Friedhof der Verdammten

 

 

 

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Band 26

 

Friedhof der Verdammten

 

von Catalina Corvo und Michael M. Thurner

nach einer Story von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2013

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Lektorat: Dario Vandis

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab.

Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Asmodi, der Fürst der Finsternis, und Graf Nocturno, der Anführer der Oppositionsdämonen, schließen einen Pakt: die Charta Daemonica. Damit ist Asmodi einmal mehr der unumstrittene Herrscher über die Schwarze Familie. Der geheimnisumwitterte Nocturno bedingt sich allein drei winzige Gebiete aus – und Coco Zamis als seine Begleiterin.

Damit er Cocos Begleitung auch sicher sein kann, verwandelt er ihren Vater in einen krötenartigen Freak.

Nocturno entführt Coco zunächst nach Schweden. Dort, inmitten der Steinsetzung Ales Stenar befindet sich der Zugang zu einer anderen Dimension. Es ist eine Welt, in der selbst die Schwarze Eminenz, wie sich der Graf auch gerne nennen lässt, einen Teil der Macht eingebüßt hat und nicht mehr allein über Tod oder Leben entscheidet. Ihre Odyssee gleicht einer Flucht, denn von Anfang an setzt sich ein geheimnisvoller Verfolger auf ihre Fersen. Er nennt sich Meister Letum und ist der personifizierte Tod.

Es hat den Anschein, als hätte er noch eine alte Rechnung mit Nocturno offen …

Ihr Weg führt Nocturno und Coco in ein seltsames Dorf. Die Bewohner dort scheinen allesamt in einem vergangenen Jahrhundert zu leben. Seit alters her sind sie von den Bewohnern des Nachbardorfes hermetisch abgeschirmt und fürchten dieses wie die Pest.

Sie nennen es das Dorf der Stille. Da passiert etwas, was es eigentlich nicht geben darf:

Eine verstümmelte Leiche aus dem Dorf der Stille wird in dem Nachbarort aufgefunden.

Es entbrennt ein Kampf zwischen Nocturno und »Schwester Mania«, die den Irrsinn über die Menschen bringt. Nocturno und Coco gehen als Sieger daraus hervor, ihr Weg führt sie jedoch weiter.

Nocturno und Coco erreichen einen riesigen Friedhof, auf dem besondere Gesetze gelten.

Die Gesetze des unheimlichen »Bestatters«. Es scheint, als hätte Nocturno in ihm seinen Meister gefunden …

Cocos einzige Hoffnung ist ihr Bruder Georg, der sich auf ihre Fersen geheftet hat. Doch Georg hat inzwischen mit seinen eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen …

 

 

 

 

Erstes Buch: Nächte des Wahnsinns

 

 

Nächte des Wahnsinns

 

von Catalina Corvo

nach einer Story von Uwe Voehl

 

1.

 

Lydia, Wien (Zukunft)

Die junge Frau presste sich an die klammen Ziegel. Es war dunkel im Keller und nur ein Hexenlicht warf seinen kalten Schein auf sie und das Ding, das neben dem Regal mit den Salben und Tinkturen hockte und sie aus seinen aufgequollenen Augen anglotzte. Sie war, was Männer betraf, erfahren genug, um deutlich das Begehren im Blick des Wesens zu erkennen. Sie lauschte nach oben. Von dort war kein Laut zu vernehmen. Aber das hieß gar nichts. Natürlich waren sie oben leise. Da herrschte bestimmt keine Partystimmung. Das bedeutete aber, dass auch sie sich still verhalten musste. Genau wie der kleine, unförmige Kerl mit den viel zu kurzen Armen und Beinen und der feuchtglänzenden Haut.

Als habe es ihre Gedanken gelesen, setzte sich das hässliche Ding in Bewegung und schob seinen aufgeblähten Leib auf sie zu. Die Gier in seinem Blick wuchs.

Lydia Zamis verzog das Gesicht. »Wag es nicht«, drohte sie leise. Aber da war der Freak schon an ihrer Seite, kniete vor ihr, sah mit seinen Glupschaugen zu ihr hoch.

»Schöne Frau«, flüsterte er. »Junges Blut. So fein, so edel.«

»Wag es ja nicht, mich anzufassen!« Sie stieß seine grapschenden Hände weg. »Geh, wieder zurück in deine Ecke!«

Aber der Freak dachte nicht daran. Lydia unterdrückte einen angeekelten Schrei, als sie die glitschige Berührung seiner Finger an ihrem Knie spürte. Ein Tritt mit dem Absatz ihres Schuhs brachte die Hände zur Räson. Der Freak kroch wieder von ihr fort.

»Du bist nicht mein Vater«, murmelte sie dem scheußlichen Etwas wütend hinterher. Verstört verkroch sich der Freak in sein Nest aus alten Ritualroben.

»Mama, ich hasse dich dafür. Das ist das Ekligste, das ich je machen musste«, flüsterte Lydia Zamis zwischen zusammengepressten Lippen.

Oben im Erdgeschoss klirrte Porzellan. Lydia vernahm die Stimme ihrer Mutter. Wütend und schneidend. Herrisch, wie Lydia sie nie zuvor gehört hatte. Dann krachte etwas und Glas splitterte.

Der Freak zwischen den Kleidungsstücken blubberte klagend vor sich hin. Lydia fuhr sich durchs Haar. Langsam ging sie die Treppe hinauf. Ein paarmal blickte sie über die Schulter, um sicherzugehen, dass ihr »Vater« sich ruhig verhielt, dann öffnete sie leise die Kellertür. Teufel noch eins, und wenn Mutter ihr hundert Drachen auf den Hals hetzte, Lydia Zamis ließ sich nicht einsperren. Schon gar nicht mit diesem Vieh, das angeblich ihr Erzeuger war.

Vorsichtig schob sie die Kellertür auf und spähte in den Flur. Blutige Spiegelscherben übersäten den Boden.

»Mutter?«

 

Georg, Tibet (Gegenwart)

Voll und schwer wie ein Matrose beim Landgang hing die rote Sonne über den Berggipfeln. Unwillkürlich stellte ich mir vor, dass sie all ihre Trunkenheit ausspuckte und einen feurigen Lavastrom über die funkelnden Gipfel ergoss, deren schneegekrönte Spitzen das letzte düstere Aufglühen des Tages spiegelten.

Ich zog meine gefütterte Kapuze enger. Es wurde kalt. Der Wind heulte um den schroffen, braunen Fels der kahlen Hänge.

Dunkelheit warf ihre langen Schatten über das Bergtal, da erblickte ich endlich in der Ferne zwischen zwei Felsnadeln das Flattern der bunten Wimpel, das ich herbeisehnte. Hoffentlich war dort wirklich der gesuchte Tempel und nicht nur eine Stupa.

Ich schritt schneller aus. Obwohl mich bestimmt noch eine halbe Stunde Fußmarsch durch die Dunkelheit erwartete, schritt ich ohne Zögern voran. Meine Taschenlampe bewahrte mich vor Fehltritten, außerdem gab sich der Boden glücklicherweise eben, und das Geröll hielt sich in Grenzen.

Neben dem jaulenden Windgesang begleitete mich noch ein weiterer Störenfried. Peter, mein persönlicher Sportkommentator des Wettlaufs mit Cocos Entführer, den ich leider nicht per Knopfdruck abstellen konnte.

»Es ist so unfair«, lamentierte er und seine hohle Stimme klang über den Wind hinweg. »Nocturno hatte es viel einfacher in Schweden. Die paar Zwerge und ein bisschen Brimborium und schon war er durch. Und du arme Sau musst dich hier durch die Berge schlagen. Deine Schwester hätte dir wenigstens die Tür aufhalten können. Frauen eben. Mit mir bist du besser dran. Ich würde dir immer die Tür aufhalten, wenn du willst. Nicht, dass hier eine wäre. Es ist nur …«

»Sie hatte keine Wahl!« Ich holte aus und verpasste dem Gespenst eine Kopfnuss. Dass ich dabei wie immer durch ihn hindurchfasste, besserte meine Laune nicht gerade. »Das hast du selbst gesagt. Wenn der Zugang einmal benutzt wurde, ist er versiegelt für immer.«

Peter hob die Schultern und blies Luft durch die Lippen. Ich strafte ihn mit Schweigen und marschierte umso schneller den flatternden Wimpeln entgegen.

 

Grobes Werkzeug hatte die Dämonenfratzen in Stein verewigt. Nichtsdestotrotz stierten sie mit fast lebendigem Blick von den Pfeilern herab, die das sanft geschwungene Tempeldach stützten. Rote und blaue Farbe auf dem Graustein der mannshohen Umfriedungsmauer bannte ekstatische Tänzer in Stein, ebenso wie geometrische Lotosblüten und chinesisch anmutende Drachen mit heraushängenden Zungen und verdrehten Leibern.

Das große zweiflüglige Holztor war geschlossen. Ich klopfte. Nichts. Kein Geräusch zeugte von Leben innerhalb der Mauern. Lediglich die mit schwarzen und roten Schriftzeichen bemalten Wimpel knatterten im Wind. Irgendetwas an ihrer Bewegung irritierte mich. Ich konnte nicht sagen was. Aber es schien mir kein gewöhnlicher Stoff zu sein. Diese Wimpel waren nicht von der gleichen Art, wie die, die ich auf meiner Wanderung durchs Gebirge schon an zahlreichen Stupas gesehen und zum Teil gesammelt hatte. Leider war das Tageslicht mittlerweile zu schwach, die Farben der Welt verblassten zu grauen Schemen, und ich konnte die Details nicht mehr ausmachen. Da ich nicht vorhatte, wie ein gestrandeter Pizzaboy den Rest der Nacht hier draußen zu verbringen, drückte ich gegen das Tor. Und siehe da, ich hatte Glück. Der rechte Torflügel war nicht verschlossen. Ich schob ihn gerade so weit auf, dass ich mich hindurchzwängen konnte, dann betrat ich den Innenhof.

Kaum hatte ich die Schwelle überschritten, erklang hinter mir in den Bergen ein lang gezogenes Jaulen wie von einem Wolf oder einem Schakal. Ganz so, als schickte mir die Welt einen Warnruf. Oder einen Abschiedsgruß. Ich zuckte die Achseln. Was einen gewöhnlichen Menschen gruseln mochte, war für einen schwarzen Hexer wie mich eine Einladung.

Auch der kleine Innenhof war leer. Staub bedeckte die wenigen Meter festgetretener Erde bis zum niedrigen Eingang ins Tempelinnere.

»Scheint keiner zu Hause zu sein.« Peter spazierte fröhlich neben mir her. Dabei imitierte er die Grimmasse der dreiäugigen, mit Totenschädeln gekrönten Fratze, die die Tempeltür bewachte. Sie grinste von einem Ohr bis zum anderen. Der Mund war so unnatürlich breit, dass er das Gesicht fast in zwei Hälften teilte. Doch nur das Stirnauge warf seinen zornigen Blick auf mich. Bei den anderen beiden hatte der Verfall Einzug gehalten. Sie mochten einmal einen besonderen Schmuck beinhaltet haben. Edelsteine vielleicht. Sie fehlten jedoch, und so starrten mich nur zwei dunkle Vertiefungen an.

Ich studierte die Fratze neugierig und verkniff mir ein nutzloses »Lass das«, denn Peter hörte ja sowieso nicht auf mich. Stattdessen bedeutete ich ihm, vorzugehen und für mich zu spionieren, bevor ich den dunklen Raum hinter der Tür betrat. Stickige Luft schlug mir bereits auf der Schwelle entgegen.

Peter verbeugte sich affektiert, dann entschwebte er in den Tempelraum. Natürlich nicht unkommentiert. »O holde Maid, wie gern bin ich dein strahlender Ritter, auch wenn man ja für gewöhnlich sagt, ›Ladies first‹ und – oh …«

Keine zwei Meter hatte er es hineingeschafft, da glitt er schon wieder heraus, seine Füße berührten den Boden kaum. »Da sind welche drin. Aber ich habe ihre Aura nicht gespürt.«

Verwundert hob ich die Augenbrauen. Auch ich hatte kein Leben innerhalb der Umfriedung wahrgenommen. Blockierte der Tempel meine magischen Sinne? Schwer zu sagen. »Was tun sie?«

Peter kratzte sich am Kinn. »Die sitzen rum. Meditieren oder so. Und einer sitzt auf einer Art Thron. Der sieht irgendwie tot aus. Aber ehrlich gesagt, glaube ich, er hat mich gesehen.«

»Dich?«

»Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, aber es war für einen Moment, als würde er mich anstarren.« Auf einmal knetete Peter seine Finger. »Womöglich wäre es besser, du gehst da rein und stellst uns vor. Ich bin nicht so der soziale Typ.«

Das war das erste Mal, dass ich an dem Banshee Zeichen von Verlegenheit sah. Verunsicherte es ihn so sehr, dass jemand außer mir seine Präsenz wahrnehmen konnte?

»Freu dich doch, wenn er dich sieht«, knurrte ich. »Dann hast du noch jemanden, den du belabern kannst.«

»Du bist gemein und undankbar.« Diesmal verpasste Peter mir eine Kopfnuss. Aber sie war genauso wenig wirkungsvoll wie meine zuvor und alles, was ich spürte, war ein kalter Luftzug.

»Nun gut. Einer muss ja, oder wir stehen morgen noch hier.«

»Tapfer, tapfer«, lobte Peter und grinste zufrieden. »Ich decke dir den Rücken.«

»Na, wenn das nichts ist.« Ich schnaubte. Feigling!

Dann betrat ich den Tempel.

Drei einzelne Flämmchen tauchten einen vielleicht zehn mal zehn Meter großen Raum in düsteres, flackendes Licht. Schwarze lange Schatten in den Ecken machten es schwer, die wahre Dimension des Zimmers abzuschätzen.

Seitwärts saßen tatsächlich kahlköpfige, dürre Männer in roten Roben im Lotossitz. Im Rücken eines jeden hing ein Wandteppich mit seltsamen geometrischen Formen. Je sechs Mann an den Längsseiten des Raums flankierten den Weg zu einem flachen Podest. Darauf erhob sich ein breiter Thron aus schwarzem, glänzendem Holz.

Auf diesem Stuhl hockte, an ein stufenförmig zugespitztes Rückenstück gelehnt, ein fetter, bleicher Kerl wie eine aufgedunsene Kröte. Seine Haut war aufgequollen, blähte sich um seinen Körper. Aus dem feisten Gesicht glotzten mir zwei große, vorstehende Augen entgegen. Der Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, das drei schwarze Zähne und jede Menge riesiger Lücken entblößte. Er trug eine schwarze Mönchsrobe.

Wie die Männer an der Seite verharrte der menschliche Frosch bis auf die Lippenbewegung vollkommen reglos in seiner Haltung.

So wie er aussah, hatte er sich womöglich seit Wochen nicht mehr bewegt. Vielleicht auch seit Jahren. Ein Mensch war er nicht und auch keiner der Mönche. Dennoch spürte ich keine schwarzmagische Aura von einem der Anwesenden. Nur die dunkle Macht des Tempels an sich, aber die strahlte mir von den Mauern entgegen.

Ich trat ein paar Schritte näher auf den Thron zu. »Wer seid ihr?«

Sie antworteten nicht. Ich fragte mich, ob es daran lag, dass sie meine Sprache nicht verstanden, oder ob sie nicht antworten wollten. Oder konnten.

»Einen schönen Tempel habt ihr da«, versuchte ich es weiter.

Ich erreichte den Thron. Nun konnte ich dem dicken Frosch mühelos in die Augen sehen. Sie waren grau. Ein schleimiger Glanz lag über den Augäpfeln, ließ den Blick flirren wie Luft in der Sommerhitze.

Ich hob die Achseln. Was nun? Meine Worte entfalteten scheinbar keine Wirkung. Doch unverrichteter Dinge abzuziehen – das war keine Option. Schließlich brauchte ich diesen Tempel. Wenn ich alle Zeichen der alten Pergamente richtig gedeutet und tatsächlich den verwunschenen Geistertempel von Aanuk Pa gefunden hatte. Eigentlich hatte ich ihn auf der Spitze des Berges Kailash vermutet, denn dort war laut der alten Legenden das Tor, das ich suchte. Aber egal, wo oder wie, ich war hier. Und wollte nicht ohne Antworten gehen.

»Ich bin Georg Zamis. Ich habe diesen Tempel gesucht. Ich muss mit euch sprechen.«

Keine Reaktion.

»Ich brauche eure Hilfe, um das Tor auf der Spitze des Kailash zu öffnen.«

Keine Regung.

»Wollt ihr verfluchten Mönche euch wohl rühren?« Ich fuhr herum, strafte jeden der Anwesenden mit einem wütenden Blick. Am Schluss starrte ich wieder den feisten Frosch an. »Ich bin kein dummer Junge! Ihr werdet mir helfen. Zur Not zwinge ich euch.«

Doch meine Drohung erreichte gar nichts. Nicht einmal ein verächtliches Lachen. Die Mönche verharrten wie Abbilder. Ob Gewaltanwendung half? War das wirklich ratsam oder lief ich in eine Falle, sobald ich Streit vom Zaun brach? Doch es juckte mich in den Fingern, den Frosch mit einem Fluch zu belegen. Mein Zamis-Temperament kochte hoch. Dennoch zwang ich mich zur Ruhe und bemühte mich, nachzudenken. Dabei kam mir die ganze Reise der letzten Tage noch einmal zu Bewusstsein.

 

Wie ich den Gipfel erreicht und dort einen vorsintflutlichen Steinkreis gefunden hatte. Die aufrechten Stelen aus schwarzem Basalt waren von Schriftzeichen übersät gewesen. Zeichen, die weder Peter noch ich zu deuten verstanden hatten.

Mein stümperhafter Versuch, die Zwillingsmünzen zu nutzen. Aber ohne Erfolg. Alles, was ich erreicht hatte, war, einen magischen Nebel zu rufen, der nicht nur den Aufenthalt deutlich ungemütlicher gemacht hatte, sondern auch sonst keine Hilfe gewesen war. Manchmal hatte ich geglaubt, im Nebel flüsternde Stimmen zu hören, doch sobald ich mich umdrehte, und in die Richtung spähte und lauschte, verstummten sie. Erst als eine Nacht vergangen war, die ich frierend zwischen den Stelen verbracht hatte, und die Morgensonne den Nebel vertrieb, lag wenige Armlängen entfernt eine Gebetsrolle. Und das, obwohl ich mit meinen magischen Sinnen kein Lebewesen gespürt hatte.

Die Inschrift darauf war ebenfalls kryptisch, doch mit Peters Hilfe konnte ich die Symbole für »Tempel« und »Tor« entschlüsseln. Und einen Namen: Aanuk Pa. Als ich mich erhob, mich reckte und umsah, erblickte ich eine kleine Stupa aus drei übereinandergestapelten Findlingen. Jemand hatte eine Kette bunter Gebetswimpel darum gespannt. Die Wimpel flatterten im Wind.

Ich wunderte mich, hatte ich doch diese Stupa am Vortag nicht bemerkt. Peter gab mir den Rat, das als Zeichen zu nehmen und zur Stupa hinabzuklettern. In Ermangelung besserer Ideen folgte ich seinem Hinweis. Als ich die Findlinge erreichte, stand ich jedoch genauso ratlos da wie am Steinkreis. Wieder entdeckte ich die üblichen, in den Stein gehauenen Zeichen, aber sonst fand ich nichts Ungewöhnliches. Nichts, was weiterhalf. Meine Frustration wuchs mit meiner Ungeduld und dem Gefühl, auf der Jagd nach einer Fata Morgana in die Irre zu laufen.

Aus purer Verzweiflung kletterte ich auf den kleinen Findlingsturm. Die Aussicht änderte sich kaum. Braune Berghänge, weiße Gipfel, zerklüfteter Fels, dunkle Schluchten.

Gelangweilt wie ein unterbeschäftigtes Kind saß ich herum und ließ die Beine baumeln.

Peter ärgerte mich mit dummen Sprüchen. »Du siehst so poetisch aus. Wie die Loreley auf dem Stein. Wenn ich eine Leinwand hätte, würde ich dich malen!«

Verärgert riss ich einen der Wimpel ab und warf ihn Peter an den Kopf. Der bemalte Stofffetzen segelte durch das Gespenst hindurch. Doch ich hatte Peter schon vergessen. Mit offenem Mund starrte ich auf die weitere Stupa, die ich hangabwärts entdeckt hatte. »Was soll das?«, murmelte ich. Sie war ganz plötzlich erschienen. In dem Augenblick, da ich den Wimpel abgerissen hatte. Ich merkte mir die Stelle, so gut es ging. Dann kletterte ich hinab. Peter riet mir, den Wimpel mitzunehmen. Ich steckte ihn ein.

Von da an war ich der Spur gefolgt. Immer wieder Stupas, an jeder Stupa die bunten Wimpel. Und sobald ich eins der Stofftücher abgerissen hatte, war am Horizont der nächste Wegweiser erschienen. So hatte ich mich durch den Himalaja gekämpft, bis schließlich die Mauern des Tempels aufgetaucht waren.

Und nun, am Ende der Suche, hatte ich so viele Wimpel gesammelt, dass ich mir eine eigene Gebetskette daraus basteln konnte. Aber hier in diesem Tempel stand ich wieder vor einem unlösbaren Rätsel.

 

Es reichte. Ich packte den Mönch an seiner Robe. Zumindest versuchte ich das. Meine Hände glitten durch ihn hindurch. Den Effekt kannte ich zur Genüge. Er glich meinen Kabbeleien mit Peter. Nichtsdestotrotz starrte ich erschrocken zuerst auf meine Hand, dann auf den Frosch, der mich immer noch auf leere Art anlächelte.

»Nichtstofflich …«, flüsterte ich. Jäh begriff ich. »Darum kann er dich sehen, Peter! Er ist wie du! Auf einer anderen Ebene! Und hier haben wir nur ein Abbild.«

»Hochinteressant!« Die Faszination in Peters Stimme übertünchte beinahe den Hauch von Verunsicherung, der darin mitschwang. Dass ein anderer in sein heiliges Refugium der Körperlosigkeit eindrang, der ihm möglicherweise ebenbürtig war und an seiner relativen Unverwundbarkeit kratzte, gefiel meinem gespenstischen Engländer gar nicht. Zugleich reizte dieser ungewöhnliche Umstand jedoch auch seine Neugier.

»He, Dickerchen.« Peter ließ den ihm eigenen Charme spielen, erreichte damit aber genauso viel wie ich.

Da meine Optionen, körperliche Einschüchterung anzuwenden, jäh geschrumpft waren, blieb mir nur noch Magie. Allerdings war auch hier der Erfolg fraglich. Ich vermutete, dass der nichtstoffliche Leib des Mönchs, den ich noch nicht einmal wahrgenommen hatte, auch gegen die üblichen Zauber immun war. Also musste ich wohl notgedrungen doch auf mein Charisma hoffen.

Ich hätte den feisten Kerl am liebsten angespuckt, stattdessen verbeugte ich mich zähneknirschend.

Auf einmal regte sich der Frosch. Seine Mundwinkel hoben sich.

»Wohlan, Reisender. Es ist an der Zeit.« Er sprach mit heiserer Stimme. Kaum mehr als ein Flüstern drang an mein Ohr. Die Laute waren mir gänzlich unvertraut. Weich und doch voller Konsonanten, wie die einheimischen Lautfolgen, nicht so ein Singsang wie das Chinesische. Und dennoch verstand ich ihn.

»Wovon sprichst du?«, erwiderte ich, verblüfft über die abrupte Gesprächsaufnahme. »Wer bist du?«

»Nenne mich den Schwarzen Lama, Reisender.«

»Ich bin Georg Zamis«, stellte ich mich noch einmal vor. Diesmal in freundlicherem Tonfall. Ich studierte den dicken Lama genau. Seine Gesichtszüge blieben starr, obwohl er den Mund bewegte. Aber träge.

»Ich weiß.«

Schwerfällig verzogen sich die Lippen, als sei ihnen die Regung nicht vertraut. Mich überkam das groteske Gefühl, mit einer Maske zu sprechen. Die Augen glänzten und der Blick wirkte stumpf, leichenhaft. Lag es nur am Licht oder war die Haut wirklich so bleich und blutleer, wie sie mir vorkam?

»Tatsächlich?«

Die Mundwinkel hoben sich kaum merklich. »Wir warten auf dich. Du wandelst auf den Spuren von Palden Dorjee Lhamo.«

»Palden Dorjee Lhamo?« Ich kam mir durchaus idiotisch vor, da ich wie ein Automat die Worte des Lamas wiederholte, aber ich wollte unbedingt das Gespräch in Gang halten.

»Palden Dorjee Lhamo, der unsterbliche Schatten. Er ist kein heiliger Mann, musst du wissen.«

Durch ein winziges Zittern bekam das Maskenlächeln eine ironische, verächtliche Qualität. »Nein, das ist er wahrhaftig nicht.«

Palden Dorjee. Irgendwo hatte ich diesen Namen schon einmal gelesen. Ich warf einen Seitenblick zu Peter, der sich, jeder Zoll ein Ausbund der Neugier, mehr mit der hiesigen Kultur befasst hatte als ich. »Das ist ein Berggeist. Ein recht kriegerischer Kerl. Kann kräftig saufen. Redet mit Krähen und ist auch sonst kein Kostverächter. Reitet auf einem Wildpferd in einem Sattel aus menschlicher Haut. Nette Idee eigentlich. Ist ewig und drei Tage her, seit er das letzte Mal gesehen wurde.«

Der Lama sprach weiter, als habe er Peters Erklärung nicht gehört. Womöglich war das auch der Fall. Ich vermochte es nicht zu sagen, hatte er meinen Begleiter doch bisher vollkommen ignoriert.

»Wenn du die alten Legenden genauer studierst, wirst du feststellen, dass Palden Dorjee sein Wissen mit den Menschen teilte. Mit einer Handvoll Getreuen, die ihm durch die Nacht folgten, und die er beschützte. Er kannte die dunkle Lehre. Und an wenige Auserwählte gab er sie weiter. Wir dienten ihm und dienen noch.«

»So ist es.« Ein Nicken. Nur einen Lidschlag lang zuckte der Kopf. Ich blinzelte irritiert, war nicht sicher, ob ich mir die Bewegung nur eingebildet hatte.

»Er hieß uns, dieses Kloster zu bauen. Den Tempel über dem Aanuk Pa, dem Mitternachtssee. Wir sind Palden Dorjees Erwählte. Er zeigte uns den Pfad der schwarzen Erleuchtung. Er verlieh uns Macht und Wissen.« Das Glänzen der Augen nahm zu. Wie die Augen eines Raubtiers reflektierten sie das Licht der Butterlampen und leuchteten gelb. Zugleich verdichtete sich die Schwärze in den Ecken des Tempelraums.

»Wir sind die Hüter des Sees der Mitternacht, des Quells der Ungeheuer«.

Die Worte des Lamas fanden ein schwaches Echo in der Halle, die auf einmal um ein Vielfaches gewachsen war. Die restlichen Mönche waren in weitere Ferne gerückt. Der dunkle Chor ihrer Stimmen schwoll an und stieg wie ein Hornissenschwarm hinauf in das Gewölbe einer Tempelhalle, die nicht die gleiche war, wie die niedrige Kammer, die ich betreten hatte. Der schwere, süße Gestank von Räucherwerk hüllte mich ein und betäubte meine Sinne.

Ich kämpfte gegen eine schwache Benommenheit und Kopfschmerzen. Meine Augen juckten, und der Gesang bohrte sich in meine Ohren und fraß meine Gedanken. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren.

»Wir bewachen das Tor.«

»Aber mich lasst ihr durch?«

Der Schwarze Lama nickte träge. »Wenn ich dich sehe, sehe ich eine Frau.«

»Ich wusste es!«, quietschte Peter, bevor ich etwas antworten konnte. »Du bist ja auch so was wie mein Mädchen und …«

»Schweig, du Kretin!«, entfuhr es mir. Aber bevor mir eine Strafe für Peters Frechheiten einfiel, handelte der Lama. Ein Heben des Fingers genügte, und Peter fasste sich an die Kehle. Er röchelte. Ich sah zu und konnte mir ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen.

»Georg«, ächzte Peter. »Sag ihm, dass er aufhören soll.«

Ich genoss Peters Qualen viel zu sehr, als dass ich den Spaß schon beenden wollte. Außerdem war ich ziemlich sicher, dass er nicht atmen musste. Nicht auf unserer Ebene zumindest. Was in anderen Dimensionen der Fall war, vermochte ich nicht zu beurteilen, aber selbst, wenn Peter wirklich Probleme bekam, gönnte ich sie ihm. Er war zu weit gegangen.

Ich schwieg und wandte mich wieder dem schwarzen Mönch zu. Der feiste Lama erschien mir nun um einiges sympathischer. »Würdest du bitte fortfahren?«, fragte ich ihn höflich und ignorierte gekonnt Peters wütenden Blick.

Der fiebrige Blick der Raubtieraugen flackerte. »Ich sehe eine Schönheit. Ein schlankes, blutjunges Weib mit schwarzem Haar und grünen, dunklen Augen. Aber ihre Haut ist hell, ihre Schenkel sind rund wie die einer Liebesgöttin. Sie ist die personifizierte Verführung, ihre vollen, großen und dennoch festen Brüste – »

»Du sprichst von meiner Schwester«, unterbrach ich den Lobgesang. »Coco.«

»So ist es.« Wieder deutete ein unmerkliches Nicken Zustimmung an. »Ich sehe ihr Bild in deinen Gedanken. Sie ist es. Sie begleitet Palden Dorjee.« Über das eigentlich seelenlose Gesicht stob ein Funken der Ehrerbietung. »Du bist ihm begegnet.«

Der Gesang schwoll an.

»Du sprichst von Nocturno?«, fragte ich verdutzt. »Er ist dieser Palden Dorjee?«

»Der Herr der Schatten und Hüter der Geheimnisse. Er, der um die Wahrheit des Tores weiß, und uns die Macht gab. Ja, du bist ihm begegnet. Du bist würdig, ihm zu folgen. Er sagte mir vor langer Zeit, kurz bevor er uns verließ, dass einmal jemand kommen würde. Ein Dämon und einer, der einer sei und keiner sei. Ich verstand nie die Bedeutung dieses Rätsels. Doch nun weiß ich es. Dein Begleiter ist ein Dämon und ist keiner, da er nur eine Projektion herschicken kann.«

Das brachte meine Aufmerksamkeit wieder zurück zu Peter. Der hockte neben mir zusammengekauert auf dem Boden, griff sich an den Hals und wand sich hilflos. Er hatte den Mund aufgerissen, seine Augen spiegelten den Schmerz.

»Aber ich kann ihn treffen. Meine Macht erreicht ihn. So wie seine Macht dich findet.« Echote da eine Spur von gehässiger Freude in der Stimme des Mönchs, oder bildete ich mir das nur ein, weil das Räucherwerk mich benebelte? Jedenfalls entschied ich, dass Peter genug gelitten hatte.

»Lass ihn los. Es reicht.«

»Ich könnte dich von ihm befreien«, bot der Mönch an.

Peters Augen wurden groß. Zum ersten Mal flackerte Angst darin.

Ich biss mir auf die Lippe. Die Versuchung war da. Peter nervte wirklich. Und Skrupel, ihn auf dem Gewissen zu haben, hatte ich keine. Doch war er nicht leider auch mein einziger halbwegs verlässlicher Verbündeter in diesem Spiel? Natürlich wäre es närrisch gewesen, zu glauben, dass mir Peter zu hundert Prozent loyal war und mich niemals verriet. Ganz im Gegenteil, ich wusste genau, dass er seiner eigenen Agenda folgte und dass ich für ihn ebenso ein Mittel zum Zweck war, wie er für mich. Aber im Bergwerk hatte er mein Leben gerettet. Zugleich brachte er mich jedoch beständig in Schwierigkeiten und verhöhnte mich mit seiner Zudringlichkeit.

»Es wäre leicht«, lockte diese heisere Stimme des Lamas. »Nicht mehr als ein Lidschlag für diesen Wanderer auf dem Pfad der schwarzen Erkenntnis. Und es gibt nicht viele, die ihm beikommen können.«

Peters Blick wurde flehend. Er bettelte stumm. Doch waren es die Worte des Lamas, die mich zu einer Entscheidung bewogen. Er hatte in einem Punkt recht. Es gab nicht viele Dämonen, die Peter etwas anhaben konnten, und das machte ihn zu einer bedeutenden Waffe. Eine Waffe, auf die ich nicht verzichten wollte. Noch nicht.

»Nein. Lass ihn in Ruhe. Ich will, dass er lebt.«

Bleiche Lippen zuckten enttäuscht. »Nun gut. Es sei.« Dann senkte der Lama den Finger und Peter atmete sichtlich auf.

Der Banshee starrte mich mit Mordlust an, schwieg aber tunlichst und hielt sich auch mit Gesten zurück. Schwerfällig rappelte er sich auf.

»Du sprachst von einem Tor«, lenkte ich das Gespräch wieder zurück zum Wesentlichen. »Ich denke, es ist das Tor, das ich suche. Kannst du mich hinführen?«

Zum ersten Mal bewegten sich die bleichen Froschlippen merklich. Unnatürlich langsam formten sie ein groteskes Grinsen und entblößten eine Reihe schwarzer, fauliger Zähne.

»Du stehst bereits auf der Schwelle. Du musst es nur öffnen.«

Ich runzelte die Stirn, nickte und tat so, als sei ich mit dieser Information zufrieden, obwohl das Gegenteil der Fall war. Wie ich diese kryptischen Aussagen hasste. Aber ich ahnte auch, dass weitere Nachfragen mir nichts brachten. Der Schwarze Lama beantwortete nur, was der Schwarze Lama beantworten wollte. Anscheinend erwartete er, dass ich das Rätsel löste. Das Stehen wurde anstrengend. Die Rauchschwaden, und der ununterbrochene, dunkle Singsang ließen meine Knie zittern. Ich setzte mich auf die oberste Stufe des Podestes.

Ich wusste schon, worauf das hinauslief. Der Lama versuchte, mich hierzubehalten und einzulullen. Aber irgendwann musste ich gehen, bevor mich die Atmosphäre des Ortes endgültig übermannte. Wahrscheinlich war das alles eine Falle. Dennoch brauchte ich so viele Informationen wie möglich. Also zählte ich auf meine Willensstärke und meine dämonische Konstitution und blieb noch etwas. Mein Atem ging schwer. Verdammte Räucherstäbchen.

»Weißt du, warum Palden Dorjee mit meiner Schwester unterwegs ist?«

Ein unmerkliches Kopfschütteln, kaum mehr als ein kurzes Zittern des Kinns. »Er steht beständig im Kampf gegen seinen Widersacher. König Tod. König Tod, der Dämon der dunklen Schluchten, den die Furchtbaren begleiten.«

»Furchtbare?«

»König Tods Gefolge. Unter dem Mitternachtssee, hinter dem Tor hausen sie. So wie wir den Zugang diesseits der Schwelle bewachen, so tun sie es jenseits, damit nur ein Würdiger ihre Welt betreten darf. Die Welt unterhalb der Welt. Die Heimat der Nacht, die Menschen und gewöhnliche Dämonen nur in Träumen heimsucht. Wenn überhaupt.«

»Gewöhnliche Dämonen? Zählst du mich dazu?«

Das Grinsen des Lamas wuchs noch stärker in die Breite, als wollten die Mundwinkel die Grenzen des Gesichts sprengen. »Du und deine Schwarze Familie. Ihr wisst nichts über das Grauen aus der Tiefe. Eure Anführer wähnen sich als die Herren der Welt. Aber es gibt mehr als eine Welt. Und während sie auf der Erde mächtig sein mögen, sind sie nur Staub in den Welten von Traum und Schatten. König Tod und Palden Doorjee. Sie sind über das Antlitz der Erde gewandelt, da pissten eure Anführer noch in die Windeln und plärrten ihr Unwissen durch die Welt. Palden Dorjee und König Tod führten Krieg um diese Welt und andere Welten, bevor es irgendeinen von euch gab. Und ihr Kampf dauert an. Auch jetzt. Ihr seid, wie die Menschen, nur Mittel zum Zweck in ihren Plänen, die eure Vorstellung überspannen. Einer wie du kann Palden Dorjee ebenso wenig begreifen wie eine Sternschnuppe den Kosmos.«

Die Worte, prahlerisch bis zum Erbrechen, ließen mich grübeln. Sprachen wir hier wirklich von Dämonen, deren Macht Asmodis Kräfte weit überstieg? Gab es tatsächlich diese graue Vorzeit, von der der Schwarze Lama sprach? Die Worte erinnerten mich an alte Ammenmärchen, die in der Schwarzen Familie erzählt wurden. Über Dämonen, die aus der Unterwelt kamen. Aus dem Inneren der Erde. Und deren Macht für alle anderen nicht einzuschätzen war. Nocturno war mit Coco in den Schoß der Erde gesprungen. Das ließ sich nicht leugnen. Und er hatte Asmodi besiegt. Auch das ließ sich nicht leugnen. Dennoch wehrte ich mich, zu glauben, dass wir es tatsächlich mit einem dieser uralten Dämonen zu tun hatten, deren Existenz noch nicht einmal erwiesen war. Ein kalter Schauer glitt über meinen Rücken, als ich nur die Möglichkeit erwog. »Was hat meine Schwester mit all dem zu tun?«

»Sie ist der Schlüssel in Palden Dorjees Kampf gegen König Tod. Eine wichtige Figur im kosmischen Spiel.«

»Ein Spiel ist das also.«

»Ist nicht jeder Kampf ein Spiel und jedes Spiel ein Kampf?«

Ich hustete vom Räuchernebel. Meine Zeit lief ab, und mit Philosophie wollte ich sie nicht verschwenden.

»Was erwartet mich auf der anderen Seite?«