Marlies Ferber

Null-Null-Siebzig

Agent an Bord

Kriminalroman

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2013

© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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eBook ISBN 978-3-423-41729-7 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21418-6

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

[Dank]

[Informationen zur Autorin]

[Informationen zum Buch]

Für meine Eltern

The most chivalrous fish in the ocean,

To the ladies forbearing and mild,

Though his record be dark,

The man-eating shark

Will eat neither woman nor child.

A doctor, a lawyer, a preacher,

He’ll gobble one any fine day.

But the ladies, God bless’em,

He’ll only address’em

Politely and go on his way.

(aus: The Chivalrous Shark, trad. Folksong)

Kapitel 1

James atmete tief ein. Warme, salzige Luft strömte in seine Lungen. Aus den Schiffslautsprechern dröhnte »Rule Britannia«. Er blickte zu Sheila, die neben ihm an der Reling stand und beobachtete, wie die Victory langsam ablegte. Sie lächelte. »Einen Sixpence für Ihre Gedanken, James.«

Er zeigte auf die großen Trichterboxen. »Ich bitte Sie, Sheila, wer kommt denn nur auf die Idee, ›Rule Britannia‹ beim Ablegen zu spielen!«

Sie strich sich die rotbraunen Locken aus dem Gesicht. »Wieso, das ist wie in der guten alten Zeit. Das Schiff legt ab, die Passagiere stehen an Deck, sie sehen einer aufregenden, ungewissen Zukunft entgegen, an Land flattert ein Meer von weißen Taschentüchern im Wind, und die Blaskapelle übertönt die Abschiedsrufe und das Schluchzen.«

»Nur dass in unserem Fall die Musik nicht von einer Kapelle kommt, sondern aus den Lautsprechern scheppert. Und wir nicht auf der Titanic stehen und in die Neue Welt aufbrechen, sondern nur träge auf dem Mittelmeer kreuzen und in einer Woche wohlbehalten wieder hier anlegen.« Er deutete auf die Traube weißer und grauer Köpfe neben ihnen. »Es sei denn, der eine oder andere geht vorzeitig von Bord. Der Altersdurchschnitt hier dürfte fast dem von Eaglehurst entsprechen.«

Sheila warf ihm über ihre Sonnenbrille hinweg einen kurzen Blick zu, und er bereute die Anspielung auf das Altenheim, in dem Sheila und er sich vor einem knappen halben Jahr einquartiert hatten, um den Mord an James’ Freund William aufzuklären. Doch Sheila ließ sich die blendende Laune nicht verderben. »Ach, entspannen Sie sich, James. Der Urlaub wird uns guttun, und es ist doch nett, zwischen all den weißen Köpfen hier kommt man sich fast schon jung vor!«

Er war froh, dass sie seine Bemerkung nicht auf ihre betagte Mutter bezogen hatte. Sheilas Mutter war nämlich der Grund, warum sie hier waren. James hatte die alte Dame erst vor zwei Monaten kennengelernt, als er Sheila ein Buch zurückbrachte, das sie ihm geliehen hatte. Als er Sheilas Wintergarten betrat, stand da ein elektrischer Rollstuhl vor dem Orchideenfenster, und darin saß sie: eine kleine, drahtige Gestalt, deren Hände und Füße im Verhältnis zu den dünnen Armen und Beinen übergroß erschienen. Das perfekt geliftete Gesicht war von kunstvoll frisierten, hellblond gefärbten Haaren umrahmt. Sie hatte ihn mit der Geste der Gastgeberin aufgefordert, Platz zu nehmen, ihr Gesicht beim Lächeln in zarte Falten gelegt und gesagt: »Meine Tochter hat mir immer viel von Ihnen erzählt, Mr Gerald. Schon zu der Zeit, als Sie beide noch beim SIS waren. Deshalb habe ich das Gefühl, Sie schon eine Ewigkeit zu kennen. Es freut mich sehr, Sie endlich einmal persönlich zu treffen. Ich darf doch James zu Ihnen sagen?«

»Natürlich«, hatte er höflich geantwortet und ihr gegenüber Platz genommen, während Sheila, sonst das Selbstbewusstsein in Person, ihm eine Tasse Kaffee einschenkte und wie ein Kind wirkte, das nicht ungefragt dazwischenredet, wenn die Erwachsenen sich unterhalten.

»Ich bin Phyllis Barnes«, sagte Sheilas Mutter, »aber das wissen Sie sicher, James. Meine Tochter wird Ihnen von mir erzählt haben.«

»Ja«, log James und fing einen dankbaren Blick von Sheila auf. Sie hatte früher, als sie beide noch Kollegen gewesen waren, nie über ihr Privatleben gesprochen. Erst vor einigen Monaten hatte sie ihre Mutter zum ersten Mal erwähnt, und jetzt war er eigenartig berührt, der fast Neunzigjährigen, die ihn mit wachen Augen musterte, gegenüberzusitzen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie in jungen Jahren ausgesehen hatte. Vermutlich sehr attraktiv – dazu brauchte er nur von der Tochter auf die Mutter zu schließen. Außerdem strahlte die alte Dame das natürliche Selbstbewusstsein einer Frau aus, die es gewohnt ist, im Mittelpunkt zu stehen.

Phyllis wies auf das Tablett mit Sandwiches. »Greifen Sie zu, James. Sheila war so lieb, meine Lieblingssandwiches zuzubereiten, Thunfisch mit Marmite und Piccalilli. Das Rezept stammt noch von meiner Kinderfrau.« Als sie in das Sandwich biss, bemerkte James, dass ihre schön geformten Zähne beinahe genau dieselbe Farbe wie das ungeröstete Weizentoastbrot hatten. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es die Dritten waren, allein Phyllis’ hohes Alter machte diese Annahme zwingend. Sie musste einen guten Zahnarzt haben, denn bei den meisten Gebissträgern, die er kannte, waren entweder Farbe oder Form verräterisch. Phyllis schluckte fast ohne zu kauen und bemerkte versonnen: »Es ist schon seltsam, was von manchen Menschen, die man gekannt hat, übrig bleibt. Manchmal ist es nur ein Ausspruch oder ein Sandwich-Rezept.«

»Oder ein Ehering«, warf Sheila ein. Die alte Dame winkte ab und lächelte James zu. »Diese bissige Art hatte sie früher schon, James. Aber das wissen Sie vermutlich.« Sie sah James, der ebenfalls ein Thunfischsandwich genommen hatte, erwartungsvoll an. »Und? Wie schmeckt es Ihnen?«

»Ausgezeichnet«, sagte James und griff, noch während er den letzten Bissen kaute, nach einer Orange vom Obstteller, um den widerwärtigen Geschmack loszuwerden. Mit ein paar Bewegungen seines Taschenmessers befreite er die Orange von ihrer Schale.

»Sie gehen geschickt mit dem Messer um«, stellte Phyllis anerkennend fest.

James lächelte. »Es ist nicht meine erste Orange. Möchten Sie ein Stück?«

»Danke, keine Vitamine. Aber sagen Sie, James, was kann dieses Taschenmesser noch alles?«

»Wie meinen Sie das?«

Phyllis fixierte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen. »Sie wissen, was ich meine, tun Sie nicht so. Ein Exagent des SIS trägt kein Taschenmesser mit sich herum, das nur Orangen schälen kann.«

»Jemanden damit mundtot zu machen wäre auch kein Problem«, sagte James mit einem Seitenblick auf Sheila, »aber ich versichere Ihnen, ich bin vor fünf Jahren aus dem Dienst ausgeschieden, nicht wahr. Die aufregenden Zeiten sind vorbei. Wobei sie – unter uns gesagt – so furchtbar aufregend nun auch nicht waren.«

»Ach ja?« Die alte Dame zog die Augenbrauen hoch. »Und wie sind Sie dann zu Ihrem Spitznamen gekommen?«

»Was meinen Sie?« James sah zu Sheila, die seinem Blick auswich.

»Ihr Spitzname – Null-Null-Siebzig!«

James seufzte. »Ich hätte es wissen müssen. Ich sehe schon, Ihre Tochter hat Ihnen von Eaglehurst erzählt.«

»Ja«, bestätigte Phyllis, »und ich finde die ganze Geschichte fantastisch!«

Sie befragte ihn zu allen Einzelheiten der Mordfälle in der Seniorenresidenz. Dabei strahlte die zierliche kleine Gestalt, die von Weitem wie ein präparierter Schmetterling wirkte, eine Vitalität aus, die ansteckend war. James vermutete, dass ihr reges Interesse an allem, was um sie herum geschah, der Grund dafür war. Schließlich wurde es Zeit für ihn zu gehen, er erhob sich und reichte Sheilas Mutter zum Abschied die Hand. Sie hielt James’ Hand fest umkrallt und sah ihm in die Augen. »Wie alt schätzen Sie mich, James?«

Er hatte zu viel Lebenserfahrung, um sich von einer Frau mit dieser Frage in Verlegenheit bringen zu lassen. »Wenn ich es nicht besser wüsste«, gab er galant zurück, »würde ich denken, dass wir beide im selben Alter sind.«

Die alte Dame lächelte wie jemand, der genau diese Antwort erwartet hatte. Sie hielt immer noch James’ Hand fest. »Ich werde in gut zwei Monaten neunzig!«

»Nein!«

»Doch, James, auch wenn ich es selbst kaum glauben kann. Und da es höchstwahrscheinlich mein letzter runder Geburtstag sein wird, will ich noch ein Mal richtig feiern und ...«

»Mutter, sei doch nicht so melodramatisch«, warf Sheila ein. »Du wirst noch viele Geburtstage feiern.«

»Ja, mag sein«, sagte Phyllis heftig, »aber vielleicht bin ich dann taub oder blind oder habe Schmerzen oder wer weiß, was sonst noch. Nein, in meinem Alter kann von heute auf morgen Schluss sein. In der Gegenwart leben, das ist es! Alles herausholen, was geht! Es noch mal so richtig krachen lassen!« Sie wandte sich wieder James zu, der sich bemühte, ernst zu bleiben bei der Vorstellung, wie die alte Dame es so richtig krachen ließ. »Genug der langen Vorrede, James. Es ist mein Wunsch, einen unvergesslichen Geburtstag zu verleben, im Kreis einer Handvoll ganz besonderer Menschen, die mir lieb und teuer sind. Und ich würde mich sehr, sehr freuen, Sie dazuzählen zu dürfen.«

Nun gaben ihre knochigen, doch erstaunlich kräftigen Finger seine Hand endlich frei. Er sah zu Sheila, die seinem Blick auswich, und fühlte sich überrumpelt. Er war Sheilas Kollege gewesen, seit zwei Jahren war er ihr Nachbar, und sie hatten gemeinsam den Fall in Eaglehurst gelöst. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, war Sheila, soweit er überhaupt Beziehungen zu anderen Menschen einging, mittlerweile der wichtigste Mensch in seinem Leben. Er genoss ihre Gesellschaft so sehr, dass er ihre Freundschaft auf keinen Fall durch den Fehler gefährden wollte, den seiner Meinung nach die zu große Nähe zwischen zwei Menschen darstellte. Und die Einwilligung, als ihr Begleiter zur Geburtstagsfeier ihrer Mutter zu kommen, war ganz klar ein Schritt in diese Richtung. Sheilas Mutter ahnte offensichtlich, warum er zögerte, und sagte liebenswürdig: »Ich habe Sie überfallen, James. Überlegen Sie es sich in aller Ruhe.«

Er hatte erwartet, dass Sheila in den folgenden Wochen versuchen würde, ihn zu überreden, die Einladung anzunehmen, aber nichts dergleichen geschah. Sie trafen sich ein paarmal zum Spazierengehen im Hampstead Heath, gingen in Soho essen, schauten sich eine neue Ausstellung in der Tate Modern an, aber Sheila kam nicht wieder auf die Einladung zu sprechen, ja sie erwähnte ihre Mutter mit keinem einzigen Wort. Gerade dadurch war ihm klar geworden, wie wichtig ihr die Sache war. Schließlich hatte er sich einen Ruck gegeben und zugesagt, was sie mit einem beiläufigen Lächeln quittiert hatte: »Gut, ich sage meiner Mutter Bescheid.«

Eine Woche später hatte ein großes altrosa Kuvert in seinem Briefkasten gelegen. Die Einladung war mit etwas zittriger Hand, aber sehr sorgfältig mit Tinte geschrieben:

Zur Feier meines

90. Geburtstages

freue ich mich ganz besonders, lieber James,

Sie an Bord der

MS Victory

begrüßen zu dürfen.

Alles Weitere entnehmen Sie bitte dem

beigefügten Faltblatt.

Er war gleich zum Nachbarhaus gegangen und hatte Sheila, kaum dass sie die Tür öffnete, mit dem rosa Brief vor der Nase herumgewedelt. »Wussten Sie das?«

»Nun kommen Sie erst mal rein«, hatte Sheila gesagt und ihm im Wintergarten ein gut gefülltes Glas Glenmorangie in die Hand gedrückt. »Setzen Sie sich doch erst mal, James, und beruhigen Sie sich.«

Er blieb stehen. »Ich bin ruhig. Wussten Sie davon?«

»Bitte, James. Nun trinken Sie doch einen Schluck. Ich erkläre Ihnen alles. Sie können sich dann immer noch aufregen.«

Nach dem ersten Glas Scotch hatte er sich doch hingesetzt, und nach dem dritten konnte er dem Unternehmen fast schon eine heitere Seite abgewinnen. Ihre Mutter, hatte Sheila erzählt, sei immer ein ausgesprochen unkonventioneller, lebenslustiger Mensch gewesen. Das war Sheilas Umschreibung dafür, dass ihre Mutter ein abwechslungsreiches Leben geführt hatte, nicht zuletzt im Hinblick auf Männer. Sesshaft war sie nur in Sheilas ersten fünf Lebensjahren gewesen. In der Zeit hatte sie versucht, ihrem ersten Ehemann, einem Waliser Landtierarzt, eine gute Ehefrau zu sein. Das war gründlich schiefgegangen, weshalb sie nach London gezogen war, zunächst mit der Absicht, ihre Tochter nachkommen zu lassen. Doch dann hatte sie ihren zweiten Mann kennengelernt, der beruflich viel in der Welt unterwegs war, und einige Jahre später ihren dritten Ehemann, einen Amerikaner. »Und so weiter«, sagte Sheila. »Insgesamt war sie nicht weniger als sieben Mal verheiratet. Und mein Vater war der Einzige, der nicht in Geld schwamm. Ich glaube nicht mal, dass meiner Mutter das Geld besonders wichtig war, es hat sich wohl einfach so ergeben. Sie kannte durch ihren zweiten Ehemann auf einmal nur noch Leute, die reich waren.«

»Verstehe«, sagte James. »Also ist Ihre Mutter jetzt die steinreiche Witwe von sechs Ehemännern?«

Sheila sah ihn einen Moment überrascht an und lachte dann. »Was wollen Sie denn damit andeuten, James? Nein, sie hat sie nicht alle umgebracht. Sie hat es einfach nie besonders lange mit einem Mann ausgehalten. Nach spätestens fünf Jahren kam die Scheidung und dann der nächste Mann.«

»Wie ein guter Manager das Unternehmen wechselt«, bemerkte James und trank seinen vierten Glenmorangie.

»Ja, und zwar jedes Mal mit einer stattlichen Abfindung.«

»Trotzdem«, sagte er. »Die Vorstellung, mit an Bord des Happy-Birthday-Bootes auf Butterfahrt zu gehen, behagt mir nicht recht. Ich passe ganz sicher nicht da hinein, nicht wahr.«

»Haben Sie sich das Faltblatt noch gar nicht angesehen?«, fragte Sheila überrascht. »Es ist weder ein kleines Boot noch eine Butterfahrt. Meine Mutter hat immer schon in großen Dimensionen gedacht. Die Victory ist ein Kreuzfahrtschiff, das für sechshundert Passagiere ausgelegt ist. Wir fliegen als Erstes nach Marseille, und von dort führt die Reise über Nizza und Rom bis nach Valletta. Von dort geht es wieder nach Marseille und per Flugzeug zurück nach London.«

Er stellte das Glas ab und sah sie entgeistert an. »Bis nach Valletta?«

»Malta«, erklärte sie.

»Ich weiß, wo Valletta liegt«, sagte James unwirsch. Er stand auf und ging hin und her. »Das ist doch absurd.«

»Nein, das ist meine Mutter«, sagte Sheila nüchtern. Sie stellte sich ihm in den Weg und sah ihn eindringlich an. »James, ich habe Sie noch nie um etwas gebeten.«

»Dann wäre jetzt auch nicht der richtige Augenblick, damit anzufangen!«

Sie hatte ihn mit einem schwer zu deutenden Blick angesehen, und einen Moment lang hatte er befürchtet, sie wolle ihn mit Tränen umstimmen. Doch dann hatte sie sich abgewandt und war in der Küche verschwunden. Zehn Minuten später war sie mit einem Teller Gurkensandwiches wieder aufgetaucht und hatte fröhlich über den neuen Hund der Nachbarin geplaudert, als sei nichts geschehen.

In den nächsten zwei Wochen hatte sie ihn nicht mehr auf die Kreuzfahrt angesprochen. Genau genommen, hatte sie sich überhaupt nicht mehr bei ihm gemeldet und war auch nicht ans Telefon gegangen. Als er einmal bei ihr anklingelte, hatte sie zwar die Tür geöffnet, jedoch behauptet, gerade das Haus verlassen zu wollen, um Besorgungen zu machen.

Am Ende der zweiten Woche hatte er Sheilas Mutter einen Brief geschrieben, in dem er ihr mitteilte, dass er sich sehr auf die Reise freue.

Kapitel 2

»Lassen Sie uns reingehen«, sagte Sheila, »ich bin gespannt auf unsere Kabinen!«

»Wo steckt eigentlich Ihre Mutter?«, fragte James und sah sich um.

»Keine Ahnung. Ich könnte mir vorstellen, sie ist schon in ihre Kabine gegangen, um sich fürs Dinner fertig zu machen. Auch gut möglich, dass sie bereits mit Jeremy im Salon sitzt.«

»Jeremy?«, fragte James, während sie zu ihren Kabinen gingen.

»Ihr geschiedener Mann«, erläuterte Sheila.

»Er ist mit an Bord? Wie außergewöhnlich. Ihre Mutter scheint noch viel für diesen Jeremy übrig zu haben, wenn sie ihn zu dieser Reise eingeladen hat.«

»Andersherum wird ein Schuh draus. Jeremy hat noch immer viel für meine Mutter übrig. Er bezahlt das alles hier, ihm gehört das Schiff.«

James war perplex. »Er hat ihr diese Reise geschenkt? Und bezahlt auch gleich die Reise für die Gäste?«

»Das war Jeremys Geburtstagsgeschenk für sie: eine Kreuzfahrt auf der Victory, zu der sie so viele Gäste einladen durfte, wie sie wollte. Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass die Männer meiner Mutter allesamt in Geld schwimmen. Das gilt besonders für Jeremy. Er ist der Dagobert Duck unter ihren Männern.«

»Und Ihre Mutter fand es in Ordnung, dieses Geschenk anzunehmen?«

Sheila lachte. »Ja, warum nicht? – Ach James, ich weiß, es klingt reichlich skurril, aber Sie werden es verstehen, wenn Sie meine Mutter besser kennen. Sie ist sehr großzügig, und das wiederum zieht Großzügigkeit bei anderen an. Wenn sie Geld hat, gibt sie es mit vollen Händen wieder aus. Fast, als würde sie sich davor ekeln.«

»Eine Einstellung, die sich nicht jeder leisten kann«, sagte James nüchtern.

»Ich weiß, ich weiß. Aber es ist nicht so versnobt, wie es sich vielleicht anhört. Ich habe früher mal eine Freundin gehabt, die psychisch krank war«, erklärte Sheila. »Manischdepressiv. In den manischen Phasen konnte sie die ganze Welt erobern, war begeistert vom Leben, hatte großartige Pläne, steckte alle mit ihrer Begeisterung und ihrer Energie an. Einmal hat sie sich einen offenen Jaguar gekauft, ist damit bis nach Marbella gefahren und hat eine Woche lang gefeiert, bis allmählich aufflog, dass sie gar kein Geld hatte und für das alles mit einer – sagen wir mal: geliehenen – Kreditkarte bezahlte.«

»Hoffentlich nicht mit Ihrer?«, warf James ein.

»Nein.« Er kannte diesen Seitenblick.

»Nein?«

»Ach James, das tut doch jetzt nichts zur Sache. Sie gehörte meiner Mutter, wenn Sie es genau wissen wollen. Jedenfalls, auf diese manischen Phasen folgte unausweichlich eine Depression, in der sie sich von der Welt zurückzog, morgens weinend aufwachte und nicht einmal die Kraft hatte aufzustehen. Diese Freundin hat mich immer an meine Mutter erinnert.« Sheila sah James an und lächelte. »Allerdings fehlt bei Mutter die depressive Phase. Sie ist sozusagen dauernd manisch, für sie ist das Leben ein einziger Höhenflug. Und sie hat es nicht nötig, sich fremde Kreditkarten auszuleihen.«

»Das muss anstrengend sein«, sagte James.

Sheila schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist sehr vital.«

»Ich meine, für Sie, Sheila. Es muss anstrengend gewesen sein, ihre Tochter zu sein.«

»Das ist es immer noch.« Sheila leckte ihren Finger und versuchte, eine Laufmasche am linken Bein zu stoppen, die unterhalb des Rocksaums erschien. »Es war wahrscheinlich gut, dass meine Mutter meinen Vater damals verließ. Ich meine, für mich. Durch die räumliche Distanz war meine Mutter auf eine bekömmliche Dosis zusammengeschrumpft. Wenn ich sie an den Wochenenden in London besuchte, war sie eher so etwas wie eine ältere, etwas überkandidelte Freundin, die mit mir zu Hemley’s fuhr, wo ich mir so viele Spielsachen aussuchen durfte, wie ins Taxi passten. Später, als sie nach Amerika ging, habe ich sie einmal für mehrere Monate besucht. Sie hatte so viel Energie und war so unternehmungslustig, keine Ahnung, wie ihr damaliger Mann es mit ihr ausgehalten hat. Sie wirft mit Energie und Geld nur so um sich, und je mehr sie verschwendet, desto mehr kommt wieder rein.«

»Hört sich an, als wäre Ihre Mutter ein hyperaktiver Goldesel.«

Sheila lachte. »Na ja, sagen wir lieber, sie hat immer einen Esel, der für sie Gold auswirft. Aber das mit der Hyperaktivität stimmt, James, ehrlich, ich war damals froh, als ich wieder zu Hause war, und habe in der ersten Woche nichts gemacht außer essen und schlafen. Ich bin nicht wie meine Mutter.«

James grinste. »Das sagen alle Töchter.«

Sie waren bei ihren nebeneinanderliegenden Kabinen angekommen. »Die gesamte Geburtstagsgesellschaft wohnt auf diesem Flur«, erklärte Sheila.

James schob seine Karte in das Türschloss, das sich mit einem leisen Klack öffnete, und trat durch die schmale Tür in die Kabine. Sie war geräumig und bot allen Komfort eines Spitzenhotels. Nach dem, was Sheila über ihre Mutter erzählt hatte, überraschte ihn das nicht. Er trat ans bodentiefe Fenster und stellte fest, dass es sich öffnen ließ. Als er auf den Privatbalkon trat, kam auch Sheila aus ihrer Kabine. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass wir uns einen Balkon teilen«, bemerkte sie lächelnd.

»Nicht im Geringsten. Erwarten Sie nur nicht, dass ich mit Ihnen aufs Meer starre, bis die Sonne darin versinkt.«

Sheila seufzte. »Ich hätte es wissen müssen. Sie haben wirklich keine.«

»Was bitte?«

»Keine romantische Ader.«

»Doch, doch. Ich habe nur nichts übrig für Sonnenuntergänge. Fürs Meer übrigens auch nicht.«

»Und für Kreuzfahrten und für neunzigste Geburtstage und ...«

»Und trotzdem bin ich hier, nicht wahr«, unterbrach er sie. »Es gibt also offenbar doch etwas, das ich hier mag.«

Sheila drehte sich um und ging in ihre Kabine zurück. Auch ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste er, dass sie rot geworden war. »Dinner ist erst in einer Stunde«, rief sie ihm zu, »aber ich habe vorgesorgt und ein paar Sachen mitgebracht. Wollen Sie auch was?« Sie trat mit einem großen Korb wieder auf den Balkon und breitete mehrere Schokoriegel, eine Flasche Sekt, Trauben, abgepackte Sandwiches, gefüllte Weinblätter und frische Feigen auf dem Klapptisch aus, der am Geländer befestigt war.

»Wer soll denn das alles essen?«, fragte James, aber im Grunde war es eine rhetorische Frage. Er holte Sektgläser aus seinem Zimmer. Da er keinen Hunger hatte, begnügte er sich mit einem Glas Sekt und ein paar Feigen, aber Sheila machte sich genüsslich über alles her. Er sah ihr ausgesprochen gern beim Essen zu. Sheila war ein Phänomen. Ihr gesunder Appetit war damals beim Secret Intelligence Service das Erste gewesen, was ihm an ihr aufgefallen war. Jedes Mal, wenn er die Kantine betrat, stand sie schon mit einem dick bepackten Tablett an der Kasse. Man konnte den Eindruck gewinnen, ihre Hauptaufgabe beim SIS sei es gewesen, nicht Informationen, sondern Nahrung zu verarbeiten. Dabei setzte Sheilas Körper niemals auch nur ein Gramm Fett an, weshalb sie eine der wenigen jungen Frauen war, die sich die damalige Minirock-Mode wirklich leisten konnten. Dem Minirock war sie bis zum heutigen Tag treu geblieben, und dass ihre Umwelt neidische, bewundernde oder amüsierte Blicke auf eine Dame Mitte sechzig im Minirock warf, schien sie nicht zu bemerken.

Es klopfte laut und heftig an die Tür. James öffnete und war wenig überrascht, Phyllis in ihrem elektrischen Rollstuhl zu sehen. Obwohl sie darin so zart und klein wirkte, als wäre ihr der Rollstuhl drei Nummern zu groß, hatte sie eine ähnlich energische Art anzuklopfen wie ihre Tochter. Hinter ihrem Rollstuhl stand ein auffallend großer alter Herr, dessen wallende weiße Haare bis auf die Schultern reichten, neben ihm ein jüngerer, untersetzter Mann mit Glatze, von dem James annahm, dass er ungefähr siebzig, also so alt war wie er selbst. Die drei wirkten, nicht zuletzt wegen der Kahlköpfigkeit des jüngeren Mannes, wie eine hochbetagte Kleinfamilie. Der alte Herr stützte sich auf einen Stock und trug ein hellgrundiges, türkis kariertes Jackett, das einen viel getragenen Eindruck machte. Entweder hat er keinen Geschmack, überlegte James, oder er gehört zu denjenigen Angehörigen der Oberschicht, die ihre Exklusivität nicht nur durch teure Kleidung unterstreichen, sondern sie auch durch gezieltes Abweichen vom allgemeinen Schönheitsempfinden vor Nachahmern bewahren. Der jüngere Mann trug einen nagelneuen, allerdings nicht besonders gut sitzenden dunkelblauen Anzug.

»Jeremy Watts«, sagte der Herr im groß karierten Jackett und streckte James souverän lächelnd die braun gebrannte Hand entgegen.

»James Gerald«, erwiderte James, während der andere ihm fest und routiniert die Hand schüttelte. Der forschende Blick seines Gegenübers blieb an James’ Rolex hängen.

»Schöne Uhr«, bemerkte er. »Sammlerstück, habe ich recht? Lassen Sie mich raten: Oyster Perpetual, 1953?«

»1955«, korrigierte James. »Sie kennen sich gut aus.«

»Ein Steckenpferd von ihm«, erklärte Phyllis. »Ich glaube, er besitzt genauso viele Uhren wie Krawatten.«

»Falsch«, lächelte Jeremy. »Ich habe mehr Uhren als Krawatten. Von alten Krawatten kann ich mich trennen, von alten Uhren niemals. Phyllis hat mir viel von Ihnen erzählt, James. Besser gesagt, vorgeschwärmt. Es freut mich sehr, dass Sie mit an Bord sind. Wir werden uns alle prächtig amüsieren.«

»Darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen«, sagte Phyllis, wobei sie den jüngeren Mann am Arm packte und etwas nach vorn zog.

Der glatzköpfige Herr im dunkelblauen Anzug reichte James ebenfalls die Hand. »Eden Philpotts. Freut mich, Mr Gerald.«

James schüttelte ihm erstaunt die Hand. Sheila hatte nicht erwähnt, dass ihre Mutter aktuell verheiratet war, noch dazu mit einem Mann, der gut und gerne zwanzig Jahre jünger war als sie. Aber Phyllis schien immer für eine Überraschung gut zu sein.

Sheila war inzwischen auch hinzugetreten. »Die Kabinen sind fantastisch, Jeremy.«

Jeremy verbeugte sich. »Das freut mich zu hören, Sheila, meine Liebe. Wenn etwas nicht zu eurer Zufriedenheit sein sollte, zögert bitte nicht, euch an Mr Chandan zu wenden, er ist für die Dauer der Reise einzig und allein für das Wohl der Geburtstagsgesellschaft zuständig.«

»Er brüstet sich zwar damit, Gedanken lesen zu können«, sagte Phyllis, »aber ich würde trotzdem lieber auf Nummer sicher gehen und es ihm sagen, wenn ihr etwas braucht. Über die Rufnummer 89 ist er rund um die Uhr für euch erreichbar, Jeremy hat ihn ebenfalls auf unserem Flur einquartiert.«

»Schön, Phyllis, aber wenn du weiter Vorträge hältst, kommen wir noch zu spät«, sagte Jeremy ungeduldig. »Wir wollten euch nur Bescheid geben, um 19 Uhr trifft sich unsere Gruppe im Captain’s Corner zum Meet and Greet. Anschließend wird das Dinner serviert.«

»Captain’s Corner ist ein kleiner Raum hinter dem großen Restaurant im 9. Stock«, erläuterte Phyllis. »Dort sind wir unter uns, und wir werden am Tisch bedient.«

Jeremy lächelte James zu und hielt seinen Stock hoch. Mahagoni mit silbernem Griff und Intarsien aus Elfenbein, dachte James. »Die Nahrungsbeschaffung am Buffet ist doch recht mühselig«, sagte Jeremy, »wenn man wie ich Schwierigkeiten hat, sein Gleichgewicht zu halten, besonders auf einem Schiff.«

»Schade«, murmelte Sheila. In einiger Entfernung folgten sie Phyllis, Eden und Jeremy, die vor ihnen den langen, schmalen Korridor entlanggingen. »Ich liebe Buffets. Jetzt sitzen wir den ganzen Abend am Tisch fest.«

»Ja, schade«, stimmte James ihr zu. Er hatte nichts für Selbstbedienung übrig, aber in diesem Fall behagte auch ihm die Vorstellung nicht, für die Dauer des Abendessens, das sich mindestens zwei Stunden hinziehen würde, Gefangener des kleinen, exklusiven Captain’s Corner zu sein. »Sehen wir es positiv. Wenigstens bleibt uns der Anblick anderer Menschen am Buffet erspart.«

»Wie meinen Sie das?«

»Meiner Erfahrung nach gibt es am Buffet zwei Arten von Menschen«, erklärte James. »Die Entscheidungsneurotiker, die alles aufhalten, und die Gierigen, die sich so viel auf die Teller häufen, als gäbe es kein Morgen. Und das Schlimme daran ist, dass diese beiden Gruppen sich gegenseitig verstärken. Weil die Gierigen in der Schlange sich so viel aufhäufen, sind die Entscheidungsneurotiker hinter ihnen gezwungen zu warten, was ihnen noch mehr Gelegenheit gibt, hin und her zu überlegen. Dadurch stoppen sie wiederum die Gierigen, die nun die Zeit nutzen, sich noch ein bisschen mehr auf den Teller zu laden, als sie sowieso schon draufhaben.«

»Interessant«, bemerkte Sheila, »und zu welcher der beiden Gruppen zählen Sie mich?«

»Anwesende immer ausgenommen«, sagte er.

»Sie wissen, dass Sie arrogant sind?«

»Geben Sie zu, ich habe recht.«

»Ich persönlich liebe Buffets.«

»Buffets sind die Sargnägel der Esskultur. Es grenzt an Folter, für seine Mahlzeit Schlange stehen zu müssen wie in der Betriebskantine.«

»Na, da können wir ja von Glück sagen, dass wir dieser Folter entgehen«, sagte Sheila. Sie blieb stehen und sah James kritisch an. »Kann es übrigens sein, dass Sie ein klein wenig unterzuckert sind? Wenn ich übellaunig bin, liegt es oft daran, dass ich nichts im Magen habe.«

Jeremy war stehen geblieben, er hatte die letzten Worte offenbar mitbekommen. »Keine Sorge, James, niemand muss auf der Victory Schlange stehen. Wir haben schon vor Jahren Freestyle-Dining eingeführt, es gibt Essensinseln. So muss niemand am ganzen Buffet vorbeipilgern, nur um sich eine Kleinigkeit nachzuholen.«

»Ausgezeichnet«, sagte James.

»Wieso haben Sie vorhin auf unserem Balkon nicht mehr gegessen, James?«, raunte Sheila ihm zu, als Jeremy sich wieder umgedreht hatte.

Er lächelte. »Weil ich solche Freude daran hatte zuzuschauen, wie Sie alles wegputzten.«

Sheila sah ihn an, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Er kannte diese Bewegung und wusste, dass sie überlegte, ob sie böse sein sollte. »Vielen Dank, James. Jetzt weiß ich auch, zu welcher Kategorie von Leuten am Buffet Sie mich zählen: zu den Gierigen.«

»Nein, so war das nicht gemeint«, beteuerte er. »Sie sind einfach der einzige Mensch auf der Welt, dem ich ausgesprochen gern beim Essen zusehe.«

Kapitel 3

Das hatte er befürchtet: Es gab Platzkarten. Wenigstens saß Sheila ihm gegenüber, sodass er unbefangen den Blick von seinem Teller würde heben können, ohne auf einen unappetitlich kauenden Menschen schauen zu müssen. Beim Meet and Greet hatte der Kapitän eine kleine, launige Ansprache gehalten, danach gab es Knabbergebäck und einen Aperitif und die erste Gelegenheit zum Small Talk. Mittlerweile hatte der Kapitän sich verabschiedet, um weitere Passagiere persönlich willkommen zu heißen, und man setzte sich. James war überrascht. Ohne sich darüber viele Gedanken gemacht zu haben, war er davon ausgegangen, dass die übrigen Gäste etwa im selben Alter sein würden wie die Jubilarin. Doch als er sich am Tisch umschaute, stellte er fest, dass Phyllis und Jeremy sowie ein Ehepaar gegenüber von ihnen die einzigen hochbetagten Menschen in der Runde waren. Dann rief er sich in Erinnerung, dass Phyllis in wenigen Tagen neunzig wurde – ein Alter, in dem der Kreis der Gleichaltrigen naturgemäß schon recht ausgedünnt ist. Es war für dreizehn Personen gedeckt; außerdem gab es einen Kinderstuhl, den eine junge blonde Frau allerdings gerade beiseitestellte.

Nachdem alle Platz genommen hatten, schlug Phyllis mit einem kleinen Messer so heftig an ihr Champagnerglas, als wollte sie ein Ei köpfen. Das Glas zerbrach klirrend.

»Vor deinem Temperament kapituliert einfach jeder«, scherzte Jeremy, während ein Kellner herbeieilte, um die Scherben zu entfernen. Ein zweiter saugte mit einem Tischstaubsauger die feinen Splitter auf, und ein dritter brachte ein neues Glas. Als sich die allgemeine Heiterkeit über das Missgeschick gelegt hatte, begann die alte Dame mit ihrer Ansprache:

»Ihr Lieben, wie sehr freue ich mich, euch alle heute hier zu sehen!« Phyllis machte eine Pause und fasste sich hinter das linke Ohr, um ihr Hörgerät feinzutunen. Es gab eine unangenehme Rückkopplung, dann ließ sie ihren Blick schweifen und lächelte den Gästen zu. »Aus eigener leidvoller Erfahrung«, fuhr sie fort, »weiß ich, wie langweilig Tischreden sind. Andererseits möchte ich jeden von euch kurz vorstellen. Ein paar von euch werden sich kennen, aber« – sie lächelte ihrem Mann, James und der Frau neben ihm zu – »es gibt auch neue Gesichter, worüber ich mich besonders freue. Wir werden noch reichlich Gelegenheit haben, uns näher miteinander bekannt zu machen, aber fürs erste Kennenlernen habe ich mir ein kleines Spiel ausgedacht.« Phyllis nickte einem Asiaten zu, der in seinem weißen Dhoti, dem Traditionsgewand der Inder, zwischen den Kellnern an der rückwärtigen Wand stand. Wie eine jüngere Ausgabe von Gandhi, dachte James. »Mr Chandan, bitte!« Der Inder eilte zu einem Beistelltischchen, griff mit beiden Händen ein kleines Silbertablett, auf dem ordentlich aufgereiht dreizehn Glückskekse lagen, und überreichte jedem Gast feierlich ein kleines, in durchsichtige Folie verschweißtes Gebäckstück. »Brecht den Keks bitte auf«, sagte Phyllis, »wer mag, kann ihn auch gleich essen. Worauf es mir ankommt, ist das Zettelchen darin.« Sie griff sich mit einer theatralischen Geste ans Herz: »Ich verrate euch eine große Schwäche von mir: Ich bin abergläubisch. Manche glauben an schwarze Katzen, manche an Horoskope oder an Unglückszahlen. Ich glaube an Glückskekse.« Phyllis öffnete ihre Packung, zerbrach den Keks und zog den kleinen Papierstreifen heraus, der sich darin verbarg. »Ich werde euch meine Glückskeks-Prophezeiung verraten.« Sie hielt sich den Zettel mit ausgestrecktem Arm vors Gesicht, kniff die Augen zusammen und las: »Seien Sie nicht so eitel und setzen Sie Ihre Brille auf.« Alle lachten. Phyllis reichte den Zettel an Eden weiter: »Eden, mein Lieber, sei so nett und lies mir vor, was darauf steht.«

Eden nahm das Zettelchen und las vor: »Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem Schuss von Verrücktheit. Gönnen Sie sich etwas!«

»Na bitte«, sagte Jeremy und winkte dem Kellner, der mit einer Flasche Champagner herbeieilte und begann, die Gläser der Gäste zu füllen. »Das lassen wir uns nicht zweimal sagen! Auf dein Wohl, Phyllis!«

Als alle getrunken hatten, wandte Phyllis sich ihrer Tochter zu. »Ich glaube, meine Tochter Sheila brauche ich nicht vorzustellen. Ihr alle kennt sie, und ich freue mich sehr, dass sie Mr Gerald überreden konnte mitzukommen.« Bei diesen Worten lächelte sie in James’ Richtung. »Ich hoffe, ihr werdet eine unvergessliche Reise haben. Los, Sheila, lies deinen Spruch vor!«

Sheila schluckte die Reste ihres Glückskekses herunter und las vor: »Nicht der Wind, sondern die Segel bestimmen den Kurs.«

»Eine große Weisheit, auch wenn wir – glücklicherweise – nicht auf Segel angewiesen sind, um vom Fleck zu kommen«, bemerkte Jeremy. Phyllis erhob das Glas. »Auf dein Wohl, liebe Sheila. Mögest du deine Segel immer richtig setzen!« Man hob erneut die Gläser, und der Kellner entkorkte eine weitere Flasche Champagner. James sah, dass Sheilas Wangen vom Alkohol schon glühten, und rechnete sich aus, dass jeder, wenn die Reihe an ihm war, etwa vier Gläser Champagner getrunken haben würde. Die Glückskeks-Geschichte mochte albern sein, aber die Trinkerei dabei lockerte ganz sicher die Stimmung.

Phyllis stellte den Gast zu ihrer Linken vor. »Dies ist Charles Walther, mein langjähriger Weggefährte. Ein Gott unter den Heilpraktikern. Ohne dich, mein lieber Charles, wäre ich schon lange unter der Erde. Ich freue mich sehr, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich weiß, wie sehr du es hasst, deine Patienten allein zu lassen.«

Charles, den James auf Mitte sechzig schätzte, zerbrach seinen Glückskeks und las seinen Spruch vor: »Große Veränderungen stehen bevor.«

»Ja, vor allem örtliche«, bemerkte Jeremy. »Morgen sind wir in Nizza, übermorgen in Rom«, fügte er im allgemeinen Gelächter hinzu.

»Sag, Mutter, hast du die Zettel mit den Sprüchen am Ende selbst in die Glückskekse eingebacken?«, fragte Sheila.

Phyllis winkte ab. »Backen ist etwas für Geduldige. Aber es ehrt mich, dass du mir das zutraust.«

Dann richtete sie ihr Wort an James und ihren Ehemann: »Mein lieber James, mein lieber Eden, ich denke, ihr beiden seid die Einzigen, die meinen Stiefsohn Monty Miller noch nicht kennen.« Mit ausladender Geste lenkte sie die Aufmerksamkeit auf den groß gewachsenen Herrn, der James’ Einschätzung nach um die siebzig sein musste. Er trug als einziger Mann am Tisch keine Krawatte und hielt eine kleine Videokamera in der Hand, die er jetzt beiseitelegte, um nach seinem Glückskeks zu greifen. »Wir haben uns kennengelernt, als du noch so herrlich gelispelt hast. Wann war das noch genau?«, fragt Phyllis.

»Im Sommer 1956«, sagte Monty. »Eines Morgens, als du verliebt turtelnd mit meinem Vater am Frühstückstisch saßest.«

»Also bitte, Monty, das war keine Aufforderung, aus dem Nähkästchen zu plaudern«, sagte Phyllis tadelnd. »Aber du liebe Zeit, so lange ist das schon her? Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen.«

»Ja, so ist das«, mischte sich die alte Frau am anderen Ende der Tafel ein. »Die Äpfel sind schon reif, und man denkt immer noch, das Jahr hat gerade erst begonnen.«

»Sehr schön gesagt, Rosie«, lobte Phyllis. »Und ich muss zugeben, es stimmt. Ich fühle mich innerlich immer noch wie dreißig. Ich kann nicht glauben, dass aus mir eine alte Frau geworden ist. Nun ja, der Rollstuhl erinnert mich allerdings ständig daran.«

»Und der Spiegel«, bemerkte Sheila. Der Kellner schenkte ihr zum dritten Mal nach.

»Sheila, Kind, schaust du etwa noch in den Spiegel?« Phyllis lächelte milde. »Das habe ich mir schon vor fünfzig Jahren abgewöhnt!«

»Lesen Sie vor, was auf Ihrem Zettel steht!«, forderte Jeremy Monty Miller auf.

»Oh«, bemerkte Monty. »Hier steht: ›Memento mori – genieße jeden Tag, als sei es der letzte.‹ – Also wirklich, Phyllis, wo hast du diese Glückskekse gekauft? Ich dachte, da steht immer etwas Nettes.«

»Wahrscheinlich hatte der Glückskeks-Sprücheklopfer gerade einen schlechten Tag«, warf Jeremy ein.

Phyllis griff in ihre Handtasche und warf Monty einen neuen Glückskeks zu. »Probier einen anderen!«

Monty zerbrach den neuen Keks und las vor: »›Wenn du an der Küste bleibst, wirst du keine neuen Ozeane entdecken.‹ – Na ja, das passt schon besser!«

Die Tischgesellschaft wirkte inzwischen dank des Alkohols recht gelöst. Als zwei Kellner einen Servierwagen in den Raum schoben und in einer Ecke des Raums unauffällig mit den Vorbereitungen für den ersten Gang begannen, atmete James erleichtert auf. Er brach seinen Keks auf und las den Spruch.

»James«, sagte Phyllis mit gespielter Empörung, »Sie haben Ihren Keks schon geöffnet. Na los, dann lesen Sie auch vor!«

»Ihnen entgeht nichts.«

»Ich weiß.«

»Nein, das steht auf meinem Zettel: ›Ihnen entgeht nichts – Ihre Widersacher haben keine Chance.‹«

»Was denn, das steht auf Ihrem Zettel?« Phyllis klatschte begeistert in die Hände. »Das passt doch genau!« Sie wandte sich an die anderen. »Darf ich vorstellen: James Gerald, Agent des Secret Intelligence Service im Ruhestand und ein guter Freund meiner Tochter.« Sie zwinkerte James zu. »Oder sollte ich sagen, ihr persönlicher Leibwächter? Ich nehme an, Sie haben Ihre Waffe dabei?«

James bemerkte, wie Sheila zur Decke sah. »Selbstverständlich, geladen und entsichert«, sagte er lächelnd und prostete Phyllis zu.

Während der Kellner die nächste Champagnerflasche entkorkte, fühlte James die neugierigen Blicke der anderen auf sich gerichtet. Sogar das Personal musterte ihn verstohlen. Alle Menschen reagierten so, wenn sie von seinem Beruf erfuhren. Es wäre James lieber gewesen, Phyllis hätte sich diese Enthüllung verkniffen. Aber damit war kaum zu rechnen gewesen, denn nach allem, was Sheila ihm über ihre Mutter berichtet hatte, gehörte Taktgefühl nicht unbedingt zu ihren hervorstechenden Merkmalen.

Phyllis setzte die Vorstellungsrunde fort. »Ivy und Richard, ihr repräsentiert die Jugend hier am Tisch, und ich freue mich, dass unser Durchschnittsalter dadurch erheblich sinkt – zumal ihr euren süßen kleinen Goldschatz mitgebracht habt.«

Jeremy erläuterte der Runde die Details: »Richard ist mein Enkel, und die bezaubernde junge Dame an seiner Seite ist seine Frau Ivy. Die beiden haben ein Kind, den zweijährigen Jamie, und ich freue mich sehr, dass der kleine Kerl auch mit an Bord gekommen ist. Er schläft schon, nehme ich an?«

Die junge Frau nickte nur lächelnd und deutete auf das Babyfon, das vor ihr auf dem Tisch stand. James musterte das Paar. Sie mochten beide Anfang dreißig sein, und er fragte sich, warum sie dieser Einladung gefolgt waren. In diesem Alter verbrachte doch niemand freiwillig seinen Urlaub auf einem Schiff, noch dazu mit einer Horde von Menschen, die aus ihrer Sicht schon mit einem Bein im Grab standen. Aber vielleicht hatten sie die Einladung des Großvaters nicht ausschlagen wollen. Oder kein Geld, um sich einen anderen Urlaub zu leisten.

»Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf«, las Ivy vor.

Automatisch hob James sein Glas an die Lippen, während Phyllis einen Toast aussprach.

Ivys Mann knackte seinen Keks auf, fischte den Zettel heraus und fing laut an zu lachen: »Großvater, der Zettel hier ist etwas für dich, du liebst doch solche Sprüche: ›Irrtum ist das notwendige Instrument der Wahrheit!‹«

»Novalis«, sagte James’ Tischnachbarin leise.

James sah sie verwundert an. »Tatsächlich?«

Sie nickte. »Ein deutscher Dichter«, erklärte sie. »Aus der Romantik.«

»Sie kennen sich gut aus.«

Sie lächelte. »Ich bin Deutsche.«

»Kompliment, das merkt man nicht.«

Judy Kappel sah ihn leicht verstimmt an. »Ich meinte, Sie haben keinen deutschen Akzent«, erklärte James.

»Englisch ist meine Muttersprache.«

James wollte mehr wissen, aber seine Tischnachbarin deutete auf Phyllis, die bereits das Glas erhoben hatte. »Trinken wir auf die Wahrheit oder auf den Irrtum?«

»Madonna mia, natürlich auf beides«, bemerkte der wohlbeleibte Herr, der als Nächstes an der Reihe war. Er strich sich die vollen, schwarz glänzenden Locken aus dem Gesicht. James überlegte, ob er sich die Haare färben ließ oder es sich um eine gut gemachte Perücke handelte. Er fing einen Blick von Sheila auf. Sie zog die Augenbrauen hoch, führte ihre Hand vor den Mund und deutete ein Gähnen an. Hätte sie neben ihm gesessen, hätten sie sich wenigstens leise unterhalten können, ohne dass die anderen mithörten. Aber da sie ihm gegenüber saß, war das unmöglich.

»Darf ich vorstellen«, fuhr Phyllis fort, »Luigi Valenti. Mit dir, lieber Luigi, verbindet mich die Liebe zur Musik und zu Italien, und das schon ... ach, lassen wir das.« Zu den anderen gewandt sagte sie: »Luigi hat eine begnadete Stimme, und ich hoffe, dass er uns manchen Abend damit verzaubern wird.«

Luigi legte die Hand an die Brust und deutete eine Verbeugung an. »Es ist mir eine Ehre!« Er nahm seinen Zettel und las vor: »Erfolg steigt nur dann zu Kopf, wenn der erforderliche Hohlraum vorhanden ist.« Luigi lachte. »Das stimmt, kann ich nur sagen. Ihr glaubt gar nicht, wie abgehoben manche Leute in meiner Branche sind. Glücklicherweise bin ich ein Typ, der immer mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben ist.«

»Und das, obwohl du überaus erfolgreich bist«, sagte Phyllis. »Auf dich, lieber Luigi. Und vor allem auf deine wundervolle Stimme! Cheers!«

»Cheers!«, stimmten alle ein, wenn auch nicht mehr so euphorisch wie beim ersten Mal.

Eden Philpotts, der neben Phyllis saß, packte als Nächster seinen Zettel aus. Phyllis stellte den unauffälligen kleinen Mann enthusiastisch als den Stern, die Sonne und das Universum ihrer alten Tage vor. Sheila sah amüsiert zu James hinüber, und er nahm sich vor, sie eingehend nach diesem Ehemann Nummer 7 zu befragen, sobald sie allein waren. Die Männergeschichten von Sheilas Mutter waren ihm einfach zu komplex. Eden zuckte die Schultern, als er seinen Zettel entfaltete. »Wisse, bis wohin du zu weit gehen kannst.«

»Ich bin der Sprüche müde«, raunte James’ Tischnachbarin ihm zu.

Während man sich wieder zuprostete, schauten einige am Tisch bereits verstohlen zu den Kellnern, die bereitstanden, das Essen aufzutragen. Doch Phyllis schien die aufkeimende Unruhe nicht zu bemerken und widmete sich seelenruhig dem hochbetagten Paar am anderen Tischende. Sie trug kunstvoll dauergewelltes, hellblond gefärbtes Haar zu einem in ästhetischer Hinsicht fragwürdigen hellgrünen Abendkleid, das mit aufgenähten Stoffrosen verziert war. Er hatte sich, was gemeinschaftliche Auftritte mit seiner Frau anging, offensichtlich mit seiner Nebenrolle abgefunden und entsprach dem Typus des hageren Briten, der im Alter eine knochige Sportlichkeit ausstrahlt. »Al und Rosie Macbeth sind liebe Freunde von mir«, sagte Phyllis, »und das schon seit einer Ewigkeit. Ich freue mich ganz besonders, dass ihr hier seid!« James ließ sich Champagner nachschenken und beobachtete die Bläschen im Glas, während Rosie und Al ihre Glückskeks-Sprüche zum Besten gaben. »Frauen, die lange ein Auge zudrücken, tun das am Ende nur noch, um zu zielen«, las Rosie vor, was mit höflichem Lachen quittiert wurde. Dann setzte Al seine Lesebrille auf die Nase, zwinkerte und las langsam, als würde er jedes Wort einzeln entziffern müssen: »Das Essen ist fertig. Lasst es nicht kalt werden.« Alle lachten, nur Phyllis protestierte energisch: »Nein, Al, das zählt nicht. Lies gefälligst vor, was wirklich auf dem Zettel steht!«

Al zuckte die Schultern. »Aye, aye, Madam«, sagte er, rückte seine Brille umständlich gerade, hielt den Zettel zunächst dicht vor die Augen, dann etwas weiter weg und las: »Eine positive Veränderung in der Zukunft steht bevor: Ein köstliches Mahl mit guten Freunden.«

Wieder lachten alle, und diesmal gab Phyllis sich geschlagen und ging zu James’ Tischnachbarin über. »Darf ich euch vorstellen, meine Lieben: Das ist Judy Kappel, mein ganz persönlicher Glücksfall. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie täte, sie hilft mir nicht nur dabei, meinen Alltag zu bewältigen, sondern ist in den letzten beiden Jahren auch eine liebe Freundin geworden!«

»Danke, Mrs Barnes.« Judy Kappel lächelte verlegen und las mit leiser Stimme: »Die Liebe ist der Kompass des Herzens.«

»Welch poetischer Abschluss«, warf Monty Miller mit krächzender Stimme ein und prostete Judy Kappel grinsend zu. »Haben Sie Ihren Kompass schon gefunden, Judy?«

Miss Kappel errötete und griff hastig nach ihrem Glas.

»Auf die Liebe!«, rief Luigi Valenti und erhob sein Glas.

Geschafft, dachte James. Sheila gähnte herzhaft und erntete dafür prompt einen strafenden Blick ihrer Mutter. Trotz ihrer schlechten Augen entging Phyllis nichts.

»Und nun kommen wir endlich zu dir, Jeremy«, sagte Phyllis. »Jeremy«, fuhr sie fort und sah ihm in die Augen, »ist mit Abstand der wichtigste Mensch hier an Bord.«

Sie müssen früher ein schönes Paar gewesen sein, dachte James. Er warf einen Blick zu Eden, doch dem neuen Mann an Phyllis’ Seite war keine Eifersucht anzumerken.

»Jeremy ist nicht nur mein Wohltäter«, fuhr Phyllis fort, »sondern unser aller Wohltäter. Seiner Großzügigkeit verdanken wir diese Reise. Ohne ihn würde ich mir an meinem neunzigsten Geburtstag eine Decke über den Kopf gezogen und gehofft haben, der Tag möge unauffällig vorbeigehen, damit der Tod nicht merkt, dass ich immer noch lebe. Aber Jeremy hat mich überredet, noch einmal richtig groß zu feiern.« Phyllis erhob ihr Glas und lächelte ihm strahlend zu. »Ich danke dir, Jeremy. Von ganzem Herzen. Deine Großzügigkeit ist beinahe beschämend, vor allem wenn man bedenkt, dass wir nicht einmal mehr verheiratet sind. Kaum eine Frau erwartet von ihrem Exmann eine Aufmerksamkeit zum Geburtstag, und du übertriffst dich selbst mit diesem wundervollen Geschenk. Seitdem beschäftigt mich eine Frage: Was hätte ich von dir bekommen, wenn wir noch verheiratet wären?«

»Eine Reise zum Mond«, sagte Jeremy und zwinkerte ihr zu.