Mission: Abenteuer

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Inhaltsverzeichnis

Die Welt ist ein Buch.

Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.

Aurelius Augustinus

Viele werden jetzt bestimmt denken: »Na toll, wieder so ein Typ, der kurz nachdem er sein Gesicht in eine Kamera gehalten hat, meint, ein Buch schreiben zu müssen … womöglich wird er demnächst auch noch anfangen zu singen!« Und ich muss leider sagen: »Es stimmt!«

Zunächst war das Ganze aber völlig anders geplant: Da ich für die »Mission Wissen Weltweit«-Reisen (Pro Sieben/Galileo) sehr viel um die ganze Welt fliegen durfte, war ich natürlich nur selten zu Hause und weit von meiner Freundin, meinen Eltern und Freunden entfernt. Ich verbrachte mehr Zeit in Hotels, Fliegern und in anderen Ländern als in den eigenen vier Wänden. Dazu kam, dass die von uns gefilmten Abenteuer erst noch zusammengeschnitten werden mussten, bis man sie dann endlich im Fernsehen sehen konnte.

Wie war es da möglich, all diejenigen, die mir nahe standen, über mein Leben auf dem Laufenden zu halten? Sie sollten doch wissen, wie es mir geht, was ich denke und fühle! Dank der modernen Technik war die Antwort schnell gefunden: E-Mails!

Mir war dabei wichtig, dass ich die Erlebnisse so schnell wie möglich aufschrieb, damit die frischen Eindrücke nicht verloren gingen. So kam mit der Zeit eine ganz ansehnliche Sammlung von spannenden, zum Teil ekligen oder einfach atemberaubenden Abenteuern zusammen. Dinge, von denen man entweder schon immer geträumt hat oder aber Albträume bekommt …

 

In Aurich, meiner Heimatstadt in Ostfriesland, wurde ich immer gefragt, ob ich nicht der Sohn des stadtbekannten Weltenbummlers Gerd Füllgrabe sei?

Meine Antwort war: Ja!

In der Schule wurde ich gefragt, ob ich nicht der Sohn des Oberstudienrats Gerd Füllgrabe sei?

Ja!

Selbst beim Fußball, den ich lange Jahre mit Begeisterung und – wie ich glaube – auch gar nicht so schlecht gespielt habe, wurde ich gefragt, ob ich nicht der Sohn von … ?

Ja!

Dank Galileo wird er nun gefragt, ob er nicht der Vater dieses Galileo-Extremreporters Harro sei, der weltweit auf Abenteuerjagd geht!

Jaaaaaa!

 

Vor einigen Jahren hat mein Vater ein Buch geschrieben. Und dann noch eins. Ein Buch … Sollte ich es wirklich wagen?

Ich dachte nach. Und dann noch mal – verwarf die Idee, kramte sie wieder hervor, verwarf sie wieder … ich konnte mich einfach nicht entscheiden.

Letzten Endes war es dann die Frau eines Freundes, Barbara, die den Ausschlag gab, die besten Geschichten als Buch herauszubringen. Sie arbeitete damals bei einem Verlag und hatte sich mit der Zeit durch all meine Geschichten gelesen. Sie war begeistert. Da sie durch ihren Job so allerhand Bücher auf ihren Schreibtisch bekam und somit sicherlich gute Vergleichswerte hatte, glaubte ich ihr einfach, als sie sagte, dass es viel zu schade sei, diese Geschichten nur meine engsten Freunde lesen zu lassen.

Deshalb gibt es nun das Buch. Aber singen werde ich nicht. Versprochen!

 

Viel Spaß!

 

 

Eines meiner beeindruckendsten Abenteuer beginnt um halb vier Uhr morgens mit dem Klingeln des Weckers. Vor dem Hotel in Lima wartet Andres Lares. Er will mit uns hinauf in die Anden fahren. Auf der Fahrt stockt der Motor immer wieder und spuckt schwarze Rauchwolken aus, aber er hält durch und nach vier Stunden erreichen wir unser Ziel, die Passstraße Abra de Anticona im südlichen Andenhochland, auf einer Höhe von 4818 Metern. Hier verläuft auch die Trasse der Peruanischen Zentralbahn, der höchsten Eisenbahnlinie der Welt. Steif und müde klettern wir aus dem Wagen und folgen Andres zu einer kleinen Gruppe wartender Männer.

Carlos, Lucio und Jaime sind mit einem anderen Wagen gekommen und begrüßen uns herzlich. Zusammen mit Andres sind hier jetzt zwei »Danzantes de Tijeras« (Scherentänzer) und zwei Musiker versammelt. Andres spielt die Geige, Jaime die Harfe, Carlos

An einem See, von hohen, schneebedeckten Gipfeln umgeben, finden wir den idealen Ort für die Filmaufnahmen. Jetzt kann es losgehen. Carlos, der als »Danzante« den Künstlernamen »Llaspa« trägt, soll mich in die Hintergründe des sagenumwobenen Tanzes einführen, dessen Ursprünge weit in der Vergangenheit liegen. Schon zu Zeiten der Inkas sind Scherentänzer durch die Anden gezogen und haben mit ihren Ritualen die Götter der Berge, des Himmels und von Mutter Erde um ihre Unterstützung gebeten.

Carlos und Lucio ziehen sich um und stellen sich in ihren traditionellen Gewändern an den Straßenrand. Auch die beiden Musiker, Andres und Jaime, streifen ihre Ponchos über. In ihren weißen Kostümen, die mit knallbunten Stickmustern, Kordeln und Pailletten versehen sind, fallen sie in der kargen Hochanden-Landschaft sofort auf. Alle, die an dieser kleinen Truppe vorbeifahren, hupen ihnen freundlich zu, winken oder halten sogar an, um ein Foto mit ihnen zu machen. Bis heute genießen die Scherentänzer höchstes Ansehen in der Bevölkerung – sie sind richtige Heilige.

Nachdem wir die Begrüßungsszene abgedreht haben, reicht mir Llaspa ein buntes Tuch, welches er in landestypischer Weise zusammengeschnürt hat: als traditionellen Tragebeutel, einem Rucksack nicht unähnlich, in welchem die Opfergaben für die Götter transportiert werden. Wir marschieren los, immer in Richtung der schneebedeckten Berggipfel, die steil vor uns in den klaren blauen Himmel ragen. Andres geht mit seiner Geige voraus, gefolgt von Llaspa, dann komme ich, nach mir Lucio, der andere Tänzer, und Jaime, der seine mannsgroße Harfe mitschleppt. Wir klettern auf über 5000 Meter Höhe und bereits nach kurzer Zeit hechle ich wie ein Mops mit Asthma. Der Kameramann trägt keuchend die knapp 14 Kilogramm schwere Kamera und macht immer wieder halt, um Bilder von unserer kleinen Karawane zu machen.

Schließlich gibt Carlos ein Zeichen und bittet uns, stehen zu bleiben. Nun gilt es, den idealen Ort für die Opferzeremonie zu finden. Diese muss an einem Fels stattfinden, es soll jedoch keine große Erhöhung sein, da man den Göttern seine Unterwürfigkeit zeigen will und sich nicht mit ihnen auf eine Stufe stellen darf. Nur so seien die Götter einem gewogen. Als die perfekte Stelle gefunden ist, darf ich meinen Rucksack abstellen und die Opfergaben ausbreiten: eine flache Lehmschüssel, in der das rituelle Feuer entzündet werden soll, eine Mischung aus verschiedenen Kräutern, Duftholzspänen und weihrauchartigen Harzen, außerdem einige größere Holzscheite, deren Duft an Räucherstäbchen erinnert. Und zu guter Letzt noch eine große Flasche mit verdammt starkem Zuckerrohrschnaps und eine Flasche Wein, filterlose Inka-Zigaretten und selbstverständlich jede Menge Kokablätter.

Nachdem er einen Becher mit dem Zuckerrohrschnaps gefüllt hat, taucht Carlos alias Llaspa seinen Finger hinein und schnippt ein paar Tropfen in jede Himmelsrichtung. Das sei für die Götter, sagt er und

Nun soll ich meine Hände zu einer Schüssel geformt vor mir halten, denn Llaspa schüttet mir einige Kokablätter hinein. Er liest mir die Zukunft aus den in meinen Händen liegenden Blättern. Sein Mienenspiel scheint zu besagen, dass bei mir so weit alles ganz gut aussieht.

Die Kokablätter haben eine dunkelgrüne Oberseite und eine etwas hellere Unterseite. Liegen die Blätter überwiegend mit ihrer dunklen Seite nach oben in den offenen Händen, ist das ein gutes Zeichen. Sind jedoch

Als Nächstes stopfen wir uns die Kokablätter in den Mund und zerkauen sie, schlucken darf man sie allerdings nicht. Nachdem die Blätter zu einer Art Brei zerkaut worden sind, werden sie in eine Backentasche geschoben und dort immer wieder mit Speichel vermischt. Der Speichel sorgt dafür, dass die Wirkstoffe der Pflanze herausgespült und aktiviert werden: Nach einer Weile bewirken sie, dass man Hunger, Müdigkeit und Kälte nicht mehr empfindet.

Außerdem bemerke ich nach einer gewissen Zeit eine leichte Taubheit in Zahnfleisch und Zunge, so wie nach einem Zahnarztbesuch, wenn die Betäubung noch anhält. Getrocknete Kokablätter sollen sehr wirksam gegen die Höhenkrankheit sein, da sie die Sauerstoffaufnahme verbessern. Aus all diesen Gründen werden sie schon seit mehr als 5000 Jahren genutzt.

Dann kommen die filterlosen Inka-Zigaretten ins Spiel. Wie bei einer Friedenspfeife stoßen wir den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen und anschließend in Richtung Boden. Für die Götter und für Mutter Erde! Auch an dieses Ritual schließt sich wieder ein Alkoholopfer an. Llaspa beginnt zu lallen, und auch ich bin nicht mehr ganz Herr meiner Sinne. Ich muss jetzt höllisch aufpassen, denn die Arbeit ist noch längst nicht erledigt.

Nach einem erneuten Alkoholopfer gräbt Llaspa unmittelbar unter dem großen Felsen mit seiner Schere ein Loch in den Boden, um den letzten Opferritus vorzubereiten. Wir haben kurz zuvor aus dem großen Haufen Kokablätter die schönsten und saubersten herausgesucht. Sie dürfen nicht beschädigt sein und auch sonst keinen Makel aufweisen: Vollkommenheit ist hier verlangt. So manches Blatt, das ich zu Beginn für würdig befunden habe, findet keine Gnade vor den Experten und wird wieder aussortiert. Nach einiger Zeit aber habe ich es raus und kann mich an dem Auswahlverfahren beteiligen.

Als wir zwölf perfekte Blätter bestimmt haben, legen wir sie in das ausgehobene Loch. Paarweise angeordnet, sollen sie die Gegensätze der Andenwelt

Wir fügen vier Inka-Zigaretten hinzu und opfern den ebenfalls mitgebrachten Wein. Jeder muss mit dem vollen Becher in Richtung Berggipfel prosten, mit dem Finger wieder ein paar Tropfen in die vier Himmelsrichtungen schnippen und dabei ein persönliches Gebet sprechen, mit dem wir den Beistand der Götter erbitten. Ich ahne bereits, was als Nächstes kommen wird. Und tatsächlich: Wir gießen ein wenig Wein aus dem Becher in die vier Ecken des Lochs – und müssen auch den Rest wieder opfern, indem wir ihn trinken.

Nachdem wir dieses Ritual hinter uns gebracht haben, geht es weiter in Richtung See. Inzwischen hat der Wind zugelegt, Wolken bedecken den vorher stahlblauen Himmel, und es ist deutlich kälter geworden. Doch von alldem merken wir kaum etwas: Wir müssen die Götter wirklich mit unserer Opferbereitschaft überzeugt haben.

Was dann kommt, ist in der Tat beeindruckend. Als die spanischen Eroberer vor 500 Jahren die erstaunlichen akrobatischen und magischen Fähigkeiten der Tänzer sahen, vermuteten sie sofort einen Pakt mit dem Teufel. Sie nannten die Scherentänzer daher auch »Supaypa wawan«, Söhne des Teufels, und den Tanz entsprechend »Supay Wasi Tusak«, Tanz im Hause des Teufels. Die Scherentänzer wurden verfolgt und hingerichtet, doch die christlichen Eroberer scheiterten mit all ihren Versuchen, diese uralten Traditionen auszurotten: Zu tief waren sie in der Kultur der Anden

Als wir am See ankommen, merke ich, dass ich richtig einen sitzen habe, denn unsere Redakteurin lässt mich die Moderationen nun gleich mehrmals machen, da sie der Ansicht ist, ich würde lallen, und sie hat natürlich recht! Auch Llaspa scheint die Geister ganz nah an sich herangelassen zu haben, denn er kann inzwischen

 

Zunächst tanzen Llaspa und Lucio mit ihren Scheren in der rechten Hand den sagenumwobenen Tanz zu den Klängen der Musik, die Andres auf der Geige und Jaime auf der Harfe spielen. Die beiden Tänzer schwingen dabei die 25 Zentimeter langen und knapp ein halbes Kilo schweren Metallstangen, die jeweils mit einem Ring am Ende versehen sind, im Takt der Musik. Das eine Ende wird mit dem Ring über den Daumen gestülpt, das andere mit dem Ring in der Handfläche gehalten. So kreuzen sich die beiden Metallstücke knapp über der Hand und sehen dann aus wie eine überdimensionierte Schere. Die schwungvolle, aber trotzdem melancholische Musik und das helle Klingen der Metallstücke, die die Tänzer den uralten Rhythmen folgend gegeneinanderstoßen, erfüllen die Luft. Lucio ist eindeutig der bessere Tänzer, doch das liegt mit Sicherheit auch an Llaspas körperlichem Zustand. Er hat den Göttern mit Abstand die meisten Opfer dargebracht, vor allem in Form von Zuckerrohrschnaps.

Dann ist es so weit: Die »Pruebas de sangre« beginnen. Jetzt geht alles Schlag auf Schlag. Die Musik steigert sich dramatisch. Llaspa greift in einen Eimer und befördert einen lebendigen Frosch zutage. »Harro!«, ruft er so laut, dass sofort alle nur noch auf ihn blicken. Er hat den Kopf in den Nacken gelegt und hält den Frosch an den Hinterbeinen über

Er schluckt noch einen, tanzt dann erwartungsvoll um mich herum, lässt sich plötzlich auf alle viere nieder und imitiert einen Frosch. Zitternd halte ich das zuckende schleimige Tier über meinen Mund und … lasse es los! Der Frosch landet in meinem Rachen,

Stattdessen bringe ich lieber ein Alkoholopfer dar. Das fällt mir entschieden leichter.

Dann ist Lucio an der Reihe: Er zieht sich eine Kordel durch die Nase und holt das andere Ende aus seinem Mund wieder heraus, befestigt beide Enden an Andres’ Geige, während Jaime weiter auf seiner Harfe spielt. Lucio beginnt sich langsam um die eigene Achse zu drehen, immer schneller werdend. Dabei schleudert er die Geige im weiten Bogen um sich herum, nur gehalten von der aus Mund und Nase ragenden Kordel.

Alles passiert so schnell, so plötzlich, dass es einem fast den Verstand raubt. Der See, die Wolken, der Wind, die schneebedeckten Berggipfel, die Musik, der Alkohol! Nach einer Weile, ich habe inzwischen mein Zeitgefühl verloren, bindet Lucio die Geige los, greift in einen Sack und holt eine gut anderthalb Meter lange Schlange heraus. Eine Boa.

Er nimmt ihren Kopf in den Mund und beißt zu. Dann gibt er sie mir in die Hand, holt ein Messer hervor und trennt mit nur einem schnellen Schnitt den Kopf vom Rumpf. Während sich die Schlange noch krümmt, reißt er ihr die Haut vom Leib, beißt in das warme, noch zuckende Fleisch und reicht sie mir. Ohne nachzudenken tue ich es ihm gleich und beiße hinein.

Was mache ich hier nur? Bin ich wahnsinnig

Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Llaspa plötzlich eine lange Leuchtstoffröhre in seinen Händen hält. Während er mich mit blutunterlaufenen Augen anstarrt, schlägt er die Glasröhre mehrmals heftig gegen seinen Kopf. Das Glas zersplittert. Zwei größere Glassplitter bleiben übrig, einen steckt er sich in den Mund und zerkaut das Glas wild grinsend. Blut quillt aus seinem Mund und aus kleinen Schnitten in seinen Lippen. Jetzt reicht er mir das andere Stück. Wieder verdränge ich alle Bedenken – hatte ich überhaupt welche?! Ich nehme den Splitter und stopfe ihn mir in den Mund. Es knirscht laut, als ich zubeiße. Das Glas zersplittert in tausend Partikel.

Was ich da gemacht habe, lässt sich mit gesundem Menschenverstand nicht erklären. Ich war nicht mehr ich selbst und die Faszination hatte über die Vernunft gesiegt. War das Teufelswerk? Auf jeden Fall scheinen die Götter auf meiner Seite zu sein: kein Blut, kein Schmerz! Aber ich habe die Splitter natürlich nicht geschluckt.

Die Musik erstirbt, ich sacke in mich zusammen. Kaputt, erschöpft, völlig fertig. Erst jetzt dämmert mir, was ich da gerade alles angestellt habe. Ich habe versucht, einen lebendigen Frosch zu verschlucken, habe

Nachdem ich im grob geschätzt zwanzigsten Anlauf endlich das Fazit in die Kamera gesprochen habe, ist das Ganze auch offiziell vorbei. Ich spüre das dringende Bedürfnis, mich zu entschuldigen. Aber bei wem? Und warum?

Die »Danzantes de Tijeras« haben mich in eine völlig fremde Welt entführt. So nah bin ich einem mehrere tausend Jahre alten Ritus noch nie gekommen und werde wohl auch so schnell keine vergleichbaren Erfahrungen machen. Es ist fantastisch, in solch tiefe Sphären fremder Kulturen einzutauchen, aber auch beängstigend. Derartige Momente können einen verändern, aber auch für Neues öffnen – der Horizont wird weiter. Ob es das wert war? Eindeutig ja!

Die Nördliche Yungas-Straße hat viele Namen – die meisten verheißen nichts Gutes – El Camino a los Yungas, El Camino de la muerte, La Carretera de la muerte, Ruta de la muerte, oder auf Deutsch: die Straße des Todes.

Die Carretera de la muerte ist der alte Handelsweg zwischen der bolivianischen Hauptstadt La Paz und der nordöstlich gelegenen Stadt Coroico in der gleichnamigen Provinz, sie ist eine der wenigen Verbindungen der Hauptstadt zum Amazonas-Regenwald im Norden Boliviens. Auf einer Länge von 60 Kilometern überwindet die Straße des Todes über 3000 Meter Höhenunterschied – höchster Punkt ist der La-Cumbre-Pass (4650 Meter). Wer diese spektakuläre Strecke heil zurücklegt, durchquert dabei auf den verschiedenen Höhenstufen fast alle Klimazonen Südamerikas: vom feucht-warmen tropischen Regenwald in den Tälern über kalte und dürre Regionen bis hin zu Eis und Schnee auf der Höhe des Passes.

Die einspurige Straße besitzt keinen Belag, wie wir Europäer ihn kennen, sie ist nichts anderes als ein geschotterter Weg. Jederzeit ist aufgrund der starken Erosion mit Steinschlag oder Erdrutschen zu rechnen. Nebel, Regen und infolgedessen ein sehr matschiger Untergrund verschlechtern den ohnehin maroden Zustand der – laut Einschätzung der Inter-American Development Bank – gefährlichsten Straße der Welt.

Bei Gegenverkehr muss man die wenigen Buchten nutzen, die alle 500 Meter auftauchen – auf diese Regelmäßigkeit darf man sich jedoch keinesfalls verlassen. Es ist ein abenteuerliches Unterfangen, wenn einem auf dieser gerade mal drei bis maximal vier Meter breiten Straße ein Lkw entgegenkommt. Vorfahrt hat immer das von unten kommende Gefährt. Das heißt für uns, die wir die Death Road hochfahren: Immer wenn uns ein Fahrzeug entgegenkommt, hält dieses so gut es geht in einer der Haltebuchten und wir müssen nach links ausweichen. Und links bedeutet zum Steilhang hin. An den engsten und gefährlichsten Punkten

Ich schaue aus dem Fenster und kann den Straßengrund fast nicht mehr sehen, neben mir geht es nur noch steil hinab. Mir wird schwindelig, die Knie

Im Jahr 2006 wurde eine neue Verbindungsstraße zwischen La Paz und Coroico in Betrieb genommen, eine sichere und moderne Passage. Auf der Straße des Todes ereignete sich in den Jahren zuvor im Durchschnitt wöchentlich mindestens ein Unfall – und

So ist es kein Wunder, dass Hunderte von Kreuzen diese Straße säumen. Besonders gefährlich ist die Strecke, wenn es Nebel gibt und es dabei auch noch regnet. Also wie bei uns heute.

Positiv denken, heißt das Motto: Pech für den Reporter, Glück für den Zuschauer – Nervenkitzel für alle.

Und es gibt ein Happy End: Wir überleben.

Am nächsten Tag geht es auf der Carretera de la muerte von Coroico nach La Paz wieder zurück. Das Daumendrücken hat geholfen: Jetzt haben wir wundervolles Wetter! Die Sicht ist überwältigend, aber sie zeigt uns noch deutlicher die Angst einflößenden Abgründe am Rande der Straße. Immer wieder halten wir an: für Drehstopps und für Fotoaufnahmen einer wunderschönen Landschaft.

Schließlich erreichen wir wohlbehalten La Paz – sogar noch rechtzeitig, um das Finale der Europameisterschaft mitzuverfolgen. Glückwunsch an Spanien! Verdienter Sieg. Ich bin betrübt über die Niederlage, aber die Freude darüber, dass ich diese Fahrt gestern und heute überlebt habe, überwiegt alle Trauer über ein verlorenes Endspiel.