Auf die Größe kommt es an

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Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2010

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ISBN Printausgabe 978-3-499-25322-5 (1. Auflage 2010)

ISBN E-Book 978-3-644-42281-0

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-42281-0

Anmerkungen

2. Kapitel

Kroatien ein schönes Land ist, das auf jeden Fall eine Reise wert ist, ob nun mit oder ohne Auto;

4. Kapitel

Kölner nach dem Verzehr von Cevapcici und Bier auch nicht schlimmer aus dem Mund stinken als beispielsweise Aachener, Cottbusser oder Menschen aus Reiskirchen – und Dialekt zu sprechen ist nun wirklich wahnsinnig romantisch;

Werber tatsächlich total schräge Dinge tun, wie zum Beispiel einmal im Jahr kreischend zusammenzubrechen, wenn sie vom Art Directors Club für ihre eingereichten Kampagnen einen der begehrten Nägel in Gold, Silber oder Bronze überreicht bekommen;

6. Kapitel

man Hunden selbstverständlich keine Kekse füttern soll. Weder mit noch ohne Schokolade;

7. Kapitel

das Überqueren der Grenze zwischen Kroatien und Montenegro eine harmlose, aber gleichzeitig komplizierte Angelegenheit ist. Man muss das Strahlelächeln nämlich zweimal aufsetzen: beim Ausfahren aus Kroatien und zirka zwei Minuten später beim Hineinfahren nach Montenegro;

10. Kapitel

der Russe an sich kein schwieriger Zeitgenosse ist und sein Geld auch nicht ausschließlich durch kriminelle Machenschaften verdient;

13. Kapitel

die Bezeichnung Zigeuner an sich ja schon politisch inkorrekt ist, aber die Behauptung, sie könnten mit Einbrüchen oder Diebstahl zu tun haben, schlichtweg an den Haaren herbeigezogen ist;

14. Kapitel

die Montenegriner nicht faul sind, Kotor eine hübsche und saubere Stadt ist, deren Mülleimer regelmäßig geleert werden, und dass der Kaffee im Land immer besser wird;

21. Kapitel

der balkanische Latin-Lover ein Gigolo vor dem Herrn ist;

23. Kapitel

Alkohol keine Lösung ist, auch wenn das manchmal irrtümlicherweise so rüberkommt;

25. Kapitel

Folkloremusik durchaus schön sein kann;

26. Kapitel

nicht alle Neugeborenen hässlich sind. Wobei hässlich ja ohnehin ein relativer Begriff ist.

(Tom Moreno, frei nach Loriot)

1. Kapitel

«Ist er nicht.»

«Marc, du kannst einen Schokoriegel nicht ‹Rosaviacosmos› nennen. Das kann sich doch kein Schwein merken.»

Ich werde gleich wahnsinnig! Seit zwei Wochen suchen wir jetzt schon einen Namen für diesen blöden Schokoriegel, der in meinen Augen nichts als eine schlechte Kopie der Yogurette ist. Und mein Kollege Marc entpuppt sich als Vollidiot.

«Wieso denn nicht? Rosa-via-Cosmos. Man muss nur mal kurz darüber nachdenken. Rosa wegen der Verpackung und dem Erdbeergeschmack und via Cosmos, weil er extrem leicht schmeckt. So locker und kalorienarm, dass er –»

«Kalorienarm?» Meine Stimme hat jetzt einen schrillen Ton angenommen. «Ich dachte, da wäre Schokolade drin? Wie kann die denn wenig Kalorien haben?»

«Das ist doch egal, Tom. Der Verbraucher ist es gewohnt, belogen zu werden. Der will das geradezu. Die Kunden wären sogar komplett verwirrt, wenn irgendwo mal genau das drin ist, was außen draufsteht.»

«Aber Rosaviacosmos geht trotzdem nicht», erkläre ich genervt. «Wie lange arbeitest du jetzt schon in der Werbebranche, Marc? Sechs Jahre? Acht Jahre? Rosaviacosmos ist Bullshit. Basta!» Heute läuft es aber auch besonders zäh. Brainstorming fällt eindeutig leichter, wenn mehr Kollegen

«Hä?»

Marc scheint heute auf Krawall gebürstet zu sein. Normalerweise steht er nicht so auf der Leitung. Normalerweise ist es in Agenturen allerdings auch nicht üblich, dass man einen Berater und einen Art Director so ’ne harte Nuss alleine knacken lässt. Ich finde ja, man hätte uns wenigstens noch einen Texter zur Seite stellen können.

«Also», erkläre ich. «Yogurette, das setzt sich zusammen aus Joghurt und … äh, … Babette? Leicht, locker und feminin eben. Da will doch jeder mal zugreifen.»

«Ich weiß nicht, Tom. Das hast du doch erfunden.»

Die Tür fliegt auf, und der Chef steckt seinen Kopf herein.

«Na, Jungs, wie läuft es denn so?»

Rolf Siegelmann, Inhaber und Geschäftsführer der Siegelmann-Werbeagentur, ist wie immer bester Laune. Und wie immer hängt er seinem selbstauferlegten Zeitplan etwa eine Dreiviertelstunde hinterher.

«Wie findest du Rosaviacosmos?», fragt Marc und erntet einen irritierten Blick. Noch bevor mein debiler Kollege etwas hinzufügen kann, ist Rolf auch schon wieder aus der Tür verschwunden.

Ich rolle genervt mit den Augen, werfe Marc zur Inspiration eine Frauenzeitschrift hin und schalte den Fernseher ein.

Volltreffer!

Jemand hat freundlicherweise etwa dreißig Werbespots für Schokoriegel hintereinandergeschnitten, sodass wir uns ohne Unterbrechung von Konkurrenzideen berieseln lassen können.

«Die hier ist aber auch nicht schlecht.» Ich zeige auf die Yogurette-Tussi, die jetzt exzessiv den Hula-Reifen schwingt, ohne dabei ihren zuvor verspeisten Schokoriegel zu erbrechen.

«Tja, schade, Tom. Finger weg! Du hast ja ’ne Freundin.»

«Ja und? Deswegen wird man ja wohl mal gucken dürfen.»

«Klingt so, als würdest du zu Hause unterm Pantoffel stehen.» Marc grinst schief und vertieft sich danach wieder in die Zeitschrift.

Wie kommt er denn jetzt da drauf? Ich meine, ich bin immerhin ein Mann. Ein moderner Mann. Einer, der sich nun mal für eine feste Beziehung entschieden hat. Aber diese Tatsache bedeutet doch wohl nicht, dass es von nun an verboten ist, sich mal ein bisschen umzuschauen, oder? Darauf zu verzichten, scheint mir genetisch außerdem gar nicht möglich. Es verzichtet ja auch niemand dauerhaft aufs Essen.

Und dafür, dass ich mir vor einem Jahr nicht mal vorstellen konnte, öfter als dreimal mit derselben Frau zu schlafen, ist der Blick auf eine hüftenschwingende Hula-Frau geradezu lächerlich banal.

Mein Vorschlag an das Universum wäre sogar Folgender: Männer bekommen beim Start in eine feste Beziehung so eine Art Zehnerkarte fürs Fremdgehen. (Bei Eheschließungen eventuell ein Zwanziger-Abo.) Eine Art Willkommensgeschenk oder Starter-Kit, wie wir Werber so schön sagen. Dann würde es sicher mehr feste Partnerschaften geben, da man sich psychologisch ja nicht so eingeengt fühlt.

«O ja, danke. Das wird Elisa sein.» Ob ich ihr von meinem bahnbrechenden Einfall berichten sollte? «Hallo?»

«Stör ich dich gerade, Liebster?»

«Na ja, ist schon ganz schön was los hier.» Ich schalte den Ton des Fernsehers aus. «Marc und ich sind mächtig im Stress.»

Marc löst seinen Blick von Marie im Turndress und schneidet eine Grimasse. Ich weiß, was er denkt. Er denkt daran, dass wir heute eigentlich zeitig Feierabend machen wollten, um noch was trinken zu gehen. Aber dabei kann man ja theoretisch auch weiter brainstormen.

«Wir suchen immer noch einen Namen für dieses Joghurt-Ding», füge ich erklärend hinzu.

«Ach, du Armer! Schaffst du es vielleicht trotzdem, heute etwas eher Feierabend zu machen? Ich habe nämlich eine Überraschung.»

«Tja … also, ich weiß nicht …» Eine Überraschung? Das kann ja bei Frauen alles Mögliche bedeuten. Ich blicke wieder zu Marc, der sich gerade den tonlosen Werbespot von Ferrero Rocher ansieht, dabei aber definitiv mit gespitzten Ohren meinem Gespräch lauscht. «Äh, heute wird es hier wie gesagt eher länger dauern.»

«Ooooooch, Tom, komm schon. Nur dieses eine Mal. Heute ist doch so ein herrlicher Abend, und da wollte ich gern etwas mit dir unternehmen. Außerdem …» Ihre Stimme wird jetzt mindestens drei Tonlagen tiefer. «… denk an die Überraschung!»

Uuuhuuhu. Was das wohl ist? Vielleicht hat sie sich endlich das Unterwäsche-Set aus dem Palmers-Prospekt gekauft und brennt darauf, es mir vorzuführen? Mir wird ganz kribbelig.

«Hm. Das klingt ernst», sage ich deshalb in seriösem Tonfall.

«Bitte? Natürlich, wie soll ich dich sonst überraschen?»

«Verstehe. Um wie viel Uhr?»

«18 Uhr. Am besten bei meiner Arbeit vor dem Eingang.» Mit diesem Befehl legt Elisa überraschend schnell auf.

«Äh, ja. Also, es ist bestimmt nichts Schlimmes, Süße», führe ich einen imaginären Dialog fort. Man will sich vor seinen Kollegen ja nicht blamieren. «Aber ich verstehe natürlich, dass du nicht allein gehen magst. Kopf hoch, ich regle das schon!»

Als ich auflege, sieht Marc mich fragend an.

«Elisas Oma», erkläre ich schnell. «Sie ist im Krankenhaus. Sieht nicht gut aus. Und du weißt ja: Frauen lassen sich alleine immer so von ihren Emotionen überwältigen. Ich muss da also mit hin. Können wir das Bier auf morgen verschieben?»

Konfuzius sagt: Ein Augenblick der Geduld kann viel Unheil verhüten.

Klingt logisch? Ist es aber nicht!

Denn je länger ich hier in meinem Versteck ausharre und mich in Geduld übe, desto unheilvoller werden meine Gedanken.

Es ist jetzt bereits 18.15 Uhr, und von einer Überraschung ist weit und breit nichts zu sehen. Was ich allerdings sehr gut sehen kann, ist das Spektakel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort steht Elisa an unserem verabredeten Treffpunkt und unterhält sich angeregt mit einem mir unbekannten Kerl. Und das Einzige, das mich dabei überrascht, ist dessen Outfit. Der Typ sieht aus, als käme er direkt von

Mir scheint – und hier schließt sich der Kreis zum Heimatfilm –, er steht kurz davor, in einem reißenden Strudel körpereigenen Testosterons unterzugehen.

WAS BITTE SCHÖN IST DAS DENN FÜR EINE SABBERNDE ARSCHKRAMPE?

Elisa forciert das Drama, indem sie mädchenhaft mit dem Zopf schaukelt, die Brust rausstreckt und dem Typen ihren Charme entgegensprüht, als gelte es, eine südkolumbianische Bananenplantage vom Borkenkäfer zu befreien. Dazu entblößt sie in regelmäßigen, viel zu kurzen Abständen lachend ihre strahlend weißen Zähne.

Also, wenn das nicht flirten ist, dann weiß ich es auch nicht. Und um mir das anzusehen, habe ich mein Feierabendbier mit Marc sausen lassen? Ich glaube es ja wohl nicht!

Elisa schaut jetzt unvermittelt in meine Richtung, und ich versuche, nun doch ein bisschen konfuzianisches Unheil zu verhüten, indem ich mich schnell ducke und wieder in Deckung gehe. Leider pralle ich dabei gegen Angela Merkel.

In ihrem ausgeblichenen Achtziger-Jahre-Blazer, in dem sie zur letzten Bundestagswahl an eine Pappwand geleimt wurde, sieht sie irgendwie seltsam verloren aus. Wie bestellt und nicht abgeholt.

Genau wie ich.

Von Elisa hierher bestellt und prompt vergessen. Und das wegen eines Typen, der weniger Haare auf der Brust hat als ein peruanischer Nackthund am Arsch.

Aber warum verstecke ich mich eigentlich? Schließlich ist Elisa meine Freundin, ich bin mit ihr verabredet, und es

In spätestens dreißig Sekunden nämlich wird dieses göttliche Geschöpf da drüben erneut ihre Perlzähne zeigen, und das aus Freude darüber, mich zu sehen. Dann wird sie mich küssen, mir lachend in die Arme sinken und den idiotischen Kerl in seinem Almkostüm in die Wüste schicken. Von mir aus kann er die pappige Merkel dann auch gleich mitnehmen.

So sieht es aus.

Mit neuem Selbstbewusstsein verlasse ich meine Deckung, überquere locker trabend die Straße und schlendere den beiden Turteltäubchen betont lässig entgegen. Auf halber Strecke droht meine Performance allerdings aus dem Ruder zu laufen, da ich mit zwei außerplanmäßigen Begebenheiten konfrontiert werde:

  1. Der Wildbach-Gigolo hat doch mehr Haare auf der Brust als ein peruanischer Nackthund am Arsch. Allerdings sind sie blond und somit erst aus der Nähe erkennbar.

  2. Wo wir schon mal beim Thema «Hund» sind: In dieser illustren Runde passt einer nicht ins Bild. Einer, der auf den ersten Blick aussieht wie der kleingeschrumpfte Jack Black. Auf den zweiten wie ein aufgeplatzter Airbag, und auf den dritten: wie ein Mops.

Was ist denn das, bitte schön, für ein konspiratives Grüppchen? Und überhaupt: Ich will jetzt, dass die alle gehen und ich meine Überraschung bekomme!

Der Schrumpfhund starrt gelangweilt auf die Turnschuhe des Alm-Gigolos und gibt leise Grunzlaute von sich. Als hätte ein Alien die erstbeste, irdische Gestalt angenommen.

Ich dachte ja ehrlich gesagt, diese Hunderasse gäbe es gar nicht wirklich. Bislang war ich sogar der Annahme, sie wären eigens für Loriots Sketch Möpse auf dem Mond erfunden und computeranimiert worden. Aber vielleicht hat Elisa den Hund ja in derselben Requisite aufgetan, wie den Alm-Typen? Dann bleibt zu hoffen, dass sie beide gewissenhaft nach Flöhen abgescannt hat!

Hm, wie hießen denn nochmal die Möpse aus dem Sketch? Müller-Lüdenscheidt? Dr. Klöbner? Ich stiere den Schrumpfhund an, als wäre er mir eine Antwort schuldig.

Elisa dreht sich jetzt endlich in meine Richtung, hat allerdings statt der erwarteten Perlenzahnreihe nur eine Stirnfalte zur Begrüßung übrig. Nicht gerade die Art von Empfang, die einem signalisiert: Liebster! Endlich bist du da! Befreie mich vom Gelaber dieses zwar brillant aussehenden, aber an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Jodelschülers!

«Guck doch mal, Elisa.» Mein Nebenbuhler lenkt ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, indem er unverständliche Worte direkt in ihren Ausschnitt raunt. «Sie ist ja jetzt schon ganz verrückt nach dir.»

Was redet der denn nur für einen Scheiß? Und was bildet er sich ein – am helllichten Tage mit gestärktem Hemd, Gigolofrisur und Pornostimme meine Freundin einzulullen?

’ne schöne Überraschung ist das hier!

«Ooooh, ja», säuselt nun auch Elisa. «Bestimmt wird sie sich bei mir wohl fühlen. Ich werde jedenfalls mein Bestes geben.» Mit diesen Worten beugt sie sich verzückt zu dem Schrumpfhund hinunter, und das Hochgebirgsdrama nimmt seinen Lauf: Der Alm-Öhi starrt in den Abgrund von

O Mann, geht der mir auf die Eier!

Besser, ich schreite ein, ehe das Ganze hier noch Liebesgrüße aus der Lederhose-Niveau erreicht.

«Hi.»

Meine Stimme klingt nicht ganz so tief und fest wie beabsichtigt, aber der Kerl hat’s gehört. Widerwillig löst er den Blick von Elisas Busen und sieht mich an, als wäre ich in eine Lebertransplantation hineingeplatzt.

«Wer bist’n du?»

«Pöhlmann.» Jetzt hab ich’s wieder: Der Mops hieß Pöhlmann! Tja, mit diesem brillanten Wissen hat der Alm-Fuzzi wohl nicht gerechnet. Ich ehrlich gesagt auch nicht. Und Elisa schon gar nicht, denn sie starrt mich an, als hätte ich gesagt: Ich bin der gesuchte Exhibitionist aus St. Pauli.

Also beeile ich mich, die Sache aufzuklären. «Möpse auf dem Mond. Von Loriot. Einer von denen hieß Pöhlmann.»

Unbeeindruckt wendet sich der Alm-Öhi wieder Elisas Busen zu. «Jedenfalls mag sie es, wenn man …»

«Möpse auf dem Mond?» Elisa scheint jetzt nicht mehr in der Stimmung für sinnentleertes Busengeglotze. «Sag mal, Tom, tickst du noch ganz richtig? Ist das einer von diesen schweinischen Filmen, die dein Freund Luke dir immer andrehen will?»

Ich will gerade etwas erwidern, als der Wildbach-Gigolo angesichts unserer kleinen Diskussion schadenfroh in seine löchrige Brustbehaarung kichert. Sehr witzig.

Konfuzius sagt: Ein Edler sollte in seinen Worten bedächtig,

aber umso flinker in seinen Taten sein.

Tja, was das für meinen speziellen Fall bedeutet, dürfte ja wohl klar sein: Es ist an der Zeit, dem Alm-Öhi mal ordentlich eins auf die Zwölf zu donnern.

Allerdings muss ich damit rechnen, dass bei Elisa, die ja offenbar schon Loriot nicht kennt, auch in Sachen Konfuzius eine immense Wissenslücke klafft. Sie wird mich also möglicherweise nicht als edlen Mann flinker Taten begreifen, sondern eher als schnöden, von niederen Emotionen getriebenen Raufbold.

Ich reiße mich deshalb zusammen und sage diesmal mit der gewünscht festen und sehr tiefen Stimme: «Ich bin Tom. Elisas Freund.»

Der Alm-Don-Juan schenkt mir einen Blick, als wolle er sagen: Das war vor zwanzig Minuten, Alter, jetzt gehört sie mir!, entscheidet dann aber, dass ich es nicht wert bin, angesprochen zu werden. Wortlos dreht er sich wieder zu Elisa, packt sie bei den Schultern und drückt ihr links und rechts einen Kuss auf die Wange. Anschließend schiebt er sie auf Armeslänge von sich weg und schaut ihr tief in die Augen. Und das alles, um sie gleich darauf noch einmal komplett an sich zu reißen.

«Passt auf euch auf …»

PASS DU LIEBER AUF DICH AUF, DU AUSGEKACKTER GERMKNÖDEL!

Pah, soll er sie doch drücken, mir doch egal. Dann schmerzt es ihn nur noch mehr, dass Elisa gleich mit mir nach Hause geht und sich auf meinem Sofa räkeln wird.

Konfuzius wäre stolz auf meine Selbstbeherrschung.

«Waff!»

«Waffwaff! Waffwaff!»

Elisa geht spontan in die Hocke, um den Gnom zu streicheln. Wieder strahlt sie den Alm-Typen an. «Siehst du, sie will sich von dir verabschieden!»

Hä?

Das war wohl eine geheime Unterhaltung unter Aliens, denn ich verstehe kein Wort. Das Einzige, das mir zum Thema Verabschieden spontan einfällt, ist, dass es wirklich an der Zeit ist, diesen Porno-Jodler samt seines Jack-Black-Zwerges zurück auf die Skihütte zu katapultieren.

«Tschüs dann!», sage ich bestimmt und will Elisa schon mit mir zerren, da raunt der Alm-Typ nochmal inbrünstig:

«Ja, ich glaube, ich geh jetzt lieber schnell, bevor das hier noch zu emotional wird …» Also, falls er mich damit meint, hat er recht. Bei mir fehlt nämlich nicht mehr viel und ich polier ihm die Hardy-Krüger-Fresse.

Elisa steht mit dem Hund auf dem Arm auf, nimmt eine seiner Pfoten und wackelt damit in der Luft rum.

«Winkewinke.»

O Mann, ist das peinlich! Das Wort Fremdschämen bekommt eine ganz neue Dimension. Genauso niveauvoll wäre ein Nachmittag mit Richterin Salesch und ihren Komparsen in der Fußgängerzone.

«Tschüs, ihr Süßen!»

Na endlich, der Germknödel trollt sich. Muss ich erwähnen, dass er mich keines Blickes mehr gewürdigt hat?

Dummerweise hat er aber den Jack-Black-Zwerg vergessen.

Sie versteht sofort, wendet den Hundeklops strahlend in meine Richtung und sagt: «Sieh mal, Mäuschen, da ist dein neues Herrchen. Sag schön Halloooo.» Dabei schwenkt sie nochmal enthusiastisch den Hundebollen.

Falls der Mopsklops überrascht sein sollte, lässt er sich das nicht anmerken. Im Gegensatz zu mir. Ich stehe kurz vor einem doppelten Bypass.

«Sein neues was?» Noch besteht Hoffnung, dass ich mich verhört habe.

«Sein neues Herrchen. Du bist jetzt sein neues Herrchen, To-hom.» Sie sagt das ganz langsam, so als wäre ich gehörlos und müsste von ihren Lippen ablesen. «Gregor wird beruflich nach Kanada versetzt und kann Melanie nicht mitnehmen. Genau genommen bist du also ihr neues Herrchen.»

«Wer ist denn überhaupt dieser … Gregor?» Ein Mann mit diesem Namen kann doch eigentlich nur Alleinunterhalter sein. Oder Modedesigner. Beides halte ich in seinem Fall allerdings für ausgeschlossen.

«Gregor ist der Chef vom I-Team in meiner neuen Agentur», erklärt Elisa genervt und streichelt dem Mops das speckige Fell.

«I-Team? Ich kenne nur das A-Team. Aber da hätte der Jodelfuzzi definitiv keine Überlebenschance.»

«Informationstechnik, Tom. IT – das ist ein Wortspiel. Statt IT-Team.»

«Oooooh, wie originell.» Ich rolle mit den Augen. «Und weil der Kerl international Karriere macht, hat er uns seinen fetten Hund vererbt?»

Ich will das einfach nicht glauben. Aber offenbar habe ich den Bogen überspannt, denn nun geschieht etwas, das

Oh-oh. Das ist der Sag-jetzt-bloß-nichts-Falsches-Blick, der mir signalisieren soll: Diskussion zwecklos. Und damit hat sie zweifelsohne auch recht.

In meiner kurzen Beziehungszeit habe ich nämlich durchaus schon ein paar Dinge gelernt. Unter anderem, dass es in einer solchen Situation nicht besonders ratsam ist, sich auf das dünne Eis eines spontanen Streitgespräches zu begeben. Kein Mann übersteht das, ohne einzubrechen.

Außerdem kenne ich Elisa inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie die ganze Geschichte hier von langer Hand geplant hat. Vom Telefonat mit der versprochenen Überraschung bis hin zu ihrem tief ausgeschnittenen Kleidchen wurde nichts dem Zufall überlassen. Ihre Möpse als Ablenkungsmanöver im Kampf um den kleinen Mops – was für ein perfider Trick. Hinzu kommt, dass sie für die vorangegangene Inszenierung sicher auch einen Plan B für den Streitfall bereithält. Und auch dieser wurde vermutlich bereits seit Tagen geprobt und facettenreich durchgespielt. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass es irgendwo eine Stelle geben würde, an der glasige Augen und ein paar Tränen vorgesehen sind.

Aber in die Falle tappe ich nicht. Nicht dieses Mal.

Vielleicht ist es egal, dass Elisa im Winter unsere Wohnung (die eigentlich meine Wohnung ist!) auf vierzig Grad heizt, weil sie angeblich sonst erfriert. Es ist vermutlich auch nicht so wichtig, dass ich neuerdings mein Leben nach einem Putzplan ausrichte. Und ich kann mich sicher auch irgendwann damit abfinden, dass Elisa meine Tageszeitung auseinanderrupft, bevor ich sie lesen kann. Womit ich mich aber garantiert niemals abfinden kann, ist der Gedanke an

Nicht, dass ich keine Tiere mag. Das ist es nicht. Ich liebe sie geradezu. Im Zoo, auf dem Teller oder hinter Nachbars Gartenzaun. Aber nicht in meinem Verantwortungsbereich. Niemals!

Hunde haben ständig Erwartungen. Genau wie Frauen. Am schlimmsten sind dabei die stillschweigend gestellten Erwartungen, die man also eigentlich gar nicht erfüllen kann. Wegen deren Nichterfüllens man aber in jedem Fall bestraft wird. Hunde strafen einen auch. Mit Blicken, Stoßseufzern oder Aus-dem-Maul-Stinken. Bäh!

Ich will keinen Hund. Fertig, aus. Und erst recht keinen, der aussieht wie die Ratte von Paris Hilton. Denn das Ganze ist nicht zuletzt auch eine Frage der Größe.

In den Augen eines normal gearteten Mannes kann man ja wohl erst dann von einem Hund sprechen, wenn das Tier wenigstens eine Schulterhöhe von fünfzig Zentimeter hat. Aber dieser Klops hier ist ja kaum größer als ein Osterhase. Ein Hund für Guido Westerwelle vielleicht, aber doch nicht für mich!

«Sag jetzt nichts, Tom», säuselt Elisa, setzt den Schrumpfhund auf den Boden und greift nach meiner Hand. Als sie mich kurz darauf hinter sich herzieht, sind ihre wippenden Brüste das Einzige, das mich – zumindest auf kurze Sicht – gnädig stimmt.

Moment mal! Eine Kleinigkeit wäre da allerdings schon noch.

«Der Hund heißt Melanie???»

Meine Stimme muss sich überschlagen haben, denn unvermittelt hört Elisa auf zu hüpfen und presst ihren Mund an mein Ohr.

«Du wirst dich an sie gewöhnen. Warte erst, bis wir zu

Gut, okay. Ich werde die Diskussion um den Vierbeiner so lange hintanstellen, bis wir das getan haben. Danach werde ich mir ebenfalls eine überzeugende Strategie zurechtlegen und erneut angreifen. Man muss ja auch nicht immer alles sofort ausdiskutieren.

 

Elisa und ich wohnen im vierten Stock eines Hamburger Altbaus – eine sportliche Herausforderung an jeden Untrainierten. Für Melanie ist es der Overkill.

Nach der fünften Stufe nimmt Elisa den röchelnden Klops auf den Arm und wirft mir einen bitterbösen Blick zu, da ich mich vor Lachen kaum noch halten kann und mich dabei fast genauso asthmatisch anhöre.

In der Wohnung angekommen, beginnt sie sogleich, dem Tier ein kuscheliges Nest zu bauen. Meines Empfindens nach trödelt sie dabei extra lange, um mich angesichts der versprochenen Schweinereien noch etwas zappeln zu lassen. Aber ich kann warten …

Als Elisa schließlich wortlos in die Küche kommt, holt sie aus dem Eisfach eine Flasche Schnaps und gießt zwei Gläser ein, von denen sie eins sofort austrinkt. Dann schenkt sie wieder nach und reicht mir ebenfalls ein Glas.

Aha. Der alte Trick. Sie will mich mit Hochprozentigem gefügig machen. Aber ich bin schließlich kein Alkoholiker, der beim Anblick einer Flasche vergisst, dass ihm gerade:

  1. eine heiße Nummer versprochen und

  2. eine Art Kuckuckskind ins Nest gelegt wurde.

Dennoch kippe ich den Schnaps tapfer hinunter und schenke Elisa den fiesesten Blick, zu dem ich angesichts ihres leicht verrutschten Ausschnitts fähig bin.

Als ihre langen blonden Locken wirr über die Schultern fallen, steigt mein Hormonspiegel mit dem Blutalkoholspiegel um die Wette. Natürlich ist die Diskussion um den Verbleib des Hundes nur aufgeschoben – so leicht lasse ich mich in meinem eigenen Zuhause nicht um den Finger wickeln. Das wird ein Nachspiel haben, ich schwöre!

Elisa macht einen Schritt auf mich zu, was bei jeder Diskussion das Totschlagargument ist. Ihr Duft (sie riecht nach frischen Brötchen!) bringt mich auch nach einem halben Jahr Beziehung immer noch aus dem Konzept. Und dieses Mal hatte ich noch nicht mal eines.

Langsam fängt sie an, den Reißverschluss meiner Hose zu öffnen. Meine Wut über den Mops lässt spürbar nach. Genau genommen ist er mir in diesem Moment sogar komplett egal. Angeheizt knalle ich das Schnapsglas hinter mir auf den Küchentisch und beginne, Elisa leidenschaftlich zu küssen.

Was ist dagegen schon ein Feierabendbier mit Marc?

Gierig fasse ich sie um die Taille und bugsiere uns ins Schlafzimmer, wo wir kurz darauf unsanft aufs Bett stürzen. Endlich nimmt dieser verkorkste Abend eine glückliche Wendung!

Ich beginne, unter Elisas Kleid nach dem Slip zu fahnden, doch sie ist schneller. Flink richtet sie sich auf, setzt sich auf mich und stützt sich mit den Händen auf meinen Armen ab. Dann lässt sie ihren Unterkörper auf mir kreisen, sodass meine Hormone in den Adern zirkulieren, als wäre ich ein Teilchenbeschleuniger.

Hmmmm … Ganz langsam beugt sie sich jetzt zu meinem

Und während ich in Aussicht auf ein paar verruchte Worte schon beinahe aufstöhne, säuselt sie: «Du willst es doch auch, Tom … Du willst diesen Hund doch auch, nicht wahr? Diesen klitzekleinen, süßen, oberniedlichen, schnuckeligen, putzigen …»

Ich hatte ja keine Ahnung, wie viele Adjektive dem weiblichen Sprachzentrum zur Verfügung stehen, um einen Hund zu beschreiben – Wahnsinn!

Aber jaaaaa, ich will!!! Ich will Elisa, und vor allem will ich, dass ihr Unterleib niemals aufhört, auf mir zu kreisen. Und der Hund? Egal! Es ist ja schließlich nur ein Hund. Ein sehr kleiner Hund. So klein, dass er kaum auffällt …

«Jaaaaa!»

2. Kapitel

Der Schrumpfhund!

Irgendwie hatte ich mir das Viech tatsächlich vorübergehend aus dem Kopf gevögelt. Dummerweise habe ich nur noch diffuse Erinnerungen daran, was ich Elisa gestern alles versprochen habe, nur damit sie ihr Becken weiter auf mir kreisen lässt.

Früher, während meines Single-Daseins, war ich mir sicher, dass man nach sechs Monaten Sex mit ein und derselben Frau so routiniert (um nicht zu sagen: gelangweilt) ist, um derartige Erpressungsversuche einfach gähnend an sich abprallen zu lassen. Ein folgenschwerer Irrtum, wie ich nun feststellen muss.

Na ja, offenbar kümmert Elisa sich um den Köter, dann soll er meinetwegen erst mal bleiben. Vorübergehend natürlich nur – so weit habe ich meine Libido definitiv noch unter Kontrolle. Spätestens bei unserem nächsten Urlaub werde ich ihn in eine Hundepension geben – und einfach dort vergessen.

Uaaa, da fällt mir etwas ein. Leider haben wir gar keinen

«Nie wieder Frankreich, da gibt es so viele Spinnen!»

Stattdessen lieber Wellness. Von einem austauschbaren Hotel ins nächste. Gähn. Dafür muss man doch nicht extra nach Ägypten fliegen.

Bevor wir jedoch mit unserer Diskussion zu einer Einigung kommen konnten, hat das Schicksal in Form meines Chefs entschieden. In der Werbebranche kann man nämlich grundsätzlich keine zuverlässigen Pläne schmieden, da funkt einem immer irgendein Kunde mit einem eiligen Auftrag dazwischen.

In meinem speziellen Fall bedeutet das: In der Agentur Siegelmann gibt es momentan so viel zu tun, dass ich unmöglich weg kann. Denn da ich letztes Jahr durch – nennen wir es mal optimale Kundenbetreuung – einen Riesenetat an Land gezogen habe, ist in der damals so gut wie heruntergewirtschafteten Werbeagentur jetzt wieder die Hölle los. Dazu noch ein paar Artikel in Fachzeitschriften – und der Aufschwung war da.

Mit neuem Image und neuen Kunden sind wir erfolgreich in das Jahr gestartet. Leider machen die meisten Kunden mehr Arbeit, als dass sie Geld bringen, aber man muss sie natürlich trotzdem gewissenhaft betreuen.

Vorerst hat sie sich jedenfalls fürs Faulenzen entschieden. Und zwar ohne mich. Zwei Wochen Kroatien, zusammen mit ihrer Freundin Mashavna – na viel Spaß!

Mashavna heißt eigentlich Yvonne, braucht aber als Osho-Jüngerin natürlich einen klangvolleren Namen. Puh, ich bin heilfroh, dass ich da nicht mitfahre! Diese Naturkost-Trulla hat Elisa doch tatsächlich im letzten Jahr durch feministische Beratertätigkeit (ich nenne es Gehirnwäsche!) eingeredet, ich sei eine miese Partie. Mein inneres Kind sei verwahrlost, war ihre These, und meine soziale Rehabilitation daher aussichtslos. Außerdem befände ich mich im Saturn, was offenbar einem Todesurteil gleichkommt.

Ja, da staunen Sie, nicht?

Ich würde mir an Elisas Stelle in Kroatien lieber ein Einzelzimmer buchen. Man kann ja nie wissen, ob Mashavna nicht vielleicht mitten in der Nacht den Mond anheult, sich einen Nibelungen-Tee aufsetzt und danach – frisch gestärkt – auf ihrem Matcha-Besen um die Hütte braust.

Anstatt nun also gemeinsam in Urlaub zu fahren, muss ich Elisa nächste Woche ziehen lassen und stattdessen mal wieder die Agentur retten. Aber Kroatien hätte mich ohnehin nicht gereizt, schon gar nicht ohne Auto.[1]

Als ich wenig später in meinen alten Alfa steige, freue ich mich wie jeden Morgen, dass er anspringt. Jetzt, da es in der Firma wieder so gut läuft, wurde mir zwar ein Firmenwagen in Aussicht gestellt, aber ich konnte mich bisher einfach für kein Modell entscheiden. Außerdem fahre ich am liebsten mit geöffnetem Verdeck, und ein Cabriolet ist der Agentur natürlich zu teuer.

Kurz nach mir kommt auch Rolf mit quietschenden Reifen um die Ecke gebogen. Im Gegensatz zu mir hatte er weder Entscheidungs- noch Finanzierungsschwierigkeiten, als letztes Jahr die Agenturkasse klingelte. Gefühlte zwei Minuten nach der Gehaltsrunde war sein neues Baby bestellt: ein Lotus Super 7. Wobei da ja von neu eigentlich nicht die Rede sein kann – eher im Gegenteil. Das Teil, aus dem er sich in diesem Moment ungelenk herausschält, ist Baujahr 1969.

Wessen Knochen die dreißig bereits überschritten haben, der weiß, wie schwierig man aus einem Wagen, der nur dreißig Zentimeter über dem Boden liegt, wieder hochkommt. Und für Rolf, der bereits die Fünfzig-Marke passiert hat, ist das Aussteigen aus der verkrampften Quetschhaltung ganz offensichtlich eine Herausforderung.

Mut zur Lücke, sage ich da. Ich finde ja nicht nur die Körperhaltung in so einem Liegewagen extrem unsexy, auch die Accessoires: Sturmhaube, Krad-Brille und Fliegerjacke machen aus einem Normalsterblichen schließlich noch lange keinen Dennis Hopper.

«Moin Tom, herrlicher Tag heute, nicht?»

Rolf öffnet seine alberne Retro-Jacke und lockert das Halstuch. Mit einem Grinsen, das er sich nur bei Den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten abgeschaut haben kann, lässt er die Schutzbrille auf die Sturmhaube ploppen.

Wie kann es nur sein, dass der Typ immer gute Laune hat, auch wenn er sich gerade optisch zum Vollhorst macht? Lebt

Aber Rolf ist in seinem Glauben an die sexy Ausstrahlung seines Autos nicht zu erschüttern, und wahrscheinlich rührt daher auch seine fortwährend gute Laune. Mir soll es recht sein. Es gibt schlimmere Chefs mit ausgefalleneren Marotten.

«Moin Rolf, ja, herrlicher Tag.»

«Tom, da wir uns gerade treffen», setzt er an, während wir gemeinsam zum Fahrstuhl gehen und in die Agentur hochfahren. «Es gibt einen neuen Job, von dem ich möchte, dass du ihn betreust. Können wir uns nachher mal zusammensetzen und die Einzelheiten besprechen? Ich muss vorher nur schnell noch ein paar Telefonate führen.»

Normalerweise verheißt es nichts Gutes, wenn Rolf sich «mal zusammensetzen» will. Das letzte Mal, als er etwas Ähnliches zu mir sagte, drückte er mir den Pitch um einen siebenstelligen Werbeetat aufs Auge, der über Gedeih und Verderb der damals maroden Werbeagentur Siegelmann entscheiden sollte. Es galt, den Puddingkonzern Cremand mit einem ausgefuchsten Konzept als Kunden zu gewinnen, wobei die wichtigste Aufgabe darin bestand, ihr jüngstes Produkt auf dem Markt zu etablieren: Courti&Sahne. Ein Vanillepudding, wie er durchschnittlicher nicht hätte sein können. Aber genau dafür ist schließlich die Werbung da.

Den Etat habe ich mir jedenfalls hart erarbeitet, und der Satz Wir müssen uns mal zusammensetzen löst deshalb in mir Angstschweiß aus.

Die Fahrstuhltür geht auf, und Rolf und ich betreten das frischrenovierte Foyer der Agentur. Ein mittelgroßer, eleganter Empfangstresen, der nach dem Geldregen modernisiert wurde, thront in der Mitte. Dahinter, ebenfalls generalüberholt, erstrahlt das Gesicht meines Kollegen Klaus. Er ist unser Mädchen für alles: Empfangsdame, Tippmamsell und Papierschluse. Dabei lässt er selten ein Schwulenklischee aus. Heute steckt er in einem taillierten, weinroten Hemd, auf dessen Rücken kindskopfgroß die Initialen D&G prangen. Dirty and Gay …

«Endlich!», quietscht er. «Lydia Cremand hat schon zweimal angerufen und nach dir gefragt.»

Ich zucke zusammen, aber das «dir» galt zum Glück Rolf.

Tataraa. So schnell kann ein ganz normaler Morgen zu einem apokalyptischen Albtraum werden.

Lydia hatte mir bei unserem letzten Treffen an Weihnachten versichert, dass unsere «Geschäftsbeziehung» beendet sei und dass sie die Affäre in guter – aber vor allem stiller – Erinnerung behalten würde. Denn logischerweise sollte niemand, schon gar nicht Rolf oder ihr Mann, je auch nur ein Sterbenswörtchen davon erfahren.

Also, was will Lydia jetzt von mir? Seit dem Weihnachtsgeschäft haben wir ein paar kleinere Anzeigenmotive für eine Frühjahrskampagne von Courti&Sahne produziert, weil im Frühjahr noch eine Light-Version auf den Markt gekommen ist. Aber damit hatte ich nichts zu tun. Die Kampagne wurde hauptsächlich von Marc umgesetzt, da ich gemeinsam mit Rolf mit Neukundenakquise beschäftigt war. Leider ist keiner dieser neuen Kunden auch nur ansatzweise so finanzstark wie der Cremand-Konzern, deshalb muss Lydia weiterhin hofiert werden.

Kaum bin ich in meinem Büro angekommen, klingelt auch schon das Telefon.

«Hi Tom, ich bin’s, Luke.»

Meinen besten Freund schon um kurz nach zehn am Ohr zu haben, bedeutet meist nichts Gutes. Seit Luke aus der Affäre mit meiner Mutter eine Beziehung mit meiner Mutter gemacht hat, bin ich auf alles gefasst. Allerdings verweigere ich mich als Ratgeber in intimen Angelegenheiten. Genauso gut könnte er mich bitten, ihm bei der Samenspende behilflich zu sein – ein absolutes No-Go.

Dabei ist mir natürlich sehr wohl klar, dass Luke nicht anruft, um mit mir über die Bundesligatabelle zu plaudern. Schon gar nicht um diese Uhrzeit.

«Was gibt’s? Ist was passiert?»

Hat das vielleicht schon mal ein Mann gesagt, ohne dass er

  1. schwul,

  2. todkrank oder

  3. Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist?

«Aha, verstehe», sage ich trocken. «Wie wäre es dann, wenn du mich heute Abend zu Hause anrufen würdest, dann singe ich dir gern auch noch was vor. Ansonsten möchte ich dich freundlichst darauf hinweisen, dass es Menschen gibt, die um diese Zeit bereits arbeiten müssen!»

Nur selten kann ich mir einen Seitenhieb auf Lukes – nennen wir ihn mal – außergewöhnlichen Lebensstil verkneifen. Er testet Computerspiele und macht den Herstellern Verbesserungsvorschläge. Eine Tätigkeit, die man wohl kaum Arbeit nennen kann. Und da er diesem Hobby vorzugsweise nachts nachgeht, ist mit einem Anruf von ihm vor ein Uhr nachmittags normalerweise nicht zu rechnen. Es sei denn …

«Na ja», druckst er nun herum, «ein bisschen was ist schon passiert. Genau genommen ist es sogar dringend … Können wir uns in deiner Mittagspause treffen?»

Was habe ich gesagt, es gibt Probleme. «Meinetwegen», seufze ich. «Um eins im Maxims

«Super! Bis dann, Tom!»

Kaum hat der Hörer das Telefon berührt, klingelt es schon wieder.

«Tom, ich hab Tessa … ähm, deine Mutter dran», stottert Klaus. «Bei dir war besetzt, und da bin ich …»

«Gib schon her», blaffe ich ihn an, wohl wissend, dass er ja eigentlich nichts dafür kann, dass sich meine Mutter wie

«Ja?», belle ich.

«Schätzchen, ich bin’s!», ruft sie entzückt. «Könnten wir beide uns vielleicht heute zum Mittag treffen? Ich habe einen Termin in der Stadt und möchte meinen Großen gern zum Essen ausführen.»

Würden Sie meine Mutter kennen, wüssten Sie, dass dies ein ganz mieser Trick ist, um in meine geliebte Mittagspause hineinzugrätschen. Und in diesem Fall kann man sich ja auch pipileicht ausrechnen, mit welchem Quatsch sie mir in den Ohren liegen wird. Offensichtlich hat sie Stress mit Luke.

«Es tut mir leid, Mutter, aber ich bin bereits zum Mittagessen verabredet. Können wir es eventuell verschieben? Auf …» Aufs nächste Leben?, denke ich. Hmpf. «Auf übermorgen vielleicht?»

«Bist du mit Elisa verabredet? Hat sie sich von dir getrennt? Immerhin fährt sie allein in den Urlaub. Ich glaube …»

Ich will nicht wissen, was sie glaubt, und falle ihr genervt ins Wort. «Mutter, bitte! Mit Elisa ist alles bestens. Wir führen seit sechs Monaten eine Bilderbuchbeziehung. Ich habe mich nur rein zufällig vor zwei Minuten verabredet. Und zwar mit Luke.»

Uuuups, jetzt ist es raus.

«Mit Luke? Aber ich …»

Mutter schweigt kurz, was kein gutes Zeichen ist, und ich kann förmlich sehen, wie sie am anderen Ende des Telefons die Nüstern bläht. Hätte ich bloß die Klappe gehalten.

«Was wollte er denn?»

«Mama, woher soll ich das wissen. Ich sehe ihn doch erst nachher!» Die Logik von Frauen hat sich mir noch nie erschlossen. Keine Ahnung, wie eine von ihnen es geschafft hat, Kanzlerin zu werden.

«Also, dann bis Mittwoch?», versuche ich sie abzuwürgen und habe jetzt schon keinen Bock, mich über Luke ausfragen zu lassen.

«Äh, gut. Und überleg du dir inzwischen, wo wir hingehen wollen, ja?»

«Mach ich, Mama. Bis dann!»

«Tschüs, mein Großer. Und sag nicht Mama zu mir!»

Harrrr. Als es beim Auflegen erneut klingelt, flippe ich aus.

«Könnt ihr Zecken mich vielleicht mal fünf Minuten in Ruhe lassen», brülle ich in den Hörer und sehe leider zu spät, dass auf dem Display eine unbekannte Nummer angezeigt wird.

«Das hast du aber schön gesagt, Tom.»

Die Stimme kommt mir bekannt vor. Hm … Nochmal ein kurzer Nummerncheck: München. O Gott! Sprechen und Atmen fällt mir auf einmal sehr schwer.

«Hat es dir die Sprache verschlagen?», säuselt eine weibliche Stimme am anderen Ende. «Erkennst du mich nicht mehr?»

Lydia! Wie könnte ich sie vergessen? Ich bin eigentlich ja auch vorgewarnt worden.

«Lydia! Wie … äh, wie könnte ich dich vergessen?», stammle ich. «Lange nichts von dir gehört!» Das Zum Glück verkneife ich mir. «Wie geht’s denn so?»

Nein, hat er nicht. Mein Chef ist nämlich momentan hauptberuflich damit beschäftigt, in Gartenzwerghöhe über die Straßen zu brausen.

«Äh, dazu gab es leider noch keine Gelegenheit, hier ist viel zu tun», nehme ich meinen pubertierenden Vorgesetzten in Schutz, «und deshalb muss ich jetzt auch gleich wieder weiterarbeiten. Ich sage Rolf Siegelmann, er soll dich zurückrufen.»

Lydia ist zwar eine alte Bekannte, aber in erster Linie ist sie unsere Kundin. Und deshalb stehen Fleiß und Freundlichkeit an oberster Stelle.

«Ich bestehe aber diesmal darauf, wieder von dir persönlich betreut zu werden, Tom. Schließlich war unsere Zusammenarbeit vor einem Jahr äußerst produktiv. Du erinnerst dich vielleicht …»

Und ob ich das tue. Niemals werde ich vergessen, dass ich tagelang Blut und Wasser geschwitzt habe, um mich nicht dabei erwischen zu lassen, wie ich mir den Etat erschlafe. Bis heute glauben alle, wir hätten ihn unserer außergewöhnlich genialen Kampagne zu verdanken. Und dabei soll es auch bleiben.

«Äh, niemals werde ich das vergessen», gurre ich und habe selten etwas so ehrlich gemeint.

«Ach Tom, du bist ein schlimmer Finger. Wie geht es denn meiner Konkurrentin? Der Frau, wegen der wir unser Tête-à-Tête einstellen mussten? Hat sie dir verziehen? Oder nein, lass mich raten, du hast ihr nichts von uns beiden gesagt, stimmt’s?» Sie kichert hinterhältig in den Hörer.

Was ist heute bloß los? Dieser eben noch ganz normale Montag wird langsam, aber sicher zu einer Folge von Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast.

Lydia ignoriert meinen Einwand geflissentlich. «Eigentlich wollte ich auch nur kurz sagen, dass wir uns nächste Woche beim Shooting sehen. Du solltest dir etwas Zeit frei halten. Wir haben schließlich einiges zu besprechen, meinst du nicht auch?»

Hä? Ich versteh nur Bahnhof. Weder habe ich eine Ahnung, um was für ein Shooting es geht, noch schnalle ich, was Lydia und ich zu besprechen hätten. Falls sie aber meint, mich wieder erpressen zu können, ist sie diesmal auf dem Holzweg. Denn selbst wenn sie damit droht, alle ihre Puddingtöpfchen eigenhändig zur Konkurrenz zu schleppen, werde ich nicht nochmal mit ihr schlafen!

Ich habe nämlich jetzt eine Beziehung! Jawohl. Und nur damit Rolf weiterhin in seinem Zwergenauto um den Block düsen kann, lasse ich mich doch nicht lebenslang von so einer Puddinghexe erpressen.

«Lydia, ich …»