Fatih Çevikkollu

mit Sheila Mysorekar

Der Moslem-TÜV

Deutschland, einig Fatihland

Mit einem Vorwort von Cem Özdemir

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I Fatihland

Der Moslem-TÜV: vom Kümmeltürken zum Topterroristen

Alihans fürs Leben

Meine ganz persönliche Berliner Mauer

Gefangen im Taunus

Die doppelte Spaßbürgerschaft

Der Integrator

Das Imageproblem

Güle güle Goethe!

Grüne Männchen

II So schön ist Integration

Traumberuf: Kofferbomber

Die erste deutsche Dönerstie

Picknick in der Parallelgesellschaft

Aus dem Handbuch zur Integration

III Kölle Allah!

Das Al-Qaida-Komplott: die ganze Wahrheit über den Abstieg des 1. FC Köln

Kuppeln statt baggern: zehn gute Gründe für die Zwangsheirat

Schöner beten: Raumgestaltung für Glaubensentfaltung

Da tarnt sich doch ein Taliban! Tipps zur Schläferjagd

Rot ohne Käppchen

Der letzte Text

Anhang I

Bombenbau leicht gemacht

Die beliebtesten Anschlagziele

Anmeldeformular zum Trainingslager in Afghanistan

Anhang II

Vorbemerkung

Quellen

Vorwort

Der «Moslem-TÜV» überprüft unsere Debatte über Migration, Integration und die Terrorgefahr – ernste und kontroverse Themen, denen die Autoren mit viel Ironie und Sprachwitz begegnen. Hier wird sich mit Deutschland auseinandergesetzt: von Muttersprache bis «Fatihland», von witzigen Jugenderinnerungen bis zu den aktuellen politischen Diskussionen. Ein politisches Buch, bei dem man laut lachen muss? Ja, das gibt’s. Den Beweis halten Sie in Händen.

Die Autoren stammen aus dem Rheinland. Der Kabarettist Fatih Çevikkollu kommt aus einer türkischen Familie, die Journalistin Sheila Mysorekar ist indischer Abstammung. Sie machen aus ihren Kölner Wurzeln keinen Hehl, wie den Geschichten unschwer anzumerken ist – wo doch die Verbundenheit vieler Migrantinnen und Migranten selbst der zweiten oder dritten Generation mit Deutschland oft in Frage gestellt wird, als sei Lokalpatriotismus eine Sache der Gene oder des teutonischen Vornamens. Die Autoren nehmen diesen Ball offensiv auf und gehen erfrischend selbstverständlich mit ihrer rheinischen Herkunft um: Da erfährt der Islam schon mal seine kölsche Prägung, und umgekehrt wird selbst der Karneval muslimisch eingeordnet – Kölle Allah!

Selbstverständlichkeit ist ein gutes Stichwort. Denn an Selbstverständlichkeit, an Normalität mangelt es hierzulande nicht selten. Noch immer gilt es als nicht «normal», wenn Schwarze akzentfreies Hochdeutsch sprechen oder Menschen mit türkischem Namen eine höhere Position in einem Unternehmen bekleiden. Und noch immer gilt es als geradezu unvorstellbar, dass Menschen mehr als eine Identität haben können. Ist es denn verwunderlich, wenn sie es irgendwann satthaben, immer als Ausnahme betrachtet zu werden und nicht als ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft?

Nach wie vor wird darüber diskutiert, wie multikulturell dieses Land sein sollte oder sein darf. Dabei ist die Frage gar nicht, ob wir eine multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft sind, denn es gibt sie ja schon längst. Die Frage ist doch vielmehr, wie wir diese Gesellschaft unter dem Dach des Grundgesetzes gemeinsam gestalten. Deutsche unterschiedlicher Herkunft, Religion oder Hautfarbe? Wir alle sollten diese Normalität endlich verinnerlichen, auch in unserer politischen Kultur. Das heißt nicht, dass die Konflikte im Zusammenleben oder die Verantwortung jedes Einzelnen unter den Teppich gekehrt werden sollen – das tut auch dieses Buch nicht. Aber die Akzeptanz des anderen dieser oder jener Herkunft und Religion als Teil dieser Gesellschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft, eine gerechte Chance erhalten und sich verwirklichen können, auch zum Wohl der gesamten Gesellschaft. Damit Menschen mit Migrationshintergrund in den unterschiedlichsten Berufen und Bereichen zu finden sind, nicht nur im Dienstleistungssektor oder als Arbeiter, sondern in den Medien, in der Politik, in den Vorstandsetagen. Oder eben als Autorin oder Kabarettist 

Diese Fragen greift der «Moslem-TÜV» auf – mit viel Spaß an der Sache. Das Autorenteam karikiert beispielsweise die Festlegung von Menschen mit Migrationshintergrund auf bestimmte Berufe und zeigt effektiver als so manche Studie, wo die Grenzen des hiesigen Integrationswillen derzeit noch verlaufen – ohne Wut, ohne Zeigefinger, sondern mit viel schwarzem Humor.

Fatih Çevikkollu und Sheila Mysorekar nehmen Schlagworte wie ‹Leitkultur› oder ‹Parallelgesellschaft›, die in der Migrationsdebatte als inhaltsleere Totschlagargumente benutzt werden, drehen sie auf den Kopf und füllen die Begriffe mit einem ganz neuen Inhalt. Zwangsheirat, Kofferbomber oder Überwachungsgesellschaft – um kein heikles Thema wird ein Bogen gemacht, aber man liest jedes Mal etwas ganz anderes, als man erwartet hat. Nicht nur die Themen sind ernst, ernst ist es auch den Autoren – und gerade deshalb hat man bei der Lektüre seine helle Freude.

Cem Özdemir

I Fatihland

Der Moslem-TÜV: vom Kümmeltürken zum Topterroristen

Mein Name ist Fatih Çevikkollu. Das ist türkisch und heißt auf Deutsch: Fatih Çevikkollu. Ich bin Moslem. Halt, nicht – keine Angst!

Scheiße! Schon wieder zu spät.

Der Letzte, der dieses Buch in die Hand genommen hat, warf es genau an dieser Stelle angewidert weg und lief schreiend davon. Das Buch flog in hohem Bogen durch die Luft, und dort, wo es schließlich aufprallte, riegelte man die Straße weiträumig ab, SEK-Spezialeinheiten stürmten herbei, und Sprengstoffexperten untersuchten es auf sein Gefährdungspotential. Gelesen hat es keiner. Zu gefährlich!

Als Moslem stellt man eben heutzutage das ultimative Sicherheitsrisiko dar. Ich empfehle daher folgenden Selbstversuch: Begeben Sie sich einfach an einen öffentlichen Ort und tun Sie laut und vernehmlich kund: «Guten Tag, mein Name ist Wie-auch-immer. Übrigens, ich bin Moslem.» Sofort werden Sie spüren – die Spannung um Sie herum steigt schlagartig. Gespräche verstummen. Verstohlene Blicke durchbohren Ihr T-Shirt, denn vielleicht ist das, was sich darunter abzeichnet, ja kein Sixpack, sondern ein Sprengstoffgürtel! Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung versuchen, sich unmerklich zu entfernen, und ein bis dahin völlig unauffälliger Mann wispert plötzlich in den aus seiner Juteeinkaufstasche ragenden Stangensellerie: «Er ist Moslem! Er ist Moslem!»

Sicherheitsrisiko Nummer eins. Das nackte Panik-P. Der Kofferbomber. Der Uranschmuggler. Der TERRORIST.

 

Ich stamme aus Köln, bin viel unterwegs, und wann immer ich in meiner Stadt ankomme, freue ich mir ein Loch in den Bauch. Was soll ich groß erklären: Es ist das unbeschreibliche und tiefe Glücksgefühl, das man empfindet, wenn man nach Hause kommt, und das wahrscheinlich jeder für sich mit einem ganz bestimmten Ort verbindet. Mit diesem Gefühl stieg ich also neulich aus dem Flieger, rief «Salamin aleikum, Köln!» und winkte meiner Familie zu, die draußen wartete, um mich abzuholen. Noch bevor meine Hände wieder unten waren, hatte ich schon – klick – Handschellen an.

Da drängt sich einem doch die Frage auf: Warum ist das so? Warum kann ich nicht in meiner Heimat ankommen und mich laut freuen, dass ich wieder da bin?

Ich habe eine Theorie: In Deutschland herrscht Angst. Angst vor dem Moslem, dem vollbärtigen, sprengstoffbeladenen, intoleranten, Frauen und Schweineschnitzel verachtenden Moslem. Ich weiß nicht, worin die Schwierigkeit liegt, zwischen einem Rheinländer islamischen Glaubens wie mir und dem Ayatollah zu differenzieren, aber der Großteil meiner deutschen Mitbürger ist dazu anscheinend nicht imstande. Angst vor dem Moslem heißt Iran, Uran, Terror, Panik!

Wissen Sie, was das Schöne daran ist, wenn jemand Angst hat? Richtig! Mit diesem Jemand kann man machen, was man will! (Frauen wissen, wovon ich rede.) Das deutsche Volk hat Angst vor dem Moslem, was in logischer Folge bedeutet, Sie haben Angst vor mir. Zumindest ein Stück weit. Und das wiederum ist natürlich außerordentlich praktisch für die Politiker, denn wenn ihr Wahlvolk vor irgendwem richtig Angst hat, kann man Lauschangriffe starten und nach Gutdünken die Bürgerrechte einschränken, während alle nicken und sagen: «Ist doch prima! Dient alles nur zu unserer Sicherheit!»

 

Eine gewisse Landesregierung hat vor kurzem einen sogenannten ‹Gesprächsleitfaden› verfasst. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit insgesamt dreißig Fragen, der ausschließlich für Menschen moslemischen Glaubens konzipiert wurde, die die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben wollen. Nein, das ist nicht rassistisch! Immerhin geht es hier um die innere Sicherheit. Andere Länder foltern – wir machen gerade mal einen Test. Das muss schon noch drin sein! Dieser ‹Gesprächsleitfaden› ist seit dem 1. Januar 2006 in Baden-Württemberg in Nutzung, bekanntlich ein CDU-regiertes Bundesland. Sind Sie CDU-Wähler? Wenn ja, freut es mich, dass Sie diese Zeilen mit Interesse lesen, denn wir müssen wirklich mal miteinander reden. Schließlich zeichnet die CDU verantwortlich für dieses intelligente Papier, das die Presse gern als ‹Gesinnungsprüfung› tituliert. Ich nenne es Moslem-TÜV.

Falls Sie diesen Test nicht kennen, möchte ich nunmehr meinem bildungspolitischen Auftrag als kritischer Kabarettist nachkommen und Ihnen selbigen Fragebogen vorstellen, der in eindrucksvollem Amtshochdeutsch Gesprächsleitfaden für die Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg heißt. Um seine Bedeutung zu unterstreichen, noch eine kurze Bemerkung vorweg: Es handelt sich um einen Test, den man bestehen muss, um Deutscher in Deutschland werden zu können. Höher geht es nicht, denn man hat dann nicht nur die Pflichten, wie die ganzen Jahrzehnte zuvor, sondern auch die Rechte. Und machen wir uns nichts vor, das ist in Deutschland eine ganz heikle Geschichte – die Rechte. Was ich damit sagen will: Dieser Fragebogen ist wichtig. Sehr wichtig. Es geht hier nämlich nicht um einen Sack Kartoffeln, sondern um nichts Geringeres als die deutsche Staatsbürgerschaft. Und bekanntlich haben Kartoffeln und Staatsbürgerschaft nichts miteinander gemein.

Nachdem dies hoffentlich zweifelsfrei geklärt ist, muss ich noch darauf hinweisen, dass die nun folgenden Fragen nicht etwa von mir frei erfunden, sondern greifbare bundesdeutsche Realität sind. Zumindest in Baden-Württemberg – einsamer Vorreiter in Sachen religiöser Toleranz.

 

Um besagten Test in seiner sinnlichen Kraft ganzheitlich nachempfinden zu können, stellen Sie sich jetzt bitte folgende Ausgangssituation vor: Sie sind Moslem! Das ist nur ein Spiel, also haben Sie keine Angst, es kann überhaupt nichts passieren. (Ich bin mir im Übrigen durchaus bewusst, dass es später heißen wird: «Seine Tarnung war perfekt. Er kam als Kabarettist.») Als Nächstes malen Sie sich nun aus, Sie würden in Baden-Württemberg leben – zugegeben, das mag für den einen leichter, für den anderen schwerer sein. Und schließlich die letzte Herausforderung an Ihre Phantasie: Sie wollen den deutschen Pass.

Das kann man sich beim besten Willen nicht mehr vorstellen, nicht wahr? Ich bitte Sie – einen deutschen Pass? Da kann ich mir ja gleich … Oh, Verzeihung! Ich bitte um Bestrafung. Sie können mich wahlweise entweder abschieben oder dieses Buch einfach verbrennen … Oh Mann, schon wieder … Ich bitte um Vergebung! Da fällt mir ein, das mit dem Abschieben geht ja auch nicht mehr. Wie ärgerlich!

Aber gut, fangen wir einfach mal an. Wir befinden uns als moslemische Glaubensgenossen in Baden-Württemberg und wollen den deutschen Pass. (Dafür gibt es sehr verschiedene Gründe, ganz abgesehen davon, dass schließlich nicht jeder über die Mittel verfügt, eine getürkte Hochzeit zu bezahlen.) Nun sitzen wir also in der Ausländerbehörde in Reutlingen, bekommen den ‹Gesprächsleitfaden› vorgelegt und sehen uns beispielsweise mit Frage 22 konfrontiert, in der es heißt: «Sie erfahren, dass Leute aus Ihrer Nachbarschaft oder aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis einen terroristischen Anschlag begangen haben oder planen. Wie verhalten Sie sich?» Nachbarschaft? Freundes- oder Bekanntenkreis? Da gibt’s nur eins! Ich greife zum Hörer und sage: «Mohammed! Warum? Warum muss ich das aus der Zeitung erfahren, Allah hallah?!»

Eigentlich fehlt an dieser Stelle nur noch die Hinzufügung: Sind Sie Terrorist? Bitte ankreuzen: ja/​nein/​nur gegen Bezahlung.

Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich Frage 13, die ihrerseits mit einer besonders schönen Formulierung beginnt: «Man hört immer wieder …» Moment mal, was ist denn das für eine Faktengrundlage? Juristen nennen so etwas Formulierungsschwäche. «Man hört immer wieder …?» Bei der Einbürgerung? Was will man uns damit nahebringen? Den Waschweiberschnack im Landtag? Die Frage selbst ist allerdings noch viel besser: «Man hört immer wieder, dass Eltern ihren volljährigen Töchtern verbieten, einen bestimmten Beruf zu ergreifen oder einen Mann ihrer Wahl zu heiraten. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Verhalten; was würden Sie tun, wenn Ihre Tochter einen Mann anderen Glaubens heiraten oder eine Ausbildung machen möchte, die Ihnen nicht gefällt?»

Sollte mir irgendjemand nicht glauben oder annehmen, dies sei reiner Mumpitz (schöner Name übrigens), kann er alles im Anhang nachlesen oder aus dem Internet herunterladen – in diesem Zusammenhang spricht man auch von ‹bin laden›. Man geht dafür einfach ins Netz und ruft die schwäbische Internetsuchmaschine Gugle auf, die Sie bestimmt kennen. Da kannscht neigugle un nausgugle, es öffnet sich ein Fenster – ein sogenanntes Eingabefeld für Suchbegriffe –, und man tippt den Begriff ‹Gesinnungsprüfung› ein, wahlweise ‹Gesprächsleitfaden› oder auch mal ‹Moslem-TÜV›. Ich bin mir sicher, das Papier erscheint in voller Pracht auf dem Schirm. Alles ist vollkommen legal. Sie brauchen definitiv keine Erlaubnis von Osama bin Schäuble. So eine Legitimität ist doch toll – gewissermaßen das letzte Stückchen Freiheit, das uns geblieben ist. Wir hinterlassen zwar Spuren, aber die interessieren keinen. Jedenfalls noch nicht.

Auch sehr beeindruckend ist Frage 28. Sie lautet: «Ihre Tochter bewirbt sich um eine Stelle in Deutschland. (Wo denn sonst?) Sie bekommt jedoch ein ablehnendes Schreiben. (Was für eine Überraschung.) Später erfahren Sie, dass eine Schwarzafrikanerin aus Somalia die Stelle bekommen hat. Wie verhalten Sie sich?» Liebe Freunde, ich als guter Deutscher schreibe da ganz einfach: «Früher …!» Der Rest sollte bekannt sein. Wenn nicht, einfach mal den Opa fragen.

Mit einem äußerst intelligent formulierten Einstieg beginnt auch Frage 29.1 Hier finden wir die Worte: «Stellen Sie sich vor …», was auf meiner persönlichen Richterskala direkt auf «Man hört immer wieder …» folgt. Also: «Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell (das erklärt man ja schon mal) und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?» So weit die Frage. Jetzt einfach mal innehalten und sich für einen Moment den eigenen Vater vorstellen. Genau. Was würde der wohl sagen? «Wir waren doch immer gut zu dir! Es hat dir nie an etwas gefehlt!» – «Vati, ich liebe den Ali!» – «Aber Junge, muss es denn ein Türke sein?»

Im Grunde ließe sich das Ganze mit einer einzigen Frage abkürzen, die die eigentliche Absicht des Verfassers erhellt, sprich, was die CDU hiermit eigentlich bezweckt. Sie könnte zum Beispiel lauten: «Würden Sie die Karikatur des Propheten zeichnen? Bitte ankreuzen: ja/​nein!» Ganz klare Frage, ganz klare Antwort.

Aber nein, wir haben es hier mit dreißig Fragen zu tun, und alles, was übrigbleibt, ist ein diffuser Generalverdacht. ‹Generalverdacht› ist verständlich, oder? Das ist in etwa vergleichbar mit dem Gefühl, das Ihnen entgegengebracht wird, wenn Sie nach Frankreich fahren und zugeben, dass Sie Deutscher sind.

 

Doch wie ist das nun eigentlich mit dem Moslem? Ich meine den gemeinen Moslem – ein Normalo wie du und ich. Es gibt 1,4 Milliarden Moslems. Das kann man wohl eine stattliche Zahl nennen. Dass sich darunter ein paar tausend Schrottköppe finden, die Terror im wahrsten Sinne des Wortes machen, damit eine Weltreligion diskreditieren und deswegen auf das Schärfste zu verurteilen sind, ist klar. Und es macht einen doch recht ungehalten, wenn man sich vor Augen führt, dass von diesen Typen gerade mal fünfzehn bis achtzehn Prozent organisiert sind, also nicht einmal eine aussagefähige Mehrheit hinter sich haben, und das Maul aufreißen, wie sie es tun. Da muss ich mir doch die Frage stellen: Kann es sein, dass ihr komplett beratungsresistent seid? Kritikunfähig?

Der gemeine Moslem wie du und ich, der den lieben Gott nur einen guten Mann sein lassen will, ist total irritiert: gestern noch Kümmeltürke, heute schon Topterrorist – ein steiler sozialer Aufstieg, aber immer schön am Rand entlang. Der gemeine Moslem wie du und ich ist total orientierungslos, traut sich kaum noch allein zum Gebet, aus Angst, dass er den Osten nicht mehr findet.

Als ’ne kölsche Jong fühle ich eine soziale Verpflichtung, denn mer Kölsche helfe, wo mer könne. Ich bin also hin zu meinen Glaubensbrüdern und habe denen gesagt: «Jungens, loma fiere, loma net lamentiere, loma partizipiere als kölsche Muselmanen. Wenn der Zoch kütt, da sind wir dabei, und dann rufen die KÖLLE und wir ALLAH!» Nur eine Idee auf dem Weg zur Deeskalation. «Lasst uns uns doch auf einem Terrain treffen, auf dem wir alle eine Sprache sprechen», habe ich vorgeschlagen. «Lasst uns doch einen gemeinsamen religiösen Feiertag begehen. Hier die christliche Gemeinde, da die moslemische Gemeinde. Feiern wir doch ALLAH-HEILIGEN!» Lediglich eine weitere Idee auf dem Weg zur interreligiösen Begegnung. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte hier niemanden glorifizieren, ich suche nur nach konstruktiven Möglichkeiten mitbürgerlichen Zusammenlebens. Schließlich geht es um Frieden – das wichtigste Wort mit F neben ‹Freiheit› und ‹Fatihland› –, um Befrieden der Situation, um Befriedigung. Und allein war die bekanntlich noch nie wirklich fruchtbar.

Apropos Befriedigung: Da ist noch eine Sache, bei der ich als durchschnittsmoslemischer Ali Normalverbraucher auf einer ganz anderen Schiene fahre als so ein Selbstmordattentäter. Stichwort Kritikunfähigkeit: Diese Typen freuen sich darauf, dass sie nach getanem Job im Paradies für alle Ewigkeit von Jungfrauen beglückt werden! Jetzt mal unter uns: Wer will denn heutzutage noch eine Jungfrau? Ich nicht! Ich will Profis! Ein kleiner Vergleich am Rande: Haben Sie schon einmal mit einem absoluten Anfänger Tennis gespielt? Richtig! Das macht überhaupt keinen Spaß. Einfach kein Ballgefühl! Das Verwunderliche allerdings ist, dass Frauen, die noch Jungfrauen sind, sich richtig etwas darauf einbilden. Da frage ich mich, worauf, bitte schön? Mann lernt Frau kennen. Mann redet, flirtet und, nun ja, verfolgt ein gewisses Fernziel. Irgendwann plustert sich Frau auf mit den Worten: «Ich bin noch Jungfrau!» Wissen Sie, was ich mir dann denke? ‹Hau ab! Fass mich ja nicht an! Pfui, geh weg!› Gespräch beendet. Das eigentlich Fatale an der Geschichte ist, dass die meisten Frauen, die keine Jungfrauen mehr sind, mit Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen herumlaufen. Wo leben wir eigentlich? Man kann doch niemanden aufgrund einer gewonnenen Erfahrung ausgrenzen. Da sage ich als durchschnittsmoslemischer Ali Normalverbraucher mit Nachdruck: Das ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit!

In der Praxis sieht das so aus: Mann lernt Frau kennen. Frau ist intelligent, witzig, locker, gut drauf, hat Charme und sieht auch nicht schlecht aus. Kurz: eine Klassefrau. (Die gibt es tatsächlich und in letzter Zeit immer öfter.) Mann unterhält sich mit ihr, aber irgendwann wird diese wundervolle Klassefrau ganz kleinlaut und murmelt verschämt: «Ich bin keine Jungfrau mehr.» So ein aufgeweckter orientalischer Mitteleuropäer wie ich sagt dann schlicht mit einem zarten Lächeln auf den Lippen: «Komm zu Fatih!»

 

 

Wir verweisen auf Anhang II, Seite 185. Dort finden Sie den Gesprächsleitfaden für die Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg in seiner vollen Schönheit. Unglaublich, aber wahr!

Alihans fürs Leben

Ich bin ’ne kölsche Jong.

Zugegeben, wenn man den Namen Fatih Çevikkollu hört, denkt man nicht als Erstes an kölsche Jungs, aber es ist die reine Wahrheit. Obwohl, wenn ich überlege, dass die kölschen Jungs, die ich so kenne, Mikele, Marek oder Medhani heißen, dann passt mein Name eigentlich ganz gut dazu. Und mal ehrlich: Willy Millowitsch oder Pierre Littbarski hören sich doch auch eher nach Wodka und Wurst an als nach halve Hahn … Jetzt wissen Sie nicht, was ’ne halve Hahn ist? So nennen wir Kölner ein Roggenbrötchen mit Käse. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich weiß nur eins: Es ist wesentlich appetitlicher, als zu Mettwurst «Hackepeter» zu sagen, wie es zum Beispiel die Berliner tun. Das klingt doch, als wäre das Brötchen in Rothenburg belegt worden. Heute mit Hackepeter, morgen mit Hackejürgen, übermorgen mit Hackehelga … Aber ich schweife ab.

 

Ich kam in einem katholischen Krankenhaus zur Welt – gut, das ist in Köln kein großes Kunststück – und besuchte später, in logischer Konsequenz, eine katholische Grundschule. Bekanntlich pflegen Christenmenschen bestimmte Bräuche, weshalb mir meine Mutter, bevor ich morgens losging, mit auf den Weg gab: «Fatih, wenn die anderen Kinder in deiner Klasse beten, musst du nicht mitbeten, weil wir Moslems sind.»

Es ist eine feine Sache, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Und das war ich auch – mehr oder weniger.

Wenn uns die Lehrerin mit der fröhlichen Frage begrüßte: «Guten Morgen, liebe Kinder, wer will denn das Morgengebet sprechen?», meldeten sich alle. Ich mich auch.

Das zog natürlich Verwunderung nach sich: «Fatih, du?»

Und dann antwortete ich immer: «Nein! Meine Mama hat gesagt, wenn hier alle beten, muss ich nicht mitmachen, weil … ehm … das ist nämlich so … ehm … wir sind Moslems.»

Die Lehrerin lächelte jedes Mal ganz freundlich und sagte: «Das ist richtig, Fatih. Während wir beten, kannst du ja derweil ein bisschen spielen. Setz dich doch solange in die Meckerecke.»

Aber immer, wenn ich es mir mit den Klötzchen in der Hand in meiner persönlichen Mekkaecke gen Osten gerade gemütlich gemacht hatte und loslegen wollte, waren die schon wieder fertig! Menschenskinder, wenn bei uns so richtig gebetet wird, hätte ich in der Zwischenzeit die Blaue Moschee aufbauen können!

Noch deprimierender war, dass mich meine Mutter zu Hause erwartungsfroh fragte: «Und, Fatih, hast du schön gespielt, während deine Klassenkameraden gebetet haben?»

Ich murmelte dann: «Ja, Mama. Ich muss nur schneller werden.»

Sie sehen, hier tat sich schon in frühester Jugend ein klassisches interkulturelles Missverständnis auf: All die Jahre in der Grundschule dachte ich nämlich, diese Christen beten absichtlich die kürzesten Gebete, die es gibt – nur, um mich zu ärgern.

 

Wenn man, wie ich, als kölsche Jong in der Domstadt geboren wird, bekommt man die kölsche Sprache quasi mit der Muttermilch eingeflößt. (Das ist in meinem konkreten Fall natürlich nur eine Metapher.) Ich bin in Köln-Nippes aufgewachsen, und da hört man urkölsche Dialoge. Man spielt mit seinen Freunden auf der Straße – Fangen, Fußball, Handtaschenklauen, das Übliche halt –, und plötzlich schallt es von der anderen Straßenseite:

«Jupp, wie isset? Joot?»

Und der Mann auf unserer Straßenseite ruft: «Muss! Helmut, un selfs?»

Helmut: «Läuft.»

Der andere: «Haupsach!»

Helmut: «Wat willse maache? Da steckse nit drin.»

Der andere: «Et kütt, wie et kütt.»

Helmut final: «Ever et hätt noch immer joot jejange!»

(Unter den Kölner Eingeborenen üblicher Ritus der gegenseitigen Zusicherung des Verständnisses für die Härte des Daseins und abschließender Ausdruck der Hoffnung auf ein besseres Leben – Anmerkung des Übersetzers.)

Meine kölsche Herkunft lässt sich vielleicht am besten auf diese Weise erklären: Ich sehe aus wie Ali und spreche wie Hans. Man könnte auch sagen: Ich bin’s, Alihans! Manchmal singe ich sogar ganz leise vor mich hin: «Alihans fürs Leben … hoffentlich Alihans … denn nur wer sich Alihans … ein festes Bündnis mit dem Glück!»

Was mich betrifft, bin ich Alihans im Glück, nur leider scheinen meine kölschen Landsleute – wie meine deutschen Landsleute überhaupt – zuweilen etwas verwirrt darüber zu sein, dass ich wie Hans spreche, als ob die Sprache von der Haarfarbe abhinge. Stellen Sie sich mal vor, in der Schule würde der Lehrer sagen: «Nee, Thorsten, blonde Haare und dann Leistungskurs Französisch? Das wird nichts!» Deshalb nochmal zum Mitschreiben: Auch ein anständiger Ali spricht Kölsch wie ein Hans oder, besser, wie Tünnes und Schäl (mythische Kölner Volkshelden – Anmerkung des Übersetzers). Haupsach, er ist im Schatten des Domes groß geworden.

 

Bei unserem letzten Campingurlaub in den Niederlanden habe ich festgestellt: Ich erkenne meine Kölner Landsleute immer und überall.

In Holland sprechen wir üblicherweise ja nicht Deutsch, sondern Englisch. Das hat etwas mit Respekt zu tun. Immerhin befindet man sich in einem anderen Land mit einer anderen Sprache und einer anderen Kultur, und so zu tun, als ob die uns dort von vornherein verstehen müssten, ist an Dekadenz nicht zu überbieten.

Wie ich so auf dem Campingplatz stand, sah ich einen Mann und wusste sofort: Der kommt aus Köln. Er hatte wirklich alles richtig gemacht, um unerkannt durchzugehen: Er sprach Englisch, er trug campingkonforme Klamotten (weiße Socken und Sandalen, um nur ein pikantes Detail zu nennen), aber was der gesagt hat! Mitten auf dem Platz zuckte er mit den Schultern, drehte die Handinnenflächen gen Himmel, und sein Mund entließ die schicksalhaften Worte: «What will you make?» Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, folgte darauf die ergebene Feststellung: «You stick not in it!», um dann erklärend hinterherzuschieben: «You can only look the people for the head!» Nach dem seltsam abgewandelten urrheinischen Ausruf «It küts how it küts and it küts ever jood!» war er nicht mehr zu bremsen und verkündete voller Inbrunst: «Real friends stand together, drink one with! Weil it is doch so: Every jeck is others!»

Ich stand da, staunte ergriffen und dachte bei mir: «Yo! I have understoned!»