Charles Dickens


Nicholas Nickleby



Roman

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-186-2


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Kapitel 65 - Schluß



Nach Ablauf der Trauerzeit reichte Madeline Nicholas ihre Hand zum Bunde, und zwar am selben Tag, an dem Kate mit Mr. Frank Cheeryble getraut wurde. Man hatte erwartet, Tim Linkinwater und Miss La Creevy würden bei dieser Gelegenheit offiziell das dritte Paar bilden, aber sie hatten die Einladung abgelehnt. Zwei oder drei Wochen später jedoch gingen sie eines Morgens vor dem Frühstück mitsammen spazieren; kamen ungemein heiteren Gesichtes zurück und erklärten, sie hätten sich in aller Stille trauen lassen.

Nicholas legte die Mitgift seiner jungen Gattin in der Firma Cheeryble Gebrüder an, der auch Frank beigetretert war. Nach einigen Jahren hieß die Firma Cheeryble & Nickleby, und so gingen Mrs. Nicklebys prophetische Ahnungen wirklich in Erfüllung. Die beiden Brüder zogen sich ins Privatleben zurück. Dass sie glücklich waren, ist wohl selbstverständlich. Sie lebten inmitten eines von ihnen selbst geschaffenen Glücks und lebten nur, um es noch zu erhöhen.

Tim Linkinwater ließ sich nach vielen Bitten und Drohungen herab, ebenfalls an dem Geschäfte zu partizipieren, aber niemals war er dazu zu bringen, dass sein Name mit in die Firma aufgenommen werde. Mit gewohnter Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit führte er weiter die Bücher. Er und seine Frau wohnten in dem alten Haus und behielten dasselbe Schlafzimmer bei, in dem er vierundvierzig Jahre gehaust hatte. Je älter die kleine Malerin wurde, desto heiterer und frohsinniger wurde sie, und so oft stritt man, wer glücklicher aussähe, Tim, wenn er ruhig lächelnd neben dem Kamin in seinem Armstuhl sitze, oder seine lebhafte, lachende ewig plaudernde kleine Frau, wenn sie sich unablässig im Garten zu schaffen machte. Dick, die Amsel, wurde aus dem Kontor entfernt und in einen warmen Winkel des Wohnzimmers gehängt. Unter dem Käfig prangten zwei Miniaturporträts, gemalt von Mrs. Linkinwater, sie selbst und Tim darstellend, beide nach allen Seiten lächelnd. Da Tims Kopf wie ein Dreikönigskuchen gepudert und seine Brille ungeheuer gut getroffen war, so mußte jeder Besuch ihn sofort erkennen und dabei auf die Vermutung geraten, das andere Porträt stelle seine Gattin dar, ein Umstand, der es ungemein erleichterte, richtig zu raten. So kam es, dass Mrs. Linkinwater mit der Zeit sehr stolz auf ihre Kunst wurde und die beiden Bilder zu den besten zählte, die sie jemals gemalt. Auch Tim glaubte felsenfest an die Ähnlichkeit, wie er denn überhaupt stets einer Meinung mit seiner Gattin war.

Da Ralph ohne Testament gestorben war, wurden nach dem Gesetze gerade seine bittersten Feinde, Kate und Nicholas, seine Erben. Sie scheuten sich jedoch, sich mit so schmachvoll erworbenem Gelde zu bereichern; der Gedanke war ihnen unerträglich, und sie verzichteten daher auf ihre Ansprüche.

Arthur Gride wurde wegen gesetzwidrigen Zurückbehaltens eines Testaments in Untersuchung gezogen. Den Kniffen seines Advokaten hatte er es zu verdanken, dass er freigesprochen wurde. Aber nicht zu seinem Heil, denn ein paar Jahre später brachen Diebe bei ihm ein und ermordeten ihn in seinem Bett.

Grete Sliderskew mußte gleichzeitig mit Squeers eine gewisse unfreiwillige Seereise antreten und kehrte nie wieder zurück. Brooker starb reuig. Sir Mulberry Hawk lebte ein paar Jahre auf dem Kontinent, wurde aber nach seiner Rückkehr nach England sofort verhaftet und starb so jämmerlich und elend, wie es bei so hochfliegenden edlen Seelen gewöhnlich der Fall zu sein pflegt.

Nicholas' erstes, nachdem er ein reicher Kaufmann geworden, war, dass er seines Vaters ehemaliges Haus zurückkaufte. Mit der Zeit, als eine Schar lieblicher Kinder dort spielte, wurde es verändert und erweitert, aber er ließ kein altes Zimmer einreißen, keinen alten Baum wegnehmen und nichts entfernen, woran sich Erinnerungen für ihn knüpften. Einen Steinwurf weit davon stand ein anderes, ebenfalls von munteren Kinderstimmen belebtes Landhaus, von der glücklichen Kate bewohnt.

Mrs. Nickleby wählte abwechselnd ihren Aufenthalt bei ihrer Tochter und bei ihrem Sohn, trug stets eine große Würde zur Schau und verfehlte niemals, mit größter Feierlichkeit und Wichtigkeit ihre Erfahrungen betreffs Kindererziehung zum besten zu geben. Lange dauerte es, bevor sie bewogen werden konnte, Mrs. Linkinwater ihre Gunst wieder zuzuwenden, und es ist sogar zweifelhaft, ob sie ihr jemals ganz verzieh.

Ganz nahe bei Nicholas' Landsitz wohnte Winter und Sommer über stets ein grauhaariger stiller und harmloser alter Herr, der in Nicholas' Abwesenheit die Aufsicht im Hause führte. Sein Hauptvergnügen bestand darin, mit den Kindern zu spielen. Die kleine Welt wußte ohne den "lieben Newman Noggs" nichts anzufangen. Auf Smikes Grab grünte das Gras, sorgsam gepflegt und begossen und von so kleinen und leichten Füßen betreten, dass auch nicht ein Hälmchen unter dem Druck einknickte. Die ganze Frühlings- und Sommerszeit über schmückten Kränze von Kinderhänden den Stein, und wenn die Kleinen kamen, um neue zu bringen, die dem da unten Schlafenden besser gefallen sollten als die Hinwelkenden, da füllten sich ihre klaren Augen mit Tränen, und sie sprachen leise von ihrem armen toten Vetter.

 

 

Inhalt



Kapitel 1 - Das alle übrigen einleitet

Kapitel 2 - Handelt von Mr. Ralph Nickleby, seinen Geschäften und Unternehmungen. Ferner von einer großen Aktiengesellschaft, die für das ganze Land von größter Bedeutung ist

Kapitel 3 - Mr. Ralph Nickleby erhält traurige Nachrichten von seinem Bruder, weiß sich aber mit edler Standhaftigkeit zu fassen. Der junge Nicholas gefällt seinem Onkel ausnehmend, und dieser faßt den edelmütigen Entschluß, für dessen Zukunft zu sorgen

Kapitel 4 - Nicholas und sein Onkel machen, um das Glück beim Schopf zu fassen, bei Mr. Wackford Squeers ihre Aufwartung

Kapitel 5 - Nicholas begibt sich nach Yorkshire auf die Reise und nimmt Abschied von den Seinigen. Seine Reisegefährten, und was unterwegs vorfiel

Kapitel 6 - Der erwähnte Unfall gibt ein paar Herren Gelegenheit, einander Geschichten zu erzählen

Kapitel 7 - Mr. und Mrs. Squeers im häuslichen Kreise

Kapitel 8 - Der Haushalt in Dotheboys Hall

Kapitel 9 - Von Miss Squeers, Mrs. Squeers, Master und Mr. Squeers und andern mit ihnen in Verbindung stehenden Personen

Kapitel 10 - Wie Ralph Nickleby für seine Nichte und Schwägerin sorgt

Kapitel 11 - Mr. Newman Noggs führt Mrs. und Miss Nickleby in ihre neue Behausung in der City

Kapitel 12 - Der weitere Verlauf der Liebesgeschichte Miss Fanny Squeers'

Kapitel 13 - Nicholas bringt durch ein äußerst tatkräftiges und ungewöhnliches Verfahren einige Abwechslung in die Eintönigkeit von Dotheboys Hall

Kapitel 14 - Handelt nur von ganz gewöhnlichen Leuten

Kapitel 15 - Was die Veranlassung der im vorigen Kapitel beschriebenen Unterbrechung war

Kapitel 16 - Nicholas sucht eine Anstellung und nimmt, als ihm dies fehlschlägt, eine Stelle als Hauslehrer an

Kapitel 17 - Kate Nicklebys weitere Schicksale

Kapitel 18 - Miss Knag faßt, nachdem sie drei ganze Tage in Kate Nickleby förmlich vernarrt gewesen, den Entschluß, sie für immer zu hassen

Kapitel 19 - Beschreibung eines Dinners bei Mr. Ralph Nickleby, und wie sich seine Gäste dabei unterhielten

Kapitel 20 - Nicholas trifft endlich mit seinem Onkel zusammen und sagt ihm mit bemerkenswerter Offenheit die Meinung

Kapitel 21 - Madame Mantalini gerät in eine schwierige Lage, und Kate verliert dadurch ihre Stellung

Kapitel 22 - Nicholas begibt sich in Smikes Begleitung auf die Wanderschaft und macht bei dieser Gelegenheit eine interessante Bekanntschaft in der Person Mr. Vincent Crummles'

Kapitel 23 - Handelt von dem Ensemble Mr. Vincent Crummles' wie auch von seinen häuslichen und Theaterangelegenheiten

Kapitel 24 - Miss Snevelliccis großes Benefiz und Nicholas' erstes Auftreten auf der Bühne

Kapitel 25 - Eine junge Dame aus London schließt sich der Truppe an und führt einen ältlichen Verehrer von sich im Schlepptau

Kapitel 26 - Kate Nicklebys Seelenfrieden gerät in ernste Gefahr

Kapitel 27 - Mrs. Nickleby wird mit den Herren Pyke und Rupfer bekannt, deren Ergebenheit und Zuneigung keine Grenzen kennt

Kapitel 28 - Kate Nickleby sucht, durch Sir Mulberry Hawks Verfolgung zur Verzweiflung gebracht, als letztes Mittel Schutz bei ihrem Onkel

Kapitel 29 - Von Nicholas' weiteren Schicksalen und gewissen Zerwürfnissen in Mr. Vincent Crummles' Ensemble

Kapitel 30 - Festlichkeiten, die Nicholas zu Ehren veranstaltet werden, und sein Austritt aus der Vincent-Crummlesschen Schauspielertruppe

Kapitel 31 - Handelt von Ralph Nickleby und Newman Noggs sowie von einigen weisen Vorsichtsmaßregeln, über deren günstigen beziehungsweise ungünstigen Ausgang später berichtet werden wird

Kapitel 32 - Eine höchst merkwürdige Unterredung mit nicht minder merkwürdigen Folgen

Kapitel 33 - Mr. Ralph Nickleby wird plötzlich von dem Verkehr mit seinen Verwandten erlöst

Kapitel 34 - Besuch bei Mr. Ralph Nickleby

Kapitel 35 - Smike wird Mrs. Nickleby und Kate vorgestellt. Auch Nicholas macht neue Bekanntschaften, und die Zukunft scheint sich für seine Familie aufhellen zu wollen

Kapitel 36 - Handelt lediglich von Familienangelegenheiten – Mr. Kenwigs gerät in heftige Aufregung, und Mrs. Kenwigs befindet sich den Umständen angemessen

Kapitel 37 - Nicholas wird bei den Gebrüdern Cheeryble und Mr. Timotheus Linkinwater immer beliebter. Die Brüder geben anläßlich einer Jahresfeier ein Festmahl, und als Nicholas nach Hause kommt, macht ihm seine Mutter eine höchst wichtige und geheimnisvolle Eröffnung

Kapitel 38 - Ein Kondolenzbesuch; Smike begegnet unverhofft einem alten Bekannten, der ihn in sein Haus einlädt und von Einwendungen durchaus nichts wissen will

Kapitel 39 - Ein anderer alter Freund findet Smike rechtzeitig

Kapitel 40 - Nicholas Nickleby verliebt sich und bedient sich einer Mittelsperson, deren Bemühungen nur in einem einzigen Punkte fehlschlagen

Kapitel 41 - Behandelt einen höchst romantischen Auftritt zwischen Mrs. Nickleby und dem Herrn in den Kniehosen

Kapitel 42 - Beleuchtet den alten Erfahrungssatz, dass oft die besten Freunde uneins werden können

Kapitel 43 - Versieht den Dienst eines Zeremonienmeisters, indem es verschiedene Leute zusammenbringt

Kapitel 44 - Mr. Ralph Nickleby sagt sich von einem alten Bekannten los. Es zeigt sich, dass selbst zwischen Mann und Weib ein Scherz unter Umständen zu weit getrieben werden kann

Kapitel 45 - Eine große Überraschung

Kapitel 46 - Auf Nicholas' Liebesangelegenheit fällt ein Licht, ob ein günstiges oder schlimmes, mag der Leser selbst entscheiden

Kapitel 47 - Mr. Ralph Nickleby hat eine vertrauliche Zusammenkunft mit einem andern alten Freund. Sie besprechen ein Projekt, das für beide Teile große Vorteile in Aussicht stellt

Kapitel 48 - Ein Benefiz Mr. Vincent Crummles' zu seinem garantiert letzten Auftreten auf der Bühne

Kapitel 49 - Berichtet von weiteren Maßnahmen der Familie Nickleby und dem Verlauf des Abenteuers mit dem Herrn in den Kniehosen

Kapitel 50 - Eine Katastrophe

Kapitel 51 - Der Plan Ralph Nicklebys und seines Freundes kommt zur Durchführung, gelangt jedoch zur Kenntnis eines Dritten

Kapitel 52 - Nicholas verzweifelt an Madeline Brays Rettung, faßt jedoch später wieder Mut und entschließt sich, einen Versuch zu machen. Familiennachrichten von den Kenwigs' und Lillyvicks

Kapitel 53 - Wie Ralph Nicklebys und Arthur Grides Komplott weiter verlief

Kapitel 54 - Die Krisis und der Ausgang des Projektes

Kapitel 55 - Familienangelegenheiten, Sorgen, Enttäuschungen und Trübsal

Kapitel 56 - Ralph Nickleby bietet sich durch Zufall Gelegenheit zur Rache an seinem Neffen, und er nimmt dazu den Beistand eines erprobten Bundesgenossen in Anspruch

Kapitel 57 - Wie Ralph Nicklebys Bundesgenosse ans Werk ging und welchen Erfolg er dabei hatte

Kapitel 58 - Eine Szene dieser Geschichte geht ihrem Ende zu

Kapitel 59 - Die bösen Pläne drohen zu mißlingen, und Zweifel und Gefahren beunruhigen ihren Urheber

Kapitel 60 - Die Gefahren häufen sich, und das Schlimmste kommt ans Licht

Kapitel 61 - Nicholas und Kate verwirken die gute Meinung aller weltklugen Leute

Kapitel 62 - Ein letzter Besuch bei Ralph Nickleby

Kapitel 63 - Die Gebrüder Cheeryble geben verschiedene Erklärungen ab, teils für sich selbst, teils für andere; nur Mr. Timotheus Linkinwater gibt eine solche für eigene Rechnung ab

Kapitel 64 - Ein alter Bekannter taucht unter sehr kläglichen Umständen auf, und die Schule in Dotheboys Hall wird für immer geschlossen

Kapitel 65 - Schluß


 

 

 

Kapitel 1 - Das alle übrigen einleitet



In einem entlegenen Teil der Grafschaft Devonshire lebte einst ein braver Mann namens Gottfried Nickleby, der sich ziemlich spät noch in den Kopf gesetzt hatte zu heiraten. Da er aber weder jung noch begütert war und daher nicht auf die Hand einer vermögenden Dame rechnen durfte, so verehelichte er sich lediglich aus Zuneigung mit einer alten Flamme, die ihn ihrerseits aus demselben Grunde nahm, so wie etwa zwei Leutchen, die es sich nicht leisten können, um Geld Karten zu spielen, einander hin und wieder den Gefallen erweisen, mitsammen eine Partie "umsonst" zu machen.

Die Flitterwochen waren bald vorüber, und da Mr. Nicklebys jährliches Einkommen achtzig Pfund nicht überstieg, blickte das Ehepaar sehnsüchtig in die Zukunft und verließ sich in nicht geringem Maß auf den Zufall, der ihnen aufhelfen sollte. Es gibt, der Himmel weiß, Menschen genug auf der Welt; und sogar in London, wo Mr. Nickleby in jenen Tagen wohnte, hört man nur wenig klagen, dass die Bevölkerung zu spärlich gesäet sei. Dabei aber, du lieber Gott, kann man lange suchen, bis man einen Freund entdeckt.

Mr. Nickleby spähte und spähte, bis ihn die Lider nicht weniger schmerzten als das Herz, aber nirgends wollte sich ein solcher blicken lassen. Wenn er dann die vom Ausschauen ermüdeten Augen seinem eigenen Herde zuwandte, so zeigte sich auch dort gar wenig, wo sie hätten ausruhen können.

Als schließlich Mrs. Nickleby nach fünf Jahren ihren Gatten mit ein paar Jungen beglückte, fühlte der tief gedrückte Mann die Notwendigkeit, für seine Familie zu sorgen, immer mehr und mehr, und er war bereits nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluß gekommen, sich am nächsten Quartal in eine Lebensversicherung einzukaufen und dann ganz zufällig von irgendeinem Monument oder Turm herunterzufallen, als eines Morgens ein schwarzgesiegelter Brief mit der Nachricht anlangte, Mr. Ralph Nickleby, sein Oheim, sei gestorben und habe ihm sein ganzes kleines Vermögen von ungefähr fünftausend Pfund Sterling hinterlassen.

Da der Selige bei Lebzeiten keine weitere Notiz von seinem Neffen genommen, als dass er dessen ältestem Knaben, der infolge einer verzweifelten Spekulation den Namen seines Großonkels in der Taufe erhalten hatte, einen silbernen Löffel in einem Maroquinfutteral schickte was, da dieser nicht allzuviel damit zu essen hatte, fast wie eine Satire darauf aussah, dass das Kind nicht mit einem solchen nützlichen Artikel im Munde auf die Welt gekommen war, so wollte Mr. Gottfried Nickleby im Anfang die freudige Botschaft kaum glauben. Bei weiterer Prüfung stellte sich jedoch heraus, dass sich die Sache wirklich so verhielt. Der wackere alte Herr hatte, wie es schien, zuerst beabsichtigt, seine ganze Habe dem allgemeinen Rettungsverein zu hinterlassen, und zu diesem Zwecke auch bereits ein Testament aufgesetzt. Aber dieser Verein hatte einige Monate vorher das Pech gehabt, das Leben eines armen Verwandten Mr. Nicklebys zu retten, dem dieser wöchentlich ein Almosen von sechs Schillingen und drei Pence auszahlte. Deshalb widerrief Mr. Ralph Nickleby in höchst gerechter Entrüstung das Vermächtnis durch ein Kodizil und setzte seinen Neffen Gottfried zum Universalerben ein, um dadurch seinen Unwillen sowohl gegen die Gesellschaft, die das Leben des armen Verwandten gerettet, als auch gegen den armen Verwandten selbst, der es sich hatte retten lassen, auszudrücken.

Mit einem Teile dieser Erbschaft kaufte Gottfried Nickleby ein kleines Landgut unweit Dawlish in Devonshire und zog sich dorthin mit seiner Gattin und seinen zwei Kindern zurück, um von dem spärlichen Ertrage des Gütchens und den Interessen des ihm noch übrig bleibenden Kapitals zu leben. Als er nach fünfzehn Jahren, etwa fünf Jahre nach dem Tode seiner Gattin, starb, hinterließ er seinem ältesten Sohne Ralph dreitausend Pfund in barem Gelde und dem Jüngeren, Nicholas, tausend Pfund und das Landgut, wenn man anders ein Stück Feld ein Landgut nennen kann, das mit Ausnahme des Hauses und des eingeheckten Grasgartens keinen größeren Umfang hatte als der Russelplatz von Covent Garden.

Die zwei Brüder waren mitsammen in einer Schule in Exeter erzogen worden und hatten, da sie gewöhnlich wöchentlich einmal einen Besuch zu Hause machten, von ihrer Mutter oft lange Erzählungen über die Leiden ihres Vaters in den Tagen seiner Armut und die Wichtigkeit ihres verblichenen Onkels in den Tagen seines Wohlstandes mit angehört, Erzählungen, die auf die beiden Knaben einen sehr verschiedenen Eindruck hervorbrachten, denn während der jüngere, dessen Charakter schüchtern und begnügsam war, nur Winke darin sah, das Getriebe der Welt zu meiden und sein Glück in der Ruhe des Landlebens zu suchen, schöpfte Ralph, der ältere, die zwei großen Lehren daraus, dass Reichtum die einzige Quelle von Glück und Ansehen sei und dass er zur Erwerbung desselben alle Mittel anwenden dürfe, sofern sie nicht durch das Gesetz mit Todesstrafe bedroht wären. "Wenn meines Onkels Geld auch keinen Nutzen brachte, solange er lebte", folgerte Ralph weiter, "so kam es doch nach seinem Tode meinem Vater zugute, der jetzt den höchst lobenswerten Vorsatz hat, es für mich aufzusparen. Und was den alten Herrn anbelangt, so fand dieser doch auch seinen Genuß darin, sich sein Lebtag lang bewußt zu sein, dass ihn seine Familie deshalb beneide und in Ehren halte." So kam Ralph immer bei derartigen Selbstgesprächen zu dem Schluß, dass auf der ganzen Welt nichts dem Gelde gleichkomme.

Doch schon in frühen Jahren beschränkte sich der hoffnungsvolle Knabe nicht auf Theorien und rein abstrakte Spekulationen, sondern eröffnete bereits in der Schule ein kleines Wuchergeschäft, indem er zuerst Schieferstifte und Marmeln auf gute Zinsen auslieh und dann allmählich auf Kupfermünzen überging. Er quälte aber dabei seine Schuldner nicht etwa mit umständlichen und verwickelten Zinseszinsberechnungen. Sein Satz: "Zwei Pence für jeden Halfpenny" vereinfachte das Verfahren außerordentlich.

In gleicher Weise vermied der junge Ralph Nickleby alle umständlichen und verwickelten Berechnungen der einzelnen Tage, mit denen man, wie jeder weiß, der schon damit zu tun gehabt, selbst bei dem einfachsten Zinsfuße seine liebe Not hat, indem er als allgemeine Regel feststellte, dass Kapital nebst Interessen immer am Taschengeldtage, das heißt am Samstag, zurückzuzahlen seien, wobei es sich gleich blieb, ob die Schuld am Montag oder am Freitag kontrahiert worden war. Er folgerte nämlich, und nicht mit Unrecht, dass die Zinsen eigentlich für einen Tag höher sein sollten als für fünf, da man annehmen könne, dass in ersterem Falle dem Borger aus einer besonders großen Verlegenheit geholfen werde, weil dieser sonst gewiß nicht unter solch drückenden Bedingungen Geld würde aufgenommen haben.

Nach dem Tode seines Vaters widmete sich Ralph Nickleby, der kurz zuvor in einem Londoner Handlungshaus untergebracht worden, seinem alten Hange, Geld zu erwerben, mit einer solchen Leidenschaft, dass er darüber seinen Bruder viele Jahre lang ganz und gar vergaß. Wenn auch hin und wieder ein Rückerinnern an seinen lieben alten Spielgefährten durch den Nebel, in dem er lebte, brach, denn das Geld umhüllt den Menschen mit einem Nebel, der auf die Gefühle der Jugendzeit weit zerstörender wirkt und einschläfernder als Kohlengas, so tauchte damit doch immer zugleich der Gedanke auf, jener werde vielleicht, falls das gegenseitige Verhältnis inniger wäre, Geld von ihm borgen wollen. Daher schüttelte Mr. Ralph Nickleby dann jedesmal die Achsel und sagte: Es ist besser so, wie es ist.

Nicholas seinerseits lebte als Junggeselle auf seinem Erbgute, bis er, der Einsamkeit müde, die Tochter eines Nachbars mit einer Mitgift von tausend Pfund zum Weibe nahm. Die gute Dame gebar ihm zwei Kinder: einen Sohn und eine Tochter, und als der Sohn ungefähr neunzehn Jahre und die Tochter etwa vierzehn zählte, sah sich Mr. Nickleby nach Mitteln um, sein Kapital wieder zu vergrößern, das durch den Zuwachs seiner Familie und die Kosten der Erziehung der Kinder sehr zusammengeschmolzen war.

"Spekuliere damit!" meinte Mrs. Nickleby.

"Spekulieren, mein Schatz?" entgegnete Mr. Nickleby bedenklich.

"Warum denn nicht?"

"Weil wir nichts mehr zu leben hätten, wenn wir es verlören", antwortete Mr. Nickleby in seiner gewohnten bedächtigen Weise.

"Pah", erwiderte Mrs. Nickleby.

"Man könnte es ja immerhin überlegen, meine Liebe", meinte Mr. Nickleby.

"Nicholas ist schon ziemlich herangewachsen", drängte die Gattin, "und es ist Zeit, dass er sich für einen Beruf entscheidet. Und was soll aus unserem Käthchen, dem armen Kind, werden, wenn wir ihr keinen Heller mitgeben können? Denk an deinen Bruder. Würde er das sein, was er ist, wenn er nicht spekuliert hätte?"

"Das ist freilich wahr", gab Mr. Nickleby zu. "Also gut, meine Liebe. Ich werde spekulieren."

Spekulieren ist ein Hazardspiel. Die Spieler sehen am Anfang wenig oder gar nichts von ihren Karten, und der Gewinn kann groß sein, aber ebenso auch der Verlust.

Das Glück war gegen Mr. Nickleby. Die allgemeine Spekulationswut warf sich damals gerade wie toll auf eine bestimmte Aktienunternehmung; die Seifenblase barst, vier Faiseure kauften sich Landgüter in Florenz und vierhundert arme Schlucker, darunter auch Mr. Nickleby, waren ruiniert.

"Das Haus, in dem ich wohne", seufzte der unglückliche Spekulant, "kann mir morgen genommen werden. Kein Stück unserer alten Möbel bleibt uns. Alles wird an Fremde versteigert werden!"

Und dieser letzte Gedanke war ihm so schmerzlich, dass er sich in sein Bett legte, augenscheinlich fest entschlossen, wenigstens dieses in keinem Falle aufzugeben.

"Kopf hoch, Sir!" riet der Arzt.

"Sie müssen sich nicht so niederdrücken lassen, Sir", sagte die Krankenwärterin.

"Solche Dinge kommen alle Tag vor", meinte der Advokat.

"Und es ist eine große Sünde, sich dagegen aufzulehnen", ermahnte der Pfarrer.

"Ein Mann, der seine Familie hat, sollte so etwas nie tun", fügten die Nachbarn hinzu.

Mr. Nickleby aber schüttelte nur den Kopf dazu, bedeutete allen, das Zimmer zu verlassen, umarmte sein Weib und seine Kinder, drückte sie an das immer matter pochende Herz und sank dann erschöpft auf sein Kissen zurück. Bald sah die Familie zu ihrer großen Bestürzung, dass er irre zu reden begann, denn er sprach lange von der Großmut und der Güte seines Bruders und den schönen Tagen, die sie miteinander auf der Schule zugebracht hatten. Als der Anfall vorüber war, empfahl er sie feierlich dem Einen, der nie der Witwen und Waisen vergißt, lächelte matt, richtete das Gesicht zur Zimmerdecke empor und sagte, er glaube jetzt einschlummern zu können.

Kapitel 2 - Handelt von Mr. Ralph Nickleby, seinen Geschäften und Unternehmungen. Ferner von einer großen Aktiengesellschaft, die für das ganze Land von größter Bedeutung ist



Mr. Ralph Nickleby war im eigentlichen Sinne des Wortes weder Kaufmann noch Bankier noch Sensal noch Notar. Man hätte überhaupt seinen Beruf nicht leicht bestimmen können. Nichtsdestoweniger ließ sich aus dem Umstand, dass er in einem geräumigen Hause in Golden Square wohnte mit einer Messingplatte an der Eingangstüre, die die Aufschrift "Büro" trug, entnehmen, dass er irgendein Geschäft betrieb oder zu betreiben vorgab. Die weitere Tatsache, dass zwischen halb zehn und fünf Uhr täglich ein Mann mit einem aschfahlen Gesicht und rostbraunem Anzug anwesend war, in einem speisekammerähnlichen Gemach am Ende des Hausflurs auf einem ungewöhnlich harten Stuhl saß und stets eine Feder hinter dem Ohr hatte, wenn er auf den Ruf der Klingel die Haustüre öffnete, schien das zu bestätigen.

Golden Square liegt ziemlich abgelegen. Es hat seine Glanzzeit hinter sich und gehört nur mehr unter die herabgekommenen Plätze, so dass nur wenige Geschäftsleute hier ihren Aufenthaltsort wählen. Die Wohnungen werden meistens vermietet und die ersten und zweiten Stockwerke gewöhnlich möbliert an ledige Herren abgegeben, die zugleich auch im Hause einen Kosttisch finden. Es ist vorzugsweise der Zufluchtsort der Fremden. Sonnverbrannte Männergestalten mit großen Ringen, schweren Uhrketten und buschigem Backenbart, wie sie sich zwischen vier und fünf nachmittags unter der Säulenhalle des Opernhauses versammeln, sobald geöffnet wird, um die Logenbilletts auszugeben, leben in Golden Square oder dessen Nähe. Einige Violinisten und ein Trompeter der Opernkapelle haben hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen. In den Kosthäusern wird unaufhörlich musiziert, und die Töne der Klaviere und Harfen beleben die Abendstunden. In Sommernächten kann man aus den offenen Fenstern Gruppen von dunklen, schnurrbärtigen Gesichtern sehen, die fürchterliche Rauchwolken von sich blasen; und der Geruch aller möglichen Sorten von Tabak durchduftet die Luft.

Dem Anscheine nach eignet sich ein derartiger Platz nicht besonders für einen Geschäftsmann, aber Mr. Ralph Nickleby wohnte bereits seit vielen Jahren hier, ohne dass man je eine Klage von ihm gehört hätte. Er kannte niemand in der ganzen Umgebung, und niemand kannte ihn, obgleich er in dem Rufe eines unermeßlich reichen Mannes stand. Die Handwerker und Kaufleute hielten ihn für eine Art von Rechtsgelehrten, und die übrigen Nachbarn meinten, er wäre Generalagent oder etwas dergleichen. Aber alle diese Vermutungen stimmten so wenig wie Mutmaßungen über anderer Leute Angelegenheiten meistens.

Mr. Ralph Nickleby saß eines Morgens, zum Ausgehen angekleidet, in seinem Büro. Er trug einen flaschengrünen Spencer über einem blauen Leibrock, eine weiße Weste, graumelierte Beinkleider und Stulpenstiefel. Der Zipfel eines schmalgefältelten Busenstreifs drängte sich, als ob er sich mit Gewalt sehen lassen wollte, zwischen dem Kinn und dem obersten Knopf der Weste hervor, während der Spencer nicht weit genug schloß, um eine lange, aus einer Reihe von einfachen goldenen Ringen bestehende Uhrkette zu verbergen, die an einer goldenen Repetieruhr in Mr. Nicklebys Tasche entsprang und in zwei Schlüssel endigte, von denen der eine zur Uhr selbst, der andere offenbar zu irgendeinem Patentvorlegeschloß gehörte. Mr. Nickleby trug das Haar gepudert, als wünsche er, sich dadurch ein menschenfreundlich wohlwollendes Aussehen zu geben. Wenn er dies aber wirklich beabsichtigte, so hätte er vor allem auch sein Gesicht pudern müssen, in dessen Falten, wie nicht minder in den kalten unsteten Augen, beständige Arglist lauerte.

Mr. Nickleby schlug ein vor ihm liegendes Kontobuch zu, warf sich in seinem Stuhl zurück und blickte mit zerstreuter Miene durch die glanzlosen Fensterscheiben. Häuser wie das seine pflegen in London einen trübseligen kleinen Hofraum zu haben, der gewöhnlich durch vier hohe weißgetünchte Mauern eingeschlossen ist und auf den die Schornsteine zürnend herabblicken. Auf solchen Erdflecken welkt alle Jahre ein verkümmerter Baum, der im Spätherbst, wenn andere Bäume ihre Blätter verlieren, so tut, als wenn er etwas Laub hervorbringen wollte, gar bald aber wieder von seiner Anstrengung abläßt, um bis zum nächsten Sommer dürr dazustehen, wo er dann den gleichen Prozess wiederholt und vielleicht, wenn das Wetter besonders günstig ist, irgendeinen rheumatischen Sperling in Versuchung führt, auf seinen Zweigen zu zirpen. Man nennt diese dunklen Höfe bisweilen Gärten. Der Mieter wirft gewöhnlich gleich bei seinem Einzug einige Packkörbe und ein halbes Dutzend zerbrochene Gläser hinein, und da bleibt dann alles, bis wieder ausgezogen wird, liegen, um unter dem spärlichen Buchsbaum, dem verkümmerten Immerbraun und den zerbrochenen Blumentöpfen in Schmutz und Kot nach Belieben zu modern. In einen derartigen Raum schaute Mr. Ralph Nickleby hinaus, als er, die Hände in den Taschen, durch das Fenster sah. Die Aussicht hatte gerade nichts Einladendes, aber Mr. Nickleby war in düstere Gedanken verloren, und seine Augen wanderten schließlich zu einem kleinen schmutzigen Fenster linker Hand, durch das das Gesicht des Schreibers nur undeutlich sichtbar war, und da der Mann gerade aufblickte, so winkte er ihm einzutreten. Sofort erhob sich der Schreiber von seinem hohen Sessel, der von dem ewigen Aufundabrutschen wie poliert aussah, und erschien in Mr. Nicklebys Zimmer. Er war ein großer Mann in mittleren Jahren mit ein Paar Glotzaugen, von denen das eine unbeweglich war, einer Karfunkelnase, einem leichenfahlen Gesicht und einem Anzug, der aufs äußerste abgetragen, viel zu kurz und zu knapp und mit so wenig Knöpfen versehen war, dass man sich wundern mußte, wie es ihm gelang, seinem Eigentümer nicht vom Leibe zu fallen.

"War das halb ein Uhr, Noggs?" fragte Mr. Nickleby mit scharfer, unangenehmer Stimme.

"Nicht mehr als fünfundzwanzig Minuten nach der ..." Noggs wollte sagen, "nach der Wirtshausuhr", besann sich jedoch rechtzeitig und ergänzte: "... nach der Sonne."

"Meine Uhr ist stehengeblieben", sagte Mr. Nickleby, "kann mir nicht erklären, warum."

"Nicht aufgezogen", meinte Noggs.

"Doch, doch", versetzte Mr. Nickleby.

"Vielleicht die Feder überdreht."

"Kann nicht gut sein."

"Muß wohl", beharrte Noggs.

"Na, meinetwegen", sagte Mr. Nickleby und steckte seine Repetieruhr wieder in die Tasche. "Vielleicht ist's so."

Noggs gab einen eigentümlich grunzenden Ton von sich, wie er es gewöhnlich am Schlusse eines jeden Wortwechsels mit seinem Herrn zu tun pflegte, um dadurch anzudeuten, dass er recht behalten habe, und versank, da er selten zu sprechen wagte, ohne gefragt zu sein, in ein grämliches Schweigen, wobei er sich langsam die Hände rieb, an den Fingern knackte und sie auf jede mögliche Art verrenkte. Dabei gab er seinem gesunden Auge denselben starren und ungewöhnlichen Ausdruck, den das andere besaß, so dass es unmöglich war, zu erkennen, wohin er eigentlich blicke. Es war dies eine von den zahlreichen Eigentümlichkeiten Mr. Noggs', die jedem, selbst dem gleichgültigsten Beobachter, auf den ersten Blick auffallen mußte.

"Ich will jetzt nach der London Tavern gehen", sagte Mr. Nickleby.

"Öffentliche Versammlung?" fragte Noggs.

Mr. Nickleby nickte.

"Ich erwarte einen Brief von meinem Sachwalter betreffs Ruddles Pfandverschreibung. Wenn das Schreiben überhaupt eintrifft, so muß es um zwei Uhr hier sein. Ich werde um diese Zeit aus der City nach Charing Cross gehen. Wenn also Briefe kommen, so werden Sie mir sie entgegenbringen."

Noggs nickte. In diesem Augenblick wurde die Bureauklingel gezogen. Mr. Nickleby blickte von seinen Papieren auf, und sein Schreiber blieb unbeweglich stehen.

"Man hat geläutet", sagte Noggs, als halte er es für nötig, seinen Gebieter darauf aufmerksam zu machen. "Zu Hause?"

"Ja."

"Für jedermann?"

"Ja."

"Auch für den Steuereinnehmer?"

"Nein. Er soll ein andermal wiederkommen."

Noggs ließ sein gewohntes Grunzen hören, was soviel bedeuten sollte wie "ich dachte es ja", und ging, da sich das Läuten wiederholte, zur Türe. Bald darauf kehrte er mit einem blassen Herrn namens Bonney zurück, der, eine schmale weiße Halsbinde nachlässig umgebunden, mit wirrem Haar hastig und unruhig ins Zimmer trat und überhaupt ganz so aussah, als habe man ihn in der Nacht aus den Federn geholt, ohne dass er sich zum Ankleiden hätte Zeit nehmen können.

"Mein lieber Nickleby", rief der Herr, seinen weißen Hut abnehmend, der mit Papieren so voll gepfropft war, dass es ein Wunder schien, wie er ihn hatte auf dem Kopf tragen können, "es ist kein Augenblick zu verlieren, ich habe einen Wagen vor der Türe. Sir Matthew Pupker übernimmt den Vorsitz, und auf drei Parlamentsmitglieder können wir mit Bestimmtheit rechnen. Ich habe selbst zwei von ihnen aus den Betten geholt, und der dritte, der die ganze Nacht durch im Crockfordklub am Spieltisch gesessen hat, ist eben nach Hause gegangen, um seine Wäsche zu wechseln und ein paar Flaschen Sodawasser zu trinken. Er wird aber zur rechten Zeit dort sein, um vor der Versammlung seine Rede zu halten. Die durchwachte Nacht hat ihn zwar ein wenig hergenommen, aber das hat nichts zu sagen, er pflegt in solchen Fällen mit besonderem Nachdruck zu reden."

"Es scheint also alles gutgehen zu wollen?" versetzte Mr. Ralph Nickleby, dessen Kaltblütigkeit in scharfem Gegensatz zu der Lebhaftigkeit seines Geschäftsfreundes stand.

"Gutgehen?" rief Mr. Bonney. "Es ist die feinste Idee, die je ausgeheckt worden ist. Vereinigte, verbesserte, hauptstädtische Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktliche Ablieferungsgesellschaft. Kapital fünf Millionen mit fünfmalhunderttausend Aktien à zehn Pfund. Ha, schon der Name wird machen, dass die Aktien in zehn Tagen über Pari stehen."

"Und wenn's soweit ist?" entgegnete Mr. Ralph Nickleby lächelnd.

"Wenn's soweit ist, so wissen Sie so gut wie irgendeiner, was dann zu geschehen hat und wie man sich beizeiten ruhig aus der Affäre ziehen kann", versetzte Mr. Bonney und klopfte dem Geldmann vertraulich auf die Schulter. "Apropos, Sie haben da einen seltsamen Menschen zum Schreiber."

"Hm, ein armer Teufel", brummte Ralph und zog seine Handschuhe an. "Und doch hat Newman Noggs seinerzeit Pferde und Hunde gehalten."

"Was Sie nicht sagen", warf der andere gleichgültig hin.

"Ja, ja. Und zwar vor nicht allzu langer Zeit. Aber er hat sein Geld durchgebracht. Legte es leichtsinnig an, borgte auf Zinsen und wurde, mit einem Wort, in kurzer Zeit zum Bettler. Er ergab sich dem Trunk, wurde vom Schlag gerührt und kam dann zu mir, um mich um ein Pfund anzupumpen. Und da ich, als er noch in besseren Verhältnissen war ..."

"In Geschäftsverbindung mit ihm stand", ergänzte Mr. Bonney mit einem bedeutsamen Blick.

"Ganz recht. So konnte ich ihm natürlich nichts leihen."

"Natürlich nicht."

"Aber ich brauchte gerade einen Schreiber und Bedienten zum Türeöffnen usw. und nahm ihn deshalb aus Barmherzigkeit auf. Und seitdem ist er hier. Ich glaube zwar, dass es in seinem Kopf nicht ganz richtig ist", fügte Mr. Nickleby mit einem Blick, der mitleidig sein sollte, hinzu, "aber ich kann den armen Kerl zur Not schon gebrauchen."

Der weichherzige Mr. Nickleby vergaß hinzuzusetzen, dass der gänzlich mittellose Newman Noggs einen geringeren Lohn bezog, als ihn etwa ein dreizehnjähriger Knabe bekommen haben würde, und dass die außergewöhnliche Schweigsamkeit des Mannes ihn zu einem sehr wertvollen Diener an einem Orte machte, wo soviel Geschäfte abgewickelt wurden, an deren Geheimhaltung Ralph außerordentlich viel liegen mußte. Die beiden Herren hatten indes große Eile, brachen daher ihr Gespräch ab und verfügten sich zu der bereitstehenden Droschke. Als sie in der Bishopsgate Street anlangten, herrschte dort ein sehr bewegtes Treiben. Es war ein sehr windiger Tag, und ein halbes Dutzend Männer durchzogen die Straßen mit ungeheuern Ankündigungen, auf denen in riesigen Buchstaben zu lesen war, dass Punkt ein Uhr eine öffentliche Versammlung stattfinden werde, um die Zweckmäßigkeit einer Petition an das Parlament hinsichtlich der "Vereinigten, verbesserten, hauptstädtischen Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktlichen Ablieferungs-Gesellschaft" zu erörtern, deren Kapital auf fünf Millionen zu fünfmalhunderttausend Aktien à zehn Pfund veranschlagt sei. Die genannten Zahlen waren, wie es sich gehört, in gewaltigen schwarzen Ziffern auf den Plakaten verzeichnet.

Mr. Bonney brach sich unter den tiefen Bücklingen der Diener, die ihm die Treppe freimachten, mit den Ellenbogen Bahn und betrat mit Mr. Nickleby eine Reihe von Komiteezimmern, in deren zweitem sich ein für eine Sitzung hergerichteter Tisch befand, um den mehrere geschäftsmäßig aussehende Personen versammelt waren.

"Hört, hört!" rief ein Herr mit einem Doppelkinn, als sich Mr. Bonney vorstellte. "Einen Stuhl, meine Herren, einen Stuhl!"

Die neuen Ankömmlinge wurden mit allgemeinem Beifall begrüßt, Mr. Bonney trat rasch an das Ende des Tisches, nahm seinen Hut ab, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und schlug mit einem kleinen Hammer kräftig auf den Tisch, worauf mehrere Herren "Hört!" riefen und sich gegenseitig zunickten, als wollten sie ihre Bewunderung über dieses geistvolle Benehmen ausdrücken. In diesem Augenblick riss ein Diener in fieberhafter Erregung die Tür auf, stürzte herein und schrie: "Sir Matthew Pupker."

Das Komitee stand auf und klatschte vor Freude in die Hände. Gleich darauf trat Sir Matthew Pupker ein, begleitet von zwei Parlamentsmitgliedern in Lebensgröße, einem irischen und einem schottischen. Alle drei lächelten, verbeugten sich und benahmen sich so obligeant, dass es ein wahres Wunder gewesen wäre, wenn jemand den Mut gehabt hätte, gegen sie seine Stimme zu erheben. Besonders Sir Matthew Pupker, der auf dem Scheitel seines kleinen runden Kopfes ein Flachstoupet trug, war von einem solchen Verbeugungsparoxismus befallen, dass ihm die Perücke jeden Augenblick herunterzufliegen drohte. Als sich diese bedrohlichen Symptome einigermaßen gelegt hatten, drängten sich die Herren, die mit Sir Matthew Pupker und den Parlamentsmitgliedern näher bekannt waren, in kleinen Gruppen um sie, während diejenigen, die sich einer solchen Ehre nicht zu erfreuen hatten, sich sehnsüchtig heranschlichen und sich lächelnd die Hände rieben in der Hoffnung, etwas anbringen zu können, was die Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte. Inzwischen gaben Sir Matthew Pupker und die beiden anderen Parlamentsmitglieder die Ansichten zum besten, die die Regierung hinsichtlich der Annahme der Bill hege, berichteten ausführlich, was ihnen die Minister, als sie das letztemal bei ihnen gespeist, zugeflüstert und welche bedeutungsvolle Winke sie dabei hätten fallenlassen. Aus all dem könnten sie nur die Folgerung ziehen, dass, wenn der Regierung irgendein Thema besonders am Herzen läge, dieses kein anderes sein könne als das Gedeihen der "Allgemeinen, verbesserten, hauptstädtischen Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktlichen Ablieferungs-Gesellschaft".

Das Publikum hatte inzwischen auf den Galerien lebhafte Ungeduld an den Tag gelegt, und es war bereits zu einigen Scharmützeln gekommen, als plötzlich ein lauter Ruf die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Durch eine Nebentür trat jetzt eine lange Reihe von Herren mit entblößtem Häuptern auf die Tribüne.

Der Lärm verstummte, und Sir Matthew Pupker übernahm den Vorsitz. In schwungvoller Rede gab er kund, welche Gefühle ihn im gegenwärtigen Augenblick bewegten, was der gegebene Zeitpunkt in den Augen der Welt bedeute und welch wichtigen Einfluß auf den Wohlstand, das Glück, die Bequemlichkeit, die Freiheit und sogar auf die ganze Existenz eines freien und großen Volkes ein Institut üben müsse wie das der Vereinigten, verbesserten, hauptstädtischen Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktlichen Lieferungs-Gesellschaft.

Sodann stand Mr. Bonney auf, um die erste Resolution zu beantragen, fuhr sich mit der Rechten durch die Haare, pflanzte die Linke zierlich in die Hüfte, vertraute seinen Hut der Sorgfalt des Herrn mit dem Doppelkinn an, der außerdem auch noch die Weinflaschen für die Redner bereithielt, und erklärte, dass die anwesende Versammlung nur mit Besorgnis und Unruhe auf den gegenwärtigen Stand des Semmelhandels in der Hauptstadt und deren Nachbarschaft blicken könne, dass die Semmeljungen, wie sie gegenwärtig beschaffen seien, das Vertrauen des Publikums ganz und gar nicht verdienten und dass überhaupt das ganze Semmelsystem ebenso nachteilig für die Gesundheit und Sittlichkeit des Volkes wie verderblich für die höchsten Interessen einer Großstadt wäre. Die Rede des ehrenwerten Herrn entlockte den zuhörenden Damen reichlich Tränen und weckte bei allen Anwesenden die lebhaftesten Empfindungen. Er hatte, wie er sagte, die Wohnungen der Armen in den verschiedenen Distrikten Londons besucht und auch nicht die mindesten Spuren von Semmeln daselbst aufgefunden, weshalb er sich zur Annahme berechtigt glaube, dass so mancher Bedürftige jahraus, jahrein keine solchen zu kosten bekäme. Er hätte ferner bemerkt, dass unter den Semmelverkäufern Hang zu Trunksucht und Ausschweifungen aller Art herrschte, was er der entsittlichenden Natur ihres Geschäftes bei dem gegenwärtigen Betrieb zuschreibe. Dieselben Laster habe er unter der ärmeren Klasse des Volkes, die doch auch am Semmelkonsum teilnehmen sollte, entdeckt und er glaube den Grund dazu in der Verzweiflung zu finden, die diese Leute antreibe, ein schädliches Reizmittel in berauschenden Getränken zu suchen, da sie nicht in der Lage seien, sich ein so ungemein kräftigendes Nahrungsmittel zu kaufen wie die Semmel. Er wolle es auf sich nehmen, vor einem Komitee des Unterhauses zu beweisen, dass eine geheime Verbindung bestehe, die den Preis der Semmel in die Höhe schraube und den Austrägern ein Monopol sichere, und er erkläre sich bereit, dies durch die eigenen Aussagen der Verkäufer vor den Schranken dieses Hauses zu beweisen. Er wolle auch dartun, dass diese Sorte Menschen sich durch geheime Worte und Zeichen miteinander verständige. Die Gesellschaft beabsichtige nun, diesem betrübenden Stand der Dinge abzuhelfen, indem sie erstlich beantrage, dass aller und jeder Privatsemmelverkauf bei schwerer Strafe verboten werde, und zweitens, dass sie selbst das Publikum ausschließlich mit dieser Ware versehen wolle, und zwar so, dass auch die Armen in ihren eigenen Häusern mit Semmeln von vorzüglicher Güte zu herabgesetzten Preisenversorgt werden könnten. Der patriotische Präsident dieser Gesellschaft, Sir Matthew Pupker, habe bereits eine Bill im Parlament eingebracht, zu deren Unterstützung das gegenwärtige Meeting einberufen worden sei. Und wer diese Bill unterstütze, helfe mit, unsterblichen Ruhm und Glanz über England zu bringen durch Förderung der Vereinigten, verbesserten, hauptstädtischen Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktlichen Lieferungs-Gesellschaft mit einem Kapital von fünf Millionen zu fünfmalhunderttausend Aktien à zehn Pfund.

Mr. Ralph Nickleby unterstützte den Antrag, und nachdem ein anderer Herr den Zusatzantrag gestellt hatte, an jeder Stelle in dem Entwurfe an das Parlament, wo das Wort "Semmeln" vorkäme, auch das Wort "Kuchen" hinzuzufügen, ging die Resolution einstimmig durch. Nur ein einziger Mann im dichtesten Gedränge rief "Nein", wurde aber sofort festgenommen und hinausgeführt.

Die zweite Resolution galt der Ausrottung aller Kuchen- und Semmelverkäufer, mochten sie nun Männer oder Weiber, Knaben oder Erwachsene sein, und wurde durch einen weinerlichen Herrn in einer Art Geistlichenhabit vorgebracht, der mit einem so ergreifenden Pathos sprach, dass er sogar den ersten Redner in Schatten stellte. Man hätte eine Stecknadel, ja sogar eine Feder fallen hören können, als er die Grausamkeit schilderte, mit der die Semmeljungen von ihren Herren behandelt würden was, wie er hervorhob, an sich schon ein hinreichender Grund wäre, um die beantragte, nicht genug zu schätzende Gesellschaft ins Leben zu rufen. Die unglücklichen Jungen würden alle Nacht, selbst in der rauesten Jahreszeit, auf die nassen Straßen hinausgestoßen, um stundenlang ohne Obdach, Nahrung und warme Bekleidung durch Finsternis und Regen, Hagel und Schnee umherzuwandern, während man die Semmeln fürsorglich in heiße Tücher einschlage. (Ausrufe: Schändlich.)

Die Wirkung der Rede auf die Zuhörer war durchschlagend. Die Männer riefen Beifall, und die Damen weinten ihre Taschentücher naß und schwenkten sie dann wieder trocken. Die allgemeine Aufregung war außerordentlich, und Mr. Nickleby flüsterte seinem Freunde zu, die Sache stehe so günstig, dass sie jetzt schon fünfundzwanzig Prozent Agio so gut wie sicher in der Tasche hätten.

Der Antrag ging natürlich unter lautem Beifall durch, und man würde in der Begeisterung wahrscheinlich nicht nur die Arme, sondern sogar die Beine in die Höhe gestreckt haben, wenn das angegangen wäre.

Sodann stand der Herr auf, der die ganze Nacht über im Spielklub zugebracht hatte und daher etwas hergenommen aussah, und erklärte seinen Mitbürgern, welche Glanzrede er zugunsten der Petition zu halten gedächte, wenn sie im Unterhaus zur Sprache käme, und mit welch grausamem Hohn er das Parlament überschütten wolle, wenn es diesem beifallen sollte, den Antrag zu verwerfen. Er bedaure nur, dass der hochgeschätzte Vorredner in den Entwurf nicht eine Klausel aufgenommen habe, nach der es allen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft zur zwingenden Aufgabe gemacht sei, Semmeln und Kuchen zu kaufen, denn er sei kein Freund von halben Maßregeln und huldige dem Prinzip: Aut Caesar aut nihil.

Als die Petition endgültig verlesen war, ließ das irische Parlamentsmitglied, ein temperamentvoller junger Mann, eine Rede vom Stapel, wie sie eben nur ein irisches Parlamentsmitglied zu halten imstande ist. Sie war ganz Poesie und rauschte in einem solchen Glutstrom dahin, dass man sich schon erwärmt fühlte, wenn man den Sprecher nur ansah. Sie gipfelte darin, dass der Redner die Ausdehnung der Vereinigten, verbesserten, hauptstädtischen Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktlichen Ablieferungs-Gesellschaft auch für sein grünes Vaterland fordern werde, auf dass das Geläute der Semmelglocke dessen reiche Täler durchtöne.

Den Schluß machte das schottische Parlamentsmitglied mit verschiedenen erfreulichen Hinweisen auf die voraussichtliche Rentabilität des Unternehmens, was die frohe Stimmung, die der dichterische Schwung des Irländers geweckt hatte, noch erhöhte. Kurz, sämtliche Reden bewirkten gerade das, was sie erzielen sollten, und brachten den Zuhörern die felsenfeste Überzeugung bei, dass keine Spekulation so vielverheißend und risikolos wie die gegenwärtige sei.

So ging denn die Petition zugunsten der Bill einstimmig durch, und die Versammlung trennte sich unter Beifallsrufen. Mr. Nickleby und die anderen Direktoren verfügten sich nach einem Speisehaus, wo sie ein Lunch einnahmen und es, da die Gesellschaft ja erst im Entstehen war, mit nur je drei Guineen pro Kopf für ihre Bemühungen in Anrechnung brachten.

Kapitel 3 - Mr. Ralph Nickleby erhält traurige Nachrichten von seinem Bruder, weiß sich aber mit edler Standhaftigkeit zu fassen. Der junge Nicholas gefällt seinem Onkel ausnehmend, und dieser faßt den edelmütigen Entschluß, für dessen Zukunft zu sorgen



Mr. Ralph Nickleby trat nach dem Mahle in ungewöhnlich guter Laune den Heimweg an. Als er bei der St.-Pauls-Kirche anlangte, trat er in einen Torweg, um seine Uhr zu richten, und wie er so den Schlüssel in der Hand und die Augen auf den Zeiger der Kirchturmuhr gerichtet dastand, trat plötzlich Newman Noggs an seine Seite.

"Ah, Newman", sagte Mr. Nickleby aufblickend. "Das Schreiben wegen der Hypothek angelangt, was?"

"Falsch", brummte Noggs.

"Was? Und es war auch niemand deshalb im Büro?"

Noggs schüttelte den Kopf.

"Aber was ist denn also gekommen?"

"Ich", entgegnete Newman.

"Und was sonst noch?"

"Dies da", erwiderte Noggs und zog einen versiegelten Brief aus der Tasche. "Poststempel Strand, schwarzes Siegel, schwarzer Rand, Frauenzimmerhand, C. N. in der Ecke."

"Schwarzes Siegel?" fragte Mr. Nickleby mit einem Blick auf den Brief. "Die Schrift kommt mir bekannt vor. Es sollte mich nicht wundernehmen, Newman, wenn mein Bruder tot wäre."

"Glaub's wohl", versetzte Noggs ruhig.

"Wieso?"

"Na, weil Sie sich überhaupt über nichts wundern", antwortete Newman.

Mr. Nickleby öffnete den Brief, las ihn mit steinerner Miene, steckte ihn dann in die Tasche und begann, wieder seine Uhr aufzuziehen.

"Es ist, wie ich erwartet habe, Newman", sagte er dabei. "Er ist tot. Hm, kommt mir recht ungelegen. Ich hätt's nicht gedacht."

"Kinder hinterlassen?" forschte Noggs.

"Zwei. Das ist's doch eben", brummte Mr. Nickleby und ging schnell weiter.

"Zwei", wiederholte Noggs mit leiser Stimme.

"Und auch eine Witwe. Alle drei sind jetzt in London. Hol sie der Henker. Alle drei hier, Newman!"