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NICOLAS SCHMIDT: „Dem Herrn Schmied sein Schuljahr“
1. Auflage, September 2015, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk

© 2015 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin, www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Lektorat: Marion A. Müller
Cover: Frederik Jehle
Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-943876-98-7

epub ISBN: 978-3-943876-99-4
E-Book-Version 1.3



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Nicolas Schmidt

DEM HERRN SCHMIED SEIN SCHULJAHR

September

Fuck, alles unter Kontrolle!

„Hallo Herr Schmied, haben wir Sie dieses Schuljahr wieder in Englisch?“

„Nö, ich hab keinen Bock mehr auf euch gehabt. Ihr wart mir zu schlecht.“

„Waaaas? Ich hab doch immer meine Hausaufgaben gemacht …“

„… aber trotzdem nur Fünfer geschrieben.“

„Sie sind voll gemein, Herr Schmied!“

„War doch nur Spaß, Yvonne. Einmal hattest du doch sogar ’n Vierer.“

„Nee, das war in Französisch.“

„Äh, okee. Jedenfalls hat euch dieses Jahr die Frau Küstenberger in Englisch.“

„Wer?“

„Die Frau Küstenberger. Das ist ’ne Referendarin und sehr sehr nett.“

„’Ne Refendarin? Das ist dann doch gar keine richtige Lehrerin. O Mann, das Schuljahr fängt ja super an.“

„Erstens heißt das ‚Referendarin‘ und zweitens sind die meistens richtig gut, weil die frisch von der Uni kommen und richtig Bock auf den Job haben und nicht immer denselben langweiligen Käse machen wie viele ältere Lehrer.“

„So wie Sie?“

„Pass mal gut auf, Marco. Vielleicht nehm ich euch doch in Englisch, und dann schreiben wir diese Woche gleich ’ne Ex.“

„Cool. Nehmen Sie dann die vom letzten Jahr?“

„Weißt du was, ich werde der Frau Küstenberger sagen, sie soll dich gleich von Anfang an hart rannehmen.“

„Hart rannehmen? Cool! Ist die hübsch?“

„Marco, ich weiß ja nicht, was bei dir hormonell grad so abgeht …“

„Wir hatten bisher immer nur hässliche Refendarinnen.“

„Hör jetzt auf, Marco. Das ist respektlos, und lustig ist es auch nicht. Und außerdem haben es Referendare eh schon schwer genug.“

„Wieso? Die sind doch jung und noch viel näher dran an den Schülern.“

„Das stimmt schon, aber das Problem ist, dass die zwei Jahre Referendariat für viele junge Lehrer ’ne beschissene Zeit sind. Wenn auch nur einer deiner Seminarlehrer ein schwieriger Typ ist, geschweige denn ein selbstverliebter Vollidiot, auch die gibt’s, hast du die Arschkarte gezogen. Der hat dich voll in der Hand, und du kannst nix machen.“

„Mir geht’s hier an der Schule ganz oft auch so, Herr Schmied.“

„Kein Wunder, Marco, so wie du dich aufführst. Aber der Unterschied ist noch, dass es bei den Referendaren ganz konkret um ihre berufliche Zukunft geht. Wer wird sich schon über seinen Seminarlehrer beschweren, wenn du weißt, dass die Noten, die er dir gibt, ganz entscheidend sind dafür, ob du ’n Job kriegst oder nicht. Also bist du lieber still und machst, was der Seminarlehrer von dir will.“

„Das ist ja fast so wie in der DDR.“

„Nee, eher wie in Nordkorea, so vom Demokratiefaktor her.“

„Naja, beim Wandertag haben Sie auch entschieden, wo wir hinfahren, ohne uns zu fragen.“

„Also, erstens wolltet ihr eh bloß wieder in diesen bescheuerten Freizeitpark, und zweitens gibt’s da schon noch ’n Unterschied: In Nordkorea wärst du mit deiner frechen Klappe schon längst hingerichtet worden, Marco.“

„Das wär cool, Marco, mach mal Urlaub dort.“

„Jedenfalls müssen die Referendare hart schuften, werden beschissen bezahlt und weder von den Schülern noch von den Eltern noch von den älteren Kollegen als richtige Lehrer angesehen. Und was für ein absurdes Zeug die machen müssen! Sinnlose Protokolle der Seminarstunden, Klassenanalysen bis ins kleinste Detail, völlig unrealistische Vorzeigestunden für die Lehrproben …“

„War das die Stunde, wo uns die Frau Läuens vorher genau gesagt hat, was drankommt, wer abgefragt wird und wer was sagen soll?“

„Und der Sascha hat nach ’ner falschen Antwort geweint und gemeint: ‚Aber Sie haben doch gestern gesagt, ich soll das sagen.‘“

„Das war cool, die hat jedem von uns hinterher ’n Eis mitgebracht.“

„Nee, dem Sascha nicht.“

„Außerdem kriegen die Referendare die ganze Zeit Unterrichtsbesuche und fühlen sich dauernd kontrolliert …“

„Ooooh, eine Runde Mitleid.“

„Selbst schuld.“

„Hätten ja nicht Lehrer werden müssen …“

„… deshalb sind sie nach dem Referendariat froh, dass sie den Scheiß hinter sich haben und machen können, was sie wollen. Was für ein beschissener Start ins Berufsleben! Kein Wunder, dass Lehrer Einzelkämpfer sind.“

„Mein Bruder macht alle fertig, der kann Karate.“

„Mein Bruder war auch froh, als das Abi rum war. Der hatte seit Anfang der Oberstufe kein’ Bock mehr auf Schule. Und jetzt studiert er auf Lehramt, wegen den vielen Ferien.“

„Super Idee, Stefan. Wart’ mal, bis der ins Referendariat kommt. Aber jetzt wünsch’ ich euch erstmal ’ne schöne erste Schulwoche. Und, wie gesagt, seid lieb zur Frau Küstenberger. Die ist wirklich gut drauf.“

„Hehe, mal sehen.“

„Halt die Klappe, Marco.“