tatsächlich spielt der Fehlschlag im Werdegang des Konfuzius eine Hauptrolle. Dies könnte für einen wahren Kern in den überlieferten Berichten sprechen, denn hätte man seine Biografie erfunden, träte Konfuzius dann nicht erfolgreich statt missverstanden auf? Doch sogar einem erdichteten Konfuzius stünde die Rolle des Unterschätzten gut, um die konfuzianische Grundhaltung zu verkörpern, sogar im Scheitern und als Verkannter seinem Weg in Würde treu zu bleiben: »Mich macht nicht traurig, kennen mich die Menschen nicht. Mich macht traurig, wenn ich die Menschen nicht kenne.« (L I,16)

In den Überlieferungen, die von Konfuzius berichten, lassen sich Legenden, die Lehren illustrieren sollen, nicht von möglichen historischen Ereignissen trennen. Jahrtausende feilten an der Gestalt, damit sie ausdrückte, was als Ideal galt – oder als Irrweg, denn Gegner trugen erheblich zum Bild des Konfuzius bei. Zum Ausformen bot sich weiter Spielraum, denn authentische Erinnerungen wurden während eines Verbots konfuzianischer Schriften unter der Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.) vernichtet. Bis man erhaltene Bruchstücke im Buch Lunyu sammelte, vergingen seit Konfuzius mehr als zweieinhalb Jahrhunderte.

Lunyu hält man weithin für die Quelle über Konfuzius. Der Text umfasst in etwa zwölftausend Schriftzeichen kurze Sprüche und kleine Episoden von jeweils wenigen Sätzen. Abweichungen zwischen verschiedenen Abschnitten deuten auf mehrere Autoren in unterschiedlichen Epochen hin. Der fragmentarische Charakter der inhaltlich nicht verketteten Teile animierte im Lauf der Epochen zu vielen erklärenden Ausschmückungen. Die Lesart vieler unklarer Stellen des Büchleins blieb umstritten, bis He Yan (ca. 195–249 n. Chr.) eine Auslegung vorschlug, die über Jahrhunderte als verbindlich galt.

Weitere alte Texte berichten von Konfuzius. So zitiert Menzius (370–290 v. Chr.) Aussagen, die sich nicht in Lunyu finden. Manches erfuhr Menzius von Zisi (ca. 481–402 v. Chr.), einem Enkel des Konfuzius, was dieser von Zeitgenossen über seinen Großvater und dessen Ideen wusste. Doch warf der bedeutende Interpret Xunzi (um 312–230 v. Chr.) dem Enkel Verfälschungen der Lehren des Konfuzius vor.