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Kompendium Behindertenpädagogik

 

Hrsg. von Heinrich Greving

Tobias Bernasconi/Ursula Böing

Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung

Verlag W. Kohlhammer

 

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1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-023436-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-029029-7

epub:    ISBN 978-3-17-029030-3

mobi:    ISBN 978-3-17-029031-0

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Vorwort des Herausgebers

Es existieren zurzeit relativ unterschiedlich strukturierte und gestaltete Lehrwerke zu den verschiedenen Ausprägungen der sog. Behindertenpädagogik, diese sind jedoch häufig recht kategorial orientiert und nehmen aktuelle disziplin- und professionsbezogene Diskurse auf den Feldern der Behindertenhilfe kaum einmal auf. Zudem konzentrieren sich viele dieser Lehrwerke auf das Handlungsfeld der Schule: in diesem und von diesem ausgehend scheint somit ein Großteil der Behindertenpädagogiken stattzufinden.

Die Bände mit dem Reihentitel „Kompendium Behindertenpädagogik“ versuchen dieser Situation Abhilfe zu schaffen, da in jeder der geplanten Publikationen alle Ausprägungen einer je spezifischen behindertenpädagogischen Grundlegung sowohl durch die Perspektiven der Disziplin und Profession als auch durch eine organisations- und handlungsfeldbezogene Lebenslauforientierung beschrieben, analysiert und konzeptuell verortet werden. Auf diesem Hintergrund ist auch die Gliederungslogik aller Bände zu verstehen, in welcher die Autorinnen und Autoren ihre Inhalte durch die Perspektiven dieser drei größeren Kapitel (Disziplin – Profession – Organisationen/Handlungsfelder) fokussieren und darstellen.

Im Hinblick auf die Beschreibung der Disziplin wird es jeweils darum gehen, die theoretischen Begründungsmuster einer je spezifischen Behindertenpädagogik darzulegen, diese historisch zu verorten, die begründenden Leitideen und Modelle vorzustellen sowie Aussagen zu jeweiligen ethischen Positionierungen im Kontext dieser Pädagogik einzunehmen bzw. zu formulieren. Auch wenn der Begriff der „Behinderung“ zurzeit intensiv diskutiert wird, er zudem nicht in allen Punkten kohärent ist, erscheint er im Rahmen der Gesamtdarstellung der hier zu bearbeiteten Themen als Brücke zwischen den einzelnen Teilbereichen und Problemen nutzbar zu sein. Dennoch wird er in den unterschiedlichen Bänden dieser Reihe, im Hinblick auf die jeweilige Thematik, konkret beschrieben, analysiert und gegebenenfalls kritisiert und modifiziert werden. Die Aussagen der einzelnen Bände stellen folglich auch eine kritische Differenzierung und Weiterentwicklung des Begriffes der „Behinderung“ dar. Im Rahmen der Professionsorientierung, also dem zweiten größeren Kapitel des jeweiligen Bandes, werden dann Konzepte, Methoden und Handlungsansätze dargelegt, so wie sie sich im Rahmen dieser Pädagogik, für die jeweils entsprechende Organisation als zielführend erwiesen haben bzw. als relevant erweisen können. In einem letzten größeren Kapitel wird dann die institutionelle Begründung und organisatorische Differenzierung einer je spezifischen Pädagogik erläutert. Hierbei wird auf die lebenslauforientierte Darstellung des pädagogischen Ansatz eingegangen, so dass dieser nicht nur für den Bildungsbereich, sondern auch für weitere behindertenpädagogische Handlungsfelder beschrieben wird. Hierbei unterscheidet die Differenziertheit der Lebenslaufperspektive die verschiedenen pädagogischen Disziplinen, d. h. dass diese in jenen höchst unterschiedlich ausgeprägt ist, wahrgenommen wird und (strukturelle wie inhaltliche) Konsequenzen erforderlich macht.

Einen zentralen weiteren Inhalt bildet der, auch kritisch zu führende, Inklusionsdiskurs: dieser stellt das Querschnittsthema dar, welches in allen drei Unterkapiteln bearbeitet wird – eine innovativ, diffizil und kritisch differenziert dargelegte Positionierung der Inklusion ist folglich das Netz bzw. das Referenzsystem aller Kapitel und Aussagenkomplexe der jeweiligen Bände. Hierbei wird es jedoch, je nach Autorin und Autor und konkretem Thema zu unterschiedlichen Gewichtungen kommen. In der wechselseitigen Durchdringung einer inklusiven Perspektive mit den Themen der Disziplinorientierung, der Professionsbezogenheit und der hierbei relevanten Organisationen und Handlungsfelder leistet demzufolge jeder Band dieser Reihe eine in sich schlüssige und kohärente Gesamtdarstellung des jeweiligen Themenfeldes.

Heinrich Greving

Inhalt

  1. Einleitung
  2. I Disziplin
  3. 1 Perspektiven auf „schwere und mehrfache Behinderung“
  4. 1.1 Bezeichnungen und Begriffssetzungen
  5. 1.2 Historische Sichtweisen auf den Personenkreis
  6. 1.3 Schwere und mehrfache Behinderung im Kontext der ICF
  7. 1.4 Schwere und mehrfache Behinderung als Beziehungsstörung
  8. 1.5 Schwere und mehrfache Behinderung als Prozess sozialer Zuschreibung
  9. 1.6 Schwere und mehrfache Behinderung als Konstruktion des Betrachters
  10. 2 Historische Entwicklungslinien einer jungen Disziplin
  11. 2.1 Erste Grenzziehungen zwischen „bildungsfähig“ und „bildungsunfähig“
  12. 2.2 Die Entwicklung einer Pädagogik der Ausgrenzung
  13. 2.3 Die Ausdifferenzierung der Heil- und Sonderpädagogik und die beginnende Institutionalisierung
  14. 2.4 Die institutionelle Öffnung pädagogischer Einrichtungen für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung
  15. 2.5 Die Entstehung der Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung
  16. 2.6 Verhältnisbestimmung von Allgemeiner Pädagogik und Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung
  17. 3 Intradisziplinäre Analysen: Grundlagen der Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung
  18. 3.1 Phänomenologische Schwerstbehindertenpädagogik
  19. 3.1.1 Einleitung
  20. 3.1.2 Theoretische Grundannahmen
  21. 3.1.3 Pädagogisch-professionelle Konsequenzen
  22. 3.2 Konstruktivistische Ableitungen für die Schwerstbehindertenpädagogik
  23. 3.2.1 Einleitung
  24. 3.2.2 Theoretische Grundannahmen
  25. 3.2.3 Pädagogisch-professionelle Konsequenzen
  26. 4 Interdisziplinäre Analysen: Pädagogisch-anthropologische und sozialwissenschaftliche Grundlagen
  27. 4.1 Pädagogisch-anthropologische Grundlagen
  28. 4.1.1 Einleitung
  29. 4.1.2 Theoretische Aspekte
  30. 4.1.3 Pädagogisch-professionelle Konsequenzen
  31. 4.2 Sozialwissenschaftliche Grundlagen
  32. 4.2.1 Einleitung
  33. 4.2.2 Theoretische Aspekte
  34. 4.2.3 Pädagogisch-professionelle Konsequenzen
  35. 5 Transdisziplinäre Analysen: Figuren einer nicht ausgrenzenden Pädagogik
  36. 5.1 Einleitung
  37. 5.2 Ungewissheit
  38. 5.2.1 Zum Begriff
  39. 5.2.2 Theoretische Annäherung
  40. 5.2.3 Bedeutung für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  41. 5.3 Imperfektibilität
  42. 5.3.1 Zum Begriff
  43. 5.3.2 Theoretische Annäherung
  44. 5.3.3 Bedeutung für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  45. 5.4 Stellvertretung
  46. 5.4.1 Zum Begriff
  47. 5.4.2 Theoretische Annäherung
  48. 5.4.3 Bedeutung für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  49. 5.5 Zum Bildungsverständnis einer nicht ausgrenzenden Pädagogik
  50. 5.5.1 Einleitung
  51. 5.5.2 Bildung als relationaler Prozess
  52. 5.5.3 Bildung als Transformation
  53. 6 Abschluss/Ausblick
  54. II Profession
  55. 7 Professionelles Handeln im Kontext von schwerer und mehrfacher Behinderung
  56. 7.1 Strukturmerkmale pädagogischen Handelns
  57. 7.1.1 Zum Theorie-Praxis Dilemma in der Pädagogik
  58. 7.1.2 Widersprüche im pädagogisch-professionellen Handeln
  59. 7.1.3 Reflexion als Grundlage pädagogisch-professioneller Praxis
  60. 7.2 Spannungsfeld Medizin – Therapie – Pflege
  61. 7.2.1 Kritische Reflexion des Förderbegriffs
  62. 7.2.2 Medizinisch-therapeutische Grundfragen
  63. 7.2.3 Zur Bedeutung von Pflege
  64. 8 Konzepte, Modelle, Methoden
  65. 8.1 Körper – Wahrnehmung – Bewegung
  66. 8.1.1 Einleitung
  67. 8.1.2 Basale Stimulation
  68. 8.1.3 Sensumotorische Kooperation
  69. 8.1.4 Prinzipien für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  70. 8.2 Beziehung – Dialog – Kommunikation
  71. 8.2.1 Einleitung
  72. 8.2.2 Basale Kommunikation
  73. 8.2.3 Elementare Beziehung
  74. 8.2.4 Unterstützte Kommunikation
  75. 8.2.5 Prinzipien für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  76. 8.3 Didaktische Leitlinie
  77. 8.3.1 Einleitung
  78. 8.3.2 Bildung mit ForMat
  79. 8.3.3 Entwicklungslogische Didaktik
  80. 8.3.4 Prinzipien für eine nicht ausgrenzende Pädagogik
  81. 8.4 Diagnostische Zugänge
  82. 8.4.1 Einleitung
  83. 8.4.2 Ausgewählte Methoden der Diagnostik
  84. 8.4.3 Grundlagen der Diagnostik einer nicht ausgrenzenden Pädagogik
  85. III Handlungsfelder
  86. 9 Handlungsfelder im Kontext von schwerer und mehrfacher Behinderung
  87. 9.1 Einleitung
  88. 9.2 Assistenz
  89. 9.3 Ausgewählte Handlungsfelder
  90. 9.3.1 Zur Situation der Familien
  91. 9.3.2 Frühe Bildung
  92. 9.3.3 Schule
  93. 9.3.4 Arbeit
  94. 9.3.5 Wohnen
  95. 9.3.6 Sexualität
  96. 9.3.7 Kulturelle Teilhabe
  97. Literatur

EINLEITUNG

Der vorliegende Band „Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung“ führt in die disziplinären und professionellen Grundlagen einer noch jungen (sonder-)pädagogischen Teildisziplin ein. Er gliedert sich in drei Teile: einer disziplinären Bestimmung (Teil l), einer Identifikation professionell-pädagogischer Aufgaben, Herausforderungen und pädagogischer Schwerpunkte (Teil ll) sowie deren Realisierung in unterschiedlichen Handlungsfeldern (Teil lll).

Die Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung hat in ihrer noch jungen Historie wichtige Erkenntnisse zur Bildung und Erziehung für einen Personenkreis generiert, der als schwer- und mehrfachbehindert bezeichnet wird.

Dieser Personenkreis galt bis in die jüngste Vergangenheit als „bildungsunfähig“ und ist auch aktuell von Ausgrenzung aus nahezu allen gesellschaftlich-kulturellen Bezügen bedroht (vgl. Feuser, 2009; Fornefeld, 2007, 2008a, 2010; Wagner, 2013). Die Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung hat insofern sowohl in ihrer disziplinären Ausrichtung als auch in professionell-praktischen Bezügen für diesen Personenkreis ein besonderes Mandat übernommen und es sich zur Aufgabe gemacht, seine Interessen advokatorisch zu vertreten, Bildungsrechte zu sichern und seine Partizipation in den verschiedenen Lebensbereichen zu forcieren.

Die Legitimation der Disziplin als advokatorische Interessensvertretung für einen – als besonders abhängig erkannten und mit bestimmten, oft defizitären Merkmalen ausgestatteten – Personenkreis kann heute als problematisch angesehen werden. Einerseits offenbart sich darin ein am Individuum orientierter Behinderungsbegriff, der seine eigene Verstrickung in soziale und gesellschaftliche Prozesse nicht hinreichend hinterfragt. Andererseits bringt die advokatorische Anwaltschaft den Vorwurf mit sich, nicht genügend zwischen den Aufgaben der Profession und der Disziplin zu unterscheiden (vgl. Moser, 2000, S. 45).

Insgesamt gilt aktuell zu konstatieren, dass sich die Teildisziplin Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung mit ihren wertgeleiteten und an einem bestimmten Personenkreis orientierten Bezügen eher in Abgrenzung zu einer Allgemeinen Pädagogik entwickelt hat. Ihre spezifischen disziplinären Fragestellungen und Erkenntnisse werden von der Allgemeinen Pädagogik als unbedeutend wahrgenommen und wissenschaftlich kaum diskutiert (vgl. Lindmeier, 2013, S. 131). Die „Aufgabenteilung“ zwischen der Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung und der Allgemeinen Pädagogik entlang eines als behindert erkannten Personenkreises hat zu einer dichotomen pädagogischen Splittung geführt: Auf der einen Seite eine Disziplin, die sich am Allgemeinen und an Normalitätskonstruktionen orientiert, auf der anderen Seite eine, die das Besondere und das von der (fiktiven) Norm abweichende fixiert.

Die aktuellen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen – insbesondere der angestoßene Transformationsprozess hin zu einem inklusiven Bildungssystem – erfordern eine Überwindung dieser binären Konstruktion und das Aufzeigen verbindender Elemente zwischen beiden Disziplinen.

Unter dieser Prämisse sind alle drei Teile des vorliegenden Bandes zu sehen.

Im ersten Teil werden zunächst die disziplinären Grundlagen und Erfordernisse dargestellt. Kapitel 1 führt ein in verschiedene Perspektiven auf den bezeichneten Personenkreis, woraufhin Kapitel 2 die historischen Entwicklungslinien der Heil- und Sonderpädagogik nachgezeichnet. Herausgearbeitet werden insbesondere die Mechanismen und Motive, die in den verschiedenen Epochen immer wieder zur Ausgrenzung des hier fokussierten Personenkreises geführt haben, um darauf aufbauend die Entstehung der Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung zu skizzieren. Abschließend wird das Verhältnis zwischen der Teildisziplin Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung zu ihrer Bezugsdisziplin der Allgemeinen Pädagogik betrachtet.

Im Folgenden (Kapitel 3, 4 und 5) werden neben den wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen der Disziplin weitere inter- und transdisziplinäre Erkenntnisse gestellt. Ziel dieser Ausführungen ist es, Figuren einer nicht ausgrenzenden Pädagogik zu identifizieren. Dabei wird bewusst auf Erkenntnisse affiner Nachbardisziplinen rekurriert. Allgemeine Pädagogik – so die Argumentationslinie dieses Bandes – bedarf einer vertieften wissenschaftlichen Diskussion anthropologischer, ethischer und sozialwissenschaftlicher Fragestellungen, um ihre disziplinäre Argumentation und ihre Orientierung an einer fiktiven Norm zu reflektieren, zu überprüfen und ihrer Bestimmung als einer „Pädagogik für Alle“ gerecht zu werden. Es gilt, tragfähige Fundamente zu entwickeln, um umfassende Partizipation und Bildung für alle Menschen sicherzustellen, Marginalisierung zu vermeiden und Barrieren abzubauen. Dazu werden in Kapitel 4 zunächst zwei interdisziplinäre Argumentationslinien aufgenommen: eine pädagogisch-anthropologische und eine sozialwissenschaftliche.

In Kapitel 5 schließen sich transdisziplinäre Analysen an. Dabei werden insbesondere die Begriffe der Ungewissheit, der Imperfektibilität, der Stellvertretung und der Bildung in ihrer Bedeutung für eine nicht ausgrenzende Pädagogik erläutert und näher bestimmt. Damit verlässt der vorliegende Band die disziplinären Grenzen einer Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung und gibt erste Hinweise für mögliche zukünftige Bestimmungen im Kontext einer nicht ausgrenzenden Pädagogik. Diese Vorgehensweise wird auch im zweiten und dritten Teil beibehalten.

Der zweite Teil fokussiert dabei professionelle Grundlagen einer Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung und befragt diese im Hinblick auf ihr Potenzial für eine nicht ausgrenzende Pädagogik. Nach einer Einführung in die Strukturmerkmale professionellen Handelns wird pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Medizin, Therapie und Pflege betrachtet (Kapitel 7). Anschließend werden in Kapitel 8 verschiedene Konzepte, Modelle und Methoden vorgestellt und Prinzipien für eine nicht ausgrenzende Pädagogik formuliert. Dabei stehen die, der jeweiligen Person zur Verfügung stehenden, individuellen und sozialen Ressourcen, ihre Kompensationsstrategien und ihre entwicklungslogischen Zugänge zur Welt im Fokus des professionell-pädagogischen Handelns.

Im dritten Teil schließlich werden unterschiedliche Handlungsfelder und ihre Bedeutung sowie Besonderheiten im Kontext einer nicht ausgrenzenden Pädagogik in den Blick genommen. Dabei liegt auch in diesem Teil der Fokus auf Partizipation. Der im Zusammenhang mit individueller Partizipation für den Personenkreis der Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung besonders bedeutsame Begriff der Assistenz wird zunächst beschrieben. Daran schließen sich die Darstellung von Prinzipien und Leitlinien für professionelles Handeln in den unterschiedlichen Handlungsfeldern an. Gleichzeitig werden mögliche Teilhabebarrieren identifiziert und im Gegenzug die Entwicklung umfassender Teilhabechancen exemplarisch angedacht.

Abschließend sei darauf verwiesen, dass in diesem Band durchgängig der Terminus „schwere und mehrfache Behinderung“ genutzt wird. Wohlwissend, dass jede Begriffsverwendung zugleich dem Dilemma einer erneuten Stigmatisierung nicht entgehen kann, sollen hier mit der Begriffsverwendung keine personenbezogenen Eigenschaftsmerkmale identifiziert, sondern eine Verständigung über ein so bezeichnetes sozial-gesellschaftliches Phänomen und den davon betroffenen Personen ermöglicht werden.

 

 

 

I   DISZIPLIN

1          PERSPEKTIVEN AUF „SCHWERE UND MEHRFACHE BEHINDERUNG“

1.1        Bezeichnungen und Begriffssetzungen

Die Vorstellungen über das, was „Behinderung“ oder „schwere Behinderung“ ausmacht, lassen sich niemals isoliert als Phänomen eines Subjektes betrachten, sondern sind ausschließlich im Kontext gesellschaftlich-sozialer Bedingungen und Entwicklungen zu verstehen. Was gesellschaftlich unter „schwerer oder mehrfacher Behinderung“ verstanden wird trägt dabei immer historisch entstandene, gesellschaftlich geprägte und individuell-biografische Wissenselemente. In einer typisierten und kategorisierten Form werden die individuellen Bilder und Vorstellungen zu Bezeichnungen für einen bestimmten Personenkreis. Diese Bezeichnungen können jedoch den so benannten Personen niemals gerecht werden. Sie sind Konstruktionen und Vorstellungen über andere Menschen, die durch unterschiedliche Einstellungen, Perspektiven und Sichtweisen bestimmt sind.

Aus Praxis und Theorie existiert seit den 1970er Jahren eine gewachsene Anzahl an Beschreibungsversuchen und Begriffen der Personengruppe, um „eine besondere, durch die Schwere der Schädigung und Beeinträchtigung definierte Bedürfnislage zu kennzeichnen und daraus den Anspruch auf besondere Leistungen abzuleiten“ (Schmuhl 2007, S. 36). Dabei werden folgende Begriffe synonym oder mit unterschiedlichen Akzentuierungen genutzt: „Menschen mit schwersten Behinderungen“ (Fornefeld 2000; Klauß 1999), „Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen“ (Fröhlich 2007b; Feuser et al. 2001), „Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen“ oder „Menschen mit schwerer geistiger Behinderung“ (Klauß und Lamers 2003a; Breitinger 1998; Speck 2003). Darüber hinaus gibt es Bezeichnungen, die diesen Personen einen „allumfassenden Hilfebedarf“ (Burkhart 2004, S. 28), einen „intensiven Förderbedarf“ (Speck 2012) oder einen „hohen Unterstützungsbedarf“ attestieren (vgl. Schlichting, 2013, S. 15).

Diese Bezeichnungen fokussieren den so beschriebenen Menschen und seine individuelle Situation. Sie sind „Eigenschaftsbeschreibungen“ (Fornefeld 2008a, S. 51) von Personen und ihrer angenommenen individuellen Problemlagen hinsichtlich ihrer physischen, kommunikativen oder sozialen Realität und sich daraus ergebender Unterstützungsbedarfe.

Grundsätzlich gilt dabei festzustellen, dass die Kriterien, nach denen Personen als schwer und/oder mehrfachbehindert bezeichnet werden, immer unzulänglich sind. Sie sind Teil einer fiktiven Realität und suggerieren eine scheinbare Gewissheit darüber, was den so bezeichneten Personenkreis ausmacht und charakterisiert. Bereits Bach (1991, S. 3) macht deutlich, dass in Bezug auf den Begriff der schweren Behinderung vor allem die Vielfalt der Aspekte auffällt, „die er in sich zu vereinigen vermag, d. h. die Fülle unterschiedlichster und z. T. gegensätzlicher Einfälle, Vorstellungen und Handlungsimpulse, die das Wort ‚Schwerste Behinderung‘ auszulösen angetan ist“. Fröhlich verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Attribut „schwerbehindert“ oder „schwerstbehindert“ weniger auf den Personenkreis selbst verweist, sondern vielmehr die Perspektive des Betrachters beschreibt: einer Pädagogik, die den Umgang mit dem Personenkreis als „schwierig“ erlebt (Fröhlich 2007b, S. 222). Der Versuch, den Begriff der schweren Behinderung zu definieren, scheitert insofern auch „bereits an der Uneindeutigkeit des Begriffs ‚Behinderung‘ selbst, von dem die ‚Schwerstbehinderung‘ als Superlativ abgeleitet ist“ (Fornefeld 1998, S. 49). Lamers (2000, S. 188) und Fornefeld (1998, S. 36) verweisen in Bezug auf den häufig verwendeten Superlativ „schwerst“ auf Schröder (1979), der darin lediglich eine formal-quantitative Klassifikation sieht, die keinen oder nur geringen inhaltlich-qualitativen Aussagewert besitzt.

In aktuellen Veröffentlichungen wird deshalb nicht auf den Personenkreis und seine Merkmale geschaut, sondern vielmehr das vielschichtige Verhältnis von individueller Lebens- und sozial-gesellschaftlicher Situation und die besondere randständige sozial-gesellschaftliche Position fokussiert. Fornefeld spricht in diesem Zusammenhang von „Menschen mit Komplexer Behinderung“ (Fornefeld 2008b), um die – in Bezug auf den Personenkreis – festgestellte Exklusionsgefahr und die „systembedingten Kontextfaktoren“ (Fornefeld 2008b, S. 51) besonders hervorzuheben. Im Sinne eines „verstehenden Zugangs“ zum Phänomen Behinderung wird „Komplexe Behinderung“ als „Attribut der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung“ gesetzt. Fornefeld fokussiert in einer anthropologisch-phänomenologischen Betrachtung die Lebenswirklichkeit der so bezeichneten Personengruppe, in der sich sowohl das Phänomen Behinderung als auch die Deutung und Wertung dieses Phänomens miteinander verschränken. Menschen mit Komplexer Behinderung sind von Exklusion „durch das Hilfesystem selbst“ (Fornefeld 2008b, S. 77) betroffen (vgl. Kap. 3.1).

Schuppener (2011) spricht in einer etwas anderen Konnotation von „intensiven Behinderungserfahrungen“, die sich „in Form eines hohen Risikos des Erlebens von Stigmatisierung und Exklusion“ ausdrücken, denen der so bezeichnete Personenkreis ausgesetzt ist. In einer konsequent kompetenzorientierten Sichtweise wird beschrieben, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die als schwer und mehrfachbehindert gelten, in besonderer Weise genötigt sind, umfassende Kompensationsleistungen zu vollbringen, um die eigene Existenz zu sichern und Isolation zu kompensieren (Schuppener 2011, S. 301).

„Der Begriff intensiver Behinderungserfahrungen steht grundsätzlich für subjektive Erfahrungen von Barrieren im Sinne eines ‚behindert werdens‘ durch Normvorstellungen und normative Handlungsbedingungen“. (Schuppener 2011, S. 301) Intensive Behinderungserfahrungen sind grundsätzlich als „Lebensbewältigungskompetenz“ (ebd.) anzusehen.

Generell ist darauf zu verweisen, dass die Deutungshoheit über das, was „Behinderung“ oder „Schwere und mehrfache Behinderung“ ausmacht nicht bei den betroffenen Personen selbst liegt. Ihre Kategorisierung, die Zuschreibung von psychisch-sozialen Bedingungen ihres Seins erfolgen ausschließlich aus der Perspektive der jeweiligen Betrachter. Verschiedene Autoren (Greving 2002, S. 101ff.; Dederich 2007; Schmuhl 2007) verweisen deshalb in Anlehnung an Bourdieu darauf, dass die Definitionsmacht ganz und gar bei denen liegt, die im sozialen Feld über die Möglichkeiten und die Macht verfügen. Ihre Sprache und die gesetzten Begrifflichkeiten sind immer auch Ausdruck von Interessen und Motiven verschiedener Akteure im sozialen Feld. Der Staat mit seinen Gesetzgebungen, die verschiedenen Verbände oder Professionen und Institutionen, sie alle verbreiten spezifische Begriffe, um eigene Interessen zu wahren, mit allen Konsequenzen für die betroffenen Personen (Schmuhl 2007, S. 24).

Diese ungleichen Machtverhältnisse lassen Menschen mit Behinderung zum Objekt derjenigen werden, die Behinderung konstruieren und weisen den Menschen selbst in eine Position der Ohnmacht (Greving 2002, S. 101ff.; Jantzen 2007, S. 91; Ziemen 2002b). Die Verwendung von Begrifflichkeiten entscheidet insofern immer auch über soziale Inklusion oder Exklusion (Schmuhl 2007, S. 24).

Für Menschen, denen die Attribute „schwer oder mehrfach-behindert“ zugewiesen werden, hat dies in der Regel negative Konsequenzen. Zum einen bedeutet es eine Exklusion aus vielen verschiedenen gesellschaftlichen Bezügen, die im Kontext eines fortschreitenden Abbaus sozialer Sicherungssysteme aktuell zunimmt (Fornefeld 2008c; Schmuhl 2007). Zum anderen kann diese Bezeichnung existentielle Bedeutung bekommen, insofern sie das Recht auf Leben tangiert. Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge sind beispielsweise pränataldiagnostische Untersuchungen inzwischen zur Routine geworden. Eine diagnostizierte „schwere Behinderung“ führt hier in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einem Schwangerschaftsabbruch (Heinen und Lamers 2001). Dennoch gilt es darauf zu verweisen, dass sozialstaatliche Rechte und Leistungen an Bezeichnungen und Diagnosen gekoppelt sind. Diese Koppelung – auch als Ressourcen-Etikettierungsdilemma bezeichnet – führt dazu, dass das Attribut „schwer“ oder „schwerstbehindert“ aktuell noch dazu beitragen kann, „die Menschen- und Bürgerrechte der so Bezeichneten zu stärken“ (Schmuhl 2007, S. 36) und „daraus den Anspruch auf besondere Leistungen“ des Sozialstaates abzuleiten (ebd.).

In der Beschäftigung mit dem Personenkreis, der als schwer und mehrfachbehindert bezeichneten Menschen, gilt es, diese Zusammenhänge und Widersprüche aufzudecken und jede begriffliche Annäherung und jeden Definitionsversuch in die Relativität sozial-gesellschaftlicher Konstruktion und sozialpolitischer Verhältnisse zu stellen und die damit verbundenen Machtverhältnisse zu reflektieren. Aufgrund der beschriebenen Relativität kann und darf es eine allgemeine Definition nicht geben. Die so bezeichneten Personen wären allein durch den Versuch einer solch gültigen allgemeinen Bestimmung in unzulänglicher Weise anthropologisch reduziert. Insofern können die folgenden Beschreibungen nur einen Überblick über historische und aktuelle Sichtweisen und Annäherungsversuche geben, wobei zu betonen gilt, dass alle diese Versuche letztlich unzulänglich bleiben (vgl. Klauß 2011b, S. 12).

1.2        Historische Sichtweisen auf den Personenkreis

Verschiedene Imaginationen vom Mensch-Sein in den unterschiedlichen historischen Epochen haben unterschiedliche Bilder von „Behinderung“ entworfen, die mit je spezifischen Begrifflichkeiten belegt sind. Diese Bilder verweisen auf die jeweiligen gesellschaftlich-sozialen Bedingungen, in denen sie entstanden. Sie sind eng verwoben mit der Entwicklung der Heil- und Sonderpädagogik als Profession und Disziplin und damit verbundenen Prozessen der Kategorisierung und Institutionalisierung (siehe Kap. 2.3). Ohne diesen Kontext lassen sich Sichtweisen auf den Personenkreis und auf ihn bezogene Begriffe nur fragmentarisch darstellen. Unter Beachtung dieser Einschränkung werden in diesem Kapitel dennoch in einem kurzen Abriss die historischen Sichtweisen fokussiert, um zu verdeutlichen, mit welchen Attributen dieser Personenkreis in verschiedenen Epochen belegt wird und welche gravierenden Folgen dies für die betroffenen Menschen hat.

Historisch betrachtet lassen sich erste Bilder von Behinderung bis in die Antike zurückverfolgen. Sie sind geprägt von magischen, mythologischen Vorstellungen. Das Verhalten von Menschen mit kognitiven und/oder körperlichen Beeinträchtigungen erklärt man sich mit dem Einfluss von Dämonen oder Geistern, die von diesen Menschen Besitz ergriffen haben. Obwohl keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, ist davon auszugehen, dass Menschen, die heute als schwer- oder mehrfachbehindert bezeichnet werden, in diesen Epochen allein aus medizinischen Gründen kaum Überlebenschancen haben. Die Mortalität erhöht sich in vielen Kulturen durch eine systematische Aussetzungs- und Tötungspraxis des Personenkreises. Belegt ist diese Praxis beispielweise bei Römern, Griechen und Germanen (Fornefeld 2009, S. 30).

Mittelalterliche Vorstellungen sind gleichsam von mythologischen Vorstellungen geprägt und zunehmend verbunden und durchmischt von christlichen Deutungsversuchen. Das Schicksal und die Bestimmung des Menschen werden in die Hand Gottes gelegt. Als Folge dualistischer Vorstellungen von Gut und Böse, personifiziert in der Gestalt von Gott und Teufel, wird Behinderung als Strafe Gottes identifiziert. Personen, die als behindert erkannt werden, gelten als vom Bösen besessen. Oft werden sie als Kinder des Satans, als „Wechselbälger“ bezeichnet. Diese Vorstellungen sind durchaus auch in folgenden Epochen handlungsleitend. So wird noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts Behinderung in einigen protestantischen Strömungen als Folge eines Glaubensverfalls gedeutet und unter dem Paradigma der Selbstverschuldung als Strafe Gottes bewertet (Moser und Horster 2012, S. 14).

Allgemein entwickelt sich jedoch bereits mit der Epoche der Aufklärung im ausgehenden 18. Jahrhundert eine andere Perspektive auf Behinderung. Die beginnende Bestimmung des Menschen als autonomes Individuum, die Forderung nach einer Befreiung aus der Unmündigkeit und der Glaube an die Vernunft als Motor dieser Emanzipation, führt zu einer Identifizierung von Phänomenen, die heute als „behindert“ zusammengefasst werden (Moser und Horster 2012, S. 13; Greving 2002, S. 101; Störmer 2007, S. 288). In den Idealen der Aufklärung scheint erstmalig in der Historie eine Differenzierung von Vernunft und Unvernunft, von Mündigkeit und Unmündigkeit auf, in deren Folge Menschen überhaupt erst als behindert wahrgenommen werden. Historisch betrachtet liegt in der Epoche der Aufklärung auch die Geburtsstunde der Heilpädagogik (vgl. Möckel 2007).

Diese Entwicklung geht einher mit dem aufkeimenden Gedanken einer Allgemeinen Bildung für alle Menschen als Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit1. Erziehungs- und Bildungsprozesse werden als grundlegend erkannt, um das Ideal eines vernünftigen, autonom handelnden Menschen zu verwirklichen. Mit der Betonung dieser grundsätzlichen Bildungsnotwendigkeit kommt es unweigerlich zur Frage nach der Bildungsfähigkeit. Das Postulat einer Allgemeinen Bildung als Mittel zur Befreiung aus unmündigen Abhängigkeitsverhältnissen identifiziert einen Personenkreis, der diesen aufkommenden Anforderungen nicht zu genügen scheint. Die Einlösung des Rechts auf Bildung für alle führt auf der Kehrseite paradoxerweise zu einer Bestimmung derer, die als nicht bildungsfähig gelten. Erst in der Epoche der Aufklärung keimt durch deren Ideale eine Kategorisierung zwischen „bildungsfähig“ und „bildungsunfähig“ auf (vgl. Kap. 2.1). Sie betrifft vor allem Menschen, die als „Blödsinnige“, „Schwachsinnige“, „Stumpfsinnige“ oder „Kretine“2 bezeichnet werden. Diese Begriffe kennzeichnen in synonymer Weise sowohl Menschen, die heute als geistig behindert, als auch diejenigen, die als schwer behindert bezeichnet werden. Dennoch entwickelt sich im 18. und 19. Jahrhundert eine ungleiche Perspektive auf diese beiden Personengruppen. Während in Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung erste – wenn auch vereinzelte – Versuche der Erziehung und Bildung entstehen – beispielweise in den Erziehungsbemühungen von Guggenbühl, Georgens und Deinhardt oder Séguin (vgl. Lindmeier und Lindmeier 2002) – bleiben Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung von dieser Entwicklung ausgeschlossen3. Ihnen wird Bildungs- und Entwicklungsfähigkeit umfassend abgesprochen. Die Trennlinie zwischen „bildungsfähig“ und „bildungsunfähig“ verläuft in der Folge nicht nur zwischen „blödsinnigen“ und „vernunftbegabten“ Menschen, vielmehr wird eine zweite Grenzmarkierung eingeführt, die die „Blödsinnigen“ und „Cretinen“ nochmals in „bildungsfähig“ und „bildungsunfähig“ unterteilt (Mühl 1991; Störmer 2007, S. 289). Johann Jacob Helferich, ein Taubstummenlehrer, der im 19. Jahrhundert in der neu gegründeten Anstalt Mariaberg tätig ist, erkennt beispielsweise „mannigfaltigste Grade und Abstufungen“ im „geistigen Haushalt der Cretinen“ (Helferich 1847, zit. nach Lindmeier und Lindmeier 2002, S. 29). Er differenziert zwischen „dem kaum menschlich gestalteten Kinde, in welchem das Psychische in seiner Anlage erloschen scheint und das dem Selbsterhaltungstriebe nicht einmal entsprechen kann“, und jenem Kind, welches fähig ist, „sich zur bürgerlichen Brauchbarkeit, zur geistigen Freiheit“ zu erheben (ebd.). Als Fazit dieser Unterscheidung folgert er: „Wir beschäftigen uns nur mit den letzteren, als solchen, die wirklich bildungsfähig sind“ (ebd.). Als Anhaltspunkt und leitendes Kriterium für „Bildungsfähigkeit“ macht Helferich insbesondere die Fähigkeit zur Sprache aus (ebd.).

Dem Personenkreis, der weiterhin als „bildungsunfähig“ gilt, wird anthropologisch lediglich noch eine Randstellung zugewiesen. Ihm werden menschliche Eigenschaften weitestgehend abgesprochen. Kennzeichnend ist eine Darstellung als Wesen, „deren Dasein und Lebensäußerungen ohne Zweck und ohne Zusammenhang mit bestimmten Anforderungen ablaufen“ (Pinel, 1801, zit. nach Feuser 2009, S. 235). Pinel (1801) bezeichnet diese Menschen als „automatische Existenzen“, „kein Leben im menschlichen Sinne, bloßes Existieren“. Sie werden reduziert auf ein naturhaftes Dasein, auf eine „Art Pflanzenleben“ (ebd.). Esquirol (1827) sieht ihre Position „noch unter dem Tier“ stehend, da sie „nicht einmal über genügend Instinkte verfügen, um den notwendigen Bedürfnissen zur eigenen Lebenserhaltung nachzukommen“ (Esquirol 1827, zit. nach Feuser 2009, S. 235).

Unter historischer Perspektive zeigt sich demnach: Der Modernisierungsschub der Aufklärung, mit dem die Anerkennung einer Allgemeinen Bildung für Alle einhergeht, hat für den in diesem Band fokussierten Personenkreis einen gegenteiligen Effekt. Ihm wird mit der Identifizierung als „bildungsunfähig“ im besten Fall der niedrigste Rang in einer angenommenen anthropologischen Ordnung zugewiesen. Jegliche Chance auf Erziehung und Bildung bleibt ihm versagt, jede Entwicklungsmöglichkeit vorenthalten. Ihm wird allerhöchstens eine Pflege zuteil, „die in humaner Behandlung, Handhabung möglicher Reinlichkeit und in Darreichung der Bedürfnisse zur Erhaltung der kümmerlichen, kläglichen Existenz“ besteht (Helferich 1947, zit. nach Lindmeier und Lindmeier 2002, S. 29). Von allen Formen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen, fristet er – separiert in speziellen Pflegeabteilungen der Anstalten – ein Leben ohne soziale Kontakt- und Kommunikationsangebote.

Die Perspektiven auf Menschen mit Behinderung werden sich in den folgenden Epochen immer wieder verändern. Die Etikettierung von Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung als „bildungsunfähig“ wird sich jedoch bis in die jüngste Vergangenheit als resistentes, überdauerndes und handlungsleitendes Merkmal im Umgang mit diesem Personenkreis erweisen.

Eine veränderte Sichtweise auf Behinderung entwickelt sich erst mit der beginnenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert. Behinderung wird zunehmend aus sozioökonomischer Perspektive betrachtet und als Äquivalent für „Arbeitskräfte minderer Güte“ genutzt. Menschen, von denen kein ökonomischer Beitrag erwartet wird, werden als „Idioten“ oder „Schwachsinnige“ bezeichnet (vgl. Jantzen 2007, S. 91). In dieser Zeit entwickeln sich sozialdarwinistische Leitbilder, die eine biologistische, „natürliche Auslese“ sozial und ökonomisch vertreten. Die im 19. Jahrhundert begonnene Einteilung in verschiedene „Grade“ und „Abstufungen“ von Behinderung wird aufgenommen und – unter ökonomischen Gesichtspunkten – weiter ausdifferenziert. So findet sich im sog. „Preußischen Krüppelfürsorgegesetz“ von 1920 eine Unterscheidung zwischen „vollwertigen“, „teilnutzbaren“ und „unwertigen Krüppeln“ (Schmuhl 2007, S. 28). Die Weimarer Republik staffelt dementsprechend sozialstaatliche Leistungen nach arbeitsmarktökonomischen Gesichtspunkten:

„Die Fürsorge für hilfsbedürftige Krüppel auf öffentliche Kosten hat sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf die Erwerbsbefähigung bzw. auf die Verhütung drohender Erwerbsbehinderung zu beschränken. […] Als ‚erwerbsfähig‘ sollen nur solche Personen gelten, welche die seelisch-geistige sowie körperlich-technische Fähigkeit besitzen, sich selbst den notdürftigen Lebensbedarf durch Arbeit zu verschaffen“ (Deutsche Vereinigung für Rehabilitation 2009).

Obwohl, historisch betrachtet, die Bezeichnung „Krüppel“ auf einen Personenkreis mit körperlichen Beeinträchtigungen hindeutet, findet sich im Zitat der Verweis auf „seelisch-geistige“ Fähigkeiten, sodass davon auszugehen ist, dass alle Menschen mit Behinderung von dieser Staffelung betroffen sind. Schmuhl (2007, 28) zeigt auf, dass sich mit dieser Aufteilung auch in ökonomischer Hinsicht eine „Dreiklassengesellschaft“ abzeichnet, die „auf Jahrzehnte hinaus die soziale Lage von Menschen mit Behinderungen in Deutschland prägen sollte“ (ebd.). Am unteren Ende befinden sich die sogenannten „Unwertigen“: Menschen mit geistiger oder schwerer und mehrfacher Behinderung, die nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar scheinen und insofern nicht nur von pädagogischen Prozessen ausgeschlossen sind, sondern auch ökonomisch weitestgehend ohne die Fürsorge des Staates überleben müssen (vgl. ebd.).

Neben Begriffen, die die scheinbare „Nützlichkeit“ im Hinblick auf die ökonomische Verwertbarkeit beschreiben, entwickeln sich in dieser Zeit weitere Bezeichnungen, mit denen andere Konnotationen hergestellt und ausgedrückt werden sollen. So werden den Begriffen „simpel“ oder „einfältig“ die Bezeichnungen „furios“ und „rasend“ gegenübergestellt, um damit beispielsweise eine als höher oder niedriger angenommene Gefahr für die öffentliche Ordnung zu suggerieren (vgl. Dörr 2008, S. 44; Osten 2011, S. 44). Alle Bezeichnungen führen letztendlich zu einem umfassenden Ausschluss aus dem öffentlichen Leben.

Die negativen Vorstellungen über Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung münden in der Zeit des Nationalsozialismus – der mit seiner menschenverachtenden Ideologie eine besondere Zäsur in der Geschichte darstellt – im Begriff der „Ballastexistenz“. Die als „unbrauchbar“ erkannten Menschen werden als „lebensunwertes Leben“ den Gaskammern zugeführt. Dabei zeigt sich eine direkte Konnotation der Begriffe „bildungsunfähig“ und „lebensunwert“. Menschen, die bereits während der Weimarer Republik aufgrund ihrer vermeintlichen Bildungsunfähigkeit in den Pflegeabteilungen der Anstalten untergebracht sind, werden nun in eben diesen Anstalten getötet, so etwa in der Anstalt Hadamar in Hessen oder in Schloss Grafeneck im Landkreis Reutlingen.

„Zusammen mit den ‚Schwachsinnigen‘, ‚Blöden‘, ‚Idioten‘, ‚Imbezillen‘, ‚Debilen‘, ‚Epileptikern‘ und ‚Irren‘ wurden die ‚siechen‘ oder mehrfach körperlich und geistig behinderten Menschen den ‚Ballastexistenzen‘ zugerechnet, deren Lebensrecht durch die NS-Sterilisierungspolitik und die ‚Euthanasie‘ radikal in Frage gestellt wurde“ (Schmuhl 2007, S. 31).

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dominiert ein medizinisch-psychiatrisches Menschenbild, getragen und gefestigt durch caritative Motive: Schwere Behinderung wird assoziiert mit einer Daseinsweise, die – nicht-entwicklungsfähig – der Verwahrung und Fürsorge bedarf. Mittels einer diagnostischen Klassifizierung wird die bereits vorhandene Dreiteilung (s. o.) medizinisch-psychiatrisch unterfüttert und in ein neues Gewand gekleidet. Der Terminus „Oligophrenie“ wird nun anstelle des Begriffs „Schwachsinn“ als Oberbegriff für kognitive Beeinträchtigungen genutzt. Die Unterteilung in „Debilität“, „Imbezillität“ und „Idiotie“ knüpft dabei an die Terminologie der Jahrhundertwende und die in dieser Zeit verbreitete psychiatrische Lehrmeinung an (vgl. Lindmeier und Lindmeier 2002, S. 125ff.). Als „Idiot“ werden dieser Logik folgend jene Menschen bezeichnet, bei denen ein IQ von unter 20 ermittelt wird. Unter Ausblendung der sozialen Verhältnisse und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse wird der Mensch damit auf seine scheinbar faktischen physiologischen Merkmale verkürzt.

Die umfassende Ausgrenzung des betroffenen Personenkreises und seine anthropologische Randstellung bleiben weitgehend unverändert bestehen. So werden im Enzyklopädischen Handbuch der Heilpädagogik (1969) folgende Eigenschaften benannt:

„Der (Voll-)Idiot lebt in einer Welt bloßer Triebbefriedigungsmittel, ist also psychologisch weder das Subjekt von Wahrnehmungen noch von Handlungen, ethisch gesehen keine Persönlichkeit. Aber biologisch gesehen ist er kein Tier, sondern ein sehr kranker Mensch“ (Busemann 1969, zit. nach Feuser 2009, S. 235).

Der Begriff der „Triebhaftigkeit“ suggeriert, dass diesem Personenkreis ein freier Wille, ein Geist, Verstand oder gar Intelligenz aberkannt wird. Er gilt als unfähig, sich als soziales Wesen in eine Beziehung zu anderen Menschen zu setzen und mit ihnen zu kommunizieren. Eine Entwicklungsfähigkeit wird kategorisch ausgeschlossen. Bedürfnisse werden nur sehr eingeschränkt zugestanden. Sie bleiben reduziert auf die körperlich elementarsten Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und Hygiene.

Mit der Zuschreibung von Begriffen verbinden sich bis in die jüngste Vergangenheit institutionelle Zuweisungen, die implizit immer noch den Kriterien der „ökonomischen Nützlichkeit“ und angenommenen Bildbarkeit folgen.

Noch 1992 findet sich im Wörterbuch der Medizin unter dem Stichwort „Oligophrenie“ und der vorgenommenen Dreiteilung eine solche Verknüpfung:

„Debilität“ erhält das Prädikat „schulbildungsfähig“. Diese Bezeichnung erhalten „Schwachsinnige, die die Hilfsschule besuchen und einen einfachen Beruf erlernen können“. Mit dem Begriff „Imbezillität“ werden zwar „förderungsfähige“, jedoch „schulbildungsunfähige Schwachsinnige“ bezeichnet und schließlich wird die Bezeichnung „schwerste geistige Behinderung (früher Idiotie)“ für „nicht bildungsfähige Schwachsinnige, Pflegefälle“, die „Sprache, hygienische Gewohnheiten und sinnvolle Tätigkeiten nicht erlernen“, vorgeschlagen (vgl. Zetkin et al. 1992, S. 1520; Klauß 2011b, S. 13).

An diesen Definitionen lässt sich ablesen, dass sich die Kategorisierungen und Zuschreibungen, mit denen der Personenkreis bestimmt wird, in den verschiedenen Epochen wenig verändert haben. Auch nach dem zweiten Weltkrieg dominieren die Dogmen von der „Bildungsunfähigkeit“, der „Unerziehbarkeit“ und der „Unverständlichkeit“ (vgl. Feuser 2009).

Erst in den 1960er Jahren gelingt es, die bis dahin vereinzelten Initiativen der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung zu institutionalisieren. Kinder und Jugendliche mit schwerer und mehrfacher Behinderung werden erst Ende der 1970er Jahre zu Adressaten einer institutionalisierten Pädagogik (vgl. Kap. 2.4). Obwohl sich die Begrifflichkeiten seither immer wieder verändert haben, dominieren bis heute Vorstellungen und Sichtweisen, in denen die komplexe Verwobenheit von sozialer Realität und ontogenetischer Entwicklung unbeachtet bleibt und der Mensch mit schwerer Behinderung unzulässig auf seine „physiologische Erscheinung“ reduziert wird.

Zusammenfassend lässt sich resümieren:

Die Geschichte der Etikettierung von Menschen als „schwer behindert“ ist durch alle Epochen hinweg bis in die heutige Zeit die Geschichte der Zuweisung von „Mängel-, Minder- oder Minusvarianten des Menschen“ und einer „menschgewordenen Verkörperung der Unvernunft“ (Dederich 2011b, S. 163).

Aus der Perspektive der Betrachter gilt schwere oder mehrfache Behinderung bis weit in die jüngste Vergangenheit als Ausschlusskriterium für pädagogische Interventionen. Menschen, denen dieses Attribut angeheftet wird, erhalten – quasi als „Alleinstellungsmerkmal“ einer anthropologischen Randspezies – die Zuschreibung, dass sie eben nicht für pädagogische Interventionen empfänglich sind und jegliche pädagogische Bemühungen in sich verschlingen, „wie ein schwarzes Loch, das alle Materie, die in seinen Einzugsbereich kommt, verschlingt“ (Jantzen 2001a, S. 103).

Die Tatsache, dass diese Zuschreibungen sich in den verschiedenen Epochen als relativ resistent erwiesen und wenig irritiert worden sind, verweist darauf, dass die Ideale der Aufklärung und ihre Auswirkungen auf Erziehungs- und Bildungsvorstellungen in der heutigen Zeit sehr virulent sind. Die Orientierung an einer fiktiven Bezugsnorm in unserer Gesellschaft führt dazu, dass Abweichungen von dieser Norm reflexmäßig als „andersartig“ (vgl. Feuser 1996, S. 6) ausgesondert und einer mehr oder minder paternalistischen Fürsorge zugeführt werden. Darüber hinaus scheinen ökonomische Interessen und die ökonomische Verwertbarkeit des „Humankapitals“ eine immer wichtigere wirtschaftspolitische Funktion zu haben und über Partizipation und Ausschluss zu entscheiden.

Insofern gilt zu betonen: Die Etikettierung von schwer und mehrfachbehinderten Menschen ist nicht als linear positive Entwicklung zu begreifen, die im Laufe der Jahrhunderte ausgehend von der Vorstellung des „Wechselbalges“, über die Zuweisung einer Bildungs- und Entwicklungsunfähigkeit hin zu einer kompetenzorientierten Betrachtung führt. Die Lebenssituation dieses Personenkreises hat sich in den verschiedenen Epochen nicht kontinuierlich verbessert. Vielmehr sind historisch gewachsene Bilder und Vorstellungen auch heutzutage – verdeckt oder offen – vorhanden.

Der fokussierte Personenkreis ist zudem auch heute Marginalisierungstendenzen und Diskriminierungsprozessen ausgesetzt, Entwicklungs- und Bildungsfähigkeit werden ihm nicht umfänglich zugestanden und umfassende Partizipation verweigert (vgl. Klauß 2011b, S. 16f.). Der Personenkreis ist damit wie kein anderer in der Gefahr, ein Leben als „sozial Ausgeschlossener“ zu führen.

Im Folgenden werden die historischen Analysen durch aktuelle Perspektiven auf schwere und mehrfache Behinderung ergänzt, denen gemeinsam ist, dass sie eine relationale Betrachtung von schwerer und mehrfacher Behinderung zugrunde legen. Zunächst wird mit der ICF das bio-psycho-soziale Modell der Weltgesundheitsorganisation vorgestellt.

1.3        Schwere und mehrfache Behinderung im Kontext der ICF

Die problematische Gleichsetzung von Behinderung und Krankheit hat auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (DIMDI 2005) erkannt und die bis in die 70er bzw. 80er Jahre des 20. Jahrhunderts für die Einordnung von Behinderung geltende ICD (International Classification of Diseases) bzw. ICIDH (Internation Classification of impariments, disabilities and handicaps) überarbeitet (vgl. DIMDI 2005). Die Weiterentwicklung im Jahr 2001 zur aktuell gültigen ICF (International Classification of Functioning, Disbalility and Health) integriert in das defizitorientierte medizinische Modell ein soziales Modell von Behinderung, wodurch weitere Faktoren Bedeutung erhalten, die entscheidend für das Zustandekommen einer Behinderung sind, ohne dass sie einen direkten Bezug zur organischen Schädigung der Person haben. Die ICF ermöglicht damit eine umfassende Analyse der Lebensbedingungen einer Person und die anknüpfende Planung von Hilfen und Unterstützungsangeboten.

Die ICF betont den Aspekt der Funktionsfähigkeit eines Menschen. Ausschlaggebend für die Bestimmung dieser Funktionsfähigkeit ist das so genannte bio-psycho-soziale Verständnis von Behinderung, welches in sogenannten Kontextbeschreibungen personale und soziale Faktoren benennt, die ausschlaggebend für die Partizipation einer Person an der Gesellschaft sind.

Zur Beschreibung von Problemen der Gesundheit bzw. der Funktionsfähigkeit werden drei Ebenen benannt: Körperfunktionen und -strukturen (body functions and structures), Aktivitäten (activity) und Teilhabe (participation). Jede dieser drei Ebenen kann positiv oder negativ konnotiert beschrieben werden. Der Begriff handicap wird aufgrund seiner etikettierenden Wirkung fallengelassen und nur noch als allgemeiner Oberbegriff verwendet (DIMDI 2005, S. 171). Behinderung bezeichnet in diesem Kontext ein multidimensionales Phänomen, welches aus der Begegnung und Interaktion „von Menschen und ihrer materiellen und sozialen Umwelt resultiert“ (DIMDI 2005, 171).

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Abb. 1: Das bio-psycho-soziale Modell von Behinderung (vgl. DIMDI 2005).