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DIE WUT DES ALTEN MANNES

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»Die Wut des alten Mannes«

Ein kurzer Triller von Noëlle Abé

Copyright: © 2013 Noëlle Abé

Lektorat: Eva Wendel und Stephanie Werner

Covergestaltung: Alexandra Bronner

Coverbild: © miket/fotolia.com

Verlag: MEDIAfaktum

Edition: Delikte am Menschen

Kontakt: www.delikte-am-menschen.de

 

 

 


 

 


 

 

»Eigentlich«, murmelte er und richtete seine Gartenzwerge an der Rasenkante aus, »ist der beste Nachbar ein toter Nachbar.«

 

(Wolfgang J. Reus (1959 -2006)

 


DIE WUT DES ALTEN MANNES

 

Frühmorgens weckte ihn ungewohnter Lärm. Motorengeräusche, Klirren, Rattern, Rumpeln. Metall schlug auf Metall. Er stand auf, stürzte zum Fenster, riss das Rollo hoch und schaute hinaus. Eine gelbe Karawane, bestehend aus einem Bagger, einem auf einem Tieflader transportierten Kran, zwei schmutzstarrenden Kieslastern und einem verbeulten VW-Bus, zog an seinem Haus vorüber. Ein qualmender, nach Benzin stinkender Unimog aus Nachkriegszeiten bildete die Nachhut. Er zerrte einen klapprigen, mit Spraydose und Schablone zum »Büro« geadelten Wohnwagen hinter sich her.

Die Kolonne bog ab und verschwand hinter Gebäuden. Kurz wurde es still, dann hob die Kakophonie erneut an. Eines nach dem anderen lösten sich die Fahrzeuge aus dem Schatten des Apfelbaums, in den die Nachbarn ein Baumhaus für ihre Kinder gebaut hatten. Natürlich interessierte sich bereits wenige Wochen nachdem es fertig war, niemand mehr dafür, und so hing es mittlerweile windschief in den morschen Ästen. Äpfel trug der vernachlässigte, gequälte Baum schon Jahre nicht mehr.

Die Lastwagen blieben auf dem Brachland stehen, das hinter der nächsten Häuserzeile begann, und luden ihre Fracht ab.

Das Areal dürfe nicht bebaut werden, hatte es geheißen, denn die Natur sei dem Gemeinderat wichtiger als der Erlös, den der Verkauf von Bauland bringen würde. Nun aber wollten Kinder einen Spielplatz, Eltern einen Hort, Jugendliche einen Treffpunkt, die Landfrauen einen Ort zum Kaffeetrinken und die Schützen ein Vereinsheim. Rasch war ein Dorfgemeinschaftshaus beschlossene Sache - doch woher sollte man das Geld für einen Neubau nehmen?

 

Einige Monate nach einer hitzigen Gemeinderatssitzung hing ein Bebauungsplan für ein neues Siedlungsgebiet im Rathaus aus. Ein zweiter prangte im Fenster der Raiffeisenbank und ein weiterer im amtlichen Bekanntmachungskasten beim Bäcker. Zwölf Häuser hatte der Bauausschuss einzeichnen lassen, drei Straßen und ein Fernwärmenetz, das von der Biogasanlage eines Landwirts gespeist werden sollte.