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Wiglaf Droste

Will denn in China

gar kein Sack

Reis mehr

umfallen?

FUEGO

Über dieses Buch

Wiglaf Droste war hellwach unterwegs, erlebte Eigenartiges und Unzumutbares, suchte und fand traumsicher auch das Schöne, wählte aus und schrieb es auf, wie nur Wiglaf Droste das aufschreiben kann.

Vorwort

Für die Liebste,

die Musik mich lehrt

Salat ist sinnlos, knackt aber

WENN ES STIMMT, dass Sprache eine Waffe ist, dann wäre Sprachkritik eine Kritik der Waffen mit ihren eigenen Mitteln. Die sprachlichen Waffenarsenale einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen, lohnt immer – selbst dann, wenn es modern ist, das zu tun. Die Beschwerde darüber, dass Angehörige des Proletariats sich mitunter einer eingeschränkten, groben Sprache bedienen, ist allerdings nicht eben sensationell.

Interessanter ist doch die Sprache derjenigen, die sie als berufliches Handwerkszeug benötigen und entsprechend pflegen und in Schuss halten sollten. Schließlich sprechen sie öffentlich, im Fernsehn, im Radio, oder sie schreiben öffentlich, in der Zeitung.

Wie der Medienmensch spricht, so denkt er auch, und das gibt zu denken. »Stark eingebrochen ist die Kauflust«, sagte eine Nachrichtensprecherin in den ARD-Tagesthemen. Ich stutzte und staunte: Was die Kauflust alles kann – sogar einbrechen. Wie muss man sich das vorstellen? Brach die Kauflust beim Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen See ein? Oder, ganz anders, nächtens in eine Villa, wo sie dann das Silber klaute?

So lange es Journalismus und Journalisten gibt, mediale Breittretungsorgane, so lange wird es Sprachkritik geben. Koalitionen werden »fit gemacht«, es wimmelt von »Top-Themen«, eine Reform hat »Eckpunkte«, in denen Kreis und Quadrat zu einer Einheit verschmolzen werden, die geometrisch interessant aussehen könnte. Manche sagen sogar: »Ich kenne jede Ecke des Erdballs« – und fühlen doch nichts.

»Zeitnah« werden Entscheidungen getroffen, ganze »Zeitfenster« werden aufgerissen. Würfe man einen Pflasterstein in ein Zeitfenster hinein, und es klirrte nicht – wäre das Zeitfenster dann geöffnet? Oder ist es schlichtweg nicht existent? Sondern eine Erfindung aus dem Hause Wichtig? Zeitnahe Zeitfenster haben und ergeben keinen Sinn, aber das müssen sie auch nicht, denn sie sollen, im Gegenteil, »Sinn machen«.

Sinn machen klingt wie Pípí machen – und genau so infantilisiert ist die Welt, die sich hinter dieser Blähsprache verbirgt. »Das macht Sinn« – wer so spricht, will sich aufpumpen und bedeutend machen, der will »einen Distinktionsgewinn erzielen«, wie das in Feuilletonsprech heißt.

In dieser Welt wird simple Reklame zu einer Johannes-B-Kernerschen »wichtigen Produktinformation«, kurze Entfernungen sind »fußläufig«, wahrscheinlich wie die sprichwörtliche fuß­läufige Hündin. Äußerungen sind »grenz­wertig« und Sachverhalte »gewöhnungsbedürftig«, ob­wohl doch das handelnde Subjekt der Gewöh­nung bedarf, nicht das passive Objekt.

Wer solchen Radebrech kultiviert, »verschriftet« auch seine Beiträge in »Meetings«, vergrößert seine »Relevanz«, schreibt ein »Impulspapier« und will sich »optimieren«, wenigstens »ein Stück weit«, jedenfalls so lange, bis er dann »Sinn macht«.

Wie beispielsweise Tom Buhrow. In den Tages­themen dampfquakelt das ARD-Ankermänn­chen routiniert umnachtet drauflos: »Hier ist der Knackpunkt.« Ah ja, der Knackpunkt – allein, was wäre ein Knackpunkt? So etwas wie ein Eckpunkt, nur dass er eben auch noch knackt? Ist der Knackpunkt dem »Knackfaktor« verwandt, den die Lebensmittelbranchenwerbung für grüne Äpfel ersann? Oder dem Salat, der komplett gehaltlos sein darf, wenn er nur immer »knackig« ist?

Knackiger Salat ist sinnlos – nährstoff- und geschmacksfrei, aber knackig. Denn knacken muss es, unbedingt; das Wichtigste am Essen ist offenbar nicht der Geschmack, sondern das Geräusch, der »Sound«, der vom »Sounddesigner« kommt – ein möglichst lautes Krachen und Knacken im Mund. Dazu trinkt man importiertes Mineralwasser – im Angeberplural »Mineralwässer« – oder ein »fassfrisches« Bier, selbstverständlich »Premium« beziehungsweise wie im besonders schweren Fall Warsteiner, sogar »Pre­mium Verum«, denn Premium heißen ist die vornehmste Pflicht aller Gülle, und »fassfrisch« muss sie auch sein, aber hallo. Wer soll sich davon angesprochen fühlen wenn nicht ein Köter: »Hasso fassfrisch!« Hasso trank ein Premium / Bumms, da fiel der Hasso um.

Wenn man den fußläufigen, zeitnahen, eck- und knackpunktenden, fassfrischen Sinnmachern so genau zuhört, wie die sich das niemals wünschen dürften, möchte man hinterher ein altes Lied anstimmen: Die Gedanken sind Brei, wer kann sie erahnen…

Alles wird Grillgut

Eine Hitzewelle im sommerlichen Park – mit Rundtanz, Lichtkreis und Milva

STILL LAG DAS LAND UNTER einer schweren Hitze im Sommer 2006. Die Menschen gaben Ruhe; zumindest brüllten sie nicht mehr. Sie hatten ihre Körper, ihre Behausungen und ihre Automobile entflaggt, entwimpelt und entfahnt, man konnte die Augen wieder öffnen, ohne auf der Stelle schwarz-rot-gold-blind zu werden.

Der kollektive Wahn hatte Pause. So konnte man sich wieder dem Einzelirrsinn zuwenden, der im Gegensatz zur Massenhysterie die eingehende Betrachtung lohnt, weil er vergleichsweise leise irritiert und damit der Daseinsroutine subkutan in die Quere kommt. Nicht selten ist individuelle Verrücktheit sogar charmant.

Alles fuhr an die Gewässer oder legte sich unter Bäume. Im Park hatte ein junger Mann ein Tasteninstrument aufgebaut und spielte Bach. Er war nur mit einer kurzen Turnhose bekleidet. Einen Hut hatte er nicht neben sich gelegt, er wollte kein Geld, keine Almosen, er spielte Bach, um Bach zu spielen und dabei nicht allein zu sein. Zehn Meter weiter lag ein Pärchen eng umschlungen auf einer Decke auf dem Rasen. Solange die Frau und der Mann sich küssten, hielten sie die Schrecken der Welt in Schach. Hört nicht auf damit, dachte ich. Hört niemals auf, euch zu küssen.

Ich radelte auf meinem Gazelle-Fahrrad noch ein wenig um des Radelns und um des Fahrtwindes willen weiter, ließ mich dann im Schatten nieder, breitete Buch, Schreibzeug, Proviant und Rauchware auf meiner Decke aus und streck­te mich behaglich hin. Mit dem Strohhut fächelte ich mir Luft zu und hielt Umschau. Viele Menschen kamen des Weges, einzeln, zu zweit oder in Gruppen. Nicht wenige führten ambulante Grillgeräte mit sich, dazu Papiertüten mit Holzkohle und Rucksäcke oder Kühltaschen voller Getränke und Grillgut. Kann man Grillgut eigentlich essen? Oder ist das so etwas wie Stein- oder Salzkammergut? Wird es am Ende nur verbrutzelt, um die Luft mit Rauch zu schwängern und so ein archaisches Gefühl der geselligen Sicherheit am Feuer zu erzeugen? Wird alles Grillgut? Irgendwann kommen alle in den großen Marinadetopf, werden gegrillt und weggefressen, und dann ist Ruhe im Karton.

In der Wärme nickte ich ein und döste weg. Als ich erwachte, wurde es Abend, die Dämmerung war angebrochen. Ich sah mich um. Nur wenige Meter von mir hatte sich eine Gruppe ins Gras gelagert, die vorher noch nicht da gewesen war. Ich zählte drei Frauen und drei Männer, alle waren etwa Mitte fünfzig. Sie hatten Teelichter in Gläser gestellt, angezündet und in zwei Kreisen um sich herum im Gras aufgebaut. In der Mitte des doppelten Lichtkreises befand sich ein dritter kleiner Kreis aus Kerzen; um diesen Kreis saßen sie und unterhielten sich halblaut – laut genug, dass ich jedes Wort verstehen konnte.

»Der Rundtanz ist eine der ältesten Kulturformen überhaupt«, sagte eine der Frauen und erhob sich. Sie trug ein langes, wallendes Kleid. »Wir wollen jetzt zusammen um den kleinen Lichtkreis tanzen. Es ist schön, gemeinsam Schritte zu lernen.« War das wahr? Das wollte ich sehen. Ruhig blieb ich liegen. Alle waren aufgestanden, hatten sich um die Lichter herum hingestellt und hielten sich bei den Händen. Der Haltung ihrer Körper nach zu urteilen, schienen sie eher verlegen als begeistert zu sein. Die Sprecherin aber hatte genug Enthusiasmus für alle: »Wie schön, dass ihr mit mir tanzen wollt.« Sie bückte sich und fummelte an einem CD-Spieler herum.

Musik erklang, eine Stimme sang auf Griechisch. Ich kannte das Lied. Es war von Mikis Theodorakis, auf Deutsch hatte es Milva gesungen, und in manchen Frauenkreisen hatte es Furore gemacht: »Iich mag diich, weil du klug und zä-hä-härtliich biist, und doch, das iist es nicht alla-heiin / Du zeiigst miir iimmer, dass es mö-hö-höglich iist, ganz Frau und trotzdem freii zu seiin …« Was Theodorakis im Original sang, verstand ich nicht, aber ich sah das Sextett um die Kerzen herumtaumeln, ungelenk und tapsig, fern jeder Rhythmik, eher in schüchtern versuchter Selbstvermeidung denn in Ekstase. Nur eine im Kreis schien zu allem entschlossen und riss die gutmütige Strummselgruppe mit sich. Die Frau hatte offenbar ganz prachtvoll einen an der Waffel.

Die Gruppe sank ins Gras zurück. Erneut riss die Anführerin das Gespräch an sich: »In der ersten Hälfte des Lebens lernt man, in der zweiten genießt man.« Das klang nicht allzu originell, eher nach Kalenderblatt und Konsensmilch. Und stimmte es überhaupt? Oder ölt man in der zweiten Hälfte des Lebens genauso unfähig herum wie in der ersten, ohne allerdings den Charme der Jugend auf seiner Seite zu haben? Ist nicht sowieso alles ein erbärmliches Gewürge, Geknatter und Gehummse?

Die Sprecherin erhob sich und nötigte ihre Begleiter, es ihr gleichzutun. »Ich habe noch einen schönen Rundtanz für uns«, drohte sie. »Das Lied heißt ›Die Ulme‹ und stammt aus Litauen.« Sie wandte sich dem CD-Spieler zu. Schleunigst rakte ich meine Sachen zusammen, warf sie in den Fahrradkorb und zischte auf meiner treuen Gazelle davon. Zwischen meinen Ohren aber fieselte Milva: »… ganz Frau und trotzdem freii zu seiin …« Wieso eigentlich »trotzdem«?

Die neue Redefreiheit: Konjunktur brummt, Frau tickt

FLÄCHENDECKEND VOLLPLAKATIERT ist das Land mit Reklame für billiges Telefonieren. »BASE – Freedom of Speech« verspricht uns »Die neue Redefreiheit«. Mir hätte die alte genügt: die Freiheit, öffentlich Gedanken äußern zu können, die den Namen Gedanken verdienen. Die Werbeparolen für »die neue Redefreiheit« heißen »Sprich dich aus!«, »Endlich lang drumrum reden« oder »Endlich alles ausplaudern«. Und das tun jede Menge substanzfern orientierte Menschen dann ja auch, bevorzugt an öffentlichen Plätzen, in Cafés oder im Zugabteil. So muss niemand mehr im Unklaren darüber bleiben, welche Männer in Deutschland ihre Frau als »Mausi« und welche Frauen ihren Mann adäquat als »Hasi« zum langsamen, qualvollen Tod durch Verniedlichung verurteilen.

Die neue Redefreiheit ist eine Lizenz zum Labern. Delirierende Sprechdilettanten müssen sie käuflich erwerben, während die Profis, unsere Journalisten, sie gratis oder mit dem nach ihnen benannten Rabatt bekommen. »Die Konjunktur brummt«, spricht der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks aus dem Fernsehkasten heraus – und glotzt gleich misstrauisch nach, ob das auch alle schön glauben. Wie es sich für einen echten Nullsatzfachmann gehört, bleibt Siegmund Gottlieb jeden Beweis für seine Behauptung schuldig. In seiner Profession muss er aber auch nicht empirisch oder argumentativ arbeiten; Positivgerede und Schönfärberei haben, mitsamt ihren Zwillingsschwestern Katastrophengeschrei und Hysterie, den klassischen Journalismus längst ersetzt. Es geht um nichts als um Stimmung. Ob die Konjunktur, so sie das denn könnte, am Ende brummte wie ein satter Grizzly oder eher wie ein altersschwacher Kühlschrank, spielt keine Rolle. Non cogito ergo brumm.

Diesem Leitmotiv schließt sich die Illustrierte Vanity Fair an und erklärt uns Wesen und Regelwerk der Ökonomie: »Präsident Horst Köhler trainiert zweimal die Woche im Fitnessstudio und joggt regelmäßig. Deutschland wird fit. Die Konjunktur kann folgen.« Das nennt man wirtschaftliche Analyse: Es ist die reine Esoterik. Der Satz »Deutschland wird fit« muss ins Deutsche zwar erst noch übersetzt werden, ist aber trotzdem schön. Wie soll das aussehen?

Turnt das Land demnächst am Barren?

Hängt es schwer am Reck?

Stemmt es Hanteln? Läuft es schwitzend

Fort und bleibt für immer weg?

Das wäre nicht schlecht.

Weniger ums Brummen als ums Ticken geht es dem Spiegel. »Wie tickt die Frau?« fragt das Blatt; abermals ist Vanity Fair ganz vorn und weiß die Antwort, zumindest so vanity-ungefähr: »Frauen ticken anders als Männer.« Woraus sich schließen ließe: Alle Frauen sind Uhren.

Könnte es aber sein, dass mit den Objekten solcher Forschung Damen gemeint sind, die mit einem Anagramm von Uhren beschrieben werden? Und sich das Ganze überhaupt um etwas dreht, das sich auf ticken reimt?

Die neue Redefreiheit garantiert eine lückenlose und unverzügliche Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit allen wichtigen, brandneuen Erkenntnissen und Nachrichten aus dem Hause Dr. Küch. Psych.: Konjunktur brummt, Frau tickt. Und irgendwo piept’s.

Die Elster, Skinhead der Lüfte

HEISERE, KAPUTTSTIMMIGE SCHREIE zerreißen die morgendliche Stille. Unfreiwillig erwacht der Schläfer, von hässlich ratschendem Kä-Kä-Käk roh geweckt. Draußen, im Hinterhofbaum, zetert die Elster, und auch vorn, von der Straße her, kreischt die schwarz-weiße Pest. Es ist Elster­alarm.

Wie das Auge der Lump unter den Sinnesorganen ist, oberflächlich, bestechlich und flüchtig, so ist die Elster die SA der Vogelwelt. Allein auf Dummheit und Brutalität setzt die Elster, mehr hat sie nicht zu bieten. Die Elster ist der Skinhead unter den Vögeln. Ihr einziges Ziel ist Monokultur, das Umbringen und Vertreiben von allem, was nicht Elster ist. Schwarz-weiß ist die Elster – wie ein Springerstiefel, in den ein weißer Schnürsenkel eingezogen wurde, um die miesestmögliche aller Gesinnung zu zeigen, den Wahn von der weißen Herrenrasse. So ein Drecksvogel ist die Elster.

Auf die Blumen am Balkon wirft sich die Elster, zerhackt sie mit scharfem Schnabel. Ihr Hass gilt allem Anderen, allem Schönen. Die zarte Blaumeise greift sie an und all die zaubrisch tirilierenden Sängerinnen und Sänger der Vogelwelt. Elster kann nur krächzen und knarren, also soll niemand singen dürfen. Todesschwadronen schickt die Elster aus, die Nester anderer, anmutiger Vögel zu zerstören, die Gelege zu vernichten und die Jungvögel abzuschlachten. Doch kein UN-Blauhelmeinsatz rettet die Opfer der Elster. Der Rest der Welt sieht gleichgültig zu und schutzbehauptet feige, ihm seien die Hände gebunden. Auch unsere Turmfalken sind matt und heuchlerisch geworden und gebieten der Elster nicht Einhalt. Das Bewohnen von Kirchen hat sie ihres Charakters beraubt.

Die Beweislast gegen die Elster ist erdrü­ckend. Elster hört Böhse Onkelz und singt entsprechend, Elster liest Junge Freiheit und spricht auch so. Elster zetert ständig, das Volk der Elstern stürbe aus. Das ist leider überhaupt nicht wahr. Hinter der Deckung dieser Lüge vermehrt sich die Elster rasend und wandelt blühende Gärten in Steppen und Wüsteneien. Es ist an der Zeit, der Elster in den ausgestreckten rechten Flügel zu fallen. Der Nazivogel braucht einen vor den Latz. Schnell, dringend und unmissverständlich.

Sage keiner, es gönge nicht. Das medizinballgroße Elsternnest vor dem Fenster ist mit einem Besen schnell aus dem Baum gehauen. Auch Freunde der Luftpistole können gute Werke tun. Kanonier Klink, Elster auf neun Uhr! Dschuff!, hat die Elster final eine hängen. Der Schütze hängt das Viech an einer Kralle kopfüber in den Baum; das martialische, archaische Bild zeigt Wirkung, der Todesvogel ist seinen Kollegen ein deutlicher Wink zum Beidrehen und Wegsein.

Meist bringt der Luftpistolenbeschuss die Elster nicht einmal um, aber bei Wiederholung zeigt die medizinische Bleianwendung Folgen: Sich die blauen Flecken reibend, verzieht sich das zänkische Elsternehepaar. Das Leben kehrt zurück, die Singvögel trauen sich wieder nach Hause, sogar Zaunkönige, und nisten und singen, dass es eine Lust ist. Die kleinen gelbroten Schnäblein sperren sie auf, als wären sie von Nikolaus Heidelbach gemalt. Tränen der Freude dürfen wir vergießen über soviel Zartheit der Schöpfung.

Und sie beschützen, gegen marodierende Elster-Kameradschaften. »Dies wetze scharf dein Schwert, verwandle Gram in Zorn; erschlaffe nicht dein Herz, entflamm es!«, heißt es in Shakespeares Macbeth. Ich will den Dichter beim Wort nehmen. Elster ist eklig, Elster ist überall. Der Krieg gegen die Nazi-Elster und ihr Gebrüll ist hiermit erklärt.

Halt irgendwie oder so

Das Wattegebrabbel

WER OHREN AM KOPF HAT und von ihnen auch dezidiert Gebrauch macht, fühlt sich oft wie ein Gast auf terra incognita: Babylon-Gebabbel, Geschrei, Gerammel und Geschnassel, rabimmel, rabammel, rabumm. Das alte Kommunika­tions­modell »Senden – empfangen werden – die Rück­meldung empfangen – zurücksenden und auf diese Weise in klarer Verbindung bleiben« ist längst außer Kraft. Alle senden gleichzeitig, und vor allem senden sie bei voller Lautstärke. Alles jabbelt, brüllet, sabbelt, und niemand hört zu. Empfänger dieses Tohuwabohus sind die Trom­melfelle unschuldiger Zufallshörer, also zum Bei­spiel meine. Ich muss mir das alles anhören.

Aber auch das scheinbar empfindungsarme Pub­likum zeigt Wirkung. Die Reaktion auf das Vollgeballert- und Vollgeknattertwerden ist Reserviertheit; man hält sich zurück und legt sich seinerseits nicht mehr fest. So entsteht das wachsweiche Wattegebrabbel, der Jargon der Unverbindlichkeit. Und der klingt so: »Dann sind wir da halt irgendwie hingefahren und haben da halt was gegessen und dann war halt irgendwann Schluss oder so und dann...« Man wird zum moribunden, ins stille Erdreich flüchtenden Murmeltier von diesem »Halt irgendwie halt oder so«-Sprachbrei – der dem Kopfbrei entspricht, weil die sprachliche Idiotie nun einmal immer analog zur gedanklichen sich vollzieht.

Wer das Füll- und Nullwort »halt« auf seine Mitmenschheit ausgießt, dem soll jedesmal mit einem entschiedenen »Stop!« begegnet und geantwortet werden. Wer »halt« sät, soll »Stop!« ernten, klar und entschieden »Stop!« Das wirkt sofort, Sie dürfen mir glauben, ich habe es ausprobiert: »Stop!« Gleichfalls mit Hohn belegt wird die Nichtssagerfloskel »oder so« – »oder so« ist wie der alternative Herrenzopf am Kopf eines Mannes. Wer Zopf trägt, muss auch Zopf sprechen, anders geht es offenbar nicht, halt irgendwie oder so, vielleicht...

Die da so vage bleiben und sprechen, haben auch »Bauchgefühle«, sagen entsprechend »von daher« oder, noch geistferner, »also von daher« beziehungsweise schweizerisch »also von dem her«. Sagen möchte die Adelsfamilie derer von daher eigentlich »deshalb«, »darum« oder »deswegen«, aber das wäre ja zu konkret und also zu hart, und so heißt es: »also von daher...« Die professionelle Variante im journalistischen Leitartikel klingt dicker, ist aber gleich mager: »Freilich« sagt der Journalist, / der in Wörterfüllnot ist. Mindestens ebenso gern wie »freilich« nimmt er »gewiss«. Achten Sie einmal darauf, wie viele öffentlich-rechtliche Gewissträger es gibt.

Wer dann noch immer nicht genug hat vom öffentlichen Nullundnichtig, der höre einmal zu, wie oft am Tage er die Zwangsformulierung »nach dem Motto« erdulden muss. Denn die ganze labbrige »Ich sag mal irgendwie oder so von daher«-Sprachmarmelade gehorcht dem Motto »nach dem Motto«.

Sie hörten die Ziehung der Mottozahlen.

Schwarzer, Bild und Besserwelt

SARTIG ZUGEPETERT UND vollgeprengelt mit Reklame war die Stadt auch im Sommer 2007. Erneut fiel Bild lästig mit der Behauptung: »Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht.« Dem hinzugegeben war eine Fotografie, die Alice Schwarzer zeigte, die Herausgeberin von Emma, die bundesverdienstkreuzgeschmück­te Kämpferin für das Frauen- und Menschenrecht, in der Bundeswehr das Handwerk des Tötens erlernen zu dürfen. Schwarzer wirbt für Bild, und Bild wirbt für Schwarzer – war das nicht ein Triumph der Emanzipation? Der alte Erz- und Hetzfeind Bild hatte es endlich eingesehen, dass ohne Frauen kein Staat zu machen ist? Vor allem, wenn die Frauen ohnehin nichts anderes, weniger Konfektioniertes wollen als die Männer? Hatte also der Feminismus nicht doch am Ende gesiegt? Oder war der große Emma-Emanzipationsfeldzug seit den siebziger Jahren nichts als eine gigantische Kampagne zur Prominentisierung Alice Schwarzers?

Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten, sich in Bild einwickeln zu lassen. Alice Schwarzer ist da nicht so krüsch – die Dame ist dort angekommen, wo die Gesellschaft am dreckigsten ist: in ihrer Mitte, in Bild und ihrem Chefredakteur Kai Diekmann. Es wuchs nur zusammen, was immer zusammengehörte: Exis­tenzen, die fest entschlossen sind, einen Beitrag zur Banalisierung und Primitivisierung der Welt zu leisten, in der sie, nachdem sie die Welt entsprechend zugerichtet und auf ihr Niveau herabgezogen haben, eine entsprechend großspurig angelegte Rolle spielen können.

Ähnlich aufwändig wie Bild tapezierte die Firma Bionade die Anzeigenplätze des Landes. Die Bionade-Limo schmeckt, die kleine Brauerei in der Rhön ist so sympathisch wie ihr Erfolg erfreulich – aber dann warben die Sprudelmacher mit dem trendschlauen Abgreiferspruch: »Das offizielle Getränk einer besseren Welt«. Ach je, die bessere Welt. Dieses sumpfige Schli­ckenfängerterrain hätten sie besser den Charity-Ladies Grönemeyer, Geldof, Bono etcetera gelassen, die sich alle ihr Stückchen Elend und Afrika eingezäunt und parzelliert haben, weil in einer vernunftfreien Weltordnung Gratismoral ein Fellow-Traveller-Scheck ist, der sich zu Geld machen lässt. »Wir sind die Guten, kauft uns«, lautet die Ranschmeißerbotschaft, der sich bedauerlicherweise auch Bionade anschloss. Und sich damit als offizieller Ausrüster der Traumhochzeit von Alice Schwarzer und Bild empfahl.

Abenteuer Seenlandschaft

WASSER IST MEIN LIEBLINGSELEMENT. Man wirft sich hinein und alles ist eins mit allem. Schwümmn ist gottvoll; es muss allerdings Natur sein. Gechlortes Wasser geht nicht, es rötet das Auge, zerjuckt die Haut und peinigt die Atemwege.

Und so singen wir im Chor:

Tschüssi, Tschüssikowski, Chlor!

Seen und Flüsse und das Meer sowieso aber bringen es voll: die Mittelmeerküste, schottische Lochs, mexikanische Wasserfälle – ich sage nur: Tolantongo! –, der Atlantik bei Sagres im äußersten Südwestportugal, französische Flüsse:

O wie schön bist du,

La Loue!,

die Helgoländer Hochnordsee, in der Innerschweiz der Thuner See, wo der Thunfisch herkommt, und in Zürich die Limmat, denn die schimmat.

Im Nassen ist Leben, also jede Menge los. Mit Seen stehe ich auf bestem Fuß – sogar mit brandenburgischen Binsen- und Binnengewässern. Dort lernte ich schon vor Jahren schwimmend den Hodenhecht kennen; deutlich tangierte er mich, den sachteren Sacksaibling mir zuführend. Auch der zurückhaltende Anusaal, die Vorhautforelle und der zarte Brustspitzenbarsch machten mir ihre Aufwartung, und die badenden Damen erfreute der Klitoriskarpfen. Das war sehr schön, ich vergaß direkt, dass ich in Brandenburg war, im scheußlichen Preußen. Im wie gemaltbesoffen vor sich hin liegenden Mecklenburg hatte ich mich sogar fest mit der aparten Mösenmaräne befreundet, das hatte sich höchst aufregend gestaltet, war aber lange her.

Nun galt es, die sächsische Seenlandschaft zu erkunden. Täglich hieß es:

Das ersehnte Gewitter zog an Lei

pzig auch heute wieder vorbei.

So ging es auf meinem königlich-holländischen Gazelle-Fahrrad wasserwärts. Heiß war es, kochend heiß, ich fühlte mich wie ein glühender Tauchsieder, der, kaum zu Wasser gelassen, den See in einer gewaltigen Dampfwolke weg- und davonzischen würde.

Das Seeufer wurde belagert von einer großen Menge tätowierter Damen und Herren; viele der buntgenadelten Körper sahen aus wie Häuserfassaden, die besonders ideenlosen und stümperhaften Graffiti-Sprayern in die Hände gefallen waren. Wie schade. Grünblau metallisch aber hubschrauberten Libellen direkt überm Wasser, kleine Fische knupperten an meinen Beinhaaren herum, einer von ihnen sprang auch einmal an Land, aufs Trockene, wurde aber vorsichtig auf die Hand genommen und gerettet.

Gazelle, Libelle, Fischlein – als Mensch hat man vergleichsweise die Arschkarte gezogen – oder, für unsere Etetepeteren, den Schwarzen Peter. Und als wie prächtig erwies sich bald die Vielfalt des Fischlebens im sächsischen See! Zehen- und Zungenkusszander schwammen munter, ein Harnröhrenheilbutt stellte sich vor, einen Hämorrhoidenhai im Schlepptau hinter sich her ziehend; selbst der seltene Rektalrochen ließ sich blicken. Ein Schwarm Schwanzsprotten blinkte vorbei, die zarte, bildschöne Scheidenschleie gab sich die Ehre und wies eher vulgäre Popoplötzen und Skrotumstinte in ihre Schranken. Elegant zog die Schamlippenscholle ihre Kreise, sogar der äußerst rare Vulvawels wurde gesichtet, und die Partyplötze stöhnte: »Du willst es doch auch...!«

Während ich all die herrlichen Fische bewunderte und mit ihnen schwamm, stieg eine Badende ins Wasser, eine Venus, schritt durch den angenehm grobkörnigen Fußpeelingsand des Sees und rief staunend aus: »Nu isses denn möchlich: ne Fotzenflunder!« Ich wurde scharlachrot. Fotzenflunder, das hätte ich mich als Mann niemals zu sagen getraut. »Penispira­ñaaaah...!«, rief ich noch – und versank im See.

Dann verstummten, endlich helle

Mensch und Fischchen und Gazelle.

In der Wellness-Hölle

»ALLES KLAR. ICH SCHAUFEL mir das frei«, sagt der Mann am anderen Ende der Telefonleitung. Zwar hat er noch nie im Leben eine Schaufel in der Hand gehabt, aber gerade unsere Schreibtischhelden müssen ihre physische Männlichkeit ganz besonders betonen, und so schüppt sich der Mann eben im Kalender Zeit für eine Verabredung frei: »Okie-doke, ich schaufel mir den Termin frei. Cheerio!« Wenn er jetzt noch »Bingo!« sagte, die Rolle der Angeberlallbacke wäre perfekt besetzt.

Mächtig etwas hermachen will diese Sprache, in der Beruf und Freizeit ineinander gleiten. Bedeutsam und locker, ganz, ganz locker will das sein, geradezu zwangslocker. Das tut lässig und souverän, suggeriert Überlegenheit und ist doch den scheußlichsten Moden unterworfen. Alles klingt wie Reklame: »Wir machen den Weg frei«, »Das ist auf einem guten Wege«, »Wir haben das im Griff«. Genau: Die Sprache steckt im Würgegriff von Leuten, die sich als handelnde, bestimmende Subjekte inszenieren. Gepflegt wird ein weichgespülter Betuttelungs- und Bekochlöffelungsjargon, eine Art Wellness-Sprache, die sich genauso inflationär verbreitet wie das Wort »Wellness« selbst.

Längst bietet ein Marmeladenhersteller »Wellness aufs Brot« an, ein Schuhfabrikant zieht nach und offeriert »Wellness für die Füße«, ein Hotel auf dem erzgebirgischen Fichtelberg, in dem niemand nennenswert der englischen Sprache mächtig ist, wirbt mit einer »Wellness-Oase«.

Sauna, Dampfbad und Schwimmbecken wären zutreffender, aber zur »Wellness-Oase« aufgedunsen und aufgechict kann man die Sache teurer verkaufen. Dass der Whirlpool auf deutsch ebenfalls Whirlpool heißt, ist eine Petitesse – aber auch sie ist der Phantasielosigkeit derjenigen geschuldet, die keine Freude am Spiel und an der Bereicherung der Sprache empfinden. Ich schlage als Übersetzung für Whirl­pool übergangsweise Wirbelstrudelblubberbrausebecken vor.

Sprachkritik, die nur rechthaben will, ist uninteressant. Das gleichermaßen mäkelige wie auftrumpfende Einteilen in richtig und falsch mag die Ambitionen von professionellen Rotstiften oder Amateurdeutschlehrern befriedigen. Das ist piesepömpelig und kleinlich, ärmlich und latent peinlich. Man soll kein Rechthaber der Sprache sein, sondern ihr Liebhaber. Und also das unverbindliche und hässliche Vokabular meiden und das schöne, bildhaft sprechende, treffende suchen oder erfinden.

Es gilt, wach zu sein beim Senden und Empfangen. Der Fernsehsender 3sat preist seine Berichterstattung zu den Berliner Filmfestspielen mit den Worten »bärenstarkes Kino« an und wiederholt diese unoriginelle, aufdringliche Ver­weigerung einer Idee immerzu – »bärenstarkes Kino«, denn, Holzauge, Kino aus Berlin ist per se und vollautomatisch immer »bärenstarkes Kino«.

Sprache ist ein scharfes Instrument, wer nicht aufpasst, schneidet sich ins eigene Fleisch. Bei einem Aufenthalt in Norditalien klingelte mein Telefon; ein Kollege, der in Berlin gleich um die Ecke wohnt, wollte sich mit mir flink zum Kaffeetrinken verabreden. Anstatt zu sagen, »ich bin gerade nicht in der Stadt« oder etwas Ähnliches, ließ ich mich vom Prahlteufel reiten und sagte zwar wahrheitsgemäß, aber ganz unnötig: »Ich bin gerade im Piemont.« Kleine Eitelkeiten bestraft das Leben sofort. Der Kollege fragte ungerührt: »Und was machst du in Bad Pyr­mont?« Federleicht, so wie es sich gehört, kam dieser treffsichere Hieb durch die Leitung. Hut ab, Herr Kollege, so macht man das.

Wenn Bären zu sehr Bruno heißen

Vom Teddy zur Bestie zum Tod Chronik einer öffentlichen Entniedlichung

EIN IM GRENZGEBIET zwischen Österreich und Bayern umherziehender Braunbär entwickelte sich im Frühsommer 2006 zu einem medialen Dauerbrenner. Das Tier, getauft als »JJ1« und der erste in Deutschland gesichtete Bär seit Ewigkeiten, bekam den nach Kinderbuch klingenden Knuffignamen Bruno verpasst. Dieser Bruno aber benahm sich nicht so, wie es die Kitsch­­welt vorschreibt. Infamerweise lag er des Abends nicht Halma spielend mit Lamm und Reh und Zicklein friedlich beieinander, sondern zog seiner Wege, missachtete in Unkenntnis von Erfindungen wie Landes- und Zollgrenzen menschliche Gesetze und stillte, wenn es nötig war, seinen Hunger. Das kostete einige Schafe das Leben. Einem Bären kann man das nicht anlasten. Es ist seine Art, sich auch von Schafen zu ernähren, wenn er sie bekommen kann.Der Ton, in dem über Bruno gesprochen wurde, änderte sich rasch. Nach der anfänglichen sentimentalen Sympathie für ihn, die auf einem vermenschelten Teddybärenbild beruhte, wurde er bald zur Gefahr stilisiert, die durch illegalen Fleischverzehr den Profit und durch unkontrollierbare Anwesenheit den Menschen selbst bedrohe. Panik und Hysterie kommen medial immer gut, und so hieß es Mitte Juni, der Braunbär solle »möglichst lebend gestellt werden.« Aus welchem Film war das: »möglichst lebend gestellt«? Lief nach »M – eine Stadt sucht einen Mörder« nun »B – alle Bayern jagen einen Bären«? Ist ein Bär ein Mensch, ein Täter und Verbrecher, der »gestellt« werden kann?

Es sieht ganz so aus. Das dem Bären juristisch zur Last gelegte Delikt war seine Bärennatur, der er folgte, auch zum Nachteil von Tieren, die weniger frei und wild leben als er. Wäre er gerichtlich belangbar gewesen, etwas anderes als Mundraub hätte ihm niemand anhängen können. Was soll ein Bär machen? Heilfasten, damit man ihn süß und kuschelig findet? Sich vegetarisch ernähren und dann enden wie Paul McCartney? Der Bär ist als Allesfresser nicht nur eine Honigpfote; zu seiner ausgewogenen Ernährung gehört auch frisches Fleisch. Dieses bietet ihm das Schaf, das zum armen Opfer des Bären verklärt wird. So konnte Bruno zum personifizierten Bösen aufgebauscht werden, zur blutrünstigen Bestie – die also, aus ethischen Gründen quasi, gejagt, gestellt und erlegt werden musste.