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Nr. 84

 

Stadt der Amazonen

 

von W. K. Giesa

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für die Sache der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held Gorgan, die nördliche Hälfte der Welt, verlassen und Vanga, die von den Frauen regierte Südhälfte der Lichtwelt, erreicht, wo er von der ersten Stunde seines Hierseins an in gefährliche Geschehnisse verstrickt wurde.

Diese Geschehnisse nahmen ihren Anfang im Reich der Feuergöttin, wo Mythor für Honga, einen aus dem Totenreich zurückgekehrten Helden, gehalten wurde. Es kam zur Begegnung mit Vina, der Hexe, und Gerrek, dem Mann, der in einen Beuteldrachen verwandelt worden war. Es folgten Kämpfe mit Luftgeistern und Amazonen, es kam zu Mythors Gefangenschaft, zur Flucht und zu erneuten Kämpfen mit denen, die sich an Mythors Fersen geheftet hatten.

Gegenwärtig setzt Mythor alles daran, den Hexenstern zu erreichen, wo er seine geliebte Fronja, die Tochter des Kometen, in schwerer Bedrängnis weiß.

Mythors Pläne werden jedoch durchkreuzt. Nach dem Kampf gegen die Namenlose halten Gegner und Gefährten den Sohn des Kometen für tot – doch Mythor lebt, wie wir wissen. Unbeweglich, in magischem Schlaf liegend, wird er von der Sturmbrecher, Burras Schiff, zur Insel Ganzak gebracht – zur STADT DER AMAZONEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Der Sohn des Kometen im Zauberbann.

Scida, Kalisse und Gerrek – Mythors Getreue.

Sosona – Eine Hexe übt Verrat.

Tertish, Gudun und Gorma – Burras Amazonen.

Ciffa – Eine Arenakämpferin.

1.

 

In dem Moment, in dem das Floß mit dumpfem Knall die Kaimauer berührte, geschah es.

Ciffa hatte es kommen gesehen. Etwas war anders gewesen als sonst. Eine winzige Kleinigkeit nur, die einem normalerweise nicht auffiel, aber irgendwie hatte die Amazone es gespürt. Auf dem Floß war etwas geschehen, das die Kontrolle durchbrach.

Jetzt erhob das Ungeheuer sich brüllend. Armdicke Taue rissen mit peitschendem Knallen. Die Bestie, groß wie ein kleines Haus, reckte sich auf dem schwankenden Floß empor und pendelte gefährlich hin und her.

Ciffa presste die Lippen zusammen. Sie war zu weit entfernt, um eingreifen zu können. Und selbst wenn sie nahe genug gewesen wäre, hätte sie es nicht getan. Sie war Arenakämpferin, und ihre Kamize würde sie aus ihrer Kampfgruppe ausstoßen, wenn sie ihre Kräfte auf diese Weise vergeudete und ihre Gesundheit aufs Spiel setzte. Mochten andere sich mit dem Ungeheuer herumschlagen.

Für ein paar Herzschläge drohte es ins Wasser zu stürzen. Aber dann schlug der massige Vorderkörper des dicht behaarten Riesenwesens auf dem Kai auf. Krallenbewehrte Klauen streckten sich, lange Krallen bohrten sich in den Steinbelag, fanden mit albtraumhafter Sicherheit die Fugen und gruben sich dazwischen in die lockeren Füllungen. Mit jähem Ruck schnellte sich das Biest vollends an Land.

Wieder stieß es sein schauerliches Brüllen aus. Ciffa fühlte, wie sich unter der leichten Rüstung ihre Bauchdecke mit dumpfem Druck bemerkbar machte. Unwillkürlich riss die Amazone beide Hände an die Ohren. Nah genug war die Bestie, um mit ihrem überlauten Gebrüll Menschen taub werden zu lassen.

Laute Warnschreie ertönten. Ein Horn gellte und mischte seinen misstönenden Klang in das Gebrüll des Pelzriesen.

Augen, groß wie ein Menschenkopf, glühten rötlich, und von diesen Augen besaß das Prachtexemplar gleich acht Stück, die an allen Seiten des Kopfes saßen.

Kriegerinnen stürmten herbei. Arbeiter flohen in wilder Hast. Das graue Ungetüm machte zwei Schritte vorwärts und hatte damit gleich zehn Mannslängen zurückgelegt. Schwertlanzen blitzten im Sonnenlicht auf. Kriegerinnen wichen wieder zurück, suchten nach weittragenden Waffen.

Innerhalb weniger Augenblicke verwüstete das Ungeheuer den Kai. Dort, wo Fässer und Ballen aufgestapelt waren, um auf ein Schiff verladen zu werden, das am späten Nachmittag einlaufen sollte, wirbelten die riesigen Pranken. Holz splitterte, Stoff und Seile rissen. Fässer mit Honig zerplatzten unter den wütenden Hieben oder wurden ins Wasser geschleudert. Ein Regenschutzdach faltete sich zusammen wie eine Blätterhütte. Und wieder brüllte die Bestie.

Ciffa wechselte das Standbein. Sie befand sich auf erhöhter Position, von wo aus sie das Einlaufen der Galeere beobachtet hatte, die das Floß hinter sich her zog. Das Ungeheuer war für die Arena bestimmt und war gefesselt und in magischem Schlaf befangen gewesen. Doch etwas hatte nicht geklappt. Vielleicht hatte die Hexe, die den Zauberbann gesprochen hatte, versagt. Das Ungeheuer war zu früh erwacht.

Die Männer in abgerissenen Kleidern, die es hatten an Land zerren sollen, waren schreiend geflohen. Auch die Kriegerinnen wichen mehr und mehr zurück.

Kein Wunder, dachte Ciffa. Sie war froh, nicht in der direkten Kampfzone zu sein.

Das Ungeheuer zögerte jetzt. Ein paar geworfene Schwertlanzen steckten in seinem massigen Körper. Der riesige Schädel pendelte hin und her. Die glühenden Augen richteten sich auf alles, was sich bewegte. Schaudernd betrachtete Ciffa die starken Schenkel der Bestie. Die Muskeln des Tieres waren angespannt.

Woher es stammte, konnte Ciffa nicht sagen. Sie sah diese Kreatur zum ersten Mal in ihrem Leben und erhielt sofort den richtigen Eindruck. Und gegen eine solche Bestie sollten Arenakämpferinnen antreten? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Selbst ein Dreigespann würde nicht in der Lage sein, das Monstrum aufzuhalten.

Geschweige denn, es zu besiegen ...

Wilde Schreie erklangen. Kommandos, Befehle. Jede der Amazonen unten im Hafen glaubte die richtige Jagdmethode zu kennen und wollte sich nicht den Gedanken anderer unterordnen. Die Folge war ein heilloses Durcheinander.

Das Ungeheuer, von dem Ciffa nicht einmal die Artbezeichnung kannte, zögerte nicht mehr. Es sprang und überwand mit diesem einen Sprung die ganze Breite des Kais. Der massige Körper krachte mit voller Wucht in einen Lagerschuppen und walzte ihn zur Hälfte flach. Wieder flogen alle möglichen Brocken Handelsware durch die Luft, als das Biest zu toben begann.

Zeboa!, dachte Ciffa. Warum setzen sie die Katapulte nicht ein?

Kaum gedacht, war es endlich soweit. Irgendjemand in einem der Wehrtürme, die den riesigen Freihafen von Spayol weit überragten und für dessen Sicherheit garantierten, war auf den richtigen Gedanken gekommen.

Ein pfeifendes Geräusch lag in der Luft. Ciffa sah einen grauen Schatten von einem der näher stehenden Wehrtürme herabzucken. Dann bohrte sich der gewaltige Bolzen, in anderen Fällen in der Lage, massive Wandungen von Kriegsschiffen mühelos zu zerschlagen, in den Körper der Bestie. Das graufellige Ungeheuer zuckte zusammen und richtete sich ganz langsam auf die Sprungbeine auf. Hoch ragte es jetzt empor und verhielt in der Bewegung.

Da pfiff ein zweiter Bolzen, dreimal mannslang und zwei Ellen dick mit eiserner Plattenspitze, vom nächsten Wehrturm und traf den Nacken der wunden Bestie.

Wie vom Blitz gefällt brach das furchtbare Tier zusammen und ebnete dabei den Rest der Lagerhalle ein.

Wieder erklangen laute Schreie. Die Kriegerinnen wagten sich jetzt näher heran, zögerten aber noch, weil sie nicht sicher waren, ob das gewaltige Tier auch wirklich tot war. Aber als es sich nach längerer Zeit immer noch nicht rührte, konnten sie sicher sein.

Endlich erschien jemand auf der Fläche, die etwas zu sagen hatte. Die Hafenkommandantin! Mit herrischer Stimme gab sie ihre Anweisungen und befahl, das tote Ungeheuer fortzuräumen und die Schäden zu beheben. Schwitzende Männer duckten sich unter ihren Befehlen und machten sich an die kräftezehrende Arbeit. Kriegerinnen und Arbeiter, die verletzt oder getötet worden waren, als die Bestie mit ihrem Toben begann, wurden geborgen.

Aber Ciffa wusste, dass es noch Stunden dauern konnte, bis im Hafen wieder Ordnung einkehrte.

Mit langsamen Schritten stieg die hagere Amazone die Stufen hinunter. Sie sah ein weiteres großes Schiff zwischen Raak und Eeno hindurch in den Hafen gleiten, ein Schiff, wie es größer und stärker keines in Vanga gab. Sie kannte es aus den Beschreibungen.

Es war die Sturmbrecher, das Kampfschiff der Burra von Anakrom.

 

*

 

»Land!«, schrie der Beuteldrache. »Land! Land!«

Kalisse betrachtete ihn eine Weile und verfolgte seinen Freudentanz, dann hieb sie mit der Eisenfaust gegen die mit harten Panzerplatten geschützte Reling des Kampfschiffs. »Willst du, dass es regnet?«, fragte sie.

Gerrek hielt jäh in seinen hektischen Bewegungen inne. Verständnislos starrte er die Amazone der Zambe an. »Wie meinst du das?«

Kalisse grinste hinterhältig.

»Ich habe von einem primitiven Volksstamm gehört«, begann sie. »Bei längeren Dürreperioden versuchen sie dort Wettergötter zu beschwören. Sie hüpfen wild hin und her, schreien unverständliche Dinge, und nach einer Weile beginnt es zu regnen. Meist sturzbachartig. Das ganze nennen sie Regenzauber.«

Gerrek rollte mit seinen Glubschaugen und sah unwillkürlich zum Himmel empor, ob sich schon dräuende Regenwolken bildeten. Dann aber kippte sein langer Drachenschwanz wieder nach unten. »Du willst mich foppen!«, schrie er die Amazone an. »Du glaubst wohl, mich auf den Arm nehmen zu können! Weißt du überhaupt, wen ich vor mir habe?«

»Mit leidlicher Sicherheit«, murmelte Kalisse.

Gerrek fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum, »Unverfrorenheit! Mich mit einem primitiven Regenzauber zu vergleichen! Weib, dreistes ...«

Kalisse grinste nur und wandte sich um. Sie hatte Gerrek wieder einmal mit Erfolg auf die Palme gebracht.

Scida berührte ihren Ellenbogen. »Sag mal«, begann sie. »Ich bin ja weit herumgekommen in Vanga, aber von diesem primitiven Volksstamm habe ich bisher noch nichts gehört.«

Kalisse zuckte nur mit den Schultern.

Schweigend lehnte sich Scida gegen die hohe Reling des Kampfschiffs. Die Erinnerungen brachen wieder über sie herein. Damals ... wie lange war es jetzt her, dass sie ein eigenes Schiff befehligt hatte? Sie, Scida, Zeboas Amazonenführerin aus der Walangei! Doch ihr Stern von Walang war zerschmettert worden, als sie an der Schwimmenden Stadt Gondaha anlegte. Kunak, ihr Beutesohn, war von einem herabregnenden Stein der berstenden Großen Barriere erschlagen worden. Und jetzt war auch ihr zweiter Beutesohn Mythor, den sie den Tau-Helden Honga nannten, tot. Erschlagen von den Trümmern eines unterseeischen Tempels.

Es scheint, dachte sie bitter, das Schicksal derer zu sein, die ich an mich binden will, von Steinen erschlagen zu werden!

Man hatte ihr die Kleidung, die einst Kunak und dann Mythor getragen hatte, zurückerstattet – die Kleidung eines Edlen, ungewöhnlich für einen Mann in Vanga! Aber Scida war nicht sicher, ob sie die Kraft haben würde, ein drittes Mal einen Mann zum Kämpfer heranzubilden und ihn und sich damit außerhalb der Gesellschaft zu stellen, die in Vanga herrschte.

Nicht ein drittes Mal Tod ...

Sie sah in diesen Augenblicken noch viel älter aus, als sie es in Wirklichkeit war. Scida wirkte wie eine Greisin. Sie hatte Mythor-Honga gern gehabt, und es war ihr eine innere Freude gewesen, zu verfolgen, wie er seine Fähigkeiten immer mehr vervollkommnete. Und wie er mit allen Sitten und Gebräuchen gebrochen hatte! Er war der geborene Führer gewesen. Mit ihm war Scida wieder jung geworden.

Aber jetzt war sie uralt, älter als die Welt, denn Mythor war tot. Schmerzhaft gellend klang der alten Amazone noch der durchdringende Ton des Rysha-Horns in den Ohren. Und dann war das Ende gekommen ... für die Schwarze Mutter und auch für Mythor.

Die Trümmer hatten auch ihn erschlagen. »Zaem«, knurrte Scida und merkte nicht einmal, dass sie die Fäuste geballt hatte und ihr Gesicht von ohnmächtigem Zorn verzerrt war. »Zaem, dein falsches Spiel ... Zaem, du Ungeheuer ...!«

Da packte eine harte Faust sie! Nein, zwei! Eine, die aus Fleisch und Blut war und eine aus Eisen, und aus aufgerissenen Augen sah Kalisse sie an, blass wie der Tod.

»Scida ... wie sprichst du von einer Zaubermutter? Wie hast du sie genannt? Ungeheuer?«

Da rissen vor Scidas innerem Auge Schleier auseinander.

Sie hatte eine Zaubermutter Ungeheuer genannt?

»Nein«, stieß sie hervor und wurde dabei so blass, wie Kalisse es schon war. Angst flackerte in ihrem Blick, als sie sich umsah, aber auf dem Vorderdeck der Sturmbrecher waren Kalisse, sie und Gerrek allein. Nicht einmal der Wind konnte die Worte ihren Lippen entrissen und an fremde Ohren getragen haben.

»Ja«, flüsterte sie dann und sank förmlich in sich zusammen. »Ja, Kalisse ... Ungeheuer habe ich sie genannt, die Zaem! Und wie ich sie hasse, Kalisse ... kannst du es denn nicht verstehen?«

Kalisse, die Amazone mit der Eisenfaust und den Dornen daran, schüttelte sie heftig.

»Scida, komm zu dir! Weißt du nicht, wo wir uns befinden? Auf Burras Schiff, Scida, und Burra ist Kriegerin der Zaem! Auch wenn Zaem und Burra fern sind mit dem Luftschiff Zaemora – ihre Amazonen verehren sie, und sie werden dich töten!«

Immer noch flackerte Scidas Blick.

Sie befreite sich müde aus Kalisses Griff, die so viele Sommer jünger war als sie. Verstand sie denn wirklich nicht? War sie zu jung, um Scidas Schmerz zu begreifen?

Mythor war tot!

»Scida, geh in die Unterkunft. Schlafe!«, verlangte Kalisse. »Es ist das beste für uns alle!«

»Nein«, flüsterte Scida. »Schlafen ...? Wie kann ich schlafen, wenn Mythor tot ist? Und da ... da ist der Hafen! Da ist die Insel Ganzak! Wie soll ich schlafen? Gleich ist doch alles vorbei ... gleich haben wir die Sturmbrecher zu verlassen, wie Hunde vom Schiff gejagt werden ...«

»Nein, Scida!«, widersprach Kalisse hart. »Das stimmt doch nicht! Man jagt uns nicht vom Schiff, aber wir haben zu gehen, weil es ein Schiff der Zaem ist, wir aber anderen Zaubermüttern dienen!«

»Dienen wir nicht alle Fronja, der Ersten Frau und Tochter des Lichtes?«, fragte Scida bitter und wandte sich um. Aber nicht schnell genug, und Kalisse sah Tränen in ihren Augen stehen. Müde und gebückt schlich Scida davon.

Kalisse ballte die Faust und jagte eine Verwünschung in den Wind.

Schweigend hatte Gerrek dem Disput gelauscht. Er, der sonst bei jeder Gelegenheit das Maul aufriss und seine unpassenden Bemerkungen von sich gab – er schwieg.

Auch ihm ging es nahe.

Scidas Schmerz bedrückte ihn kaum weniger als der Tod Mythors, der ihm ein verständnisvoller Freund gewesen war, der ihn zwar immer wieder nachdrücklich in seine Schranken verwies, aber dennoch aus jeder Patsche wieder herausholte.

Gerrek schniefte nur leise, und eine große Träne kam aus einem seiner beiden Glubschaugen und kullerten über den langen Nasenrücken hinunter, um dann auf die Schiffsplanken zu tropfen.

Gerrek betrauerte seinen Freund.

Dem prachtvollen Anblick des Hafens konnte auch er nicht das geringste abgewinnen.

 

*

 

Hoch oben auf der Kommandobrücke stand Tertish und führte das Kommando über die Sturmbrecher. Das Nasse Grab lag hinter ihnen und würde nach menschlichem Ermessen nie wieder zur Gefahr für Vanga werden – zu einer Gefahr, wie sie größer nicht sein konnte, weil die Schwarze Mutter, die Abtrünnige, mit ihren bösen Kräften nach der Macht gegriffen hatte.

Das Nasse Grab hatte sie endgültig verschlungen, und es gab für die Namenlose keine Wiederkehr. Es war vorbei.

Vor ihnen lag Ganzak, die Insel, auf der auch Burg Anakrom stand. Von hier war Burra einst gekommen, die mächtige Amazone, und hier waren auch Tertish, Gorma und Gudun geschult worden. Jetzt kehrten sie nach Ganzak zurück und hatten bereits vorbei an der Kochenden See das Bruchland-Riff durchquert, jene zerklüfteten Felsen, die aussahen, als hätte hier jemand einen Bergrücken mit mächtigen Hieben eines gigantischen Schwertes zertrümmert und dann halb versenkt. Felsen und Kliffe lauerten hier auf Schiffe, die im Sturm abgetrieben wurden. Tertish wusste von vielen unvorsichtigen Kommandantinnen, die mit ihren Schiffen auf das Riff gelaufen waren.

Ihr passierte es nicht. Sie hatte die Passage bereits hinter sich gebracht, die in den Hafen führte.

Spayol, die Stadt und der Hafen, lagen im Nordosten der großen Insel Ganzak. Ganzak war im Grunde weitaus mehr als eine Insel; eher schon ein kleiner Kontinent, der sich über viele Tagereisen Länge erstreckte.

Mit halb gefüllten Segeln rauschte die Sturmbrecher dem Hafen entgegen. Er war eindrucksvoll und groß. Die breite Hafeneinfahrt wurde flankiert von zwei mächtigen, hoch aufragenden Standbildern. Gut vierzig Fuß ragten sie empor, Abbilder der beiden geschlechtslosen Boten der Welthexe Vanga. Raak, der Nachtvogel mit dem scharf gekrümmten Schnabel und den großen Augen, und Eeno, die geschmeidige, flinke Katze. Einst sollte die Hexe Vanga sie erschaffen haben, auf dass sie sich vermehrten und die Welt bevölkerten. Doch zu klug waren Raak und Eeno, weitaus klüger, als Vanga geglaubt hatte. Und darum nahm sie ihnen das Geschlecht und machte sie zu ihren Boten. Doch irgendwie musste ihnen die Vermehrung doch gelungen sein – Beweis ihrer Klugheit und Raffinesse? Jedenfalls gab es überall in der Welt Vanga sowohl Raaks als auch Eenos, die je nach Land mehr oder weniger als heilige Tiere angesehen wurden und als Symbol für Weisheit und Klugheit standen.