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Inhalt

I.         GEGEN DAS VORURTEIL

II.        DIE ENTSCHEIDUNG

Joseph aber gedachte Maria zu verlassen

Jaweh hilft

Der „Engel des Herrn“

III.       DAS FREMDE KIND

Verwischte Spuren

Die Weisen und die Hirten

Der Flüchtling

IV.       LEHREN UND LEHRER

Der Geist der Zeit

Die Nasirim

Nazarenus

Der Vater

V.        DER UNBEQUEME VATER

Sie verbrannten die Bücher öffentlich

Die „geistig Armseligen“

Der Sproß aus einem alten Wurzelstock

Der fromme alte Joseph

VI.      ZWEI WELTEN

Zimmermann und Zeltmacher

Nazoräer

Pharisäer

Wort und Geist

VII.    DIE LÄSTIGE FAMILIE

Das verstockte Herz

Maria und Joseph

Widersprüche

Ein verdorrter Feigenbaum

VIII.  DER UNBEQUEME SOHN

Die Suche

Umkehr und Weg

Er ist von Sinnen

Die wunderbaren Wunder

IX.    DIE RABEN

„Lilie ist Zeugnis“

Es wäre gut einen Menschen umzubringen für das Volk

X.      EIN FREMDER MANN

ANHANG

Die Familie des Zimmermannes

Stichwort Joseph (Brockhaus, Meyer)

Zusammenstellung der messianischen Weissagungen im Alten Testament

Stichwort Nazoräer (Lexikon der alten Welt)

Zeittafel

Verwendete Bibelausgaben und alte Texte

Literaturauswahl

Register

I. GEGEN DAS VORURTEIL

In den Weihnachtslegenden wird Joseph von Nazareth nur am Rande erwähnt; ein alter Mann, der zu der Ehre berufen wurde, Nährvater des Kindes Jesus zu sein, das die Jungfrau Maria vom Heiligen Geist empfangen hatte. In den einzigen von den Kirchen als authentisch anerkannten Quellen, den vier Evangelien des Neuen Testamentes der Bibel, wird Joseph im späteren Leben Jesu nicht mehr erwähnt. Wir erfahren nicht, wie er gelebt hat. Niemand weiß, wann, wo und wie er gestorben ist. Auch bei den frömmsten Christen erweckt die Frage nach dem Grab des Joseph von Nazareth nur unmutige Verwunderung. Keiner weiß, wo dieses Grab gewesen sein könnte, niemand vermag zu sagen, ob es ein Grab mit seinem Namen überhaupt gegeben hat.

Nach christlichem Glauben ist Jesus vom Tode auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Im Jahre 1950 legte Papst Pius XII. für die römische Kirche als verbindliche Glaubenswahrheit fest, daß auch Maria aus dem Erdenleben in den Himmel aufgenommen worden ist. Die Katholiken sind seither verpflichtet, an eine leibliche Himmelfahrt der Mutter Jesu zu glauben.

Aus der heiligen Familie, die wir von den Weihnachtsbildern kennen, blieb danach nur Joseph allein und unbeachtet auf der Erde zurück. Im Gedächtnis des Abendlandes ist er nur eine vage, immer nur zur Weihnachtszeit blaß auflebende Erinnerung.

Manche Menschen, die ihre Vorstellung vom Zimmermann Joseph aus Legenden und Weihnachtsmärchen bezogen haben, werden vielleicht den Titel dieses Buches mißbilligen. Bevor sie mich deshalb aber mit unheiligen Namen bedenken, sollten sie die biblischen Texte noch einmal lesen.

Von den 27 Schriften, die im Neuen Testament gesammelt sind, enthalten zwar nur zwei Evangelien kurze Berichte über Joseph; ihr Inhalt reicht aber aus, das Bild vom angeblich einfältigen Mann zu widerlegen und den Titel dieses Buches zu rechtfertigen.

Nach dem Wortlaut des Johannes-Evangeliums soll Philippus nach seiner ersten Begegnung mit Jesus zu Nathanael gesagt haben:

Joh. 1.45.

Wir haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, JESUM, JOSEPHS SOHN VON NAZARETH.

In einem anderen Kapitel des Johannes-Evangeliums wird ebenfalls betont, daß seine Zeitgenossen nichts von einer übernatürlichen Herkunft Jesu gewußt haben. Sie waren überrascht, als der bis dahin anscheinend unauffällig lebende Sohn des Zimmermannes öffentlich zu lehren und zu heilen begann.

Joh. 6.42.

Ist dieser nicht Jesus, Josephs Sohn, des Vater und Mutter wir kennen?

Das Erstaunen seiner Umgebung wird auch im Matthäus-Evangelium erwähnt. Als Jesus zum erstenmal in seiner Vaterstadt lehrte, waren die Menschen, die ihn kannten, verwundert.

Matthäus 13.55.

Ist er nicht eines Zimmermannes Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder Jakob und Joses und Simon und Judas?

Nur im Evangelium nach Markus wird an dieser Stelle Joseph von den Nachbarn nicht als Vater genannt.

Markus 6.3.

Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn?…

Die Formulierung der Frage beweist aber, daß auch nach Meinung der Verfasser dieses Evangeliums Jesus in seiner Umgebung bis dahin als stiller, unauffälliger Mensch angesehen worden ist.

Im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums wird wohl ausführlich über eine wunderbare Zeugung Jesu’ berichtet: Der Engel Gabriel verkündet der Jungfrau Maria, sie werde einen Sohn zur Welt bringen, den sie aus einer „Überschattung“ durch den Heiligen Geist empfangen soll.

Aus dem folgenden Text geht dann aber eindeutig hervor, daß die Menschen von diesem Wunder nichts gewußt haben.

Lukas 3.23.

Und Jesus war, da er anfing, ungefähr dreißig Jahre, und WARD GEHALTEN FÜR EINEN SOHN JOSEPHS.

Die Augenzeugen seines Wirkens, jene Menschen also, die als erste Gedanken seiner Lehre in die Welt getragen haben, hielten nach übereinstimmender Darstellung aller vier Evangelien Jesus für einen Sohn des Zimmermannes Joseph von Nazareth. In ihren Erzählungen muß Joseph daher eine wichtige Rolle gespielt haben, denn in dieser Zeit war der Vater alleiniges, schicksalbestimmendes Oberhaupt der Familie. Er allein konnte über die Erziehung der Kinder entscheiden. Viele, die dem Menschen Jesus begegnen durften, haben deshalb vermutlich angenommen, daß seine Gedanken und Handlungen aus dem Geist bestimmt wurden, der ihm durch den Vater nahegebracht worden ist. Manche werden, wie es damals üblich war, Joseph überschwenglich gelobt und gepriesen haben, weil er in ihren Augen der Vater eines weisen und mutigen Sohnes gewesen ist. Nach der Auffassung der Menschen seiner Zeit muß Joseph hohe Bedeutung im Leben Jesu gehabt haben. Unter der Oberfläche ist diese Bedeutung auch noch im überlieferten Wortlaut der vier Evangelien zu erkennen; aber diese Spuren wurden in der abendländischen Tradition nicht verfolgt, und dadurch ist ein wichtiger Teil der Überlieferung verkümmert.

Im Lauf der Jahrhunderte wurden unzählbar viele Erzählungen, Analysen und Berichte über das Leben Jesu verfaßt. Joseph kommt darin kaum vor. In den Geschichtsbüchern kommt sein Name meist auch dann nicht vor, wenn die Autoren den Ereignissen, von denen die vier Evangelien berichten, geschichtliche Realität zugestehen.

Im Vorurteil des Abendlandes blieb Joseph ein farbloser Charakter von untergeordneter Bedeutung, dessen einzige Aufgabe es war, die von den Engeln überbrachten göttlichen Befehle auszuführen.

Ganz im Gegensatz dazu steht der Eindruck, der sich aus zwei Sätzen im Evangelium nach Matthäus aufdrängt, wenn man sie aufmerksam liest; denn aus ihnen ist zu erkennen, daß Jesus zu dieser Zeit wahrscheinlich nicht geboren worden wäre, wenn Joseph nicht den Mut gehabt hätte, sich gegen das Gesetz zu stellen, und die Kraft, sich zu einem Kind zu bekennen, das nicht sein eigenes war.

II. DIE ENTSCHEIDUNG

Joseph aber gedachte, Maria zu verlassen

Matth. 1.18.

Die Geburt Christi war aber also getan. Als Maria, seine Mutter, dem Joseph vertraut war, ehe er sie heimholte, erfand sich’s, daß sie schwanger war von dem heiligen Geist.

Im Matthäus-Evangelium wird keine Erklärung gegeben über die Entstehung der Schwangerschaft oder wie Maria sie erlebt und erkannt hat. Ganz eindeutig wird dagegen berichtet, daß Joseph auf das, was er erfahren mußte, nicht vorbereitet gewesen ist. Der Bericht über seine Reaktion erweckt erhebliche Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Legende vom einfältigen alten Nährvater, dem seine hohe Aufgabe angeblich bewußt gewesen sein soll.

Matth. 1.19.

Joseph aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.

Dieser Satz erzählt nicht von der lammfrommen Duldsamkeit eines einfältigen Greises. Er gibt die verständliche Verzweiflung eines Mannes wieder, der seine Zuneigung mißachtet und sein Vertrauen enttäuscht sieht. Das Evangelium beschreibt, was jeder Mann empfände, wenn er vor dem Vollzug der Ehe erkennen müßte, daß seine Frau ein Kind erwartet, das nicht von ihm sein kann.

Hätte Joseph in der Bitterkeit der ersten Stunden Freunden oder Nachbarn von seiner Enttäuschung erzählt, so wäre Maria der Schande ausgesetzt gewesen. In der Lebensart unserer Zeit kann „Schande“ im schlimmsten Fall bedeuten, daß manche Wohnungseigentümer wegen des unehelichen Kindes den Mietvertrag verweigern und sich einige Spießbürger unter Nachbarn und Bekannten das Maul zerreißen. In der gottestreuen Gemeinde der damaligen Zeit hätte die „Schande“ grausame Folgen haben müssen, denn nach dem Gesetz war die Braut verpflichtet, geschlechtlich unversehrt in die Ehe zu treten.

Deut. 22.20.

Ist’s aber die Wahrheit, daß die Dirne nicht ist Jungfrau gefunden (21), so soll man sie heraus vor die Tür ihres Vaters Hauses führen, und die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen, darum, daß sie eine Torheit in Israel begangen und in ihres Vaters Haus gehurt hat; und sollst das Böse von dir tun.

Joseph dachte also nicht nur daran, harmlose „Schande“ von Maria abzuwenden, er wollte sie nicht dem Todesurteil ausliefern.

Tief verletzt, konnte er wohl in diesen Stunden auch den Gedanken nicht ertragen, daß Maria in wenigen Monaten ein fremdes Kind zur Welt bringen würde. Da sie zu dieser Zeit noch nicht in seinem Haus lebte, bedeutete die Absicht, Maria „heimlich zu verlassen“, nur, daß er sie nicht in sein Haus nehmen, den Grund dafür aber verheimlichen wollte. Die Katastrophe hätte er dadurch nicht abwenden können, denn die Ehe wäre für alle Nachbarn und alle Gesetzeswahrer klar erkennbar nicht vollzogen worden. Nach kurzer Zeit aber wäre es für alle offensichtlich gewesen, daß Maria schwanger war.

Lev. 20.10.

Wer die Ehe bricht mit jemandes Weib, der soll des Todes sterben, beide, Ehebrecher und Ehebrecherin…

Es mag dagegen eingewendet werden, daß die Ehe noch nicht vollzogen gewesen ist und deshalb Ehebruch nicht hätte geltend gemacht werden können. Vor den Richter gerufen, hätte Joseph als frommer Jude aber nicht verheimlichen dürfen, weshalb er die Ehe nicht vollzogen hatte. Es wäre dann belanglos gewesen, ob das Todesurteil wegen Ehebruchs verhängt worden wäre, oder weil durch die Schwangerschaft bewiesen war, daß die Braut nicht mehr Jungfrau gewesen sein konnte. Die Hinrichtung der Mutter hätte in jedem Fall auch den Tod des ungeborenen Kindes zur Folge gehabt.

Träumer wenden dagegen ein, daß Maria sich zum Beweis ihrer Unschuld auf die übernatürliche Zeugung durch den Heiligen Geist hätte berufen können. Es fällt ihnen dann aber schwer, die Tatsachen zu nennen, mit denen die Richter von der Unschuld der Angeklagten zu überzeugen gewesen wären.

Die Schriftgelehrten des Alten Testamentes hätten Maria ebensowenig geglaubt, wie die Kirchengelehrten des Neuen Testamentes bereit gewesen sind, den Beteuerungen der Jeanne d’Arc zu vertrauen.

In der Zeit des Verfalls der alten Kulturen glaubten die Menschen, die Welt sei überfüllt mit Erscheinungen des Satans und ständig bedroht von Dämonen und bösen Geistern. Auch die meisten Priester und Schriftgelehrten der Juden glaubten in dieser Zeit an die Existenz böser Mächte. Es wäre Maria nicht möglich gewesen, zu beweisen, daß ihre Schwangerschaft von einem guten — vom Heiligen — Geist herrührte. Hätte sie es trotzdem behauptet, so wäre sie wahrscheinlich von der Mehrheit der Richter wegen schwerer Gotteslästerung verurteilt worden.

Lev. 24.16.

Welcher des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen…

Der Wert des machtlosen Menschen war gering in der Welt des untergehenden Altertums. Das werdende Leben im Mutterleib galt als materielles Eigentum des Mannes und konnte im Schadensfall dem Vater durch Geld ersetzt werden.

Ex. 21.22.

Wenn Männer hadern und verletzen ein schwanger Weib, DASS IHR DIE FRUCHT ABGEHT und ihr kein Schade wiederfährt, so soll man ihn um Geld strafen…

Wie wenig auch die Frau in dieser Zeit gegolten hat, wird aus den Berichten des Flavius Josephus deutlich. In seinem Buch „Jüdische Altertümer“ schreibt er, wie die Aussage einer Frau von den Richtern bewertet werden sollte:

Auch soll das Zeugnis der Weiber nicht zulässig sein wegen der ihrem Geschlechte eigenen Leichtfertigkeit und Dreistigkeit.

Joseph hat Maria nicht „in Schande gebracht“, das heißt, er hat mit keinem Menschen darüber gesprochen; so wird er an diesem Tag sehr einsam gewesen sein; schwankend zwischen der Traurigkeit über die verlorene Liebe und der Verzweiflung, die ihn wohl befallen haben wird, wenn er daran dachte, Maria dem Gesetz und damit der Steinigung auszuliefern. Dem Tag wird eine ebenso einsame Nacht gefolgt sein, mit unruhigem, von quälenden Gedanken und bedrückenden Träumen zerrissenem Schlaf. Aus seiner Frömmigkeit mußte er von sich die Einhaltung des Gesetzes verlangen und aus seiner Menschlichkeit zugleich diesen Gedanken hassen. Seine Liebe war nicht erloschen, aber um so tiefer mußte er den Schmerz empfinden, wenn er an das fremde Kind dachte. So kehrten seine Gedanken wohl immer wieder zu dem bitteren Entschluß zurück, Maria zu verlassen.

Matthäus 1.20.

Indem er aber also gedachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist von dem Heiligen Geist.

In der Tradition des christlichen Abendlandes gilt es als selbstverständlich, daß Joseph dem Wort des Engels folgen mußte. Nirgends wird aber erklärt, wie und woran er im unruhigen Schlaf einer verzweifelten Nacht ein Traumbild als „Engel“ und dessen Worte als eine Botschaft Gottes erkannt haben sollte.

Am Morgen war ihm von diesem Traum nichts geblieben als die nicht beweisbare Erinnerung an eine Stimme.

Matthäus 1.21.

Und sie wird einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen, denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.

Das Traumbild forderte ihn auf, gegen das Gesetz zu handeln, in dem seit der Väter Zeiten geboten war, „das Böse von Israel zu tun“.

Joseph hätte die Möglichkeit gehabt, Priester oder Schriftgelehrte um eine Beurteilung seines Traumerlebnisses zu bitten. Auch sie hätten ihm Rat und Antwort nur nach dem Gesetz geben dürfen. Aus seiner Erzählung hätten sie aber nur schließen können, daß eine Erscheinung, die von ihm verlangt, gegen das Gesetz zu handeln und ein sündig empfangenes Kind blasphemisch als Erlöser des Volkes ankündigte, nicht Botschaft des wahren Gottes sei. Der Argwohn, daß das Böse sich oft im Kleid des Guten zeigt, war und ist weit verbreitet. Auch der Apostel Paulus warnte in einem Brief an die Christengemeinde von Korinth vor falschen Propheten.

2. Korintherbrief 11.14.

… denn er selbst der Satan verstellt sich zum Engel des Lichts.

Joseph mußte allein nach seinem Gewissen entscheiden, ob er daran glauben wollte, daß ihm ein Engel erschienen war, oder ob ihn der Satan dazu verführen wollte, als Engelserscheinung anzusehen, was in Wirklichkeit nur der Widerhall eigener Gedanken und seiner innigen Sehnsucht gewesen ist.

Matthäus 1.24.

Da nun Joseph vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm des Herrn Engel befohlen hatte, und nahm sein Gemahl zu sich.

Joseph hatte entschieden — für den Menschen und gegen das Gesetz. Er nahm Maria zu sich und wurde so, vor Nachbarn und Obrigkeit, vor dem Gesetz und den Menschen, Vater des Kindes. Indem er die Mutter nicht der Steinigung preisgab, hat er auch dem Kind das Leben gegeben. Wenn dieses Kind zum Mann geworden ist, werden im Tempel zu Jerusalem eines Tages Pharisäer und Schriftgelehrte vor ihn hintreten. Sie werden auf eine Frau zeigen, die auf frischer Tat im Ehebruch ergriffen wurde. Sie werden fragen, was mit ihr geschehen soll: „Moses hat uns im Gesetz geboten, solche zu steinigen; was sagst du?“ Jesus, im Haus des Joseph von Nazareth aufgewachsen und erzogen, wird antworten: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“

Nach den Worten im Johannes-Evangelium (8.9.) werden die Ankläger hinausgehen — „von ihrem Gewissen überführt“ — einer nach dem anderen.

Vielleicht ist dieses — im weltlichen Gebrauch wohl das berühmteste — Jesuswort aus dem Geist entstanden, aus dem Joseph von Nazareth die Kraft gewonnen hat zu der Entscheidung, seiner Frau Maria die bis dahin empfundene Liebe nicht zu entziehen, sondern auch das heranreifende Kind einzuschließen in die Zuwendung, in der Vertrauen, Vergebung und Verstehen, Opferbereitschaft und Dankbarkeit untrennbar verbunden sind.

Wir sollten nicht daran zweifeln, daß die Entwicklung zu den Gedanken der neuen Lehre ihren Anfang fand, als Joseph den Mut hatte, gegen das Gesetz zu entscheiden — im Geist der Nächstenliebe, die dem Menschen auferlegt, seinem Nächsten die gleichen Rechte zu gewähren, die er für sich selbst beansprucht. Solange es Menschen gibt, wird jeder für sich selbst vor allem das Recht auf Leben fordern. Joseph hat für Maria und Jesus dieses Recht gewahrt.

Man kann einwenden, daß der damals im Heiligen Land als Vasall der Römer herrschende König Herodes zehn Frauen hatte und eine kleine Sünderin nicht hätte hinrichten lassen. Der historische Herodes war nicht so schlimm, wie er in den Märchen geschildert wird, aber ein Hort der Menschlichkeit und der Gnade ist er nicht gewesen. Ein Kind, von dem die Mutter behauptete, es sei vom Heiligen Geist empfangen, hätte er nicht leben lassen; und auch von den Römern hätte Maria keine Hilfe erhalten. Das Kommen des Messias wurde von den unterdrückten Juden täglich erfleht und stündlich erwartet. Es war irreale Hoffnung für die Rechtlosen, aus der eine reale Bedrohung der Mächtigen entstand, sobald sich das Gerücht verdichtete, der Messias sei gekommen. Als letztes Argument kann man auch noch sagen, Joseph hätte den Schutz des Kindes dem Heiligen Geist überlassen können. Mit viel Glück und Schicksalsgunst wäre die Mutter vielleicht mit dem Leben davongekommen. Sie wäre einem elenden, verachteten Dasein ausgesetzt gewesen und hätte im Kampf ums Überleben kaum die Möglichkeit gehabt, sich um ihr Kind zu kümmern.

Joseph hat dem Kind nicht nur das Recht auf Leben bewahrt, das im Gebot der Nächstenliebe gefordert wird, er hat auch sein Recht auf Liebe anerkannt, ohne die das Recht auf Leben wenig Wert hat.

Zwei Verse im Evangelium nach Matthäus erzählen die Geschichte einer großen Liebe, von der die Kraft ausging, durch die die Welt verändert wurde.

Auch wer aus der Tiefe seines Herzens daran glaubt, daß Jesus der übernatürlich gezeugte Sohn Gottes ist, wird diesen Gedanken annehmen können. Die Liebe der Eltern zueinander, das darin ruhende Verstehen, ist wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung der Kinder. Wer möchte Gott unterstellen, daß er seinen geliebten Sohn in die Obhut einer Lebensgemeinschaft gab, in der die erwachsenen Partner einander fremd und gleichgültig gewesen sind?

Matthäus 1.22.

Das ist aber alles geschehen, auf daß erfüllet würde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (23.): „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Immanuel heißen, das ist verdolmetscht; Gott mit uns.“

Die zitierte Prophezeiung steht in einem Buch des Alten Testamentes, das nach dem Propheten Jesaja benannt ist, der im 8. Jahrhundert vor unserer Zeit gelebt hat. Die Gelehrten, die den endgültigen, uns überlieferten Text des Matthäus-Evangeliums gestaltet haben, sehen eine Übereinstimmung zwischen den Geschehnissen um Maria und Joseph und der Weissagung des Propheten Jesaja, durch die Gott, wie sie glauben, schon vor Jahrhunderten die Menschwerdung seines Sohnes verheißen hat. Auf den ersten Blick erscheint durch die behauptete Übereinstimmung mit der Prophezeiung die Auffassung widerlegt, wonach Joseph allein dem Gewissen folgend über das Schicksal seiner Frau und ihres Kindes entscheiden mußte und davon die Verwirklichung der schon vor Jahrhunderten vorhergesagten Geburt des Messias abhängig gewesen sein sollte. Aber gerade die zitierte Weissagung Jesajas, durch die sie widerlegt zu sein scheint, wird sich als wichtige Stütze dieser Auffassung erweisen.

Jahweh hilft

Im Matthäus-Evangelium wird berichtet, Joseph sei fromm gewesen. Aus dem Text nach Lukas erfahren wir, daß er das vom Propheten Mose gegebene Gesetz befolgte und alljährlich zum Pesach nach Jerusalem gewandert war, um dort im Tempel der Befreiung des Volkes aus der Versklavung zu gedenken. Es kann deshalb als sicher gelten, daß er durch die gottesdienstlichen Lesungen aus den Heiligen Schriften die Weissagungen über das Kommen des Messias gekannt hat, von denen die im Matthäus-Evangelium zitierte Prophezeiung des Jesaja eine der wichtigsten gewesen sein soll. Der Prophet des Alten Testamentes hatte verkündet, daß man den Sohn der Jungfrau „Immanuel“ nennen werde. Der „Engel des Herrn“, der Joseph im Traum erschienen war, soll ihm geboten haben, den Sohn der Maria „Jesus“ zu nennen.

Zu dem Namen Immanuel wird die Deutung „Gott mit uns“ angegeben. Der hebräische Name „Joschua“ (griechisch: Jesus) muß mit dem Begriff „Jahweh hilft“ übersetzt werden.

Es gibt in der christlichen Theologie wohl Erläuterungen, die auch zu den Namen eine Übereinstimmung herstellen. Zur Frage, weshalb der „Engel des Herrn“ nicht denselben Namen genannt hat, den Gott schon acht Jahrhunderte früher durch seinen Propheten für den Messias verkündet haben soll, gibt es keine überzeugende Erklärung. Joseph hat von seiner Traumerscheinung auch nicht unmißverständlich erfahren, daß das Kind, das Maria zur Welt bringt, der Messias ist. Der „Engel des Herrn“ stellt keine Übereinstimmung mit den Prophezeiungen der Vergangenheit her. Er sagt, das Kind, das Maria trägt, sei vom „Heiligen Geist“.

Der Begriff vom Heiligen, mit Gottvater und Sohn dreieinigen Geist der christlichen Lehre war Joseph noch nicht bekannt. Er hätte ihn nach den ihm vertrauten Glaubenstraditionen nur deuten können als den alles bewegenden Geist Gottes, über den im Gesetz der Zehn Worte gesagt ist, daß der Mensch sich von ihm keine Vorstellungen und keine Bilder schaffen soll. Aus den im Traum vernommenen Worten konnte sich somit für Joseph keine verläßliche Hilfe ergeben. Es war daraus auch keine unumgängliche, unmißverständliche Anweisung Gottes zu erkennen, denn die Aufforderung, den Knaben „Jesus“ zu nennen, wäre für den, der die alten Prophezeiungen gekannt hat, Grund genug gewesen, der Traumerscheinung zu mißtrauen.

Auch strenggläubige, schrifttreue Menschen werden anerkennen müssen, daß der für Deutungen sehr weite Spielraum zwischen den Namen „Immanuel“ und „Joschua“ einem Abgrund ähnlich ist, den der Mensch Joseph mit seiner Entscheidung überbrückt hat, indem er bereit war, ein Kind anzunehmen, von dem er nur wußte, daß es nicht sein eigenes ist.

Es gibt Menschen, die in der unerschütterlichen Überzeugung leben, es könne nichts gegen den Willen Gottes geschehen. Sie werden weiterhin darauf bestehen, daß Joseph nur ein Werkzeug Gottes gewesen ist, dem keine Freiheit gegeben war, anders als nach dem göttlichen Heilsplan zu handeln. Solche Menschen glauben aber meistens ebenso fest an die reale Existenz eines Teufels, der beständig versucht, die Menschen von ihrem rechten Weg zu Gott abzubringen. Dieser Teufel soll angeblich nur dann Macht über die Menschen gewinnen können, wenn sie sich aus der gläubigen Gemeinschaft entfernen und der sorgenden Aufsicht entziehen. Wer in seinem Streben unsicher wird, darf deshalb nicht zögern, den Rat derer einzuholen, die berufen sind, über die Herde der Gläubigen zu wachen.

Als Joseph von Nazareth seine Entscheidung zu treffen hatte, gab es die christlichen Priester noch nicht, es gab noch kein Christentum. Joseph hätte nur die Orakel römischer oder griechischer Kulte befragen können oder die Schriftgelehrten und Priester seines eigenen Volkes — dann aber wäre Jesus nicht geboren worden, und es gäbe das Christentum vielleicht auch heute noch nicht.

Kein Schriftgelehrter, kein Priester hätte es gewagt, die ehrwürdige, über siebenhundert Jahre alte Weissagung aus der Heiligen Schrift, die den emanuel ankündigt, mit dem im Traum vernommenen Namen „Joschua“ als erfüllt anzuerkennen.

In der Bedeutung des Namens Immanuel — „Gott mit uns“ — ist Gewißheit. Der Name Jesus/Josua — „Jahweh hilft“ — bedeutet Hoffnung und Vertrauen auf die Hilfe, ohne die Joseph von Nazareth den Weg nicht hätte gehen können, auf dem er den Menschen höher stellte als das Gesetz. Über der Begeisterung, in Jesus von Nazareth die Verkörperung des göttlichen Geistes erkannt zu haben, wurde in der späteren christlichen Tradition nicht mehr darauf geachtet, daß Joseph die Zukunft nicht gekannt hat.

Zwar finden wir im Evangelientext nach Lukas die Erzählung, daß zwei Menschen schon in dem Neugeborenen den Erlöser der Welt erkannt haben, aber zur Bewertung dieser Erzählung müssen wir neben der Skepsis gegenüber den bemühten Textredakteuren auch die Lebensart der Menschen berücksichtigen und das Verhalten der Eltern beachten. Auch in unserer Zeit werden im Orient die neugeborenen Knaben von Fremden mit lauten Huldigungen bedacht. „Augenstern Gottes“, „Wegbereiter der Gerechtigkeit“ oder „Vernichter des Bösen“ sind oft gehörte Rufe, die von den stolzen Eltern nicht ganz ernstgenommen, aber doch als Prophezeiung empfunden und mit freundlichen Gaben belohnt werden.

Zur Begeisterung des Simon, der vom „Heiligen Geist erfüllt“ war und im Tempel zu Jerusalem über den Knaben Jesus ausrief: „Meine Augen haben den Heiland gesehen“, wird im Lukas-Evangelium eine nüchterne Reaktion der Eltern vermerkt:

Lukas 2.33.

Und sein Vater und Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward.

Sie hätten sich nicht gewundert, wenn ihnen wahrgenommene und erkannte Engel Gottes erschienen wären und ihnen Jesus als den Messias verkündet hätten.

Im Alter von zwölf Jahren durfte Jesus auch zur Pesach-Feier nach Jerusalem reisen. Auf dem Heimweg merkten die Eltern, daß der Knabe nicht mitgekommen war. Sie fanden ihn nach langer Suche im Tempel bei den Lehrern, und er soll zu seinen Eltern gesagt haben:

Lukas 2.49.

… wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?

Damit, so lehrt die Tradition, hat Jesus gemeint, er müsse im Tempel sein, weil dieser das Haus Gottes, seines wirklichen Vaters, ist. Interessant und bezeichnend ist dann wieder die Reaktion der Eltern:

Lukas 2.50.

Und sie verstunden das Wort nicht, das er mit ihnen redete.

Wäre Maria und Joseph verkündet worden, daß der Knabe Jesus der Sohn Gottes und Erlöser der Menschheit sei, sie hätten jedes Wort verstehen müssen.

Wer an Jesus als den Sohn Gottes glauben will, sollte deshalb die irdischen Eltern nicht zu willenlosen, einfältigen Marionetten degradieren. Joseph verdient Bewunderung, nicht, weil er von einer überirdischen Herkunft Jesu gewußt hat, sondern weil er nichts davon wußte und das Kind trotzdem angenommen hat.

Mit dem Bericht des Matthäus-Evangeliums über die Entscheidung Josephs für das Leben des fremden Kindes wurde ein Motiv in die biblische Überlieferung aufgenommen, das im Alten Testament noch nicht vorkommt. Keine andere biblische Schrift erzählt von einem Mann, der aus freiem Willen und gegen das Gesetz seines Volkes bereit gewesen ist, sich mit der ganzen Kraft seiner Liebe eines Kindes anzunehmen, das er nicht gezeugt hatte.

Damit wird die menschliche Verpflichtung zur Verantwortung für die Lebensrechte des anderen aus der Beschränkung auf die „Bindung durch das gemeinsame Blut“ gelöst. Das Kind erwirbt sein Lebensrecht nicht mehr nur aus dem Dienst am Vater, dessen Verherrlichung neben der Verpflichtung zur „Vermehrung seines Samens“ bis dahin als seine wichtigste Aufgabe angesehen worden ist. Es wird anerkannt als eigenständiges, gleichberechtigtes Lebewesen, in dem sich der Geist ebenso wertvoll verwirklichen kann wie in einem Nachkommen aus dem eigenen Blut.

Dreißig Jahre später hat Jesus von Nazareth seine Jünger daran gehindert, Kinder, die zu ihm wollten, zu vertreiben, und er soll gesagt haben:

Matth. 18.5.

Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.

Wer bereit ist, dem Text des Matthäus-Evangeliums zu vertrauen, wird daraus erkennen, daß Jesus wahrscheinlich manche Gedanken seiner Lehre erst durch das Beispiel, das Joseph ihm gab, in vollem Umfang erkannt hat. Indem Joseph das eigenständige Lebensrecht des fremden Kindes anerkannte, hat er sich auch aus dem erstarrten Vorurteil seiner Zeitgenossen gelöst, nach dem die Frau nur Wert gehabt hat als Gefäß, in dem der Samen des Mannes reift. Es ist eine verlockende, aber leider unbeweisbare Vermutung, daß in der ursprünglichen Überlieferung, aus der das Matthäus-Evangelium entstanden ist, die Jungfräulichkeit der Mutter nicht als der anatomische Begriff der geschlechtlichen Unversehrtheit erwähnt worden ist, sondern vielleicht im Sinne der alten Übersetzer, von denen Eusebius in seiner Kirchengeschichte (V. 8.10.) erzählt. Danach haben die jüdischen Proselyten Theodotion aus Ephesus und Aquila aus Pontus die Weissagung des Propheten Jesaja nicht mit dem von der Tradition anerkannten Wortlaut „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger“ übersetzt, sondern ihr die Bedeutung gegeben: „Siehe, das junge Weib wird empfangen und einen Sohn gebären…“ In dieser Auffassung könnte der eigentliche Sinn der alten Weissagung gewesen sein, daß Frauen ebenso wie Männer den göttlichen Geist erkennen, aufnehmen und verwirklichen können.

Aus dieser Deutung ergäbe sich auch eine einleuchtende Erklärung für die erstaunliche Tatsache, daß im Anfang besonders die Frauen die Botschaft Jesu aufgenommen und aus ihr die erlösenden Veränderungen für ihr Dasein erhofft haben. Dem Neuen Testament ist nicht zu entnehmen, wo sich die Jünger in den Stunden des Leidens und Sterbens Jesu aufgehalten haben. Nach den übereinstimmenden Berichten aller vier Evangelien haben aber die Frauen auf Golgatha ausgeharrt, bis Jesus vom Kreuz genommen und in das Grab gelegt werden konnte. Manche Einzelheiten deuten darauf hin, daß Joseph nach dem Geist gelebt hat, der in der vermutlich ältesten Tradition der biblischen Überlieferung nach dem Gesetz der Zehn Worte bewahrt worden ist. In der Tradition dieser Alten Überlieferung wurde gelehrt, daß dem Menschen Erkenntnisse nur dann offenbart werden, wenn er bereit ist, den göttlichen Geist aufzunehmen. Im Alten Testament werden zweimal durch Botschaften des göttlichen Geistes Jahweh den Menschen Erkenntnisse offenbart, aus denen eine Entwicklung zur Erlösung und Befreiung gequälter Menschen entstehen konnte.

Im hebräischen Wortlaut wird der erkenntnisvermittelnde Geist „Bote JHWH’s“ genannt. Die Übersetzer haben dafür den Begriff „Ein Engel des Herrn“ gewählt. Durch einen „Engel des Herrn“ wurde auch Joseph zu seiner Entscheidung für das Leben gegen das Gesetz seiner Zeit geleitet. Im Sinne der Alten Überlieferung war es eine Botschaft an sein Gewissen, die er nicht aufgenommen hätte, wenn er dazu nicht bereit gewesen wäre.

Der Engel des Herrn

Seit der frühesten Zeit erweckte im christlichen Abendland die Beschreibung „Es erschien ihm ein Engel des Herrn“ die Vorstellung von einem schönen Menschen mit edlem Gesicht und großen Flügeln auf dem Rücken, der in einem wallenden Gewand vom Himmel zur Erde schwebte, um den Willen Gottes zu verkünden und durchzusetzen. In der Engelslehre werden diese mächtigen Boten Gottes als reale körperliche Wesen aufgefaßt, die nach dem göttlichen Willen ordnend und strafend in das menschliche Leben eingreifen.

Die Erscheinung eines solchen Engels ist im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums beschrieben. Es heißt dort, in der „Stunde des Räucherns“ habe der Priester Zacharias allein im Heiligtum des Tempels gebetet.

Luk. 1.11.

Es erschien ihm aber der Engel des Herrn und stund zur rechten Hand am Räucheraltar.

Nach dieser Beschreibung war der Engel in sichtbarer, realer Gestalt erschienen und hat sich dem Priester Zacharias auch eindeutig zu erkennen gegeben.

Luk. 1.19.

Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, mit dir zu reden…

Er verkündet dem Zacharias, daß dessen Frau Elisabeth trotz ihres hohen Alters noch einen Sohn gebären wird, dem er den Namen Johannes geben soll. Es ist jener Johannes, der Jesus im Jordan getauft und deshalb den Namen „Der Täufer“ erhalten hat.

Weiter wird im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums beschrieben, daß der Engel Gabriel „im sechsten Monat“ der Jungfrau Maria erschien und ihr verkündete, sie werde nach „Überschattung durch den Heiligen Geist“ einen Sohn zur Welt bringen, dem Gott der Herr „den Stuhl seines Vaters David“ geben wird. Das war eine der vielen Formulierungen, mit denen die Propheten im Alten Testament den kommenden Messias bezeichnet haben.

Alle Fragen, die nach dem Text des Matthäus-Evangeliums zu der dort erwähnten Engelserscheinung gestellt werden mußten, waren durch die ausführliche Beschreibung, die das erste Kapitel des Lukas-Evangeliums gibt, unterbunden, Bei Matthäus wird die Traumerscheinung, die Joseph zu seiner Entscheidung für das Kind beeinflußt, ein „Engel des Herrn“ genannt. Diese Erscheinung hat keinen anderen Namen und kann nach dem Wortlaut auch als wesenlose Offenbarung eines Gedankens gedeutet werden. Im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums hat der Engel eine erkennbare Gestalt und den Namen Gabriel. Da er zunächst aber auch mit der Bezeichnung „Engel des Herrn“ eingeführt wird, entsteht der Eindruck, es habe sich um dieselbe oder zumindest um eine wesensgleiche Engelserscheinung gehandelt.

Der Engel Gabriel hat die Macht, Menschen zu strafen, wenn sie sich dem verkündeten Willen nicht unterordnen wollen. Aus dem Text des Matthäus-Evangeliums ergibt sich eindeutig, daß für Joseph von der Traumerscheinung keine Bedrohung ausging, er also nicht durch höhere Gewalt gezwungen war, dem „Befehl“ zu folgen. Diese Deutung ist nicht mehr möglich, wenn man die Traumerscheinung nach Matthäus mit dem Engel Gabriel aus dem ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums gleichsetzt. Nach Matthäus wird Joseph vom „Engel des Herrn“ darauf hingewiesen, daß das Kind der Maria „vom Heiligen Geist“ sei.

Ein Mensch, der in der vorchristlichen Zeit an den Gott des Alten Testamentes glaubte, hätte das nicht unbedingt als Hinweis auf eine übernatürliche Zeugung verstanden, sondern als eine Mahnung daran, daß in jedem Menschen, also auch in einem fremden Kind, der Heilige Geist seiner göttlichen Seele lebt.

Der Engel Gabriel verkündet im anderen Evangelium aber in eindeutigen Worten, daß Maria als Jungfrau den von den Propheten angekündigten Messias, dem Gott der Herr den Thron seines Vaters David geben werde, aus einer „Überschattung“ durch den Heiligen Geist empfangen soll. Wenn man annimmt, daß die Engel beider Evangelien identisch oder einander gleich sind, muß dort, wo das Matthäus-Evangelium andere Auffassungen zuläßt, dem Text die Deutung gegeben werden, die sich aus dem ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums ergibt. Auf den ersten Blick mag die lückenlose Beweisführung überzeugend erscheinen. Sie kann einer näheren Prüfung aber nicht standhalten.

Nach dem ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums müßte Maria gewußt haben, daß ihr Sohn Jesus der vom Heiligen Geist gezeugte Messias ist. Aus anderen Texten desselben Evangeliums ergibt sich aber das genaue Gegenteil: Maria und Joseph wußten nichts und haben entsprechende Prophezeiungen und Anspielungen angeblich nicht begriffen.

Nach dem übereinstimmenden Zeugnis aller vier Evangelien haben die Zeitgenossen Jesus für einen Sohn Josephs gehalten. Demnach müßten Maria und Joseph ihr großes Geheimnis für sich behalten und nie einem Menschen davon erzählt haben. Diese Erklärung kann nicht gelten, denn, wie schon gesagt, sie wußten nicht, was es bedeuten sollte, wenn andere den Knaben Jesus als Heiland, Messias und Erlöser der Welt gepriesen haben. Das aber müßte heißen, daß Maria ihre wunderbare Begegnung mit dem Engel Gabriel und ihr Erlebnis mit dem Heiligen Geist nach wenigen Jahren schon vergessen hatte.

Maria soll allein gewesen sein, als sie vom Engel heimgesucht wurde. Niemand kann wissen, was gesprochen wurde, und schon gar nicht, was Maria in diesem Augenblick und später gedacht hat, es sei denn, sie hätte es ihm erzählt. Nach dem Wortlaut aller Evangelien scheidet diese Möglichkeit aus. Die Berichte lassen nur zwei Auffassungen zu: entweder wußten Maria und Joseph nichts von dem, was bei Lukas beschrieben wird, oder Maria hatte es vergessen.

Im Machtbereich der Kirche durfte diese Frage bis nahe an unsere Zeit nicht gestellt werden, denn nach der im Mittelalter entstandenen Theorie wurde gelehrt, die Verfasser der Evangelien hätten den Wortlaut der überlieferten Schriften vom Heiligen Geist empfangen, von derselben geistigen Kraft also, die nach dem ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums im Leib der Jungfrau einen Menschen gezeugt haben soll. In unserem Jahrhundert wird auch von den Kirchen eine wörtliche Inspiration nicht mehr angenommen. Es gilt nur noch der Grundsatz, daß die Autoren der Bibeltexte in höherem Maße inspiriert waren als die Verfasser aller anderen Schriften, ihre Werke deshalb wohl göttliche Wahrheit offenbaren, aber doch Mängel enthalten, die durch menschliche Fehler entstanden sind. Durch die Aufgabe der Behauptung einer übernatürlichen Entstehung der Bibeltexte ist auch die Frage nach der geschichtlich überprüfbaren Quelle, aus der die Verfasser des Lukas-Evangeliums von der „Überschattung“ der Jungfrau durch den Heiligen Geist erfahren haben könnten, völlig offen und kann selbst dann nicht beantwortet werden, wenn man die Schriften des Neuen Testamentes als verläßliche Beschreibungen geschichtlicher Ereignisse ansieht, denn sie enthalten zu dieser Frage keine Information.

Von den drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas), die im Ereignisablauf annähernd, im gedanklichen Inhalt weitgehend übereinstimmen, ist der Text nach Lukas der jüngste. Als Entstehungszeit seiner Urschrift wird das neunte Jahrzehnt unserer Zeitrechnung angenommen. Der Wortlaut dieser Urschrift ist nicht mehr bekannt. Er war vermutlich nicht in allen Teilen dem Text gleich, der uns im Kanon des Neuen Testamentes überliefert worden ist.

In der Mitte des zweiten Jahrhunderts hat es in Rom zwei Gemeinden gegeben, in denen die christliche Lehre in zwei stark voneinander abweichenden Versionen gepredigt worden ist. In der Gemeinde des Marcion war — wie es in den Lehrbüchern der Kirchengeschichte formuliert wird — eine „sehr eigenwillige Sammlung heiliger Schriften“ verbreitet. Darunter soll auch ein „stark verstümmeltes“ Lukas-Evangelium gewesen sein, in dem etliches vom Text der später kanonisierten Fassung gefehlt haben soll. Die endgültige Entscheidung, welche Texte in welcher Fassung als die „vom Heiligen Geist inspirierten“, also als „kanonizema“ zu gelten haben, wurde erst im vierten Jahrhundert getroffen, vermutlich nach dem Ende der Verfolgungen, also in der Zeit zwischen der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin (274—337) und der Erhebung zur einzig erlaubten Staatsreligion des Römischen Reiches durch Kaiser Theodosius (391).

Seit dem vierten Jahrhundert bestimmten die römischen Kaiser mit über die Entwicklung der christlichen Kirche. Durch Kaiser Konstantin wurde das erste Reichskonzil der Bischöfe nach Nicäa einberufen. Dort stritten sie im Jahre 325 vor allem darüber, ob Jesus Christus als Gottessohn dem Vater nur wesensähnlich oder wesensgleich sei. Die Entscheidung für die Wesensgleichheit soll gegen heftigen Widerstand vorwiegend auf die Stellungnahme des Kaisers zurückzuführen sein.

Eusebius von Caesarea, der die erste Kirchengeschichte geschrieben hat und auch Hofbischof des Kaisers war, hat den Christen ein Bild beschrieben, aus dem die Macht zu erkennen ist, die Konstantin auch in der Kirche für sich in Anspruch genommen hat: „Christus, das Wort Gottes, ist der Herr der Welt. Durch ihn aber regiert unser gottgeliebter Kaiser als Abbild des himmlischen Kaisers alles Irdische.“

Zu dieser Zeit, als Eusebius ihn den Christen als irdisches Abbild darstellte, war Konstantin noch nicht getauft.

Der Kaiser hat Wert darauf gelegt, sein himmlisches Gegenstück so hoch wie möglich angesetzt zu wissen. Kein Despot wird sich mit einer Ähnlichkeit zufrieden geben, wenn ihm die Möglichkeit offensteht, sich als irdisches Abbild Gottes verehren zu lassen.

Die Auffassung, daß Jesus als Christus und Sohn Gottes wesensgleich mit dem Vatergott ist, konnte sich nur durchsetzen, wenn es keine Zweifel an seiner übernatürlichen Zeugung gab. Eine Deutung des Matthäus-Evangeliums, wonach der Mensch Joseph von Nazareth darüber entscheiden konnte, ob die Menschwerdung des Gottessohnes Wirklichkeit werden sollte oder nicht, wäre in der Zeit des beginnenden byzantinischen Hofdespotismus nicht mehr möglich gewesen. Man war zurückgekehrt zum Gottkönigtum der heidnischen Völker. Der Mensch mußte sich bedingungslos dem Willen der kaiserlich-göttlichen Macht und den Befehlen ihrer besiegelten Vertreter unterwerfen.

In Staat und Religion wurde von den Christen Gehorsamkeit als höchste Tugend verlangt. Die Verherrlichung des Gehorsams finden wir immer wieder eingestreut in den Schriften des Neuen Testamentes, und sie werden meistens der höchsten theologischen Autorität zugeschrieben, dem Apostel Paulus. So soll er im Brief an die Römer, noch nicht zwanzig Jahre, nachdem Jesus auf Golgatha gekreuzigt worden war, geschrieben haben:

Römer 13.1. (Einheitsübersetzung)

… Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt (2). Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes…

Wo staatliche zugleich als göttliche Autorität gelten mußte, wäre der Gedanke, daß Joseph den Anordnungen seiner Traumerscheinung nicht unbedingten Gehorsam leisten mußte, unzweifelhaft mit dem Tode bestraft worden. Es spricht für die Klugheit, die Opferbereitschaft und den Mut vieler Christen der ersten Zeit, daß der im Matthäus-Evangelium gegebene Bericht über Joseph von Nazareth nicht gänzlich entstellt oder aus der Schrift entfernt worden ist.

Die sonst namenlose Bezeichnung „Engel des Herrn“ eines Traumerlebnisses gibt uns einen fast sicheren Nachweis, daß die Verfasser der ursprünglichen Überlieferung, aus der das Matthäus-Evangelium entstanden ist, eine Erscheinung beschreiben wollten, die keinerlei Ähnlichkeit mit der Vorstellung vom leibhaftigen, beflügelten Himmels bewohner Gabriel hat, die uns im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums vorgesetzt wird. Diese Auffassung wurde auch in der von der katholischen Kirche genehmigten Ausgabe der Jerusalemer Bibel (1968) angedeutet.

In einer Anmerkung zur Traumerscheinung in Matthäus 1.20. wird erklärt:

ENGEL DES HERRN, in den alten Texten, Genesis 16.7., bedeutet der „Engel des Herrn“ ursprünglich Jahweh selbst. Erst mit der Entfaltung der Engellehre wird er dann von Gott unterschieden.

Jahweh ist der wichtigste und älteste Gottesname in der mit dem Namen Mose verbundenen Glaubenstradition des Alten Testamentes. Er wurde später, als verschiedene Traditionen miteinander verschmolzen, mit den Gottesnamen dieser anderen Traditionen gleichgesetzt.

Zur Zeit des Joseph von Nazareth galt der Name Jahweh (JHWH) als so heilig, daß er überhaupt nicht ausgesprochen werden durfte. Es war wohl erlaubt, ihn, weil die heiligen Texte des Alten Testamentes nicht verändert werden durften, in den Kopien alter Schriften zu schreiben, aber er durfte nicht mehr gesprochen oder in neuen Schriften geschrieben werden.

Im Buch Genesis, dem 1. Buch Mose des Alten Testamentes, ist angegeben, wann der Name Jahweh (JHWH) zum erstenmal ausgesprochen und angebetet worden ist:

Gen. 4.26.

Und Scheth zeugte auch einen Sohn und nannte ihn Enosch. Zu dessen Zeit begann man, den Namen Jahweh (JHWH) anzurufen.

Scheth und Enosch sind die ersten Geschlechter nach Kain und Abel. Der Name Enosch bedeutet im hebräischen Sprachgebrauch wie auch der Name Adam „Mensch“. Zum Unterschied von Adam hat Enosch meistens die Bedeutung „der neue“ oder „der richtige Mensch“, weil eben in diesem Geschlecht der Name Jahweh zum erstenmal angebetet wurde.

Leser meines Buches „Die Bibel-Korrektur“ werden sich erinnern, daß ich für den Namen Jahweh (JHWH) die Bedeutung „das lebende Wort“ vorgeschlagen und nachzuweisen versucht habe, daß diese Gottesvorstellung rein geistig gewesen ist. In den Büchern Mose wird mehrmals gesagt, daß kein Lebender jemals Gott (JHWH) sehen wird. Wenn die Menschen nicht bereit sind, den „Geist“ aufzunehmen, siegt die tierhafte Egozentrik über die „Nächstenliebe“.

Das Wort „Engel des Herrn“ bedeutet in wörtlicher Übertragung „Bote“ oder „Botschaft JHWH“. Der Begriff ist zum erstenmal im Buch Genesis 16.7. erwähnt; Ismael, der erste Sohn Abrahams, den er mit der ägyptischen Magd Hagar gezeugt hatte, ist in Gefahr, in der Wüste umzukommen. Ein „Engel des Herrn“ rät Hagar, sich unter der Hand der eifersüchtigen, weil bis dahin unfruchtbaren Sarah zu demütigen, damit Ismael am Leben bleibt.

Gott läßt kein Wunder geschehen, sondern er führt Hagar zu der Erkenntnis, daß sie Sarahs Quälereien ertragen soll, damit das Leben Ismaels nicht zum Opfer ihrer eigenen Bequemlichkeit wird.

Als Abraham später den Befehl erhält, seinen einzigen, lang ersehnten und geliebten Sohn Isaac zu schlachten und zum Brandopfer darzubringen, ruft ihm eine Stimme, ein „Engel des Herrn“ vom Himmel zu, er solle seinen Sohn nicht töten. Abraham tötet Isaac nicht. Wieder nahm ein Mensch gegen einen Befehl der Priester die „Botschaft“ des „Wortes“ auf.

Weder Abraham noch Hagar haben den „Namen JHWH“ gekannt. Sie nahmen aus der Erkenntnis, daß der Mensch verpflichtet ist, das Leben des anderen zu schützen, „Hüter seines Bruders zu sein“, den Geist des Lebens und der Nächstenliebe auf.

Ein „Engel des Herrn“ beruft aus dem „brennenden Dornbusch“ Mose zum Propheten. Im Geist und im Namen Jahwehs führt Mose danach das versklavte Volk in die Freiheit. In jedem Fall war der „Engel des Herrn“ eine geistige Erscheinung, eine „Stimme“, der die aufgerufenen Menschen nicht hätten Folge leisten müssen, wenn sie nicht freiwillig dazu bereit gewesen wären, für das Wohlergehen des Nächsten Entbehrungen und Leiden auf sich zu nehmen.

Im Alten Testament rief der Geist JHWH die Menschen dazu auf, die Verantwortung für ihre Mitmenschen zu erkennen und danach zu leben. Im Namen JHWH verkündet Mose das Gesetz der Zehn Worte, das die Grundrechte der Schwachen auch gegen die Mächtigsten schützen soll.

Schon unter Mose war das Volk vom Geist JHWH abgefallen und betete ein Goldenes Kalb an. Kein „Engel des Herrn“, kein leibhaftiger Gott verhinderte die Qualen der Gerechten und die Untaten der Abgefallenen. Im Geist JHWH standen viele Propheten auf, um das Volk aufzurufen, zum Geist zurückzukehren. Alle Bücher des Alten Testamentes beweisen, daß die Masse der Menschen selten bereit gewesen ist, dem Geist und dem Ruf der Propheten zu folgen. Deshalb mußten die Propheten lehren, daß die Ereignisse der Geschichte, Katastrophen, verlorene Kriege, die Vernichtung des Tempels, die Strafe Gottes für den Abfall der Menschen war. Diese Strafen trafen aber nicht selten erst spätere Generationen, während die Schuldigen noch ein angenehmes Leben führen konnten.

Aus dem nach dem Propheten Mose benannten Schriften des Alten Testamentes ist zu entnehmen, daß es lange Zeiten gegeben hat, in denen der „Name JHWH“ bei den Menschen nicht mehr bekannt gewesen ist. Aber immer waren wenige bereit, unter Entbehrungen und Opfern im Widerstand gegen weltliche und religiöse Mächte den Geist „JHWH“ weiterzugeben.

Es gibt viele Deutungen und Erklärungen für die Tatsache, daß im Judentum nach dem babylonischen Exil der Name Jahweh nicht mehr ausgesprochen werden durfte. Es ist aber, soviel ich weiß, bisher nicht beachtet worden, daß allein daran die völlige Wandlung der Tradition und Glaubensauffassung zu erkennen ist.

Zum Geschlecht Enosch wird in der Bibel nur der einzige Satz gesagt: „In dieser Zeit begann man, den Namen JHWH auszusprechen.“

Als Maria schwanger war, war es verboten, diesen Namen auszusprechen. Joseph war aber ein „Engel des Herrn“ erschienen, dem jeder die Übereinstimmung mit den im Alten Testament erscheinenden „Botschaften JHWH’s“ zugestehen muß.

So liegt der Gedanke nahe, daß in der ersten hebräisch-aramäischen Überlieferung des Evangeliums, die erst mündlich und später schriftlich verbreitet worden sein wird, wahrscheinlich der Name JHWH ausgesprochen und neu geschrieben worden ist.

Das bedeutet, daß Joseph von Nazareth in einer, von der mittelalterlichen Kirche nicht beachteten, von den gesetzestreuen Juden abgelehnten Tradition gelebt hat, in der die alten Gedanken bewahrt worden sind, und daß Jesus in dieser Tradition der Bewahrer aufgewachsen ist. Dieser Gedanke wird bekräftigt durch den bei Johannes geschriebenen Ausspruch:

Joh. 4.24.

Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.