die Autorin:

Barbara Kühnlenz wurde 1943 in Thüringen geboren.

Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester, arbeitete sie als Laborantin, Fotografin und Bildredakteurin, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Sie lebt heute mit ihrer Familie in Berlin.

Veröffentlichungen:

Kurzprosa „Der Liebe Vielfalt“, Anthologie: „Verliebt in Berlin“ al itera-verlag

Kurzprosa „Der schwarze Schwan“, Anthologie:

„Unser Bestes“, Förderkreis Buch und Kunst, Güters-loh

 

Barbara Kühnlenz

Schattensprung

Roman

Verlagshaus Traumstunden

 

Besuchen Sie uns im Internet: 

www.traumstunden-verlag.de

Taschenbuchausgabe

1.Auflage April 2011

2.Auflage März 2012

Al e Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise-nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Traumstunden Verlag Umschlagabbildung: Jens Ottoson

Satz: Verlagshaus Traumstunden

Druck: Neiko Plus PL

ISBN: 978 -3-943596-09-0

E-Book Ausgabe978-3-9943596-19-9

 

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detail ierte bibliografi-sche Daten sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Prolog

Strahlen der Morgensonne dringen schemenhaft durch eine leck gewehte Dunstglocke. Windstöße kreiseln bisweilen Laub zu Spiralen auf. Auf dem Grund einer frisch ausgeschachteten Grabkammer quirlt eine Hand voll Blätter mit jeder Bö himmelwärts, aber die Kraft des Windes genügt nicht, um sie in die Freiheit zu tragen.

Gegenüber senken Bestatter einen Kindersarg, weiß la-ckiert und um die Kanten herum mit Goldadern verziert, in das Bett zur Ewigkeit. Ein Mann und eine Frau behü-

ten mit Blicken sein Sinken in die Tiefe. Dabei weint die Frau lautlos die Blüte einer dunkelroten Rose nass. Als der weiße Sarg auf dem Erdboden ruht, streckt die Frau ihre Hand mit der Blume weit über den Grubenrand und gibt die Rose frei. Gleichzeitig bewegt die Frau ihre Lippen als spreche sie, aber nicht einmal der Mann hinter ihr versteht ihre Worte. Bedächtig, als könne sie auf diese Weise das Unvermeidbare doch noch abwenden, lässt sie nacheinander drei Hände vol Erde durch ihre Finger gleiten. Die Rose mahnt wie ein blutgetränktes Mal zu ihr hinauf.

Jäh stumpft der in sich gekehrte, wehmütige Gesichtsausdruck der Frau ab, denn der frisch ausgeschachteten Grube auf der gegenüberliegenden Seite nähert sich eine in Zweierreihen formierte Gruppe in schwarzer Le-derkleidung und Springerstiefeln. Die Gesamtheit ihrer kahlen Köpfe ähnelt mit Haut überzogenen polierten, bösartigen Tumoren, die im Takt der Schritte auf und ab schwingen. Als die Träger den Sarg mit einem Gebinde aus Edelweiß als Krone vor der frisch ausgeschachteten Grube abgesetzt haben, schimmern die Bänder ihre Botschaft in Goldschrift zu der Frau, aber sie beachtet weder die Beschriftung noch die zum Ehrengruß aus-gestreckten, rechten Arme eines jeden der dort Versam-melten.

Während die Bestatter auf den Kindersarg Sand hinab-schaufeln und mehr und mehr die Sicht auf die Blutrose verhül t wird, blickt die Frau hinab, als wol e sie den Anblick in ihr Gedächtnis einbrennen. Jeden Ton, der hochschal t, wenn der Sand unten aufschlägt, empfängt das Gewissen der Frau wie eine Anklage. Nachdem die Grube gefüllt ist, formen die Bestatter Erde zu einem länglichen Hügel darüber. Dabei arbeiten sie so schnel , als ob sie mit diesem Wall den weißen Sarg mit der Rose vor der beklemmenden Trauergesel schaft auf der anderen Seite schützen wol en.

In diesem Moment rühmt ein Redner die Tat des dort Beigesetzten als Heldentat im Sinne der Organisation und gelobt, ihm nachzueifern. Die übrigen schwören im Chor.

Die Frau verflucht innerlich die Tat des dort Bestatteten, dessen Namen sie und ihr totes Kind tragen, und wünscht, seine Seele möge über die Ewigkeit hinaus im Fegefeuer brennen. Mehr kann sie für ihren dahinge-gangenen Sohn nicht tun.

Den Mann, der unterdessen dicht an sie herangetreten ist, gewahrt sie erst, als er ihre Hand ergreift und sie durch eine Märzsonne mitnimmt, die inzwischen die Dunstglocke aufgelöst hat und nun selbstlos wärmt.

1.

Melanie fühlte sich unbehaglich, wenn sie auf das Namensschild ihrer Eltern blickte, das hinter zwei Gede-cken stand. Sie wusste, dass ihr Vater die Einladung zum 60. Geburtstag von Frau Traugott zerrissen hatte.

Er verabscheute diese Erzkommunisten, dieses Kom-munistenpack, wie er Familie Traugott nannte, obwohl er selbst Mitglied der SED war. Wegen der Stel ung als Abteilungsleiter im Betrieb müsse er das, behauptete er.

Genauso wenig begriff sie, weshalb er ihre Verbindung mit Johannes, dem jüngsten Sohn dieser Familie, ablehnte. In seinen Augen war er ein Hal odri, ein Taugenichts, aber er duldete ihn bisweilen als Besucher, weil Melanie sonst ebenfal s ferngeblieben wäre. Als Einzel-kind fühlte sie sich bei den Eltern von Johannes und seinen Geschwistern wohl. Während ihrer Kindheit hatte sie sich oft eine Schwester oder einen Bruder gewünscht.

Nun saß sie mitten in einer großen Familie, aber statt sich zu freuen, beunruhigte sie weniger das Namensschild ihrer Eltern, sondern ein anderes, auf dessen Schild der Name des Gastes stand, mit dem sie etwas Ungeheuerliches verbinden sol te.

Wie konnte Johannes nur so was von ihr verlangen!

Von hinten umschlangen Melanie zwei Arme, und eine Stimme flüsterte neben ihrem Ohr: „Wenn bloß dieser ganze Rummel erst vorbei wäre. Ich liebe dich nämlich, Fräulein Seidemann, und zwar wahnsinnig.“ Wie gerne hörte sie ihn so sprechen!

Eng schmiegte sie sich gegen seine Brust, hauchte

„Oh, Jo!“, schloss ihre Augen und küsste ihn als Antwort.

Keinen Tag mit ihm bereute Melanie. Sie liebte zum ersten Mal einen Mann und das mit einer Intensität, die sie nie für möglich gehalten hätte. Sie hatte ihn bei ihrer Freundin Isabell kennengelernt, bei der er seinerzeit erst seit einigen Tagen wohnte. Schon bei der Begrü-

ßung, als er Melanies Hand berührte und sich ihre Blicke trafen, fühlte sie, dass nur er ihre Sehnsucht stil en konnte.

Noch am gleichen Abend erlag sie seinem Charme. Wenige Tage später quartierte er sich mit seinen Habseligkeiten bei ihr ein. Melanie vermutete damals, dass Isabel , mit der sie eine Freundschaft seit ihrer Ausbildung zur Laborantin verband, auf der Stel e mit ihr spin-nefeind sein werde. Aber stattdessen erklärte sie ihr, dass sie nicht vorgehabt habe, mit Johannes ihr Leben zu verbringen und warnte sie sogar. Vor seiner Faulen-zerei, vor seiner Flatterhaftigkeit in jeder Hinsicht. Aber darauf gab Melanie nicht viel, denn sie wusste, dass Isabel mit Vorliebe von ihrem Verhalten auf das Anderer schloss. Isabell tröstete sich bereits zwei Tage später mit dem Fernsehmonteur Michael Mick. Eigentlich sol te er nur den Fernseher reparieren, aber Isabel lud ihn zu mehr ein. Nach einer gemeinsamen Nacht folgte eine zweite und nach der dritten kündigte er den Mietvertrag seiner Wohnung und zog zu ihr. Melanie spürte gleich bei der ersten Begegnung, dass er Isabell nicht nur wegen ihres Aussehens bewunderte, sondern aufrichtig liebte. Sie hoffte nun, dass Isabel ihre einstige Einstellung zu Liebe und Treue neu entdecken würde. Zu Beginn ihrer Freundschaft schätzte Melanie besonders diese Lebensart an ihr, wie jetzt bei Michael. Trotz Isabells Bedenken genoss Melanie uneingeschränkt Johannes, seine Wärme, seine Kraft und seine Unbekümmertheit, mit der er das Leben zu meistern schien.

 

Als sie ihre Augen öffnete, begegnete sie dem Blick von Silvana. Melanie beschlich ein leises Unbehagen, wie immer, wenn Silvana sie musterte. Neidete sie ihnen etwa ihr Glücklichsein? Johannes war doch ihr Bruder.

Silvana thronte mit der ihr eigenen kerzengeraden Haltung an der Spitze der Tafel. Es sah aus, als könne sie zwischen hier und dem Gericht, in dem sie als Richterin Menschen bestrafte, die das Territorium der DDR il egal verlassen wol ten, dabei erwischt und verhaftete worden waren, nicht mehr unterscheiden. Die hohen Wangenknochen, wie bei ihrem Vater, verliehen Silvana die Strenge, die sie sicher im Amt zeigen musste. Ihre Frisur, geradezu militärisch kurz, unterstrich ihre Position. Sie überragte Melanie um Kopfeslänge und hatte trotz ihrer üppigen Rundungen etwas Männliches an sich, ganz das Gegenteil von Melanie. Johannes ähnelte mit seiner schmalen Gesichtsform und den blauen Augen seiner Mutter. Während ihr Blau an das von taubedeckten Ver-gissmeinnicht erinnerte, schienen in denen von Johannes die Unbezähmbarkeit von Meeren zu schlummern.

Wenn er Melanie ansah, toste diese Wildheit zu Gischt auf und erzeugte bei ihr ein Lustgefühl, dem sie bisher nie hatte widerstehen können.

Johannes raunte ihr zu: „Komm! Nach nebenan“, und zog sie aus dem Blickfeld von Silvana. Er drängte sie in das Schlafzimmer seiner Eltern, klinkte hinter sich die Tür zu und umarmte Melanie leidenschaftlich. Sie wehrte ihn ab, aber ernsthaft meinte sie das nicht.

„Jo, bitte, wir können doch nicht …“

„Leider! Aber küssen, das ist doch wohl erlaubt.“ Sein Mund verschloss den ihren, und sie spürte voll Freude sein Verlangen. Johannes seufzte zwischen seinen Küssen: „Mel i ach, Mel i, wären wir bloß jetzt al ein.“ Plötzlich öffnete sich die Tür und Frau Traugott schaute herein. Johannes und Melanie veränderten ihre Stel ung nicht. Frau Traugott lächelte weh, als erinnere sie sich an ihre Jugend. Sie räusperte sich und bat leise: „Entschuldigt!“, wedelte mit einem Hundertmarkschein durch die Luft und legte ihn auf den Tisch.

„Für euch. Brauchen die Anderen nicht zu wissen. Silvana und auch Mark sind da immer so komisch. Und wenn es euch möglich ist, kommt bitte! Wir warten nur noch auf euch.“

„Okay, Liz.“

„Hannes, dein Vater hört es nicht gern, wenn du mich so nennst. Sei so lieb, und stell’ das ab. Wenigsten heute. Du weißt, wie Vater darauf reagiert.“

„Ist er denn schon da?“

„Ich weiß auch nicht, wo er bleibt. Zum Kaffee wol te er zurück sein. Versprochen hatte er es mir ganz fest.

Aber du weißt ja, Vater und die Partei. Aber das ist ein anderes Thema. Wir wol en anfangen. Die Kinder sind kaum noch zu bremsen.“

Gehorsam trotteten beide hinter Frau Traugott her. Johannes flüsterte Melanie ins Ohr: „Wir bleiben nicht lange.“

Als sie in die Wohnstube traten, begrüßten gerade Mark und Cornelia die immer noch auf ihrem Platz sitzende Silvana. Ihre Kinder, Thomas und Dennis, stritten sich um einen Teddy, dem schon die Ohren fehlten und dessen Plüschstoff unter dem Gezerre verdächtige Reiß-

geräusche von sich gab. Während Cornelia ihnen nur stumm zur Begrüßung die Hand hinhielt, umarmte Mark Melanie und Johannes gleichzeitig.

„Hal o, ihr beiden. Die Liebe noch frisch?“

„Nul problemo. Und bei euch?“

„So lalala. Wartet man, wenn sich erst ein Kindlein nach dem anderen einstel t, die kühlen ab.“

 

„Geil, Mark, ist doch geil. Kinder meine ich.

Pures Vergnügen sie zu machen. Nicht wahr, Mel i?“ Melanies Gesicht verfärbte sich bis unter die Haarwurzel knal rot. Die Beine von Johannes wurden bereits von den beiden Jungen umklammert. Thomas, der Ältere, bettelte: „Spielst du mit uns, Jo?“, und Dennis forderte: „Pielen, Ho!“

Mark rügte seine Söhne: „Wie heißt das?“ Da verbesserte sich Thomas, „Onkel Jo“, und Dennis echote, „Ontel Ho.“

Johannes hob Dennis hoch, drehte ihn mit dem Kopf nach unten und warf ihn in die Luft. Das Kind jauchzte vor Freude hel auf. Als Johannes ihn auffing, mahnte die Mutter: „Hannes, nicht ganz so wild!“, und Melanie wusste, dass sie nun Johannes für eine Weile entbehren musste. Mit seinen Neffen tobte er stets übermütig herum. Eigentlich benahm er sich mit seinen fünfund-zwanzig Jahren oft noch recht verspielt, aber das lag sicher nicht nur an seinem Nesthäkchendasein. Er war geradezu vernarrt in seine Neffen und wünschte sich mit Melanie nichts sehnlichster als viele Kinder.

Liesbeth Traugott, die gerade die Sechzig aus rosa Marzipan auf der Käsetorte teilte, hielt mit einem Lächeln inne und blickte auf die Szene. Mark, ihr Zweitältester, ähnelte ebenfal s mit den derben Wangenknochen und den dunklen Augen mehr dem Vater. Aber sein Körper-bau war kräftiger und er neigte zum Dickwerden - man sah es an dem Bauchansatz - erkundigte sich: „Ist Vater etwa auch heute zur Demo?“

„Hast du denn geglaubt, dein Vater verzichtet am Geburtstag der Republik darauf, wegen mir?“ Johannes platzte dazwischen: „Der ist doch total durch-geknal t! Zur Demo. Heute. An deinem Ehrentag.“

„Bitte, Hannes! Das will ich nicht hören. So was sagt man von seinem Vater nicht.“

„Ich weiß, ich weiß! An deinem Sechzigsten hätte er doch wirklich …“

Keiner hatte ihn kommen gehört, aber der Bass von Herbert Traugott dröhnte von der Tür her mitten in den Satz von Johannes: „Was hätte ich? Na, was, Hannes?“ Johannes grinste ihn an.

„Ich wüsste schon, was ich mit meiner Frau täte.“

„Johannes!“, mahnte Silvana und ihre dunklen Augen schienen vor Empörung zu glühen, aber Johannes irritierte das überhaupt nicht. Bevor er mit den Kindern weiter tol te, bekräftige er seine Ansicht: „Ist doch wahr.“ Frau Traugott griff ein und rief: „Bitte, al e setzen. Der Kaffee wird kalt. Thomas, Dennis, bitte! Ist sowieso schon spät genug.“

Herr Traugott schaute zu den drei überzähligen Gede-cken und erkundigte sich: „Und deine Eltern, Melli.

Haben sie die Einladung nicht bekommen?“

„Doch, doch. Aber ich sol ausrichten, dass …“, stammelte Melanie.

Herr Traugott brummte: „Verstehe“, und räumte schweigend die zwei mit den Namensschildern weg. Frau Traugott meinte: „Schade! Wir hätten so gern mal deine Eltern kennengelernt, Mel i.“

„Viel eicht an anderes Mal“, quetschte Melanie hervor und schämte sich wegen der Lüge, weil sie genau wusste, dass ihr Vater nie von seinem einmal gefassten Entschluss ablassen würde. Da legte Johannes seinen Arm um ihre Schulter und rettete sie vor weiteren Erklä-

rungen, indem er beteuerte: „Aber Andy, der kommt bestimmt.“

Statt Erleichterung stieg abermals Beklommenheit in ihr hoch. Nicht wegen des Namens. Auch nicht wegen des bevorstehendes Besuches von Andreas. Nein. Das war es nicht. Es lag einzig und al ein an dem abartigen Verlangen von Johannes, das in ihr dieses Empfinden auslöste.

Hoffentlich war es doch bloß wieder einer seiner Scherze!

Trotzdem fühlte sich Melanie dadurch irgendwie von ihm verstoßen.

Augenblicklich verlor sie ihren Appetit auf Käsetorte und Mohnkuchen, obwohl sie ihn noch vor einigen Sekunden kaum zügeln konnte. Sie sehnte sich heftiger als jemals zuvor in die Zeit zurück, in der sie die Forderung von Johannes noch nicht einmal im Keim geahnt hatte.

Als sie jedoch seine Hand auf ihrem Knie unter dem Tisch spürte, kehrte die Geborgenheit seiner Nähe zu-rück. Sie rügte sich selbst im Stil en wegen ihrer Gedanken, denn er liebte sie. Da war sie sich ganz sicher.

Beinahe hätte sie seinen makabren Vorschlag ernst genommen. Nun würgte sie diesen als Scherz ab.

Sie drückte ihr Knie voll Zärtlichkeit gegen das seine.

Liesbeth Traugott blickte liebevol zu Johannes und Melanie.

„Na, ihr beiden Hübschen. Habt ihr uns was mitzuteilen?“

Johannes schaute sie fragend an. Auch Melanie ahnte nicht, was die Mutter meinen könnte.

„Nein? Nun, ich hatte gehofft, dass ihr mir heute eine besondere Freude machen werdet. Ich hatte eigentlich erwartet, dass ihr euch heute verlobt.“

„Wo lebst denn du, Liz! Verloben? So was Altmodisches!

Heutzutage lebt man einfach, wie es einem gefäl t.“ Frau Traugott bemühte sich, ruhig zu sprechen, aber ihre Stimme zitterte trotzdem: „Das schickt sich nicht. Wilde Ehe! Es muss doch alles seine Ordnung haben. Wir sähen schon gern, Hannes, wenn ihr euch endlich fest binden würdet - heiraten oder wenigstens verloben.“

„Das entscheiden nur ich und Mel i.“

„Natürlich. Ich dachte ja auch nur.“

„Denk was du wil st, aber entscheiden tun nur wir, nicht wahr, Mel i?“

Schon wieder belagerten die Kinder Johannes und zogen ihn mit sich fort. Die Augen seiner Mutter glänzten feucht.

„Und du, Mel i, wie stehst du dazu?“

„Wir sind glücklich. Auch so.“

Seine Mutter wischte sich die Augen trocken. Mitten aus der Balgerei heraus mischte sich Johannes ein.

„Lass es, Liz! Es bringt nichts. Verrate uns lieber, wann du rüber fährst. Mit Sechzig hast du Anspruch auf die Fahrkarte in die Freiheit.“

Herbert Traugott wollte gerade eine Flasche Sekt öffnen, unterließ sein Vorhaben und geiferte los: „Von meiner Familie fährt niemand rüber und wenn er Hundert wird.“

Nun riss er beinahe den Korken aus der Flasche, kippte die Sektgläser übervol , so dass der Sekt auf die Tischdecke schäumte

Frau Traugott holte sofort ein nasses Tuch, rieb den Sekt raus und trocknete mit einem Handtuch nach. Jetzt hob Herr Traugott sein Glas, prostete seiner Frau brum-mig zu: „Auf dein Wohl, Liese.“

Johannes löste die Kinder von sich. Sie wehrten sich, aber er kniete sich hin und versprach: „Wenn ihr euch jetzt an den Tisch setzt und ganz lieb seit, spielt der Onkel nachher wieder mit euch.“ Ohne die sonst übliche Aufsässigkeit, folgten sie sofort seiner Aufforderung.

Nun nahm auch Johannes sein Glas und stieß es gegen das seiner Mutter. Dazu sang er lauthals mit verstel ter Stimme: „Hoch sol sie leben, dreimal hoch! Prost, Liz!“

 

„Johannes, wir sind hier nicht im Wilden Westen! Deine Mutter heißt schlicht und einfach Liese. Nenn’ sie gefäl-ligst auch so, wenn du dich schon zu Mutter nicht ent-schließen kannst“, schimpfte der Vater dazwischen.

Johannes lachte nur dazu und konterte: „Aber, aber, Herr Traugott. Man muss doch mit der Zeit gehen. Deine Frau hat nun mal auf Grund ihres Alters laut Gesetz deiner geliebten DDR das Recht erlangt, in die goldene Freiheit fahren zu dürfen. Sag’ schon, Liz, wann fährst du? Ich freue mich bereits auf die leckeren Sachen von drüben.“

Herr Traugott knal te sein Glas auf den Tisch.

„Verdammt, mein Sohn! Wir sind DDR - Bürger. Du, deine Mutter, wir al e hier. Und DDR-Bürger lassen sich nicht kaufen. Gerade du als Lehrersohn müsstest doch wissen, wo du zu stehen hast. Ich hatte immer gedacht, meine Kinder wüssten, was sie der Partei schuldig sind.

Wer anders denkt, kann gehen.“

Liesbeth lenkte ein: „Vater meint es nicht so.“ Keiner widersprach, obwohl al e wussten, dass er es genauso meinte. Sogar Johannes blieb stumm. Das nun einsetzende Schweigen erfasst auch die Kinder. Die Mutter fragte nicht, wie sonst, nach den Wünschen ihrer Gäste, sondern belegte jeden Tel er mit einem Stück Käsetorte, füllte in jede Tasse Kaffee und stellte vor Thomas ein Glas mit Limonade. Dennis erhielt einen Becher mit Kakao. Danach durchbrach die Stille lediglich hin und wieder das Klappern der Kaffeetassen, wenn sie einer auf den Untertel er zurückstel te. Ansonsten verzehrten al e, in eigene Gedanken vertieft, ihr Stück Kuchen. Nur die Kinder nicht. Statt sein Stück Käsetorte zu essen, pulte Thomas mit einem Finger die Rosinen aus dem Rand des Mohnkuchens. Dennis schlug mit beiden Händen auf sein Stück, sodass es nach al en Seiten ausei-nanderspritzte. Niemand hinderte ihn an der Misshand-lung der Käsetorte. Auch Thomas durfte auf der Suche nach Rosinen weiter in den Mohnkuchen eindringen.

Mark schlang hastig Bissen für Bissen hinunter und kippte seinen Kaffee hinterher. Danach wandte er sich an seine Mutter: „Entschuldige Mutter, aber bei der Feier im Betrieb darf ich nicht ganz fehlen. Du weißt schon, sozialistisches Kol ektiv und so. Hättest dir auch einen anderen Tag aussuchen können.“

„Gewiss Mark, da darfst du nicht fehlen. Kommt bald mal wieder“, stimmte die Mutter ihm zu.

Cornelia stand sofort auf, obwohl ihr Kaffee noch in der Tasse dampfte. Sie holte die Kinderjacken. Mark befahl seinen Söhnen: „Zieht euch an! Wir gehen.“ Statt sich anziehen zu lassen, schrie Dennis: „Wil nis, will nis!“, warf sich auf den Fußboden und strampelte mit den Beinen. Sein Gesicht nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Cornelia reichte Thomas seine Jacke. Aber er nahm sie nicht, sondern boxte seine Mutter mit Fäusten gegen den Bauch und trat mit Füßen gegen ihr Schienbein. Immer im Wechsel. Auch er kreischte dabei: „Ich wil aber nicht. Ich wil aber nicht.“ Vergebens griff Cornelia nach ihm. Da schritt Mark ein.

Er schüttelte Thomas hin und her und drohte: „Komm zu dir, Sohn! Sonst setzt es was.“ Als er von ihm abließ, starrte Thomas ihn voller Wut an und trat auch ihm gegen das Schienbein. Mark ohrfeigte ihn. Thomas taumelte gegen die Kommode. In diesem Moment sprang Johannes auf und stel te sich schützend vor seinen Neffen.

„Lass bloß das Kind in Ruhe du … du Schläger!“, brül te er seinen Bruder an.

„Das geht dich überhaupt nichts an“, brül te Mark zu-rück. Er griff erneut nach Thomas, aber dieser klammerte sich an den Beinen von Johannes fest. Johannes knuffte Mark gegen die Wand. Es schien, als ob sich die Brüder binnen kurzem prügeln würden. Da mischte sich ihre Mutter ein.

„Hannes, Mark, was soll das! Ihr werdet doch nicht etwa! Heute. An meinem Geburtstag.“

Da ließ Johannes seinen Bruder einfach stehen. Die Mutter wandte sich nun an ihre Enkel.

„Kommt zu mir! Die Omi zieht euch an und wenn ihr schön lieb seit, dürft ihr mich bald wieder besuchen.“ Sie nahm Cornelia die Jacken ab. Dennis stand auf und schlüpfte in seine Jacke, Thomas ebenfal s. Mit ihren Eltern verließen sie ohne irgendeine Geste des Abschieds die Wohnung. Mittlerweile saß Johannes wieder auf seinem Stuhl und flüsterte Melanie ins Ohr: „Typisch Mark!

Sich an Schwächeren zu vergreifen.“ Melanie verschloss ihm mit einem Kuss den Mund.

Wenige Minuten später klingelte es. Johannes eilte entgegen seiner Gewohnheit sofort zur Tür und öffnete:

„Hal o, Andy. Du kommst gerade richtig.“

„Hal o, Jo. Ich möchte eigentlich nur rasch gratulieren.

Habe nämlich Nachtdienst und muss vorher noch ein paar Stunden schlafen. Wo ist denn das Geburtstagskind?“

„Okay. Immer rein in die gute Stube.“ Andreas Chrysander ging sofort auf Frau Traugott zu und übereichte ihr einem Strauß roter Nelken.

„Herzlichen Glückwunsch, verehrte Frau Traugott, zum Geburtstag und Glückwunsch zum Ticket nach Westberlin.“ Johannes applaudierte begeistert. Frau Traugott fielen vor Schreck die Blumen aus der Hand, während Herr Traugott aufgebracht den Raum verließ. Andreas bückte sich und sammelte die Nelken auf.

„Was ist? Bin wohl vol ins Fettnäpfchen getreten. Tut mir leid.“

„Stehst mit beiden Füßen mittendrin. Liz darf nämlich nicht.“

„Oje!“

„Du fährst doch, Liz. Oder?“

„Was dein Vater nicht will, das mache ich selbstverständlich nicht, Hannes.“

„Aber, Liz, wir leben doch nicht im Mittelalter.“

„Kein Wort mehr davon, Hannes. Was dein Vater sagt, wird gemacht.“

„Okay, okay, ist ja schon gut.“

Nun begrüßte Andreas Silvana mit Handschlag. Bei Melanie zögerte er, als sei ihm eine Berührung mit ihr unangenehm. Schließlich reichte er ihr doch eine Hand und erklärte mit belegt klingender Stimme: „Entschuldige bitte, aber das Geburtstagskind hatte Vorrang. Tag, Melanie.“

Melanie legte ihre Hand in die seinige, aber vor Beklommenheit konnte sie ihn nicht mit Worten begrüßen.

Warum war ihr nur immer so seltsam zumute, wenn Andreas sie ansah? Ähnelte sein Blick dem von Silvana?

Melanie wusste es nicht genau. Im Gegensatz zu ihr blickte er rasch weg, wenn er bemerkte, dass Melanie ihn ansah. Immer dann, wenn sie in seine dunklen Augen schaute, war ihr, als nähmen sie die Sonne von ihr und Johannes fort. Die Sommersprossen im Gesicht von Andreas mochte sie überhaupt nicht. Aber seine Augen erinnerten Melanie an braunen, flauschigen Samt, und kamen ihr nicht so unheimlich wie die von Silvana vor. Glücklicherweise hatte Johannes kein schütteres, rotblondes Haar und auch keine Sommersprossen im Gesicht. Was verband Johannes bloß mit diesem ernsten Menschen? Melanie wusste, dass sie seit frühester Kindheit Freunde waren. Obwohl sich ihre Wege nach der Oberschule trennten, blieb ihre Freundschaft bestehen. Melanie dagegen schlossen sie aus ihrer Freundschaft aus. Das kränkte sie, denn seit Johannes bei ihr wohnte, mied Andreas ein zufäl iges Zu-sammentreffen. Davor waren sie sich hin und wieder begegnet, denn sie wohnten im gleichen Haus; er im Vorderhaus, sie im Hinterhaus. Damals hatte Melanie sogar den Eindruck gehabt, er wünschte sie näher ken-nenzulernen.

In der ersten Zeit, in der Johannes bei ihr wohnte, besuchte Andreas ihn hin und wieder.

Aber jetzt? Jetzt kam er nicht mehr. Stattdessen ging Johannes manchmal alleine zu ihm rüber. Melanie verstand das nicht. Als sie sich deswegen bei Johannes einmal beschwert hatte, erwiderte er nur, dass Männer auch mal unter sich sein müssen. „Trink auf das Wohl meiner Mutter!“, sagte Johannes gerade und reichte Andreas ein Glas mit Sekt.

„Auf ihr Wohl, Frau Traugott. Tut mir leid, das vorhin.“

„Konntest du nicht wissen, Andreas. Halb so …“ Johannes warf dazwischen: „Vater kommt schon wieder zu sich. Ist doch geil, dass Liz nun rüber fahren kann.

Sag mal Andy, bist du noch auf der Eins?“

„Ja. Bin ich. Wir können Hilfe gebrauchen. Hast du Lust?“

„Vorläufig nicht. Habe was Besseres vor.“ Dabei schaute er verliebt zu Melanie. Silvana lachte hässlich auf und eilte kopfschüttelnd aus dem Wohnzimmer.

„Immer noch das alte Lied mit ihr?“, forschte Andy und wies in die Richtung, in die Silvana entschwunden war.

„Logo. Selbst nicht fähig, sich ‘n Macker anzuschaffen, aber an unserem Lebensstil herummäkeln! Das sind mir die Richtigen. Typisch für die vertrocknete Schachtel.

 

Uns gefäl t es. Wir lieben uns.“ Er neigte seine Wange gegen die von Melanie:

„Was wol en wir mehr?“

„Reg’ dich nicht auf. Jeder ist seines Glückes Schmied.

Aber ich muss. Die Pflicht ruft. Mach’s gut, Alter.“ Zum Abschied hob Andreas den Arm, winkte allen zu und sagte in den Raum: „Tschüss.“

Nachdem Andreas gegangen war, räumte Melanie das Geschirr ab und dachte dabei an Andreas. Nein. Mit ihm könnte sie nicht zusammenleben. Außerdem vermutete sie, dass er sie nur ertrug, weil sie zu Johannes gehörte.

Während dieser Gedanken entging ihr, dass sogar Johannes Kaffeekanne und Kuchenplatten in die Küche brachte. Hausarbeit überließ er sonst ihr oder seiner Mutter, aber jetzt beeilte er sich auffal end. Als sie fertig waren, verabschiedete er sich von seiner Mutter:

„Ciao, Liz. Schönen Abend noch mit Herbert.“ Dabei lä-

chelte er zweideutig.

Froh, der Familienfeier entronnen zu sein, hüpfte er zwei Stufen zugleich die Treppe runter. Melanie wusste, dass Johannes jegliche Art von Familienfeierlichkeiten hasste. Er feierte nicht einmal seinen eigenen Geburtstag oder den anderer. Nur der seiner Mutter und Weihnachten nahmen eine Sonderstel ung ein.

 

2.

Johannes fasste Melanie an die Hand, als sie den Hausflur verließen. Sie gingen von der schmalen Proskauer Straße bis zur Frankfurter Al ee. Auf dem linken Bürgersteig schlenderten sie an dem Geschäft für Sportartikel vorbei und blieben vor einem Reisebüro stehen. Ein Foto warb für Reisen ans Schwarze Meer.

„Schau mal, Jo. Da möchte ich auch mal hin.“

„Logo. Ich auch. Genau das Richtige für unsere Flitterwochen.“

„Oh Jo!“, hauchte Melanie.

Die Schaufenster einiger Buchläden, auch die von Le-bensmittelgeschäfte und den Zeitungskiosk vor dem S-Bahnhof beachteten sie nicht. Sie interessierten sich nur füreinander. Oft hielten sie an, umarmten und küssten sich. Weder das Rattern der Straßenbahn noch anderer Lärm lenkte sie ab. Sogar der Rat eines Anführers von Jugendlichen. „He, Alter, leg die Braut gleich flach“, pral te an ihnen ab.

Normalerweise bewältigte Johannes den Fußweg von seinen Eltern bis zu ihrem Wohnhaus innerhalb von fünf-zehn Minuten. Jetzt bogen sie erst zwanzig Minuten spä-

ter in die Atzpodienstraße ein, an deren Ende ihr Wohnhaus, ein Altbau, stand.

Nachdem sie die Zufahrt zum Hinterhaus durchquert hatten, betraten sie den Hinterhof. Sofort flitzten Katzen in wilden und dennoch eleganten Sprüngen durch fahles Mondlicht nach allen Himmelsrichtungen auseinander.

Hängen blieb ihr unverkennbarer Geruch und verdrängte sogar den Gestank schwelenden Mül s, dessen Rauch aus den Containern ringelte. Melanie drückte sich eng an Johannes. Er beruhigte sie:

„Sind doch nur Katzen. Wenn es soweit ist, kommst du sowieso über den Boden.“ Es waren nicht die Katzen, die Melanie ängstigten.

Sie stoppte ihre Schritte in der Mitte des Hofes, den das Gebäude wie ein Hufeisen umgab. Während sie im Hinterhaus wohnten, lebte Andreas in der Wohnung unterm Dach im Mittelteil des Vorderhauses. Beide Wohnungen befanden sich auf gleicher Höhe. Bei geöffneten Fenstern konnten sie sich direkt in eins der Zimmer schauen.

Andreas in die Wohnstube der beiden und sie selbst in das, von dem Johannes behauptete: „Es ist sein Schlafzimmer.“

Melanie blickte nach oben, auf das jetzt dunkle Fenster von Andreas.

Johannes folgte ihrem Blick und drehte sie zu sich:

„Nicht denken, Mel i, handeln, wenn es soweit ist. Aber noch gehört uns ein Tag und vor allem eine ganze Nacht.“

Seine Augen glänzten in Erwartung des Kommenden.

Er zog Melanie in das Treppenhaus des Hinterhauses, drückte auf den Schalter und eine Glühbirne beleuchtete matt die abblätternde dunkelgrüne Ölfarbe der Wände. Durch dieses Halbdunkel stiegen sie die Stufen empor, aber auf jedem Absatz blieb Melanie stehen und musterte das Fenster von gegenüber, in dem sich unschuldig das Mondlicht spiegelte. Sie stellte sich vor, von dort das Mondlicht im Fenster ihrer Wohnung zu sehen. Unwil kürlich schüttelte sie den Kopf: „ Nein! Das darf nicht sein!“ Johannes ließ ihr für solche Gedanken keine Zeit. Er knuffte sie jedes Mal in den Rücken und knurrte: „Los, geh!“

Als sie endlich vor ihrer Dachwohnung angekommen waren, schloss Johannes die Wohnungstür auf, aber Melanie starrte schon wieder auf das Fenster von Andreas. Johannes belehrte sie: „Komm doch. Heute ist nicht morgen! Logo.“

Er hob Melanie hoch, schwenkte sie mit einem Jauchzer herum und trug sie ins Wohnzimmer zu der großflächigen Liege, die zwei Drittel des Raumes ausfül te. Davor standen ein eckiger Tisch, zwei Stuhlsessel und auf einer Blumenbank ein Fernseher älterer Bauart. Bei Ta-geslicht wirkte al es verschossen, aber das einzigartige Licht des Mondes verwandelte das Mobiliar zu Kostbar-keiten. Durch die vertraute Umgebung schwanden Melanies trübe Gedanken. In den Armen von Johannes erwachte ihre Leidenschaft. Ein jeder spürte den anderen, ein jeder putschte die Gefühle des andern weiter auf. Ihre Kleider rissen sie sich gegenseitig vom Körper, ihre Lippen pressten sich aufeinander, ihre Körper drängten zueinander bis sie zu einem einzigen verschmolzen waren, der nur seine Lust wahrnahm und sich von Gipfel zu Gipfel bis zum absoluten Höhepunkt trieb. Während einer der Gipfeleruptionen, von der sie meinten, dass sie direkt in den Himmel hineinkatapultiert worden seien, erschlafften ihre Sinne wundersam gelöst im Zentrum eines Wachschlafes. Melanie nahm wahr, dass Johannes, halb wach, halb träumend, ihr Kose-worte zuraunte. Ihre Hände streichelten solange bis Melanie ihn in sich anschwel en spürte und sie sich selbst bereits im unverkennbaren Rhythmus schwang. Danach übermannte beide eine Mattigkeit, die nur noch Schlaf zuließ.

Als Johannes aufwachte, küsste er sie, bis auch sie ihre Augenlider hob. Sie lachten sich an, und Johannes war es, der sie mit seiner unpassenden Frage: „Oh, Mel i, wie werden wir die Zeit bloß überstehen?“, aus ihrem Paradies verstieß. Dadurch Melanie fühlte jedoch ihre Chance gekommen.

„Muss ja nicht sein. Es gibt doch andere Möglichkeiten.“

„Hör auf mit dem Mumpitz! Es ist nun mal so, wie es ist. Ich wil nun mal ein Kind. Und zwar von dir. Ich kann auch nichts dafür, dass es für mich nichts anderes gibt.

Ein Kind von dir, das ist für mich wie für den Schmied der Amboss, wie für den Maler die Farben - nenn es, wie du wil st. Nur ein Kind von dir, nur so ein Kind könnte ich wahrhaftig lieben. Und Andy? Nun Andy ist mein bester Freund. Eins von dir und ihm - damit könnte ich leben. Und nicht von irgendjemand.“

„Und wenn wir ihn darum bitten …“

„Nee, nee. Das wil ich nicht. Wie stände ich denn dann da? Es kann doch für dich nicht so schwer sein, ihn zu verführen.“

„Jo, du vergisst mich dabei. Ich liebe nur dich.“

„Lieben sol st du ihn ja auch nicht. Nur das Ergebnis, Mel i, nur das zählt. Und Andy? Andy mag dich. Du, der war mal richtig verknal t in dich.“

„Ach, Jo! Mir ist überhaupt nicht wohl dabei. Wol en wir nicht doch lieber eine Adoption versuchen, viel eicht be-kämen wir ein Neugeborenes. Aber, eigentlich möchte ich gar kein Kind, noch nicht, viel eicht später.“ Johannes beugte sich über Melanie, und in seinen Augen loderte eine Entschlossenheit, die ihr Angst einflößte.

„Hör auf damit! Wil st du mich noch mehr quälen, und die Diagnose immer wieder hören? Mein Samen taugt nichts. Ich habe es doch schriftlich. Zweimal sogar. Von unterschiedlichen Ärzten. Aber ohne Kinder wil ich nicht leben. Mein Gott, Mel i, du bist zwanzig. Die beste Zeit für eine Frau zum Kinderkriegen. Ich wil es fühlen. In dir. Ich wil seinen ersten Schrei hören. Mit dir. Ich wil in ihm dich erkennen. Nur dann kann ich es lieben.

Logo.“

„Und eine Befruchtung außerhalb …“

„Ein Retortenbaby!“, brauste er auf, „eins mit dem Samen von irgendjemand. Grauenhaft! Ich will, dass mein Kind auf natürliche Weise gezeugt wird. Mit Andy, das wäre schon okay! Und du weißt, ich heirate bloß eine Frau, die vor der Hochzeit sicher schwanger ist, bei der ich den Erzeuger bestimmen konnte. Mach das mit Andy, und wir heiraten. Versprochen!“

„Und Andreas einfach einweihen? Das wäre ihm gegenüber fair.“

„Unmöglich, finde dich damit ab! Unsere einzige Chance wäre verloren. Für immer und ewig.“

„Ach, Jo! Wie sol ich das bloß machen? Er ist für mich doch ein Fremder.“

„Mach’ die Augen zu, denk er wäre ich, und Ruckzuck.

Sobald es geklappt hat, versöhnen wir uns eben wieder, und Andy erfährt nie, dass er der Vater ist.“ Melanie beseelte plötzlich eine Idee, verwegen und zugleich wundervol , denn sie empfand dieses noch nicht einmal gezeugte Wesen schon jetzt als Störenfried

„Du, Jo? Wenn nun Andy auch zeugungsunfähig ist?“

„Du nervst! Aber gewaltig! Da gab es mal eine Beziehung, Genaues weiß ich nicht, aber später traf ich sie -

Bianca hieß die - mit einem Kind. Das hatte genauso rotes Haar wie Andy. Ob er der Vater ist, nur meine Vermutung. Gesprochen hat er nie darüber, fragen wollte ich nicht.“

„Und wenn er nun eine Freundin hat?“

„Der und eine Freundin! Vor Jahren gab es mal eine, aber die konnte nicht treu sein. Da war es aus. Andy ist, wie soll ich sagen, in dieser Hinsicht total verklemmt.

Nicht so locker wie ich.“

 

„Und wenn er doch eine hat.“

„Das wüsste ich aber als sein bester Freund.“ Melanie erkannte, dass sie Johannes auf diese Weise nicht von seiner Idee abbringen könnte.

„Und du? Was wirst du tun?“

„Mel i, Mel i! Wie abgemacht. Ich warte auf dich. Brennt in meinem Fenster die Kerze, kommst du über den Boden und gehst danach wieder so zurück. Sieht doch niemand.“

„Ob das so einfach geht?“

„Natürlich! Du musst bloß wollen. Und wenn es geklappt hat, bleibst du. Haben wir uns eben wieder vertragen. Sol doch vorkommen oder?“

So erbärmlich zu täuschen, das behagte Melanie nicht.

Gab es denn wirklich keine andere Lösung, um den Wunsch von Johannes zu erfül en und sie vor dem Betrug zu bewahren?

Sie lehnte sich an Johannes, aber ihn beherrschten ganz andere Gefühle. Er ließ ihr keine Zeit. Er drang in sie, rücksichtslos und trieb sie an. Schon bald rammten ihre von Schweiß glänzenden Körper ineinander. Es schien, als wollten sie sich durch diese Heftigkeit Schmerzen als Beweis ihrer absoluten Hingabe zufü-

gen, um sich nie vergessen zu können. Danach schliefen sie zufrieden und erschöpft ein.

Melanie erwachte mitten in einem Sonnenstrahl, der sie durch ihre geschlossenen Augenlider blendete. Sie rüttelte Johannes an der Schulter.

„He, Jo wach auf. So wach doch auf! Wir müssen los.“ Johannes winkte lässig ab. Sie schüttelte ihn kräftiger, aber Dämmerschlaf zeichnete sein Gesicht weiterhin weich. Da gab Melanie auf. Sie drängte sich gegen seine Nacktheit. Verspielt strichen seine Finger über ihre Lippen, zerzausten ihr Haar, und anschließend betteten seine Arme sie vol ständig in seine Müdigkeit ein.

Mit Vergnügen hätte sie so den Rest des Tages mit ihm verbracht, aber sie drehte sich aus seinen Armen.

„Jo, meine Eltern. Hoch mir dir, du Schlaftier! Das Essen.“

Johannes knabberte mit seinen Zähnen an ihrem Ohr-läppchen, aber Melanie löste sich aus dieser Zärtlichkeit, stand mit einem Ruck auf und betrachtete ihn. Wie wohl-geformt sein Körper war! Muskulöse lange Beine, schmales Becken und breiter Brustkorb. Krauses Schamhaar zwischen den Oberschenkeln verjüngte sich bis zum Bauchnabel zu einer Linie. Haarlose Brust, tief-schwarzes Kopfhaar - leicht gewel t, halblang und in der Mitte gescheitelt. Wimpern lang und seidig wie die einer Frau. Und die Hände erst! Nicht verarbeitet, nicht breit und derb. Typische Studentenhände! Kein Bildhauer hätte seine Formen für Melanie faszinierender gestalten können. Auf einmal schnel te Johannes zu ihr, umklammerte sie und katapultierte sich mit ihr zurück auf die Liege. Dabei kicherte er unbekümmert, aber Melanie wehrte abermals seine Liebkosungen ab. Sie rangelten im Gefühlsüberschwang so heißblütig, bis sie miteinander von der Liege plumpsten. Dabei lag Johannes auf Melanie. Mit eindeutiger Absicht umgarnte er sie, aber sie keuchte unter gespielter Abwehr: „Du Unhold! Ich sterbe fast vor Hunger, und du denkst nur an das eine.

Schäm dich! Unser Kühlschrank ist leer.“

„Hast du denn nichts eingekauft?“

„Wir sind pleite, Maestro. Gehalt gibt’s erst nächste Woche. Eines Tages verhungern wir noch mal. Aber nun komm! Bei meinen Eltern wartet ein gedeckter Tisch. Mir ist schon ganz schlecht.“

„Okay, okay, du Klügste aller Klugen unter dem Him-melszelt.“

 

Während sie sich in der Küche gemeinsam in einer Schüssel voll Wasser wuschen, alberte Johannes herum. Er bespritzte Melanie ab und zu mit kaltem Wasser, so dass sie jedes Mal aufschrie. Er bewarf sie mit seinem durchtränkten Seiflappen, so dass sie zur Seite sprang, als müsse sie sich vor Granaten retten. Als er auf sein Kinn Rasierschaum aufgetragen hatte, küsste er sie, so dass auch sie einen Bart aus Schaum bekam.

Sofort leckte er ihn ab und schmatzte dazu. Während sie ihm den Rücken frottierte, schwärmte er: „Mel ibaby, wenn das mit dem Kind geklappt hat, heiraten wir. Dann sind wir eine richtige Familie, und ich besorge für uns eine riesengroße Wohnung mit Bad und Fernheizung.“

„Wie schön! Ob wir das überhaupt schaffen?“

„Was meinst du? Das mit der Wohnung oder das mit dem Kind?“

„Beides.“

„Frage nicht! Streng dich an! Mit dem Kind meine ich.

Al es andere kommt dann von ganz al ein. Wirst schon sehen. Aber ich bin sicher, du, die Klügste unter den Klugen, schaffst das mit links und noch viel mehr.“

„Du, Jo.“

„Mm.“

„Dann reicht mein Gehalt aber nicht mehr.“

„Logo. Kommt Zeit, kommt Rat.“

„Du, mal ernsthaft. Fang doch im Krankenhaus an.

Noch ein regelmäßiges Gehalt würde uns wirklich gut tun.“

„Wie kommst du mir denn? Wieder abhängig sein, wieder jeden Morgen nach Plan aufstehen, wieder Tag für Tag Anweisungen ausführen? Nein. Das Schlag dir aus dem Kopf. Das ist nichts für mich! Das weißt du aber.

Das war abgemacht. Von Anfang an. Ein Mann muss fit sein. Immer. Logo.“

 

„Na ja, war nur so eine Idee.“

„Gib zu, eine denkbar schlechte.“

„Ja, ja, besonders gut war sie nicht. Und dein Studium?“

„Fang ich an, sobald du schwanger bist. Schwöre ich.“ Johannes hob demonstrativ drei Finger in die Höhe, rollte mit den Augen nach links und nach rechts, aber seinen gespielten, feierlichen Ernst durchlöcherten bereits Lacher. Und schon prustete er los. Als er sich beruhigt hatte, bekräftigte er: „Ich schwöre, alles, was du wil st.“

3.

Ihre Kleidung; ungebügeltes Oberhemd, knitterige Bluse, verwaschene Niethosen, schmuddelige blaue Anoraks, passte genau zu dem Auto, welches sie fuhren; einem verbeulten P 70, dem Vorläufer des Trabants. Melanie wusste nicht, von wem Johannes es erworben hatte. Er erregte mit diesem Fahrzeug schon Aufsehen, bevor sie ihn kennenlernte. Bereits damals ließ sich nur die Tür an der Fahrerseite öffnen. Die andere klemmte stark, so dass Johannes sie eines Tages von innen mit mehreren kräftigen Fußtritten auftrat. Danach schloss sie nicht mehr. Kurzerhand verschraubte Johannes sie mit einem Metal winkel an der Karosserie. Deshalb robbte Melanie über den Sitz des Fahrers, um auf den Beifahrersitz zu gelangen. So auch jetzt. Es erfordert einige Startversu-che ehe der Motor endlich ansprang. Melanie amtete auf und drängelte: „Nun fahr bloß! Es ist gleich eins.“

„Auch das noch. Die essen doch um zwölf.“ Knurrend fügte er hinzu: „Spießer!“

In dem Moment ratterte der Motor, als wolle er nicht mehr und blieb letztendlich stehen. Melanie erkundigte sich: „Ist etwa der Tank leer?“

„Kann nicht sein. Habe doch erst getankt“, murmelte Johannes. Nach weiteren Starversuchen sprang der Motor wieder an, und das Auto rol te langsam los. Bei jeder Ungleichmäßigkeit des Motors hielten beide den Atem an, aber dessen ungeachtet fuhren sie; zwar langsam aber stetig weiter. Wenn sie um eine rechte Kurve fahren wol ten, musste Melanie mit einer Spielzeugkel e aus dem Fenster winken, weil auch das Blinklicht rechts seit geraumer Zeit ausgefal en war. Für die Reparatur blieb einfach nie Geld übrig. Melanie verwöhnte Johannes gern, und er hielt das für selbstverständlich, denn schließlich liebte er sie und sie ihn.

Während der Fahrt protestierte der Motor noch einige Male, aber Johannes bezwang ihn jedes Mal mit nur ihm bekannten Tricks. Wenn der Wagen weiterfuhr, grinste Johannes Melanie selbstgefällig an. Für ihn schien al es nur ein vergnüglicher Sport zu sein.

Als sie trotz allem wohlbehalten in die Ifflandstraße in Mahlsdorf einbogen, sahen sie Melanies Eltern mitten auf dem Sandweg hin und her laufen. Das Tor zum Garten stand sperrangelweit offen. Johannes drückte das Gaspedal vol durch, der Motor jaulte gequält auf, trotzdem fuhr der Wagen einwandfrei durch die Einfahrt.

Damit sich die Fahrertür öffnete, schlug Johannes kräftig mit der Handkante dagegen. Sie sprang quietschend auf. Melanie krabbelte auf die altbewährte Art über den Fahrersitz aus dem Fahrzeug. Melanies Vater, der den Vorgang mit gerunzelter Stirn verfolgte, begrüßte die beiden: „Hal o. Die Tür ist ja noch immer nicht repariert.“

„Keine Zeit, Paps, Jo hat einfach keine Zeit dafür.“

„Das hört sich ja scheußlich an, ich meine den Motor.

Ich schaue ihn mir nachher mal an. Einverstanden, junger Mann?“

„Nett gemeint, Herr Seidemann, aber viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen noch zu Isabell. Eingeladen.

Schade.“

Das war Melanie neu, aber sie kannte seine Abneigung gegen jegliche Art von Familienzusammenkünften. „Ja.

Zum Kaffee sind wir eingeladen“, log sie ohne rot zu werden, obwohl sie eigentlich Lügen hasste.

Ihre Mutter hatte wohl nur noch die letzten Worte mitbekommen, denn sie fragte nach: „Was denn, ihr bleibt nicht einmal bis zum Kaffee? Habe extra Käsekuchen ohne Boden gebacken, den ihr so gerne esst.“

„Tut mir leid, Mutsch, aber versprochen ist versprochen.

Isabel wartet.“

„Zum Mittag kommt ihr auch schon zu spät. Heute ist doch Samstag oder hattet ihr Nachtdienst? Abgespannt genug seht ihr aus.“

„Hatte wir nicht, aber dafür einen Bärenhunger“, äu-

ßerte Melanie scheinbar gleichgültig, aber sie konnte ihrer Mutter dabei nicht in die Augen sehen. Glücklichweise forschte diese nicht weiter, sondern bemerkte mit einem leichten Vorwurf in der Stimme: „Wir haben natürlich pünktlich gegessen.“

Aus der Küche quol en ihnen verführerische Düfte entgegen. Johannes eilte schnurstracks zum Herd, nahm, ohne zu zögern, den Topfdeckel ab und angelte sich einfach ein Stück Fleisch heraus. Bevor überhaupt jemand sein Benehmen rügen konnte, kaute er vol Genus und lachte dabei Melanies Mutter liebenswürdig an.

„Vorzüglich, Schwiegermütterlein, ganz vorzüglich. Darf ich?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, hob er abermals den Topfdeckel, aber der Vater drohte mit dem Finger und fuhr dazwischen: „Nichts da, junger Mann, hinge-setzt und gewartet! So etwas ist bei uns nicht üblich.“ Melanie wusste, dass ihr Vater von Johannes nicht viel hielt, aber solange er sah, dass sie mit ihm glücklich war, akzeptierte er ihn zwar widerwil ig, aber immerhin höflich. Um seine Abneigung nicht noch mehr zu fördern, forderte sie Johannes auf:

„Setzt dich! Geht doch gleich los.“

Inzwischen hatte die Mutter die Teller mit Rouladen, Rotkohl und Klößen belegt. Johannes bedachte sie gleich mit einer doppelten Portion. Er stopfte davon so viel in sich hinein, als wäre er tatsächlich kurz vorm Hungertod. Melanie bezähmte sich, obwohl auch sie gern so gegessen hätte, und quetschte hervor: „Mutsch, du bist die beste Köchin weit und breit.“

„Dann kommt doch öfter.“

„Die Zeit, Mutsch, die Zeit.“

„Ja, ja. Ich weiß, die Arbeit frisst euch auf. Und dann so wenig Geld, dass ihr nicht mal richtig satt werdet.“ Johannes leckte bereits seinen Tel er blank. Melanie be-neidete ihn, denn er schien nur für den Augenblick leben zu können. Sie konnte nicht begreifen, warum er nur so versessen auf ein Kind war. Sie waren doch auch ohne glücklich. Und wie!

Ihr Vater, Ingenieur für Kraftfahrzeugtechnik, bot selten Hilfe an, deshalb war Melanie erfreut, als er vorschlug:

„Johannes, schauen wir uns mal euren Mercedes an!

Viel eicht kann ich was machen.“

„Muss das sein? Ich könnte jetzt eine Runde Schlaf vertragen“, erwiderte er. Melanie redete ihm zu: „Jo, geh doch. Paps versteht was davon.“

Murrend erhob sich Johannes mit der Bemerkung:

„Nicht mal am Sonnabend hat man seine Ruhe.“ Dabei zwinkerte er Melanie zweideutig zu. Sie wollte sein Zeichen jetzt nicht vertiefen, denn sie wünschte und hoffte, dass ihr Vater seine Vorurteile aufgeben möge, wenn er Johannes näher kennenlernt hätte.

Ihre Mutter hatte schweigend das Geschirr abgeräumt und setzte sich, nachdem Johannes mit dem Vater die Küche verlassen hatte, zu ihr.

„Kind, du wirst immer dünner. Isst du nicht genug? Johannes arbeitet doch wieder?“

Melanie konnte ihr nicht in die Augen sehen.

„Al es bestens.“

„Sieh mich an, Mel i! Und bitte nur die Wahrheit.“

„Nicht immer.“

„Was heißt das, nicht immer?“

„Na ja, Jo ist jetzt freiberuflich.“

„Wie ist das zu verstehen?“

„Na ja, eben freischaffend.“

„Verstehe! Er lebt nach wie vor auf deine Kosten.“

„Das siehst du falsch. Unseren Verdienst werfen wir in einen Topf.“

„Mel i, entschuldige, aber du siehst leicht verkommen aus. Dieser Johannes bekommt dir nicht.“

„Bitte, Mutsch, verdirb uns nicht den Tag. Du änderst doch nichts. Übrigens, Jo wil sein Studium beginnen.“

„Das wird aber auch Zeit! Sag’ mal, malst du eigentlich noch?“

„Kaum. Jo ist mir wichtiger.“

„Und schreiben? Was hast früher für schöne Geschichten geschrieben!“

„Komme ich nicht mehr dazu.“

„Schade. Du hast Talent. Ich sag’ ja, dieser Jo.“

„Bitte Mutsch! Wir sind glücklich, was wil st du mehr?“ In diesem Moment polterte Johannes von draußen rein.

„Das reicht mir jetzt aber. Vergebene Liebesmüh’ mit der Kiste. Muss mal eine neue her.“