Stefan Wilfert

Olivetti ermittelt

Mit Illustrationen von Markus Spang

 

 

Originalausgabe

© 2011 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

 

eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40990 - 2 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 71475 - 4

 

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Anruf für Kommissar Schrödinger

Olivetti unter Verdacht

Treffen beim 3E-Boss

Spitzbube entführt

Schrödinger, wo stecken Sie?

Eine Vermutung

Der schwarze Reiter

Der Teufelswagen

In der Zentrale

Ausgeflogen

Olivetti grübelt

Pause im Café Mack

Der große Preis

Buchstabenrätsel

Achtung, Olivetti!

Baden-Baden im Visier

König gesucht

Thesin wird gesichtet

Ein Schuss fällt

Oli und Vetti

Die Verfolgungsjagd

Das beste Pferd im Stall

Wieder zu spät

Olivettis heiße Spur

Die Lösung!

Hai oder Pferd?

Und noch eine Lösung

Viele Asse

Nix und Null

Dalli, dalli!!

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|5|Anruf für Kommissar Schrödinger

Nebel waberte durch die nächtlichen Straßen, unheimlich hallte der Schrei eines Käuzchens wider. Plötzlich Schritte. Leise, verstohlene Schritte. Der Kommissar blieb stehen und lauschte. Nichts. Hatte er sich getäuscht? War da nicht jemand hinter ihm her? Er ging weiter und zog vorsichtig seinen Haustürschlüssel und gleichzeitig auch die Pistole aus der Jackentasche.

»So ein Edelkäse!« Schrödinger schmiss das Buch in die Ecke. »Diese blöden Krimis mit ihrem Nebel, ihren Verfolgern und Pistolen. Ewig dasselbe!«

Schrödinger war spät nach Hause gekommen, hatte geduscht und sich dann aufs Sofa geworfen. Der Arbeitstag war heiß, lang und ereignislos gewesen.

Als er noch jünger war, da dachte er immer: wow, Kriminalpolizei. Da ist es nie langweilig. Da jagst du Gauner, ballerst mit der Pistole in der Gegend rum und schnappst dann einen Ganoven nach dem anderen.

Damals hatte er auf einen tollen Job als Kommissar |6|in der Großstadt gehofft. Berlin, Hamburg, Frankfurt, München – davon hatte er geträumt.

Heimlich hatte er sich immer ausgemalt, wie er eines Tages eine weltweit arbeitende Bande von Geldfälschern, Drogenhändlern oder Bankräubern auffliegen lassen würde. Ach, nicht nur das, die gesamte Mafia Italiens wollte er festnehmen.

Alles hatte damit angefangen, dass er eines Tages nach der Schule mit seinen Freunden herumstand, als plötzlich ein Mann angerast kam, der von zwei Polizisten verfolgt wurde. Direkt vor Schrödingers Füßen stolperte er über dessen Schultasche und konnte von den Polizisten festgenommen werden. Die bedankten sich sehr bei Schrödinger für seine Hilfe. Sie luden ihn sogar aufs Kommissariat ein und zeigten ihm alles: die Autos, die Waffen, die Zellen. Schrödinger hütete sich damals zu sagen, dass er eigentlich gar nichts getan hatte, sondern der Mann ja selber über die Tasche gestolpert war. Trotzdem hatte er seitdem von künftigen großen Taten geträumt: Er würde als Polizist, als Kriminalkommissar die ganz großen Verbrechen aufdecken.

Ja, Pustekuchen! Jetzt war er in Baden-Baden gelandet und musste nur so etwas machen wie zum Beispiel einen Bericht über die Gefangennahme eines Fahrraddiebes |7|schreiben. Oder er sah ein paar Akten von ähnlich langweiligen Kollegen-Fällen durch. Die spannendste Jagd, die er heute veranstaltet hatte, war die nach einer Wespe gewesen, die aus Versehen in sein Büro geflogen war.

Schrödinger lag auf dem Sofa und schaute auf das Aquarium am Fenster. Das müsste ich auch mal wieder putzen, dachte er. Ist zwar egal, weil ja doch kein Fisch drin ist, sieht aber schöner aus.

Seit der letzte Trauermantelsalmler eingegangen war, stand das Aquarium leer rum. Eigentlich war Schrödinger kein großer Aquarienfreund. Aber er hatte das hier als »Abschiedsgeschenk« von Thorsten Hartbeil erhalten.

Viele Kommissare hatten damals versucht, diesen Gauner zu erwischen. Aber nur Schrödinger war es gelungen. Deswegen galt er seitdem bei der Kripo als das Ass.

Hartbeil war als Spieler bekannt gewesen. Er spielte an Automaten, in Klubs und Spielkasinos. Am liebsten Karten. Zuletzt hatte er zwei dieser Kasinos ausgeraubt, weil er der Meinung war, dass sie ihn dort nie hatten gewinnen lassen. Schrödinger fasste ihn schließlich nach einer dramatischen Verfolgungsjagd: Hartbeil hatte sich in ein Hotel geflüchtet, wo Schrödinger ihn |8|stellte. Aber Hartbeil entwischte noch einmal, indem er sich vom Balkon des Hotels im zweiten Stock direkt in den Swimmingpool schmiss. Schrödinger hinterher. Dabei stießen die beiden im Wasser zusammen und Hartbeil musste mit einem Beinbruch ins Krankenhaus gebracht werden.

»Und wer kümmert sich um meine Fische Ariane, Sara und Sabine?«, hatte Hartbeil den Kommissar beim Verhör im Krankenhaus gefragt.

»Keine Ahnung!«, hatte Schrödinger geantwortet.

Hartbeil verlegte sich aufs Bitten: »Könnten Sie nicht einspringen? Bitte!«

Na, und am Ende packte Schrödinger das Aquarium mitsamt den Zutaten und stellte es in seinem Wohnzimmer auf. Auf Bitten Hartbeils schickte er ihm jeden Monat eine Nachricht, dass es den Fischen gut ging. Auch nachdem die drei längst tot im Wasser geschwommen waren, hatte er Hartbeil weiterhin regelmäßig das Gleiche geschrieben: »Fische okay, alles bestens!«

Als Hartbeil rauskam und spitzkriegte, dass Schrödinger ihm lauter verlogene Briefe geschickt hatte, war er stocksauer. Er schrieb an Schrödinger, dass er sich noch lange nicht wie ein Ass fühlen solle, bloß weil er ihn verhaftet habe. Er sei kein Ass, sondern nur |9|ein ausgemachter Super-Schwindler, ein armseliger saudummer Sonderdepp, ein aufgeblasener schwachsinniger Saftheini. Hartbeil schwor fürchterliche Rache.

Schrödinger aber war klar geworden, wie sehr er sich an die Fische und an das Aquarium gewöhnt hatte. Und darum gab er immer noch jeden Morgen Futter ins Wasser und putzte das Becken 

Es klingelte. Draußen stand der 12-jährige Olivetti von oben. Eigentlich hieß er Oliver Vetter, fand es aber viel cooler, wenn man ihn Olivetti nannte. Er war vor Jahren mit seiner Mutter im gleichen Monat wie Schrödinger ins Haus gezogen. Seither waren die beiden dicke Freunde.

Olivetti schlenderte ins Wohnzimmer und schaute in das Aquarium.

»Hallo, Schrödinger! Wie geht’s denn dem Schrecken der Gauner, dem Rächer der Beklauten, dem Kollegen von James Bond?«

»Für dein Alter bist du ein ziemlich frecher Kerl«, sagte Schrödinger.

»Frech muss man sein, wenn man Erfolg haben will!«, sagte Olivetti.

»Wo hast du denn diesen Käse her?«, wollte Schrödinger wissen.

»Das hab ich in der Zeitung gelesen. Da hatte ein |10|Kriminalkommissar einen hohen Politiker der Bestechung überführt und ihn frech verfolgt. Der Kommissar übrigens hieß …«

»Ja, ich weiß, ich weiß. Ich war das«, sagte Schrödinger. Er fütterte das Wasser im Aquarium mit Fischfutter. Olivetti sah ihm kopfschüttelnd zu.

»Sag mal, was willst du eigentlich?«, wollte Schrödinger von Olivetti wissen.

Olivetti zog ein Buch unter dem Arm hervor. Schlösser öffnen ohne Schlüssel. »Hattest du mir vorgestern geliehen. Hab schon richtig trainiert.«

»Und wo?«

»Am Schreibtisch von meiner Mutter.«

»So, so. Willst du nicht mehr zur Polizei? Willst du jetzt Einbrecher werden?«

»Nee, nee. Ich will zur Polizei und dein Assistent sein! Obwohl ich eigentlich schon schlauer bin als du!«

»Ha!« Schrödinger verdrehte die Augen. »Ein kleines halsloses Ungeheuer bist du. Und im Kopf hast du noch nicht viel.«

»Na, Kommissar Schrödinger, dann sag mir mal, was aus Anna wird, wenn sie unter der Dusche war?«

Schrödinger schaute irritiert, dann dachte er nach.

|11|»Siehste«, sagte Olivetti. »Ist doch kinderleicht. Das sollte ein Kriminaler aber rauskriegen.«

»Und was wird aus Anna?«, wollte Schrödinger wissen.

»Ananas«, krähte Olivetti laut. »Anna – nass – Ananas!«

Schrödinger packte seinen kleinen Besucher und schob ihn aus der Wohnung hinaus.

»Du Möchtegern-Assistent! Statt blöde Fragen zu stellen, besorg mir lieber Fischfutter! Meines ist zu Ende!« Er warf sich wieder aufs Sofa. Dieser Olivetti! Ein aufgewecktes Kerlchen, manchmal ein bisschen anstrengend, aber sonst ganz okay.

Schrödinger schloss seinen iPod an und stellte auf Zufallsauswahl. Und schon dröhnte ihm die Musik in den Ohren. Sogar das Handy scheppert davon, dachte er noch, bevor ihm einfiel: Ach nee, das ist ja der Vibrationsalarm. Er stellte die Musik aus und sah auf dem Display nach, wer der Anrufer war.

»Äh, ja, hier Baumschule für junge Tannen und Purzelbäume, mein Name ist Fichte!«

»Mensch, Schrödinger, lass doch den Blödsinn. Hier ist Teufel. Du musst ins Büro kommen. Die Hölle ist los!«

»Na und? Ich dachte immer, der Teufel ist für die |12|Hölle zuständig!« Schnell hielt er das Handy weit weg vom Ohr, weil sein Kollege Adam Teufel ziemlich laut wurde.

»Okay, okay, ich komme«, sagte Schrödinger, als die Töne leiser wurden. Er schickte einen Gruß in Richtung Aquarium und ging hinaus.

|13|Olivetti unter Verdacht

Olivetti kehrte in seine Wohnung zurück. Er wohnte dort nur mit seiner Mutter. Seinen Vater kannte er nicht, hatte er nie kennengelernt. Aber Olivetti hatte beschlossen, dass ihm das egal sein musste. Wer weiß, vielleicht war sein Vater ja so ein Säufer wie der von seinem Freund Sascha. »Besser keinen Vater als so einen!«, hatte Sascha ihn immer getröstet, wenn sich Olivetti wieder einmal ausgemalt hatte, was und wie sein Vater wohl sein könnte.

Na ja, und dann war er Schrödinger begegnet. So ein Vater, das wäre klasse! Ein richtiger Megatyp! Dünn, zwei Meter lang, kurze, kräftige Haare, trug immer Jeans, Lederjacke und dazu meist diese sensationell gelben Schuhe. So wollte Olivetti auch mal werden. Noch war er davon allerdings ziemlich weit entfernt. Er war nicht dick, aber etwas pummelig. Und gelbe Schuhe – die hatte ihm seine Mutter verboten. »Du bist doch keine Ente!«, hatte sie gesagt.

Olivetti seufzte. Schrödinger hatte es gut. Er war |14|alleine und ein echter Knüller. Da stört auch die Macke mit dem Aquarium nicht wirklich.

Er nahm sich Das Lexikon der Detektive und warf sich auf sein Bett. Mit einem Schmerzensschrei sprang er aber sofort wieder auf – unter der Decke hatte sein Wecker gelegen.

Im selben Moment riss seine Mutter die Tür auf und schimpfte los: »Mein Lieber, wenn du Geld brauchst, dann fragst du mich! Kapiert? Du klaust mir nix aus dem Portemonnaie! Noch einmal und es gibt gewaltig Ärger!«

Bevor Olivetti ihr sagen konnte, dass er noch nicht mal dran gedacht hatte, ihr Geld zu nehmen, war sie schon wieder draußen. Er war völlig baff und überlegte noch, ob er ihr hinterherrennen sollte, als er auch schon die Wohnungstür knallen hörte.