Cover

Friedemann Schulz von Thun

Miteinander reden 1

Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Friedemann Schulz von Thun

Friedemann Schulz von Thun, Jahrgang 1944, war bis 2009 Professor am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Beratung und Training. Seine Trilogie «Miteinander reden 1–3» hat sich zum Standardwerk in Schule und Beruf entwickelt. In seinem Institut für Kommunikation entwickelt er in Kooperation mit dem «Arbeitskreis Kommunikation und Klärungshilfe» Inhalte und Bausteine, um soziale Kompetenzen durch fachliches Lernen, methodisches Üben und menschliches Reifen zu fördern.

www.schulz-von-thun-institut.de.

Über dieses Buch

Kommunikationspsychologie für alle – das Standardwerk

 

Beruf, Beziehung, Alltag: Ständig müssen wir mit anderen kommunizieren. Und immer wieder entstehen dabei Probleme; selbst scheinbar einfache Situationen bergen Tücken. Oft gelingt es nicht, uns verständlich zu machen, geschweige denn, uns durchzusetzen. Und ebenso oft begreifen wir unser Gegenüber nicht. Gespräche werden zum Streit, ohne dass uns so recht klar ist, warum. Friedemann Schulz von Thun zeigt, welche Erkenntnisse die Kommunikationspsychologie bietet, damit wir persönlich und sachlich besser miteinander klarkommen.

 

Miteinander reden 1 erklärt, wie zwischenmenschliche Kommunikation abläuft. Was sind die typischen Probleme? Und wie können wir sie beheben?

 

Band 2 stellt die unterschiedlichen Kommunikationsstile vor, die Menschen haben. Wie gehen wir damit jeweils am besten um? Und wie können wir das Wissen um unseren eigenen Kommunikationsstil für unsere Persönlichkeitsentwicklung nutzen?

 

Band 3 schließlich stellt das Modell des «Inneren Teams» vor. Die Erkenntnis dahinter: Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser. Alles, was man wissen muss, um stimmig zu kommunizieren!

 

«Wenn es um Kommunikation oder Rhetorik geht, kommt man um den Namen Schulz von Thun nicht herum.» Psychologie heute

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2013

Copyright © 1981 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Redaktion Brigitte Nölleke

Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann

Graphik Maren Sundmacher, Karikatur auf S. 105 Norbert R. Brüllke, Hamburg

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-499-17489-6 (49. Auflage 2011)

ISBN E-Book 978-3-644-44641-0

www.rowohlt.de

 

Anmerkung: Die Seitenangaben im Register und im Text beziehen sich auf die Seitenzahlen der Printausgabe.

ISBN 978-3-644-44641-0

Fußnoten

1

Tonbandmitschnitt aus einem Forschungsprojekt von Dr. Frauke Teegen und Dr. Dorothee Wienand-Kranz.

2

Explizite Metakommunikation insofern, als implizit ohnehin in jeder Nachricht ein metakommunikatorischer Anteil, ein «So-ist-das-gemeint-Anteil» steckt. – Wenn im Folgenden von Metakommunikation die Rede ist, ist immer die explizite gemeint.

3

Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine Überarbeitung eines erstmalig in Psychologie heute, 1975, 5, erschienenen Artikels.

4

Diese Analyse entstammt einer Hausarbeit von B. Rinke.

5

Ich verdanke dieses Beispiel Frau Doris Löwisch, die diese Begebenheit im Rahmen einer Hausarbeit aufgezeichnet hat.

6

In der Literatur wird der Begriff «Beziehungsbotschaft» bzw. «Beziehungsdefinition» kommunikationspsychologisch unscharf verwendet: Gemeint sind sowohl reine Beziehungsbotschaften («Für so und so halte ich dich») als auch Appelle («Sei so und so, mach das und das!») – In diesem Kapitel sollen nur die reinen Beziehungsbotschaften ins Auge gefasst werden.

Einführung und persönlicher Hintergrund

Den Psychologen sagt man nach, sie würden das, was jeder weiß, in einer Sprache sagen, die niemand versteht. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn man über etwas schreibt, was jedermann aus eigenem Erleben kennt. Trotzdem möchte ich es in diesem Buch umgekehrt versuchen.

Zwar handelt das Buch von Vorgängen, an denen jeder täglich teilnimmt: von zwischenmenschlicher Kommunikation, von der Art, sich zu verständigen und miteinander umzugehen. Und so werden Sie durch dieses Buch kaum etwas wirklich «Neues» erfahren. Vielmehr werden Sie dem «Alten», dem Altbekannten, dem tagtäglich Erlebten neue Seiten abgewinnen; Dinge in einem Licht sehen, die bisher im Halbdunkel verborgen waren. – Aber hat die Psychologie etwas anzubieten, um die zwischenmenschliche Kommunikation nicht nur wissenschaftlich zu erhellen, sondern auch «besser» zu machen? Sie hat. Zwar hat sich wohl bisher kaum jemand durch das Studium psychologischer Lehrmeinungen und experimenteller Befunde in seiner Kommunikationsfähigkeit verbessert. Aber einiges Rüstzeug und einige Wegweiser stehen bereit für den, der lernen (und umlernen) will.

Ich hätte keine Lust gehabt, dieses Buch zu schreiben, wenn nicht sein Inhalt für mein persönliches Leben Bedeutung hätte. Als ich zum Abschluss meiner Schulzeit das «Zeugnis der Reife» erhielt, bestand meine Kommunikationsfähigkeit vor allem darin, in einer raffinierten, gelehrsamen Sprache über Sachverhalte zu reden, zu denen mir jede Erlebnisgrundlage fehlte. Statt das Erlebte zu verstehen und auszudrücken, lernten wir, das Nicht-Erlebte altklug zu kommentieren. Ich will darüber nicht nur schimpfen, vielleicht hat diese Fähigkeit meine Hochschulkarriere begünstigt; aber dies wäre kein Grund, die Rituale der Selbstentfremdung in der Universität zu verewigen. Das Reifezeugnis in der Hand, fühlte ich mich «ungebildet» in Fragen des zwischenmenschlichen Umgangs. Für das Thema «Wie gehe ich mit mir selbst und anderen um?» war kaum eine Schulstunde reserviert gewesen. Und bei dem Entschluss, Psychologie zu studieren, hat bestimmt die innere Unruhe darüber mitgespielt, dass ich unsicher war und im Dunklen tappte, was sich zwischen mir und anderen Menschen abspielte. Zwar stellte sich das Ziel, das ich mir mit dem Studium wohl insgeheim gesetzt hatte – immer Herr der Lage zu sein und überlegen die Übersicht zu behalten – als irrtümlich heraus. Ich lernte, dass ich gerade in der Verfolgung dieses Zieles in Schwierigkeiten geriet. Dennoch (und gerade dadurch) hat mir die psychologische Grundausrüstung, die in diesem Buch enthalten ist, selber geholfen, in zwischenmenschlicher Hinsicht besser klarzukommen. Die verstandesmäßigen Einsichten öffnen zwar noch nicht die Pforten zum Himmelreich; im Gegenteil erlebe ich oft schmerzlich, wie ich gefühlsmäßig «nachhinke»: Während sich der Fortschritt der gedanklichen Einsichten in Siebenmeilenstiefeln vollzieht, folgen die Gefühle und das Verhalten noch dem alten Trott und kommen nur im Schneckentempo, Millimeter für Millimeter, hinterher. Und so sind viele Lernziele, die in diesem Buch umrissen werden, im Wesentlichen nur durch Selbsterfahrung und Verhaltenstraining erreichbar. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass rationale Einsichten die Persönlichkeitsbildung einleiten und abstützen können. Auch habe ich die Erfahrung gemacht, dass Leute (wie ich), deren «Heimspiel» im intellektuellen Bereich liegt, sich eher durch kognitive Wegweiser auf ein emotionales Gelände verführen lassen. Als ein solcher Wegweiser versteht sich dieses Buch.

Nun zum Vorwurf der unverständlichen Sprache. Zwei Erfahrungen haben mich dazu veranlasst, mir eine gelehrsame, wissenschaftliche Sprache weitgehend «abzuschminken». 1969 rief mein Lehrer, Professor Reinhard Tausch, in Hamburg ein Forschungsprojekt ins Leben mit der Frage: Wie können Informationen verständlich vermittelt werden? Nach einigen Jahren hatten wir heraus, dass Verständlichkeit auf vier Säulen steht: Einfachheit (in der sprachlichen Formulierung); Gliederung-Ordnung (im Aufbau des Textes); Kürze-Prägnanz (statt weitschweifiger Ausführlichkeit) und Zusätzliche Stimulanz (anregende Stilmittel). Wichtiger als diese «Entdeckung» war, dass es gelang, die vier «Verständlichmacher» messbar und trainierbar zu machen. Die Grundzüge des Hamburger Verständlichkeitskonzeptes sind im Kap. B II, 2, S. 160ff. mit einigen Beispielen zusammengefasst – für eine ausführliche Darstellung (mit Trainingsprogramm) sei auf Langer, Schulz von Thun und Tausch (1981) verwiesen. – Dieses Forschungsprojekt hatte einen nachhaltigen Einfluss auf meinen eigenen Stil, Vorlesungen zu halten und wissenschaftliche Veröffentlichungen zu schreiben.

Als Zweites kam hinzu, dass ich in zahlreichen Trainingskursen für Eltern, Lehrer und Berufspraktiker aller Art bald merkte, dass wissenschaftlich-gelehrsame Ausführungen nicht ankamen. Überhaupt haben diese Kursusteilnehmer großen Einfluss auf dieses Buch genommen. Das Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation, das ich vorstellen werde, ist aus der Begegnung von Wissenschaft und Praxis allmählich entstanden.

Im Jahre 1970 trat ein Hamburger Industrieunternehmen an die Gruppe um Reinhard Tausch heran mit der Anfrage, ob wir einen psychologischen Beitrag zur Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter leisten können. Zunächst waren wir uns im Unklaren: Galt die Anfrage dem damals noch in den Kinderschuhen steckenden Hamburger Verständlichkeitskonzept? Oder galt die Anfrage den Erkenntnissen von Reinhard und Anne-Marie Tausch zu einem partnerschaftlichen Umgangsstil? Es stellte sich heraus, dass beides gemeint war. Menschliche Kommunikation hat eben mehrere Seiten; Paul Watzlawick formulierte diesen Sachverhalt damals als ein «Axiom»: «Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungs-Aspekt …» (Watzlawick u.a. 1969).

Für meine Kollegen Bernd Fittkau, Inghard Langer und für mich stellte sich damals die Frage: Wie können wir die verschiedenen Ansätze der Psychologie, die Beiträge etwa von Carl Rogers, Alfred Adler, Ruth Cohn, Fritz Perls und Paul Watzlawick so «unter einen Hut» bringen, dass sie für die praktischen Kommunikationsprobleme in einer Zusammenschau dienlich würden? Mit der Zeit schälten sich vier Problemgruppen heraus, die den Vorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation gleichsam von vier Seiten her beleuchten:

 

1. Sachaspekt. Wie kann ich Sachverhalte klar und verständlich mitteilen? Für diesen Aspekt der Kommunikation hatten wir unser Hamburger Verständlichkeitskonzept zu bieten.

 

2. Beziehungsaspekt. Wie behandle ich meinen Mitmenschen durch die Art meiner Kommunikation? Je nachdem, wie ich ihn anspreche, bringe ich zum Ausdruck, was ich von ihm halte; entsprechend fühlt sich der andere entweder akzeptiert und vollwertig behandelt oder aber herabgesetzt, bevormundet, nicht ernst genommen. Reinhard und Anne-Marie Tausch hatten in ihrer «Erziehungspsychologie» (1977) das Geschehen in der Schule daraufhin untersucht – und zwar deshalb, weil sie die Persönlichkeitsentwicklung des Schülers vorrangig durch diesen Beziehungsaspekt beeinflusst sahen.

 

3. Selbstoffenbarungsaspekt. Wenn einer etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich – dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer kleinen Kostprobe der Persönlichkeit, was dem Sender nicht nur in Prüfungen und in der Begegnung mit Psychologen einige Besorgnis verursacht. Mit dem zunehmenden Einfluss der Humanistischen Psychologie in Deutschland wurde uns klar, dass ein «Leben hinter Fassaden» zwar die Selbstoffenbarungsangst eindämmen kann, aber mit großen Kosten für die seelische Gesundheit und für die zwischenmenschliche Verständigung verbunden ist. – Mit diesem Aspekt ist das Thema der Echtheit (Authentizität) angesprochen.

 

4. Appellaspekt. Wenn einer etwas von sich gibt, will er in der Regel auch etwas bewirken. Das Problem von Einfluss und Manipulation stellt sich nicht nur in der Werbung und Propaganda, nicht nur in Erziehung und Unterricht, sondern auch bei allerlei menschlichen Eigenarten bis hin zu neurotischen Symptomen, von denen man spätestens seit Alfred Adler weiß, dass sie nachhaltige Wirkungen auf die menschliche Umgebung des Patienten ausüben und dass in dieser heimlichen Zielstrebigkeit vielleicht ihr Wesen begründet liegt.

All diese Probleme im Kopf und eine ferne Erinnerung daran, dass Karl Bühler «drei Aspekte der Sprache» (1934) unterschieden hatte (Symbol, Symptom, Appell), kam ich schließlich auf den Gedanken, den Teilnehmern unserer Trainingskurse die «Nachricht» als quadratisches Gebilde darzustellen, wobei ich die Sichtweisen von Watzlawick und Bühler kombinierte:

Abb. 1:

Vier Seiten der Nachricht – ein Modellstück der zwischenmenschlichen Kommunikation.

Ich muss gestehen, dass ich über die «Geburt» dieses Quadrates sehr zufrieden gewesen bin (Schulz von Thun 1977). Es eignet sich sowohl zur Analyse konkreter Mitteilungen und zur Aufdeckung einer Vielzahl von Kommunikationsstörungen als auch zur Gliederung des gesamten Problemfeldes. Als psychologisches Handwerkszeug bildet es das Herzstück des vorliegenden Buches.

Drei Dinge sind beim Anblick des Quadrates sofort ersichtlich:

Erstens, dass «Klarheit» der Kommunikation eine vier-dimensionale Angelegenheit ist. Wenn jemand zu einem anderen sagt: «Ich habe fünfmal bei dir angerufen!» – so ist der Sachverhalt klar und verständlich. Weniger klar mag dem Empfänger sein, was der Sender von sich selbst mitteilen will (Enttäuschung? Hinweis auf den eigenen Eifer?) – unklar auch, was der Sender vom Empfänger hält (vielleicht der Vorwurf: «Wo treibst du dich bloß immer herum?» – Oder: «Du bist mir sehr wichtig!») und was er erreichen will (vielleicht: «Ruf doch mal von dir aus an!»). So mag beim Empfänger das Gefühl entstehen: «Ich verstehe zwar jedes Wort – aber was will er mir damit eigentlich sagen?» – Und vielfach haben die Empfänger die Tendenz, in die unklaren Seiten einer Nachricht etwas hineinzuhören, was aus dem reichen Schatz ihrer Phantasien, Erwartungen und Befürchtungen stammt – so empfangen sie gleichsam sich selbst und füllen ihre Seele mit dem eigenen Material.

Zweitens, dass in ein und derselben Nachricht viele Botschaften gleichzeitig enthalten sind, die sich um das Quadrat herumgruppieren. Dies ist ein folgenschwerer Tatbestand, denn der arme Empfänger hat auf alle (innerlich) zu reagieren und kommt dabei leicht durcheinander. Eindrucksvoll und verwirrend war für mich als kleiner Junge ein Erlebnis in der Straßenbahn. Ich saß neben meinem Großvater, einige Erwachsene hatten keinen Sitzplatz. Wütend fuhr ein Herr meinen Großvater an: Es sei unerhört, dass kleine Kinder den älteren Leuten den Sitzplatz wegnähmen. Mein Großvater ging mit ebenso lauter Stimme zum Gegenangriff über: «Wollen Sie hier meckern?» So ging es noch hin und her, und dann sagte mein Großvater mit einem Male zu meiner großen Verblüffung: «Sie haben ja recht!», ließ mich aufstehen und fügte hinzu: «Aber deswegen brauchen Sie nicht so zu meckern!» – Hier erlebte ich zum ersten Mal, dass man offenbar gleichzeitig im Unrecht sein und recht haben kann – Nachrichten sind eben vierseitig, und mein Großvater stimmte dem Mann auf der Sach- und Appellseite zu, nicht hingegen auf der Beziehungsseite. – Wenn der Empfänger es verfehlt, seine unterschiedlichen inneren Reaktionen für sich selbst klarzukriegen, wird er auch nicht klar nach außen reagieren können, und dann kommen Sender und Empfänger in ein heilloses Durcheinander. Da ist es dann bei schwierigen Auseinandersetzungen, von denen viel abhängt, keine Schande, einen Kommunikationspsychologen als Entflechtungshelfer und als Hebamme klarer Botschaften hinzuzuziehen. Vor allem von Paaren, Familien und Arbeitsgruppen wird dies zunehmend in Anspruch genommen.

Drittens ist zu sehen, dass die Seiten des Quadrates gleich lang sind. Damit ist die These verbunden, dass die vier Aspekte als prinzipiell gleichrangig anzusehen sind (wenn auch in jeder einzelnen Situation der eine oder andere Aspekt im Vordergrund stehen mag). Dieser Auffassung entgegen steht die Überbetonung des Sachaspektes in der Schule und im Arbeitsleben. Dass die heutige Schule zu «kopflastig» ist, auf die Wissensvermittlung zu viel und auf das soziale Lernen zu wenig Gewicht legt, hat sich herumgesprochen. Auch im Arbeitsleben zählt offiziell nur die Sache. Zwar sind die Probleme der Selbstdarstellung und der Beziehungsgestaltung damit nicht aus der Welt – im Gegenteil, die seelische Energie ist zu einem guten Teil von diesen Problemen absorbiert. Da aber diese menschlichen Angelegenheiten als «unsachlich» verpönt sind, gehen sie in den Untergrund, führen ein unterschwelliges, heimliches Leben, indem sie sich im Leib des trojanischen Pferdes der Sachlichkeit verstecken. Anliegen der Kommunikationspsychologie ist es, diese Verpönung aufzuheben und aus der eindimensionalen Sach-Kommunikation eine lebendig-blutvolle vierseitige Kommunikation zu machen. Allerdings sind viele von uns wegen des langjährigen einseitigen Sach-Trainings im Umgang mit den anderen drei Seiten der Nachricht wenig geübt. Dies wird in Trainings-, Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen nachgeholt, in denen die rückständigen Persönlichkeitsbereiche aufholen können.

 

Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation durch Psychologie? Kommunikationspsychologie erhebt nicht nur den Anspruch, die Vorgänge zwischen Sender und Empfänger wissenschaftlich zu erhellen, sondern auch Rüstzeug und Wegweiser für eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation bereitzustellen. Wann aber ist eine Kommunikation besser oder schlechter? Als wir vor zehn Jahren mit unseren Trainingskursen begannen, waren wir – ohne uns das deutlich bewusst zu machen – der Auffassung, dass gute Kommunikation eine Sache der «ansprechenden Verpackung» sei. So hielten wir es für ungünstig, wenn jemand zu einem anderen sagte: «Nun reden Sie doch nicht so ein dummes Zeug!» Wir hielten es für günstiger, wenn er stattdessen etwa sagen würde: «Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Ihnen in allen Punkten zustimmen kann» (s. Abb. 2).

Abb. 2:

Geheime Leitvorstellungen für eine Verbesserung der Kommunikation (unsere Auffassung vor zehn Jahren – heute überholt).

Wir dachten: Wenn wir die Teilnehmer für die gefühlsmäßigen Unterschiede dieser beiden Versionen empfindsam machen und den wünschenswerten Stil in geeigneten Übungen trainieren würden, dann hätten wir zur Verbesserung der Kommunikation und der seelischen Hygiene einen wichtigen Beitrag geleistet.

Aus heutiger Sicht sieht die Sache etwas schwieriger aus. Der emotionale Unmut, der in der ersten Version zum Ausdruck kommt, ist eine seelische Realität. Wie kann ich mit dieser Realität umgehen? Wie kann ich meinen Unmut wahrnehmen (also merken, was mit mir los ist), wie kann ich auseinanderhalten, was er mit mir und was er mit dir zu tun hat? Wie kann ich dich einweihen, ohne dir damit gleich die Schuld aufzubürden? Die Version «Richtig» in Abb. 2 verleugnet etwas von der emotionalen Realität. Dies mag geeignet sein für manchen reibungslosen Schnellverkehr, ist jedoch kaum tauglich als Modell für einen seelisch günstigen Umgang mit mir selber und mit anderen. Im Gegenteil: Ich muss befürchten, dass der unausgedrückte Unmut im seelischen Untergrund weiter wuchert und das Zusammensein aus dem Verborgenen belastet. Diese «Tiefendimension» der zwischenmenschlichen Kommunikation hatten wir damals wenig im Auge. Und so waren wir den Teilnehmern weniger in der gefühlsmäßigen Auseinandersetzung mit sich selber behilflich als vielmehr im Einüben konzeptgemäßer Formulierungen. Als Trainer waren wir selber Vorbild für einen solchen Kommunikationsstil: Die Wahrnehmung und die Auseinandersetzung mit unseren eigenen Gefühlen haben wir teilweise vermieden, erst recht die Bekanntgabe unserer Innenwelt. Stattdessen waren wir darauf aus, das Training «mit Anstand über die Bühne» zu bringen, und das hieß für uns: eine souveräne, einfühlsame und gleichbleibend freundliche Art zur Schau zu stellen (ich hoffe, ich übertreibe etwas!).

Der Weg über «ansprechende Verpackungen» war ein Irrweg, stattdessen werden «Klarheit» und «Stimmigkeit» zu neuen Maßstäben, an der sich eine sinnvolle Kommunikation zu messen hat. Mit «Stimmigkeit» ist nicht nur die Übereinstimmung meiner Kommunikation mit meiner inneren Verfassung, meinen Zielen und Werten gemeint, sondern auch mit der Verfassung meines Gegenübers und mit der «Wahrheit der Situation» (s. S. 139). – Als aussichtsreiches Heilmittel gegen eine gestörte Kommunikation hat sich die Metakommunikation herausgestellt, d.h. die Kommunikation über die Kommunikation, über die Art, wie wir miteinander umgehen. Die Kommunikationstherapeuten Mandel und Mandel schrieben 1971: «Explizite Metakommunikation ist völlig unüblich, man schämt sich ihrer. Es würde geradezu einer Evolution gleichkommen, gelänge es, sie in der nächsten Generation zur Gewohnheit zu machen.» (S. 62)

Das vorliegende Buch vermittelt Werkzeuge zur Förderung von innerer und äußerer Klarheit und ist eine Einführung in die Kunst der Metakommunikation. Es richtet sich zwar zunächst an Psychologen und angehende Psychologen, zu deren Beruf es gehört, Gruppen zu leiten, Kommunikationstrainings durchzuführen, Paare, Familien und Arbeitsgruppen in der Art ihres Miteinanders zu fördern. Jedoch sind Zaungäste aller Art erwünscht. Sie können Einblick nehmen, mit welcher «Brille» wir Kommunikationspsychologen und -therapeuten zwischenmenschliche Vorgänge betrachten, wie wir Störungen und Pannen ausmachen und mit welchem Hintergrundwissen wir Änderungen vorschlagen. Vieles von diesem Handwerkszeug gehört in die Hand von jedermann, und einige Lehrer haben angefangen, etwas davon an ihre Schüler weiterzugeben. Mir liegt sehr daran, Psychologie aus der Hand zu geben, anstatt sie (wie Ruth Cohn das nennt) «im Geheimkabinett einzuschließen». Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass Psychologie zuweilen «in die falschen Hände» gerät, in den Dienst der Manipulation und inhumaner Tendenzen gestellt wird – und sich stellen lässt. Ich sehe auch die Gefahr, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit zwischenmenschlichen Vorgängen zu einer Verwissenschaftlichung der Mitmenschlichkeit führen kann und zu neuen Imponiersprachen der Eingeweihten. Einen Vorgeschmack auf solche möglichen Fehlentwicklungen gibt die Satire auf S.298. Genauso bin ich aber überzeugt, dass die Chancen überwiegen, dass das Erlernen von Klarheit und besserer Verständigung der Persönlichkeitsbildung und der mitmenschlichen Beziehung dient.

Noch ein Wort zur Reichweite der nachfolgenden Kapitel. Wer zwischenmenschliche Kommunikation verbessern will, kann an drei verschiedenen Stellen ansetzen:

 

1. Ansatz am Individuum. Das heißt: Ich fange bei mir selber an bzw. berate und trainiere einzelne Menschen. Hier besteht einerseits die Chance, unterentwickelte Persönlichkeitsbereiche zu vervollkommnen und den einzelnen mehr und mehr zu befähigen, Herr und Meister seiner selbst zu werden (Anliegen der Humanistischen Psychologie), andererseits die Gefahr, die Ursachen gestörter Kommunikation nur beim Individuum zu suchen. So werden zuweilen Schüler als «gestört» dem Psychologen überwiesen und erhalten dadurch – neben der Hilfe – auch den Prägestempel der Pathologie (vgl. Kap. B III, 5, S. 222). Unbeachtet bleibt dabei, dass der störende Schüler vielleicht nur das auffälligste Symptom einer gestörten Beziehung zwischen Lehrer und Schüler oder der Schüler untereinander ist. Diese Blickfelderweiterung führt zum

 

2. Ansatz an der Art des Miteinanders. Der «Patient» ist hier nicht ein einzelnes «schwarzes Schaf», sondern der Umgangsstil einer ganzen Gruppe (vgl. «Patient Familie», Richter 1970). Das hier charakteristische «Denken in Systemen» ist grundlegend für Paar- und Familientherapie (Bandler u.a. 1978) und für die moderne Schulberatung (Brunner u.a. 1978; Redlich und Schley 1979).

Auch bei dieser Kommunikationstherapie ist im Blick zu behalten, dass bestimmte Umgangsformen möglicherweise gar nicht so sehr der (prinzipiell) freien Gestaltung der Kommunikationspartner unterliegen, sondern sozusagen «von oben» vorprogrammiert sind. Diese abermalige Blickfelderweiterung führt zum

 

3. Ansatz an den institutionellen/gesellschaftlichen Bedingungen. Veränderungswürdig erscheinen hier weder der Einzelne noch die Interaktion zwischen mehreren, sondern die Zustände, unter denen die Menschen zusammenkommen und die ihnen bestimmte Umgangsformen aufzwingen oder zumindest nahelegen. So mag eine hierarchisch gegliederte Arbeitswelt, die einigen wenigen den Aufstieg ermöglicht, die aber gleichzeitig auf Kooperation angewiesen ist, eine Kommunikation mit «doppeltem Boden» nahelegen: vorgeblich kooperativ, aber heimlich rivalitätsorientiert (vgl. Schulz von Thun 1978).

Auch für die Institution Schule lässt sich zeigen, dass sie «heimliche Lehrpläne» vorsieht, die die Lehrer-Schüler-Beziehung und die Beziehung der Schüler untereinander von vornherein belastet und «gestörte Kommunikation» vorprogrammiert (vgl. Tillmann 1976; Brunner u.a. 1978). – Von diesem Standpunkt aus lässt sich begründet argumentieren, dass die oben erwähnten Heilmittel (psychologische Schülerhilfe, Kommunikationstrainings für Lehrer, Interaktionstherapie für Lehrer-Schüler-Beziehungen) zu kurz greifen und das wahre Übel nicht bei der Wurzel packen. Notwendig wären stattdessen institutionelle Reformmaßnahmen oder – wenn sich herausstellt, dass die Institution der zwangsläufigen Logik des Gesellschaftssystems entspricht – grundlegende gesellschaftspolitische Umorientierungen, die auf politischer Ebene zu erstreiten sind.

Für einige meiner Studenten ist das Buch bereits an dieser Stelle «gestorben», wenn ich erkläre, dass es vor allem für die Ansätze 1 und 2 Rüstzeug bietet. Sie sehen darin eine (für die bürgerliche Psychologie typische) «Psychologisierung» der Probleme, die an Symptomen kuriert, den Blick für die eigentlichen Ursachen des Übels verstellt und dadurch ein krankmachendes System am Leben erhält. Ich sehe diese Gefahr auch, wenn die psychologischen Ansätze mit einer Blindheit für die im 3. Ansatz betonten Faktoren und Zusammenhänge verbunden sind. Als genauso gefährlich sehe ich es an, wenn der 3. Ansatz mit einer Blindheit für die Faktoren und Zusammenhänge der beiden ersten Ansätze verbunden ist (Schulz von Thun 1980). Kann man glaubwürdig und vertrauenserweckend für eine Veränderung der Gesellschaft eintreten, ohne bei sich selbst und im kleinen Kreis der unmittelbaren Reichweite anzufangen?

Wer «ganze Arbeit» leisten will, wird die drei Ansätze miteinander verbinden müssen. Ich halte es für vertretbar, wenn ein psychologischer Beitrag die Ansätze 1 und 2 ausarbeitet, im Bewusstsein, dass damit noch nicht die ganze Arbeit getan ist.

Teil A: Grundlagen