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Odilo Lechner
Damit der Glaube weitergeht

topos taschenbücher, Band 1063

Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus

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Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8367-1063-3
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5060-8
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6060-7

2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
© by Vier Türme GmbH, Verlag, D-97359 Münsterschwarzach, Abtei.
Erweiterte Lizenzausgabe
Umschlagabbildung: © SolStock/iStock.com
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Inhalt

Vorwort

Haben wir versagt?

Schriftmeditation

Verurteilt und frei geworden

Gott ist ein Liebhaber der Freiheit

Schriftmeditation

Last und Lust der Freiheit

Ist alles anders geworden?

Schriftmeditation

Der Weg zum Größeren

Kinder brauchen Religion

Schriftmeditation

Das Vorrecht des Kindes

Schriftmeditation

Maßstab Kind

Die Chancen des Alters

Schriftmeditation

Die späte Chance

Für die Kinder beten

Mit Kindern beten, die nicht gewohnt sind zu beten

Literaturauswahl

Vorwort

Im Frühjahr 2005 durfte ich mich in der Abtei Münsterschwarzach mit benediktinischen Seelsorgern und einigen Laien über die Frage unterhalten: „Wie geht es heute den älteren Menschen in der Kirche?“

Dieser Erfahrungsaustausch machte offenbar, wie viele Menschen darunter leiden, dass sich ihre erwachsenen Kinder und damit auch ihre Enkelkinder dem kirchlichen Leben entfremdet haben. Viele quält die Frage: „Was haben wir falsch gemacht, dass diese Kinder und Enkelkinder nicht mehr glauben und nicht nach unseren christlichen Wertvorstellungen leben?“

Aus diesem Gespräch entstand die Anregung zu diesem Buch. Die Fragen, die hier nun zusammengestellt sind, tauchten so oder ähnlich in Gesprächsrunden von Senioren, in Begegnungen, im Sprechzimmer oder im Beichtstuhl immer wieder auf.

Nun, zehn Jahre später, hat sich die Situation verschärft. Nach der Shell-Jugendstudie 2015 ist die Zahl der der Kirche Entfremdeten weiter gestiegen. So ist seit 2002 die Zustimmung junger Katholiken zur Aussage, der Glaube an Gott sei für die Lebensführung wichtig, von 51 % auf 39 % gesunken. Eine Mehrheit der Eltern legt, wie Umfragen ergeben, keinen Wert auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder. 56 % sagen, dass sie ihren Kindern nicht irgendeine religiöse Haltung nahelegen wollen, sondern sie sollten später selber entscheiden.

Und doch ist es vielen Menschen ein Bedürfnis, dass der Glaube weitergeht. Diesem Anliegen wollen die Überlegungen in diesem Buch dienen.

Odilo Lechner OSB

Haben wir versagt?

Nun, da meine Tochter selbst Mutter geworden ist und ihr Kind nicht taufen lässt, fällt es mir und meinem Mann schwer auf die Seele:

Warum ist ihr das gleichgültig, was uns doch immer wichtig war, der christliche Glaube? Warum hat sie sich von der Kirche entfernt? Ich frage mich: Was haben wir falsch gemacht? Ich fühle mich schuldig, in der Erziehung, in der Weitergabe des Glaubens versagt zu haben.

Wenn Kinder gläubiger Eltern nicht mehr zur Kirche gehen, ja aus der Kirche austreten, muss dies kein Zeichen dafür sein, dass die Eltern etwas falsch gemacht haben und sie sich dafür die Schuld zuschreiben müssten.

Heute beklagen viele Menschen, dass die jüngeren Generationen oft ganz andere Wertvorstellungen haben, vor allem aber dass sie die kirchliche Bindung verloren haben. So berichtet mir ein befreundeter Pfarrer aus Unterfranken von der Pfarrei, die er fast drei Jahrzehnte lang betreut hat:

1971 hatte sie 72,64 % Kirchgänger. Als er die Pfarrei 1999 abgab, waren es nur noch 21 %. Auch er ist bedrückt über diese Entwicklung, fragt sich: „Was habe ich falsch gemacht? Habe ich mich nicht genügend eingesetzt?“ Aber er sagt sich auch: „Ich habe mich wie viele Mitbrüder unablässig eingesetzt, getan, was mir möglich war.“

Früher hatte er sehr viele Ministranten, die gerne und bis ins Erwachsenenalter noch Dienst taten. Die letzte Zeit musste er unter den Kommunionkindern mühsam werben und betteln, um sie für den Ministrantendienst zu gewinnen. Bewegt hat ihn ein Erlebnis vor ein paar Jahren. Er ging am Abend über den Marktplatz und sah eine Gruppe von 16- bis 18-Jährigen, von denen die meisten Ministranten oder Mitglieder der Pfarrjugend gewesen waren. Sie haben ihn kaum gegrüßt. Als er einen fragte, was sie denn heute Abend machen würden, wussten sie es selbst noch nicht: „Wir müssen zunächst entscheiden, in welche Disco wir heute fahren, weil es da erst um zehn oder elf Uhr richtig losgeht.“

Wir alle haben in den letzten Jahrzehnten den Rückgang an Kirchlichkeit erlebt. Der nüchterne Blick auf die Statistiken lässt uns erschrecken: 1950 sind 50,4 % der Katholiken in Deutschland in den Sonntagsgottesdienst gegangen, 2003 waren es 15,2 %. 1983 gab es in Deutschland 115 000 kirchliche Trauungen, 2003 waren es nur noch 50 000.

Natürlich müssen und dürfen wir nach den individuellen und allgemeinen Ursachen solch betrüblicher Entwicklungen fragen. Aber zunächst einmal darf uns dieser Befund in der Frage nach der persönlichen Schuld auch entlasten. Jeder Mensch geht seinen eigenen Weg, jeder steht auch unter dem Einfluss seiner Umwelt, seiner Zeit. Ich muss solche Tatsachen annehmen. Ich muss Entscheidungen, Entwicklungen, Wege der Kinder, der Enkelkinder, anderer mir anvertrauter Menschen annehmen. Jesus ist es nicht anders gegangen.

Das Johannesevangelium berichtet von der Begeisterung der Massen für Jesus nach der Brotvermehrung am Galiläischen Meer, aber ebenso über die Verstimmung vieler Anhänger gleich im Anschluss an die Brotrede Jesu in Kafarnaum: „Da zogen sich viele Jünger zurück.“ Und Jesus fragte die Zwölf: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Johannes 6,66f.) Er nimmt diesen Misserfolg hin, weil er die Freiheit der Menschen achtet und liebt.

So müssen und dürfen auch Sie ein solches Weggehen hinnehmen, weil Sie die Freiheit ihrer Kinder und Enkel achten. Zugleich müssen Sie sehen: Die Menschen leben heute unter anderen Bedingungen in Kirche und Welt, als Sie es selbst noch erlebt haben.

Kann ich solche Entwicklungen hinnehmen? Wieso ist denn gegenüber meiner Jugendzeit vieles ganz anders geworden?

Ja, auch ich denke manchmal mit Wehmut an das Aufblühen katholischer Jugendarbeit in den Nachkriegsjahren zurück oder an die großen Hoffnungen, die sich etwa in den Sechzigerjahren mit dem Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils verbanden.

Aber zum christlichen Glauben gehört auch eine nüchterne Sicht der Wirklichkeit und deren Annahme. Wir haben ebenfalls in den Sechzigerjahren erlebt, wie in der ganzen Gesellschaft weithin Wertvorstellungen nicht mehr weitergegeben werden konnten, wie manche Tradition abgebrochen ist.

Aufgewachsen sind die meisten von uns noch in einem intakten katholischen oder christlichen Milieu. Viele Vorstellungen, Bräuche, Verhaltensweisen wurden – ohne größere Vorbehalte – von Generation zu Generation weitergegeben. Das hat sich auch auf dem Land grundlegend geändert. Durch die modernen Kommunikationsmittel ist allen, auch den Kindern, eine Fülle religiöser Vorstellungen, moralischer Verhaltensweisen, Sinndeutungen des Lebens zugänglich.

Wir können die ganze Geschichte der Menschheit und die Kulturen aller Kontinente gleichsam „abrufen“. Wir leben in einer Welt des Pluralismus, in einer Welt mannigfacher weltanschaulicher Angebote. So ist es eben nicht mehr selbstverständlich, die Vorstellungen der eigenen Eltern zu übernehmen. Für die Sinndeutung des Lebens hat die Kirche kein Monopol mehr. Sie steht, solange ich mich nicht ganz persönlich für sie entschieden habe, lediglich neben vielen anderen Anbietern.

So ist unsere Gesellschaft gekennzeichnet durch einen zunehmenden Individualismus. Jeder kann seinen eigenen Weg gehen, und jeder will ihn selbst wählen – so leicht er sich auch darüber hinwegtäuscht, dass er doch nur einem Trend, den immer stärker werdenden Einflüssen der Medien, der Reklame oder einem Gruppenzwang folgt.

Unsere Welt ist zudem immer mehr von naturwissenschaftlichem und technischem Denken geprägt, vom Blick auf äußere Daten, die mathematisch überprüfbar sind, vom Blick auf das Machbare. Der Blick ist immer mehr auf den äußeren Erfolg, auf den materiellen Gewinn, auf Aktienkurse und auf die Events der Unterhaltungsindustrie gerichtet. Der Mensch wird zusehends außengesteuert. Vom Aufwachen bis zum Einschlafen ist er von Stimmen und Tönen, von Bildern und Zeichen umstellt. So hat die Suche nach dem, was die Einzeldaten übersteigt und umgreift, nach dem Sinn des Ganzen und des eigenen Lebens, nach dem Innen und nach der Mitte wenig Raum.

Die Jagd nach dem jeweils Neuesten unterdrückt die Sehnsucht nach dem Bleibenden und Ewigen, lässt Bräuche und Riten, die auf dieses Bleibende hinweisen, als veraltet erscheinen.

Da hat es das Wort der Kirche, des Glaubens viel schwerer, den Menschen zu erreichen, als in früheren Zeiten, da die ganze Gesellschaft noch vom Kirchenjahr, von den gemeinsamen Sitten und Festen und von den Einrichtungen der Kirche geprägt war, und zwar vom Kindergarten und von der Schule bis hin zum Altenheim.

Trotz allem: Die Sehnsucht nach etwas Bleibendem, die Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben, die Sehnsucht nach dem Ganzen ist geblieben, ist gerade heute unter jungen Menschen verstärkt spürbar. Die Antworten freilich können nicht mehr einfach übernommen, sondern müssen in Freiheit gefunden werden.

Schriftmeditation

Verurteilt und frei geworden

„Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen.