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Klaus N. Frick:

Chaos en France

– Peter Pank in Avignon –

© 2006 Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin
in Zusammenarbeit mit dem Verlag Thomas Tilsner
Alle Rechte vorbehalten

Klaus N. Frick:

Chaos en France – Peter Pank in Avignon –

Peter Pank

Sonntag

Ich drückte die geleerte Bierdose zusammen, ließ sie zu Boden fallen und zertrat sie. Die Sohle des Springerstiefels walzte über das Blech, es knirschte vernehmlich. Eine Frau, die mit einem leichten Koffer in der Hand an mir vorbei über den Platz vor dem Bahnhof eilte, warf mir einen strafenden Blick zu. Ich grinste und hob die Dose auf. Langsam ging ich über den Platz, vorbei an »wild« parkenden Autos, zu einem Müllbehälter. Klappernd rutschte die Dose zu dem Wust aus Flaschen, Papier und Essensresten.

Ein Griff in die Hosentasche, ein kleiner Check: Ich hatte schätzungsweise dreißig Francs zusammen, das reichte nicht einmal, meine täglichen Ausgaben zu decken. Aber an diesem Tag hatte ich keine große Lust, irgendwelche Franzosen oder Touristen anzuschnorren. Es war spät am Nachmittag; jetzt wurde es ohnehin bald Zeit, daß ich Manu treffen konnte.

Als ich einige Worte in deutscher Sprache hörte, drehte ich mich zur Seite: gut ein Dutzend deutscher Urlauber, im Alter zwischen dreißig und vierzig Jahren. Der Reisebus steht garantiert unten am Fluß, dachte ich, und jetzt schauen die sich kurz vor der Heimreise noch Avignon an. Typische Touristen eben.

Schnell ging ich zu ihnen hinüber. Was in Deutschland in diesem Herbst 1986 kaum für Aufsehen sorgen würde, war in Südfrankreich völlig exotisch. Mao hatte mir am Morgen meinen Iro nachrasiert, frisch eingefärbt und gestellt. Das knallige Grün leuchtete in der Sonne, die roten Streifen dazwischen paßten gut, und die Nieten auf der Lederjacke glänzten wie frisch poliert. Ich fand, daß ich in diesem Outfit sehr gut aussah.

»Guten Tag«, sprach ich die Touristen auf deutsch an. Sie grüßten zurück, offensichtlich ein bißchen verwirrt. »Ich bin hier in Avignon gestrandet, wohne drüben auf dem Campingplatz und bräuchte Geld für die Rückfahrt nach Stuttgart. Könnten Sie mir ein bißchen Kleingeld geben?«

Die Masche funktionierte normalerweise immer. Deutsche Touristen waren nur dann freigiebig, wenn sie so etwas wie eine Notlage sahen. Hinterher wurde ihnen natürlich klar, daß ich nur geschnorrt hatte; im Moment aber ergriff sie das Mitleid, und das wollten sie üblicherweise mit Geld stillen.

Deutsche Touristen waren für mich die beste Einnahmequelle. Im Ausland überfiel sie das Nationalgefühl, da erwachten in ihnen Gedanken wie »wir Deutschen müssen zusammenhalten«, und das nutzte ich gern aus.

Ein beleibter Mann mit einer großen Kamera vor dem Bauch musterte mich mißtrauisch. »Dafür kaufen Sie sich bestimmt Alkohol«, sagte er langsam mit rheinischem Akzent und rümpfte abschätzig die Nase.

Immerhin siezte er mich. Ein gutes Zeichen. Wenn einen die Leute gleich mit »Du« ansprachen, war ein klares Verhältnis vorgegeben: sie als die Chefs, ich als der »Junge« und Untergebene.

Jetzt nur cool bleiben! Ich hob abwehrend die Hände. »Na na, jetzt übertreiben Sie mal nicht. Etwas essen und trinken muß ich ja schon zwischendurch – aber in erster Linie will ich mit der Bahn nach Stuttgart zurück.«

»Normalerweise reisen so junge Leute, die so aussehen, doch per Anhalter«, sagte der Mann. »Warum wollen Sie denn mit der Bahn fahren?«

Innerlich kochte ich bereits. Warum mußte dieser Depp ausgerechnet jetzt eine Diskussion anfangen? Wenn ich eines nicht leiden konnte, dann überflüssige Diskussion. Gib mir dein Geld, du Arsch, und laß mich in Ruhe, ich brauch’ deine Sozialarbeiter-Attitüden nicht! ärgerte ich mich in Gedanken.

Bevor ich etwas sagen konnte, mischte sich eine Frau ins Gespräch; sie stellte sich neben den Mann. Schätzungsweise dreißig Jahre alt, schlecht sah sie nicht einmal aus, abgesehen von ihren dämlich blondierten Locken. Den Ausschnitt ihrer Bluse versuchte ich zu übersehen.

»Jetzt sei mal nicht so streng zu dem jungen Mann«, sagte sie zu dem Kameraträger und drückte ihm den Ellbogen in die Seite. »Es ist doch egal, wenn er sich für das Geld etwas zu essen und zu trinken kauft.« Sie kramte in ihrer Tasche. »Ich geb’ ihm ein paar Francs.«

Junger Mann? Ich war nicht mal zehn Jahre jünger als sie. Aber ich kam mir zwanzig Jahre jünger vor. Und ich wollte nicht so enden wie diese Touristen, nicht so herumlaufen, nicht mit einer Kamera um den dicken Bauch durch französische Städte ziehen und dann hinterher in der Heimat einen Dia-Vortrag halten. Ich haßte sie alle, ich haßte ohnehin neunzig Prozent der Menschheit, und ich wollte einfach ein paar Francs von den Leuten haben und sonst nichts. War das so schwer zu verstehen?

Sie reichte mir eine Handvoll Münzen. Ich bedankte mich mit einem höflichen Kopfnicken, da sagte sie: »Sagen Sie, wir könnten Sie doch mitnehmen.« Offenbar schaute ich sie sehr verwundert an, denn sie schob nach: »Wir fahren nach Euskirchen; da könnten wir Sie irgendwo an einem Bahnhof herauslassen. In unserem Bus haben wir noch Platz. Wir können das mit dem Fahrer bestimmt vereinbaren.«

Der Mann neben ihr schnaubte, aber sie stieß ihn erneut mit dem Ellbogen an. »Jetzt sei mal nicht so!« appellierte sie. »Wir haben doch Platz frei, und der junge Mann stört uns doch nicht.«

Innerlich stöhnte ich auf. Alles, nur das nicht! Ich versuchte mir die Fahrt vorzustellen: ich für gut zehn Stunden in einer Reisegruppe dickbäuchiger deutscher Touristen, die garantiert deutsche Schlager im Radio hörten und bei besonders gelungenen Stücken begeistert mitsangen – ein Alptraum!

»Ach, wissen Sie«, begann ich vorsichtig, »das ist wirklich nicht nötig, daß Sie sich so viel Arbeit wegen mir machen.« Eine Idee flitzte mir ins Hirn. »Zudem ist meine Freundin auch hier, die muß ebenfalls mit.« Ich schenkte ihr ein Lächeln, von dem ich glaubte, daß es wie Bedauern aussah. »Meine Freundin ist gerade im Nachbardorf, weil wir einige Leute kennengelernt haben, und wird erst am späten Abend zurückkommen.«

»Schade.« Die Frau hob die Schultern. »Ich hätte Ihnen gerne geholfen.« Sie nickte mir zu, drehte sich zur Seite.

»Sie haben mir ja geholfen«, erinnerte ich sie und zeigte ihr die Hand mit den Münzen.

Der Spruch kam in diesem Moment absolut goldrichtig: Einige der anderen Touristen gaben mir ebenfalls Geld. Der Kerl mit der Kamera um den Hals schob mir sogar einen Zwanzig-Franc-Schein in die Finger. »Passen Sie auf sich auf«, brummte er, »und für das Geld kaufen Sie sich jetzt erst mal was anständiges zum Essen. Sie sehen ja ganz ausgehungert aus.«

Ich versprach alles, verabschiedete mich scheißfreundlich und sah zu, wie sie in Richtung Innenstadt abzogen. Dann atmete ich tief durch, ließ mich auf einem Randstein nieder und zählte die Ausbeute. 51 Francs und einige kleinere Münzen, das war nicht schlecht. Für heute hatte ich genug.

Solche Reisegruppen könnte es meinetwegen öfter geben. Das Geschwätz ertrug ich gerne, wenn ich dafür bares Geld bekam. Immer noch besser, als in Deutschland in einem blöden Supermarkt zu arbeiten und sich dafür von Vorgesetzten und Kunden anmaulen zu lassen.

Langsam überquerte ich den Platz vor dem Bahnhof, ging an der Post vorbei und kam auf die Allee in Richtung Papstpalast. Unter den Bäumen war es auch im heißesten Sommer angenehm schattig, doch an diesem Tag war das nicht nötig: Zwar schien die Sonne, aber sie knallte nicht so herab, wie sie das im Hochsommer tat. Man brauchte mittlerweile eine Jacke oder einen Pullover, um nicht zu frieren, die Zeit der dünnen Hemden war selbst in Südfrankreich für dieses Jahr so gut wie vorüber.

Ich schaute auf eine Uhr am Beginn der Rue de la Republique: noch massig Zeit. Für 18 Uhr hatten wir uns verabredet. Um mich nicht zu langweilen, schnorrte ich unterwegs doch einige Passanten an. Mein Französisch war nicht gut, aber mein Spruch, daß ich Geld für die Rückreise nach Deutschland brauchte, überzeugte sogar einige Einheimische. Um rund zehn Franc wohlhabender kam ich vor dem Bankgebäude an.

Da sich Manu noch nicht eingefunden hatte, lungerte ich die letzte Viertelstunde auf dem großen Platz vor dem Papstpalast herum; dabei hielt ich mich in der Sonne auf, um ihre letzte Wärme einzufangen. Die hohen Mauern des alten Palastes warfen einen tiefen, kühlen Schatten; kaum vorstellbar, daß in jedem Sommer hier große Vorstellungen abliefen, zu denen sich Zehntausende einfanden. Vor den Straßencafés standen nur noch wenige Tische und Stühle, kaum jemand saß dort. Kein Wunder, es war den meisten schon zu unangenehm, um im Freien zu völlig überteuerten Preisen ihr Bier, ihren Wein oder ihren Kaffee zu trinken.

Ich setzte mich auf eine kleine Mauer, die den Platz zur Unterstadt abgrenzte, und ließ die Beine baumeln; hier hatte ich den Papstpalast im Rücken und den Blick zur Rhône vor mir. Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht gewesen, aber das französische Bier war meist ungenießbar und vor allem in den Gaststätten viel zu teuer. Seit vier Wochen lebte ich nun hier, aber an das schlechte Bier hatte ich mich nicht gewöhnen können. Alles kann man nicht haben, schlich sich ein Gedanke in mein Hirn. Immerhin hatte ich Manu ...

Als ich nach links blickte, sah ich struppige blonde Haare; sie leuchteten richtiggehend im letzten Sonnenlicht. Sofort sprang ich von der Mauer. Kurz vor dem Eingang der Banque France holte ich die sehr schlanke Frau ein. »Hey, Manu!« schrie ich und packte sie an den Schultern.

»Hey, Peter!« Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken, ich beugte mich zu ihr hinunter, und wir küßten uns. »Hat sich’s gelohnt für dich?« fragte sie auf deutsch; Manu war Deutsche, trieb sich aber seit vier Jahren im Süden Frankreichs herum.

Ich nickte. »Klar. Insgesamt über sechzig Francs. Und wie war’s bei dir?«

»Na ja, wie immer.« Sie seufzte. »Ich hab’ der alten Dame den Haushalt saubergemacht und mich die ganze Zeit auf dich gefreut.«

»Whow! Und das soll ich glauben?« Manu arbeitete dreimal pro Woche in einem Haushalt; keine schlimme Tätigkeit, und sie brachte einigermaßen Geld ein. »Du wirst den ganzen Tag mit der Katze gespielt haben«, neckte ich sie.

Sie löste sich aus der Umarmung und grinste. »Nein. Ich hab’ wie wild masturbiert, das war spannender.«

Lachend gingen wir über die kleine Straße, verschwanden in dem Torbogen vor dem Papstpalast. Über Kopfsteinpflaster ging es eine schmale Gasse hinab, die in die Rue de la Peyrolerie überging.

»Und was machen wir heute abend mit dem vielen Geld?« fragte Manu und schnappte sich meine Hand, strahlte mich von schräg unten an. »Hast du ‘nen guten Vorschlag?«

»Ich wüßte schon was«, mimte ich den Zögernden, »aber ob ich dir das zumuten kann? Ist nicht ganz jugendfrei ...«

»Du kleiner Mistkerl!« schimpfte sie und stieß mir den Ellbogen in die Seite. »So haben wir nicht gewettet.«

Ich ließ ihre Hand los, flüchtete vor weiteren Ellbogenstößen. Wir rannten über einen kleinen Platz, flitzten kreuz und quer durch einige Gassen. Jede sah auf den ersten Blick gleich aus. In meinen ersten Tagen hatte ich Schwierigkeiten gehabt, mich zurechtzufinden. Dann aber hatte ich die Reize einzelner Höfe und Gassen erkannt; jetzt wußte ich Bescheid. In den Hinterhöfen Avignons verbargen sich die besten Geschichten.

Manu hetzte hinter mir her, immer mit wenigen Schritten Abstand. Wir rannten an katastrophal geparkten Fahrzeugen vorbei, an Menschen, die sich unterhielten. Erst als ein Auto mit quietschenden Reifen um die Ecke bog, blieb ich stehen. Der Fahrer schaute mich nicht einmal an; fast hätte er mich überfahren. Schweratmend stand ich da und starrte ihm nach.

Manu hielt keuchend neben mir. »Was ist?« fragte sie.

»Der Heini hätte mich fast über den Haufen gefahren!« knurrte ich. »So ein Arschloch!« Dann grinste ich kurz. »Da haben wir’s in Deutschland eindeutig besser, da richten die Stadtväter verkehrsberuhigte Zonen ohne Ende ein.«

Sie verzog das Gesicht. »Woran man wieder mal sieht, wie spießig du eigentlich bist. Da bricht der Deutsche in dir durch. Immer ordentlich, immer sauber, immer brav. Die Autos müssen in Reih’ und Glied stehen, und alle müssen sich an die Ordnung halten, und ...«

»Sag mal, spinnst du jetzt?« unterbrach ich sie.

»Ach? Das paßt dir nicht, wie?« Manu stemmte die Fäuste in die Seiten. »Kritik kann der Herr Punkrocker aus dem Schwarzwald nicht vertragen. Das ist ja nicht cool, das mag er nicht.«

Ich war etwas überrascht, kam mit der Situation nicht zurecht. »Sag mal«, begann ich lahm, »so geht das nicht. Ich meine ...«

»Wieso geht das so nicht? Nur weil ich mal nicht deiner Meinung bin? Du brauchst doch nicht gleich auszurasten!«

»Ich raste doch gar nicht aus.«

»Ach, verdammt noch mal! Du bist ein typischer Hundert-Prozent-Deutscher, kein Punk. Das ist doch alles nur Maskerade. Du bist ein Spießer, wie alle anderen Deutschen auch.« Sie spuckte vor mir aus. »Ich frag’ mich ja wirklich, was ich an dir finde.«

»Das frag‘ ich mich auch, verdammt noch mal!« Ich drehte mich zur Seite, ging einige Schritte weg von ihr. »Wenn du wieder mal rumspinnen willst, geh’ ich. Darauf hab’ ich keine Lust.«

Es war nicht das erste Mal, daß wir uns stritten. Manu flippte bei jeder Kleinigkeit aus, immer wieder, ich ging sofort in die Luft, und das alles nervte mich von Mal zu Mal mehr. Sie konnte die fröhlichste und liebste Frau sein und verfiel eine Minute später in Depressionen oder beschimpfte mich wüst. Ihre Stimmungsschwankungen brachten mich völlig durcheinander.

»Eigentlich sollte ich dir eine aufs Maul hauen«, schnauzte ich sie an, als sie wieder neben mir herging und mich nur wütend anstarrte. »Auf die Dauer lasse ich mir deine Launen nicht mehr bieten.«

»Dann tu’s doch, du Schlappschwanz!« schnappte sie. »Traust dich ja doch nicht.«

Als sie ein verächtliches Lachen folgen ließ, rastete ich aus. Wir standen gerade in der Nähe eines dunkelblauen Mercedes mit deutschen Kennzeichen, dessen Fahrer sich wohl in diese Gasse verirrt hatte. Ich sprang die zwei Meter zu dem Wagen hinüber und trat ihm mit voller Wucht den Springerstiefel in die Seite. Es knallte dumpf, eine tiefe Delle blieb zurück.

Das wird ein teurer Spaß, dachte ich, dann kam ich zu mir. »Jetzt aber nix wie weg!« rief ich, packte Manu an der Hand und rannte los.

Hinter mir hörte ich auf einmal Beschimpfungen, teils auf französisch, teils in deutscher Sprache. Schnelle Schritte waren zu vernehmen, ein keuchender Atem, ein Fluch auf französisch. Der Kerl, der uns verfolgte, hatte keine Chance: Manu und ich sausten so schnell um die Ecken, daß er nicht nachkam.

Manu lachte die ganze Zeit. »Du bist gut«, schnaubte sie irgendwann, »du bist wirklich gut. Unglaublich! Einfach ein Auto kaputtmachen! So was sollte mir auch mal einfallen.«

Wir flitzten durch die Rue de Saluces, dort bog eine Gasse ab, die überhaupt keinen Namen trug. Ein vergammelter Torbogen, eine Tür, die nur schräg in den Angeln hing, dann waren wir in Sicherheit. Der Innenhof hatte schon bessere Zeiten gesehen: Ich bekam den üblichen Blick auf grau in grau gefärbte Wände, auf Fenster, die teilweise mit Läden verschlossen, teilweise einfach nur blind waren, auf einige Wäscheleinen, auf schmutzigen Asphalt, der an zahlreichen Stellen brüchig war und an den anderen mit allerlei Unrat bedeckt. Es roch feucht und modrig, aber ich hatte mich an den Geruch sowie an den Anblick gewöhnt. Es gab schlimmeres.

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Wir gingen durch eine schmale Tür, die nur angelehnt war, stiegen hintereinander eine enge Treppe hinauf, bis unters Dach. Manus Wohnung, sofern man das Loch, in dem sie hauste, so nennen konnte, war nur über eine Art Leiter zu erreichen, die vom letzten Stock durch eine Dachluke ging. Wer nicht gelenkig war, kam nicht hoch. Wir schauten die Luke an, während Manu versuchte, mit einem langen Stock das Ding aufzumachen.

»Eigentlich schlau«, brummelte ich nicht zum ersten Mal, »wenn dich hier die Bullen jemals schnappen wollen, kriegen sie dich nie. Die sind zu fett und zu faul.«

»Mag sein.« Manu grinste mich kurz an; ihr Ärger war verschwunden. »Du denkst immer in solchen Dimensionen, ich bin eine staatstreue Bürgerin. Aber meine Bude und dieser Aufgang ... au Mann! Ich krieg‘ nie anständige Möbel hoch und werde immer in einem Drecksloch wohnen.«

Ich wollte etwas sagen, aber sie legte den Finger auf ihren Mund. Sie wies auf die Wohnungstür, neben der wir standen. Hier wohnte der alte Mann, der ihr die Bude unterm Dach vermietet hatte.

Der Haken am Stock verfing sich in einem schmalen Griff; Manu zog, und die Luke ging auf. Mit dem Stock holte sie die schmale Leiter herunter, dann kletterte sie hoch. Ich folgte ihr. Als wir oben waren, zog Manu die Luke wieder zu.

Es war dunkel. Ich hörte, wie sie um sich tastete, dann fand sie den Lichtschalter. Schwaches Licht flammte auf. Es erhellte den schlauchartigen Raum, der etwa zehn Meter lang und zwischen drei und vier Metern breit war. Da sich der Raum unter der Dachschräge befand, mußte man an den Seiten gebückt stehen. Mit meinem Iro kam ich nur in der Mitte des Raumes ungefährdet hindurch.

Das Zimmer war ausgesprochen karg eingerichtet: in der einen Richtung zwei Matratzen als Bett, zwei kleine Nachttische, eine billige Stereoanlage, zahlreiche Kartons, in denen Manu ihre Habseligkeiten verstaut hatte, diverse Teppiche auf dem Boden. In der anderen Richtung endete nach nur einem Meter der Raum an einer Mauer mit schräg geschnittener Tür; dahinter kam eine improvisierte Toilette mit Waschbecken und primitiver Dusche. Mir war schleierhaft, wie die unbekannten Erbauer diese Einrichtungsgegenstände hochgeschafft hatten.

Manu zog ihre schwarze Jacke aus und warf sie neben das Bett, stellte ihre Einkaufstasche ab. Ich legte ebenfalls meine Jacke zur Seite. Dann winkte sie mich zu sich.

»Komm mal her!« flüsterte sie. Wir gingen zu dem kleinen Dachfenster, das in die Schräge eingelassen war. »Laß uns ein bißchen den Mond anschauen.«

Sie öffnete das Fenster, soweit es ging. Manu schaute in die Dunkelheit hinaus, ich lehnte mich gegen sie, spürte die Wärme ihres Körpers, versuchte ihr über den Kopf zu schauen, obwohl mein Iro schon an der oberen Seite des Dachfensters kratzte. Es ging eine kühle Brise, das spürte ich, die Luft brachte Feuchtigkeit mit sich. Der Geruch von Müll und Fisch drang zu mir hoch; wenn ich die Nase in den Wind hielt, glaubte ich, das Mittelmeer riechen zu können, aber das war Einbildung. Wahrscheinlich würde es in der Nacht nieseln; wie so oft in den letzten Tagen.

Manu lächelte mich an. »Und, wie gefällt dir die Nacht?« fragte sie. »Ist der Mond nicht schön?«

»Ich kann ihn gar nicht sehen«, gab ich ehrlich zur Antwort. »Ich sehe außer der Nacht ziemlich wenig, und das reicht wohl nicht aus.« Mit meiner Rechten streichelte ich über ihren Hinterkopf. »Viel lieber würde ich was ganz anderes tun ...«

Manu fuhr auf dem Absatz herum. In diesem Moment erkannte ich, daß ich irgendwas falsches gesagt hatte. Peter Pank, du bist ein Trottel, dachte ich noch, dann explodierte Manu auch schon.

»Ficken, immer nur ficken!« zischte sie und stieß mir beide Fäuste gegen die Brust. »Sonst interessiert dich nichts. Da könnte man ja mal den Mond anschauen und ein bißchen romantisch sein, aber nichts ist. Nur ficken hat der Herr im Sinn, sonst nichts. Das ist wohl Punkrock, oder was? Ficken, von morgens bis abends, und ansonsten cool aus der Wäsche schauen und sich von der Freundin den Iro stellen lassen.«

Ich wußte, daß jetzt alles falsch war, was ich sagen würde. Wenn Manu einmal tobte, hielt sie nichts mehr.

»Moment mal«, versuchte ich mit einem halblahmen Satz die Spannungen zu mildern. »Ich hab’s doch nicht so gemeint, und überhaupt ...«

Manu unterbrach mich mit einem lauten Schnauben. »So einfach geht’s nicht!« zischte sie. »Ich dachte, du seist keiner von den Idioten, aber ich habe mich anscheinend in dir getäuscht. Du bist überhaupt nicht anders.«

Sie gab mir erneut einen Stoß, ich ging einen Schritt zurück, und sie folgte mir. Langsam ging es mir auf den Nerv. Manu schimpfte weiter vor sich hin, es schien ihr gleichgültig zu sein, was sie im Detail sagte; es waren teilweise keine konkreten Beschimpfungen gegen mich, sie fluchte und schimpfte einfach nur, und immer wieder versetzte sie mir einen Stoß. Ich ließ es geschehen.

Noch einmal versuchte ich auch etwas zu sagen. »Du bist nicht fair, Manu, und das weißt du verdammt noch mal scheißegenau.« In diesem Moment stieß ich mit der Ferse gegen die auf dem Boden liegende Matratze. Als ich taumelte, sprang Manu nach vorne und hielt mich; nötig gewesen wäre das nicht. Sie strahlte mich an, ich grinste zurück. Es war ein hilfloses Grinsen, und ich kam mir reichlich blöde vor.

»Weißt du, Peter«, sagte Manu leise, während sie mich immer noch mit beiden Händen festhielt. »Eigentlich mag ich dich ja schon.« Dann umarmte sie mich und drückte sich fest gegen mich, als wolle sie mich nie wieder loslassen.

Ich verdrehte nur die Augen. Sagen wollte ich jetzt nichts, es hätte die unverhofft positive Stimmung nur zerstört. Behutsam streichelte ich ihren Rücken, zerwühlte ihre ohnehin schon struppigen Haare. Dann beugte ich mich nach vorne und küßte sie sachte auf den Mund.

»Ich kann dich ja auch ganz gut leiden«, behauptete ich und lachte albern. »Auch wenn es manchmal schwerfällt.«

Manu fiel in das Lachen ein. »Klingt gut«, sagte sie und küßte mich zurück. Dann ließ sie mich los, ging einen Schritt zur Seite und bückte sich.

Ich sah ihren Hintern in der engen schwarzen Jeans, und sofort stiegen Erinnerungen in mir hoch. So lange war es noch gar nicht her, daß ... Ich spürte, wie mein Schwanz in der Hose steif wurde.

Nicht so schnell, Peter, redete ich mir ein, dazu ist sicher noch Zeit. »Was machst du denn da?« fragte ich, um mich selbst abzulenken.

»Ich hol’ da was raus, was uns beiden Spaß macht.« Sie wandte den Kopf und grinste erneut. »Aber nicht das, was du jetzt garantiert schon wieder denkst.« Mit einem Griff in ihre Einkaufstasche förderte sie eine Flasche Rotwein zutage. »Voilà!«

Ich setzte mich auf die Matratze, zog die Stiefel aus. Währenddessen verschwand Manu kurz im Bad, kam mit einem Korkenzieher und zwei Gläsern wieder. Sie entkorkte die Flasche, schenkte uns beiden ein und setzte sich neben mich.

Wir stießen miteinander an, tranken einen Schluck. Ich verstand überhaupt nichts von Wein, weil ich in Deutschland in den letzten Jahren nahezu ausschließlich Bier getrunken hatte; aber dieser schmeckte wirklich gut.

»Wo hast du den her?« fragte ich und nahm noch einen Schluck. »Saugut! Gratuliere!«

Sie hob die Schultern. »Geklaut hab’ ich ihn.« Manu machte eine unbestimmte Handbewegung. »Bei meinem Job komme ich eben in verschiedene Läden, und da steht so manches rum.«

Ich fragte nicht nach. Über ihren Beruf als Haushaltshilfe und sogenanntes Mädchen für alles sprach sie gar nicht gern; das war ihr alles zu blöde. Viel lieber redete Manu davon, was sie später gerne machen würde.

Wir tranken den Wein, sie schmiegte sich an mich, wir streichelten uns. Manchmal, wenn ich mit Manu zusammen war, kam’s mir vor, als seien wir ein seit Jahren verheiratetes Paar, das sich ständig stritt. An anderen Tagen hingegen war alles in Ordnung, und ich hatte das Gefühl, mit Manu erst seit zwei Tagen zusammen und frisch ineinander verliebt zu sein.

Irgendwann war die Flasche leer. Nur in den Gläsern schwappte ein Rest Wein. Ich fühlte mich ein bißchen angesoffen; Wein vertrug ich nicht so gut. Zudem hatte ich an diesem Tag nicht viel gegessen. Das war keine gute Grundlage für eine halbe Flasche Rotwein.

Manu streichelte mein Gesicht, meine Schultern, meine Arme. »Komm ins Bett«, sagte sie leise, »ich will dich jetzt spüren.«

Wir legten uns auf die Matratze. Wir umarmten uns, und ich küßte Manu zuerst auf die Nasenspitze, dann auf den Mund. Sachte umspielte ich ihre Lippen, ließ meine Zunge nach vorne gleiten.

Sanft drückte mich Manu zurück. »Du, Peter«, sagte sie langsam, »ich bin nicht aus Zucker.« Wahrscheinlich blickte ich verwundert drein, denn sie fügte hinzu. »Ich bin kein Zuckerpüppchen, ich will ficken!«

Die Heftigkeit, mit der sie erneut ihre Zunge in meinen Mund schob, überraschte mich; und das, obwohl ich schon einiges von Manu hätte gewöhnt sein müssen. Sie hatte beim Küssen die Augen geschlossen, doch als sie mit einer Hand probeweise zwischen meine Beine griff und nach meinem Schwanz tastete, sah ich, wie sie ihre Augen öffnete und mich angrinste.

Fast automatisch gingen meine Hände auf Wanderung, zerrten ihr T-Shirt aus der Hose, strichen über warme, weiche Haut. Auch Manu hatte ihre Hände unter meinem Hemd, tastete nach meinen Brustwarzen, knetete sie fast schon zu heftig. Dann strich sie mir über den Po, schob die Hand von hinten in meine Hose und versuchte unter die Unterhose zu kommen. Ich lag halb auf ihr, verlagerte meinen Schwerpunkt, damit ich sie nicht versehentlich durch mein Gewicht erdrückte, und ließ, während ich meinen rechten Arm um ihren Nacken geschlungen hatte, meine linke Hand in ihren Schritt gleiten, spürte die Wärme zwischen ihren Beinen.

Sie hatte eine dieser neumodischen Jeans an, die keinen Reißverschluß mehr hatten, die man statt dessen aufknöpfen mußte. Was seit neuestem als klassisch und zugleich als modern verkauft werden sollte, nervte in solchen Situationen. Immerhin schaffte ich es, den obersten Knopf der Hose zu öffnen; das reichte, um die Hand zwischen Hosennaht und Unterhose nach unten zu schieben.

In diesem Moment öffnete Manu ihre Augen, schaute mich direkt an; unsere Lippen lösten sich voneinander. Ihre Lippen schimmerten feucht, sie schluckte Speichel hinunter, wahrscheinlich mehr als die Hälfte von mir, und grinste erneut; ihre Augen funkelten unternehmungslustig. Mit kundigen Griffen öffnete sie meinen Gürtel und meinen Hosenknopf, zog den Reißverschluß mit einem Ruck nach unten.

»Keine Sorge, ich paß schon auf«, flüsterte sie; wahrscheinlich hatte sie einen Anflug von Entsetzen in meinem Blick wahrgenommen. »Da wird schon nichts kaputtgehen.«

Ihre kleine Hand griff in die Unterhose, umfaßte meinen steifen Schwanz, streichelte ihn zuerst sanft, dann schneller und kräftiger. Währenddessen schaffte ich es nur mit Mühe, weitere Knöpfe an ihrer Hose zu öffnen und die Finger meiner Linken unter den Bund des Slips zu schieben. Langsam massierend, bewegte ich meine Hand durch das feine Haargekräusel; viel weiter kam ich nicht.

»Manchmal stellst du dich wirklich ungeschickt an«, spottete Manu. Sie ließ meinen Schwanz los, faßte mit beiden Händen nach meiner Hose, zerrte daran.

Irgendwie klappte das auch nicht, also packte sie mein T-Shirt, zog es mir nach oben. Ich reagierte entsprechend, sie konnte es mir über den Kopf ziehen. Auf dieselbe Methode zog ich ihr T-Shirt aus. Zeit, ihre eher kleinen spitzen Brüste zu bewundern, die im Schein der jämmerlichen Beleuchtung stramm nach oben standen, bekam ich gar nicht.

Eine Art Feuer schien uns gepackt zu haben. Hektisch zogen wir uns die Hosen aus, mit einem Seitenblick registrierte ich, daß auch Manu in purer Eile die Socken anließ, fast hätte ich deswegen gekichert, aber dann verschloß sie meinen Mund mit ihren Lippen, wir lagen nebeneinander, ihre Hand griff erneut nach meinem Schwanz, und ich streichelte über ihren Hintern, ihre Oberschenkel und zwischen ihre Beine, fühlte die Wärme, die Feuchtigkeit und ... dann rollte sich Manu auf mich, ihre Brüste stachen fast schon in meinen Oberkörper, sie preßte den Mund gegen den meinen und ihr Becken gegen das meine, sie bewegte sich auf und ab und hin und her, und dann steckte mein Schwanz auch schon in ihr drin. Ich drückte meine Zunge noch tiefer in ihren Mund hinein, während sie anfing, ihr Becken rhythmisch zu bewegen.

Manu war die erotischste Frau, mit der ich jemals geschlafen hatte; so kam es mir zumindest vor, nicht nur in Augenblicken wie diesem. Es hatte nicht unbedingt viel zu bedeuten, meine sexuellen Erfahrungen waren eher unterdurchschnittlich, beschränkten sich auf eine Unzahl schlechter One-Night-Stands und Hinterhof-Fick-Affären, sparten längere Beziehungen so gut wie aus.

»Du bist so geil!« zischte Manu, als unsere Münder sich für einige Sekunden voneinander lösten, um Luft zu schnappen und den Speichel zu schlucken. Sie schob einige französische Worte hinterher, die ich nicht verstand.

Wir wälzten uns auf den zwei Matratzen, bis ich irgendwann auf ihr lag und wie ein Irrer in sie hinein pumpte, während sie meine Schulter zerbiß, um nicht zu laut zu werden, und mir mit ihren Fingern einige Kratzer im Hintern bescherte. Manu bäumte sich auf, ihr Becken wölbte sich mir entgegen, fast wäre ich von der Matratze gefallen; für eine Sekunde wurde sie schlaff, dann bewegte sie sich weiter.

»Mach mal von hinten«, flüsterte sie; ich zog meinen Schwanz ganz kurz zurück, schob ihn dann wieder hinein. Sie stöhnte verhalten. »Ich mein’s ernst«, sagte sie leise, »ich will, daß du auch kommst.«

Ich glitt ganz aus ihr heraus, sie drehte sich rasch, legte sich auf den Bauch. Manu biß mir in den Unterarm, drückte ihren Kopf ins Kopfkissen, während ich einen tiefen Stoß nach dem anderen anbrachte. Wenn Manu darüber sprach, nannte sie es »kaputtficken«, und manchmal stand sie total darauf.

Sonderlich lange ging es bei mir auf diese Weise aber nicht, es wunderte mich ohnehin, daß sie so früh gekommen war. Ich stöhnte, als ich abspritzte; danach ließ ich meinen Schwanz in Manu drin, streichelte ihr Haar und ihre Schultern, während sie ihren Kopf an meinem Oberarm barg. Langsam rutschte mein Schwanz aus ihr heraus; fast mechanisch griff Manu nach einer der Servietten, die sie auf einem Stapel neben dem improvisierten Bett liegen hatte, gab mir eine.

Kaum war mein Schwanz ganz im Freien, wischte sie auch schon mit der Serviette ihren Unterleib ab. Die Servietten legten wir sorgsam zur Seite, die würde Manu nachher aufräumen. Wir lagen nebeneinander, Arm in Arm, sagten kein Wort, schauten uns nur an. Manu hatte wieder dieses Glitzern in den Augen, als wolle sie bald weinen, eine Reaktion, die ich bei ihr schon mehrmals nach dem Geschlechtsverkehr bemerkt hatte. Ich konnte das nicht einordnen.

Meine linke Hand wanderte über ihr Haar, ihren Nacken, ihren Rücken, ihren Hintern. Ich merkte, wie sich in meinem Unterleib schon wieder etwas rührte; nur noch kurze Zeit, und ich konnte schon wieder. Vorsichtig fuhr ich mit dem Finger durch Manus Pospalte, strich auf und ab, massierte sanft den After.

»Laß das!« bat Manu leise. Meine Hand rutschte automatisch wieder zum Rücken hoch. »Heute mag ich das nicht.« Sie rutschte näher an mich heran. »Du bist so lieb«, sagte sie und gab mir einen flüchtigen Kuß.

Ich schluckte trocken. »Du auch«, sagte ich, weil mir wieder einmal nichts besseres einfiel. »Ich könnt’ die ganze Nacht so weitermachen.«

»Geht aber nicht.« Sie gab mir erneut einen Kuß, noch kleiner, noch flüchtiger als zuvor. »Du weißt ja, daß ich dich um elf Uhr rausschmeißen muß.«

Ein Blick auf die Uhr, ich hatte noch zehn Minuten Zeit. Das war die Abmachung: Um 23 Uhr hatte ich Manus Zimmer zu verlassen. Warum das so war, hatte sie mir nie erzählt, aber bisher hatte ich mich daran gehalten. Vielleicht lag es an dem alten Mann, der direkt unter ihr wohnte; vielleicht fühlte er sich durch Besuch gestört.

»Ich würd’ aber gerne die ganze Nacht bleiben«, unternahm ich einen Versuch, ihre Meinung zu ändern. »Mich hört doch echt kein Mensch, wenn ich mir Mühe gebe.«

Manu verzog das Gesicht. »Ich reg’ mich gleich wieder auf«, drohte sie mir. »Bitte mach keinen Streß, wir sehen uns ja morgen wieder.« Sie umarmte mich, gab mir einen langen, intensiven Kuß, dann rollte sie sich zur Seite, stand auf. »Tu mir den Gefallen!« sagte sie leise, bückte sich, hob die zerknüllten Servietten vom Fußboden auf und trug sie in die improvisierte Toilette.

Ich wußte, daß es keinen Sinn hatte, und dennoch war ich frustriert. Jetzt hätte ich gute Lust gehabt, mich gnadenlos zu besaufen, fand das aber in diesem Augenblick auch völlig frustrierend.

Wir vereinbarten irgendeinen Termin für den nächsten Tag, ich hörte nicht richtig zu, zog meine Klamotten an. Wir küßten uns ein letztes Mal, Manu öffnete die Luke, und ich ging.

Eine Minute später stand ich im Hof. Nach wie vor stank alles feucht und modrig, und jetzt mischte sich noch der Geruch nach Pisse hinzu. Ein Blick hoch zum Dach: Es war zu eng, ich hatte nicht einmal eine Chance, das Licht von Manus Fenster zu sehen.

Jetzt bemerkte ich, daß ich einen Druck auf der Blase hatte. Ich ging ums Eck, stellte mich zwischen zwei Mülltonnen und ein parkendes Auto und pißte gegen die Mauer, traf ein Flugblatt, das auf dem Boden lag. Teilnahmslos sah ich zu, wie es weggespült wurde und unter das Auto trieb. Es war noch nicht einmal Mitternacht, und ich fühlte mich wieder einmal scheiße.

Durch die Altstadt gehen wollte ich nicht, das Gassengewirr schreckte mich im Augenblick ebenso ab wie die Touristenmeile zwischen Papstpalast und Hauptbahnhof. Lustlos setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich unweit der Schulen den Boulevard am Fluß entdeckte. Die Rhône schob sich an mir vorüber, schwarz und stumm; weiter flußaufwärts sah ich einen Lastkahn, der nach Norden fuhr, wahrscheinlich bis nach Montélimar oder noch weiter.

Ich ging los, flußabwärts, an den Boulevards entlang, vorbei an der legendären halben Brücke, die sich nur bis zur Hälfte in den Fluß hinaus erstreckte, weiter unter dem Pont Edouard hindurch, über den ich in früheren Jahren nicht nur einmal gegangen und gefahren war, seit ich 1983 zum ersten Mal Avignon besucht hatte. Erinnerungen krochen in mir hoch, aber ich unterdrückte sie; das wäre jetzt die falsche Medizin.

Den häßlichen Park zwischen den Brücken streifte ich nur; in einem Gebüsch pißte ich noch einmal. Ich sah zwei Penner, die es sich mit Schlafsäcken zwischen den Hecken bequem machten, dann ging ich hoch, überquerte den Boulevard, weil ich keine Lust hatte, auf dem Verteilerkreuz für die vierspurigen Straßen zu landen, und stand vor den zwei großen alten Häusern, die sich direkt daneben erhoben. Sogar nachts dröhnten hier die Lastwagen vorbei und erschütterten das Gemäuer; hier wohnte der Ausschuß der Stadt, diejenigen, die sonst nirgends einen Platz oder eine Wohnung gefunden hatten.

Ich ging über den verwilderten Rasen, auf dem überall Müll lag, auf die Häuser zu, durchquerte den geteerten Platz hinter ihnen. Beide Haustüren standen offen, wie so oft. Wahrscheinlich hatte es wieder niemand für nötig befunden, sie zu schließen; ich sah es auch nicht ein und ging einfach durch die Tür des größeren Hauses.

Im Treppenhaus roch es wie immer muffig, alt und vergammelt. Die ehemals weißen Wände waren grau und voll mit häßlichen Schmierereien in französisch und arabisch; zwischendrin hatte jemand »Nazi Punks Fuck Off« geschrieben, was in diesem Haus garantiert so gut wie keiner verstand. Seit drei Wochen überlegte ich mir, ob ich mich ebenfalls in irgendeiner Art und Weise verewigen sollte.

Immerhin waren die Lichter im Treppenhaus heil; nur vor der Wohnung unter dem Dach brannte kein Außenlicht. Das störte niemand; die drei Araber, die dort wohnten, wollten ohnehin keinen Besuch empfangen und hatten es wohl am liebsten, wenn sie ihre Drogengeschäfte zwischen Hafen, Bahnhof und dem Umfeld des Zentralfriedhofes abwickeln konnten, ohne Besuche in ihrer Wohnung empfangen zu müssen.

Im dritten Stock schob ich den altertümlichen Schlüssel ins Schloß, drehte vorsichtig um, öffnete. Grinsend registrierte ich, daß G.B.H. lief, die gute alte »City Baby Attacked By Rats«. Die Tür war wie immer nicht verriegelt, was ebenso zu Mao paßte wie die Musik. Der wird in tausend Jahren noch G.B.H. hören, dachte ich.

Ich kam in die Wohnung, die Musik dröhnte lauter. Rechts ging es ins Klo, danach in die Küche, links ging es in das sogenannte Schlafzimmer, in dem auch ich untergebracht war, geradeaus mündete der Flur in einem großen Zimmer, das sogar mehrere große Fenster besaß, die auf den Hof hinausreichten. Eines der Fenster stand offen, ein kühler Wind bauschte die Vorhänge, die schon bessere Zeiten gesehen hatten und garantiert während der Französischen Revolution die schmutzige Luft Avignons gefiltert hatten.

In einem Sessel unweit der Stereoanlage saß Mao, einen amerikanischen »Playboy« in der einen, den Joint in der anderen Hand. Neben ihm stand der Bierkasten, eine halbleere Flasche davor. Maos Hose war am Bund schon offen, wahrscheinlich hatte ich ihn bei der Einstimmung aufs abendliche Onanieren gestört.

»Wo kommst denn du her?« fragte er durch das Dröhnen der Musik hindurch. »Und vor allem: Warum siehst du so fertig aus?«

»Ach!« Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. Mit einem Schritt stand ich neben der Anlage und drehte sie auf eine halbwegs erträgliche Lautstärke; die Cassette eierte ohnehin schon. Dann holte ich mir ein Bier aus dem Kasten, öffnete es mit dem daneben liegenden Feuerzeug. Den Deckel schnipste ich durch das geöffnete Fenster.

»Es ist wegen Manu«, sagte ich mutlos, während ich mich neben Mao auf dem Fußboden niederließ. »Die ganze Sache macht mich irgendwie völlig fertig.«

Wir stießen an, jeder trank einen Schluck. Mao räumte das Heft zur Seite, nahm einen kräftigen Zug von seinem Joint. Dann kratzte er sich am Schädel; ich sah die rotgefärbten Haare unter der schwarzen Mütze, die noch vor Tagen als Spikes in die Luft Südfrankreichs geragt hatten. »Was ist denn jetzt schon wieder?«

Ich hob die Schultern. »Du weißt’s ja eh «, sagte ich schleppend und trank erneut, diesmal in einem kräftigen Zug. »Wir ficken miteinander, wir lieben uns, wir verstehen uns, aber ständig hat sie diese Anfälle und sucht Streit, nervt rum, hält mich anscheinend für einen Deppen, den sie nach Belieben verarschen kann; und um elf Uhr nachts kann ich mich verdünnisieren. Das ist doch Scheiße!«

»Stimmt genau.« Mao zog an seinem Joint, blies den Rauch aus, sah gedankenverloren zu, wie er sich zur Decke kräuselte. »An deiner Stelle würde ich das auch nicht mitmachen. Aber mal ganz ehrlich ...« Er schaute mich an, beugte sich nach vorne. »... ich versteh’ dich nicht. Seit vier Wochen wohnst du jetzt hier, seit drei Wochen fickst du mit Manu, und seit drei Wochen jammerst du rum. Ich sag’ dir eins: Liebe macht blind, und sonst nichts.« Er lehnte sich zurück.

»Ach scheiße!« schrie ich auf. »Das ist doch alles scheiße.« Mit einem Zug leerte ich das Bier; dann starrte ich die Flasche in meiner Hand an.

Mao hob die Hand mit dem Joint. »Du solltest mehr kiffen«, sagte er, »das beruhigt die Nerven ungemein, kann ich dir sagen.«

»Verdammte Scheiße!« brüllte ich. »Damit ich als Hippie ende, so wie du?« Mit einer wütenden Bewegung schleuderte ich die Flasche durch das geöffnete Fenster, es klirrte hell, als sie im Hof auf dem Asphalt zerschellte. Es kümmerte mich nicht. »Ich bin Punkrocker und kein Hippie!«

Mao stierte mich an. »Sag mal, drehst du jetzt langsam durch? Da draußen hätte es jemanden treffen können.« Mit dem Finger tippte er sich gegen den Schädel. »Total plemplem, oder was?«

Ich holte mir ein neues Bier, nach wie vor stinkig. Gierig nahm ich den nächsten Schluck. »Mir geht alles auf den Sack, alles«, knurrte ich. »Manu mit ihrem Gestresse, du mit deinem Kiffen, Pico mit seinen Pillen, alle möglichen Leute nerven mich, die Stadt geht mir auf den Sack, ich glaub’, ich muß abhauen.«

»Dann geh doch, aber jammer hier nicht rum.« Mao wurde laut, so kannte ich ihn nur selten. »Ich kann jedenfalls dein Gejammer nicht mehr hören. Du liegst mir auf der Tasche und jammerst nur rum, und ...«

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»Ich lieg’ dir auf der Tasche?« unterbrach ich ihn. »Ach? Ich lieg’ dir auf der Tasche, so ist das also! Und wer zum Teufel schnorrt sich jeden Tag soviel Kohle zusammen, daß es in dieser Scheißbude auch mal was zu fressen gibt? Du denkst nur ans Kiffen, nur an deine scheißverdammte Kifferei, ich denk’ wenigstens auch ans Fressen.«

»Du bist also der Geistesriese von uns beiden«, spottete Mao und zog an seinem Joint; die rote Glut schien kurz rote Flecken in sein Gesicht zu zaubern. »Mit diesen wichtigen Gedanken bist du mir eindeutig überlegen, und diese Überlegenheit kannst du gerne haben.« Er grinste. »Außerdem möcht’ ich dich daran erinnern, daß du auch noch ans Ficken denkst, und zwar Tag und Nacht.« Jetzt lachte er sogar. »Du solltest mal hören, was du im Schlaf erzählst.«

»Was?« Meine Wut war schon verraucht. Ich nahm einen Schluck Bier. Jetzt war meine Neugierde geweckt. »Ich red’ im Schlaf? Und von was red’ ich da?«

Mao winkte nur ab. »Scheiß drauf. So genau kann man das nicht heraushören. Du murmelst ab und zu irgendeinen Mist vor dich hin, schön unartikuliert, damit man’s ja nicht versteht; du säufst einfach zu viel, mein Süßer.« Er reichte mir den Joint. »Vielleicht solltest du doch mehr kiffen, das bringt dich auf andere Gedanken.«

»Hast recht. Scheiß drauf.« Ich zog an der Tüte, inhalierte den Rauch so tief, wie es nur ging. Den Hustenreiz, den ich als ungeübter Raucher jedesmal verspürte, unterdrückte ich halbwegs gekonnt. Dann ließ ich den Rauch langsam entweichen, bevor ich den nächsten tiefen Zug nahm. »Ist gut, das Zeug«, lobte ich. »Von Pico?«

»Nee.« Mao schüttelte den Kopf, während er die Tüte zurücknahm. »Von einem der Araber über uns. Ich hab’ den Verdacht, daß die’s mit Opium gestreckt haben oder sonst einem Scheiß. Aber ... scheiß drauf!«

Opium ... gestrecktes Haschisch ... eigentlich ist das ein Widerspruch ... Ich erinnerte mich an meine ersten Jahre im Jugendzentrum, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Damals hatten einige Dealer das Haschisch auch mit Opium vermengt. So schlecht war die Wirkung gar nicht gewesen, es hatte schräge und angenehme Träume zugleich verschafft. Einige meiner Bekannten stiegen damals aber recht schnell auf andere Drogen um. Bei der ersten Beerdigung war ich noch dabeigewesen, die folgenden hatte ich mir geschenkt.

»Na ja«, meinte ich, »Opium oder anderen Dreck im Joint ignorieren? Ich weiß nicht so recht.« Nachdenklich hob ich die Schultern. »Nachher komm’ ich scheiße drauf.«

Mao lachte. »Mehr scheiße als jetzt kannst du nicht draufkommen.« Er tippte sich auf die Brust. »Schau mich an! Seh’ ich aus, als ob mir dieses Zeugs, was ich von Ibrahim oder wie er wirklich heißt gekauft habe, schaden würde? Ich seh’ doch fit wie immer aus.« Er nahm einen tiefen Zug, reichte mir erneut den Joint.

Ich winkte ab. »Laß mal«, sagte ich. »Ich merk’ schon, wie mir schummerig wird. Da ist echt was drin.«

»Ach was!« Mao lachte. »Du hast noch nie was vertragen, und du verträgst auch jetzt nichts. Das ist ganz normaler Shit, mehr nicht. Scheiß drauf!«

Du siehst aber auch nicht mehr so fit aus wie der Mao, mit dem ich ein Jahr zuvor noch in Freiburg beim G.B.H.-Konzert im »Crash« gewesen bin, dachte ich. Ich betrachtete seine roten Zotteln, die unter der Mütze hervorschauten. Das war einmal der fitteste Punkrocker im ganzen Schwarzwald gewesen. War ... gewesen ... was soll das? dachte ich. Die Zeiten ändern sich. Du warst auch schon fitter.

Es brachte nichts, über alte Zeiten nachzudenken. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche; sie war schon fast leer. »Scheiße«, maulte ich, »das Bier hier ist nichts, das trink’ ich wie Mineralwasser.« Langsam stand ich auf. »Und pissen muß ich auch ständig.«

»Ist doch klar«, rief Mao mir nach, während ich aus dem Zimmer ging. »Das Bier ist nichts für dich. Das ist gefährlicher für dich als jedes veränderte Shit-Zeugs für mich.«

»Mag sein«, murmelte ich leise, sagte aber nichts. Ich merkte die Wirkung der Rauchwaren; da war irgendwas anderes dringewesen. Dazu kam das Haschisch an sich, ich war kein starker Kiffer, sowie der Wein und das Bier: eine brisante Mischung. Fast wäre ich auf dem Weg zum Klo getorkelt.

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»Die Wasserspülung tut wieder nicht!« rief Mao hinter mir. Dann drehte er die Musik lauter. »City Baby Attacked By Rats« von G.B.H. – schon wieder oder immer noch?

Daß die Spülung nicht funktionierte, hätte ich selbst gemerkt. Auf dem Klodeckel stand der blaue Eimer, der in solchen Fällen herhalten mußte. Mein Blick wanderte über die mit Müll und schmutzigen Kleidern bis an den Rand gefüllte Badewanne, die Duschwanne, deren Vorhang im Licht der einsamen Glühbirne noch grauer und schmieriger wirkte, als er ohnehin schon war, den staubigen Boden und die vollgestopfte Waschmaschine hin zu dem kleinen Fenster, das sperrangelweit offenstand.

Mühsam öffnete ich meine Hose. Mit der einen Hand stützte ich mich gegen die Wand, mit der anderen hielt ich meinen Schwanz; so pißte ich in den Eimer. Glücklicherweise mußte ich nicht scheißen: Wenn die Spülung nicht funktionierte, was häufig genug vorkam, blieb einem nichts anderes übrig, als ins Freie zu gehen und ein Gebüsch anzusteuern. Nachdem ich fertiggepißt hatte, schüttelte ich meinen Schwanz ab, verstaute ihn in der Hose, schloß diese wieder.

Mit dem Eimer in der Hand verließ ich das Bad und trat in das Treppenhaus. Dort öffnete ich ein Fenster hinaus zur Wiese, über die ich vorhin noch gegangen war. Schwungvoll schüttete ich den Inhalt des Eimers hinaus. Zumindest ging so nichts innerhalb des Hauses auf den Boden. Irgendwann kriegt das jemand spitz, irgendwann stinkt das bestialisch, und irgendwann kriegt Mao richtig Ärger deswegen, dachte ich.

Zurück in der Wohnung stellte ich den Eimer aufs Klo und ging ins Wohnzimmer zu Mao. Dort drehte ich die Anlage leiser, nahm die Bierflasche in die Hand und nahm einen kräftigen Schluck. »Bier is’ schon wieder alle«, maulte ich.

Mao hockte nach wie vor in seinem Sessel und kratzte sich am Bauch. Seinen Joint hatte er weggeraucht, dafür hielt er jetzt eine Flasche Bier in der Hand. »Mach dir halt ‘ne Pulle auf«, sagte er. »Bist doch sonst nicht so lahm.«

»Idiot!« schimpfte ich, folgte aber seinem Vorschlag. Während ich die nächste Flasche Bier leerte, starrte ich auf das offene Fenster, auf die vom Abendwind gebeutelten Vorhänge, die Gesichter zu formen schienen.

Auf einmal klingelte es an der Tür. »Um ... um diese Zeit?« stammelte ich. »Das ist ja nicht normal.«

»Keine Sorge.« Mao erhob sich schwerfällig. »Das sind nicht die Bullen, die wollen nichts von uns. Die sind doch froh, wenn Leute wie wir uns jeden Tag zusaufen und zukiffen, dann stören wir sie schon nicht. Das wird Pico sein.«

Mao hatte recht. Er kam mit dem dunkelhaarigen, schmächtigen Kerl zurück, dessen Gesicht zur Hälfte von einem dünnen Bart bedeckt wurde. Ich kannte Pico, ich mochte ihn nicht sonderlich, obwohl er alle Bekannte mit günstigen Drogen versorgte. Seine dunklen Augen standen nie still, sie schienen in ständiger Bewegung zu sein, richteten sich mal dahin, mal dorthin; ähnliches galt für Picos Hände, die er nie ruhig halten konnte, die immer auf der Suche nach etwas zu sein schienen, was sie greifen, packen und behalten konnten. Die schmale Nase in seinem strengen Gesicht wurde von einer hellen Narbe exakt auf der Spitze geziert. Pico machte ein großes Geheimnis daraus, bei welcher Gelegenheit er sie davongetragen hatte.

»Hallo, Peter«, grüßte er auf deutsch, das er leidlich beherrschte, und ich grüßte zurück. Er zog seinen dünnen langen Mantel aus, legte ihn auf den Fußboden, setzte sich im Schneidersitz davor, fischte eine Flasche aus dem Bierkasten und öffnete sie. Den Rest der Unterhaltung bestritt er mit Mao. Ich verstand nur wenig, weil sie Dialekt sprachen. Mao, dessen Vater ursprünglich aus Arles stammte, verstand genügend Provenzalisch.

Pico redete mit wilden Gesten, die aussahen, als wolle er mit beiden Händen das halbe Universum umschließen und die nächsten paar tausend Sterne auf einmal vom Himmel pflücken. Sprach er besonders angestrengt, verließen Tausende von kleinen Speicheltropfen seinen Mund und bildeten einen kleinen Nebel, der im leeren Raum zwischen ihm und Mao auf den Boden sank und sich dort auflöste; ich sah fasziniert zu.

Das Gespräch wurde lauter und heftiger, sie schienen sich zu streiten. »Doc!« rief Pico mehrmals, und »Non!« konterte Mao jeweils mürrisch. So ging es laut hin und her, ohne daß die Kontrahenten Anstalten machten, das Gespräch handgreiflich fortzuführen und sich an die Gurgel zu gehen. Ich war mir sicher, daß es um eines von Picos vielen illegalen Geschäften ging, die der Bursche offensichtlich mit der halben Unterwelt der Stadt laufen hatte.

Mir sollte das relativ gleichgültig sein. Routiniert trank ich mein Bier aus, sah den beiden Streithähnen zu und merkte, wie ich von Schluck zu Schluck besoffener wurde.