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1. Auflage 1986 Thorsten Knabbe Verlag, Wiesbaden
2. veränderte Auflage 1986 Th. Knabbe Verlag, Wiesbaden
3. veränderte Auflage 2001,
Karlo Heppner, Torrevieja (Spanien)
Herstellung: Books on Demand GmbH
Alle Rechte liegen beim Autor
Karlo Heppner, Avenida del Puerto 22, 03180 Torrevieja
karlo2@inicia.es

ISBN 978-3-8423-9829-0

Für Doris, Micha, Till, Eileen, Marion, Anabel,
Cécile und alle anderen „Kinder“

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

(Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948)

 

DER KLEINE SAUSEWIND WIRD VORAUSSICHTLICH IM DEZEMBER 2001 IN SPANISCHER SPRACHE UNTER DEM TITEL EL PEQUEÑO POTRO SAUSEWIND BEI BoD ERSCHEINEN.

Inhalt

Das kleine Fohlen wird geboren

Sausewinds vergeblicher Kampf

Schläge für Sausewind

Sausewinds Freunde

Sausewind wird zur Schule geschickt

Sausewinds Retter in großer Gefahr

Am Tor des Felsenmeeres

Inka tut es leid

Das Zögern des kleinen Pferdes

Auf der Flucht

Sausewinds Rückkehr

Das entwaffnende Weinen des Ameisenbären

Die Versammlung der Tiere

Inka im Todesschlaf

Inka nimmt Abschied

Das kleine Fohlen wird geboren

Die erfahrene Eule, die schon seit vielen Jahren in dem Wald lebte, konnte es nicht länger für sich behalten.

“Uhu, Uhu, er ist da”, rief sie den anderen Tieren zu, die daraufhin in ihrer Tätigkeit innehielten.

Bald wussten alle Tiere im Wald, ja selbst die Käfer, Regenwürmer und die vielbeschäftigten Arbeiterinnen vom Stamm der roten Ameisen, dass ein kleines Fohlen das Licht der Welt erblickt hatte.

Sie eilten zu der alten Hütte, in der das kleine Fohlen geboren worden war und umringten den Strohhaufen, auf dem es sich von der anstrengenden Geburt ausruhte.

Andächtig starrten sie auf das kleine, hilflose Wesen, das hinter dem warmen Körper seiner Mutter Schutz vor dem kalten Nordwind suchte.

Der Nordwind lachte: “Heute will ich nicht ganz so heftig blasen. Das soll mein Geburtstagsgeschenk sein.”

Und er blies die in seinen Backen verbliebene Luft über die Wipfel der Bäume hinweg, zog sein aus Tannennadeln feingewebtes Nachtgewand an und legte sich zufrieden gähnend in sein Bett aus Tannenzapfen zur Ruhe.

“Was kann ich für dich tun?” fragte der Fuchs, der sichtlich gerührt neben dem kleinen Fohlen stand, als dessen Mutter ihm zärtlich das Fell leckte.

Doch das Fohlen genoss das Streicheln seiner Mutter viel zu sehr, als dass es große Lust gehabt hätte, Antworten auf neugierige Fragen zu geben.

“So will ich dir eines Tages, wenn du ihn benötigen wirst, einen Rat geben”, versprach der unter den Tieren wegen seiner Listigkeit gerühmte Fuchs.

Dabei ließ er es bewenden. Als er beiseite getreten war, stolzierte der prächtige Hirsch nach vorne.

Alle Tiere wichen ehrfürchtig zur Seite, um den Ritter des Waldes passieren zu lassen.

“Auch ich will dir ein Geschenk machen, kleines Füllen”, sagte der stolze Hirsch zu dem neugeborenen kleinen Pferd, “wenn du einmal in Not sein solltest, dann brauchst du mich nur zu rufen, und ich will dir mit meiner Schnelligkeit zu Diensten sein.”

Das sprach er und trabte wieder von dannen.

Das Fohlen zwinkerte ganz leicht mit dem linken Auge, und manche Tiere meinten, dass es damit wohl seine Freude über die gutgemeinten Geschenke ausdrücken wollte.

Es war zufrieden mit der ganzen Welt, es spürte die Wärme seiner Mutter und die Nähe von Freunden, ja selbst der eisige Nordwind, der sonst durch nichts zu erweichen war, hatte ihm zuliebe sein grimmiges Blasen für eine Nacht eingestellt.

Was hätte es noch mehr erwarten können?

Es träumte von Wolken aus dicken, warmen Wattebäuschen, die es davontrugen über die bunten Wiesen, über die Menschen, die in der Bestellung der Felder innehielten, um ihm zuzuwinken, über die Baumkronen hinweg zu kristallklaren Flüssen, in denen es zu gerne gebadet hätte.

“Das wird meine Welt sein”, dachte es bei sich und war glücklich.

“Seht nur, wie zufrieden es lächelt”, bemerkte der freundliche Bär, “so ein liebes, kleines Fohlen soll auch von mir einen Wunsch erfüllt bekommen. Solltest du einmal meine Bärenstarke brauchen, so rufe mich nur, ich will dir gerne helfen.”

Befriedigt trottete der Bär von dannen.

Schließlich drängelte sich eine Arbeiterin vom Stamm der roten Ameisen, die den großen Tieren nicht nachstehen wollte, zu dem Fohlen durch. Das fiel ihr nicht leicht, weil sie so klein war und ja niemanden zur Seite schubsen konnte.

Und weil sie auch nur sehr leise sprechen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als dem Fohlen in das Ohr zu krabbeln, um sich Gehör zu verschaffen.

“Vielleicht”, mutmaßte sie, “vielleicht brauchst du mich ja mal in deinem Leben, dann will ich kommen und dir mit meiner Geschicklichkeit und meinem Fleiß helfen.”

Wenige Sekunden, nachdem sie das letzte Wort gesagt hatte, war sie auch schon wieder aus dem Ohr herausgeklettert und in der Menge verschwunden.

Noch immer umringten viele Tiere des Waldes, die von nah und fern gekommen waren, das kleine Fohlen und seine Mutter.

“Mein kleiner Sausewind ist müde geworden, und auch ich bin von der Geburt erschöpft. Seid nicht böse, wenn ich euch jetzt wegschicke!” sagte sie zu den Tieren.

Diese ließen sich nicht zweimal bitten, wendeten sich um und trabten, nachdem sie noch einmal “Auf Wiedersehen” gerufen hatten, frohgelaunt nach Hause.

Der Mond, dessen silbernes Licht die Szene erhellt hatte, war indessen auch müde geworden. Er sagte der Erde “Gute Nacht”, vergrub sein Gesicht unter der weichen Sternendecke und glitt in einen sanften, traumreichen Schlummer.

So hatte das ereignisreiche Leben des kleinen Sausewind begonnen, voller Geborgenheit, Sanftmut und Güte. Er fühlte die Liebe in den Herzen der anderen Tiere, die sie ihm schenkten, ohne etwas dafür zu verlangen.

Sausewind war glücklich.

 

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Die Tage vergingen, es wurden Jahre, und Sausewind wuchs heran.

Unter freundlicher Anteilnahme seiner Mutter spazierte er im Wald umher, sprang über kleine Bächlein, die seine Wege kreuzten und legte sich, wenn er vom Herumtoben müde geworden war, auf eine der bunten Wiesen, die den Wald umgaben.

“He, Sonne, wärme mein schönes braunes Fell!” rief er der Sonne entgegen.

Diese lachte nur und sagte:

“Ja, ein schönes braunes Fell hast du”, streckte ihre wärmenden Arme aus und kitzelte das Fohlen am ganzen Körper, dass es sich streckte und dehnte und vor Wollust auf dem Gras hin- und herrekelte.

“Das gefällt mir”, sagte das Fohlen, “ich fühle das weiche, grüne Gras unter mir, spüre die Wärme der lieben Sonne auf meiner Haut und rieche den feinen Duft der Blumen und Kräuter.”

Sausewind dachte nicht darüber nach, wer diese Welt gestaltet hatte, aber er hatte das Gefühl, dass sie eigens für ihn, na ja, vielleicht auch noch für seine Mutter, geschaffen worden sei.

Diese Welt war seine Welt, freundlich, heiter, ihm zulächelnd und Geborgenheit schenkend………

Das kleine Fohlen war eingeschlafen.

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Sausewinds vergeblicher Kampf

So lebte das kleine Fohlen zufrieden mit sich und der Welt.

Doch eines Tages sollte sich für Sausewind das Leben entscheidend verändern.

Nach einem ausgiebigen Sonnenbad war er in den klaren Fluss gesprungen, um sich abzukühlen und im Wasser nach Herzenslust zu planschen. Er war so sehr in seinem Spiel gefangen, dass er die Strömung nicht bemerkte, die ihn immer weiter vom Ufer wegtrieb.

Ein bunter Schmetterling, der das Abtreiben des Fohlens bemerkt hatte, flatterte aufgeregt um Sausewinds Kopf und rief:

“Pass auf, der gefährliche Strudel reißt dich mit fort! Schwimm so kräftig du kannst gegen die Strömung ans Ufer!”

Aber Sausewind hatte nur Augen für das prächtige Spiel der Farben, die in der Sonne aufleuchteten, als der Schmetterling hastig mit seinen Flügeln schlug.

Spät, zu spät erst, bemerkte er den verzweifelten Blick des Schmetterlings.

“Rette dich, schwimm so schnell du kannst, sonst wird dich der Strudel ans andere Ufer, ins Land der Riesen, tragen!” schrie der Schmetterling in höchster Erregung.

Das kleine Fohlen hatte durch das Herumtoben jedoch so sehr an Kraft verloren, dass es den Kampf gegen die Strömung nicht mehr gewinnen konnte.

Hilflos musste der Schmetterling mit ansehen, wie Sausewind, verzweifelt um sich schlagend, von der starken Strömung fortgerissen wurde und in der Ferne verschwand.

Niedergeschlagen machte er sich auf den Heimweg, um die traurige Nachricht Sausewinds Mutter zu erzählen.

Endlich, nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, erreichte er den Baum, unter dem die Stute graste, und ließ sich auf einem Ast über ihrem Kopf nieder. Erschöpft faltete der Schmetterling seine Flügel zusammen. Er fühlte einen tiefen Schmerz in seinem kleinen Inneren. Sausewind war fort. Er weinte still, während er berichtete, wie Sausewind in höchster Not gegen die tragischen Strudel gekämpft hatte, doch als er die Verzweiflung in den Augen von Sausewinds Mutter sah und bemerkte, wie ihr Tränen die Wangen stumm hinunterkullerten, brach es aus ihm heraus.

Er weinte und schluchzte hemmungslos, sein kleiner Körper bebte vor Schmerz über den Verlust seines lieben Freundes.

“Huh, huh, huuh, Sausewind ist fort, huh, huh, huuh.” Er würde ihn nie wiedersehen.

Die Erinnerungen an die schönen Tage mit ihm, an sein helles, fröhliches Lachen, wenn er mit seinen Hufen im Wasser geplanscht und versucht hatte, ihn nass zu spritzen- ein düsterer Schatten hatte sich auf diese Erinnerungen gelegt und die Freude in ihm erstickt.

Er fühlte sich leer, stumm.

Es fiel ihm immer schwerer zu weinen.

Was würde die Zukunft bringen?

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Das kleine Fohlen kämpfte indessen vergeblich gegen die Strömung. Sein Widerstand wurde schwächer, die anfangs heftigen Schläge seiner Hufe wurden kraftloser, seine Hilferufe verhallten im Wind.

Die reißenden Strudel trugen ihn an das andere Ufer des Flusses.

Am Ufer angelangt, legte sich Sausewind ermattet auf den Boden.

Er war das erste, was ihm auffiel.

Dieser Boden, auf dem er ausruhen wollte, war nicht aus weichem Gras, kein Platz zum Dehnen und Strecken, er war aus hartem Felsengestein.

Das kleine Fohlen kannte solches Gestein nur von den Friedhöfen der Menschen im Wald.

Düstere Regenwolken hatten sich unterdessen vor die Sonne geschoben, und Sausewind begann zu frieren.

Während er so dalag und sich von den Strapazen erholte, fiel ihm ein, dass seine Mutter ihn einige Male vor dem Land auf den anderen Seite des Flusses gewarnt hatte.

“Es ist das Land der Riesen”, hatte sie ihren kleinen Sausewind gemahnt, “sie leben ganz anders als wir, niemand von uns würde sich dort wohl fühlen.”

“Seht mal, was da liegt!” Sausewind wurde durch den Klang einer tiefen Stimme aus seinen Gedanken herausgerissen.

Die Stimme gehörte zu einem Menschen, der größer war als alle, die Sausewind bisher in seinem Leben gesehen hatte.

Dicht vor seinem Kopf tauchten plötzlich zwei mächtige Füße auf und Sausewind wunderte sich selbst darüber, dass er in diesem Augenblick nicht vor Angst am ganzen Körper zitterte, schließlich hätten ihn diese mir nichts, dir nichts zermalmen können.

Für Sausewind gab es keinen Zweifel:

Vor ihm stand ein Riese.

“Wir nehmen es mit nach Hause. Vielleicht haben unsere Kinder Spaß daran”, sagte er zu seiner Frau, die wenige Meter hinter ihm stehen geblieben war und neugierig das kleine Fohlen beäugte.

“Aber wenn es gefährlich ist”, warf sie ein, “wäre es vielleicht besser, es gleich auf der Stelle zu töten.”

“Wir werden es schon zu bändigen wissen”, antwortete der Riese mit strenger Stimme.

“Wenn es störrisch ist, werden wir ihm seine Flausen mit der Peitsche austreiben.”

Sausewind konnte die Unterhaltung der zwei Riesen verstehen, und als er hörte, dass er geschlagen werden sollte, wurde sein Herz ganz schwer.

Noch nie in seinem Leben war er von irgend jemandem geschlagen worden, seine Mutter hatte ihn immer nur liebevoll zwischen die Beine genommen, sanft gedrückt und zärtlich sein Fell geleckt.

Nein, das konnte nicht wahr sein. Hatte er sich etwa verhört? Gewiss, er hatte sich bestimmt verhört. So grausam konnten doch selbst die Riesen nicht sein, dass sie schwächere Wesen mit der Peitsche schlagen würden.

Der Riese, den seine Frau mit Truka, was soviel wie der Unnahbare bedeutete, ansprach, packte Sausewind bei der Mähne und wirbelte ihn durch die Luft. Das erschrockene kleine Fohlen hatte Mühe, sich bei seinem Fall an einem der dicken Finger des Riesen festzuhalten.

Zu allem Unglück waren die Hände des Riesen voll schmierigem Fett, weil er gerade fünf Gänse als Mittagsbraten verspeist hatte.

Sausewind sah schnell ein, dass es keinen Zweck hatte, wegzulaufen, da der Riese Truka ja viel größer war und daher auch viel schneller laufen konnte als er selbst.

Und wohin hätte er auch laufen sollen? Er kannte das steinige Land, in das es ihn so unerwartet verschlagen hatte, ja gar nicht.

Truka warf Sausewind mit der Miene eines Eroberers in den Brotsack seiner Gefährtin, lachte kurz auf und ging dann mit langen Schritten auf das turmhohe Haus zu, in welchem er mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte.

Sausewind, von der unsanften Behandlung noch arg mitgenommen, traute sich nur zögernd, seinen Kopf aus dem Brotbeutel hinauszustrecken, um sich umzuschauen.

“Was mich wohl in dem Haus des Riesen erwartet”, dachte er bei sich, “er hat etwas von Kindern erzählt. Vielleicht sind seine Kinder freundlicher zu mir.”

Das kleine Fohlen schöpfte wieder Hoffnung.

“Ich habe euch etwas mitgebracht”, rief der Riese, als er die Tür öffnete, und er knallte, ohne auf Sausewind Rücksicht zu nehmen, den Brotsack auf den runden Holztisch in der Mitte des Zimmers. Die drei Kinder des Riesenpaares versammelten sich schnell um den Tisch, um zu sehen, was ihr Vater ihnen mitgebracht hatte.

Ihre Augen waren vor Neugier weit aufgerissen.

Sofort zerrten sie, jedes in seine Richtung, an dem Sack, um an den Inhalt zu kommen.

“Da ist bestimmt eine fette Gans drin!” vermutete Inka, die jüngste der drei.

Enka, der älteste, widersprach sofort:

“Quatsch, das ist bestimmt kein Federvieh. Erstens haben wir erst gestern und heute Gänse gegessen und zweitens würde sie vor Angst bestimmt schnattern.”

Nur Anka, die Zweitälteste Tochter in der Riesenfamilie, beteiligte sich nicht an dem Ratespiel, was sich wohl in dem Sack verbergen könnte.

Sie hatte die Beutelschnur bereits ganz aufgeknotet und war gerade dabei, ihre Hand in den großen Beutel hineinzustecken, als sie ein ängstliches Wiehern vernahm.

Hastig zog sie ihre Hand zurück.