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Volker Koop

Himmlers Germanenwahn

Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen

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ebook im be.bra verlag, 2013

© der Originalausgabe:
be.bra verlag GmbH
Berlin-Brandenburg, 2012
KulturBrauerei Haus 2
Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin
post@bebraverlag.de
Lektorat: Matthias Schütt, Schürensohlen
Umschlaggestaltung: hawemannundmosch, Berlin
ISBN 978-3-8393-0109-8 (epub)
ISBN 978-3-89809-097-1 (print)

www.bebraverlag.de

Inhalt

Einleitung

Weichenstellung 1935

Der Kampf um die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte

Der Irrweg zu einer »deutschen« Wissenschaft

Ideologische Verblendung statt kritischer Diskussionen

»Es ist überhaupt alles Eis«

Die Faszination der NS-Spitze für die obskure Welteislehre

Himmlers absurde Gedankenwelt

»Germanien« als Wiege aller Kultur

Heinrich I. – Rädchen in Himmlers Machtspiel

Vorbild als Baumeister »eines wirklich deutschen Reiches«

Öl, Gold und Indianerpflanzen

Die hektische Suche nach zusätzlichen Ressourcen

Kunstraub in besetzten Gebieten

Vom einfachen Diebstahl bis zum zerstörten Museum

August Hirt und die Straßburger Skelettsammlung

Ein dunkles Kapitel: Die Perversion medizinischer Forschung

Sigmund Rascher – Henker im Arztkittel

»Humanversuche« an KZ-Häftlingen

»... bis sie erstarrten...«

Unterkühlungsversuche mit unvorstellbarer Brutalität

»L-Versuche« in Natzweiler

Schwerste Verbrennungen durch Experimente mit Senfgas

Biologische Kriegsführung gegen Häftlinge

Versuche mit Fleckfieber-, Malaria- und weiteren Erregern

Nachwort

Anhang

Dokumente

Namensverzeichnis

Archive

Literatur

Abkürzungen

Zitierhinweis

Anmerkungen

Einleitung

Heinrich Luitpold Himmler ist den meisten Menschen – wenn heute überhaupt noch – als »Reichsführer-SS« ein Begriff, als ein Mann, der Herr über die Konzentrationslager der Nationalsozialisten war, der Millionen Menschen, zumeist Juden, brutal ermorden ließ und der mit Hilfe der SS seinen Hass insbesondere auf Polen auslebte. Am 7. April 1900 in München in eine bürgerlich-katholische Familie hineingeboren, war Himmler keinesfalls in die Wiege gelegt, dass er zum gefürchteten Massenmörder werden würde. Sein Vorname Heinrich verwies auf seinen Taufpaten, Prinz Heinrich von Bayern, an dessen Erziehung sein Vater Gebhard beteiligt gewesen war. »Heinrich« – dieser Name sollte für ihn noch von erheblicher Bedeutung werden, denn er sah sich später in der Nachfolge des ersten Ottonen-Königs Heinrich I. und wollte dessen Grabstätte in Quedlinburg zur nationalen Weihestätte ausbauen. Vor allem wollte er das vermeintliche germanische Erbe Deutschlands wiederbeleben und griff hemmungslos zum Mittel der Geschichtsfälschung, um Germanien – was immer er darunter verstand – als Wiege aller Kultur darzustellen.

Himmler, der in München Landwirtschaft studiert hatte, konnte auf eine beachtliche Parteikarriere verweisen. Mit 25 Jahren war er bereits Reichsredner der NSDAP und stieg in wenigen Jahren bis in die Spitze der SS auf, die er zu einem nordisch-germanischen Orden entwickeln wollte und aus der er ein brutales Einschüchterungs- und Mordinstrument schuf. Am 20. April 1934 wurde er von Göring zusätzlich zum Leiter der Gestapo Berlin ernannt. Als Dank für seine Loyalität belohnte ihn Hitler im August desselben Jahres mit dem Titel eines »Reichsleiters der NSDAP«. Damit gehörte er zur obersten Führungsriege der Nationalsozialisten.

Himmler war allerdings noch längst nicht am Ende der Karriereleiter angelangt. Nach einem Hitler-Erlass vom 17. Juni 1936 war er nun auch Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Dass er 1943 Reichsinnenminister wurde, war nahezu zwangsläufig. 1936 hatte er die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung als Sonderabteilung der Polizei gegründet. Zudem war er Vorsitzender des Lebensborn e.V., der die Mutterschaft jeder deutschen Frau beschwor und sich – natürlich nur für den »Führer« – auch für die uneheliche Mutterschaft und möglichst viele Kinder einsetzte, sofern Frauen und Erzeuger »reinen Blutes« waren. Damit nicht genug: Am 7. Oktober 1939 wurde Himmler als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« für die Vertreibung der Polen und die »Eindeutschung« der besetzten Gebiete in Polen zuständig, einer Aufgabe, der er mit Inbrunst nachging.

Es können hier bei weitem nicht alle Ämter aufgeführt werden, die Himmler im Laufe seines 45-jährigen Lebens ausübte. In diesem Buch geht es vor allem um die »Studiengesellschaft ›Deutsches Ahnenerbe‹ e.V.«, die Himmler 1935 initiierte und der er als Präsident bzw. Kurator vorstand. Dieser Verein, der bald einen halbamtlichen Charakter annahm, gab ihm nicht zuletzt die Möglichkeit, seinen germanischen Fantastereien nachzugehen. Als das Ahnenerbe später als »Amt A« in den Persönlichen Stab des Reichsführers-SS eingegliedert wurde, ergaben sich für Himmler trotz des Krieges und der damit verbundenen Bewirtschaftung der meisten Ressourcen ungeahnte Möglichkeiten. Er nutzte sie zur Verbreitung und Förderung so abwegiger Theorien wie der Welteislehre des Österreichers Hanns Hörbiger, zum Nachbau germanischer Rennwagen oder zum Nachguss germanischer Luren, mit denen die Musikkorps der SS »bereichert« werden sollten.

Auf den ersten Blick mag das Ahnenerbe als harmlose Einrichtung erscheinen, die zwar Kräfte band, aber wenig Schaden anrichtete. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs änderten sich jedoch Charakter und Aufgaben dieser Institution schlagartig. Denn Himmler rief ein sogenanntes »Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung« ins Leben, das für Menschenversuche verantwortlich war – vorwiegend in den Himmler unterstehenden Konzentrationslagern –, die an Grausamkeit kaum zu überbieten waren. Während sich das Ahnenerbe also auf der einen Seite um Aufgaben wie die Dokumentation färöischer Reigentänze sorgte, suchten gleichzeitig Ahnenerbe-»Ärzte« nach Möglichkeiten, die abgetrennten Köpfe eigens für diesen Zweck ermordeter Juden aus dem KZ Auschwitz an die Reichsuniversität Straßburg zu schaffen, um dort die Anatomische Sammlung von Professor Walter Hirt zu ergänzen. Menschen wurden von »Ärzten« wie Sigmund Rascher »Höhenflugversuchen« ausgesetzt, bis es ihre lungen Zerriss, sie wurden mit Fleckfieber und Malaria infiziert, bis zum Tod unterkühlt und Opfer von Kampfmittelversuchen. Verbrecherische Mediziner wie Hirt, Rascher oder Kurt Plötner, die unter Himmlers »Schirmherrschaft« mordeten, standen mit ihren grausamen »Humanversuchen« dem ungleich bekannteren Josef Mengele in nichts nach.

Es gab keinen Versuch, der zu grausam gewesen wäre, als dass Wissenschaftler des Ahnenerbes in Himmlers Auftrag ihn nicht durchgeführt hätten. Nicht weniger erschreckend ist die Feststellung, dass eine Reihe der »Ärzte«, die diese Verbrechen begangen hatten, auch nach dem Krieg noch tätig sein durften. Rascher wurde kurz vor der deutschen Kapitulation von der SS getötet, Hirt beging Selbstmord – aber die meisten ihrer skrupellosen Kollegen praktizieren nach dem Krieg weiter, als wäre nichts gewesen. Kein Wunder, denn das Ahnenerbe war von den alliierten Richtern in Nürnberg nicht als verbrecherische Organisation eingestuft worden. Lediglich Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers wurde im Rahmen der sogenannten »Ärzteprozesse« zum Tod verurteilt. Ein solches Urteil hätte viele andere der an den Menschenversuchen Beteiligten auch treffen müssen.

Wie an diesem Beispiel deutlich wird, gibt es in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus weiterhin erhebliche Lücken. Sieht man von einem einzigen Werk ab, dem von Michael H. Kater aus dem Jahr 1974, hat die SS-Organisation Ahnenerbe bisher nicht die angemessene Beachtung erfahren. Ihre Aktivitäten wurden nicht zur Kenntnis genommen, belächelt oder – wie die grausamen »Humanversuche« in den Konzentrationslagern – anderen zugeschrieben. Ähnliches gilt auch für das gleichermaßen absurde wie erschreckende Bemühen Himmlers und seiner Helfer, die deutschen Universitäten zu infiltrieren und eine »deutsche Wissenschaft« zu begründen, die aus ideologischen Gründen den Stand der Forschung ignorierte und auf allen Fachgebieten buchstäblich »das Rad neu erfinden« sollte. Das Ahnenerbe war ein Teil der Klaviatur, auf der Himmler spielte. Und als solches ist es bislang noch nicht ernst genug genommen worden.

Den unheilvollen Charakter der vermeintlich harmlosen Organisation Ahnenerbe zu beschreiben, ist Anliegen dieses Buches. Himmlers »Studiengesellschaft« war auch, aber nicht nur die Ansammlung von Fantasten, die davon überzeugt waren, die ostasiatische Kultur habe ihre Wurzeln im Ostseeraum gehabt, und die glaubten, Theoderichs Grabmal in Ravenna sei ein »germanisches« Bauwerk. Auch sie machten das Ahnenerbe aus. Wesentlicher aber ist, dass das Ahnenerbe Menschen für die »wehrwissenschaftliche Zweckforschung« tötete – roh und gefühllos, wie es nur Menschen tun können.

Volker Koop

Berlin, im Herbst 2012

Weichenstellung 1935

Der Kampf um die Deutungshoheit
über die deutsche Geschichte

1935 war das Jahr, in dem Heinrich Himmler einen großen Teil seiner abwegigen Fantasien vom »reinen Blut« und vom vermeintlichen Erbe der germanischen Ahnen umsetzte. So gründete er Ende des Jahres den Lebensborn e.V., dem nach Möglichkeit alle SS-Führer angehören sollten. Mit ihm wollte er unter dem Vorwand, unehelichen Müttern und Kindern zu helfen, rücksichtslos die Germanisierung ganz Europas vorantreiben und Hitler die hierfür erforderlichen Soldaten verschaffen. Ferner erteilte er 1935 dem Sicherheitsdienst (SD) den »H-Sonderauftrag« zur Erstellung einer »Hexenkartothek«. Ab 1939 gab es im Reichssicherheitshauptamt dafür sogar eigene Dienststellen.

Die SS-Forscher sollten nachweisen, dass es der Kirche mit den Hexenprozessen und der Tötung unschuldiger Frauen im Mittelalter allein darum gegangen sei, noch verbliebene Überreste germanischer Kultur zu vernichten. Abgesehen davon verbreitete Wilhelm August Patin, SS-Obersturmbannführer und Stiftskanonikus der Münchner Hofkirche, die Mitleid heischende Erzählung, eine Urahnin Himmlers namens Passaquay sei einst als Hexe verbrannt worden. Schließlich sollte es mit Margarethe Himbler aus Markesheim eine weitere Urahnin Himmlers gegeben haben, die 1629 in Mergentheim dasselbe Schicksal erlitt. Alle führenden Nationalsozialisten hätten unter ihren Ahnen gern historische Persönlichkeiten nachgewiesen. Himmler setzte den Sicherheitsdienst mit all seinen Möglichkeiten ein, um wenigstens eine »Hexe« und damit ein Opfer der Kirche als seine Ahnin aufführen zu können. Vielleicht meinte er, dass dies seinem Kampf gegen die Kirche überhaupt und die katholische im Speziellen zusätzlich Glaubwürdigkeit verleihen könnte.

Himmler träumte von der Wiedergeburt eines »großgermanischen« Reiches. Er ging davon aus, dass es ein solches Reich in früheren Zeiten gegeben haben musste, wenngleich niemand genau definieren konnte, wie dieses »Germanien« einmal ausgesehen haben mochte.

Licht in dieses Dunkel sollte ein weiterer, ebenfalls 1935 gegründeter Verein bringen: Das »Ahnenerbe e.V.«. Am 1. Juli 1935 wurde die Forschungs- und Lehrgemeinschaft ins Leben gerufen und hatte von Anbeginn an die Aufgabe, Himmlers fragwürdige Vorstellungen vom germanischen Erbe »wissenschaftlich« zu untermauern. Anfangs gab es fünf Forschungsstätten: für Sinnbildkunde, für Wortkunde, für Germanenkunde, für indogermanisch-finnische Kulturbeziehung sowie für Märchen- und Sagenkunde. Wie sich später zeigen sollte, genügte oftmals aber ein Wunsch Himmlers, um zusätzliche Forschungs- und Lehrstätten ins Leben zu rufen. Bis zum Ende des NS-Reiches und damit des Ahnenerbes waren es zeitweise bis zu 50 solcher Stätten, wie Ahnenerbe-Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg eingestand.1 Außerdem wurden zahlreiche Forschungsaufträge an externe Wissenschaftler vergeben.

Mit seiner ohnehin nur schwer nachvollziehbaren Gedankenwelt geriet Himmler zwangsläufig immer wieder in Konflikt mit Alfred Rosenberg, dem Leiter des nach ihm benannten Einsatzstabs zum Raub von Kulturgütern in den besetzten Ländern. Als »Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP« reklamierte Rosenberg die Darstellung und Interpretation der deutschen Geschichte für sich. Anlässlich einer Aufführung des Trauerspiels »Wittekind« in Oberhausen verlangte er »eine einheitliche Haltung der Partei« zur deutschen Vorgeschichte.2 Im Lauf der Jahrhunderte habe sich der deutsche Charakter vom Gehalt des »Heiligen römischen Reiches deutscher Nation« immer weiter entfernt, beklagte der in Reval geborene NS-Ideologe. »Das Entstehen einer freien wissenschaftlichen Forschung, die vielen Empörungen gegen das fremde römische Recht, das in seiner späten Verzerrung nach Deutschland getragen wurde; die Proteste gegen die Kreuzzüge und das Entsetzen der kolonisierenden Bewegung im Osten, das alles waren Absonderungserscheinungen gegenüber einer Universalmonarchie. Die Entstehung von Brandenburg-Preußen war der mächtigste politische Sturm gegen diesen Universalismus. Die deutschen Freiheitskämpfe von 1813 zeigten die bewusste großdeutsche Wiedergeburt des deutschen Volkes, die nationalsozialistische Bewegung und ihr Staat bedeuten in der Neugründung den Abschluss dieses tausendjährigen Vorstoßes und darum ist es nicht nur verständlich, sondern notwendig, dass die nationalsozialistische Bewegung jenen Kämpfern eine neue Liebe entgegenbringt, in denen sie den freien Charakter ihrer eigenen Zeit glaubt wiederfinden zu können.«

Karl der Große – Vom Urfranzosen zur germanischen Kraft

Für die Wandlung der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung war die Einordnung Karls des Großen durch Rosenberg bedeutsam: Es sei verständlich, »wenn die durch die damaligen Sachsenkriege besonders betroffenen Niedersachsen, wenn die überschäumende Jugend heute von ›Karl dem Sachsenschlächter‹ spricht, es ist aber unzweckmäßig, wenn die Bewegung durch amtliche Verlautbarungen ihrer Leiter diese Prägungen sich zu eigen macht und Kaiser Karl nur als eine Marionette kirchlicher Wünsche oder nur als einen ›Mörder‹ darstellt«. Mit dieser Klarstellung war zugleich massive Kritik an Himmler verbunden, denn dieser sah lange Zeit in Karl dem Großen ausschließlich jenen bewussten »Sachsenschlächter« und nicht mehr. In Verden an der Aller3 habe er – Rosenberg – schon 1934 ausdrücklich darauf hingewiesen, »dass wir gar nicht daran denken, Kaiser Karl mit beschimpfenden Beiworten belegen zu wollen«. Man könne auf dem Standpunkt stehen, dass ohne Karls Reichsgründung die Zersplitterung der deutschen Stämme weiter gegangen und das Germanentum Opfer anderer Gewalten geworden wäre.

»Man mag andererseits auf dem Standpunkt stehen, dass die meisten Germanen Arianer waren, dass bereits Theoderich der Große darauf hinwirkte, ein großgermanisches Reich zu gründen, dass er aber durch die katholisch gewordenen Franken und deren militärische Macht daran gehindert wurde, diesen Gedanken zu verwirklichen. Man mag auf der anderen Seite zu ähnlichem Ergebnis kommen: Kaum 100 Jahre nach dem Sieg Karls des Großen stand an der Spitze des von ihm gegründeten Reiches das sächsische Herrscherhaus und Heinrich I., der Sachsenkönig, wurde zum eigentlichen Sammler der deutschen Stämme. Es wäre also nicht von der Hand zu weisen, dass auch ohne die Gründung Kaiser Karls das Niedersachsentum in ständiger Fortentwicklung von einem Kern aus ein gesamtdeutsches Königtum gegründet hätte, ohne dabei neben dem formalen Machtstaat auch den deutschfeindlichen Gehalt einer Universalmonarchie mit in Kauf nehmen zu müssen.«

Die Nationalsozialisten dächten überhaupt nicht daran, »König [sic] Karl etwa aus der deutschen Geschichte auszustoßen und ihn gleichsam als Urfranzosen hinzustellen, sondern wir müssen auch in ihm eine große germanische Kraft erblicken, die eben, weil sie eine geschichtliche Tat von ungeheurer Tragweite zustande brachte, nicht mit jenem Maßstabe gemessen werden darf, den man vielleicht an einen Freibeuter anlegen kann«. Diese Auffassung machten sich nach und nach auch die übrigen NS-Führungspersonen zu eigen. »Karl der Große war einer der größten Menschen der Weltgeschichte: dass er [es] fertiggebracht hat, die deutschen Querschädel zueinander zu bringen!«,4 meinte beispielsweise Hitler 1942. Er tat dies in Anwesenheit von Himmler, und dies ist insofern bedeutsam, als Himmler ein glühender Verehrer Heinrichs I. war und sich – wie man behauptete – in dessen Nachfolge sah.

Diese Betrachtungen zeigen einmal mehr, dass die Nationalsozialisten Geschichte verfälschten, wie sie in ihr Weltbild passte. Sie machten Theoderich zum Germanen, obwohl dieser doch König der Ostgoten, zeitweise auch der Westgoten gewesen war. Vor allem verdrängten sie, dass es unter dem Arianer Theoderich keinerlei religiös begründete Verfolgungen gegeben hatte – weder gegen Christen noch gegen Juden. Theoderich war ein toleranter Herrscher, und in einem Brief an die Juden hatte er geschrieben: »Religion können wir nicht anbefehlen, da es niemandem in den Sinn kommen wird, dass er gegen seinen Willen glaubt«.5 Insofern war der Gotenkönig Theoderich kaum der geeignete Zeuge, der den Nationalsozialisten als Vorbild hätte dienen können.

Wiederholt unternahm Rosenberg Anstrengungen, die deutsche Vorgeschichte neu zu definieren. So erklärte er beispielsweise am 1. März 1934, »die hohe Bedeutung, die der deutschen Vorgeschichte in dem weltanschaulichen Kampf und in dem Erziehungswerk des Nationalsozialismus zukommt, macht es notwendig, anstelle der Splitterorganisationen eine arbeitsfähige Front für deutsche Vorgeschichte zu schaffen«.6 Rosenberg ernannte den Archäologen Hans Reinerth, den Leiter des Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte, zu seinem Berater und ordnete an, Verhandlungen mit allen entsprechenden Vereinen und Gesellschaften aufzunehmen, um »zu einheitlicher Arbeit auf nationalsozialistischer Grundlage zu gelangen«.

Am 3. Oktober 1935 startete Rosenberg einen zusätzlichen Versuch, die Deutungshoheit über die Geschichte an sich zu reißen. Er erließ Richtlinien zur »Überwachung der gleichgeschalteten Verbände«, die folgende Bereiche umfassten: Kunst und Volkstum, Literatur/Literaturwissenschaft, Vorgeschichte/Archäologie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik, religiös-weltanschauliche Fragen, Volkskunde sowie Nordische Fragen.7 Mit diesen Richtlinien meinte er, Himmlers gleich gelagerte Ambitionen konterkarieren zu können. Das Vorgehen kann durchaus als Kampfansage gewertet werden, denn dieser hatte ja am 1. Juli 1935 das Ahnenerbe gegründet.

Die Auseinandersetzungen Rosenbergs mit Himmler hielten bis Kriegsende an, wobei erwähnt sei, dass Rosenberg ohnehin mit den meisten NS-Führern im Streit lag. Mit dem mächtigen Leiter der NSDAP-Parteikanzlei, Martin Bormann, ebenso wie mit dem Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers. Symptomatisch für das Verhalten des eigensinnigen Rosenbergs ist dieses Beispiel: Die Reichsstudentenführung wollte ein Forschungswerk ins Leben rufen, und zwar ausdrücklich unter Beteiligung von Rosenberg. In einem Brief an Ahnenerbe-Kurator Walther Wüst hieß es dazu:8 »Unter mehrfacher Betonung seiner persönlichen Verbundenheit (...) und seiner Freude über die persönlichen Interessen des Reichsführers SS« lehnte Rosenberg jedoch ab. Nur er sei für solche Fragen zuständig, allenfalls noch der Reichsstudentenführer oder der NSD-Dozentenbund. Demgegenüber legte der Reichstudentenführer Wert auf die Zusammenarbeit mit Himmler und dessen Ahnenerbe. Der Reichsfachgruppenleiter Naturwissenschaft in der Reichsstudentenführung, Fritz Kubach, bat Wüst daher, bei Himmler zu intervenieren. Er schlug vor, »dass in irgendeiner Form im ›Ahnenerbe‹ eine Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften geschaffen wird, die nicht mit einem großen Aufruf nach außen in Erscheinung tritt, in deren Rahmen mir aber die Möglichkeit zur Verwirklichung meines Planes durch Heranziehung geeigneter mir bekannter Naturwissenschaftler gegeben wäre«.

Mit dem Ahnenerbe gegen Rosenberg

Den Ansprüchen und Forderungen Rosenbergs setzte Himmler gezielt das Ahnenerbe entgegen. Als Vorläufer für diese Einrichtung kann die »Gesellschaft für Geistesurgeschichte« gelten, deren Vorsitzender Herman Wirth, ein niederländischer Privatgelehrter, beim Ahnenerbe jedoch keine bedeutende Rolle mehr spielen sollte. Wirth genoss in Fachkreisen einen zweifelhaften Ruf. Der Leiter der Vereinigung deutscher Urgeschichtsforscher, Freiherr von Richthofen, übte am 9. Mai 1934 im Zusammenhang mit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgetauchten »Urs Linda Chronik« vernichtende Kritik: »Wirth wird von dem Göttinger Germanisten Wolff sehr treffend charakterisiert: ›Ohne jede Hemmung sprudeln und überstürzen sich seine Einfälle, legen unaufhörlich allen Einzelheiten, die ihm begegnen, ohne nähere Untersuchung eine Deutung unter, die aus einer vorher gegebenen Überzeugung folgt. Das Wesen der wissenschaftlichen Beweisführung mit dem vorsichtigen Abwägen des Für und Wider scheint ihm fremd‹.«9

Im Grunde entsprachen Wirths Vorstellungen denen Himmlers, denn auch dieser meinte die Überlegenheit der Germanen allen anderen Völkern gegenüber schon in vorgeschichtlichen Zeiten nachweisen zu können. So behauptete die »Urs Linda Chronik«, die Wirth für echt hielt, die Germanen hätten schon um 2000 v. Chr. – vor Beginn der Bronzezeit – Eisenwaffen hergestellt und auf Kreta eine Bootsladung davon gegen Land eingetauscht. Freiherr von Richthofen führte dagegen Experten für Fragen der Urgeschichtsforschung ins Feld.10 Es sei doch merkwürdig, dass man in den germanischen Großsteingräbern nur Steinwaffen gefunden habe. Nach Darstellung der Chronik hätten Germanen Athen und Thyrus gegründet. Das seien jedoch Kleinigkeiten gegenüber der Behauptung, »dass vom 5. Jh. v. Chr. ab die Germanen von den Kelten im Westen, von Slaven und Finnen im Osten unterworfen worden seien«. Damit rede Wirth »trotz seiner völkischen Einstellung« denen das Wort, die den »Ansprüchen unserer Nachbarn auf deutschen Volksboden neue Beweise liefern könnten«. Eine weitere Stellungnahme zu Wirths Ansicht besagte, dass er sich zum »Werkzeug« der Freimaurerei gemacht habe.11 Er habe sich nicht gescheut, bei einem Vortrag vor der Nordhauser Loge zu erklären, ihr Brauchtum sei »nicht orientalisch, sondern nordisch-atlantisch«. »Sie fußen auf nordischer Tradition«. Der Staat aber habe die Schliche der Freimaurerei erkannt und die Logen seien »trotz Herman Wirth« aufgelöst worden. Wirth wurde schließlich auf den Posten eines Ahnenerbe-Ehrenpräsidenten abgeschoben, denn Himmler und seine Vasallen mussten wohl oder übel seine Arbeiten als pseudowissenschaftlich verwerfen. Dies mutet, wenn man an Himmlers später noch zu thematisierende Vorliebe für die wissenschaftlich ebenso wenig haltbare Welteislehre denkt, geradezu aberwitzig an.

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Eines der vielen Pamphlete von Herman Wirth, dem Mitinitiator des Ahnenerbes, den Himmler bald auf den Posten des Ehrenpräsidenten abschob.

»Geistig-seelische Erbmasse«

Am 5. Mai 1935 wurde der Öffentlichkeit die »Deutsches Ahnenerbe – Freilichtschau und Sammlung für Volksbrauchtum und Urglauben« präsentiert. Im Mittelpunkt dieser ersten Ahnenerbe-Ausstellung stand »Der Lebensbaum im germanischen Brauchtum«. Im Begleittext dazu hieß es unter anderem:12 »Volksgenossen! ›Deutsches Ahnenerbe‹ gibt erstmals den geistesgeschichtlichen Querschnitt der germanischen Urgeschichte und Volkskunde, will die große Linie klar werden lassen, die uns als geistig-seelische Erbmasse mit unseren Altvorderen verbindet.« Als Ziele wurden genannt die Errichtung einer Forschungsanstalt für die »systematische Aufnahme und Beschreibung der kultursymbolischen Denkmäler Deutschlands und weiterer germanischer Länder« sowie die Angliederung einer »Unterkunftsstätte für Schulen, Formationen (HJ, SA, SS usw.), Kraft durch Freude, NS-Lehrer- und Studentenschaft, NS-Frauenschaft, BDM usw. und Werkstätten für Volkskunstgewerbe (Holz- und Steinbildhauer, Former, Töpfer und Weber«. Sie sollten Nachbildungen aus dem In- und Ausland herstellen, aber auch für »eigene Volkstums-Neuschöpfungen« stehen. Im NS-Pathos sollten »die ewigen lebendigen Werte des Vergangenen (...) im Geiste des Erschauten und wieder Eigenerlebten hier neu erstehen«.

Dass sich das Ahnenerbe als erstes Projekt mit dem »Lebensbaum« befasste, sagt viel über die Geisteshaltung aus. So bestand ein wesentliches Forschungsfeld im »Gemeinschaftswerk Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte«.13 Dazu gehörten Einzelthemen wie: »Der Wald im religiösen Erleben und Brauch des germanischen Menschen«, »Der Wald im Kult der heidnischen Germanen« oder auch »Der Wald im Märchen«. Dieses Forschungsvorhaben, für das auch Aufträge an Externe vergeben wurden und an dem nicht zuletzt der oberste Jäger des Reichs und – wichtiger noch – Präsident des Reichsforschungsratsn Hermann Göring, interessiert war, wurde erst im Lauf des Zweiten Weltkriegs eingestellt.

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Die Eingangshalle der Ahnenerbe-Villa in Berlin-Dahlem – der Wandteppich zeigt das Ahnenerbe-Emblem, eine Irminsäule mit stilisiertem Himmel und SS-Runen.

»Werde, der du bist«

Wie sich die Forschungs- und Lehrgemeinschaft »Das Ahnenerbe« sah, welche Aufgaben und welchen Aufbau Himmler vorgegeben hatte, geht anschaulich aus einer sehr umfangreichen Darstellung hervor, die hier nur teilweise zitiert werden kann.14 Deutlich wird aus dem Papier, dass die gesamte bisherige Wissenschaft und ihre Erkenntnisse gewissermaßen auf den Kopf gestellt werden sollten. Das Ahnenerbe sollte demnach die Wissenschaft völlig neu entwickeln und keinesfalls im Grunde feststehende Tatsachen als unumstößlich akzeptieren. Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft sei »aus der damaligen Situation der Geisteswissenschaften hervor[gegangen], die dem Umbruch, der sich auf politischem Gebiet vollzogen hatte, nicht gefolgt waren, sondern teils im alten Weltbild steckenblieben, teils im krampfhaften Bemühen, den Anschluss an den Nationalsozialismus nicht zu versäumen, die Wissenschaft vergewaltigten. Freilich gab es Einzelgänger, die ehrlich neue Wege zu finden strebten. Diese galt es zu sammeln, einander nahe zu bringen«.

Der Reichsführer-SS habe erkannt, dass es nur einen Weg geben könne, »um der entwurzelten und ihres völkischen Zusammenhangs entbehrenden Wissenschaft und damit der neuen ›Welt-Anschauung‹ ihren festgegründeten Boden wiederzugeben. Das ›Werde, der du bist‹ – die Besinnung auf das eigene Sein und Wesen, d. h. die Besinnung auf die Ahnen, ihr Wesen und Wirken«. Himmler wollte erkannt haben: »Ein Volk lebt solange glücklich in Gegenwart und Zukunft, als es sich seiner Vergangenheit und der Größe seiner Ahnen bewusst ist.« Das sei der Leitsatz, an dem man sich orientiere.

»Im Anfang galt die Arbeit des ›Ahnenerbes‹ vor allem der Erschließung des germanischen Elementes unserer Kultur, dem Bemühen, aus der vielfachen Überfremdung durch konfessionelle und andere Einflüsse dem germanischen Wesen auf die Spur zu kommen. Als erste Forschungsstätten entstanden deshalb diejenigen für ›Germanenkunde‹, für ›Märchen und Sagen‹, für ›Schrift- und Sinnbildkunde‹, für ›Ausgrabungen‹, für ›Hausmarken und Sippenzeichen‹. Die Zeitschrift ›Germanien‹ diente als ›Zeitschrift aller Freunde germanischer Vorgeschichte‹ dazu, das wissenschaftliche Material weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Gleichzeitig wurde die ›Schriftenreihe Deutsches Ahnenerbe‹ gegründet mit ihren drei Reihen: Grundwerke, Fachwissenschaftliche Untersuchungen, Volkstümliche Schriften.«

Im Laufe der Arbeit sei man zu der Erkenntnis gelangt, dass man auf der Suche nach dem Woher und Wohin des Daseins nicht bei den germanischen Quellen Halt machen dürfe, sondern weit zurückgreifen müsse auf den »Urzusammenhang aller Völker nordischen Blutes im Indogermanentum«. Der Reichsführer-SS habe deshalb an die Spitze des Ahnenerbes als seinen wissenschaftlichen Leiter (Kurator) den ordentlichen Professor für Indogermanisch-Arische Kultur- und Sprachwissenschaft an der Universität München, Dr. Walther Wüst, berufen.

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Die Zeitschrift »Germanien« sollte dazu dienen, das »deutsche Wesen« zu erkennen.

Hand in Hand seien damit naturwissenschaftliche Institute gegründet worden, »da die Trennung in Geistes- und Naturwissenschaften eine Folge der liberalistischen Denkweise« sei und jetzt durch die »Einheit von Seele und Leib, Geist und Blut, Gott und Welt als Voraussetzung einer neuen indogermanisch-germanischen Weltanschauung« als überwunden gelte. Der Anspruch, den das Ahnenerbe – richtiger: Himmler – an sich selbst stellte, wird damit sichtbar: Aufgabe des Ahnenerbe sollte nicht mehr und nicht weniger sein als die Festlegung einer grundlegend neuen Wissenschaftsauffassung und die Durchsetzung einer »indogermanisch-germanischen Weltanschauung«. Es ist im Übrigen Aufgabe der heutigen Historiker herauszuarbeiten, welches die Unterschiede zwischen einer solchen Weltanschauung und dem Nationalsozialismus sein sollten. Denn nach dem Selbstverständnis des NS-Regimes handelte es sich ja auch beim Nationalsozialismus um eine »Weltanschauung«.

Jul-Leuchter für Geheimrätin Merck

Finanziell war das Ahnenerbe anfangs unter anderem vom Reichsnährstand abhängig, bis ab 1936 Gelder vorwiegend von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft)15 flossen. Schon 1937 war das Ahnenerbe dann wirtschaftlich dem späteren SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt unterstellt. Im selben Jahr erhielt es eine neue Satzung und wurde in »Das Ahnenerbe e.V.« umbenannt. Himmler stand als »Kurator« an der Spitze des Vereins, wenngleich der Verein formell durch einen Präsidenten geführt wurde. Himmler besetzte dieses Amt mit dem bereits erwähnten Walther Wüst, dem späteren Rektor der Universität München. Ab 1939 wurden die Rollen vertauscht: Jetzt firmierte Himmler als »Präsident« der »Forschungs- und Lehrgemeinschaft«. Ihm war Wüst nun als »Kurator« wissenschaftlich und auch für die Personalpolitik verantwortlich. Wolfram Sievers, der bereits seit 1935 Generalsekretär der »Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte« gewesen war, wurde zum Reichsgeschäftsführer berufen.

Es gelang Himmler, eine stattliche Zahl von Spendern zu gewinnen. Zu ihnen gehörte beispielsweise Geheimrätin Mathilde Merck, die 1.000 RM zur Verfügung stellte und in ihrem Begleitbrief an Sievers formulierte:16 »Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie bei Gelegenheit Herrn Reichsführer SS Heinrich Himmler noch einmal meine besondere Freude und innigen Dank für die zwei schönen Gaben des Jul-Leuchters und des weißen Berghirsches übermitteln wollten. Durch den Chefadjutanten des Reichsführers SS Wolf, dessen Frau die Tochter meiner besten Freundin ist, bin ich innerlich Herrn Himmler näher gerückt und sehr glücklich, dass gerade er diese große geistige Zusammenfassung des Ahnenerbes zur weiteren Ausgestaltung in Händen hat. Diese Studiengesellschaft für geistige Urgeschichte ist ja nach meiner Ansicht der Urquell zu unserer geistigen Wiedergeburt. (...) Wie herrlich ist der Weg, auf dem wir Deutsche nun voranschreiten.«

Die Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt in Berlin stellte 12.000 RM zur Verfügung,17 die Bayerischen Motorenwerke 5.000 RM18 und Daimler-Benz 10.000 RM, verbunden mit dem Hinweis »die Mittel würden einmal reiche Früchte tragen«.19 30.000 RM kamen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft)20, 26.000 von der Deutschen Bank – & Disconto-Gesellschaft21, von der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG, Wuppertal, weitere 10.000 RM22.

»Gewaltig ist die Fülle der Schätze...«

Himmler begründete im Januar 1936 ausführlich, warum er eine Einrichtung wie das Ahnenerbe für unabdingbar hielt.23 Er beschwor glorreiche, längst vergangene Zeiten, fälschte Geschichte, wo immer es nur ging und sah sich in gewisser Weise als den Heilsbringer, den Retter, der das deutsche Volk und seine Seele vor der »Verkümmerung« bewahren und es in eine neue, große Zukunft führen könnte. Mehr als einmal seien, so der Reichsführer-SS, über das deutsche Volk verheerende Gewitter hinweggegangen. »Einmal hat man dem Deutschen Volke das genommen, was es als Erbteil langer Reihen von Ahnen der Welt als seine Weltanschauung abgewonnen und was es als Sinnbilder seiner Lebensauffassung geprägt hatte. Zum anderen Mal hat man ihm das Wissen um diese Welt und damit das Wissen von seinen eigenen Ursprüngen genommen, bis es, blind geworden für seine eigene Art, die besseren Eigenwerte seiner Seele aus fremden Wurzeln ableitete oder aber, in unbewusstem inneren Zwiespalt gefangen, im Kampf zwischen Eigenwert und fremden Werten den inneren Halt überhaupt verloren hat. (...) Lange Zeit haben unsere Väter und wir in jenem träumenden Halbschlaf gelegen, in den hin und wieder Wahnglaube und Fanatismus wie ein schrecklicher Alb hineinspielte – Träume, die nur aus innerlich zerrissener Seele aufsteigen können, deren tiefste Sehnsucht unerfüllt geblieben ist. Und während sich das Sinnen der Deutschen Seele in entlegene Bereiche oder in fremdgeistige Gebilde flüchtete, ging der Wechsel der Zeitalter über ihre Deutsche Welt hinweg. Eine kalte und tote Wissenschaft scheuchte ihre tiefsten Äußerungen in den Bereich des Aberglaubens oder ließ sie in Schema und Dogma erstarren, während eine rasende materielle Entwicklung ihren Mutterboden zerstampfte und zerstörte. Das Deutsche Volk, einst eine herrliche Einheit in Blut und Geist, wurde in Klassen und Schichten gespalten, sein gemeinsamer Bildungsinhalt wurde durch eine tote Gelehrsamkeit zerstört; Brotneid und Bildungsneid traten an die Stelle jenes Gemeinschaftsgefühls, das einst germanische Völker zu weltgeschichtlichen, politischen und geistigen Leistungen befähigt hatte«, fabulierte Himmler, um dann fortzufahren:

»Für die Verteidigung der letzten Reste dieser unserer artgemäßen seelischen Überlieferung sind freie Bauern im Kampf mit fremden Gewalten gefallen, sind selbstständige Geister als Zauberer und Ketzer getötet worden; um die Wiedergewinnung jener verlorenen geistigen Heiligtümer haben sich, noch bevor sie ganz verschüttet waren, die edelsten Geister des Deutschen Volkes bemüht. Sie haben, selbst aus bäuerlichem deutschen Blute kommend, zunächst die Waffen geschmiedet, mit denen sie innerhalb einer kalt und seelenlos gewordenen Wissenschaft dem Deutschen Gedanken eine Stellung wiedererobert haben – eine bescheidene Stellung zwar, aber immerhin eine Kampfstellung, von der aus eine Wiedergewinnung verlorenen Bodens möglich war. Aber nichts war damit gewonnen, wenn das alte ideelle Volksgut in den Mühlen der Gelehrsamkeit zu totem Staub zermahlen wurde, anstatt als frische grüne Saat auf dem lebendigen Boden des Volkstums von neuem zu keimen und aus uraltem Heimatboden immer neue Früchte zu bringen. Denn eines müssen wir heute als bittere Notwendigkeit erkennen: Was einst unbewusst aus seelischen Tiefen gewachsen ist, das ist bedroht und in seinen letzten Äußerungen verloren, wenn es nicht mit den Waffen des bewussten Geistes geschützt, mit nüchternem Auge erkannt, aber mit heißem Herzen gehegt und zu neuem Keimen gebracht wird. Gewaltig ist das Rüstzeug, das uns die Wissenschaften der Germanenkunde für diesen Kampf geliefert haben. Sie haben das Wurzelwerk dessen offengelegt, woraus unsere Volkheit zu einem mächtigen Baum erwachsen ist, sie haben gezeigt, was einst war und was sein und werden muss, wenn wir die lebendige Verbindung zu den Ursprüngen unseres leiblichen und geistigen Seins wiedergewinnen wollen. Aber hiermit allein ist es nicht getan. Es gilt jetzt, unser inneres völkisches Leben wieder mit dem in Verbindung zu bringen, was uns einst durch Katastrophen innerer und äußerer Art genommen und verschüttet worden ist. Dabei mag die Führung der unbestechlichen und klarsichtigen Wissenschaft uns zufallen, aber ihre Arbeit muss ihren Widerhall finden im gesamten Volke, und alle Deutschen müssen an ihren Ergebnissen teilnehmen. Nicht als Kritiker und Besserwisser, sondern als ein Bild jener untrennbaren Einheit von Volk und Führertum, die uns die große politische Erneuerung geschenkt hat. Gewaltig ist die Fülle der Schätze, die uns das Forschen nach den Zeugnissen von dem Leben unserer Ahnen erschlossen hat; sie bestehen nicht nur in Scherben und Töpfen, in Gold und Waffen, sie leben in dem, was die Ahnenseele als Zeugnis ihrer göttlichen Sendung erschaffen hat, in Sage, Märchen und Lied und am meisten in dem lebendigen Blute jener, das auch in unseren Adern fließt. Diesen erbmäßigen Eigenwert der Deutschen Seele zu schützen, zu erhalten und vor Verkümmerung und Verfälschung zu bewahren, das hat sich das ›Deutsche Ahnenerbe‹ als hohe Aufgabe gestellt. Es will all jene Werte und ihre Zeugnisse sammeln und vereinigen und sie zu einem mächtigen Strom zusammenfließen lassen, der als ewige Quelle unseres inneren Lebens für die kommenden Jahrtausende fließen soll.«

Mit diesen Äußerungen machte Himmler deutlich, was die Deutschen in den nächsten Jahren von ihm zu erwarten hatten: die völlige Umgestaltung der Wissenschaften zu einer »deutschen«, sprich germanischen Wissenschaft. Erneut erhob Himmler den Anspruch, Gründer einer neuen Wissenschaft zu werden, und tat die bisherige als »kalt und tot« ab. Und wenn er davon sprach, »uns« falle die Führung einer »unbestechlichen und klarsichtigen Wissenschaft« zu, dann meinte er natürlich sich selbst. Unumstößliche wissenschaftliche Erkenntnisse wollte Himmler nicht akzeptieren, weil er stets davon ausging, Juden hätten die Wissenschaften besetzt und Forschungsergebnisse in ihrem Sinn gefälscht. Ein markantes Beispiel hierfür sind die Blutgruppenuntersuchungen, auf die später noch ausführlich eingegangen wird. Weil die Mendelschen Gesetze als »jüdisch« beeinflusst und damit falsch abgetan wurden, musste die Forschung hier auf Himmlers Geheiß gewissermaßen völlig neu beginnen.

Auch 1944 hatte Himmler noch nicht aufgehört, von einer neuen germanischen Wissenschaft zu träumen. Im Oktober 1944, ein halbes Jahr vor dem endgültigen Untergang des NS-Regimes, wurde als vorrangige Aufgabe des Ahnenerbes verlangt,24 »die empfindlichen Lücken in unserem Wissenschaftsbild vom germanischen Raum zu schließen (z. B. Vorgeschichte des Nordwestraumes, Stellung der Wallonen und burgundischen Schweizer im germanischen Raum, germanisches Volks- und Kulturerbe in den nichtgermanischen Sprachgebieten usw.)«. Wie absurd Himmlers Vorgehen war, zeigt sich daran, dass er noch in den letzten Kriegsmonaten in den Konzentrationslagern Abteilungen einrichten ließ, in denen Experten an einer »deutschen« Mathematik arbeiteten. Diese Experten waren Tschechen, Polen, oft Juden, also genau die Gruppen, derentwegen doch Himmler angeblich die Wissenschaft völlig neu aufbauen musste.

Permanent jedoch beherrschten Eifersüchteleien und Konkurrenzdenken die Diskussionen um das »Erbe der Ahnen« und hatten 1937 zur »Arbeitsgemeinschaft für deutsche Volkskunde« geführt.25 Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Richard Walther Darré, Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl, Reichsjugendführer Baldur von Schirach, Himmler sowie Rosenberg gründeten die Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel, die »weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus auf dem Gebiet der praktischen Volkskundearbeit« abzuwehren sowie alle an volkskundlichen Fragen interessierte Parteidienststellen zu beraten. Der Arbeitsgemeinschaft gehörten an als Vertreter von Darré und Himmler SS-Brigadeführer Reischle, Generalarbeitsführer Will Decker als Beauftragter von Hierl, Obersturmbannführer Brennecke für von Schirach und Hauptstellenleiter Matthes Ziegler für Rosenberg. Dieser Arbeitsgemeinschaft konnte kein Erfolg beschieden sein. Stattdessen baute Himmler das Ahnenerbe aus, für dessen Förderung und Finanzierung er eine entsprechende Stiftung ins Leben rief.26 Als Stiftungszweck galt es, die Bestrebungen der Gemeinschaft Das Ahnenerbe e.V. durch Zuwendungen zu unterstützen sowie Spender zu werben. Für das Stiftungsvermögen gaben Himmler 5.000 RM und das Ahnenerbe 3.000 RM.

»Studentenbetreuung« hinter Stacheldraht

Dem Ahnenerbe kam auch bei der »Betreuung der nichtdeutschen germanischen Studenten« eine erhebliche Rolle zu.27 Bis 1943 hatte es eine weitgehende Zersplitterung in diesem Bereich gegeben, jetzt sollte das »Germanische Begabtenwerk« aktiv werden. »Da nunmehr durch das ›Germanische Begabtenwerk‹ in der Germanischen Leitstelle der Versuch gemacht werden soll, sämtliche nichtdeutschen germanischen Studenten zu erfassen, kann das Ahnenerbe sich ausschließlich auf seine Aufgabe beschränken, nämlich nur den hochwertigen wissenschaftlichen Nachwuchs auf den uns gemäßen Arbeitsgebieten zu erfassen.« Wieder einmal setzte sich damit ein Bereich durch, der direkt Himmler und seinen Weisungen unterstand. Einmal mehr schimmert durch, dass Himmler im NS-Regime weitaus mehr Macht auf sich vereinigte, als dies gemeinhin gesehen wird. Im Zusammenhang mit der Betreuung germanischer Studenten bedeutete dies, dass alle betroffenen Dienststellen, mithin Reichsstudentenführung, Deutsches Studienwerk für Ausländer sowie Germanisches Begabtenwerk sich damit einverstanden zu erklären hatten, dass das Ahnenerbe die führende Funktion für die »germanischen« Räume übernahm. Das bedeutete, dass das gesamte Stipendienwesen über das Germanische Begabtenwerk bzw. noch über das Deutsche Studienwerk für Ausländer laufen sollte, »während das Ahnenerbe nur eingreifen wird, wenn besonders hervorragende wissenschaftliche Begabung mit entsprechender weltanschaulicher Haltung vorliegt«. Dann allerdings hatte das Ahnenerbe den betreffenden Studenten in eigene Förderung zu übernehmen, um ihn mit der nationalsozialistischen Arbeitsweise vertraut zu machen. Ebenso durfte das Ahnenerbe immer dann eingreifen, wenn Arbeitsstipendien an solche jungen Wissenschaftler gewährt werden müssen, »die in den germanischen Ländern selbst arbeiten wollen, ihr Stipendium also nicht in Deutschland verwenden«.

Das übergeordnete Ziel war klar formuliert: »Die Neuordnung des germanischen Wissenschaftsaufbaus« werde nur erfolgreich sein, wenn »das Ahnenerbe in der Lage ist, den wirklich hervorragenden wissenschaftlichen Nachwuchs so zu erfassen und zu erziehen, dass wir die wichtigsten Positionen der geisteswissenschaftlichen Fächer in den germanischen Ländern zukünftig durch von uns ausgebildete Dozenten besetzen können«.

Erlaubt sei ein Zeitsprung, um deutlich zu machen, wie die Betreuung »germanischer« Studenten beispielsweise aus Norwegen in der Praxis aussah. Ende 1943 waren Hunderte NS-kritische norwegische Studenten verhaftet und nach Deutschland verschleppt worden, um hier in nationalsozialistischem Sinn indoktriniert zu werden. Während sich im SS-Ausbildungslager Sennheim im Elsass ca. 300 norwegische Studenten befänden, seien es im Konzentrationslager Buchenwald etwa 400, hielt Sievers in einem Vermerk fest. Die Unterbringung in Buchenwald weiche jedoch gänzlich von der Unterbringung und Behandlung in Sennheim ab. So trügen die Studenten in Buchenwald Häftlingskleidung. Eine Verlegung der Sennheimer Studenten dorthin würde die erreichten Erfolge in Frage stellen, fürchtete Sievers nicht zu Unrecht. Unterbringungsmöglichkeiten wären für die gesamten Studenten in Sennheim gegeben: »Unter diesen Umständen erklärte ich, dass wir vorläufig von den vom RF-SS befohlenen, vor den Studenten in Sennheim zu haltenden Vorlesungen durch Wissenschaftler des Ahnenerbes Abstand nehmen müssten. Am 4.3.44 berichtete ich dem RF-SS von der Sachlage und teilte mit, dass wir die Vorlesungen, die der RF-SS befohlen habe, noch zurückstellen würden. Ich erklärte auch, dass ich froh sei, inzwischen noch keine Gelegenheit gehabt zu haben, mit dem früheren Rektor der Universität Oslo, Prof. Seip, zu sprechen, dem ich gemäß Befehl RF-SS hätte ausrichten sollen, dass die norwegischen Studenten in Sennheim genau wie er großzügig behandelt würden. Der RF-SS erklärte, sich sofort persönlich in die Dinge einschalten zu wollen. Die unterschiedliche Behandlung in Buchenwald schien ihm nicht bekannt gewesen zu sein.«28

Am 1. Juli 1944 hieß es, es sei nunmehr beabsichtigt, die seit längerer Zeit in Aussicht genommenen Vorlesungen im Lager Sennheim durchzuführen.29 Neun Referenten sollten sich u. a. mit diesen Themen befassen: »Daseinsmacht in ihrer indogermanischen Verflechtung«, »Germanische Totalität«, »Die Heldensage – ein gemeinsamer Besitz des Germanentums«, »Das Haus als Heiligtum – zur germanischen Religionsgeschichte«, »Sippe, Gefolgschaft, Stamm in germanischer Zeit«. Zur Auswahl der Studenten hieß es, es handele sich um solche, die am Entschiedensten gegen Deutschland eingestellt seien. »Da diese zur besten rassischen Substanz des Volkes gehören, müssen Maßnahmen wie die Überführung nach Deutschland die Haltung dieser jungen Männer zweifellos verhärten. Die erste Aufgabe der mit der Erziehung der überführten Studenten beauftragten Kameraden müsste es daher sein, diese durch die deutschen Zwangsmaßnahmen verstärkte Verhärtung langsam aufzulockern.« Im Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung »Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945« wird auf das Schicksal der norwegischen Studenten eingegangen, ohne jedoch den Anteil des Ahnenerbes daran zu bewerten. In dem Band heißt es:30 »Am 30. November 1943 wurden etwa 1250 Studenten der Universität Oslo verhaftet und in ein Lager in Norwegen gebracht. Da sie mehrfach gegen die Nazifizierung der Universität protestiert hatten, sollte an ihnen offensichtlich eine exemplarische ›Umerziehung‹ stattfinden. 348 brachte man am 13. Januar 1944 nach Buchenwald, isolierte sie von den übrigen Häftlingen und versuchte ergebnislos eine ›SS-Erziehung‹ an ihnen. Die norwegischen Studenten erhielten Rot-Kreuz-Pakete, die sie mit anderen Häftlingen teilten und waren wegen ihrer solidarischen Haltung im Lager beliebt. Der Däne J. Nybe Frederiksen berichtet: ›Nach einigen Tagen kam das Dänische Rote Kreuz mit einer neuen Ladung Päckchen. Die Freude war groß, denn gerade in dieser Zeit war es für uns von großer Bedeutung, gute und kräftige Kost zu bekommen. Auch die norwegischen Studenten erhielten jetzt Rot-Kreuz-Päckchen aus Dänemark, was die Freundschaft zwischen uns weiter festigte.‹ Im Juli 1944 verließen die ersten und im März 1945 die letzten norwegischen Studenten Buchenwald. Siebzehn von ihnen starben während der Odyssee durch verschiedene Lager, einige auch in Buchenwald.«

Der erwähnte Osloer Universitätsrektor Didrik Arup Seip wurde zum Jahresende 1942/1943 aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen. Zu verdanken hatte er dies dem schwedischen Asienforscher Sven Hedin. Der von den Nationalsozialisten hofierte Hedin hatte angeblich die Annahme weiterer Ehrungen hiervon abhängig gemacht.

Forschungsziel: »Das nordrassige Indogermanentum«

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