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Inhaltsverzeichnis

I. Spuren

II. Ihr sollt euch keine Bilder machen

III. Der Mensch

Das Geheimnis der Rippe (Die Zeugungserkenntnis)

Gehilfin oder Gefährtin?

Die Adamah

Laßt uns Menschen machen

IV. Die Bedeutung der Namen

Denn keiner wird leben, der mich siehet

Elohim

Jhwh Elohim

Jhwh

Ha Elohim

V. Die Urgeschichte

Die Verführung

Der Brudermord

Die Namenlosen (Der Turm zu Babel)

VI. »Als die Götter Mensch waren«

Die Nachkommen Kains und der namenlosen Turmbauer

Enoschim – die neuen Menschen

Die alten Zeiten

Denn es reut mich, daß ich die Menschen gemacht habe

Die Steinernen Tafeln (Die Sintflut)

VII. Namen

Ezra

El Schadaj

VIII. Berühmte Leute der alten Zeiten

Avram

Lot

Die Legende vom reinen Jüngling Joseph

IX. MOSE

Die Hirten

Die Plagen

Das Man (Manna)

Das Goldene Kalb

Das „Lebende Wort“

X. JENSEITS DES JORDAN

Der neue Anfang

Abraham

Anhang

Anmerkungen

Bibliographie

Register

Epilog

Mutmaßungen zum Schöpfungsbericht (Gen.1.)

Spuren

I

Eines hat Gott [elohim] geredet, zweierlei habe ich gehört;… Ps. 62.12

(Einheitsübersetzung 1980)

Dieses Buch ist die Weiterentwicklung und teilweise Neufassung meiner Hypothesen zur biblischen Überlieferung, die ich 1977 in den Rundfunksendungen »Es steht in der Bibel« und 1979 in meinem Buch »Die Bibelkorrektur« veröffentlicht habe. Sie entstanden aus dem Versuch, den hebräischen Text der fünf nach dem Propheten Mose benannten Bücher so zu lesen, als wären die Schriften erst in unserer Zeit entdeckt worden, in einer Sprache, deren Wörter ohne Vorkenntnisse neu ergründet werden müssen.

Ohne die geistigen Fesseln der biblischen Auslegungstradition gelesen, sind im hebräischen Text des Pentateuch1 Spuren einer alten Überlieferung zu erkennen, die uns in fernste Vergangenheiten zurückführt. Sie gibt uns Beschreibungen von den wichtigsten Phasen der Menschheitsentwicklung, die dem Wissensstand der modernen Naturwissenschaft entsprechen, und bietet uns darüber hinaus überzeugende Antworten zu einigen in der Anthropologie noch ungeklärten Fragen an.

Das Wissen, über das die Verfasser dieser Alten Überlieferung verfügten, läßt nur den Schluß zu, daß es eine in vorgeschichtlicher Zeit entstandene und wieder versunkene Kulturentwicklung gegeben haben muß, die wir noch nicht entdeckt haben.

Meine Vorschläge werden also wohl nicht nur Theologen wieder gegen mich aufbringen, sondern auch konservative Historiker und Archäologen, von denen viele noch überzeugt sind, die Hochkulturen des dritten vorchristlichen Jahrtausends in Ägypten und Mesopotamien wären die absolut ältesten der Menschheitsgeschichte. An dieser Meinung halten sie fest, obwohl immer mehr Funde aus älteren Epochen eine Korrektur dieses Standpunktes nahelegen. Der Tempel von Nevali Cori2, eine großzügige und bautechnisch beachtliche Anlage aus dem achten Jahrtausend v. Chr., sollte eigentlich den letzten Anstoß geben, den Hochmut des modernen Menschen abzulegen und weiter in die Vergangenheit zu forschen, denn die Feststellung, es hätte vor den Kulturen in Ägypten und Mesopotamien keine anderen Hochkulturen gegeben, ist bloße Vermutung.

Das hemmende Vorurteil vieler Wissenschaftler – auch derer, die meinen, diese geistigen Schranken längst überwunden zu haben – entstammt der mittelalterlichen Bibelauslegung. Aus dem Text war eine Beschreibung der Weltgeschichte gedeutet und im Mittelalter eine Zeitrechnung konstruiert worden, nach der gelehrt wurde, daß Menschheit, Erde und Universum ungefähr 4000 Jahre vor der christlichen Zeit von einem menschengleichen, männlichen Schöpfergott erschaffen worden seien.

Unter dem geistigen Diktat der mittelalterlichen Religionen galt dieser aus den Bibeltexten gedeutete Inhalt als höchste Weisheit, und niemand durfte wagen, sich dem entgegenzustellen. Das Geschichtsbild der Menschen wurde jahrhundertelang von diesen Vorstellungen geprägt, so nachhaltig, daß viele weltlich denkende Wissenschaftler, deren Weltverständnis von den modernen Naturwissenschaften geformt ist, in bezug auf die Geschichte der menschlichen Kulturen, ohne sich dessen bewußt zu werden, noch immer im Bannkreis der mittelalterlichen Denkvorschriften befangen sind und sich scheuen, über tabuisierte Grenzen hinauszudenken.

Die einzige wissenschaftlich anzuerkennende Antwort auf die Frage, ob es vor dem dritten Jahrtausend v. Chr. schon Hochkulturen gegeben hat, dürfte die Feststellung sein, daß bisher noch keine entdeckt worden ist. Es gibt keine objektiven Gründe, keine Naturgesetze und auch keine unwiderlegbaren geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse, nach denen es unmöglich wäre, daß sich vor Tausenden von Jahren schon einmal oder mehrmals ereignet haben könnte, was wir aus den archäologischen Zeugnissen im Fruchtbaren Halbmond erforschen konnten – das Entstehen und Vergehen von menschlichen Kulturentwicklungen.

Die Alte Überlieferung, deren Fragmente im Bibeltext zu erkennen sind, zieht diese zeitlichen Grenzen nicht. Selbst aus den Übersetzungstexten der Auslegungstradition lassen sich in der Beschreibung der Urgeschichte keine Zeitangaben erkennen, wenn man von den in der Spätzeit eingefügten naiven Daten der Lebensalter und Geschlechterfolgen absieht.

Zumindest an einer wichtigen Zahl werde ich zeigen können, daß ein Zeitbegriff aus einer anderen alten mesopotamischen Kultur von den Textredakteuren der Spätzeit mißverstanden worden ist und dadurch zu irreführenden Deutungen und Vermutungen geführt hat. Als einfache Jahreszahl gedeutet, entstellt diese Angabe die ursprüngliche Beschreibung des Geschichtsablaufes zu einer primitiven, unglaubwürdigen Fabel.

Da sich die meisten Unstimmigkeiten in den Bibeltexten auch aus den lateinischen und griechischen Übersetzungen nicht klären lassen, habe ich vor langer Zeit begonnen, das hebräische Alphabet zu erlernen und mit Hilfe von Wörterbüchern einigen Wortbedeutungen im überlieferten hebräischen Text nachzuspüren.

Was sich schon bei gründlichem Lesen der Übersetzungen angedeutet hat, wird im hebräischen Text unübersehbar. Viele als biblisch geltende Legenden stehen so nicht in der Schriftensammlung. Die meisten sind über den Wortlaut weit hinausgehende Interpretationen der Auslegungstradition.

So kommt zum Beispiel der Begriff der Erbsünde in den fünf Büchern Mose nicht vor. Sie enthalten auch keine Andeutung, daß unsere angeblichen Ureltern Adam und Eva im Paradies vom Teufel oder Satan verführt worden sind.

Das Wort, das in der »Paradieserzählung« mit Schlange übersetzt worden ist, heißt im hebräischen Text n-ch-sch. Im klassischen, seit vielen Jahrzehnten unbestritten anerkannten Handwörterbuch nach Wilhelm Gesenius wird dieses Konsonantenwort achtmal in unveränderter Schreibweise als eigenständiges Wort mit mehr als zehn verschiedenen Bedeutungen3 aufgeführt, von denen einige erst aus den interpretierenden Schriften der Spätzeit in den Sprachgebrauch übernommen worden sind.

In späteren Jahrhunderten mußten auch diese Deutungen interpretiert werden, weil Zeitgeist und Sprachgebrauch sich unter fremden Einflüssen geändert hatten und auch die alten Interpretationen nicht mehr eindeutig zu verstehen waren. Es wurde dadurch notwendig, vielen Konsonantenwörtern in verschiedenen Texten sehr unterschiedliche Begriffe zuzuordnen, um zu Inhalten zu kommen, die der angestrebten Auslegung der hebräischen Texte entsprachen.

Ich begann meine Versuche damit, die Bedeutungen, die in der Auslegungstradition den hebräischen Schlüsselwörtern in verschiedenen Textabschnitten gegeben worden sind, untereinander auszutauschen. Das Ergebnis war verblüffend, denn es wurde deutlich, daß die Auffassung nicht haltbar ist, der Verschiedenheit der zahlreichen Gottesnamen im hebräischen Text komme keine besondere Bedeutung zu, sie sei durch Quellenunterschiede zu erklären oder nur aus dem poetischen Empfinden der Autoren entstanden.

In den Übersetzungstexten ist nicht mehr zu erkennen, wie viele verschiedene Gottesbezeichnungen der ursprüngliche Text enthält, denn sie sind alle auf die Universalbezeichnungen »Gott«, »Herr« und »Gott der Herr« mit verschiedenen Zusätzen reduziert worden, um damit den Gedanken der Auslegungstradition durchzusetzen, in allen Götternamen wirke nur der Wille eines einzigen, allmächtigen, allwissenden, männlichen Gottes, der Himmel und Erde erschaffen hat.

Den Texten der Auslegungstradition ist nicht selten sehr widersprüchliches Verhalten dieses Gottes zu entnehmen. Die meisten daraus entstehenden Fragen konnten auch von den Experten der Auslegungstradition nur mit der Unergründlichkeit der göttlichen Ratschlüsse zurückgewiesen, aber nie beantwortet werden. Auch für die Phrase »Gott sagte, so spricht der Herr« gibt es im Konzept der Auslegungstradition keine vernünftige Erklärung.

Sucht man aber ohne die geistige Einengung vorgeprägter Deutungen in der unbelasteten Wortbedeutung der Gottesbezeichnungen nach einem Inhalt, den die alten Autoren ursprünglich vielleicht vermitteln wollten, dann werden manche bis dahin einfältig erscheinende Beschreibungen zu sinnvollen und oft wegweisenden Berichten.

Mit der Hilfe eines besorgten, tief gläubigen jüdischen Lehrers begann ich, die Bedeutungsvielfalt der hebräischen Begriffe zu erkunden. Die Frage, ob die aus dem Mittelalter stammende Vokalisierung der hebräischen Konsonantenwörter den ursprünglich gemeinten Sinn wiedergibt, war nicht neu für ihn. Sie wurde, wie dem Talmud zu entnehmen ist, schon vor über 2000 Jahren erörtert.4

Ich verdanke dem alten Lehrer sehr viel, vor allem, daß er mich die in diesem Glauben mögliche Toleranz erfahren ließ. Denn obwohl es für den orthodoxen Juden ein schlimmes Vergehen ist, sich eigene Deutungen des Textes der Thora zu suchen, hat er alle meine Fragen geduldig und aufrichtig beantwortet.

In der profanen Forschung wird die hebräische Sprache als ein Zweig der kanaanäi-schen Gruppe semitischer Sprachen angesehen. Es herrscht die Meinung vor, daß die Israeliten die Sprache übernommen haben, als sie in das später Israel genannte Land einwanderten.5 Trifft dies zu, so liegen die Wurzeln der Tradition des Volkes, das die biblische Überlieferung bewahrt hat, in einem anderen Sprachbereich. Alle möglicherweise bereits vor der Einwanderung in das spätere Siedlungsgebiet Israel existierenden Legenden und Erinnerungen müßten dann zunächst in einer anderen Sprache überliefert und erst später in die althebräische Sprache übertragen worden sein. Das würde erklären, wieso die Etymologie manch wichtiger Wörter und deren ursprüngliche Bedeutung nicht mehr erkennbar sind.

Es galt zwar – und gilt in den orthodoxen Zentren der Religionen immer noch – als Glaubensgrundsatz, daß der Prophet Mose etwa im zwölften Jahrhundert v. Chr. auf dem Berg Sinai die Gesetze von Gott empfangen hat, aber schon vor 2000 Jahren wußte man, daß es eine fortwährende, ununterbrochene Überlieferung der Schriften nicht gegeben hat. Im Talmud wird von wiederholten Offenbarungen der Thora berichtet.6

In der Textforschung hat man die Frage, ob es in den vier vermuteten Quellen, aus denen die Texte zusammengesetzt sein sollen, auch Spuren einer viel älteren, auf eine noch unbekannte Kultur zurückgehende Überlieferung geben könnte, bisher noch nicht gestellt. Dies aber wohl nur, weil es nach dem vorherrschenden Geschichtsbild frühere Kulturen als die des Fruchtbaren Halbmondes nicht gegeben haben kann. In den Überlegungen der Textforscher taucht nicht selten der Gedanke auf, es könne in den ältesten Texten der Urgeschichte auch eine außerisraelitische Quelle verarbeitet worden sein.7

Die Stämme des Volkes Israel sind, so nimmt man an, im 13. oder zwölften vorchristlichen Jahrhundert unter der Führung des Propheten Josua in das Land Kanaan eingewandert. Zwischen diesem Ereignis und der Niederschrift der ersten, im Mittelalter für die Auslegung maßgebenden Übersetzungen vergingen acht bis zehn Jahrhunderte, in denen die Sprache sich unter fremden Einflüssen wandelte und die Erinnerung der Menschen an Berichte über Ereignisse in vergangenen Zeiten verblaßte. Aus den Schriften erfahren wir zum Beispiel, daß in der Tradition der Überlieferung der Jahresanfang vor Zeiten anders berechnet worden ist und die Menschen nach einem Kalender mit anderen Monatsnamen lebten. Nur vier davon sind durch Nennung in den Schriften noch erhalten. Die anderen sind vergessen.8 Die Textautoren beziehen sich mehrmals auf Bücher, die zu ihrer Zeit offensichtlich zu den Schriften der Überlieferung gezählt haben.9 Sie waren vor zweieinhalbtausend Jahren, als der Bibelkanon zusammengestellt wurde, nicht mehr bekannt. Niemand weiß, was sie enthielten und wann sie verloren wurden.

In den letzten Jahrhunderten vor der christlichen Zeitrechnung war das Hebräische bereits eine tote Sprache, die nur noch von den Gelehrten als heilige Sprache des Gottesdienstes tradiert wurde.10 Das Volk sprach aramäisch, in vielen Gemeinden verständigte man sich überhaupt nur noch griechisch. Vermutlich zu Ende des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeit wurden die Bibeltexte ins Griechische übertragen.11 Es entstand die Septuaginta, die in späteren Jahrhunderten maßgebende Autorität für die Deutung der Bibeltexte geworden ist, da sowohl das gebildete Judentum wie auch die paulinisch-christlichen Urgemeinden vorwiegend griechisch sprachen. Später wurden die Fehldeutungen der Septuaginta12 zu geistigen »Wegweisern«, als im Mittelalter versucht wurde, die ursprüngliche Bedeutung hebräischer Konsonantenwörter zu ergründen. Viele Vokalisierungen, die über den Wortsinn entscheiden, müssen als Kompromisse im Streit der Gelehrten angesehen werden.13

Das Bemühen der Frommen war es zu allen Zeiten, die ursprüngliche Wortbedeutung zu finden, um damit nach dem offenbarten Willen Gottes zu forschen. Andererseits wurde aber auch versucht, durch Deutung eines Bibelverses Bestätigung für eigene Theorien des Glaubens oder der Politik zu schaffen. Manche der ältesten Texte wurden so übersetzt und umgedeutet, daß viel später erdachte Lehrsätze der Religionen durch sie gestützt werden konnten.

Erst in einer um 200 v. Chr. in griechischer Sprache verfaßten Schrift, dem Buch Jesus Sirach, kommt eine Andeutung vor, daß die Frau die Erbsünde verursacht hat, die seither auf allen Menschen lastet:

Die Sünde kommt her von einem Weibe, und um ihretwillen müssen wir alle sterben.14

In den Textausgaben der Auslegungstradition wird von diesem Vers auf Genesis 3.6 verwiesen. Dort steht:

und (das Weib) nahm von der Frucht, und aß, und gab ihrem Mann auch davon; und er aß.

Erst aus der Verbindung der beiden Verse wurde die fadenscheinige Deutung möglich, die Frau sei im Garten Eden der Verführung des Teufels erlegen und habe dadurch alles Leben mit der Erbsünde belastet, derentwegen alle von Gott zunächst unsterblich erschaffenen Lebewesen sterblich wurden. Ein mindestens 1000 Jahre jüngerer Text bestimmte über die Deutung der alten ehrwürdigen Überlieferung. Und diese Denkkonstruktion war kein Einzelfall.15

Nach solchen Interpretationen, die man im Verlauf der Jahrhunderte in den Text hineingedacht hat, wurden dann oft die verschiedenen Bedeutungen der hebräischen Konsonantenwörter bestimmt. So kommt es, daß viele der alten Begriffe in den verschiedenen Texten mit einer erheblichen Anzahl weit voneinander abweichender Begriffe übersetzt werden müssen. Aus dieser mit Hilfe der aramäischen, griechischen und lateinischen Interpretationen erreichten Rekonstruktion der althebräischen Wortbedeutungen ist seit dem Mittelalter die neuhebräische Sprache entstanden, die heute im Staat Israel gesprochen wird. Sie bietet durch den Gebrauch der überlieferten Schrift und Wörter Zugang zu fließendem Lesen der alten Texte, aber es geschieht mit den Wortbedeutungen der nachplatonisch-mittelalterlichen Rekonstruktion. Niemand kann mit wissenschaftlichem Ernst behaupten, es wären dies der Sprachklang und die Wortinhalte der vor 3000 Jahren geschriebenen und gesprochenen althebräischen Sprache. Zu viele Rätsel, die von der alten Sprache immer noch aufgegeben werden, sind bisher nicht ergründet worden.16

Wenn Menschen, die meine Deutungsvorschläge ablehnen, mit ihrer Argumentation nicht überzeugen können, retten sie sich zuletzt in den Vorwurf, daß ich das Hebräische nicht in einem ordnungsgemäßen Studiengang mit Diplomabschluß erlernt habe. Davon abgesehen, daß ein Diplom es mir vielleicht leichter machen würde, auf die Oberflächlichkeiten mancher Gegner zu erwidern, glaube ich, daß nur die Unbefangenheit der autodidaktischen Annäherung an die Sprache es mir ermöglicht hat, den verschütteten Inhalt zu erkennen.

In den Schulen hätte ich die neuhebräische Sprache des Staates Israel erlernen können, aber diese ist weit entfernt von Klang und Inhalt der ältesten Sprachschichten. Auf den Universitäten hätte ich die Wortauffassungen und den ermittelten Sinngehalt der Theologie übernommen, ohne nachzufragen. Mit den aus den Lehrsätzen der Religionen entnommenen Wortbedeutungen wäre der weltliche, naturwissenschaftlich bedeutsame Inhalt verborgen geblieben. Ich werde das an einigen Wörtern, die in der von Religionsgesetzen eingegrenzten Auslegungstradition mißverstanden wurden, sehr deutlich zeigen können.

Ohne Einschränkung stimme ich der Mahnung des großen Philosophen Karl Popper zu, daß alles immer nur Hypothese ist. Es wäre unsinnig zu behaupten, anhand einiger Textfragmente ließe sich nach mehr als 3000 Jahren der Inhalt einer uralten Überlieferung lückenlos nachweisen und irrtumsfrei erschließen. Da aber unbestreitbar in den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche Irrtümer aus den Bibeltexten interpretiert worden sind, ist die Frage berechtigt, welche ursprünglichen Inhalte durch diese Irrtümer verdrängt worden sind.

Noch haben wir keine Erklärung dafür, wieso wir die altägyptische Kultur bereits am Beginn des dritten vorchristlichen Jahrtausends mit Schrift und Kunst voll entwickelt sehen17 und es später keine Steigerung mehr gegeben hat, sondern nur langsamen Verfall. Das gilt auch für die noch kaum erforschte, vielleicht auch nicht mehr erforschbare Kultur der Indus-Völker. Auch hier bezeugen die Funde aus den ältesten Schichten eine hochentwickelte Kultur, deren Anfang nicht zu erkennen ist und deren weitere Spuren nur noch auf einen langsamen Verfall bis zur endgültigen Zerstörung durch die Arier am Ende des zweiten Jahrtausends hinweisen.

In den letzten vorchristlichen Jahrhunderten wären die Völker nicht mehr fähig gewesen, die großen Pyramiden von Gizeh nachzubauen. Auch die Menschen im Indus-Gebiet bauten in dieser Zeit keine Städte mehr mit Kanalisation, Beheizung und Lüftung. Sie wußten nichts mehr von den Kenntnissen und Bräuchen ihrer Vorfahren vor 2000 Jahren. Ich vermute, daß auch die Bewahrer der biblischen Tradition in der Verfallszeit des Altertums nichts mehr wußten von den Kenntnissen, die ihre Völker vor Jahrtausenden besessen hatten. Es war ihnen daher nicht möglich, die Inhalte uralter Texte richtig zu erfassen, weil ihnen die dazu notwendigen Voraussetzungen fehlten. Sie konnten sie nur in ihr eng begrenztes Weltbild einordnen und mit dem Wissen ihrer Zeit deuten. Das führte zur Projektion historischer Begebenheiten, die sich in ferner Vergangenheit ereignet hatten, in die Umwelt ihrer Gegenwart und zu ihrer Verknüpfung mit den Geschehnissen der eigenen Stammesgeschichten.

Außer einigen Fundamentalisten nimmt heute niemand mehr an, bei den Schriften der Bibel handele es sich um ein einheitliches Werk. Bibelwissenschaftler aller Religionen gehen davon aus, daß die Schriften aus verschiedenen Zeiten und verschiedenen Quellen stammen. Mein Vorschlag ist es, den bisher angenommenen Quellen eine neue, noch nicht beachtete hinzuzufügen und einige Gedanken der Quellentheorie18 zu ergänzen und zu korrigieren. So zum Beispiel die Annahme, daß das zweite Kapitel des Buches Genesis aus der Quelle J (Gottesname Jahweh oder Jehova) stammt und eine primitive Wiederholung der Schöpfungsgeschichte des ersten Kapitels aus der Quelle E (Gottesname Elohim) bringt.

Mit dem von mir vorgeschlagenen, von der Tradition abweichenden Wortverständnis zeigt sich ein sinnvoller Zusammenhang beider Texte. Die Verschiedenheit der Gottesbezeichnungen: Elohim im ersten, Jahweh Elohim im zweiten und Jahweh ab dem dritten Kapitel, hat einen tiefen, erklärenden Sinn, der uns den Zugang zu dem Wissen der Alten Überlieferung öffnet, in der uns eine faszinierende Beschreibung der menschlichen Urgeschichte gegeben wird. Trotz der Einfügungen und Ergänzungen, die in der Spätzeit an den Texten vorgenommen worden sind, ist die Grundlinie der Erzählung erhalten und – wie ich zeigen werde – gut erkennbar.

Es wird niemanden verwundern, daß meine Arbeit von manchen Seiten auch vernichtend kritisiert worden ist. So urteilte die katholische Kathpress in Wien nach Erscheinen meines ersten Buches: »Der Autor meint, den Stein der Weisen gefunden zu haben, durch den das neuzeitliche naturwissenschaftliche Weltbild gegen die gesamte christliche und jüdische Auslegungstradition schon im Wortlaut der Bibel entdeckt werden kann … Die Übersetzungen hebräischer Worte sind geradezu grotesk und beweisen, daß der Autor vom Wesen und der lebendigen Tradition der hebräischen Sprache nicht die allergeringste Ahnung hat. Das Buch ist ein eklatantes Beispiel von Unkenntnis und Anmaßung. Man kann sich nur fragen, welche der beiden Eigenschaften überwiegt.«19

Ich kann den Zorn des Kritikers verstehen, denn die Wurzeln seiner geistigen Tradition reichen in eine Zeit zurück, in der gelehrt wurde und geglaubt werden mußte, daß die Texte der Bibel und ihrer Übersetzungen unter der unmittelbaren Aufsicht Gottes entstanden sind.20

In dieser Tradition war man bis nahe an unsere Zeit dazu verpflichtet, den von den irdischen Stellvertretern Gottes aus den Texten gedeuteten Inhalt als unantastbare göttliche Wahrheit anzusehen.21

Ich nehme zugunsten meines Kritikers an, daß er nichts von dem Gespräch wußte, das ein Wiener Theologe und praktizierender Priester wenige Monate vorher mit einigen Mitarbeitern des Kritikers geführt hat. In einem danach verfaßten Gutachten schreibt er darüber: »… Zu diesem Urteil glaube ich mich berechtigt, da (die Herren) … mit Interesse meinen Inhaltsangaben von diesem Buch lauschten und durch Fragen immer wieder neue Details erfahren wollten. Wissenschaftlich ist es allerdings nicht, auch wenn sie zugeben mußten, daß die philologischen Begründungen für manche Auslegung durchaus haltbar sind. Ich selber habe das Buch mit Interesse gelesen und z. B. die Auslegung von Kain und Habel im Zusammenhang mit der Stelle im N.T., in der Jesus sich als guten Hirten bezeichnet, in einer Predigt verwendet und wurde unmittelbar darauf gefragt, wo ich diese interessante Auslegung her hätte.«22

Noch ermutigender war eine Beurteilung, die ich über den Stuttgarter Verlag erhielt: »Die hebr. Sprache steckt noch immer voller Rätsel. Das Althebräische stellt keinen einheitlichen semitischen Dialekt dar, sondern enthält Elemente aus zahlreichen semitischen Dialekten, besonders aramäischen. Dies alles hat der in Berlin wohnhafte Wiener Autor Paul Hengge sehr wohl bedacht, wenn er versucht, mehr Licht in das Dunkel zu bringen. Sein Werk ›Die Bibelkorrektur‹ setzt eine große Kenntnis der hebräischen Sprache und viel Einfühlungsvermögen voraus. Beides besitzt der Autor in hohem Maße. Er ist neue und vielfach originelle Wege gegangen und zu anderen Erkenntnissen als die Tradition gelangt …«23

Zu den mysteriösen Ereignissen, von denen diese erste Buchveröffentlichung begleitet war, gehörte es, daß ich diesen mir wohlwollenden Kritiker nie ausfindig machen konnte. Der Verlag erklärte mir, ihn nicht zu kennen. Er hatte dem Verlag seine Beurteilung angeblich unaufgefordert zugeschickt. Mit dem Gutachten habe ich aber, wohl durch die Unachtsamkeit einer Sekretärin, auch die Fotokopie des Begleitbriefes erhalten, in dem sich der Professor aus seinem Urlaubsort in Frankreich beim Verlag für die Zusendung des Buches von Paul Hengge bedankte. Leider enthielt der Brief nur eine ungenaue Urlaubsadresse, die richtige konnte ich nicht mehr ermitteln.

Da ich die von mir vorgeschlagenen Wortbedeutungen für die hebräischen Konsonantenfolgen nicht erfunden, sondern einem seit langem von allen anerkannten Handwörterbuch entnommen habe, sind sie anhand der Anmerkungen leicht nachprüfbar.

In der von mir vorgeschlagenen Wortauffassung führen uns die hebräischen Konsonantenwörter zu einem Wissen, das der Prüfung des modernen Denkens standhält und, nach meiner Meinung, unserer Weltkenntnis auch einige Vorstellungen hinzufügt, die uns bei der Suche nach Wegen in die Zukunft hilfreich sein können.

Daß Theologen wegen ihrer unauflösbaren Bindung an alte Lehrsätze aus der Tradition meine Vorschläge ablehnen werden, mußte ich erwarten. Manche ihrer Erwiderungen waren parteiisch, unobjektiv und deshalb unergiebig, andere waren es wert, sich damit auseinanderzusetzen. Die originellste, aber sehr rätselhafte Ablehnung erfuhr ich von einem amerikanischen Theologen. Nach einer vernichtenden Beurteilung meiner Deutungen der hebräischen Konsonantenwörter kam er zu dem Schluß: »Ich lehne nicht die Thesen von Hengge ab, sondern wie er dazu gekommen ist …«24

Wieso kann eine Methode falsch sein, wenn sie zu einem richtigen Ergebnis führt? Und wieso soll eine andere Methode richtig und wissenschaftlich sein, mit der Deutungen konserviert werden, die inzwischen längst als widersinnig und falsch erkannt worden sind?

Niemand von uns darf behaupten, die Sprache zu kennen – und womöglich besser zu beherrschen als andere –, die vor mindestens 3000 Jahren gesprochen und geschrieben wurde. Was heute als althebräische Sprache gelehrt wird, ist eine Rekonstruktion auf der Grundlage von rund 8000 Wörtern. Sie stehen in Schriften, die selbst aus dem Versuch entstanden sind, verlorene Dokumente viel älterer Überlieferungen zu rekonstruieren. Wer es als vermessen bezeichnet, in verehrten und bewunderten alten Texten nach dem ursprünglichen Inhalt zu suchen, nachdem sich erwiesen hat, daß die Deutungen, die uns gegeben worden sind, voller Fehler stecken, sollte zumindest nicht behaupten, er verteidige die »falschen Bilder« aus Ehrfurcht vor dem Geist. Wenn wir schon eine Mitwirkung des Heiligen Geistes bei der Entstehung der Überlieferung für möglich halten, dann sollten wir ihn nicht beleidigen, indem wir ihm unterstellen, uns wertlosen Unsinn übermittelt zu haben. Es ist keineswegs ein Zeichen von objektiver Wissenschaftlichkeit, sich auf die Inspirationen von Autoren und Übersetzern zu berufen, um weiterhin an einer Textauslegung festhalten zu können, von der wir wissen, daß sie falsch ist. Die Frau ist nicht aus einer Rippe des Mannes gebaut worden. Das wissen wir inzwischen. Statt aber nun die bisherigen Forschungsergebnisse, die auf den falschen Deutungen beruhen, in Frage zu stellen, muß erneut mystifiziert werden, um den Einsturz eines wankenden Auslegungsge-füges hinauszuzögern. Es ist kein Ausweg, darüber zu philosophieren, ob der »inspirierte« Schriftsteller dahinter vielleicht einen von uns noch nicht enträtselten Symbolgehalt versteckt hat. Wir müssen uns fragen, ob wir bisher die alten Wörter richtig interpretiert haben. Nach meiner Überzeugung haben wir das nicht getan.

Ich habe zu fast allen meinen von der herkömmlichen Auslegung abweichenden Textdeutungen nur solche Wortübertragungen verwendet, die auch in der Auslegungstradition anerkannt sind und den gleichen, nur aus Konsonanten bestehenden hebräischen Wörtern in anderen Bibelsätzen gegeben werden. In wenigen Fällen ließ sich für einige Wörter, die auch in der Auslegungstradition noch immer als rätselhaft gelten, aus einer der anderen alten Sprachen eine einleuchtende Deutung finden.

Die meisten meiner Fragen sind auch von anderen schon gestellt worden. Darauf werde ich in den Anmerkungen gelegentlich hinweisen. Der Unterschied in den Antworten ist wahrscheinlich mit den tabuisierten Auslegungsgrenzen der Religionen zu erklären, die ein Abweichen von den Denkvorschriften der Tradition für die Wissenschaft nicht zulassen. Mein Vorteil war es, daß ich diese Vorschriften, die den hebräischen Wörtern für jeden Satz eine bestimmte, für die Auslegungstradition notwendige Bedeutung vorschreiben, nicht beachten mußte.

So konnte ich aus den Wurzeln der Konsonantensilben nach ihrem möglichen Inhalt suchen, ohne von den Konventionen abgelenkt zu sein, die aus der Lehre entstanden sind, Gott selbst habe durch den Heiligen Geist den Bibelautoren die Erkenntnis diktiert, daß die Frau aus einer Rippe des Mannes gemacht worden ist – eine Deutung, die heute auch von den Religionsgemeinschaften als kaum mehr annehmbar angesehen wird. Das folgende Eingeständnis beweist es: »Warum der Hagiograph zur Schilderung der Erschaffung der Frau das Bild einer ›Rippe‹ wählte, können wir nicht klar beantworten. Vielleicht steckt ein uns noch unbekannter Symbolgehalt dahinter …«25

Dieses Bild, das jahrhundertelang als göttliche Wahrheit angebetet werden mußte, steht so nicht im Text, deshalb mögen mir die Männer verzeihen, die aus dieser Deutung einen Herrschaftsanspruch über die Frauen abgeleitet haben. Sie werden nach anderen Argumenten suchen müssen. Auch alle Frauen, die ihr weibliches Selbstvertrauen aus der Legende bezogen haben, die uns weismacht, Urmutter Eva hätte dereinst im Paradies den Geschlechtsakt erfunden und erst durch diese »Sünde« Krankheit und Tod in die Welt gebracht, muß ich um Milde bitten. Sie werden erkennen müssen, daß sie seit zweieinhalb Jahrtausenden mit falschem Ruhm geschmückt worden sind. Der hebräische Wortlaut des Schöpfungsberichtes erlaubt es, dem biblischen Text einen ganz anderen Inhalt zu entnehmen, der den Frauen Eigenständigkeit und hohes Ansehen zuschreibt, viel höheren Wert somit, als ihnen die traditionelle Auslegung unter dem Einfluß griechischer Philosophen gegeben hat.

Ihr sollt euch keine Bilder machen

II

Ex. 20.4

Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist.

Wer auch im 20. Jahrhundert noch glaubt, es ehre den Schöpfer der Welten, so auszusehen und zu sein wie ein weißhäutiger Mann, der wird meinen, ich müsse den biblischen Gott um Vergebung bitten, denn ich behaupte, in der ursprünglichen hebräischen Überlieferung des Schöpfungsberichtes steht nichts davon, daß der Schöpfer des Universums dem Menschen ähnlich ist.

Dem göttlichen Urteil zu dieser Frage sehe ich mit Zuversicht entgegen. Zu meiner Rechtfertigung werde ich mich nicht nur auf auch in Übersetzungen der Auslegungstradition immer wieder verwendete Bedeutungen hebräischer Wörter berufen können, sondern vor allem auf das erste der Zehn Gebote, die Gott selbst dem Propheten Mose diktiert haben soll. Es lehrt und gebietet: Ihr sollt euch keine Bilder machen. Ein Bild ist die Nachbildung dessen, was wir in der Realität oder in unserer Phantasie sehen. Um ein Bild zu machen, müssen wir vorher eine Vorstellung entwickelt haben.

Die Phrase »Nun sprach Gott: Laßt uns den Menschen machen, nach unserem Bilde, uns ähnlich…«26 erweckt eine Vorstellung, ein Bild, das wohl nicht »gegossen oder gemalt« ist, aber im Wort so übermittelt wird, daß es bildliche Formen in der Phantasie der Menschen hervorruft.

Die textauslegenden Schriftgelehrten vergangener Jahrhunderte haben geglaubt, das Gebot zu befolgen, indem sie Bilder und Statuen verboten, aber eine Gottesvorstellung zuließen, die den Menschen allzusehr schmeichelte. Sie haben gelehrt, das Gebot verbiete die Darstellung und Anbetung der Götzen, der Statuen und Bilder von falschen Göttern. Die Gelehrten des Abendlandes hatten ihre Vorstellungen in den Text der biblischen Schöpfungsgeschichte hineingedacht und danach das Gebot gegen die »falschen Bilder« zu ihrem Vorteil gedeutet. Das Gebot sollte ursprünglich aber wohl vor allem falsche Vorstellungen verhindern. In dieser Auffassung ist der bilderverbietende Gedanke eine Empfehlung, die auch und gerade in einer Zeit Gültigkeit haben muß, in der naturwissenschaftlich geschulte Menschen mit der Skepsis des logischen Denkens die Unendlichkeit des Universums zu ergründen versuchen.

Dem Menschen wird mit dem ersten der Zehn Gebote empfohlen, sich von dem, was er nicht ganz begreifen, nicht umfassend erkennen und verstehen kann, keine Vorstellungen zu machen, denn sie bleiben unvollkommen, und alle daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen können falsch sein.

Auch in dieser Auffassung besteht die Gefahr eines Irrtums, denn man könnte versucht sein, aus dem Gebot, auch keine geistigen Bilder zu entwickeln, zugleich einen Bannspruch gegen die Phantasie und das Suchen nach neuen Grenzen und Formen zu deuten. Die falsche Vorstellung allein kann keinen Schaden anrichten. Jeder Irrtum ist korrigierbar und bleibt unschädlich, solange er nicht zur unfehlbaren Wahrheit erklärt, nicht angebetet, nicht zum Leitmaß der Handlungen erhoben und in Dogmen gefaßt wird, denen andere widerspruchslos zu dienen haben.

In der bisher bekannt gewordenen Menschheitsgeschichte ist keine irrtumsfreie Religion, Ideologie oder Gesellschaftsordnung zu erkennen. Dagegen sehen wir eine nicht endende Kette fanatischer Zerstörung und grausamer Unterdrückung, stets verübt im Namen unvollkommener, von den Mächtigen ihrer Zeit aber zu unfehlbarer Wahrheit erhobenen Bildern.

Die abgeschlagenen Köpfe antiker Statuen lassen den Fanatismus der mittelalterlichen Glaubenseiferer erkennen, die meinten, ihrem Gott zu dienen, wenn sie alle Bilder zerstörten. Die auf den Scheiterhaufen verkohlten Gebeine von Millionen Menschen beweisen, daß die Schriftgelehrten des Mittelalters ihren Vorstellungen grausame Opfer bringen ließen. Diese Grausamkeiten wären vielleicht nicht geschehen, wenn das bilderverbietende Gebot richtig verstanden und angewendet worden wäre, denn es heißt auch: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.27

Bis nahe an unsere Zeit wurden im christlichen Abendland alle Fragen über die Gestalt der Welt, die Herkunft der Menschen und deren Bestimmung mit den »Bildern« beantwortet, die man sich aus dem Wortlaut der Bibeltexte gedeutet hatte. Die Erde sei eine flache Scheibe, wurde gesagt, umgeben vom Weltozean. Darunter lodern die ewigen Feuer der Hölle. Über der Erde ist das von Gott gebaute Gewölbe des Himmels, an dem Sonne, Mond und Sterne angebracht sind. Der erste Mensch war Adam, ein Mann, den Gott nach seinem Ebenbild erschaffen hatte. Er war vollkommen, ohne Fehler und unsterblich. Weil Adam einsam war, schuf Gott aus einer seiner Rippen die Frau: Eva. Durch deren Schwäche wurde Adam dann bald zur Sünde verleitet. Als Strafe dafür verloren die Menschen die gottgleiche Unsterblichkeit und wurden aus dem Paradies verbannt.

Diese Weltvorstellung enthielt, nach Meinung der mittelalterlichen Geister, die höchste Weisheit. Alle anderen »Bilder« wurden zu falschen, verderblichen Erfindungen einfältiger oder bösartiger Gehirne erklärt.

Es dauerte lange, bis die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sich gegen das Weltbild dieser Bibelauslegung durchsetzen konnten. Als den wissenschaftlichen Beweisen nicht mehr auszuweichen war, wurde der Bibeltext geprüft. Man erkannte, daß im Schöpfungsbericht des Alten Testamentes die Erde gar nicht als flache Scheibe beschrieben wird. Nicht in dem als göttliche Offenbarung verehrten Text sei der Irrtum enthalten gewesen, wurde nun erklärt, sondern die textauslegenden Gelehrten hatten in menschlicher Fehlbarkeit den Inhalt mißverstanden und falsch ausgelegt.

Es war leider nicht der einzige Irrtum, den die Auslegung dem Wortlaut aufgezwungen hatte. In unserer Zeit würde sich auch das kranke Gehirn eines verbohrten Rassenfanatikers nicht mehr zu der Frage verirren, ob Indianer Menschen seien. Eben diese Frage wurde aber in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts von den Gelehrten des christlichen Abendlandes heftig diskutiert.28 Die rothäutigen Bewohner der von Christoph Columbus im Jahre 1492 entdeckten »Neuen Welt« kamen in der Bibel nämlich nicht vor. Um den Streit zu beenden, mußte Papst Julius II. im Jahre 1512 durch eine öffentliche Erklärung verkünden lassen, daß auch die Indianer echte Kinder von Adam und Eva und somit Menschen wären.29 Wieder wurde der Irrtum mit der Fehlerhaftigkeit der Menschen erklärt.

Da die »Rothäute« zu Menschen erklärt worden waren, galt es dann, ihre Seelen zu retten. Mit den goldsuchenden Eroberern zogen die christlichen Missionare in die Neue Welt. Sie waren überzeugt, den wahren Glauben und das einzig richtige Bild von Himmel und Erde zu verkünden. Alle »falschen Bilder« wurden zur Ehre des wahren Gottes zerstört, so gründlich, daß man in den späteren Jahrhunderten behaupten konnte, auf dem amerikanischen Kontinent habe es vor der abendländischen Missionierung weder Schrift noch Kultur gegeben.

Nachdem die mittelalterlichen Mönche die Indianer von ihrem »teuflischen Aberglauben« befreit hatten, verkündeten sie aus ihren griechischen und lateinischen Bibeltexten das »wahre Bild«: Himmel und Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen waren von Gott 3761 (oder 4004) Jahre vor Christi Geburt30 innerhalb von sechs Tagen erschaffen worden. Am siebenten Tag ruhte Gott. Der erste Mensch war ein Mann. Gott erschuf ihn aus Erde31 und nach seinem Ebenbild. Mit seinem lebendigen Atem blies Gott dem Mann die Seele in die Nase. Später entnahm Er dem Mann eine Rippe und baute daraus die erste Frau. Sie erhielt den lebendigen Atem Gottes nicht. Von der göttlichen Seele ist deshalb nur so viel in ihr, wie in der Rippe des Mannes enthalten war, denn die Frau ist nur die Gehilfin des Mannes.

Aus einem Text, in dessen wichtigstem Inhalt geboten wird, keine Bilder zu machen, keine falschen Vorstellungen zu entwickeln, war ein Weltbild geformt worden, das, wie wir heute wissen, grundlegend falsch ist. Davon abweichende richtige Vorstellungen wurden zerstört und verboten.

Auf den polynesischen Inseln im Pazifik begegneten die abendländischen Missionare der »abscheulichen« Vorstellung, im Anfang habe der tiergleiche Mensch zwischen Natur und Kultur dahingedämmert und seine Nahrung roh zu sich genommen.32 Die Urbewohner von Hawaii hatten geglaubt, die frühen Menschen seien auf allen vieren gekrochen wie die Tiere.33 Mit mehr oder weniger liebevoller Mühe wurden diese »Irrbilder« aus der Phantasie der scheinbar primitiven Gehirne vertrieben und durch das »einzig wahre«, aus den Bibeltexten geformte Bild von der Herkunft des Menschen ersetzt.

Als man im Abendland erkannte, daß die verbotenen Legenden der anderen der Wahrheit zuweilen näher gekommen waren als die christliche Weisheit, hatten die »wissenschaftlich« belehrten Völker in den eroberten Ländern ihre Erinnerungen schon fast ganz verloren. Wäre die Warnung des Gebotes von den Mönchen nicht nur auf die fremden, sondern auch auf die eigenen Vorstellungen bezogen worden, der Menschheit wären unersetzbare Werte erhalten und den Völkern wäre unsägliches Elend erspart geblieben.

Aus dem Zusammenhang der traditionellen Textdeutung gelöst, ist das Bildergebot eine für alle Zeiten gültige, weise Warnung vor Indolenz, Vorurteil und Hochmut. Wer dem Geist dieses Gebotes folgen will, kann nicht zugleich den Unsinn glauben, daß Adam, der erste Mensch, ein Ebenbild der Schöpfungskraft der Welten gewesen sein soll, und noch weniger, daß wir alle dem Urvater und damit auch Gott gleich sind.

<a>dam ist eines der uralten hebräischen Wörter, deren Herkunft und ursprüngliche Bedeutung nicht mehr bekannt sind.34 Es besteht jedoch kein Zweifel mehr daran, daß dieses Wort im Schöpfungsbericht nicht als Name einer männlichen Person steht, sondern die Bezeichnung für die Gesamtheit der Menschen ist, die nach den Tieren entstanden sind.35

Die Legende, es hätte im Anfang einen männlichen Einzelmenschen mit Namen Adam gegeben, ist dem hebräischen Wortlaut nicht zu entnehmen. Schon deshalb kann die in der Auslegungstradition entwickelte Fabel von der Erschaffung des Weibes aus einer Rippe des Mannes nicht den ursprünglich in den Wörtern enthaltenen Sinn wiedergeben.

Da es nach dem Weltbild der ältesten Bibelautoren im Anfang nicht nur einen, sondern mehrere oder viele Adams gegeben hat, muß man nicht nur nach dem ursprünglichen Inhalt der Sätze suchen, die später als »Rippengeschichte« gedeutet wurden, sondern auch die Erklärung eines anderen Bibelverses in Frage stellen, nach dem gelehrt wurde, der einzelne Adam sei kurz vor der Entnahme einer seiner Rippen von Gott mit dessen eigenen Händen aus »Staub von der Erde« gebaut worden.36 Beide Ereignisse sind im zweiten Kapitel des Buches Genesis beschrieben, das die wissenschaftliche Textkritik seit dem vorigen Jahrhundert als eine aus einer anderen Quelle kommende primitive Wiederholung der Schöpfungsgeschichte ansieht. Begründet wird diese Auffassung aus der Tatsache, daß die Menschen schon im ersten Kapitel erschaffen werden: »Und Gott erschuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie, einen Mann und eine Frau37

Außerdem verwendeten die Autoren im ersten Kapitel die Gottesbezeichnung elohim, im zweiten steht dagegen jhwh elohim.

Diese »Erklärungen« waren durch die Quellentheorie möglich geworden. Sie gab den Exegeten die Möglichkeit, zwei Texte, die als verschiedene Beschreibungen der Menschenentstehung gedeutet worden waren, in einen sinnvoll erscheinenden Zusammenhang zu bringen.38

Die wissenschaftliche Textkritik sucht nur im Rahmen der von der Auslegungstradition aus dem Text gedeuteten Fabeln nach Erklärungen für die zahlreichen Widersprüchlichkeiten der Texte. Die von der Auslegungstradition geschaffenen geistigen Bilder werden dabei nicht in Frage gestellt, denn die zum Bildergebot überlieferte Mahnung ist in ihrem ursprünglichen Sinngehalt vergessen worden: »Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.«

Es ist unbestreitbar, daß die biblischen Texte aus mehreren Quellen und verschiedenen, weit auseinanderliegenden Epochen stammen. Der Kern der Erzählungen, die in den ersten vier Kapiteln enthalten sind, bringt jedoch einen fortlaufenden, zusammenhängenden und überzeugenden Bericht zur Entstehung und über die Entwicklung der Menschen. Wir erkennen ihn, wenn wir die Erklärungen nicht in phantasievollen Interpretationen suchen, sondern in der Wortfolge. Der Inhalt der Alten Überlieferung überrascht und zeigt uns, daß die Verfasser der alten Texte ein ganz anderes Bild von den Frauen gezeichnet haben, als die Gelehrten später aus ihren Texten interpretierten. Der hebräische Text, aus dem später die »Rippengeschichte« gedeutet worden ist, enthält eigentlich eine faszinierende Schilderung der entscheidenden Erkenntnis, durch die sich unsere tierhaft lebenden Vorfahren zu Menschen zu entwickeln begannen. Diese Entwicklungsstufe ist von der Naturwissenschaft in dieser Einfachheit und Klarheit, wie ich glaube, bisher noch nicht beschrieben worden.

Der Mensch

III

Das Geheimnis der Rippe
(Die Zeugungserkenntnis)

Gen. 2.18

Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.

Länger als zwei Jahrtausende war im biblisch-abendländischen Kulturkreis die Geltung der Frau und ihre soziale Stellung von der Fabel über die »Erschaffung des Weibes« bestimmt, die unter dem Einfluß der Nach- und Neuplatoniker in der Spätzeit des Altertums aus wiedergefundenen, rekonstruierten und übersetzten althebräischen Schriften gedeutet worden ist. Dieses »Bild« wirkt in der kirchlichen Einschätzung der Frauen immer noch nach, obwohl auch die Religionen inzwischen anerkannt haben, daß die Frau nicht aus der Rippe eines Mannes gemacht worden ist, den Gott zuvor mit eigenen Händen aus Erde gebaut hat. Diese aus dem Bibeltext gedeuteten Ereignisse sind im Prozeß der Lebensentwicklung nicht vorgekommen. Aufgrund unserer anatomischen und physiologischen Eigenschaften definieren Zoologen den Menschen als eine von 193 lebenden Affenarten, die sich von anderen Menschenaffen vor allem dadurch unterscheidet, daß sie ein wesentlich größeres Gehirn entwickelt und das schützende Fell verloren hat, also nackt ist.39 Zoologen und Anthropologen wissen allerdings keine Antwort auf die Frage, wodurch unsere Ururvorfahren begonnen haben, sich anders zu entwickeln als die Urvorfahren der heutigen Menschenaffen, mit denen sie bis dahin wesensgleich gewesen sind.

Seit sich die Deutungslegende von Adam und Eva40 als einfältiges Märchen erwiesen hat, denkt niemand mehr daran, für die naturwissenschaftliche Erforschung der menschlichen Frühgeschichte den Text der Bibel zu Rate zu ziehen. Gerade hier aber findet sich eine sehr einleuchtende Beschreibung dieser Wandlung. Sie wird allerdings erst sichtbar, wenn wir das Gedankendickicht der Auslegungstradition, das über dem Text wuchert, beiseite schieben.

Die »Erschaffung des Weibes« steht im zweiten Kapitel des Buches Genesis:

Gen. 2.21

Da ließ Gott der Herr [jhwh elohim] einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief, und er nahm ihm eine seiner Rippen und verschloß die Stelle mit Fleisch. (22) Und Gott der Herr [jhwh elohim] baute ein Weib aus der Rippe, die er vom Manne nahm, und brachte sie zu ihm.

In der Auslegungstradition wurde der »tiefe Schlaf«, in den Gott den Menschen versinken ließ, als ein gütiges Geschenk gedeutet, durch das dem Mann die Schmerzen des Eingriffes erspart wurden.

Das hebräische Wort thardema bezeichnet aber eigentlich das Gegenteil von Schlaf oder Bewußtlosigkeit, denn es beschreibt einen Zustand, für den die griechischen Übersetzer das Wort exstasis41 wählten. Es bezeichnet eine Bewußtseinsform, in der sich der Mensch wohl von der unmittelbaren, materiellen Welt abwendet, aber in hoher Spannung mit allen Sinnen auf ein gedankliches Ziel ausgerichtet ist. In der exstasis erfaßt der Geist Bereiche, die ihm im normalen Alltag verschlossen bleiben. Im Text der fünf Bücher Moses wird thardema nur zweimal gebraucht, in der Geschichte von der Rippe und im 15. Kapitel der Genesis, wenn Avram42 im thardema die Vision vom Schicksal seiner Nachkommen erlebt, denen es bestimmt sein wird, 400 Jahre in fremder Knechtschaft zu leben.43

Die Übersetzung des Wortes als »Tiefschlaf« führt wie ein Irrlicht am eigentlichen Sinn des Gedankens vorbei. Die alten Autoren wollten uns nicht eine schmerzhafte Operation beschreiben, sondern ein visionäres Menschheitserlebnis, in dem unseren Vorfahren ein Zusammenhang bewußt geworden ist, den sie bis dahin im Lebensablauf nicht wahrgenommen hatten.

Für das Wort zl<’>, das in der Auslegungstradition mit »Rippe« übersetzt wird, sind in den Wörterbüchern mehrere Bedeutungen44 angegeben: »sich nach einer Seite neigen« – »hinken« – »gebogen sein« – »geneigt sein«, und, erst davon abgeleitet, »Rippe«, wegen der gebogenen Form. Aus dem Wortstamm zl ist ferner ableitbar: »der Fall« oder »das Hinfallen« sowie »Wesen«, »Schatten« und »Bild«.

In der durch griechisches Denken beeinflußten Welt des verfallenden Altertums, aus deren Geist die Wortbedeutungen der Septuaginta bestimmt wurden, war die Wertschätzung der Frau bereits sehr gering. Die geschlechtliche Beziehung von Mann und Frau galt als schmutzig und verwerflich. Jede Andeutung von Sexualität mußte umschrieben werden. Das zeigen uns viele Beispiele aus dem Talmud, der in diesen Jahrhunderten entstanden ist. Die Vagina wurde darin als »Gesicht«45 bezeichnet. Die männlichen Schamhaare nannte man »der untere Bart«46. Sogar das harmlose physiologische Ereignis, von Martin Luther unbefangen als Furz bezeichnet, durfte im Talmud nicht nach seiner Wesensart benannt werden: »Wer beim Gebete steht und (unten) niest, warte, bis der Geruch verflogen ist, und bete weiter.«47

In den früheren Arbeiten habe ich dazu tendiert, das Wort zl<’> mit der Bedeutung »Fall« zu übersetzen. Wahrscheinlich war es aber ursprünglich in der Bedeutung »gebogen sein« – der Begriff »Rippe« ist davon abgeleitet – als euphemistische Umschreibung eingesetzt worden. Ahnlich gebogen wie die Rippe ist ein anderer männlicher Körperteil, der für die Entstehung der Frauen erheblich wichtiger ist. Im Talmud ist der »Bogen« ein Synonym für das männliche Glied.48 Auch das deutsche Wort »Glied« ist letztlich eine für Menschen in späteren Zeiten vielleicht nur schwer zu deutende Umschreibung.

Man darf schon einen ganz anderen Inhalt vermuten, wenn man statt »er nahm eine seiner Rippen« sagt »er nahm etwas von seinem Bogen«. Die Wahrscheinlichkeit, daß das hebräische Wort ursprünglich den Penis bezeichnen sollte, ergibt sich aus den beiden anderen Begriffen in diesem Vers: »Stätte« und »Fleisch«.

Das hebräische bassar (Fleisch) wird oft für »Leib« oder »Körper« gebraucht.49 Einige der Bedeutungen, die dem Wort »Stätte« in den Übersetzungen der biblischen Texte gegeben werden müssen, machen es noch deutlicher: Das Wort beschreibt auch »das Untere« im Psalm 139 ganz unmißverständlich: die tief verborgene Stelle im Mutterleib.50

Mit Wortbedeutungen, die auch in der Auslegungstradition des Abendlandes den verwendeten hebräischen Konsonantenwörtern gegeben werden, läßt sich in den scheinbar naiven Versen der Rippengeschichte ein ganz anderer Inhalt erkennen: