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Und es geht doch!

Barbara Lukesch

Und es
geht doch!

Wenn Väter mitziehen

Fotografien von Gianni Pisano

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Über das Buch

Wenn Väter mitziehen, sind alle glücklich: die Männer, die eine echte Bindung zu ihrem Nachwuchs entwickeln können; die Frauen, die Familie und Beruf entspannter vereinbaren können; die Kinder, deren Alltag abwechslungsreicher wird. Kommt dazu: Die Paarbeziehung profitiert, sie bleibt – das macht »Und es geht doch!« schnell klar – spannend und wird facettenreicher. Denn sobald sich nicht nur die Frauen, sondern auch deren Männer für Kinder und Haushalt verantwortlich fühlen, verlieren viele Konflikte, die in traditionellen Partnerschaften immer wieder für Unmut sorgen, an Brisanz. Barbara Lukesch präsentiert in ihrem Buch einen bunten Reigen aus dreizehn Familien, in denen die Väter, unter anderen ein Landwirt, ein Jurist, ein Ökonom, ein Maître de Cabine, ein Psychoanalytiker, ein Bäcker und ein Soziologe, einen ernst gemeinten Teil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit übernommen haben. Es kommen aber nicht nur die Männer zu Wort, sondern auch deren Partnerinnen und ihre – teilweise schon erwachsenen – Kinder. Kinder, die in Familien aufgewachsen sind, von denen es leider nach wie vor nicht allzu viele gibt. Noch nicht!

Über die Autorin Barbara Lukesch

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Barbara Lukesch, geb. 1954, wuchs in Hamburg und Zug auf. An der Universität Zürich studierte sie Germanistik, Anglistik und Literaturkritik. Heute arbeitet sie als freie Journalistin für verschiedene Printmedien und ist als Dozentin am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern, an der Universität Zürich und verschiedenen Fachhochschulen tätig. Für den Wörterseh Verlag verfasste sie bereits »Starke Worte« –zusammen mit Balz Spörri – und »Klaus Heer, was ist guter Sex?«. Die Idee, ein Buch über Väter, die mitziehen, zu schreiben, trug sie schon länger mit sich herum – einfach weil sie aus eigener Erfahrung weiss, wie gut es nicht nur den Kindern, sondern auch der Beziehung tut, wenn der Partner sich wirklich einbringt. Barbara Lukesch lebt in Zollikon und Gais AR.

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe

© 2013 Wörterseh Verlag, Gockhausen

Lektorat: Claudia Bislin, Zürich
Korrektorat: Andrea Leuthold, Zürich
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen
Alle Fotos: Gianni Pisano, Zürich
Layout, Satz: Manuel Süess, Zürich
Herstellerische Betreuung: Rolf Schöner, Aarau
Lithografie: Tamedia Production Services, Zürich

Print ISBN 978-3-03763-036-5
E-Book ISBN 978-3-03763-543-8

www.woerterseh.ch

Inhalt

Neue Väter hat das Land – Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Die Väter und ihre Familien auf einen Blick

Christian Zünd – Erst das Kind, dann die Karriere

Christian Gafner – Zielkonflikt

Urs Wenger – Bauer, Hausmann, Güggeli-Pilot

Peter Schneider – Diese Rumschleicherei am Zürichsee

Martin Guyer – Gemischtes Doppel

Roger Rhyner – Abenteuer im Zigerschlitz

Hans-Kaspar von Matt – Ganz normal, aber anders

Alexander Weber – Vertauschte Rollen

Stefan Sander – Himmel und Hölle

Peter Marty – Radikaler Spurwechsel

Beat Vieli – Bündner Gelassenheit

René Staubli – Reise durchs Vaterland

Lu Decurtins – Die Angst vor der Abwaschbürste

Schluss und Dank

Neue Väter hat das Land

Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Natürlich bin auch ich eine Betroffene. Vielleicht sollte ich besser Nutzniesserin sagen. Ganz sicher aber bin ich Anhängerin einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung zwischen den beiden Menschen, die miteinander ein Kind auf die Welt stellen. Meinem Mann (siehe Seite 189) und mir war klar, dass wir halbe-halbe machen würden. 1990, als unser Sohn zur Welt kam, waren wir 36 beziehungsweise 37 Jahre alt. Es war einer der besten Entscheide in meinem Leben, ein Kind zu bekommen, und es war grossartig, beides zu haben: eine Familie, aber auch meinen Beruf. Es fühlte sich gut an, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, Erfahrungen in zwei Welten zu machen, die nicht unterschiedlicher sein können. Ich genoss die Abwechslung und holte mir am einen Ort Inspirationen für den anderen.

Ein einziges Mal nur zweifelte ich an unserem Modell. Unser Sohn Yannick (siehe Seite 206) ging in die dritte Primarklasse und schlug sich ständig mit einem Klassenkameraden. Ich war sehr besorgt und fragte mich, woran ich – nicht der Vater, der leistete ja weit mehr als das Soll – es in der Betreuung wohl hatte fehlen lassen. War ich eine Rabenmutter? Hatte ich ein kleines Monster herangezogen, das mangels mütterlicher Präsenz aus dem Ruder lief? Ein Gespräch mit der Lehrerin brachte Entwarnung. Sie habe volles Verständnis für Yannick. Er wehre sich bloss gegen den Kollegen, ja er lasse dessen Provokationen sogar erstaunlich lange über sich ergehen, bis er reagiere. Uff!

Über meine persönlichen Erfahrungen hinaus gewann ich in all diesen Jahren auch auf beruflichem Weg Erkenntnisse, die mich prägten. Seit dem Jahr 2000 leiten mein Mann und ich ein Seminar für kantonale und städtische Angestellte: »Väter im Spannungsfeld von Beruf und Familie«. Dort haben wir mehr als 150 Männer kennen gelernt, Polizisten, Hauswarte, Bezirksanwälte, Controller und Gärtner, die mit verblüffender Offenheit über ihre private und berufliche Situation geredet und uns Einblick in die Wünsche und Nöte von Männern gewährt haben, die sich ernsthaft mit ihrer Vaterschaft auseinandersetzen. Unvergesslich ist mir jener Kadermann, der mit gnadenloser Brutalität das Verhältnis zu seinem Sohn beschrieb, um den er sich fünfzehn Jahre lang kaum gekümmert hatte. Das Einzige, was er höre, sei: »Vater, Geld!« Gott sei Dank habe er in einer zweiten Ehe eine zweite Chance bekommen und versuche nun, seiner kleinen Tochter mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Im Seminarraum war es totenstill.

Den Ausschlag, dieses Buch zu schreiben, gab letztlich die anhaltende Debatte über die Gleichstellung von Frau und Mann, die mir je länger, je unergiebiger vorkommt. Dürfen Frauen nicht an Firmenspitzen, weil sich die Männer querstellen? Wollen Frauen womöglich gar nicht die Hälfte des Kuchens, oder liegt die Lösung in der Quote? Zwingt die Biologie das weibliche Geschlecht an den Herd? Sind Väter für die Kinderbetreuung überhaupt geeignet? Braucht es mehr Krippenplätze, oder würde eine »richtige Mutter« ihr Kind niemals einem Hort ausliefern, den »Weltwoche«-Chefredaktor Roger Köppel in seiner Kindheit als »Lagerhaft, Verbannung, Exil« wahrgenommen hat, wie er in einem Editorial schreibt? Sind Väter und Mütter nicht sowieso selber schuld, dass sie Kinder auf die Welt gestellt haben, und sollen mit den Problemen, die sich daraus ergeben, nun auch selber fertigwerden? Oder ist ihre Forderung nach staatlicher Unterstützung von Krippenplätzen berechtigt?

Im Vorfeld zur Abstimmung über den Familienartikel, der dank knappem Ständemehr verworfen wurde, bildeten sich unheilige Allianzen. Ideologische Grabenkämpfe beherrschten die Szene. Dabei ist unbestritten, dass es Krippenplätze braucht, dass viele nicht gut genug sind und vor allem zu teuer. So teuer nämlich, dass sie das Teilzeit-Einkommen einer erwerbswilligen Mutter wegfressen und sich die Frage stellt, ob sich die Berufstätigkeit der Frau unter diesen Umständen lohnt.

Die Debatte läuft heiss, und es braucht oft nur einen Funken, um einen Brand zu entfachen. Als die Managerin Jasmin Staiblin 2009 bei ABB Schweiz und 2013 beim Energiekonzern Alpiq den ihr zustehenden Mutterschaftsurlaub beanspruchte, wurde ihr Verantwortungsgefühl für die Firma infrage gestellt. Als im umgekehrten Fall die erste »Blick«-Chefredaktorin Andrea Bleicher sagte, ihre Karriere gehe der Betreuung ihrer beiden Kinder vor, die beim Vater leben, wurde ihr Verantwortungsgefühl als Mutter angezweifelt. Frauen stehen so oder so vor einem Dilemma.

Väter hingegen geniessen Artenschutz. Im Vorfeld zu den Regierungsratswahlen in Basel erklärte der FDP-Kandidat Baschi Dürr, er gedenke, auch im Fall seiner Wahl einen halben Tag pro Woche seine Pflichten als Hausmann und Vater wahrzunehmen. »Beeindruckend! Ein neuer Mann!«, lautete der Tenor. Die Aussage sicherte ihm die Aufmerksamkeit der Medien, aber auch den Ärger von Eva Herzog, der langjährigen Finanzdirektorin der SP und selber auch Mutter, die zu Recht erklärte, hätte sie als Frau eine solche Ankündigung gemacht, hätte es geheissen: »Ein solches Amt und kleine Kinder – es geht eben doch nicht!«

Die Rollenkonfusion ist nach wie vor gross. Kürzlich landete ein Dossier zu Mobilität in meinem Briefkasten, in dem Männer über den öffentlichen Verkehr, Elektrofahrzeuge und Mobilitätskonzepte referieren. Die einzige Frau im Blatt rückte in einem Artikel das Velo ins rechte Licht. Andererseits hatten bis vor kurzem die Frauen im Bundesrat die Mehrheit. Im Kontrast dazu laufen junge Frauen am Samstagabend im »Nutten-Look« auf Stöckelschuhen herum und halten das für ein Zeichen ihrer Emanzipiertheit. Bei der Recherche zu diesem Buch sind mir junge, gut qualifizierte Frauen begegnet, die sich ein Gewissen machen, wenn sie ihren Mann darum bitten, nachts auch einmal das weinende Baby aufzunehmen. Andere bekommen Zustände bei der Frage, ob sie sich vorübergehend auch einen Hausmann an ihrer Seite vorstellen könnten. Ein Mann ohne eigenes Einkommen? No way, den könnten sie nicht respektieren! Und eine Frau? Das sei etwas anderes.

Vielen Frauen wird nach wie vor die alleinige Verantwortung für die Kinder zugemutet. Das ist kein Adelsprädikat, sondern das Abschieben von Arbeit, die fast alle Menschen eines Tages an den Rand bringt, weil sie einen körperlich auslaugt und intellektuell unbefriedigt lässt. Dass Männer für diesen Dienst immer noch nicht vorgesehen sind, zeigt sich auch bei der heftig umstrittenen Frage, ob es männliche Kita-Mitarbeiter geben soll. Die Befürchtung, dass sich für solche Stellen sowieso keine normalen Männer, sondern nur Pädophile melden, deutet auf ein Denkmuster hin, das wenig mit der Realität, aber viel mit einem überkommenen Rollenverständnis zu tun hat.

Dabei wäre es höchste Zeit, dass sich die Männer ihrer Verantwortung innerhalb der Familie bewusst werden und mitziehen. Das würde der Gleichstellung endlich Schub verleihen, Frauen die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern ermöglichen oder mindestens erleichtern, aber auch Männerund Kinderleben um viele Farbtöne reicher machen. Das Resultat wären neue, anregende Männer- und Väterbilder.

Für diese Porträtsammlung habe ich Männer getroffen, die ihre Väterrolle auf überraschende und erfinderische, zum Teil auch bestechend pragmatische und vernünftige, vielfach ganz unspektakuläre Art ausfüllen. Die meisten arbeiten Teilzeit, einige sind vorübergehend als Hausmann tätig, auch Freiberufler mit schwer zu beziffernden Pensen sind darunter. Sie stammen aus Dörfern und Städten, arbeiten als Bäcker, Landwirt, Chauffeur, Journalist, Psychoanalytiker, Unternehmensberater, Jurist, Flight-Attendant und vieles mehr. Die Gespräche mit ihnen, ihren Frauen und Kindern waren sehr persönlich und haben mir Einblick in Welten eröffnet, die ich nicht kannte.

Der Landwirt und Güggeli-Pilot Urs Wenger hat mich beeindruckt mit seinem Pragmatismus, der ihn frei von ideologischen Schranken im Familienalltag handeln lässt. Der Lehrer und Diplomatinnengatte Alexander Weber und seine Frau zogen mit ihren drei Töchtern gerade von Skopje nach New York um; ich traf die Familie in ihrem alten Haus im winterlichen, sturmgepeitschten Biel. Der Zürcher Satiriker und Psychoanalytiker Peter Schneider hat mein Büro mit seinen Zigarren und Zigarillos verpestet, mir aus Freude über die Erlaubnis zum Rauchen aber auch einen halben Tag Interview-Zeit eingeräumt. Der Luzerner Bildungsberater Hans-Kaspar von Matt hatte Lust, seinen Text selber zu schreiben, und ergänzt das Buch damit um eine zusätzliche Facette. Ebenso wie René Staubli, mein Mann, der seine »Reise durchs Vaterland« beschreibt.

Lasse ich die dreizehn Kapitel Revue passieren, fällt mir neben der Vielfalt eine Gemeinsamkeit auf, die ich so nicht erwartet und an die ich im Vorfeld gar nicht gedacht hatte: Fast alle Porträtierten leben in langjährigen Partnerschaften, deren Qualität nach Aussage aller sehr viel mit ihrem praktizierten Familienmodell zu tun hat. Da ist die Rede vom grösseren Verständnis füreinander, der Attraktivität einer Beziehung auf gleicher Augenhöhe und der Freude an einem Partner, einer Partnerin, die über eigene Lebensbereiche verfügen und dadurch interessant bleiben.

Ist das Zufall? Ich glaube nicht. Selbstverständlich ist auch eine partnerschaftliche Aufgabenverteilung keine Garantie für ewige Liebe, wie das Beispiel des Männerberaters Lu Decurtins zeigt, dessen Beziehung zur Mutter seines ersten Kindes trotz seines Engagements als Vater nicht zu retten war. Es kann aber eine Basis entstehen, auf der viele Konfliktherde, die traditionelle Partnerschaften erschweren, gar nicht erst aufbrechen.

Darüber hinaus haben sozusagen alle Väter auch beruflich einen Weg gefunden, der weit entfernt vom Klischee des Teilzeit-Mannes liegt, der seine Karriere nachhaltig schädigt und eines Tages endgültig den Anschluss verpasst. Der Zürcher Jurist Christian Zünd ist erst nach vierzig beruflich durchgestartet, andere, wie der Landwirt Urs Wenger aus Lanzenhäusern, haben Patchwork-Karrieren mit viel Abwechslung und zusätzlichen Ausbildungen hinter sich. Dritte, wie der Valser Bäcker Beat Vieli, haben in jungen Jahren Führungsfunktionen bekleidet und dabei so viel verdient, dass sie heute gern einen Gang zurückschalten.

Weil sich diese Erkenntnis noch nicht bei allen Männern durchgesetzt hat, ist es wichtig, dass Frauen, die erwerbstätig sein wollen, ihr Bedürfnis entschieden zum Ausdruck bringen. Es braucht die Überzeugtheit, dass sie auch als Mütter das gleiche Recht wie ihre Männer haben, berufliche Erfahrungen zu machen, dabei Selbstbewusstsein zu tanken und ihr eigenes Geld zu verdienen. Sie müssen den Mut haben, mit ihren Männern zu verhandeln. Und sie müssen in Kauf nehmen, dass es dabei zu Konflikten kommen kann.

Dabei bleibt die Lohngleichheit ein Dauerbrenner. Natürlich hat es eine erfolgreiche Wirtschaftsgeografin wie Irene Meier leichter, ihren Berufsanspruch gegenüber ihrem Mann, dem Juristen Christian Zünd, durchzusetzen, als eine Frau, die viel weniger verdient als ihr Partner. Es stimmt aber zuversichtlich, dass immer mehr Berufe immer besser durchmischt sind, dass Frauen inzwischen die Mehrheit der Maturanden stellen und auch an den Universitäten in vielen Fächern auf dem Vormarsch sind.

Was in den dreizehn Kapiteln ebenfalls sichtbar wird, ist die Bedeutung familiärer Prägungen. Jene Männer, die aus Familien stammen, in denen auch die Mutter erwerbstätig war, begegnen einem partnerschaftlichen Modell mit grosser Selbstverständlichkeit. Sie sehen dessen Nutzen sehr pragmatisch, errechnen, dass vier Hände mehr leisten als zwei und dass sie damit die ökonomische Verantwortung für die Familie nicht allein tragen müssen. Das macht ihr Leben leichter. Roger Rhyner, der Radioredaktor und Buchautor aus Riedern, erlebte das bei seinen Eltern, die ihr eigenes Elektromonteur-Geschäft in Glarus führten. Auch innerhalb der Bauernfamilie Wenger war immer klar, dass Mutter Wenger von morgens bis abends mitanpackte.

Typische Konfliktlinien gibt es längs der Frage, ob es Frauen gelingt, ihren Männern die Küche und das Kinderzimmer tatsächlich zu überlassen. Das fällt offenbar nicht allen leicht, ist aber unverzichtbar. Männer sagen, es gebe nichts Schlimmeres, als wenn ihnen die Frau sage, wie sie den Säugling halten müssten. Stresspotenzial lauert auch dann, wenn der Beruf Frauen dermassen absorbiert, dass sie den Draht zu ihrer Familie zu verlieren drohen. Das passierte beispielsweise der Diplomatin Tatjana von Steiger, als sie allein für sechs Wochen nach New York musste und nachher feststellte, wie sehr sich die Kinder auf ihren Mann fokussierten. Da stossen erwerbstätige Mütter an ungewohnte Grenzen.

Und was sagen die Söhne und die Töchter? Haben sie unter dem Modell ihrer Eltern gelitten, etwas vermisst oder sich danach gesehnt, so zu leben wie die Nachbarskinder? Im Gegenteil. Die Befragten haben die Abwechslung geschätzt, insbesondere auch die Präsenz ihrer Väter, den unterschiedlichen Erziehungsstil beider Eltern, den sie oft clever zu ihren Gunsten zu nutzen wussten. In ihren Augen sind erwerbstätige Mütter eine Selbstverständlichkeit, genauso wie Männer, die staubsaugen, kochen, waschen und ein Kind betreuen. Sie kennen nichts anderes. Auf die Vorstellung, in einer traditionellen Familie aufzuwachsen, reagierten sie wenig begeistert. Mein Sohn Yannick, der meine Fragen an ihn schriftlich beantwortete, konstatierte ungerührt: »Es hätte mich gestört, wenn nur meine Mutter daheim gewesen wäre.«

Zollikon und Gais, im März 2013

Die Väter und ihre Familien auf einen Blick

Christian Zünd (1963), Jurist und Irene Meier (1962), Wirtschaftsgeografin
Wohnort: Küsnacht ZH / Kind: Andri Meier (1990)

Christian Gafner (1976), Ökonom, RAV-Berater und Stephanie Pfenninger (1977), Ökonomin, Branding-Consultant
Wohnort: Thalwil ZH / Kind: Filippa (2012)

Urs Wenger (1974), Landwirt, Zimmermann, Chauffeur und Diana Wenger (1974), Hauswirtschaftslehrerin
Wohnort: Lanzenhäusern BE / Kinder: Ariane (2004), Valérie (2006)

Peter Schneider (1957), Psychoanalytiker und Satiriker und Patricia Kunstenaar (1947) Psychoanalytikerin und Übersetzerin
Wohnort: Zürich / Kind: Laszlo (1990)

Martin Guyer (1961), Maître de Cabine und Monique Ulrich (1961) First Class Galley Flight Attendant
Wohnort: Seegräben ZH / Kinder: Caroline (1994), Lukas (1995), Anina (1998), Sonja und Tim (1999)

Roger Rhyner (1971), Radiomoderator, Buchautor und Janine Rhyner (1968), Kindergärtnerin
Wohnort: Riedern GL / Kinder: Fanny (2000), Charly (2004)

Hans-Kaspar von Matt (1950), Hochschulberater und Sylvia Egli von Matt (1952), MAZ-Direktorin
Wohnort: Luzern / Kinder: Katrin (1976), Dominik (1979)

Alexander Weber (1971), Lehrer, Kulturvermittler, Hausmann und Tatjana von Steiger (1971), Diplomatin
Wohnort: New York / Kinder: Elisabeth (2003), Elena (2005), Anna (2008)

Stefan Sander (1961), BWL-Dozent, Unternehmensberater und Gudrun Sander (1964), BWL-Dozentin, Unternehmensberaterin
Wohnort: St. Gallen / Kinder: Sophia (1993), Florian (1998), Johanna (1999)

Peter Marty (1955), FEAM, Hausmann, Betriebsabwart und Yvonne Marty (1963), Betriebsökonomin
Wohnort: Oberwil bei Zug / Kinder: Laura (1989), Aaron (1991), Pablo (1992)

Beat Vieli (1969), Bäcker und Daniela Vieli (1978), Coiffeuse
Wohnort: Vals GR / Kinder: Marco (2004), Mauro (2008)

René Staubli (1953), Journalist und Barbara Lukesch (1954), Journalistin und Dozentin
Wohnort: Zollikon ZH / Kind: Yannick (1990)

Lu Decurtins (1963), Sozialpädagoge, Supervisor und Vera Studach (1973), Sozialarbeiterin, Sexualpädogogin
Wohnort: Zürich / Kinder: Alice (1989), Cyril (2000), Livio (2002)

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Andri Meier und Christian Zünd

Erst das Kind, dann die Karriere

Der Jurist Christian Zünd, 50, und seine Partnerin, die Wirtschaftsgeografin Irene Meier, 51, haben fünfzehn Jahre Teilzeit gearbeitet, um ihren Sohn Andri betreuen zu können. Als sie Anfang vierzig waren, sind sie beide beruflich nochmals richtig durchgestartet.

Normalerweise blieb Irene Meier so lange zu Hause, bis ihr Sohn Andri in den Kindergarten gegangen war. An diesem Morgen hatte es ihr eine Sitzung hereingeschneit, und sie musste eine halbe Stunde früher weg. Sie zögerte: Konnte sich der Kleine selber anziehen und allein auf den Weg machen? Er konnte, fand seine Mutter. Sie erklärte ihm die Situation und stellte den Wecker, damit er nicht zu spät kam. Doch Andri hatte überhaupt keine Lust, von seinem gewohnten Ritual abzuweichen. Er begann zu schreien, ja zu toben, und verlangte, dass seine Mutter erst mit ihm zusammen das Haus verliess. Irene Meier war hin- und hergerissen. War sie eine Rabenmutter, wenn sie ging? Oder bot sie Andri vielmehr eine Chance zum Selbständigwerden? Sie redete ihm nochmals gut zu und verabschiedete sich. Doch kaum trat sie aus der Haustür, hörte sie ihren Sohn, der am offenen Fenster ihrer Wohnung im dritten Stock stand und immer noch schrie. Sie kam ins Schwitzen. Was sollte sie tun? »Ich blieb bei meinem Entscheid«, erzählt sie, »weil ich überzeugt davon war, dass er der Situation gewachsen war.« Als sie in ihrem Büro eintraf, rief sie ihn als Erstes an. Ein ruhiger kleiner Kerl nahm ab und plauderte mit ihr, bis er losziehen musste.

Irene Meier ist ganz schön tough. Die langjährige Präsidentin der Frauenzentrale galt nicht umsonst als Zürichs Berufsfeministin Nummer eins. Auch ihre Eltern wussten, warum sie von ihrer »Revoluzzertochter« sprachen. Und Christian Zünd, seit 27 Jahren ihr Partner, kapierte schnell, dass sie eine Frau ist, die sehr klare Vorstellungen davon hat, wie sie ihr privates und berufliches Leben aufgleisen will. Glücklicherweise deckten sich diese Ideen. Eine Heirat kam für beide nicht infrage, weil sie weder eine staatliche noch eine kirchliche Instanz brauchten, die ihre Beziehung absegnete oder bei einer Trennung offiziell auflöste: »Wir hatten einen Vertrag erarbeitet, der unter anderem auch eine faire Trennung vorsah«, erzählt Irene Meier.

Genauso klar äusserte sich die Wirtschaftsgeografin, wenn es um Fragen der Familie und Erwerbsarbeit ging: »Ich wusste immer, dass ich meinen Beruf auch mit einem Kind niemals aufgeben würde.« Sie habe erlebt, welche Probleme ihre Mutter, eine ehemalige Postbeamtin, hatte, als sie nach einem jahrelangen Unterbruch den Wiedereinstieg wagte. In dem Moment sei ihr bewusst geworden, dass das für Frauen erfundene Dreiphasenmodell Ausbildung/Beruf, Familie und Wiedereinstieg nicht funktioniere.

Christian Zünd, Jurist und Anwalt, nahm solche Aussagen sehr ernst: »Mir war klar, dass es eine Sache der Fairness und Gerechtigkeit war, wenn wir beide unsere Ausbildungen beruflich nutzen und damit finanziell auf eigenen Beinen stehen konnten.« Abgesehen davon habe er von Beginn weg Lust gehabt, sich an der Betreuung des gemeinsamen Nachwuchses zu beteiligen. Damit entfernte er sich weit von seinem eigenen Vater, der seine Rolle noch ganz im Stil eines autoritären Patriarchen interpretiert hatte. Es war selbstverständlich, dass dieser seinen Beruf im Aussendienst einer Versicherung zu hundert Prozent ausübte und seine Frau daheim für die fünf Kinder und den Haushalt verantwortlich war. Das knappe Budget zwang sie, vieles selber zu machen. So nähte sie Kleider für die Familie, knüpfte Teppiche, kochte Früchte und Gemüse ein und lagerte sie in grossen Konservengläsern. Dazu schrieb sie für ihren Schwager, der eine Schreinerei besass, Briefe und Offerten und verdiente einen schönen Teil dazu.

Seine Eltern, sagt Christian Zünd, hätten eine für die damalige Zeit »typische Zweckbeziehung« geführt, in der Zärtlichkeit und Liebe eher eine untergeordnete Rolle gespielt hätten, die aber trotzdem beachtliche sechzig Jahre gehalten habe und im Alter gefühlvoller geworden sei. Nach der Pensionierung habe der Vater der Mutter beim Zuprosten jedes Mal »Nüsslifee« gesagt, worauf sie mit einem »Santé, Paps« geantwortet habe. Beeindruckt habe ihn aber vor allem, mit welcher Würde der alte Mann seine Krebserkrankung erduldet habe, an der er 2011 gestorben ist.

Ungeachtet dieser späten berührenden Momente hatte ihm sein Vater, der politisch eher rechts angesiedelt war, in der Kindheit ein rigides Männerbild vermittelt: Ein richtiger Mann haut auf den Tisch und duldet keinerlei Widerrede. Politischen Ansichten, die sich nicht mit seinen deckten, begegnete er ungnädig. Den Spruch »Jetzt diskutieren wir nicht! Es wird gemacht, was ich sage, so wahr ich hier sitze und Zünd heisse!« hat sein nunmehr fünfzigjähriger Sohn noch heute im Ohr. Was er auch nicht vergessen kann, sind die vielen sterbenslangweiligen Sonntagvormittage, an denen die Familie auf Befehl des Vaters, eines strammen Katholiken, in den Gottesdienst musste. Das Ende vom Lied? Vier der fünf Kinder sind eines Tages aus der Kirche ausgetreten.

Christian, der Jüngste und einzige Akademiker unter den fünf, hat darüber hinaus auch mit dem Familienmodell seiner Eltern beziehungsweise dem Rollenbild seines Vaters gebrochen. Als sein Sohn Andri 1990 zur Welt kam, machte er ernst und bat seinen Vorgesetzten um die Reduktion seiner Arbeitszeit auf fünfzig Prozent. Er war juristischer Sekretär am Bezirksgericht Zürich, wo dazumal kein Mann Teilzeit arbeitete.

Das Gespräch mit seinem Chef, dem Präsidenten des Bezirksgerichts, verlief zäh. Zünd legte die Karten auf den Tisch und erklärte, er wolle reduzieren, um Zeit mit seinem Kind verbringen zu können. Er habe doch eine Frau, erwiderte sein Gegenüber, ob denn sie sich nicht um das Kind kümmern könne. Zünd sagte, er wolle sein Kind betreuen. Es handle sich hier nicht um eine Zwangssituation, sondern um seinen freiwilligen Entscheid. Der gut fünfzigjährige Gerichtspräsident war dermassen perplex, dass er um eine Bedenkzeit bat. Nun wollte es der Zufall, dass seine Ehefrau Rechtsprofessorin war und zum Thema Gleichstellung publizierte. »Offenbar hatte sie einen guten Einfluss auf ihn«, grinst Zünd, »denn man gestand mir zähneknirschend ein Fünfzig-Prozent-Pensum zu, das aber an einen Bereichswechsel gebunden war.« Künftig war er den sogenannten fliegenden Sekretären zugeteilt, die eine Springerfunktion wahrnehmen: »Man wollte um jeden Preis vermeiden, dass jemand fest auf der Abteilung angestellt war, der Teilzeit arbeitete.«

Da hatte es Irene Meier, damals Kantonsrätin der Grünen, Studentin und Freiberuflerin, einfacher. Sie war flexibler, nachdem sie sich nach einer Notfallgeburt ihres fünf Wochen zu früh entbundenen Sohnes zunächst drei Monate Mutterschaftsurlaub gegönnt hatte. So wurde der kleine Andri, der sich schnell erholt und an Gewicht zugelegt hatte, zwei Tage von seiner Mutter, zwei von seinem Vater und jeden Mittwoch von seiner Gotte betreut. Christian Zünd war gern mit seinem Sohn zusammen. Er war glücklich, wenn er einen Lernschritt hautnah miterlebte. Aber er staunte auch, wie streng ein Tag mit einem Baby war. Vor allem, wenn es krank war und ständig weinte, mal herumgetragen, dann gefüttert, gebadet und gewickelt werden musste oder an die frische Luft sollte: »Im Gegensatz dazu fühlte ich mich im Büro wie ein König, der über seine Zeit selber verfügen konnte.«

Umso mehr genoss er es, dass sie an ihrem Wohnort Küsnacht bei Zürich gut vernetzt sind. Das Haus, in dem sie leben, ist ein richtiges Familienhaus, in dem auch die Eltern von Irene Meier ein Stockwerk bewohnen. Eine Zeit lang war auch Andris Götti dort einquartiert. Christian Zünds Eltern wohnen in Gehdistanz. Und alle waren hin und wieder bereit, Andri unter ihre Fittiche zu nehmen.

Damit aber war es nicht getan, fand das Paar. Andri brauchte auch andere Kinder. Weil es in Küsnacht seinerzeit noch kaum Betreuungsangebote gab, gründeten sie mit vier anderen Elternpaaren eine private Spielgruppe, in der die Mütter regelmässig mithalfen, unterstützt von Christian Zünd, dem einzigen Vater, der unter der Woche zur Verfügung stand.

Anfang der Neunzigerjahre war ein praktizierender Vater noch eine Rarität, die unterschiedliche Reaktionen auslöste. Auf dem Kinderspielplatz sass er zwar meistens allein auf einer Bank, aber er registrierte und deutete die Blicke, die die Frauen ihm zuwarfen: »Ach, wie traurig, so ein kleines Kind und hat schon keine Mami mehr!«, oder: »Furchtbar. Noch ein Scheidungskind!«, oder: »Der arme Mann! Arbeitslos.« Manchmal habe er auch Bewunderung gespürt, vonseiten anderer Männer, aber oft auch Mitleid mit einem, der eine halbe Portion zu werden drohte: »Wie kannst du nur deine berufliche Karriere aufs Spiel setzen!«

Es waren vor allem Juristen, die sich schwertaten mit seinem Entscheid. Als er 1991 sein Examen für das Anwaltspatent ablegte, fragte ihn der Prüfer zum Schluss nach seinen Zukunftsplänen. Zünd erzählte gut gelaunt, dass er gerade eine neue Teilzeitstelle in einer Küsnachter Anwaltskanzlei angenommen habe. Oha. Ob er noch seine Dissertation machen wolle. Nein, er betreue während zwei Tagen pro Woche sein Kind. »Na schön! Hauptsache, dem Kind geht es gut.« Noch heute regt sich Zünd auf, dass er seinem Gegenüber nicht Paroli geboten hat: »Alles darf ein Mann, nur seine Kinder betreuen nicht. Dabei beteuern dieselben Männer ständig, dass die Familie das Wichtigste im Leben sei.«

Irritationen gab es aber auch bei den Eltern von Zünd und Meier. Ein gemeinsames Kind ohne Heirat? Das war keine schöne Überraschung. Für seine Eltern war es zudem nicht einfach, dass ihr studierter Sohn keine geradlinige Karriere einschlug, sondern solchen neumodischen Kram wie ein partnerschaftliches Familienmodell mitmachte. Was den katholischen Vater aber noch mehr erschütterte, war die Tatsache, dass sein Enkel Meier und nicht Zünd hiess und nicht getauft war. So dauerte es nach Andris Geburt ein halbes Jahr, bis er zu seinem Enkelsohn stehen konnte.

Doch Christian Zünd und Irene Meier waren sich ihrer Sache viel zu sicher, als dass ihnen solche Reaktionen viel ausgemacht hätten. Sie wussten, dass die ganze Familie unglücklich geworden wäre, wenn nur Irene daheimgeblieben wäre. Dazu waren sie der Ansicht, dass es ihrem Sohn guttat, verschiedene Erziehungsstile zu erleben und nicht, so Meier, »von einer überbehütenden Mutter erdrückt zu werden«. Sie genossen den Alltag als Familie und als Paar: »Andri war unser gemeinsames Projekt, auf das wir beide sehr stolz waren.« Sie erinnern sich gut an eine Szene, als der Kleine mit einem Nachbarsmädchen Familie spielte und sich folgender Dialog ergab. Sie: »Und dann heiraten wir, kriegen Kinder und du gehst arbeiten.« Er: »Was? Du gehst ja wohl auch arbeiten.« Seine Eltern schmunzelten und waren glücklich, dass ihr Modell bereits Früchte trug.

Eine andere kleine Begebenheit aber irritierte sie und zeigte ihnen, wie fragil die Sache mit den neuen Geschlechterrollen immer noch war. Andri war ein feiner, eher sanfter Bub, der gut mit den Mädchen auskam, aber von den rauen Gepflogenheiten unter den Knaben häufig Abstand nahm. So auch im privaten Vorkindergarten Topolino, den er regelmässig besuchte. Dort gab es einen Raum, mehr düstere Höhle als einladendes Kinderzimmer, in der sich die Buben austobten, rangelten und boxten.

Andri, erzählt seine Mutter, habe nie gewusst, was er dort sollte. Also mied er den Ort. Worauf ihn eines Tages ein kleiner Kollege anrempelte und fragte: »Hey, sag mal! Gehörst du nun zu den Buben oder zu den Mädchen?« Irene Meier, die zufällig zugegen war, sagt, diese Szene habe ihr fast das Herz gebrochen: »Ich habe es schlimm gefunden, dass Andri schon als ganz Kleiner unter Druck gesetzt wurde, sich wie ein Oberrowdy zu benehmen, um als Bub akzeptiert zu werden.« Er überwand den Vorfall und ging seinen Weg.

Seine Eltern waren ja auch noch da und lieferten ihm ein Vorbild, das andere Vorstellungen und Werte hochhielt. So erlebte Andri tagtäglich, dass auch ein Mann ein kleines Kind betreuen, Wäsche waschen und wunderbar kochen kann, ohne seine Männlichkeit einzubüssen. Im Haushalt packte jeweils derjenige Elternteil an, der gerade da war. Mit den Jahren spielte sich eine klare Rollenverteilung ein: Christian kaufte ein und kochte, Irene war für die Wäsche zuständig. Ihr wäre es nicht im Traum eingefallen, ihrem Mann Anweisungen zu geben, wie er seine Aufgaben zu erfüllen habe. Ausserdem hat sie eine hohe Schmutztoleranz und ist weniger auf Ordnung und Sauberkeit bedacht als er. Auch das Thema Geld gab kaum Anlass zu Konflikten, weil beide ihre eigenen Konten und nur ein gemeinsames für die Ausgaben von Andri hatten.

Reibereien entstanden am häufigsten, wenn es um die Abstimmung ihrer Agenden ging. Wer darf wann in den Ausgang? Wer kann an welchem Wochenende arbeiten oder eine Weiterbildung absolvieren? Christian Zünd war Parteimitglied der Grünen, Irene Meier aber von 1987 bis 1995 Kantonsrätin und daher an den Abenden und am Samstag oder Sonntag stärker von der politischen Arbeit beansprucht. Was das Modell der partnerschaftlichen Rollenteilung zusätzlich strapazierte, war Zünds Militärkarriere: Er hat zusammengezählt zwei volle Jahre Dienst geleistet, und das auch in jener Zeit, als Andri am meisten Betreuung brauchte. Irene Meier erinnert sich: »Es gab oft Streit, wenn Christian wieder einmal für gut drei Wochen von der Bildfläche verschwand. Dass ich eine Armeegegnerin war, kam noch dazu.« Manchmal sei es wirklich eng geworden, sagt sie, und sie hätten unglaublich gebastelt, um alles unter einen Hut zu kriegen.

Da war es von Vorteil, dass sie mit ihrer Freundin und Andris Gotte Lynn die Firma Meier & Blattmann gegründet hatte, die unter anderem Projekte und Studien zu Geschlechter- und Familienthemen realisierte. So konnte sie bei Bedarf auch am Abend oder Wochenende von zu Hause aus arbeiten. Das war in den Kindergarten- oder Schulferien der Fall, aber auch dann, wenn Andri einmal krank war.