Cover

Johannes Mario Simmel

Im Frühling singt zum letzenmal die Lerche

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Johannes Mario Simmel

Johannes Mario Simmel, 1924 in Wien geboren, gehörte mit seinen brillant erzählten zeit- und gesellschaftskritischen Romanen und Kinderbüchern zu den international erfolgreichsten Autoren der Gegenwarts.

Seine Bücher erscheinen in 40 Ländern, ihre Auflage nähert sich der 73-Millionen-Grenze. Der Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse wurde 1991 von den Vereinten Nationen mit dem Award of Excellence der Society of Writers ausgezeichnet.

»Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive«, sagte Marcel Reich-Ranicki über den Schriftsteller.

Johannes Mario Simmel verstarb am 1. Januar 2009 84-jährig in der Schweiz.

Über dieses Buch

Dieser Roman ist das Ergebnis dreijähriger intensiver Beschäftigung mit dem wohl wichtigsten Thema unserer Zeit, der globalen Zerstörung unserer Umwelt. Er erzählt vom Kampf einer kleinen Gruppe, die versucht, die ökologische Katastrophe aufzuhalten, und macht deutlich, daß es noch nicht zu spät ist, unsere Erde zu retten.

Impressum

eBook-Ausgabe November 2012

© 2012 Knaur eBook

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Fritz Blankenhorn

ISBN 978-3-426-41928-1

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Fußnoten

1

In diesem Buch wird wahrheitsgemäß über den katastrophalen Zustand unserer Welt berichtet. Nur die Rahmenhandlung ist erfunden, und Namen, Orte und Zeiten wurden gelegentlich verändert. Wer mehr über die geschilderten Vorgänge erfahren möchte, sei auf die den hochgestellten Ziffern im Text entsprechenden Abschnitte der Dokumentation am Ende des Buches verwiesen.

Endnoten

1

Der erwähnte schwere Störfall im Block A des Kernkraftwerks Biblis wurde zum erstenmal am 5. Dezember 1988 um zwanzig Uhr in der Hauptnachrichtensendung der ARD bekanntgegeben, weil die »Frankfurter Rundschau« die Darstellung eines amerikanischen Fachmagazins veröffentlicht hatte. Nach zehn anderen Störfällen seit 1974 war es am 16. und 17. Dezember 1987 zu diesem gekommen. Fast ein Jahr lang hatte die Regierung der Öffentlichkeit das Ereignis verheimlicht. Wie auch in ähnlichen Fällen sind aus rein dramaturgischen Gründen im Buch die Daten verändert worden.

2

Wie es in und rund um die Stadt Mesa beim Hanford-Atomreservat im Staate Washington aussieht und was sich dort abspielt, ist in der Wochenschrift »DIE ZEIT« Nr. 45 vom 4. November 1988 auf den Seiten 17 bis 20 in einem Artikel nachzulesen, der den Titel trägt: »Tod aus der Bombenfabrik – Die älteste Plutoniumfabrik steht in Hanford. In ihrer Umgebung sind viele Menschen krank.« Autor dieses »ZEIT«-Dossiers ist Michael Schwelien.

3

Laut »abc der deutschen Wirtschaft, anerkannt durch den Adreßbuchausschuß der deutschen Wirtschaft am 1. Februar 1955«, Darmstadt, November 1955, unter Stichwort »chemisch-technische Industrie Frankfurt«: »Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH., Neue Mainzer Str. 20, D (Drahtwort): Degesch, FS: 041221 … Vertrieb von überwiegend nach eigenen Patenten und in eigenen Betrieben hergestellten hochwirksamen Schädlingsbekämpfungsmitteln, bes. für Material- und Vorratsschutz und Seuchenabwehr, Spez: Zyklon, T-Gas, M-Gas, Ventox, Tritox … Calcyan, fahrbare und stationäre Begasungskammern mit Kreislaufsystem.«

4

Ein Spiel »Ariernachweis« gab es 1988 wirklich. Die Beschreibung und das Ersuchen, sich im Falle von zweckdienlichen Angaben bei der Münchner Staatsanwaltschaft I zu melden, stehen auf Seite 13 der »Süddeutschen Zeitung« vom 10. Februar 1989 unter der Überschrift »Judenvernichtung als Computerspiel«.

5

Der wörtlich zitierte Artikel findet sich in der Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung« vom 24. Februar 1989.

6

Diese Sätze Prof. Wassermanns finden sich in den »Kieler Nachrichten« vom 24. Oktober 1988.

7

Vgl. »Stern« Nr. 11/1989 und »Bild« vom 8. Mai 1989 S. 5.

8

Vgl. »Stern« Nr. 11/1989 und »Bild« vom 8. Mai 1989 S. 5.

9

Das Interview mit Prof. Paul Watzlawick erschien in der österreichischen »Wochenpresse« Nr. 21 vom 26. Mai 1989.

10

Der erste Ozonalarm in sämtlichen deutschen Bundesländern wurde am Freitag, dem 26. Mai 1989, ausgelöst. Der CDU/CSU-Protest entspricht den Tatsachen.

11

»Die Vernichtung der tropischen Wälder hat dramatisch zugenommen: 1980 belief sich nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisationen der Vereinten Nationen die jährliche Vernichtung in geschlossenen tropischen Primärwäldern auf etwa 75000 km2 und in offenen Tropenwäldern auf etwa 39000 km2. Nach neueren, vorläufigen Schätzungen beträgt die Zunahme der Vernichtungsrate gegenüber 1980 90 %. Dies bedeutet, daß derzeit allein im Bereich geschlossener Primärwälder jedes Jahr 142000 km2 zerstört werden.« Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 6. Februar 1990.

12

wörtlich ebda.

13

Vgl. Memorandum der Grünen vom Januar 1989, »Spiegel« Nr. 9/1989, »DIE ZEIT« Nr. 12/1989.

14

ebda.

15

Vgl. Michael Schweliens Dossier »Im Krieg mit der Natur« in »DIE ZEIT« Nr. 12/1989.

16

Alle Angaben und Formulierungen, auch über die Klinik von Altamira, sind einer Aussendung des Pressedienstes INS vom 21. September 1988 entnommen.

17

Dieser Artikel erschien in der Wochenendbeilage der »Süddeutschen Zeitung« vom 25./26. Juni 1988. Er faszinierte mich derart, daß ich Lothar Mayer um ein Gespräch bat, das dann in München stattfand. Alle Überlegungen und Überzeugungen, die hier von Philip Gilles geäußert werden, sind also jene von Lothar Mayer, dem ich herzlich dafür danke, daß er mir erlaubte, sie für mein Buch zu benützen. Aus dem erwähnten Artikel sind zahlreiche Passagen wörtlich übernommen.

18

Vgl. Michael Schweliens Dossier.

19

Alle Angaben zu Ferro Carajás finden sich im »Spiegel« Nr. 9/1989 und in »DIE ZEIT« Nr. 2/1989.

20

Nach einer ARD-Sendung vom 22. Juni 1989.

21

Entsprechend einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur vom 7. Juni 1989.

22

»Zugbegleiter« zum Eurocity 171 »Rätia« vom Juni 1989.

23

Chico Mendes entging seinen Verfolgern nicht. Er wurde dreieinhalb Monate später, am 22. Dezember 1988, ermordet. Am 9. Dezember hatte er auf einer Pressekonferenz in São Paulo die Namen der beiden Großgrundbesitzer bekanntgegeben, die ihm nach dem Leben trachteten. Diese Namen wurden hier nicht verändert. Am 5. Januar 1989 meldete die Nachrichtenagentur Agence France Presse: »rio branco + die brasilianische polizei hat in einem untersuchungsbericht den einundzwanzigjährigen darcy alves da silva und den sechsundzwanzigjährigen antonio pereira als mörder des am 22. dezember 1988 erschossenen umweltschützers chico mendes bezeichnet + während sich darcy alves da silva vier tage nach der tat der polizei stellte, ist pereira noch flüchtig + weiter gefahndet wird nach dem vater von darcy, darli alves da silva, und dessen bruder alvarina alves da silva, den beiden großgrundbesitzern, die den mord angeordnet haben sollen + die brüder gehören der rechtsextremen großgrundbesitzervereinigung ›demokratische landunion‹ (udr) an + nach verschiedenen berichten sollen sie sich in bolivien auf dem besitz eines cousins aufhalten + bei einem interview im gefängnis erklärte der einundzwanzigjährige darcy alves da silva, er sei stolz darauf, chico mendes, den durch sein engagement bekannten und mit auszeichnungen geehrten umweltschützer, ermordet zu haben.«

24

Die meisten der im folgenden erwähnten Tatsachen stammen aus dem Funkfeature »Die Dioxin-Familie – Vom geheimen Wissen der Bundesregierung über die Entstehung der Supergifte«, einer Co-Produktion des SFB und des WDR, Autor: Reinhard Spilker, wissenschaftliche Beratung: Dr. Imre Kerner. Sendung: 23. Februar 1984.

25

Alle Angaben aus Büchern und Funkfeatures von Günter Karweina.

26

Günter Karweina: »Der Stromstaat«, »Stern«-Buch 1984.

27

Hervorragend beschrieben wird der geheime Dienst in dem Buch »The Puzzle Palace« von James Bamford, desgleichen in der Titelgeschichte des »Spiegel« Nr. 8/1989: »Freund hört mit«.

28

Laut Beantwortung einer Kleinen Anfrage an den Bundesminister für Forschung und Technologie, gegeben am 2. Februar 1990.

29

In diesem Dialog wurden sehr viele Fakten verarbeitet. Sie sind unter anderem nachzulesen in der »Frankfurter Rundschau« vom 17. Juli 1989 in einem Artikel mit der Überschrift »Bonn und deutsche Firmen in Brasiliens Atomrüstung verstrickt« sowie in einem Interview mit dem ehemaligen brasilianischen Marineminister Maximiano da Fonseca über Brasiliens Atombombe, das die »taz« am 25. September 1987 abdruckte.

30

Diese Isotopenbezeichnungen sind nicht naturwissenschaftlich, sie stehen für bestimmte »strategisch interessante« Transuranisotope.

31

Diese Angaben sind exakt. Nach der Sendung am 2. Februar 1989 gab es keinerlei offizielle oder inoffizielle Proteste.

32

Alle Angaben über den früheren, jetzigen und zukünftigen Sitz der Frankfurter NSA-Zentrale vgl. »Spiegel« Nr. 8/1989, Titelgeschichte: »Freund hört mit«.

33

Das Originalflugblatt vom 10. Juli 1989 liegt dem Autor vor.

34

»Wer rettet die Erde?« in »Spiegel« Nr. 29/1989.

35

Vgl. »New Scientist« vom August 1989.

36

Diese Werberede für Speicheröfen wurde vor Ort auf Band aufgenommen und ist hier exakt wiedergegeben.

37

Das folgende ist die wörtliche Wiedergabe eines tatsächlichen Interviews, nur der Name des Interviewten wurde geändert.

38

1990 gewährte das Umweltministerium dann die finanzielle Unterstützung.

39

Olav Hohmeyer: »Soziale Kosten des Energieverbrauchs«, Berlin, Heidelberg, New York 1989.

40

Herzlich dankt der Autor dem Wilhelm Heyne Verlag München und dem anrich verlag Kevelaer für die Erlaubnis, Briefe und kurze Textausschnitte aus »Ich will leben und meine Katze auch«, herausgegeben von Kristiane Allert-Wybranietz, und aus »So soll die Welt nicht werden. Kinder schreiben über ihre Zukunft«, herausgegeben im Auftrag der IG Metall von Regina Rusch, zitieren zu dürfen.

41

Der Name ist echt. Die geschilderte Entstehungsgeschichte von Peace Bird e.V. entspricht der Tatsache.

42

Das Interview ist authentisch. Dramaturgisch nötige Änderungen: Die Aufzeichnung erfolgte nicht im Amerika-Haus Frankfurt, sondern im Amerika-Haus Berlin, es wurde nicht gefilmt, und es gab keine Zuhörerschaft.

43

Dies sind die richtigen Namen des Wissenschaftlers und seines Instituts. Dr. Braungart hat das folgende Interview autorisiert und zur Veröffentlichung in diesem Buch freigegeben.

44

Diese Figur ist frei erfunden.

45

Über Aufforderung des Deutschen Bundestags erstellte die Bundesregierung einen umfangreichen »Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen« (Drucksache 11/3995 vom 15. Februar 1989). Dieser Bericht veranlaßte den SPD-Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel, dem damaligen Chef des Bundeskanzleramts Dr. Schäuble mit Schreiben vom 22. Februar 1989 eine Reihe von Fragen zu stellen.

Am 12. Dezember 1989 brachte das Fernsehmagazin »Panorama« einen Bericht über die Beteiligung der Salzgitterindustriebau (SIG) am Bau einer Chemiewaffenfabrik in Libyen. Am 13. Dezember 1989 gab der SPD-Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel eine längere Erklärung ab, die von der SPD unter dem Titel »Gansel: Warum hat die Bundesregierung Salzgitter-Manager gedeckt?« veröffentlicht wurde. In dieser Erklärung heißt es unter Punkt 1 c), daß es sich bei dem in einem Bericht der Moskauer Botschaft erwähnten »deutschen Staatskonzern« nur um den Salzgitter-Konzern handeln könne. Der Staatskonzern Salzgitter AG, seit Herbst 1989 zur VEBA gehörig, ging hervor aus den 1937 gegründeten »Reichswerken Hermann Göring« und befand sich zum in Frage kommenden Zeitpunkt noch in Staatsbesitz.

Bei einem Telefongespräch mit einem Mitarbeiter des Autors am 23. Februar 1990 erklärte MdB Albrecht Müller (SPD), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, wörtlich: »In einer Geheimsitzung im Februar 1989 bestätigte die Bundesregierung dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, daß der in jener Zeugenaussage vom Juli 1985 genannte ›Staatskonzern‹ Salzgitter ist, bestätigte auch, daß nun gegen Salzgitter ermittelt werde. über bisherige Ermittlungsergebnisse wollte die Bundesregierung nichts sagen, da es sich um ein ›schwebendes Verfahren‹ handelt.«

In der Tat läuft seit Februar 1989 ein Ermittlungsverfahren gegen das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der Salzgitter AG Andreas Böhm (verantwortlich für das Projekt »Pharma 150«) zunächst bei der Staatsanwaltschaft Offenburg, danach Mannheim. Die umfangreichen Akten (Mitte 1989 kam es bei Salzgitter mit rund hundert Beamten zu einer Hausdurchsuchung) sind zur Zeit, da dieses Buch in Druck geht, noch nicht ganz ausgewertet.

Der zuständige Oberstaatsanwalt Dr. Wechsung von der Staatsanwaltschaft Mannheim, Abt. VI (Wirtschaftskriminalität) erklärte dem Mitarbeiter des Autors am 28. Februar 1990 am Telefon wörtlich: »Wenn wir gegen Böhm weiterermitteln, bejahen wir damit den Verdacht, daß Böhm an dieser verbotenen Ausfuhr für die Giftgasfabrik in Libyen beteiligt ist.«

Frau Universitätsdozent

Dr. Ilse Kryspin-Exner gewidmet,

voll Bewunderung für ihre Person

und ihren Beruf,

sich der Sorgen und Ängste

von Menschen anzunehmen

und in ihnen Hoffnung,

Mut und Kraft zu wecken.

Jeder von uns kann in seiner Welt etwas verändern.

Dabei genügt es nicht, nur aus Vergangenem zu lernen.

Ebenso wichtig ist es, mögliche katastrophale Folgen

von Handlungen vorwegzunehmen. Das bleibt die einzige

Chance des Menschen, Unheil abzuwenden.

 

J. M. S.

Prolog

»Der Mensch sollte sich auf der Erde

leichtfüßig bewegen und möglichst

wenige Spuren hinterlassen.«

 

Aus diesem Buch

 

 

»Ein Anstieg der Welttemperatur

auch um nur drei Grad Celsius

würde das Weltklima in einen Bereich

jenseits der menschlichen

Erfahrungen katapultieren.

Ein Belastungszustand der Atmosphäre,

der einen solchen Klimasprung

unausweichlich macht,

ist bereits um das Jahr 2030

zu erwarten –

das ist von jetzt an nicht länger,

als der Zweite Weltkrieg zurückliegt.«

 

Dr. Kate Matthews,

Biophysikerin

 

 

Auf die Frage ihres Vaters, ob sie wahnsinnig geworden sei, antwortete die achtzehnjährige Susanne Marvin, einen Stapel Blusen aus ihrem Kleiderschrank hebend und in einen offenen Koffer werfend: »Ich bin vollkommen normal. Wenn einer wahnsinnig ist, dann bist es du.«

»Warum willst du hier sofort ausziehen?«

Dr. Markus Marvin war vor wenigen Minuten nach Hause gekommen.

»Weil ich mit dir nicht eine Stunde länger unter einem Dach leben kann.« Susanne nahm weitere Blusen aus dem Schrank und packte sie in den Koffer, der auf dem Bett lag. Neben ihm lag ein zweiter. »Was hast du genommen?«

»Was, was habe ich genommen?«

»Drogen. Geht’s damit jetzt auch noch los bei dir?«

»Bei mir geht gar nichts los. Drogen werde ich niemals nehmen.« Pullover und Unterwäsche flogen in den ersten Koffer. Susanne war in Eile.

»Verflucht noch mal, sag mir, was du hast!«

»Ich habe genug«, sagte das schlanke Mädchen mit dem brünetten Haar und den grauen Augen. »Ich hab’ die Nase voll von dir und deinen Freunden. Ich kriege kaum noch Luft, seitdem du da bist. So sehr gehofft habe ich, du kommst erst später und ich bin schon weg. Daß mein Vater da mitmacht, war schon schlimm genug für mich. Daß er auch bei dieser Riesensauerei mitmacht, kommt selbst für mich unerwartet. Ohne die ›Frankfurter Rundschau‹ hättet ihr das doch weiter verschwiegen!«

»Ach so«, sagte Dr. Markus Marvin. Plötzlich fühlte er sich todmüde. Schwer ließ er sich auf das zerwühlte Bett fallen. »Das meinst du. Hätte ich mir denken können. Laß diese blödsinnige Packerei! Wir haben überhaupt nichts verschwiegen.«

»Ihr habt nichts …« Sie begann hysterisch zu lachen.

»Lach nicht! Wir, die Aufsichtsbehörde im Hessischen Umweltministerium, haben überhaupt nichts verschwiegen. Nicht einen Tag! Nicht eine Stunde! Der Betreiber hat uns den Störfall mit einer falschen Klassifizierung gemeldet, nämlich mit der niedrigsten. Weil wir ein schlechtes Gefühl hatten, gingen wir der Sache nach, rekonstruierten die Geschichte und stellten fest, daß das kein Fall N, sondern ein Fall E gewesen ist. Du sollst mit der Packerei aufhören!« Er warf einen der beiden Koffer auf den Boden. Wäsche fiel heraus. Vor dem Haus am stillen Heideweg auf dem Sonnenberg in Wiesbaden donnerten fünf schwere japanische Motorräder vorbei. Junge Männer in schwarzen Lederanzügen und mit bunten Sturzhelmen saßen auf ihnen.

»Heute haben wir den fünften Februar 1988. Am sechsten Februar 1987, also vor einem Jahr – vor einem Jahr! –, hat es einen äußerst schweren Störfall im Block A von Biblis gegeben«, sagte Susanne Marvin mit ungemein ruhiger Stimme, aber ihre Hände zitterten, als sie den Koffer aufhob und die Wäsche wieder hineinstopfte.[1] »Im Kühlkreislauf des Reaktors war ein Ventil nicht geschlossen. Radioaktiver Dampf strömte damals ins Freie. Drei Schichten der Bedienungsmannschaft haben fünfzehn Stunden lang – fünfzehn Stunden lang! – die Warnlampen nicht bemerkt. Die ›Rundschau‹ schreibt, es bestand die Gefahr der Kernschmelze.[1] Die Betreiber haben euch einen N-Fall gemeldet, ja? Einen Normal-Fall. Ihr habt fünf Monate gebraucht, um einen E-Fall daraus zu machen, einen Eilt-Fall. Und heute, ein Jahr später, kommt – aber nur durch die Zeitungsmeldung – heraus, daß wir um ein Haar an einem Super-GAU vorbeigeschrammt sind bei diesem gottverfluchten AKW! Du sollst meinen Koffer in Ruhe lassen! Wenn du ihn noch einmal anrührst, hau ich hier ohne Nachthemd ab. Daß alle Atomkraftwerke Todesfallen sind, wissen wir. Darum protestieren wir ja seit Jahren gegen sie – ich noch dazu mit so einem Vater! Aber daß ihr den phantastischen Zynismus habt, diesen Fast-Super-GAU ein Jahr lang geheimzuhalten und jetzt zu tun, als wäre ein Stückchen Beton runtergefallen, das ist so infam, daß ich nur noch eines weiß: Ich muß weg hier. Weg von dir. So schnell ich kann!«

Dr. Markus Marvin, ein schlanker Mann von zweiundvierzig Jahren mit schmalem Gesicht und schwarzem Haar, in dem sich mehrere Wirbel befanden, so daß es ständig ungekämmt wirkte, brüllte plötzlich: »Es hat niemals, zu keinem Zeitpunkt, die Gefahr eines Super-GAUs bestanden! Niemals die Gefahr einer Kernschmelze!«

»Hör auf mit dieser Brüllerei!« sagte Susanne. »Hättest besser woanders und vor einem Jahr gebrüllt. Aber da hast du schön das Maul gehalten. Die ›Rundschau‹ hat einen Artikel aus einer amerikanischen Fachzeitschrift abgedruckt …«

»Maul? Susanne, so wirst du nicht mit deinem Vater sprechen, verstanden? So nicht!«

»… in dem die Ansicht der amerikanischen Atomaufsichtsbehörde über diesen Störfall zitiert wurde.« Susanne riß Kleider, Kostüme und Strumpfhosen aus dem großen Schrank und warf alles mit immer schnelleren Bewegungen in die beiden Koffer. »Die amerikanische Atomaufsichtsbehörde erklärte, in Biblis hätte es zu einer Kernschmelze kommen können.«

»Das weiß ich selber.« Marvin war nun um Ruhe und Beherrschung bemüht. »Mit Wonne haben die das dramatisiert. Uns eins anhängen – ist doch ihr Schönstes! Haben sie schon x-mal getan. Susanne, ich flehe dich an, hör auf mit dieser Packerei! Vor elf Jahren hat mich deine Mutter verlassen! Du bist alles, was ich habe.«

»Was du hast? Gehabt hast! Ich haue ab. Hätte ich längst tun müssen. Mit einem Vater, der zur Atom-Mafia gehört!«

»Ich verbiete dir …«

»Du verbietest mir gar nichts! Glaubst du, es macht mir Spaß, so was zu sagen? Ein Mitglied der Atom-Mafia habe ich zum Vater! Bei der Aufsichtsbehörde arbeitet er! Angeblich eingerichtet zur strengsten Überwachung. Überwachung – ein Witz ist das! Längst gekauft seid ihr von dieser Mafia! Was habt ihr noch alles verschwiegen? Wie viele andere Fast-Super-GAUs? Wieviel hast du genommen dafür, daß du mitmachst bei diesen mörderischen Lumpen?«

»Wenn du dich dafür nicht sofort entschuldigst, dann …« Marvin war aufgesprungen.

»Ja, ja, ja, was dann?« Nun schrie auch Susanne. Schwer atmend standen sie einander gegenüber, das Bett zwischen sich. »Schlägst du mich dann? Dann mußt du mich schon totschlagen, wenn du willst, daß ich mich entschuldige. Nie, nie tu ich das! Jetzt sehe ich erst, was für einen feinen Charakter du hast. Jetzt erst verstehe ich Mama. Eure Behörde hat geschwiegen, das kannst du nicht bestreiten!«

»Zuerst! Weil wir vom Betreiber zuerst einen Normal-Fall gemeldet bekamen. Von denen gibt’s inzwischen vier-, fünftausend. Wenn wir die jedesmal bekanntgegeben hätten …«

»Wäre es längst aus mit euerm Geschäft.«

»… wären wir unverantwortliche Panikmacher.« Marvin keuchte. »Was glaubst du, was Tag für Tag im Flugverkehr an N-Fällen passiert? Geben die Piloten das den Passagieren bekannt?«

»Ihr habt aber doch herausgefunden, daß es ein E-Fall war.«

»Ja, das haben wir herausgefunden. Wir!«

»Nach fünf Monaten. Laß die Schuhe los! Du sollst die Schuhe loslassen!« Sie schlug nach ihm.

Er wich zurück. »Susanne …«

»Hör auf mit ›Susanne‹! Dabei war es von Anfang an ein S-Fall! Ein Sofort-Fall! Die Kernschmelze …«

»Es hat zu keiner Zeit auch nur die geringste Gefahr einer Kernschmelze gegeben, zum Teufel noch mal!«

»Das weißt du ganz genau, ja?«

»Das weiß ich ganz genau, ja! Unsere AKWs sind so gebaut, daß sie selbst bei menschlichem Versagen sicher bleiben.«

»Deshalb konnte auch radioaktiver Dampf austreten. Deshalb habt ihr das ein Jahr lang verheimlicht. Und hättet es für alle Zeit verheimlicht, wenn die Amis nicht gekommen wären mit ihrer Meldung. Menschliches Versagen! Wie viele Menschen haben denn damals versagt?« Susanne hatte immer neue Kleidungsstücke in den ersten Koffer gepreßt und versuchte nun, ihn zu schließen. Sie sprang auf das Bett, kniete auf dem Deckel, kämpfte mit den Schlössern. Dabei schrie sie weiter: »Fünfzehn Stunden zucken Alarmleuchten! Zwei Bedienungsschichten ignorieren das, sehen es nicht, pfeifen drauf! Was haben denn die genommen? Drogen? Schnaps? Waren die alle total high?«

»Susanne …«

»Die dritte Schicht, offenbar nur halb duhn, merkt endlich etwas, tut prompt das Falsche – und erst im letzten Moment gelingt es, ein Tschernobyl mal tausend zu verhindern. So sicher sind eure AKWs gegen menschliches Versagen! Und nachdem all das passiert ist, stuft der Betreiber es in die niedrigste Kategorie ein. Weißt du, wie die Menschen auf der Straße, wie die Öffentlichkeit so etwas findet?«

Er stotterte: »Die Öffentlichkeit … natürlich … die Öffentlichkeit ist darüber mit Recht in höchstem Maß beunruhigt …«

»Beunruhigt! Hast du die Interviews in den Zwanzig-Uhr-Nachrichten gehört? Umbringen möchten sie euch, jeden einzelnen von euch! Und mit Recht!«

»Susanne! Bitte! Durch uns ist die Schwere des Störfalls doch überhaupt erst bekanntgeworden! Wir haben Verfahren in die Wege geleitet. Sie werden zur Bestrafung der Verantwortlichen führen.«

»Das glaubst du doch nie im Leben!«

»Davon bin ich überzeugt. Dazu ist unsere Behörde da.«

»Selbstgerecht bis zum Verrecken. Ihr habt euch nichts vorzuwerfen. Keiner hat sich etwas vorzuwerfen. Ein Sofort-Fall! Und was ist geschehen bis heute? Wurde der Betreiber bestraft? Nein! Wird er jemals bestraft werden? Nie! Unsere Politiker scheißen auf die Menschen. Sie sind genauso gekauft wie ihr. Noch mehr! Für mich ist die ganze Republik gekauft. Von der Atom-Mafia, von Krupp, von Thyssen, von den Stromern, von der Deutschen Bank.«

»Du bist grotesk! Unsere Aufgabe war es, zu prüfen und zu informieren. Das haben wir getan. Der Fall ist in den Gremien ausgiebig diskutiert worden, zum Beispiel im Plenum der Reaktor-Sicherheitskommission. Unter Beteiligung aller Verantwortlichen. Die einzelnen Bundesländer haben unsere Mitteilungen erhalten. Es sind auf der technischen und auf der personellen Seite sofort Schritte unternommen worden, damit so etwas nie mehr vorkommen kann.«

»Aua!« Sie hatte sich einen Finger eingeklemmt.

»Laß dir helfen!«

»Rühr mich nicht an! Rühr den Koffer nicht an!« Das erste Schloß war zugeschnappt. Susanne kniete über dem zweiten. »In den Nachrichten vorhin hat sogar der Kraftwerksdirektor von Biblis die Möglichkeit eines ›Größten Anzunehmenden Unfalls‹ zugegeben. Und da willst du dabei bleiben, daß am Unfalltag richtig gehandelt worden ist? Der ARD-Korrespondent in Washington sagte, in Amerika wäre sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt worden.«

»Herrgott, genauso war es doch bei uns! Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hat eingegriffen. Wir haben den TÜV beauftragt. Das sind die Gremien, an die wir uns zu wenden haben.«

»Noch einmal, bevor ich wirklich wahnsinnig werde: Du hältst es also für richtig, daß das Bundesumweltministerium von einem solchen Beinahe-Super-GAU, der im Februar 1987 passiert ist, erst im Februar 1988 erfährt?«

»Wir haben nicht das Bundesumweltministerium zu informieren, sondern die Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Wie oft soll ich das noch sagen? Übrigens wurde inzwischen vereinbart, daß wir in Zukunft auch das Umweltministerium sofort verständigen werden. Aber wir – wir, wir, wir! – waren es damals, die den Fall in seinem ganzen Umfang aufdeckten.«

»Vater?« Susanne kletterte vom Bett. Sie hatte jetzt beide Koffer geschlossen.

»Ja?«

»Du kotzt mich an.«

»Susanne … Bitte, Susanne …« Sie schleppte die Koffer zur Tür. Er trat ihr in den Weg. »Nicht … Bitte … Bitte, laß mich nicht allein!«

Sie ging weiter.

Er hielt sie fest.

Susanne sah ihn lange unverwandt an. Zuletzt verzogen sich ihre Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. Er wandte den Kopf und trat zur Seite, denn dieses Lächeln war mehr, als er ertragen konnte. Sie ließ die beiden Koffer die Treppe hinab zur Halle gleiten und stolperte zwischen ihnen her. Nun stand er reglos da. Am Fuß der Treppe drehte Susanne sich um und stellte noch eine Frage. Marvin gab keine Antwort. Sie öffnete die Haustür und ging. Die Tür fiel ins Schloß. Kurze Zeit später heulte der Motor von Susannes VW-Passat auf.

Immer noch stand Markus Marvin so reglos, als wäre er aus Stein. Zuerst meine Frau, dachte er. Nun meine Tochter. Allein. Ganz allein bin ich jetzt. Seit zehn Jahren, seit ich den Regiejob aufgegeben habe, arbeite ich in der Behörde, davon überzeugt, das Richtige zu tun. Alle Kollegen sind davon überzeugt. Alle, die anfingen mit Kernenergie, waren es: Endlich haben wir die Lösung gefunden. Der Segen für die Menschheit ist Kernenergie. Sauber. Unschädlich. Kein Kohlendioxidausstoß. Die Sache in Biblis wurde vertuscht, ja. Aber doch nicht von uns, doch nicht von der Aufsichtsbehörde! Von wem immer sie vertuscht wurde, wer immer Schuld daran trägt – wir tragen keine, ich trage keine. Und doch hat Susanne mich verlassen.

Einmal waren wir eine glückliche Familie. Schöne Gegend. Schönes Haus. Lauter Liebe. Dann ging Elisa. Aber Susanne wurde mir zugesprochen bei der Scheidung. Ich hatte immer noch Susanne. Geliebte Susanne. Ich habe gesehen, wie rings um mich Kinder und Eltern einander nicht mehr verstanden, wie ihre Beziehungen zerbrachen, wie die Kinder revoltierten, wie sie fortgingen. Ich habe Susanne stets jede Freiheit gelassen. Sie kann für Greenpeace arbeiten, sogar für die Antiatombewegung. Alles, alles konnte sie tun, nur damit sie bei mir bleibt. Damit nicht auch ich zu den vielen gehöre, die immer mehr werden, von ihren Kindern verlassen. Nun ist es trotzdem geschehen. Was soll ich machen? Wie soll ich weiterleben?

Marvins Beine trugen ihn plötzlich nicht mehr, er sank auf eine Stufe der Treppe, als er daran dachte, daß seine Tochter ihm zuletzt die schmerzlichste Frage ins Gesicht geschrien hatte, die einem Menschen überhaupt gestellt werden kann:

»Wer um Himmels willen mußt du sein, um so etwas zu tun?«

Erstes Buch

»Die Geschichte lehrt die Menschen,
daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt.«

 

Mahatma Gandhi, geboren 1869,

ermordet 1948

1

Die Kuh stand langsam auf, schwankte und fiel um. Ein paar weitere Rinder der Herde erhoben sich, als der Landrover mit den zwei Männern über die große Weide auf sie zurollte.

»Wurden verkrüppelt geboren«, sagte Ray Evans hinter dem Steuer. »Laufen auf den Gelenken, nicht auf den Hufen. Sehen Sie, Mister – wie war der Name? Entschuldigen Sie, ich höre schlecht.«

»Marvin«, sagte der Mann neben ihm. »Markus Marvin.« Er sah elend aus, blaß, müde, traurig, total erschöpft.

»Natürlich. Marvin«, sagte Ray Evans. Er zeigte auf ein besonders verwachsenes Tier, welches überhaupt nicht aufstehen konnte. »Schauen Sie sich das an, Mister Marvin! Ist das nicht zum Heulen? Dabei sind die hier noch lange nicht die schlimmsten. Die schlimmsten werden schon als Kälber von den Kojoten gefressen.«

Zwei der Rinder, die sich erhoben hatten, fielen wieder um.

»Können sich nicht auf den Beinen halten, da haben Sie’s, Mister. Ein Elend ist das. Heulen könnte ich, den ganzen Tag heulen.«

Die Weide lag vor der kleinen Stadt Mesa auf der rauhen Hochebene im östlichen Teil des Bundesstaates Washington, der an Kanada grenzt. Hier bläst der Wind stets aus Südwest. Der Windrichtung nach befindet sich Mesa dem riesigen Atomreservat von Hanford am nächsten. Alles, was von den kommerziellen Reaktoren, den Versuchsendlagern, den Tritium- und Plutoniumfabriken und der Testanlage des Schnellen Brüters an Schadstoffen kommt, trifft den Ort. Der mächtige Columbia River, der um das Reservat herumfließt und mit dessen Wasser die Maisfelder, die Kartoffeläcker, die Weiden, Weingärten und Obstplantagen hier oben fruchtbar gemacht werden, ist dem Ausstoß der Anlagen von Hanford genauso ausgesetzt wie Mesa.

Anschwellendes Dröhnen ließ die Luft erzittern. Marvin sah nach oben. Ein Düsenjet überflog, sehr tief, die gut zwei Dutzend Reaktortürme von Hanford.

»Der landet auf dem Tri-Cities-Airport«, schrie Farmer Ray Evans. »Das hier ist die Einflugschneise.«

»Immer?«

»Ja, wo doch der Wind immer so weht.«

Markus Marvin war mit dem Wagen hierhergekommen, aber er wußte, daß der Tri-Cities-Airport für die Städte Richland, Kennewick und Pasco bestimmt war. Er hatte sich im Landrover umgedreht und erblickte nun die Gebäude und Türme von Hanford. Im hellen, kalten Sonnenlicht dieses Vormittags hatten sie harte, scharfe Umrisse. Marvin sah auf die Uhr. Es war achtundzwanzig Minuten nach elf am 11. März 1988, einem Freitag.

»Tri-Cities ist ein Großflughafen«, schrie er. »Haben die Atomkraftwerke Berstschutz?«

Der riesige Jet brauste über sie hinweg. Fast unerträglich laut war sein Toben nun geworden.

»Viele haben keinen«, brüllte Evans, »glauben wir jedenfalls.«

Marvin starrte den Farmer an. Er war außer sich – seit Tagen. Er hatte entzündete Augen, seine Lippen und seine Hände zitterten, er konnte nur mühsam sprechen. Marvin fühlte sich totenelend. Ich habe es nicht glauben wollen, dachte er. Ich habe gedacht, alle, die so was erzählen, sind Lügner. Dabei haben sie alle die Wahrheit gesagt. Wo immer ich hinkam in den letzten Wochen, habe ich dasselbe erlebt. Die schlimmsten Wochen meines Lebens waren das. Großer Gott, was für eine infame Schweinerei!

Susanne, dachte der müde, blasse Mann. Ach, Susanne.

Gleich nachdem sie ihn verlassen hatte, war er von seiner Behörde losgeschickt worden. Amerikanische Anlagen kennenlernen. Amerikanische Sicherheitssysteme. Große Aufregung herrschte in Deutschland wegen Biblis. Die Behörde wollte wissen, ob es in Amerika bessere Systeme gab als in der Bundesrepublik. Sie hatten ihn allerdings nicht gerade hierhergeschickt, wahrhaftig nicht. Zu den feinen Atomkraftwerken sollte er fliegen. Zu denen, die höchstens ein paar N-Fälle hatten. Er hatte sich nicht an die Reiseroute gehalten. So war er hierhergekommen in den Bundesstaat Washington, in das Atomreservat von Hanford.

Du hast recht, Susanne, dachte er. Alle deine Freunde haben recht. Aber es ist noch viel schlimmer, als ihr wißt, als ihr glaubt. Wie glücklich waren wir einmal, Susanne, ach, wie glücklich.

»Nessun maggior dolore …« Ein Satz von Dante Alighieri fiel ihm plötzlich ein: »Nichts bedeutet mehr Schmerz, als sich im Unglück an Zeiten des Glücks zu erinnern …« Die Zeiten des Glücks, dachte er verloren. Er starrte immer noch den Mann am Steuer an. Cordsamthosen trug der, Stiefel, eine Lederjacke über dem bunten Wollhemd. Marvin war ähnlich gekleidet. Er hielt eine Kamera in der Hand und fotografierte immer wieder. Ich muß es beweisen können in Deutschland, dachte er bebend. Beweisen können muß ich, was ich erzählen werde.

Farmer Ray Evans war siebenunddreißig Jahre alt, er hatte es Marvin gesagt. Er sah aus wie sechzig. Kaum noch ein Haar auf dem Kopf. Das Gesicht von tiefen Falten durchzogen. Glanzlose Augen. Mächtig geschwollene Schilddrüsen. Das haben viele hier, dachte Marvin. Mächtig geschwollene Schilddrüsen.

Am Rande des Atomkomplexes sah Marvin in wenigen Metern Höhe drei kleine Pestizidmaschinen, die ihre Giftwolken auf die Felder sprühten. Das ging so von Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, hatte Evans berichtet. Der fuhr noch immer an seinen Tieren vorbei.

»Erinner’ mich genau, was mir vor ein paar Jahren passiert ist«, erzählte er. »Da wurden die Monster geboren in den Ställen. Schafe mit zu kleinem oder manchmal mit zwei Köpfen. Ohne Beine. Ohne Schwänze. Ausgesehen hat’s bei mir wie bei Frankenstein. Nur nicht so gemütlich. Doc, ich meine Doc Clayton, der Veterinär hier, der hat mir immer wieder gesagt, Mann, Ray, du fütterst die Tiere falsch, darum sieht der Nachwuchs so aus. Fucked-up Doc! Ich hab’ schon damals gewußt, warum es so aussieht, mein Jungvieh, das Jungvieh von vielen Farmern hier. Inzwischen wissen’s alle. Strahlung kommt raus da aus den Türmen, massenhaft Strahlung, und die bringt die Tiere um, die bringt die Menschen um, die verseucht den Boden und das Wasser.« Er wies mit einer Hand zu dem Reservat hinüber. »Da, der T-Reaktor, sehen Sie den, Mister?«

»Ja.« Marvin fotografierte.

»In dem haben sie im Krieg das Plutonium für die Nagasaki-Bombe hergestellt. So lange arbeitet das Ding schon. Mehr als vierzig Jahre! Was glauben Sie, was die seither Plutonium brauchten für ihre fucked-up Sprengköpfe, Mister? Mehr als vierzig Jahre strahlt das Ding! Können Sie sich das vorstellen? Mehr als vierzig Jahre dauert diese mörderische Sauerei hier schon.[2] Langzeitstrahlenschäden hat hier alles – Mensch, Tier, Wasser, Erde. Da drüben, in dem N-Reaktor, da haben sie bis Anfang des Jahres auch Plutonium hergestellt für Atomwaffen. Nun haben sie ihn endlich runtergefahren auf cold standby. Wegen Sicherheitsmängeln.« Der Landrover holperte. »Sicherheitsmängel!« sagte Farmer Evans verzweifelt. »Die hatte das beschissene Ding, seit es arbeitete. Hat’s wen gestört all die Jahre? Hell, no, keinen einzigen hat’s gestört! Private Betreiber, nicht? Die, denen das hier gehört, die goddamned bastards, die sich dumm und dämlich verdienen, die wohnen nicht hier, Mister, und ihre Kinder auch nicht.«

Susanne, dachte Marvin, Susanne. Sicher ist diese Art von Energiegewinnung, das war mein Glaube. Einmal in zehntausend Jahren kann – vielleicht – etwas passieren, das ist das Schlimmste, womit man rechnen muß. Einmal in zehntausend Jahren! Vor zwei Jahren ist Tschernobyl hochgegangen. Schlamperei des Ostens, haben alle gesagt, bei uns ist so etwas unmöglich, absolut unmöglich, auch ich habe das gesagt, auch ich, so oft, so oft. Und nun?

»Ja«, sagte der Mann mit den geschwollenen Schilddrüsen, »aber was hat passieren müssen, bevor sie ihn runtergefahren haben, diesen N-Reaktor? Was alles? Bürgerproteste noch und noch. ›Time‹ hat in einer Coverstory Skandal gemacht, ebenso ›Newsweek‹. Und die großen Fernsehstationen. Nachgewiesen haben sie, daß aus dem no-good-fucking N-Reaktor vierzig Jahre lang mehr Strahlung rauskam als aus dem in Tschernobyl. Das müssen Sie sich mal vorstellen, Mister Marvin!« Evans schrie jetzt wieder. »Vierzig Jahre lang! Vierzig Jahre lang mehr als aus Tschernobyl! Was ist das für eine gottverfluchte Dreckswelt, in der Sie jedes Verbrechen begehen können, wenn Sie nur genug Geld haben und ein big shot sind und eine Menge big shots zu Freunden haben? Sie sagen, Sie sind Physiker, Mister. Aber mit der Kamera gehen Sie um wie ein Profi.«

»Ich habe eine Zeitlang Dokumentarfilme gedreht«, sagte Marvin, »aber ich bin Physiker«, fügte er klanglos hinzu.

»Atomphysiker? Ich meine – so einer wie die da drüben?«

»Nein, bei einer Aufsichtsbehörde.«

»Und in Deutschland ist noch nie was passiert? Noch nirgends Strahlung ausgetreten? Sie haben noch keinen Reaktor runterfahren und abschalten müssen?«

»Ein paarmal. Vorübergehend. Kleine Pannen. Absolut im Griff dank der Sicherheitssysteme.« Marvin mußte um jedes Wort kämpfen. Das bringt mich noch um, dachte er. Das bringt mich noch um, all das. Susanne. Susanne. Nichts bedeutet mehr Schmerz …

»Hören Sie auf!« schrie Evans. »Es gibt keine Sicherheit. Nirgendwo auf der Welt. Bei den Russkies nicht und nicht bei uns und nicht bei Ihnen. You bet your fucking life, Mister; dieselben Verbrechen an den Menschen passieren bei Ihnen. Sie wissen’s nur nicht.«

Weg, weit weg war Marvin plötzlich mit seinen Gedanken …

 

»Es gibt einen einzigen Weg, den drohenden Klimaschock abzuwenden: Wir müssen die umweltfreundliche Kernenergie noch viel, viel intensiver nützen!«

Er, Markus Marvin, hatte das gesagt, an einem Novembernachmittag des vergangenen Jahres, im Ferienhaus von Professor Gerhard Ganz auf der Nordseeinsel Sylt. Das Haus lag in Keitum, am Uwe-Jens-Lornsen-Wai, hoch über dem Wattenmeer. Nebelig war es an diesem frühen Wintertag gewesen und sehr kalt.

Professor Ganz, dreiundsechzigjährig, groß und kräftig, Leiter der Physikalischen Gesellschaft Lübeck, hatte Markus Marvin zu einem Gespräch eingeladen, in der Hoffnung, ihn von seiner Kernkrafteuphorie abzubringen. Es war eine vergebliche Hoffnung gewesen, wie sich mehr und mehr herausstellte. Der Atomphysiker Dr. Markus Marvin, Mitglied der Aufsichtsbehörde im Hessischen Umweltministerium, ließ sich durch nichts von seinen Überzeugungen abbringen. Ganz konstatierte es mit Trauer. Da war wieder einer, zu dem er vergebens redete, wieder einer von den vielen, mit denen er sich herumschlug, sein Leben lang. Und weiter herumschlagen würde.

»Nein!« sagte er leidenschaftlich. »Nein und nein und nein! Betrachten Sie das Problem global, dann wird sofort deutlich, wie falsch dieser Weg wäre! Gegenwärtig liegt der Anteil der Atomkraft bei knapp fünf Prozent, lächerlichen fünf Prozent.«

Auch Marvin war immer erregter geworden. »Dann müssen eben mehr Atomkraftwerke gebaut werden – schnellstens«, rief er.

Ganz fühlte sich elend an diesem Tag. Sein Magen schmerzte, er empfand heftiges Brennen. Und dieser Mann, den er da eingeladen hatte, weil ihm gesagt worden war, daß er über große Beziehungen verfüge, daß er klug sei, einsichtig und von raschem Verstand – er war nicht besser als all die anderen Idioten Ganz wollte auffahren, doch er beherrschte sich, nahm sich zusammen, um sachlich zu sprechen mit diesem Mann.

Er sagte: »Mehr Atomkraftwerke? Wie viele, Doktor Marvin? Wie viele? Um wirklich etwas Substantielles zu erreichen, müßten Sie jahrzehntelang fast täglich irgendwo in der Welt ein neues Atomkraftwerk der Größenordnung von Biblis in Betrieb nehmen. Jahrzehntelang!«

Sie saßen im großen Wohnraum des schönen alten Hauses mit seinen weißen Mauern und blauen Türen und blauen Fensterläden. Die Wände waren durch Bücherregale verdeckt, in einem Kamin brannten Holzscheite, darüber hing eine Lithographie von A. Paul Weber, die einen Mann zeigt, der im Nachthemd an einem Baumstamm lehnt und sich mit einem Hammer einen großen Nagel in die Stirn schlägt.

Eine dritte Person befand sich im Raum: Dr. Valerie Roth, Professor Ganz’ Assistentin. Mittelgroß war Dr. Roth und schlank, braun wie ihr Haar waren ihre Augen. Sie sagte: »Ganz abgesehen davon, Doktor Marvin, daß kein Staatshaushalt der Welt und keine privaten Geldgeber es schafften, täglich ein neues Werk zu bauen – wo sollten diese Werke denn stehen? Vor dem Bundeskanzleramt? Am Brahmsee? In Oggersheim? Hören Sie doch: Wir haben im Institut Studien aus den USA und für die EG, in denen nachgewiesen wird, daß jede Mark – jede Mark! –, die man in Energiesparmaßnahmen investiert, siebenmal – siebenmal! – soviel Kohlendioxid vermeidet wie die gleiche Investition in Atomkraftwerke. Und es ist ja hauptsächlich Kohlendioxid, mit dem wir Luft und Atmosphäre derart vergiften, daß es in vierzig bis sechzig Jahren zur endgültigen Weltkatastrophe, zum Ende der Welt kommen wird. Die Hälfte aller Menschen, die heute leben, wird diese größte aller Katastrophen noch erleben.«

»Es gibt«, sagte Ganz, »weltweit kein einziges Energieszenario, dem zufolge es bei einer Ausweitung der Atomenergie zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen kommt. Die Weltprognose der Internationalen Energie-Agentur erwartet beispielsweise auch bei einer Verzwölffachung der Atomenergie einen Anstieg der Kohlendioxidmengen auf rund dreiundvierzig Milliarden Tonnen bis zur Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts – also mehr als eine Verdoppelung.«

»Und nichts«, sagte Dr. Roth, »wäre verantwortungsloser, als das eine Risiko – die drohende Klimakatastrophe – mit einem anderen Risiko – der Gefahr eines Super-GAUs – erhöhen zu wollen. Schon heute hat die Nuclear Regulatory Commission die Wahrscheinlichkeit einer Reaktorschmelze bis zum Jahr 2000 nur für die USA rechnerisch auf fünfundvierzig Prozent eingeschätzt. Auf fünfundvierzig Prozent!«

»Und warum«, fragte Marvin erbittert, »forderten dann die Teilnehmer der letzten Weltklimakonferenz gerade jetzt auch die Zuhilfenahme der Kernenergie, um die Kohlendioxidemissionen in den Industrieländern zu vermindern?«

Ganz trank einen Schluck Tee, seine Hände zitterten. Der Schmerz stieg nun aus dem Magen aufwärts, wurde stärker. Mit wie vielen Menschen, die ihm nicht glaubten, hatte er schon geredet, sie beschworen, nicht weiter mitzuwirken an der Zerstörung der Welt! Vielleicht hörte dieser Mann zuletzt doch noch auf ihn. Es hatten schon manche ihre Ansicht geändert. Warum nicht auch dieser Mann? Jetzt saß der Schmerz bereits in der Brust. Ganz zwang sich weiterzureden: »Es gab Atomkraftbefürworter in Toronto, die das in die Debatte warfen. Aber es wurde ganz deutlich gesagt, und so steht es im Statement: ›Wenn man die Atomenergie heranziehen möchte, dann muß zuerst unerschütterlich sicher sein, daß dabei alle mit ihr verbundenen Gefahren beherrscht werden können – nämlich das ungelöste Entsorgungsproblem des Atommülls, das ungelöste Problem der Weiterverbreitung von waffenfähigem Material und das im Prinzip unlösbare Problem möglicher Unfallkatastrophen‹. So steht es im Statement, Doktor Marvin, ich habe es mitentworfen. Und ich sage Ihnen: Von der Atomenergie können Sie niemals eine Lösung unserer Probleme erwarten – aber jederzeit eine unvorstellbare Katastrophe …«

Jederzeit eine unvorstellbare Katastrophe … Der Satz klang in Marvins Ohren nach, während Farmer Evans’ Jeep über dessen Weide holperte und er in die Gegenwart zurückglitt.

»… dieselben Verbrechen an Menschen passieren bei Ihnen. Sie wissen’s nur nicht.«

»Und Sie?« In seiner Verzweiflung wurde Marvin aggressiv. »Woher wissen Sie’s? Woher wissen Sie überhaupt was von Deutschland? Die meisten hier haben doch nicht mal eine Ahnung, wo das liegt.«

»Ich schon«, sagte Evans verbissen. »Ich weiß eine Menge über Ihr Land, Mister Marvin. Ich war dort.«

»Sie waren in Deutschland?«

»Sag’ ich doch.«

»Wann?«

»Vor zwölf Jahren. 1976. Zuerst in Frankfurt. Dann in München und Hamburg, in Berlin und Düsseldorf. Vier Monate war ich dort, Mister Marvin. Hab’ mir alles genau angeschaut. Hab’ mich genau umgesehen in Ihrem Germany, Mister Marvin …« Evans schwieg kurz, dann kam er auf sein ewiges Thema zurück: »Dieselben Verbrechen passieren bei Ihnen, glauben Sie mir! Unsere Reporter haben seinerzeit gedacht, sie machen einen Skandal, größer geht’s nicht. Haben ihn gemacht. Furchtbar aufgeregt die Herren in Washington, D. C. – ein paar Tage lang! Den Reaktor hier runtergefahren. Na bitte, wir tun doch alles! Und schon hatten die Menschen, die nicht direkt hier leben, alles vergessen. Ich sage Ihnen, Mister, die Großen und die Reichen und die ganze Mörderbrut, sie alle können sich seit Jahrtausenden nur halten, weil die Menschen so schnell vergessen. Blöd!« schrie er und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Blöd sind wir. Blöd werden wir erzogen. Blöd werden wir unser Leben lang gehalten. Die wissen schon, was sie tun. Wie sie uns abrichten müssen. Wie unser Leben ausschauen muß. Wissen Sie, wie unser Leben ausschaut, Mister? Fressen, ficken, fernsehen! Genauso ist es in Frankreich, in Rußland, in England. Wie war denn das mit dem großen Unglück in Windscale, das die Regierung dort fünfundzwanzig Jahre geheimgehalten hat, bevor’s rauskam?« Evans hatte sich in solche Rage geschrien, daß er mitten auf der Weide den Landrover anhielt, weil er nicht mehr fahren konnte. Er keuchte. Dann schrie er weiter: »Die Kinder, die hier in den vierziger oder fünfziger Jahren geboren wurden – so wie ich, so wie mein Vetter Tom –, die haben allein mit der Milch mehr Radioaktivität abbekommen fürs Leben als die armen Würmer, die in Nevada groß wurden, wo sie die Atomtests machten. Ein einziges gigantisches Verbrechen ist das, Mister Marvin! Was hat die Regierung dagegen getan? Die jetzt und die vorher und die davor? Alle fucked-up goddamned Regierungen seit 1945? A mother-fucking shit haben sie getan, alle miteinander, nothing, nothing, nothing! Mehr als vierzig Jahre lang nichts. Dann endlich den N-Reaktor runtergefahren jetzt, weil einmal – einmal! – der Skandal nach den Berichten der Zeitungen und TV-Stationen zu groß war. Ein schlechtes Jahr für die Reagan-Administration ist das. Ein Jahr, wo die Boys vom TV und von der Presse zu munter geworden sind. Hier und beim Savannah-River-Komplex in South Carolina und in Rocky Flats bei Denver, Colorado. Dort ging’s genauso zu wie bei uns hier. Auch dort hat die Regierung Reaktoren abgestellt. Auch dort. Müssen Sie unbedingt hin, Mister! Unbedingt müssen Sie da hin!«

Marvin setzte zweimal an, bevor er sprechen konnte. »Ich war schon dort, Mister Evans. Am Savannah River und in Rocky Flats.«

»Und Sie haben alles gesehen?«

»Ja«, sagte Marvin, »ich habe alles gesehen.«

»Und Sie wissen auch, was die Politiker jetzt aufführen?«

»Ja, Mister Evans.«

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