Dr. Laurin 146 – Eine Lüge war die Basis

Dr. Laurin –146–

Eine Lüge war die Basis

Dr. Laurin deckt das Geheimnis dieser Ehe auf

Roman von Patricia Vandenberg

Es war einer jener Eingriffe, die Chefarzt Dr. Laurin stets ein wenig traurig stimmten – eine Hysterektomie.

Aber in diesem Fall kamen die Ärzte an dem radikalen Eingriff nicht vorbei. Schon bei der ersten Untersuchung hatte Dr. Laurin eine verdickte Gebärmutter ertasten können, und die genauere Untersuchung – insbesondere der Befund des Histologischen Institutes – hatten ergeben, dass eine Totaloperation erforderlich war.

Dr. Laurin scheute im Grunde genommen vor einem solchen Eingriff stets zurück, weil durch ihn die Patientin nie mehr Kinder bekommen konnte. Ein kleiner Trost war für ihn, dass die Patientin, die er gerade operierte, bereits drei Kinder hatte.

Das machte den Ärzten ihre Arbeit ein wenig leichter.

Die Patientin befand sich in einem guten Allgemeinzustand, sodass Dr. Laurin und der Chefarzt der Chirurgischen Abteilung Dr. Sternberg die Operation ohne Sorgen beginnen konnten. Tatsächlich gab es keinen Zwischenfall.

Dr. Sternberg arbeitete geschickt und schnell wie immer, und als es vorbei war, wurde die noch tief in Narkose liegende Frau auf einem Rollbett zur Wachstation gebracht.

Dr. Laurin, Dr. Sternberg und sein Assistent Dr. Hillenberg standen im Waschraum und schrubbten sich die Hände.

»Das hätten wir also mal wieder«, sagte Dr. Hillenberg. Er war mit Moni, der hübschen Sekretärin von Dr. Laurin, verheiratet, und die beiden führten eine glückliche Ehe.

»Ja, das hätten wir mal wieder«, meinte Dr. Laurin. »Ich bin bloß froh, dass es keine Zwischenfälle gegeben hat.«

Dr. Hillenberg warf ihm einen Seitenblick zu. »Sie haben schlechte Laune, Chef, oder?«, fragte er.

»Nach einer Hysterektomie hat er immer schlechte Laune«, bemerkte Dr. Sternberg.

»Weil es etwas so Endgültiges ist. Versteht ihr das nicht?«, erwiderte Dr. Laurin.

»Selbstverständlich ist es etwas Endgültiges«, meinte Dr. Sternberg. »Aber wir haben der Frau durch diesen Eingriff vermutlich das Leben gerettet. Ist das nichts?«

»Das weiß ich alles selber«, knurrte der Chef der Prof.-Kayser-Klinik. »Trotzdem wurmt es mich. Zum Glück sind die Verhältnisse der Patientin in diesem Fall so gelagert, dass …« Er ließ das letzte Wort in der Luft hängen.

»Sie hat schon drei Kinder«, ergänzte Dr. Sternberg, »und außerdem will sie gar keine mehr. Freuen wir uns also besser darüber, dass die Operation gut verlaufen ist, und denken wir daran, dass der Eingriff unausweichlich war. Demzufolge hat niemand einen Grund, den Kopf hängen zu lassen oder verärgert zu sein.«

Dr. Laurin griff nach dem Handtuch.

»Hier werden mir zu viele weise Reden geschwungen«, äußerte er und machte, dass er davonkam.

Natürlich wusste er, dass Dr. Sternberg recht hatte. Sie hatten gar keine andere Wahl gehabt, und sie hatten der Patientin mit dieser Operation den besten Dienst erwiesen.

Dr. Laurin versuchte also, seine Verstimmung hinunterzuschlucken, während er hinüberging, um nach der Patientin, die in der vergangenen Nacht ihr Kind zur Welt gebracht hatte, zu sehen.

Sie schlief, und Dr. Rasmus, einer von Leons Assistenten, wusste zu berichten, dass es ihr gut ging.

»Nur ist sie total erschöpft«, bemerkte der junge Arzt.

Kein Wunder, denn die Wehentätigkeit hatte sehr lange gedauert, sodass Dr. Laurin sich am Ende zu einer künstlichen Beschleunigung entschlossen hatte. Die Geburt selbst war glatt verlaufen, und nun lag die junge Mutter hier und ruhte sich von ihren Strapazen aus, während drüben in der Säuglingsstation ein strammer kleiner Junge schlief, jener Junge, den die Frau zur Welt gebracht hatte.

»Es gibt also auch noch Erfreuliches auf der Welt«, sagte Dr. Laurin, nachdem er den Puls der Patientin überprüft hatte, und ging wieder.

Dr. Rasmus lächelte hinter ihm her. Er wusste, was der Chef gerade hinter sich hatte, und deswegen verstand er dessen Bemerkung. Dr. Laurin gehörte nun mal nicht zu jenen Ärzten, die in ihren Patienten lediglich die medizinischen Fälle sahen, sondern er sah die Schicksale hinter ihnen und konnte sich nur zu gut in ihre Gefühle hineindenken. Daher versuchte er auch stets, ihnen seelisch zu helfen, wenn das erforderlich war.

Dr. Laurin schaute auch noch zu zwei anderen Patientinnen hinein, die ihm im Moment ein wenig Sorgen machten, dann aber blieb ihm der schlimmste Weg, den er jeden Tag anzutreten hatte, nicht länger erspart.

Er musste in sein Büro gehen, um sich dem Schreibkram zu widmen, wie er die ungeliebte, aber unvermeidliche Büroarbeit, die auf ihn als Chef der Prof.-Kayser-Klinik nun mal zukam, zu nennen pflegte.

Hübsch, lächelnd und ungemein tüchtig aussehend, saß Moni Hillenberg hinter ihrem Schreibtisch. Sie ordnete gerade eine Reihe von Briefen in die Unterschriftenmappe.

Dr. Laurin blickte sie misstrauisch an.

»Wenn Sie so lächeln, weiß ich genau, dass ein ganzer Berg von Arbeit auf mich zukommt«, sagte er.

»Es geht«, erwiderte Moni leichthin. »In spätestens einer Stunde sind wir fertig.«

»In einer Stunde!«, stöhnte der Chefarzt.

»Denken Sie doch nur mal an die Leute, die den ganzen Tag lang Schreibkram erledigen müssen, um Ihren Lieblingsausdruck zu gebrauchen«, lächelte Moni.

»Wie die das überstehen, werde ich in meinem ganzen Leben nicht begreifen«, erwiderte der Arzt. »Aber dazu muss man wohl geboren sein, oder?«

»Und man muss ihnen dankbar sein, denn wenn es diese Leute nicht gäbe, müssten zum Beispiel Sie noch viel länger hinter Ihrem Schreibtisch aushalten.«

»Auch wieder wahr«, sagte Dr. Laurin und betrat sein Arbeitszimmer.

Er sah die eingegangene Post durch, die Moni auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Es war immer noch ein stattlicher Berg, obwohl Moni schon das, von dem sie glaubte, es allein erledigen zu können, aussortiert hatte.

Unter anderem befand sich bei den Briefen ein Schreiben von der Ärztekammer, in dem Dr. Laurin mitgeteilt wurde, dass eine ehemalige Patientin der Prof.-Kayser-Klinik sich über eine zu hohe Honorarrechnung beschwert habe.

Dem Schreiben war eine Fotokopie des Beschwerdebriefes beigefügt, und Dr. Laurin wurde um Stellungnahme gebeten.

Ein paar Minuten später kam Moni herein, natürlich mit der Unterschriftenmappe unter dem Arm.

»Ich nehme an, dass Sie es schon gefunden haben«, lächelte sie. Eigentlich lächelte sie immer, und nicht zuletzt deswegen war sie in der Klinik so beliebt.

»Was soll ich gefunden haben?«, fragte Dr. Laurin.

»Was schon? Das Schreiben von der Ärztekammer natürlich.« Immer noch lächelte sie.

Dr. Laurin nickte grimmig. »Ich habe es bereits gelesen. Da schreiben wir zuerst einmal einen Brief, der sich gewaschen hat. Ich bin gerade in der richtigen Stimmung dazu.«

Moni legte die Unterschriftenmappe auf den Schreibtisch.

»Erinnern Sie sich noch an die Patientin?«, fragte sie dabei.

»Und ob. Vor zwei Monaten ist sie hiergewesen, und wir haben sie drei Wochen lang ertragen müssen. So wie sie hat noch keine andere das Personal schikaniert. Erst Schwester Marie ist es gelungen, sie ein wenig zur Vernunft zu bringen. Aber schlimm genug war es immer noch.«

»Ohne Schwester Marie geht es nun mal nicht«, bemerkte Moni. »Ist die Patientin denn nun im Recht?«

»Sehe ich so aus, als ob ich überhöhte Honorarrechnungen verschicke?«, empörte sich der Chefarzt. »Ich habe ihr keinen Cent mehr abverlangt, als vertretbar war, und ich bin absolut sicher, dass die Ärztekammer sich auf meine Seite stellen wird. Die Frau wird von ihr abgeschmettert werden.«

»Also haben Sie keinen Grund, sich aufzuregen, Herr Doktor«, lächelte Moni.

»Ärgern tut es mich trotzdem«, meinte Dr. Laurin.

Moni suchte die Unterlagen der Honorarrechnung heraus, die Dr. Laurin seinerzeit ausgestellt hatte. Dr. Laurin überflog sie, und dann diktierte er auch schon den Brief, zwar sachlich, aber zwischen den Zeilen war deutlich zu erkennen, was er über diese Angelegenheit dachte.

Es dauerte etwas mehr als eine Stunde, bis Chef und Sekretärin mit der Arbeit fertig waren.

*

Eine Stunde später verließ Dr. Laurin die Klinik, um zum Mittagessen nach Hause zu fahren.

Heute war Mittwoch – Ärztesonntag!

Also gab es am Nachmittag keine Sprechstunde, und jeder andere Arzt hätte sich auf seinen freien Nachmittag freuen können. Dr. Laurin hingegen musste sich nicht nur um die Sprechstunde, sondern auch um die Klinik kümmern, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als an den Mittwochnachmittagen noch einmal hinzufahren. Freilich war er bemüht, so früh wie möglich wieder daheim zu sein, was ihm aber bei Weitem nicht immer gelang.

Als er sein Ziel erreicht hatte und den Wagen auf den Garagenvorplatz fuhr, der sich neben dem hübschen Bungalow der Laurins befand, öffnete sich die Haustür, und Antonia trat heraus, Dr. Laurins attraktive Frau.

Sie blieb in der Haustür stehen und sah Leon lächelnd entgegen, als er auf sie zukam. Er gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange.

»Bin ich nicht pünktlich?«, fragte er.

»Fast«, lächelte sie. »Was war mit der Hysterektomie?« Selbstverständlich nahm Antonia an der Arbeit und am Geschehen in der Klinik lebhaften Anteil.

»Glatt verlaufen«, erwiderte Dr. Laurin und betrat das Haus.

»Das freut mich. Hoffentlich hattest du hinterher nicht gar zu schlechte Laune.« Sie kannte ja ihren Mann.

»Sie haben mich nicht aus der Klinik hinausgeworfen«, antwortete er amüsiert, »also kann es nicht gar zu schlimm gewesen sein. Was gibt es denn heute zu essen?«

»Rouladen, mein Lieber.«

»Ausgezeichnet«, lachte Dr. Laurin und rieb sich in der Vorfreude die Hände. Er aß nun mal für sein Leben gern, und seine Familie eiferte ihm nach Kräften nach.

Nach einer Stunde waren sie mit dem Essen fertig.

Antonia und Kevin, der heute Küchendienst hatte, halfen Karin den Tisch abzuräumen und alles in die Küche zu bringen. Etwas später kam Antonia zu ihrem Mann.

Er hatte sich auf die Terrasse gesetzt, hatte die Beine von sich gestreckt und war entspannt. Liebevoll lächelte er seiner Frau entgegen.

»Na, ist die Schlacht in der Küche geschlagen?«, fragte er.

Sie setzte sich zu ihm.

»Halbwegs«, antwortete sie. »Wie sieht es heute Nachmittag in der Klinik aus?«

»Gut. Ich glaube, ich werde bald wieder zurück sein«, sagte Dr. Laurin.

»Das würde mich freuen. Du hast ein bisschen Ruhe mehr als verdient, und außerdem ist ja heute das Wetter recht gut. Ich hoffe, dass wir einen gemütlichen Nachmittag verleben können.«

»Das hoffe ich auch«, nickte Dr. Laurin. »Aber die Gemütlichkeit wird nichts daran ändern können, dass mir ein Stein im Magen liegt.«

»Wieso? Hast du zu viel gegessen?«

»Das auch«, lachte Dr. Laurin. »Es gibt aber auch einen seelischen Stein.«

»Ein Problem?«

»Ja, der Samstagabend.«

Antonia seufzte. »Daran denke ich auch oft. Aber an dieser Einladung kommen wir nun mal nicht vorbei.«

Für den Samstagabend waren die Laurins bei Paul Rosenberg eingeladen.

Paul Rosenberg war ein in München sehr bedeutender Geschäftsmann, der eine Menge Einfluss besaß und Verbindungen sogar bis in Regierungskreise unterhielt. Seine Frau hatte vor einiger Zeit mit einer Eierstockentzündung in der Klinik gelegen, und weil die Rosenbergs meinten, diese hätte in keiner anderen Klinik besser behandelt werden können als dort, hatten sie aus Dankbarkeit eine Einladung an die Laurins ausgesprochen.

Dass die Laurins mit den Gastgebern nicht allein sein würden, war ihnen vollkommen klar, denn Rosenberg war für seine glanzvollen Partys in ganz München bekannt und berühmt. Dr. Laurin und seine Frau waren sicher, dass sie in einen großen Kreis hineingeraten würden.

»Nein, an dieser Einladung kommen wir nicht vorbei«, bestätigte Leon. »Dazu sind die Rosenbergs zu einflussreich. Nur fürchte ich, dass wir uns unter lauter Fremden bewegen werden.«

»Vielleicht sind doch ein paar Bekannte dabei«, meinte Antonia. »Und außerdem bleibt uns ja immer noch die Möglichkeit, eher zu gehen, wenn es gar zu schlimm wird.«

»Das weiß ich auch«, nickte Leon. »Trotzdem wäre ich über das Wochenende lieber mit euch ins Ferienhaus gefahren.«

»Das wäre mir auch lieber gewesen«, nickte Antonia. »Aber wer ist schon Herr über seinen eigenen Willen.«

»Niemand.«

»Also wir auch nicht.«

»Demzufolge können wir uns vor den Rosenbergs nicht drücken«, stellte Dr. Laurin fest. »Im Übrigen ist es zu Hause auch ganz schön.«

»Das meine ich auch«, lächelte Antonia.

*

Eine Stunde ließ der Arzt sich Zeit, dann fuhr er in die Klinik, kümmerte sich um seine Sorgenfälle, aber nach zwei Stunden konnte er schon wieder heimfahren. So fand der gemütliche Nachmittag, wenn auch mit einigen Abstrichen, doch noch statt.

Leon trank ein Glas Bier. Wieder saßen er und seine Frau draußen auf der Terrasse. Die Luft war mild und weich, es sah ganz so aus, als würde es in den nächsten Tagen schönes Wetter geben.

»Es gibt da jemanden«, sagte Antonia, »der darauf lauert, von dir zu einer Audienz empfangen zu werden.«

»Wer ist es denn?«

»Konstantin.«

»Hat er etwas auf dem Herzen?«

»So ähnlich.«

»Was ist es denn?«

»Das soll er dir lieber selber sagen.«

»Her mit dem Burschen«, lächelte Leon und nahm einen neuerlichen Schluck Bier.

Antonia ging ins Haus, und ein paar Augenblicke später kam sie mit Konstantin wieder zum Vorschein. Der Junge lächelte verlegen.

»Du hast etwas auf dem Herzen?«, erkundigte sich Dr. Laurin unumwunden.

Konstantin schluckte und nickte.