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Impressum

Der Autor: Mark Bego

Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2012

Deutsche Erstausgabe 2009

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,

D-30827 Garbsen.

Umschlaggestaltung: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Coverfoto: VISUAL / Action Press / picturedesk.com

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2012 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN: 978-3-85445-390-1

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-389-5

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Prolog: Die letzte Diva

Einleitung: Die Frau, die alles hatte

Kapitel 1: Familientradition

Kapitel 2: Eine glückliche Kindheit

Kapitel 3: Teenagerjahre

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Kapitel 4: Auftritt Clive Davis

Kapitel 5: Der große Durchbruch

Kapitel 6: Leben im Rampenlicht

Kapitel 7: Widersprüchliche Gerüchte

Kapitel 8: Die Diva zeigt Krallen

Kapitel 9: Bobby Brown und Bodyguard

Kapitel 10: Filmstar

Kapitel 11: Erste Risse

Kapitel 12: Ärger mit dem Gesetz

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Kapitel 13: Whatchulookinat? – Wasglotznso?

Kapitel 14: Der Absturz

Kapitel 15: Als sei ich niemals weg gewesen

Kapitel 16: Heartbreak Hotel

Quellennachweise

Diskografie

Auszeichnungen

Danksagung

Über den Autor

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Es war am Vorabend der 54. Verleihung der Grammy Awards in Los Angeles. Das Grammy-Wochenende ist in der amerikanischen Musikszene zweifelsohne die aufregendste Zeit des ganzen Jahres, und bereits in der Woche zuvor hatten sich zahllose Musiker, Produzenten, Techniker, Mitarbeiter von Plattenfirmen und Superstars in der kalifornischen Unterhaltungsmetropole eingefunden, um sich auf einer der vielen Partys blicken zu lassen, die der Verleihung vorausgehen.

Während die Grammy-Verleihung am 12. Februar im Staples Center von Los Angeles stattfinden sollte, plante der Plattenboss Clive Davis seine eigene Gala im Beverly Hilton Hotel: Wie jedes Jahr veranstaltete er eine exklusive „Prä-Grammy“-Party, bei der sich in der Regel die renommiertesten Vertreter des Musikgeschäfts einfanden und eine beeindruckende Liste von Gaststars für die Unterhaltung sorgte. In diesem Jahr zählten zu den geladenen Gästen unter anderem Tony Bennett, Jane Fonda, Joni Mitchell, Tom Hanks, Richard Branson, Sean „P. Diddy” Combs, John Fogerty, Kim Kardashian, Serena Williams, Neil Young, Britney Spears, Alicia Keys, Adam Lambert, Ray Davies von den Kinks und Sly Stone. Und noch jemand wurde für dieses Großereignis erwartet: Clive Davis’ größte Entdeckung und Freundin — Whitney Houston.

Um gleich vor Ort zu sein, mietete sie sich eine Suite im Beverly Hilton Hotel – damit war sie mittendrin im Geschehen, und wenn es an der Zeit war, bei der abendlichen Gala zu erscheinen, konnte sie einfach den Fahrstuhl nach unten nehmen und einen großen Auftritt haben. Auch sie war schon einige Tage vor den Grammys angereist; am Abend des 9. Februar zeigte sie sich bei einem Auftritt ihrer Freundin Kelly Price, der in einem Club stattfand. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: „Kelly Price und Freunde, unplugged: Grammy-Party im Tru Hollywood aus Liebe zum R&B“.

Während Kellys Auftritt kam Whitney kurz auf die Bühne, und beide sangen zusammen den Song „Jesus Loves Me“. Videoaufnahmen zeigen eine leicht verschwitzte und derangierte Houston in einem schlichten, schwarzen Kleid, und sie machte ganz den Eindruck, als ob sie an diesem Abend im Kreis ihrer Freunde großen Spaß hatte und so richtig alle Fünfe gerade sein lassen wollte. Zu der Zeit ahnte wohl noch niemand, dass dies der letzte öffentliche Auftritt sein würde, bei dem Houston je singen sollte.

Am Samstag, den 11. Februar, befand sich Whitney dann im Beverly Hilton Hotel, an der Kreuzung von Santa Monica Boulevard und Wiltshire Boulevard. Sie hatte im luxuriösen vierten Stock eine geräumige Suite bezogen, die an einer Ecke des Gebäudes lag und die Zimmernummer 434 trug.

Normalerweise waren stets einige Angestellte in ihrer Nähe. Aber für kurze Zeit blieb sie dann doch allein und beschloss, vor der Party noch ein entspannendes Bad zu nehmen.

Wie die Polizei von Beverly Hills später mitteilte, fanden ein Angestellter und zwei Bodyguards kurz darauf ihren leblosen Körper in der Wanne. Sie war bewusstlos und reagierte nicht mehr auf die Versuche, sie wieder munter zu machen. Um 15:43 Uhr rief der Angestellte den Rettungsdienst. Glücklicherweise waren Polizei und Feuerwehr bereits auf dem Gelände und schickten sofort Helfer. Doch auch die Wiederbelebungsversuche der Sanitäter blieben wirkungslos, und um 15:55 Uhr wurde Whitney Houston offiziell für tot erklärt.

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Nur wenige Stars im Showgeschäft haben so hohe Karrieregipfel erklommen wie Whitney Houston. Sie zählt zu den größten Sängerinnen in der Geschichte der Popmusik und feierte 1992 mit ihrem phänomenalen Welt-Hit „I Will Always Love You“ den Höhepunkt ihrer Laufbahn. Lange Zeit galt sie als sie Personifizierung von Schönheit und Talent und wurde auf der Konzertbühne wie auch auf der Kinoleinwand eine der erfolgreichsten Künstlerinnen aller Zeiten. Sie wurde mit zahllosen Auszeichnungen bedacht und häufte ein enorm großes Vermögen an. Aber sie stürzte auch tiefer als viele andere von den Höhen des Show-Olymps.

Nachdem Whitney 1991 den Musiker Bobby Brown geheiratet hatte, begann eine 20-jährige Pechsträhne, die vor allem von ihrem selbstzerstörerischen Verhalten geprägt war. Beruflich und privat, kreativ und psychisch ging es mit ihr stetig weiter bergab. Seit dem Jahr 2000 wurde jedes neue Album und jeder neue Karriereschritt als „Comeback“ betrachtet. Doch kaum war sie wieder neu durchgestartet, kam es regelmäßig zu Fehlentscheidungen oder persönlichen Schicksalsschlägen.

2009 landete sie mit ihrem Album I Look At You, das in den USA und auch in Deutschland Platz 1 der Charts erreichte, tatsächlich noch einmal den großen Wurf. Der Weg dorthin war hart gewesen, aber zumindest für eine Weile schien es, als ob sie es noch einmal schaffen würde, zu alter Form zurückzufinden und mit Energie, Stil und Flair auf die Bühne zurückzukehren. Doch als ihre Welttournee ein Jahr später zu Ende ging, häuften sich in der Presse niederschmetternde Kritiken über blasse, schwache Auftritte, bei denen sie schlecht oder gar nicht bei Stimme war, und zunehmend sagte sie Konzerte ab. Es war der Anfang vom Ende: Whitney Houston hatte ihre einst so herausragende Stimme verloren, und auf der Bühne überzeugte sie nicht mehr.

In den Jahren 2010 bis 2012 wurde Whitney Houstons Leben zu einer beängstigenden Achterbahnfahrt zwischen kurzlebigen Triumphen und tiefen Enttäuschungen. 2011 unternahm sie einen letzten Versuch, sich wegen ihrer Drogensucht behandeln zu lassen, und sie übernahm eine Rolle in der Neuauflage des Musikfilms Sparkle aus den Siebzigern. Anfang 2012 geisterte dann jedoch das Gerücht durch die Presse, Whitney sei pleite und ihre Drogensucht schlimmer als je zuvor. Ihr plötzlicher, tragischer Tod am 11. Februar 2012 war gerade deshalb so traurig und erschütternd für ihre Millionen Fans auf der ganzen Welt, weil ihr Absturz aus einer so großen Höhe erfolgte. Seit dem Beginn ihrer Karriere in den achtziger Jahren war sie zum Schallplatten- und Filmstar aufgestiegen und aus ihr war eine glamouröse Showbiz-Diva geworden. Sie war berühmt und erfolgreich, aber dennoch hatte sie das nicht immer glücklich gemacht. Was war geschehen? Was war schief gegangen? Hatte sie nicht immer alles gehabt - „Didn’t we almost have it all“, wie sie selbst 1987 in ihrem großen Hit gesungen hatte?

Whitney Houstons Karriere wurde von Anfang an sorgfältig geplant und organisiert. Sie wurde buchstäblich ins Showgeschäft hineingeboren. Ihre Cousine ist die Pop-Ikone Dionne Warwick. Ihre Mutter Cissy Houston war in den Sechzigerjahren die Leadsängerin der Girlgroup The Sweet Inspirations, deren Backgroundgesang auf Hits von Legenden wie Aretha Franklin und Luther Vandross zu hören ist. Mit Whitneys eigener Laufbahn schließlich erfüllte sich der Musikmogul Clive Davis einen persönlichen Traum. Sicher, die junge Whitney war sehr hübsch und hatte eine phänomenale Stimme, aber es war Davis, der zwei Jahre lang daran arbeitete, ihr die richtigen Songs zukommen zu lassen und die richtigen Produzenten zu finden, die ihr natürliches Talent schließlich ins beste Licht setzten.

Ihr erstes Album Whitney Houston erreichte 1985 die Spitze der US-Charts und verkaufte sich weltweit zweiundzwanzig Millionen Mal. Ein internationaler Hit nach dem anderen wurde daraus ausgekoppelt, und es ist immer noch das bestverkaufte Debütalbum aller Zeiten. Der Nachfolger, Whitney aus dem Jahr 1987, vertraute auf denselben Mix und wurde zur ersten Platte eines weiblichen Stars, die in die amerikanischen Billboard-Charts von Null auf Eins einstieg. Ihr drittes Werk, I’m Your Baby Tonight von 1990, ging zehn Millionen Mal über die Ladentische.

Während der ersten elf Jahre ihrer so erfolgreichen Karriere als Sängerin und Schauspielerin galt sie weltweit als eine bezaubernde, schöne, selbstbewusste und talentierte Künstlerin mit phänomenaler Stimme. Sie kleidete sich stilsicher und elegant, erschien stets mit makelloser Frisur in der Öffentlichkeit und stand souverän auf berühmten Bühnen wie der New Yorker Carnegie Hall.

Allein in den USA verzeichnete Whitney Houston elf Nummer-Eins-Hits: „Saving All My Love For You“, „How Will I Know“, „Greatest Love Of All“, „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“, „Didn’t We Almost Have It All“, „So Emotional“, „I Will Always Love You“, „Where Do Broken Hearts Go“, „I’m Your Baby Tonight“, „All The Man I Need“ und „Exhale (Shoop, Shoop)“. Sie gewann sechs Grammys, einundzwanzig American Music Awards sowie einen Emmy und wurde in Deutschland mit dem prestigeträchtigen Bambi als „Beste internationale Künstlerin“ ausgezeichnet. Es schien, als gäbe es nichts, was sie nicht erreichen konnte.

1992 wurde Houston außerdem zum Filmstar, als sie an der Seite von Kevin Costner die weibliche Hauptrolle in dem Kinohit Bodyguard übernahm. Auf dem Soundtrack zum Film fand sich Whitneys größter Hit „I Will Always Love You“, der weltweit vierunddreißig Millionen Mal verkauft wurde. Der Soundtrack zu ihrem zweiten Film Warten auf Mr. Right wurde zum meistnominierten Album in der Geschichte der Grammy-Verleihungen. Und der Soundtrack ihres dritten Films Rendezvous mit einem Engel, der sich fünf Millionen Mal verkaufte, wurde zum meistverkauften Gospelalbum aller Zeiten. Damals wurde alles, was Whitney Houston berührte, zu Gold. Sie war die strahlende Pop-Prinzessin, der eine gute Fee alles Glück der Welt geschenkt zu haben schien.

Auf ihren eigenen Wunsch hin schlug sie mit ihrem Album My Love Is Your Love einen anderen Kurs ein und wandte sich mehr dem HipHop-Soul zu; außerdem erschuf sie sich ein etwas härteres Image. Zwar war diese Platte weniger erfolgreich als ihre früheren Werke, fand aber immer noch ein großes, internationales Publikum. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie dann ein Greatest Hits-Album, das zehn Millionen Mal abgesetzt wurde. Damit endete ihre Zusammenarbeit mit Clive Davis für einige Jahre. Nach Ansicht vieler Kritiker war dies der Beginn ihres Abstiegs, im Studio wie auf der Bühne. Tatsächlich folgte nun für Whitney Houston eine sieben Jahre dauernde Pechsträhne.

Während ihrer Ehe mit Bobby Brown verwandelte sie sich in eine unberechenbare, verzweifelte Frau, deren Leben völlig aus den Fugen geriet. Die temperamentvolle, liebenswerte Whitney, in die sich die Welt in den Achtzigern und frühen Neunzigern verliebt hatte, war nicht mehr wiederzuerkennen.

Im Jahr 2001 schien ihre Welt zu zerbrechen. Es sah so aus, als wollte Whitney selbst mit aller Macht jenes Erfolgsimage zerstören, das so sorgfältig und mühevoll für sie aufgebaut worden war. 2005, als das amerikanische Fernsehen die imageschädigende Reality-Serie Being Bobby Brown zeigte, wurde Whitney Houston in der Presse als arrogant, unzuverlässig, drogensüchtig und paranoid dargestellt, als Frau, die sowohl ihr gutes Aussehen als auch ihre Stimme leichtfertig ruiniert hatte. Selbst ihre treuesten Fans wandten sich allmählich von ihr ab.

Die Hochzeit mit dem durchaus talentierten, aber schwierigen „Bad Boy“ Bobby Brown hatte zu starken Veränderungen in ihrem Leben geführt. Damit hatten der in der Presse ausführlich dokumentierte Drogenmissbrauch begonnen, die abgesagten Konzerte, das öffentliche Abkanzeln von Fans und die Konflikte mit dem Gesetz, und schließlich sah Whitney auch noch erschreckend dünn und ausgezehrt aus. Früher hatte ihr Name auf einem CD-Cover einen weltweiten Hit garantiert. Nun musste sie plötzlich feststellen, dass sie von den Radiomachern ebenso ignoriert wurde wie von den Schallplattenkäufern.

Bobby Brown war ursprünglich in den Achtzigern als Mitglied der R&B-Gruppe The New Edition bekannt geworden. Später machte er jedoch vor allem wegen seiner betrunkenen Pöbeleien, der handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Whitney in aller Öffentlichkeit und seiner notorischen Fremdgeherei Schlagzeilen. Neben der gemeinsamen Tochter mit Whitney Houston hat er eine Reihe unehelicher Kinder, und es ist vielleicht typisch, dass ausgerechnet ein Song mit dem Titel „Humpin’ Around“ – zu deutsch etwa „Rumbumsen“ – zu seinem größten Solo-Hit wurde. Es war ihm zuzuschreiben, dass sich Whitney immer mehr von ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Fans entfernte.

Unter seinem Einfluss entstand 2002 das spannungsarme Album Just Whitney, von dem weltweit nicht mehr als drei Millionen Exemplare abgesetzt werden konnten. Als erste Single wurde der defensive, paranoide Song „Whatchulookinat“ ausgekoppelt, der in den Charts überhaupt keinen Eindruck hinterließ. Der Blick der Öffentlichkeit ruhte inzwischen nicht mehr wohlwollend und liebevoll wie früher auf Whitneys einst so klassischer Schönheit, sondern war eher mit dem Entsetzen und Staunen zu vergleichen, das man angesichts eines Verkehrsunfalls empfindet.

Nur wenige Künstler haben je die Höhen erklommen, die Whitney Houstons Karriere bereithielt, und noch weniger sind in so kurzer Zeit so tief gefallen. Lange zählte sie zu den beliebtesten Sängerinnen und Schauspielerinnen weltweit und wurde wegen ihrer hervorragenden Stimme gefeiert. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends versank Whitney im Sumpf der Schlagzeilen. Sie beklagte sich öffentlich, die Boulevardpresse versuche sie fertigzumachen und ihren Namen zu beschmutzen. Dennoch war es immer noch sie selbst, die für die schockierenden Neuigkeiten sorgte.

Sie galt plötzlich als drogensüchtiger, unberechenbarer, unzuverlässiger, arroganter, abgehalfterter Star von gestern. Und trotz dreier erfolgreicher Hollywood-Produktionen wollte auch niemand aus dem Filmgeschäft noch etwas mit ihr zu tun haben. Zudem kursierten seit Jahren Gerüchte, ihre Ehe mit Bobby Brown sei ein reines Täuschungsmanöver, während sie in Wirklichkeit lesbisch sei.

Dass ihre Karriere derartig zerfiel, hatte auch mit ihrem ausgemergelten, müden Aussehen zu tun – und mit der Tatsache, dass sie die hohen Töne, die einst mühelos aus ihrer Kehle gedrungen waren, nun einfach nicht mehr traf. War Whitney Houston unter den schädigenden Einfluss ihres kriminellen Ehemanns geraten? Oder zeigte sie nun erst ihr wahres Gesicht? Der absolute Tiefpunkt ihrer Karriere war zweifelsohne ihr Auftritt in der scheußlichen Reality-Show Being Bobby Brown, in der sich das berüchtigte Duo als abstoßendes Paar präsentierte, das Drogen nahm und sich gegenseitig immer tiefer in den Abgrund hinabzog.

Dann endlich ließ sich Whitney Houston 2007 offiziell von Bobby Brown scheiden, und beinahe unmittelbar darauf begann sie, an ihrem Comeback zu arbeiten. Kaum dass Bobby Brown von der Bildfläche verschwunden war, kehrte der Mann zurück, der stets an sie geglaubt hatte, und der sie zu einer international berühmten Sängerin gemacht hatte: Clive Davis. Er erklärte es zu seinem persönlichen Ziel, Whitney Houston wieder zu dem großen Star zu machen, der sie einmal gewesen war.

Die Öffentlichkeit liebt Erfolgsgeschichten. Aber noch mehr lieben es die Menschen, wenn jemand erst strauchelt, um dann zurückzukehren, mit noch größerer Kraft und noch größerer Entschlossenheit. Und es gibt niemanden im Showgeschäft, der das besser hinbekommen hätte als Whitney Houston. Mit dem Album, das Clive Davis 2009 für sie erschuf, I Look To You, ist sie zurückgekehrt – als schillernder Superstar.

Whitney verblüffte die Welt mit ihrem Talent, ihrem guten Aussehen und ihrer ausdrucksvollen Stimme. Sie wurde eine einzigartige Sängerin und eine preisgekrönte Schauspielerin. Als sie in Ungnade fiel und ihr Leben in Scherben lag, stand es auf Messers Schneide, wie ihr weiteres Schicksal aussehen würde. Whitney verblüffte die Welt mit ihrem Talent, ihrem guten Aussehen und ihrer ausdrucksvollen Stimme. Sie wurde eine einzigartige Sängerin und eine preisgekrönte Schauspielerin. Und als das Album I Look At You 2009 die Charts stürmte und die Single „I Didn’t Know My Strength“ ein Hit wurde, sah es für kurze Zeit so aus, als würde sie den Traum noch einmal leben können, als würde sie ein neues Erfolgskapitel in der Geschichte ihrer Karriere aufschlagen.

Doch dann zeigte die gescheiterte Welttournee, dass sie völlig unzuverlässig geworden war, dass ihre Stimme keine Kraft mehr hatte und es um ihre Gesundheit nicht zum Besten stand. In Australien fiel sie völlig durch, und bei einigen Konzerten verließen die Besucher noch während ihrer Show die Hallen. Ihre Europa-Tournee begann mit der Absage der Gigs in Paris, Manchester und Glasgow. Zwar war in den Presseerklärungen von krankheitsbedingten Problemen die Rede, aber andere Quellen wollten wissen, dass der Grund dafür in ihrem fortgesetzten Drogenmissbrauch lag. Das führte wiederum dazu, dass die Konzertpromoter in den USA kein Interesse mehr daran hatten, sie für Live-Shows in den Staaten zu buchen.

Whitney Houston stand einmal an der Spitze des internationalen Showgeschäfts. Sie hatte alles, und dann verlor sie alles. 20 Jahre lang war sie einen selbstzerstörerischen Weg gegangen, und schließlich deutete alles darauf hin, dass sie an ihrer exzessiven Lebensführung und dem Drogen- und Alkoholmissbrauch zugrunde ging. Zwar wurden die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung nach ihrem plötzlichen Tod nicht umgehend veröffentlicht, aber dennoch wurde sofort spekuliert, dass ihr Drogenkonsum dazu geführt hatte, dass sie mit nur 48 Jahren von der Lebensbühne abtrat. Es gab niemandem im ganzen Showgeschäft, der mehr Talent und Möglichkeiten gehabt hatte. Ihr Name lautete Whitney Houston, und dies ist ihre Geschichte.

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Der 1. September 2009 ist ein schöner warmer Spätsommertag. Vor dem Hintergrund der Skyline von Manhattan wird im New Yorker Central Park eine große Konzertbühne errichtet, und schon seit dem Vorabend stehen Menschen Schlange, um die ersten zu sein, die am Morgen in den Zuschauerbereich gelassen werden. Sie freuen sich auf das Gratiskonzert einer Künstlerin, die einst sehr geliebt wurde, dann eine Weile verschwand und nun wieder in das Licht der Öffentlichkeit zurückgekehrt ist. Whitney Houston war erst zwanzig Jahre alt, als die Pop-Welt sich in sie verliebte. Nun, fünfundzwanzig Jahre später, ist sie wieder da und kann es kaum erwarten, den Fans zu zeigen, wie sie heute aussieht und wie sie heute klingt.

Von einem guten Aussichtspunkt aus kann man an einem klaren Tag von Newark, New Jersey aus über den Hudson River nach Osten blicken und die Wolkenkratzer der City von New York erkennen. Hier, in Newark, kam Whitney Houston vor sechsundvierzig Jahren zur Welt, und auch ihr Blick richtete sich schon bald auf die benachbarte Metropole: Sie träumte davon, eines Tages dort auftreten zu können, so wie ihre Mutter Cissy Houston, die in den New Yorker Clubs und Aufnahmestudios vor dem Mikrofon stand. Doch das Leben der kleinen Whitney fand damals noch ganz innerhalb des schützenden Familiengefüges statt.

Die Familie ist noch immer sehr wichtig für sie, auch an diesem Tag im Central Park. Für Whitney ist es seit sieben Jahren das erste große, im Fernsehen übertragene Konzert. In diesen sieben Jahren durchschritt sie sehr tiefe Täler, und nun möchte sie der Welt zeigen, dass sie wieder obenauf ist und die harte Zeit hinter ihr liegt, in der sie drogenabhängig wurde, eine bittere Scheidung erlebte und den heftigen Karriereabsturz nicht verhindern konnte, der schmerzhaft mit anzusehen war. Dabei gibt es zwei Schlüsselfiguren in ihrem Leben, die wichtiger waren als alle anderen: ihre Tochter Bobbi Kristina, inzwischen im Teenageralter, und ihre Mutter Cissy Houston. Sie sind heute ebenfalls hier, um Whitney bei ihrer Rückkehr auf die Bühne zu unterstützen.

Während ihres ganzen Lebens hat die Familie für Whitney Houston stets eine enorm große Rolle gespielt. Sie hat sie beschützt, erzogen, mit ihr gestritten und ihr das unglaubliche Talent mitgegeben, das sie überhaupt erst zum Star werden ließ. Auf ihrem 2009 veröffentlichten Album I Look To You singt sie mit „Nothin’ But Love“ ein Loblied „auf die Familie, die mich aufgezogen hat“. Bei den Houstons ist das Singen seit fünf Jahrzehnten ein Familiengeschäft.

Als ihre Mutter sie als junges Mädchen auf die Bühne holte und sie bei ihren Clubkonzerten in New York als Backgroundsängerin auftreten ließ, hieß es nicht: „Hört euch mal die Kleine mit der enormen Stimme an, das ist Whitney Houston.“ Die Leute sagten vielmehr: „Hört euch diese phantastische Kleine an, sie ist mit Dionne Warwick und Cissy Houston verwandt.“

An diesem triumphalen Tag im Central Park sind die fünftausend versammelten Fans nicht nur gekommen, um Whitney Houstons Comeback zu erleben. Sie wollen auch das neueste Kapitel ihrer Familiensaga erfahren.

Um Whitney Houstons Karriere zu begreifen, muss man sich mit dem musikalischen Vermächtnis beschäftigen, das ihr voranging. Sie entstammt einer berühmten und hochtalentierten Familie: Dionne Warwick ist ihre Cousine, und auch ihre Mutter Cissy Houston war Sängerin. Über die Jahre sollten sich das Leben und die Karrieren der drei Frauen des Öfteren überschneiden. Cissy sang auf einigen der Alben, die Dionne aufnahm, und Whitney wurde, auf Dionnes Betreiben hin, von Clive Davis entdeckt, als sie mit Cissy zusammen sang. In den Neunzigern taten sich Dionne und Whitney endlich für ein Duett zusammen, das bei Arista erschien. Whitneys Patentante ist zudem niemand anders als die Queen of Soul – Aretha Franklin höchstpersönlich. Cissy hatte bei mehreren von Arethas Platten für den Backgroundgesang gesorgt, und Whitney und Aretha nahmen später ebenfalls ein Duett auf.

Interessant ist zudem, dass es ausgerechnet jener Clive Davis war, der Vorsitzende von Arista Records, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern die Karrieren von Aretha Franklin und Dionne Warwick wieder in Schwung brachte. Als Whitney bei Arista unterschrieb, waren beide Diven dank Davis wieder so gut im Geschäft, dass Hits mit Grammy-Auszeichnung keine Seltenheit mehr waren.

Dionne Warwick blickt auf eine höchst facettenreiche Karriere als Sängerin zurück. Die jungen Amerikaner kennen sie heute zwar hauptsächlich wegen der Infomercials für das Psychic Friends Network, die sie in den Neunzigern aufnahm, aber schon in den Sechzigern und Siebzigern prägte sie mit ihrer Stimme den Sound jener Ära. In vieler Hinsicht erinnerte Whitney in ihrer Anfangszeit mit ihrem Gesang an die gefühlvollen Balladen, mit denen ihre Cousine zahlreiche Hits verbuchen konnte.

Dionne wurde als Marie Dionne Warrick in East Orange, New Jersey geboren, und sie entwickelte früh großes Interesse an Musik. Anfang der 1960er-Jahre gehörten ihre Mutter, Lee Drinkard Warrick, ihre Tante Cissy und ihre Schwester Dee Dee zu einer Gospelgruppe, die sich The Drinkard Singers nannte. Mit dieser Gruppe machte Dionne ihre ersten musikalischen Erfahrungen. Als sie später das Hartt College Of Music besuchte, gründete Dionne mit Dee Dee und einer Cousine ihr eigenes Trio, The Gospelaires.

Als Dee Dee, Dionne, ihre Mutter und ihre Tante Cissy eines Abends im berühmten Apollo Theater in New York auftraten, wurde ein Talentsucher auf Dionne aufmerksam, und sie bekam das Angebot, bei einer Aufnahmesession den Begleitgesang zu übernehmen. Bei dieser Session traf Dionne den damals noch unbekannten Komponisten Burt Bacharach. Die Zusammenarbeit der beiden zählt zu den langlebigsten Verbindungen, aus der je Hits hervorgingen, von ihrem ersten Erfolg „Don’t Make Me Over“ aus dem Jahr 1962 bis zu ihrem Nummer-Eins-Hit „That’s What Friends Are For“ (mit Stevie Wonder, Gladys Knight und Elton John) im Jahr 1986, für den die Sängerin und der Songwriter einen Grammy erhielten.

Dionne berichtete: „Ich lernte Burt kennen, als er noch mit dem Songwriter Bob Hilliard zusammenarbeitete und die beiden gerade einen Titel namens ‚Mexican Divorce‘ für die Drifters schrieben, aber noch im selben Jahr wurde der Texter Hal David sein Partner. Ich hatte ein paar Demoaufnahmen gemacht und in ihrer Anwesenheit bei Sessions die Begleitstimme gesungen, und ich nahm auch ein Demo für die Shirelles auf. Plötzlich war nicht der Song gefragt, sondern die Sängerin, und das war ich. So fing es mit unserer Zusammenarbeit an.“

Bacharach ergänzte: „Ich konnte sie einfach nicht übersehen. Dionne hatte schon damals, als ich sie zum ersten Mal sah, das gewisse Etwas, große Eleganz und ein enormes Feeling für die Musik.“ Etwas ganz Ähnliches erkannte Clive Davis Jahre später in der Musik und in der Stimme von Whitney Houston.

Dionne änderte schon bald die Schreibweise ihres Nachnamens in „Warwick“ und begann, für Burt und seinen Partner Hal David Demos aufzunehmen, für die sie pro Song vierzig Dollar bekam. Es dauerte nicht lange, und sie konnte sich einen Plattenvertrag sichern; Bacharach und David wurden als Songwriter und Produzenten ins Boot geholt. Ihre erste Veröffentlichung, „Don’t Make Me Over“, wurde im Dezember 1962 ein Top-Ten-Hit in den USA.

In den folgenden zwei Jahren sorgte Dionnes volle und ausdrucksvolle Stimme für einen Hit nach dem anderen: „Anyone Who Had A Heart“, „Walk On By“, „You’ll Never Get To Heaven“, „This Empty Place“, „Reach Out For Me“ und „A House Is Not A Home“ kamen bis an die Spitze der US-Charts. Keine andere Sängerin wurde in den Sechzigern im amerikanischen Radio so oft gespielt wie sie. Ihre Stärke waren vor allem romantische Balladen, die von den Sendern mit modernem Pop-Schwerpunkt ebenso geschätzt wurden wie von den eher traditionell eingestellten Easy-Listening-Programmen. Bacharach und David schrieben weitere Klassiker für sie, darunter „Message To Michael“, „Trains And Boats And Planes“, „Alfie“, „I Say A Little Prayer“, „(Theme From) Valley Of The Dolls“, „April Fools“, „Promises, Promises“ und „Do You Know The Way To San Jose?“.

1978 war es um sie ruhiger geworden, und aufgrund zunehmend schwächeren Materials verbuchte sie trotz ihrer überragenden Stimme kaum noch große Hits. Dennoch war Clive Davis von Arista Records auf sie aufmerksam geworden, und Dionne ließ sich zu seinem Label locken. Als es um die Frage nach einem geeigneten Produzenten ging, schlug Clive einen weiteren Arista-Künstler vor, Barry Manilow – und der sollte, als er am 22. Januar 1979 mit Dionne ins Studio ging, eines der größten Hit-Alben ihrer ganzen Karriere betreuen. Manilow selbst sagte über seinen neuen Schützling: „Sie ist bei Balladen ebenso gut wie die Streisand. Dionne ist eine der besten Sängerinnen aller Zeiten.“

Nachdem das Album Dionne im Mai 1979 erschienen war, erhielt Dionne Warwick stehende Ovationen, als sie in der Carnegie Hall auf die Bühne kam. Im Februar 1980 heimste sie zwei Grammys für die von Manilow produzierten Top-Ten-Hits „I’ll Never Love This Way Again“ und „Deja Vu“ ein. Die zwei Preise waren das Sahnehäubchen für ein Erfolgsjahr, in dem Warwick wieder an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte.

Als Whitney Houston wenige Jahre später ebenfalls Hit an Hit reihte, war Dionne Warwick unglaublich stolz auf ihre kleine Cousine und sagte: „Es ist wundervoll, dass die Welt das enorme Talent erkennt, das in Whitney steckt. Sie wird ein großer Star werden und das lange Zeit bleiben!“

Für Whitney wiederum war Dionne ein großes Vorbild. „Was ich von ihr gelernt habe“, sagte sie später, „war die Klasse, die Eleganz und die Ausstrahlung, überhaupt die ganze Art, mit der sie ihr Publikum im Griff hat.“ Gerade in den frühen Jahren war es unübersehbar, dass Whitney sich stark an der eleganten Cousine orientierte.

Im Februar 1986 stand Dionne Warwick bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles auf der Bühne, um die Auszeichnung für den besten Pop-Song einer Sängerin zu überreichen. Die Preisträgerin war niemand anders als Whitney. Die junge Sängerin sagte über den Augenblick, in dem sie darauf wartete, dass Dionne die Gewinnerin verkündete: „Ich hoffte so sehr, dass es mein Name sein würde.“ Es war ein stolzer Augenblick für eine Familie großer Sängerinnen.

Dionne Warwick kann auf eine der längsten und schillerndsten Karrieren im Musikgeschäft zurückblicken. Und spätestens als Whitney Houston sich anschickte, es ihr nachzumachen, stand fest, dass hier eine Familientradition fortgesetzt wurde.

Zwar stand Dionnes kleine Schwester Dee Dee Warrick stets im Schatten der Älteren, aber auch sie konnte beachtliche Aufnahmen vorweisen. Sie stand bei Jubilee Records unter Vertrag, als sie mit „You’re No Good“ ihre erste Single veröffentlichte, die später ein Hit für Betty Everett wurde und mit dem zuletzt Linda Ronstadt in den Siebzigern noch einmal punkten konnte. 1964 konnte Dee Dee auf Blue Rock Records eine ganze Reihe kleiner Hits verbuchen, darunter auch „We’re Doing Fine“. 1966 folgten die Hits „I Want To Be With You“ und „I’m Gonna Make You Love Me“ – ein Song, der später in der Version der Supremes und der Temptations wesentlich erfolgreicher wurde, aber trotzdem immer mit Dee Dee assoziiert wird.

In den Siebzigern wechselte sie zu ATCO Records und feierte Erfolge mit „She Didn’t Know (She Kept On Talking)“ und ihrer Version von Elvis Presleys „Suspicious Minds“. Ihr letzter Hit war 1975 „Get Out Of My Life“. 1999 würdigte die Rhythm & Blues Foundation Dee Dee Warwicks Beitrag zur R&B- und Pop-Geschichte und zeichnete sie mit dem renommierten Pioneer Award aus, den ihr Dionne persönlich überreichte. Leider starb Dee Dee, die jahrelang mit Drogenproblemen zu kämpfen gehabt hatte, 2008 nach langer Krankheit.

Doch Dionne und Dee Dee waren nicht die einzigen erfolgreichen Sängerinnen im Warwick-Houston-Clan – da gab es schließlich auch noch Cissy Houston, Whitneys Mutter. Sie sagte über sich: „Ich kann mich in meinen Liedern viel besser ausdrücken, als wenn ich rede. Beim Singen lasse ich allen Frust raus und kann die Traurigkeit und auch die Freude in mir richtig zum Vorschein bringen.“ „Ausdrucksstark“ ist tatsächlich auch das Wort, das ihre starke und einprägsame Stimme am besten beschreibt.

Zwar ist sie vor allem als Backgroundsängerin bekannt, fühlte sich deswegen aber nie so, als ob sie in der zweiten Reihe stand. „Ich habe immer gesagt: Man muss kein Star sein, um ein Star zu sein, denn ich war ein Star im Hintergrund! Vielleicht ist es auch genau das, was mir geholfen hat, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich habe auf so vielen Bühnen gestanden und mit so vielen großen Künstlern gearbeitet, wusste aber währenddessen immer, dass ich sie gesanglich jederzeit hätte übertreffen können.“ Wer Cissy Houston je live erlebt oder eine ihrer Platten gehört hat, wird das bestätigen können.

Cissy Houston, geborene Drinkard, begann 1937 in Newark, New Jersey, im Kirchenchor mit dem Singen, im zarten Alter von fünf Jahren. „Ich wollte eigentlich gar nicht“, erinnerte sie sich. „Ich fand das schrecklich. Aber da meine drei Schwestern, zwei Brüder und mein Vater dauernd sangen, hatte ich gar keine andere Chance, und so musste ich in den Kirchenchor, ob ich wollte oder nicht.“ Als die sangesfreudigen Mitglieder der Familie Drinkard schließlich die Drinkard Four gründeten, war Cissy mit dabei.

Mit sechzehn Jahren rief sie den New Hope Baptist Church Young Adult Choir ins Leben, und es dauerte nicht lange, bis sie in verschiedenen Gospelgruppen sang und dabei ihre kräftige, charakteristische Stimme ausbildete. Als sie mit ihrer Schwester und ihren Nichten Dionne und Dee Dee als The Drinkard Singers auftrat, bekam sie einen ersten Eindruck davon, wie es im Showgeschäft und in der Musikindustrie ablief. Und das war wesentlich aufregender als der Gesang im Kirchenchor. Doch dann stieg Dionne Warwick nach ihrer Schicksalsbegegnung mit Burt Bacharach aus und begann ihre erfolgreiche Solokarriere. Cissys Ehemann John Houston berichtete: „Damals dachten alle, die Drinkard Singers würde nach Dionnes Ausstieg auseinanderbrechen, aber Cissy sorgte für einen ganz speziellen Sound. Es dauerte nicht lange, da fegten sie alle anderen Backgroundsängerinnen beiseite.“

Bei ihrem ersten Engagement in einem Plattenstudio übernahm Cissy den Begleitgesang für Ronnie Hawkins & The Hawks, aus denen später die Rockformation The Band wurde. Mitte der Sechziger kamen die Drinkard Singers auch wieder mit Dionne Warwick zusammen, die sie auf dem Gospelalbum The Magic Of Believing unterstützten.

Schon bald wurde Cissy jedoch klar, dass sich mit der Gospelmusik, so sehr sie sie auch liebte, kein Geld verdienen ließ und dass der Kampf an zu vielen Fronten zu viel Kraft kostete. „Ich habe so gern mit meinen Schwestern gesungen“, berichtete sie, „aber nach einer Weile merkte ich, dass man uns als Gospelgruppe einordnete, und das lohnte sich finanziell überhaupt nicht. Ich musste weiterhin Vollzeit arbeiten, um über die Runden zu kommen, und die Doppelbelastung machte mich kaputt.“

Schließlich kam ihr der Gedanke, zusammen mit drei jungen Frauen aus dem Kirchenchor eine eigene Gesangsgruppe zu gründen. Zusammen mit Myma Smith, Sylvia Shemwell und Estelle Brown rief sie die Sweet Inspirations ins Leben, deren erstes, selbstbetiteltes Album 1968 bei Atlantic Records erschien. Gleich die zweite Single, „Sweet Inspiration“, schoss in die Top Twenty der Pop-Charts.

Nebenbei sangen Cissy und die Sweet Inspirations weiterhin die Begleitharmonien auf vielen Platten, beispielsweise auf zahlreichen klassischen Aufnahmen, die Aretha Franklin für Atlantic aufnahm. Es ist die hohe Stimme Cissy Houstons, die hinter Aretha bei „Ain’t No Way“ zu hören ist, wie auch auf vielen anderen Hits der Queen Of Soul. Darüber hinaus nahm Cissy den Begleitgesang für Wilson Pickett, Bette Midler, Neil Diamond, Paul Simon, Connie Francis, Herbie Mann, Dusty Springfield, Buddy Rich, Luther Vandross, Carly Simon, Elvis Presley, Burt Bacharach und viele andere auf.

Die Sweet Inspirations verdienten niemals viel Geld, obwohl sie stets gut zu tun hatten. Cissys Ehemann John, der die Band managte, sagte: „Die Plattenfirmen machten die Kohle, nicht die Musiker. Aber es war damals auch ein Lernprozess. Wenn man später zurückblickte und sah, wie viel Geld man liegengelassen hatte und was man vielleicht hätte besser machen sollen, dann lernte man daraus.“

1970 hatte Cissy schließlich genug davon, die Sweet Inspirations zum Erfolg zu führen, und beschloss, sich auf eine Solokarriere zu konzentrieren. Der erste Versuch scheiterte jedoch. Für Janus Records, ein kleines Label, spielte sie allerdings einen Song ein, von dem die meisten dachten, dass er sich für sie zum Hit entwickeln würde. Es handelte sich um einen Country-Song, dessen Text sie leicht abgewandelt hatte. Statt „The Midnight Train To Houston“ hieß er nun „The Midnight Train To Georgia“.

John Houston war überzeugt: „Das war ein Hit, ganz klar! Überall wurde die Platte gekauft und gespielt. Mit lausigen fünftausend Dollar hätte man genug Werbung machen können, um den Song zum Erfolg zu führen. Aber man ist leider der Plattenfirma ausgeliefert und es hängt alles davon ab, ob die das Geld für Promotion hat oder eben nicht.“

Der Song „Midnight To Georgia wurde 1973 ein Riesenhit für Gladys Knight And The Pips, der bis auf Platz 1 der US-Charts vorstieß. Cissy berichtete: „Tja, Gladys Knight nahm den Song auf, und wir wissen ja, was dann passierte. Aber Gladys war immer sehr nett und hat stets drauf hingewiesen, woher der Titel kam.“

Nicht jeder war so fair. John Houston erinnerte sich: „Es kam immer wieder vor, dass Plattenfirmen Cissy zum Star aufbauen wollten, aber jedes Mal drohten sofort ein paar große Namen auf dem Label damit, sich zu verabschieden, wenn man Cissy weiter förderte.“ Sie fürchteten die Konkurrenz durch Cissys enorm starke Stimme.

Während Cissy noch bei Janus Records unter Vertrag stand, arbeitete sie an einem Album von Burt Bacharach mit, das unter dem schlichten Titel Burt Bacharach 1971 bei A&M Records erschien. Sie übernahm dabei den Leadgesang auf „One Less Bell To Answer“, „Mexican Divorce“ und „All Kinds Of People“. Das Album erreichte Platz 18 in den Billboard-Charts und wurde, nachdem es sich mehr als eine halbe Million Mal verkauft hatte, mit Gold ausgezeichnet. Rückblickend wirkt es beinahe ein wenig ironisch, dass diese drei Songs, die zu ihren stärksten Auftritten als Sängerin zählten, ausgerechnet ein Album des Mannes zierten, der ihre Nichte Dionne als Produzent betreute – die Welt ist eben doch oft ein Dorf.

Allerdings ging es mit Cissys Karriere in den Siebzigern nicht besonders gut voran. „Ich weiß nicht, was da falsch lief“, sagte sie. „Aber ich war irgendwann total genervt. Ich war schon so lange in dem Geschäft, und es hat mich sehr entmutigt, wenn ich sah, dass Leute, die quasi erst gestern angefangen hatten, schon an die Spitze der Charts stürmten. Eine Zeitlang dachte ich darüber nach, aufzuhören und mich nur noch um meine Familie zu kümmern. Aber innerlich wusste ich, dass ich immer wieder zur Musik zurückkehren würde.“

Cissy arbeitete eine Weile als Backgroundsängerin, bevor sie 1972 wieder die Sweet Inspirations zusammentrommelte, um an Aretha Franklins Album Young, Gifted And Black mitzuarbeiten.

1976 eroberte in New York ein neuer Trend die Musikszene – ein Sound, den man Disco nannte. Plötzlich nahmen alle Songs im Disco-Stil auf. Cissy hatte sich damals auf den kleinen Bühnen und Clubs von New York einen guten Namen gemacht und war vor allem für ihre Soul-Version eines Songs aus dem Broadway-Musical Annie bekannt geworden, der „Tomorrow“ hieß. Niemand im ganzen Musikgeschäft konnte diesen Titel so singen wie Cissy Houston. Die Zuschauer strömten in kleine Clubs wie das Reno Sweeney in Greenwich Village oder den Dinner-Club Les Mouches an der Kreuzung 11th Avenue und West 26th Street. 1977 schließlich hatte Cissy mit dem Album Cissy Houston, das auf Private Stock Records erschien, den wohl größten LP-Erfolg ihrer Karriere. „Tomorrow“ war darauf ebenso enthalten wie „He Ain’t Heavy, He’s My Brother“ und „Make It Easy On Yourself“ – Coverversionen, die so gut waren, dass sie die Originale vergessen ließen.

Es schien unvermeidlich, dass Cissy 1978 ebenfalls auf den Disco-Zug aufsprang. Alben mit Balladen verkauften sich nicht mehr – die Leute wollten tanzen und sonst nichts. Cissys größter Disco-Hit war von eben jener Energie geprägt, mit der sie sonst die Songs anderer Künstler veredelt hatte. „Think It Over“ wurde zu einem echten Disco-Knüller.

In den Achtzigern trat Cissy weiterhin in den New Yorker Clubs auf und nahm schließlich ihre junge Tochter mit, Whitney, die nun ihrerseits die Begleitung ihrer Mutter übernahm. Cissy selbst sang auch weiter Background-Vocals; sie war beispielsweise auf allen Platten von Luther Vandross zu hören und auch auf all jenen, die der Sänger für Dionne Warwick und Aretha Franklin produzierte, die damals beide bei Arista Records unter Vertrag standen. Cissy konnte es noch nicht ahnen, aber genau bei diesem Label sollte auch ihre Tochter eines Tages zu einem der größten Stars der Musikbranche werden.