Über das Buch:
Der evangelische Autor Andreas Baumann zeigt anhand des Lebens und der Schriften der spanischen Karmelitin, Ordensgründerin und Kirchenlehrerin Teresa von Avila, wie wir in unserer Freundschaft zu Gott wachsen können. So geht es um Fragen wie:

• Kann ich Gott nahekommen?

• Wie lerne ich beten?

• Wie kann ich an Gott festhalten, auch wenn ich ihn nicht spüre?

• Ist es möglich, Gott im Alltag erleben?

• Wie kann meine Liebe zu Gott wachsen?

Ergänzt werden die einzelnen Themen durch biblische Bezugsstellen. Ein Gebet am Ende jedes Kapitels regt dazu an, das Gelesene vor Gott zu bewegen. Ein für das eigene Leben und den Glauben wertvolles Buch.

Mit einem Vorwort von Pater Dr. Reinhard Körner, Rektor des Exerzitienhauses und Prior des Karmelitenklosters Birkenwerder bei Berlin.

Über die Autor:
Andreas Baumann lebt mit seiner Frau und 3 Kindern im Großraum Frankfurt. Nach mehreren Jahren als Gemeindepastor wechselte der promovierte Theologe und Missionswissenschaftler in die Leitung des »Christlicher Hilfsbund im Orient e.V.«. Daneben engagiert er sich als Autor, Dozent und Seminarleiter.

2. Verweilen bei dem Freund, der uns liebt – Vom Wesen des „Inneren Betens“

„Denn meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“ (V 8,5)

Für Teresa von Avila war das Gebet der Dreh- und Angelpunkt ihrer Spiritualität. Deshalb war ihr nichts wichtiger, als zu beten und andere im Gebet anzuleiten – nicht nur im Kloster, sondern auch darüber hinaus. Selbst ihrem Vater legte sie das innere Beten nahe: „Da ich meinen Vater sehr gern hatte, wünschte ich ihm auch das Gute, das mir meiner Meinung nach durch die Übung des inneren Betens zuteil geworden wardenn mir schien, dass es in diesem Leben kein größeres Gut geben konnte, als inneres Beten zu halten, und so begann ich, so gut ich konnte, auf Umwegen darauf hinzuarbeiten, dass auch er es hielt. Zu diesem Zweck gab ich ihm Bücher.“ (V 7,10)

Was bedeutet es aber eigentlich, zu beten? Was verbinden wir damit? Wenn ich darüber nachdenke, was das Wort „Beten“ in mir auslöst, dann muss ich ehrlicherweise sagen, dass sich damit bei mir früher häufig das Gefühl einer gewissen Last verbunden hat. Mein schlechtes Gewissen sagte mir, dass ich mehr beten sollte. Müsste ich nicht für dieses und jenes beten? Und habe ich nicht neulich jemandem versprochen: „Ich bete für dich!“? Mein Gebetskonto schien ständig im Soll zu stehen. Das Gebet stand also mahnend wie eine Forderung vor mir. Noch eine Forderung inmitten all der Anforderungen, die sowieso schon an mich gestellt werden. Und weil ich jemand bin, der gewissermaßen auch beruflich mit Gott und dem Glauben zu tun hat, wurde mein Beten leicht zu einer Art Dienstbesprechung mit dem „Chef da oben“: Was willst du von mir, Herr? Wie soll ich diese und jene Aufgabe angehen? Sicher hat auch das seinen Platz. Aber ist Beten seinem Wesen nach nicht etwas ganz anderes als eine Arbeit, die es zu verrichten gilt?

Bei Teresa begegnet mir ein anderes Verständnis von Gebet. Das Gebet erwuchs aus ihrer Freundschaft mit Gott. Meist verwendete sie den Begriff „inneres Beten“, der im damaligen Spanien in bestimmten Kreisen in Mode war. Teresa war sicher davon beeinflusst und knüpfte daran an, gab aber dem Thema Gebet doch auch ihre ganz eigene Note.9 Eine besondere Betonung – die sie von anderen Vertretern des „inneres Betens“ unterscheidet – entwickelte Teresa dabei bezüglich der Weise, wie man auf Jesus Christus, wie er uns in den Evangelien geschildert wird, schaut und sich ihm nähert. Ihr Weg führte dabei weniger über das Nachdenken über den menschgewordenen Gott, als vielmehr über das Einfühlen.

Was mit dem Begriff „inneres Beten“ gemeint ist

Was meinte Teresa also, wenn sie vom „inneren Beten“ sprach? Zunächst einmal deutet der Begriff „inneres“ Beten einen gewissen Gegensatz zu einem rein äußerlichen Beten an. Teresa wusste: Es kann sein, dass man zwar äußerlich betet, indem man bestimmte „Gebete verrichtet“ – sie also wie einen Text aufsagt –, dass man dabei aber nicht wirklich im Herzen bei Gott ist. Nach ihrer Auffassung stellte das kein wirkliches Beten dar, denn es ist keine existenzielle Begegnung mit Gott.

Was macht also das „innere Beten“ aus? Was ist es seinem Wesen nach? Bei Teresa heißt es dazu: „Denn meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“. (V 8,5)

Betrachten wir einige Elemente dieser Definition einmal genauer: Beten bedeutet zunächst, dass ich bei dem göttlichen Freund bin und Gemeinschaft mit ihm habe. Natürlich ist Gott immer bei mir, ob ich an ihn denke oder nicht. Aber ich bin eben nicht immer bewusst bei ihm. Dazu aber bin ich eingeladen. „Inneres Beten“ bedeutet also – im Gegensatz zu bloß äußerlichem Verrichten von Gebeten –, dass ich bewusst bei Gott bin. Ob mein Beten dabei laut vernehmbar oder still ist, ob es frei von mir selbst formuliert wird oder ich vorgeformte Worte anderer mitbete, ob ich allein oder auch mal in Gegenwart anderer bete, ist dabei letztlich zweitrangig: Entscheidend ist, dass ich während des Gebets bei Gott bin, dass ich bewusst innerlich Gemeinschaft mit ihm habe. Denn es geht beim inneren Beten für Teresa ja um das „Verweilen bei einem Freund“, um eine personale Begegnung. Sie geschieht nicht in knechtischer Furcht, es ist aber auch nicht das Betteln eines Kinders gemeint. Die Betonung liegt – bei Teresas Definition des Betens – auf einer Begegnung von Freunden, die sich daran freuen, Zeit miteinander zu verbringen.

Was wir beim Beten „machen“

Was geschieht nun aber genau beim Beten, bei dieser Begegnung mit dem göttlichen Freund? Zunächst einmal ist zu betonen, dass gar nichts Bestimmtes geschehen muss. Es muss nicht unbedingt eine „Tagesordnung“ geben, die abgearbeitet oder besprochen werden sollte. Freunde können einfach so zusammen sein. Teresa deutet das an, wenn sie bewusst vom „Verweilen bei einem Freund“ spricht, nicht vom „Gespräch mit einem Freund“. Es ist also erst einmal wichtig, sich Zeit für ein zweckfreies Zusammensein zu nehmen. Und vielleicht ist es gut – gerade wenn unser Beten leicht zum Krampf wird – dass wir einmal einüben, einfach vor Gott zu sein. Freunde können sich so begegnen, in dem Wissen, dass sie eine gute und fruchtbare Zeit miteinander verbringen werden, egal, wie diese Zeit sich entwickelt und dann im Einzelnen gefüllt wird. Davon ausgehend kann dann in der Begegnung von Freunden ganz Unterschiedliches seinen Platz haben.

1. Sich schweigend anschauen

Im zwischenmenschlichen Bereich ist es ein Zeichen einer gefestigten Beziehung, wenn man es aushalten kann, auch einmal schweigend zusammen zu sein, ohne dass es peinlich wird. Im Umgang mit Fremden wäre das eher ungewöhnlich. Ist unsere Beziehung zu Gott so gereift, dass wir auch mit ihm zusammen sein können, ohne unbedingt reden zu müssen? Können wir einfach so in seiner Gegenwart sein?

Es gibt eine Geschichte von Jean-Marie Vianney (1786–1859), Pfarrer von Ars, der einen Mann längere Zeit beobachtete, der stets morgens und abends in die Kirche ging. Dort verweilte er jeweils für einige Zeit. Als der Pfarrer ihn eines Tages fragte, was er dem Herrn während seiner längeren Besuche denn sagen würde, antwortete der Mann: „Ich sage ihm gar nichts, Herr Pfarrer. Ich schaue ihn an. Und er schaut mich an.“

In diesem Sinne kann Schweigen zu einer tiefen Art der Kommunikation werden. Den anderen einfach in Liebe anzuschauen, kann etwas Gewaltiges und sehr Bedeutsames sein. Wie viele Menschen sehnen sich heute danach, dass sie einer in Liebe anschaut? Und welche Auswirkungen hätte das im Leben von vielen, wenn sie verstehen und erleben könnten, dass Gott sie in Liebe ansieht?

„Weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“ – wie Teresa es formulierte und wie es uns die Heilige Schrift bezeugt –, ist Gottes Blick auf uns etwas, das uns wohltut und nicht ohne Auswirkungen bleibt. Ich darf mich dem Licht seiner liebenden Gegenwart aussetzen, und das wird mich verändern. Beim Beten muss ich also zunächst einmal nichts tun. Ich darf einfach bei ihm sein und ihm in die Augen schauen.

An ihre Klosterschwestern schrieb Teresa dazu: „Ich bitte euch nur, dass ihr ihn ansehen möget. Wenn ihr wirklich nicht mehr tun könnt, wer hindert euch wohl, die Augen der Seele wenigstens mit einem Blick auf diesen Herrn zu richten? Euer Bräutigam, meine Töchter, wendet nie seine Augen von euch. Tausend hässliche und abscheuliche Dinge hat er seinerseits an euch ertragen, und sie konnten ihn nicht bewegen, sein Angesicht von euch abzuwenden. Sollte es euch nun zu viel sein, manchmal die Augen von den äußeren Dingen wegzuwenden und ihn anzuschauen? Seht, er wartet auf nichts anderes, als dass wir ihn anblicken“. (CV 26,3)

2. Hören

Auch wenn Teresa das Beten seinem Wesen nach zunächst als ein „Verweilen“ definierte, wäre es höchst ungewöhnlich, wenn in einer Begegnung unter Freunden nicht auch miteinander geredet würde. Dabei ist zu betonen, dass Reden mit Gott eine zweiseitige Kommunikation ist. Allzu schnell läuft unser Beten nämlich einseitig auf das hinaus, was wir Gott alles zu sagen haben: Was uns auf dem Herzen ist, was wir ihn bitten wollen, was wir brauchen. Und wir haben die Erwartung, dass Gott dann auch tun wird, was wir von ihm erbitten.

Wenn Beten das Zusammensein mit einem Freund ist, dann sollten wir aber darauf achten, dass Gott auch zu Wort kommt. Könnte es nicht sein, dass es manchmal viel wichtiger ist, was er uns zu sagen hat, als was wir ihm zu sagen haben? Er kennt unsere Gedanken, unsere Gefühle und unsere Bitten, bevor wir sie äußern. Kennen wir seine Gedanken, seine Gefühle und seine Bitten an uns genauso gut?

Deshalb ist es wichtig, dass wir wieder lernen, dass Beten „auf Gott hören“ bedeutet. Warum beginnen wir z. B. eine Zeit des Gebetes nicht einmal bewusst mit der Frage: Wie geht es dir, Herr? Was beschäftigt dich? Was ist dir wichtig für unsere gemeinsame Zeit jetzt? Was möchtest du mit mir teilen?

Vielleicht erscheint uns das zunächst ungewöhnlich. Aber ist es ungewöhnlich, einen Freund zu fragen, was ihn bewegt, und ihm dann einfach zuzuhören?

Teresa ging selbstverständlich davon aus, dass Gott ein Gott ist, der mit seinen Freunden redet. Ein Gespräch unter Freunden geschieht nun normalerweise auf die Art, dass sie akustisch vernehmbar miteinander reden. Die wenigsten aber erleben es, dass Gott auf gleiche Art und Weise akustisch hörbar zu ihnen spricht. Doch Gott hat Mittel und Wege, so zu uns zu sprechen, dass wir es auch „hören“ können: Vielleicht ist es ein Gedanke, der sich uns geradezu aufdrängt. Oder ein Empfinden tief in unserem Herzen. Ein Wort aus der Heiligen Schrift, das uns trifft. Oder etwas, was ein anderer Mensch uns sagt, hinter dem wir Gottes Reden erkennen können. Wenn Gott zu uns reden möchte, dann hat er seine Mittel und Wege. Vielleicht braucht es nur etwas Übung von unserer Seite aus. Und etwas mehr Stille, damit wir sein Reden auch hören können.

Teresa jedenfalls war der festen Überzeugung, dass die Kommunikation mit Gott keine Einbahnstraße ist. Sie empfahl deshalb, immer wieder auf Zeiten der Stille im eigenen Leben zu achten, „um zu vernehmen, was der Herr auf unsere Bitten antwortet! Oder glaubt ihr etwa, er schweige, wenn wir ihn auch nicht hören? O er redet gar wohl zu unserem Herzen, wenn wir ihn herzlich bitten“. (CV 24,4)

3. Reden

Auch wenn es wichtig ist, sich in einer guten Freundschaft zunächst einmal im Zuhören zu üben, so ist natürlich das Reden unentbehrlich. Gott möchte sich mit uns unterhalten und von uns hören, was uns bewegt. Dabei hat alles seinen Platz: unsere Freude, unsere Dankbarkeit, unsere Sorgen, unsere Fragen, unsere Ängste. Auch unsere negativen Gefühle und die Dinge, mit denen wir zu kämpfen haben. Die Qualität einer Freundschaft zeigt sich gerade darin, wie offen man über alles reden kann. Und wo man beginnt, offen miteinander zu reden, wird eine Beziehung an Tiefe gewinnen. Dazu lädt uns Gott ein: Mit ihm zu reden wie mit einem Freund.

Teresa brachte das im Gebet zu Gott, was sie bewegte. Obwohl sie ein Bewusstsein für die Größe Gottes behielt, war ihr Beten sehr vertraulich und freimütig. Dabei durfte sie auch immer wieder erleben, wie Gott auf ihre Bitten hin konkret handelte und sie erhörte. Über andere Menschen sprach sie mit Gott, wie man mit einem Freund über andere Freunde redet. So z. B., als sie für einen ihrer Beichtväter betete: „Herr, du darfst mir diese Gnade nicht verweigern; schau, wie gut er ist, dieser Mensch, um unser Freund zu sein“. (V 34,8) Alles und jeden nahm sie einfach mit hinein in ihre Freundschaft mit Gott.

Vielleicht ist es hilfreich, unser Beten für Menschen und andere Anliegen einmal auf diese Weise zu betrachten: Wir nehmen sie hinein in unsere Freundschaft mit Gott. Das könnte eine Hilfe dabei sein, unser Beten zu „entkrampfen“. Es von dem lähmenden Druck zu befreien, ob wir denn genug gebetet und an alle gedacht haben, für die wir beten wollten. Wie wäre es, stattdessen einfach bei unserem göttlichen Freund zu sein und ihn zu fragen: Über wen oder was sollten wir noch sprechen?

Überlassen wir doch ruhig einmal Gott die Initiative im Gespräch, anstatt einfach eine eigene „Tagesordnung“ abzuarbeiten.

Braucht das Beten bestimmte Zeiten?

Teresas Definition des inneren Betens schloss auch die Empfehlung mit ein, dass das Zusammenkommen mit Gott „oft“ und „allein“ geschehen soll. Wie viele andere geistliche Autoren betonte sie, dass es hilfreich ist, sich Zeit zum Rückzug in die Einsamkeit zu nehmen, um die Freundschaft mit Gott zu pflegen. Sie wies dabei auch auf das Beispiel Jesu selbst hin: „Wie ihr schon wisst, ist bezüglich des Gebetes vor allem zu beachten, was der Herr uns lehrt: Wir sollen die Einsamkeit aufsuchen. So hat er selbst immer gehandelt, wenn er betete“ (CV 24,3).10 Diese Zeiten der Zurückgezogenheit und Stille sind also von zentraler Bedeutung. Sie bilden gewissermaßen das Fundament für alles andere.

Haben wir aber heute noch die Zeit dafür? Die meisten von uns leben ja nicht wie Teresa in einem kontemplativen Orden, sondern mitten in der Welt – mit all den Anforderungen, die damit verbunden sind. Können wir da trotzdem „oft allein“ mit unserem göttlichen Freund zusammen sein?

Teresa betonte, dass wir nicht aufgeben sollten, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um solche Zeiten mit Gott möglich zu machen: „Aber das liegt in unserer Macht, dass wir trachten, einsam zu sein“. (CV 24,4)

Die Frage nach der verfügbaren Zeit für eine bestimmte Sache ist zugleich die Frage nach dem Stellenwert, den wir dieser Sache in unserem Leben einräumen. In unseren menschlichen Beziehungen gelingt es uns oft, genügend Zeit zu erübrigen – wenn wir es denn wollen. Und je mehr wir einen Menschen lieben und es uns ein Bedürfnis ist, mit ihm zusammen zu sein, desto mehr wird es uns auch gelingen, dafür Freiräume zu schaffen. Warum also sollten wir der Begegnung mit unserem göttlichen Freund nicht auch schon bei der Planung mit unserem Terminkalender eine hohe Priorität einräumen? Es ist durchaus sinnvoll, feste Zeiten für die Begegnung mit ihm in der Stille einzuplanen. Wann wollen wir uns für ihn Zeit nehmen? Am Morgen oder am Abend? Zu einer bestimmten Zeit im Verlauf der Woche oder im Monat? Vielleicht eine Woche der Stille zu Anfang oder Ende des Jahres? Vielleicht sprechen wir doch einmal direkt mit Gott darüber, auf welche Art und Weise wir unsere Freundschaft in Zukunft miteinander pflegen wollen.

Teresa wusste aber auch, dass es Umstände geben kann, in denen es einem Menschen nur schwer möglich ist, sich diese Zeit so zu nehmen, wie er es selbst vielleicht gern tun würde. Das kann heute noch genauso der Fall sein wie zu Teresas Zeit. Vielleicht in einer Phase des Lebens, wo die Fürsorge für mir anvertraute Menschen mich so in Anspruch nimmt, dass ich kaum zum Luftholen komme. Hier finden wir bei Teresa eine große Gelassenheit in Bezug auf die Zeiten, wo die Anforderungen des Alltags es wirklich nicht möglich machen, besondere „Zeiten des Betens“ zu erübrigen. Da das Beten seinem Wesen nach keine Tätigkeit ist, die abgearbeitet werden muss, sondern das Zusammensein mit einem Freund, ist das natürlich auch inmitten des Alltags möglich. Während der Arbeit und mitten unter anderen Menschen. Beten ist deshalb keine Sache der freien Zeit. Mit Gott durch den Tag gehen kann ich auch, wenn ich mir keine besondere Zeit für das Gebet reservieren kann. Wenn Beten Ausdruck der Freundschaft ist, dann kann ich auch während des Tages hin und wieder meinen Herrn anschauen, ihm ein paar Worte sagen oder mich einfach freuen, dass ich meine Arbeit unter seinen Augen tun darf.

Aus ihrem eigenen Erleben schwerer Krankheitszeiten berichtete Teresa, man brauche beim Beten „keinerlei körperliche Kräfte, sondern nur Liebe und Gewöhnung“. Beten war für sie eigentlich immer möglich, „denn wenn er uns auch gelegentlich oder sogar durch Krankheit zeitweise daran hindern mag, längere Zeit allein zu sein, so gibt es doch andere Zeiten, wo unser Gesundheitszustand dafür ausreicht; und selbst bei Krankheit und anderen Gelegenheiten besteht für einen Menschen, der liebt, das echte Beten darin, Gott dies darzubringen und daran zu denken, für wen er dies durchmacht, und sich darin und in tausend andere Dinge, die sich ihm darbieten, zu fügen. Hier übt man die Liebe, da es ja nicht zwangsläufig so ist, dass man inneres Beten nur zu halten hat, wenn man Zeit zum Alleinsein hat, und alles andere wäre kein Gebet. Mit ein wenig Bedacht findet man gerade in der Zeit, in der der Herr uns durch Prüfungen die Zeit zum Beten nimmt, große Wohltaten“. (V 7,12)

Beten in dem Sinne, dass wir mit unserem göttlichen Freund zusammen sind, ist also eigentlich immer möglich. Keine Zeit zu haben ist deshalb keine Ausrede, nicht in diesem Sinne beten zu können. An ihren leiblichen Bruder Lorenzo schrieb Teresa diesbezüglich sogar einmal, er solle ja nicht denken, dass er mehr beten würde, wenn er denn mehr Zeit hätte.

Beten war für Teresa die innere Grundhaltung, das eigene Leben vor dem Angesicht und im Zusammensein mit dem göttlichen Freund zu führen. Letztlich bedeutete beten für sie nichts anderes als lieben!

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Auf der einen Seite ist es wichtig, sich bestimmte Zeiten für die Begegnung mit unserem Herrn in der Stille zu nehmen. Denn von diesen Zeiten – in denen sich das Beten sicherlich am einfachsten einüben lässt – geht ein prägender Einfluss auf unser gesamtes Leben und unseren Alltag aus. Auf der anderen Seite können wir, nach Teresas Verständnis, dieses Beten aber auch mitten im Alltag praktizieren. Auch wenn ich unter Menschen bin oder zu arbeiten habe, kann ich mir bewusst machen: Er ist jetzt da, der Freund, der mich liebt. Ich darf zu ihm hinblicken, ihm in die Augen schauen und ihm sagen: Ich tue jetzt diese Arbeit bewusst in deiner Gegenwart, unter deinen Augen. Und dann kann ich mich wieder getrost den Anforderungen des Alltags zuwenden. Ich darf wissen, dass er da ist, der Freund, der mich liebt. Der Herr, der mein Tun in seinen Händen hält. Der liebende Vater, der auf mich und die Meinen achthat. Wird das Gebet so verstanden, kann mein ganzes Leben, Arbeiten und Beten zu einer harmonischen Einheit werden.

„Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen.“ (Mt 6,6-7)

„Lasst uns aufsehen zu Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.“ (Hebr 12,2)

„Hört, und ihr werdet leben.“ (5. Mose 4,1 EÜ)

„Betet ohne Unterlass.“ (1. Thess 5,17)

Lieber Vater im Himmel,

danke für die Einladung, einfach bei dir zu sein. Danke, dass ich bei dir zur Ruhe kommen darf.

Schenke mir immer wieder die nötige Stille, offene Ohren und ein offenes Herz für dich.

Herr, du weißt, wie oft mir mein Beten verkrampft und fruchtlos erscheint. Hilf mir, vor dir loszulassen und deiner Einladung zu folgen, Zeit mit dir zu verbringen.

Danke, dass du in Liebe auf mich schaust! Immer mehr möchte ich lernen, unter deinem liebenden Blick zu leben. Ihn in mich aufzunehmen und mich davon verändern zu lassen in dein Bild.

Mein Herr und mein Gott, du liebender Vater im Himmel: Danke für deine Freundschaft, die mein Leben neu macht.

AMEN.