Buchcover

Ingeborg Arvola

Simon gibt sich nicht geschlagen

Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider

Saga

1

Gerade als ich im Flur meine Regenjacke ausziehe und auf den Boden fallen lasse, kommt Mama mit einem Lächeln um den Mund zu mir heraus.

»Schau, was ich für dich habe«, sagt sie und hält mir ein Tagebuch hin.

Auf der ersten Seite steht »Für Simon«. Ich werfe Mama, die immer noch lächelt, einen schiefen Blick zu.

»Nie im Leben kritzle ich in so ein Tagebuch!«, sage ich.

Ich bin nämlich kein so dichterisch veranlagtes Seelchen wie Runa aus unserer Klasse. Sie schreibt jedes Mal längere Aufsätze, als wir müssen, und in der Pause liest sie Bücher! Heute hat Jan ihr Buch angezündet. Zu unserer großen Freude fing sie zu heulen an. Danach wurde Jan von einem aus der siebten Klasse an einen Kleiderhaken gehängt, und als der Lehrer kam um ihn herunterzuholen, sagte er, eigentlich hätte es Jan verdient, hängen zu bleiben, so gemein wie er zu Runa gewesen ist. »Glaub bloß nicht, dass du mich schrecken kannst, Rattengesicht«, hat Jan geantwortet. Er kann so frech sein. Deshalb mag ich ihn. Nicht einmal die großen Jungen können ihn zum Schweigen bringen und um ihn zu verprügeln, sind mehr als zwei nötig. Jan ist mein bester Freund. Mama meint, wir seien ungenießbar. Jetzt hängt sie meine Regenjacke auf und ich frage mich, warum sie immer noch so hintergründig lächelt. Verheimlicht sie mir etwas?

»Wenn du dieses Tagebuch voll schreibst, Simon, bekommst du von mir fünfhundert Kronena«, sagt Mama.

Diese Mütter! Sie weiß, dass ich scharf aufs Geld bin. Und sie nützt das aus! Geht so weit, mich dafür zu bezahlen, dass ich still sitze. Ich habe eine Idee. Sofort verwandelt sich mein schiefer Blick und ich beglücke Mama mit meinem unschuldigen Lächeln.

»Ich denke, wir sagen tausend Kronen«, sage ich.

Mama ist nur eine arme Kunstmalerin und kann nicht einfach so mir nichts, dir nichts 1000 Kronen hinblättern. Das sagt sie jedes Mal, wenn ich etwas will, was über fünf Kronen kostet. Ich grinse immer noch Mama an und bin überzeugt, dass das Tagebuchprojekt damit gestorben sein dürfte. Aus und vorbei.

»Okay«, sagt Mama. »Dann sagen wir tausend.«

Sie dreht sich um und geht und ich stehe da wie ein begossener Pudel. Das ist gemein! Bei tausend Kronen kann ich einfach nicht nein sagen. Hellblau und süßlich klebt das Tagebuch zwischen meinen Fingern. Ich knalle es an die Wand und verschwinde in mein Zimmer. Tausend Kronen dafür, dass ich mal für eine Weile still sitze? Ich gehe erregt auf und ab. Dieses Tagebuchprojekt hat sicher etwas mit Mamas neuem Freund zu tun. Er taucht immer öfter hier auf, und je öfter er hier ist, umso mehr mache ich Zoff. Gestern habe ich einen Knallfrosch in Mamas weite Kitteltasche geschmuggelt und gerade, als sie sich küssen wollten, hat es fürchterlich gekracht. Sie haben ausgesehen, als hätte sie der Blitz gestreift! Mama schob mich in mein Zimmer und fragte mich, warum ich mich wie ein Rotzbengel benehme. Ich sagte, das sei doch logisch. Ich könne ihn einfach nicht ausstehen und das stimmt nun mal. Und jetzt hat sie also vor, mich zu zwingen, Tagebuch zu schreiben. Ich marschiere in Mamas Atelier. Sie reinigt ihre Pinsel und wirft mir einen fragenden Blick zu, als ich hereinstürme.

»Ich mach da nicht mit«, sage ich.

»Kein Tagebuch?«, fragt Mama.

»Nie im Leben!« Ich verschränke demonstrativ die Arme vor der Brust. »Das ist nicht mein Fall!«

»Hm«, sagt Mama nachdenklich.

»Hmmmm«, sage ich und äffe sie nach.

»Zweitausend.« Mama dreht mir den Rücken zu und beschäftigt sich wieder mit ihren Pinseln. Ich schnaube durch die Nase und vergesse, wie wütend ich bin, dass sie mich hereingelegt hat. Für zweitausend kann mich Mama dazu bringen, alles zu tun.

»Zweitausend?«, wiederhole ich mit piepsiger Stimme.

»Ja«, sagt Mama und dreht sich um. Ich sehe, dass ihr Lächeln wieder da ist. »Take it or leave it, baby.«

Ich kann nicht anders als nicken. Als ich gerade gehen will, schießt mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Jan! Was wird er sagen, wenn er erfährt, dass ich Tagebuch schreibe? Er darf es nie erfahren!

»Unter einer Bedingung«, sage ich warnend zu Mama. Sie zieht fragend die Augenbrauen hoch. »Du darfst es nie Jan erzählen.«

»Okay«, sagt Mama.

Ich schlendere in den Flur und hebe das hellblaue Ding auf. Ich überlege, ob ich versuchen soll, den Preis noch weiter in die Höhe zu treiben, zucke dann aber mit den Schultern. Das wäre nutzlos. Ich habe bis jetzt noch nie für irgendetwas so viel Geld bekommen. Das Tagebuch verstecke ich ganz unten in einer Schublade. Dann gehe ich um Jan anzurufen. Er verspricht mir, später zu kommen und mir im Kampf gegen Mamas Freund zu helfen. Der Typ ist Psychiater und Jan hat gesagt, solche Leute arbeiten mit Verrückten. Anfangs meinte Jan, das klinge doch spannend, wenn jemand mit Verrückten zu tun hat, aber weil ich Mamas Freund zutiefst hasse, sind Jan und ich uns einig, dass Psychiater stinken.

Seit kurzem lässt mich der grässliche Gedanke nicht mehr los, Mamas Freund könnte Vorhaben, hier einzuziehen. Statt der früheren Blumensträuße kommt er jetzt immer mit Pappkartons an, die Mama in einem der Zimmer verstaut, die nicht benutzt werden. Er begleitet sie dort hinein und ich lausche an der Tür und platze fast vor Wut, wenn ich die verdächtigen Schmatzlaute höre, die sie erzeugen.

»Hast du dir schon überlegt, wie du mich nennen willst?«, fragte er vor einiger Zeit.

»Schleimer!«, habe ich vorgeschlagen.

»Was hältst du von Stiefvater?«

»Du bist nicht mein Stiefvater!«, habe ich geschnaubt.

»Aber ich werde es bald sein.«

Wenn er Dinge sagt, die mich überraschen, hat er immer so ein ekliges Lächeln im Gesicht. Ich habe Mama gefragt, ob das wahr sei. Ob dieser Typ mein Stiefvater werden soll. Mama blickte in eine andere Richtung und war total mit dem Abschmecken der Suppe beschäftigt, die sie kochte. Ich kapier das alles nicht. Früher sagte sie, dass sie Männer hasse und nichts mehr mit ihnen zu tun haben wolle. Das war seit Jahren ihre Meinung. »Und wenn du, Simon, zwischen den Beinen so weit bist, ein Mann zu werden«, sagte sie noch, »dann kannst du dir eine andere Wohnung suchen.« Und auf einmal tauchte dieser Kerl auf, von dem man nicht gerade behaupten kann, dass er ein Traumprinz ist, und noch dazu ein Psychiater, als könnte er sich darauf etwas einbilden. Nicht einmal Jan begreift das mit diesem Stiefvater und er kennt sich sonst mit Erwachsenen aus. Seine Eltern streiten sich, seit er denken kann.

Ich höre ein Auto in der Einfahrt und bin sicher, dass es Mamas Freund ist. Ich renne in die Diele um Jan anzurufen. Er muss sich beeilen. Als ich den Hörer abnehme, höre ich, wie die Haustür geöffnet wird und Mama in die Garderobe stürzt. Die ekligen Schmatzlaute schallen durch die Wohnung und ich werde so wütend, dass ich mich bei Jans Nummer verwähle. Da höre ich Mamas flüsternde Stimme: »Ich bin mit zweitausend davongekommen, Liebling.«

»Nicht mehr?«, flüstert dieser Kerl. »Und dabei hätte ich mit Freuden zehntausend bezahlt, um ein paar ungestörte Minuten mit dir zu haben.«

Sie kichern und ich lege den Telefonhörer leise auf. Demnach ist es Mamas Freund, der das Geld rausrückt. Das hätte ich mir denken können. Und er wäre bereit gewesen, ohne mit der Wimper zu zucken zehntausend zu zahlen. Das ist zum Heulen. Mir wird ganz schwindlig. Ich knalle die Tür zu meinem Zimmer zu und warte auf Jan.

2

Nach dem Essen kommt Jan rüber zu mir. Er ist schlecht drauf und trampelt mit seinen Straßenschuhen direkt in mein Zimmer. Ich will ihm schon sagen, wie wütend Mama werden kann, wenn sie die Dreckspuren sieht, lasse es dann aber sein. Es ist nicht so, dass ich hier total unterdrückt werde und bei Jan zu Hause alles in Ordnung wäre. Doch wenn sich jemand über sein Dasein beschwert, bin ich es. Jan erzählt fast nie etwas. Er will sich nicht über sein Zuhause beschweren. Ich glaube, er redet nicht gern darüber. Deshalb kommt auch er zu mir und hilft mir bei meinen Problemen. Zuerst gehen wir ins Bad, denn Jan will ausprobieren, ob wir es schaffen, eine Überschwemmung auszulösen.

»Was meinst du, Simon«, sagt er, »wenn ich keinen Stöpsel reinstecke und die Hähne am Waschbecken voll aufdrehe?«

»Vielleicht«, antworte ich hoffnungsvoll.

Wir beobachten eine Weile den rauschenden Wasserstrom, aber es sieht so aus, als würden die Abflüsse im Bad nicht im Geringsten verstopft sein. Das Wasser steigt nie höher als bis zur Hälfte.

»Was sollen wir mit Mamas Freund machen?«, frage ich ungeduldig. »Du wolltest mir doch helfen.«

Jan überlegt. Er ist ein absoluter Spezialist für Streiche und nach kurzem Nachdenken blitzen seine Augen verschmitzt.

»Ich hab’s!«, sagt er. »Wir zerstechen seine Autoreifen!«

Das ist eine coole Idee und wir rennen mit unseren Fahrtenmessern vors Haus. Wir sind gerade mit zwei Reifen fertig, da entdeckt uns meine Mama. Sie kommt auf uns zugeschossen, und bevor wir wissen, wie uns geschieht, hat sie Jan am Kragen gepackt. Jan versucht sich loszureißen, vergeblich. Ich zerre an ihrem Arm, mit dem sie Jan festhält, aber Mama stößt mich mit ihrem anderen Arm einfach weg. Ich liege am Boden und sehe, wie Mama Jan mühelos zur Einfahrt trägt, obwohl er wie ein Aal zappelt. Sie ist ja immerhin zwei Meter groß und es ist nicht das erste Mal, dass sie uns außer Gefecht setzt. Man hat einfach keine Chance gegen sie, bei ihrer Größe. Draußen vor dem Zaun lässt sie Jan fallen.

»Und jetzt mach bloß, dass du nach Hause kommst, Jan«, sagt Mama mit wütender Stimme.

Jan, der Mama gerade gegen das Schienbein treten will, zuckt überrascht zurück.

»Was?«, sagt er.

»Mach, dass du nach Hause kommst!«, sagt Mama.

»Nein«, sagt Jan.

»Hier hast du nichts mehr verloren!« Mama klingt immer noch wütend.

»Du weißt nicht, was du tust!«, schreit Jan. »Verdammte Bilderschmiererin!«

Ich rapple mich auf und sehe Jan die Straße runterrennen. So wütend habe ich ihn selten erlebt, aber er mag es gar nicht, wenn ihm jemand einen guten Streich vereitelt. Mama wirft mir einen fragenden Blick zu.

»Was ist los mit Jan?«, fragt sie scharf.

Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich hat Jan kein Recht, sauer zu sein, weil er mit einem Messer in einem Autoreifen erwischt wurde. Ich glaube, das weiß er. Da muss etwas anderes dahinter stecken. Mama dagegen hat allen Grund, wütend zu sein, und das ist nicht zu übersehen. Sie ist außer sich vor Zorn, als sie zur Haustür geht, und ich sehe ihren neuen Freund dort stehen. Der Typ hat offenbar beobachtet, was passiert ist. Er schaut mich an und ich ziehe eine Grimasse. Er soll sich da bloß raushalten. Nachher werde ich Jan anrufen und wir werden über das Ganze lachen. Zwei Autoreifen, das ist doch eigentlich nicht so schlimm. Und vielleicht sollte ich ihn fragen, was los ist und warum er so sauer war?

Bei Jan geht keiner ans Telefon. Den Rest des Abends knirsche ich mit den Zähnen, weil der Psycho-Schleimer beim Fernsehen ständig Mama anhimmelt. Er bleibt über Nacht bei ihr.


Am nächsten Morgen wartet Jan nicht wie sonst, um gemeinsam mit mir in die Schule zu gehen. Ich stehe lange vor seinem Haus und pfeife, aber dort scheint alles wie ausgestorben. Durch das Küchenfenster sehe ich ein großes Durcheinander, der Tisch ist umgekippt. Haben sich Jans Eltern wieder gestritten? Ich muss allein zur Schule losziehen. Das ist ein komisches Gefühl, etwa so als hätte ich vergessen, die Jacke anzuziehen. In der Klasse sagt der Lehrer, dass Jan krank ist, und runzelt dabei so seltsam die Augenbrauen. Statt uns anzuschauen, blickt er aus dem Fenster. Ich beschließe, nach dem Essen zu Jan hinüberzugehen. Ich möchte doch wissen, wie krank er ist. Vielleicht hat er selbst in der Schule angerufen und so getan, als sei er seine Mutter, weil er schwänzen wollte. Dann schulde ich ihm einen Zehner, denn wir haben gewettet, wer es schafft, den Lehrer reinzulegen. Ich werde ihm erzählen, dass dem Lehrer die Krankheit nicht ganz geheuer war, denn er hat die Augenbrauen sehr seltsam gerunzelt. Bei mir zu Hause ist es sowieso blöd, sicher ist der Psychodoktor da.

Beim Essen bietet mir der Kerl doch tatsächlich Geld an, wenn ich ihm die zerstochenen Reifen wechsle. Völlig bescheuert. Warum kann er sich nicht endlich verpissen?

»Die zerstochenen Reifen sind eine Warnung«, sage ich zu ihm.

»Ach so?«, meint er überrascht.

»Du sollst dich endlich verpissen!«

»Aber dazu brauche ich doch ein Auto mit heilen Reifen«, sagt er.

»Wie viel zahlst du?«, frage ich, nach wie vor angriffslustig, merke aber, dass ich weich werde. Ich brauche Geld für Süßigkeiten und Cola und Knallfrösche und falsches Blut. Und bis das Tagebuch voll geschrieben ist, das kann noch lange dauern.

»Mehr als genug«, antwortet dieser Typ und lacht sein grässliches Lachen, als seien wir dicke Freunde.

Bei Jan ist immer noch keiner daheim und niemand hat in der Küche aufgeräumt. Das ist komisch. Wenn sie weggefahren wären, hätte Jan angerufen und es mir erzählt. Jan und ich, wir erzählen uns alles, fast alles. Das mit dem Tagebuch natürlich nicht. Ich drücke meine Nase am Küchenfenster platt, sehe aber nur das Riesenchaos. Was sind das für dunkle Flecken auf dem Läufer? Ist das etwa Blut?, denke ich schaudernd. Oder hat jemand eine Kaffeetasse umgekippt? Ich zucke mit den Schultern und schlendere nach Hause. Werden wohl Kaffeeflecken sein. Ich weiß, dass sich Jans Eltern manchmal so sehr streiten, dass sie aufeinander losgehen, aber bis Blutflecken auf den Teppich kommen, muss man schon hart zuschlagen. Das weiß ich. Thomas in meiner Klasse hat mir ein paarmal auf die Nase gehauen. Dann blutet es. Ich habe mich schon oft geprügelt und fest zugeschlagen, aber nie so fest, dass Blut geflossen ist.

Weil ich nichts Besseres zu tun habe und nicht mit dem schmatzenden Liebespärchen auf der Couch sitzen will, wechsle ich die zwei Reifen am Auto. Das ist nicht so schwierig. Was ist dieser Psychodoktor bloß für eine Memme!

Als ich im Bett liege, kommt Mama in mein Zimmer, um mir Gute Nacht zu wünschen. Zusammen mit ihm.

»Warum bist du nicht wütend über die aufgeschlitzten Reifen geworden?«, frage ich ihn.

»Wütend? Warum sollte ich wütend werden? Weißt du, Simon, wenn man eine so gute Ausbildung hat wie ich, bekommt man einen guten Job und braucht sich nicht über aufgeschlitzte Reifen zu ärgern. Denn dann hat man genügend Geld, um sich ein Taxi zu leisten.«

Er blinzelt Mama zu. Und mir ist klar, dass sie über mein eher mäßiges Interesse an der Schule gesprochen haben. Ich höre Mama kichern und drehe mich knurrend zur Wand. Schlimmstenfalls küssen sie sich jetzt hinter meinem Rücken. In meinem Zimmer! Erwachsene haben nicht den geringsten Anstand. Wenn dieser Kerl so viel Geld für ein Taxi hat, warum nimmt er dann keines und fährt dorthin, wo der Pfeffer wächst? Sie wünschen mir eine Gute Nacht und ich grunze nur.


Jan kommt auch am nächsten Tag nicht zur Schule. Das Haus wirkt immer noch wie ausgestorben. Sind sie von Aliens geholt worden? Wenn Jan nicht da ist, macht die Schule keinen Spaß. In jeder Pause werde ich von Thomas triumphierend vermöbelt. Ich weiß, dass es am besten wäre, mich zu verkrümeln, wenn Thomas es auf mich abgesehen hat, aber dann würden sie mich alle verspotten. Deshalb prügle ich mich, so gut ich kann, bis ich mit blutender Nase am Boden liege.

Runa blickt von dem Buch auf, in dem sie liest, und heute ist sie es, die lacht. Sie wird von allen gehänselt, weil sie wie ein Junge aussieht. Dabei könnte aus ihr nie ein richtiger Junge werden. Jungs lesen keine Bücher in der Pause. Und Jungs heulen nicht. Deshalb kneife ich die Augen zu, als ich aufstehe, und strecke nur kurz Runa die Zunge heraus. Sie lacht nicht mehr. Sie scheint eher Mitleid mit mir zu haben. In mir staut sich ein solcher Hass auf, dass ich nicht in die nächste Stunde gehen kann. Ich hasse Runa. Ich hasse Thomas. Ich hasse Mamas Freund. Wir werden nie unter einem Dach wohnen, dieser Stiefvater und ich, das schwöre ich. Der Lehrer kommt und holt mich. Und den, ja, den hasse ich auch.