Cornelia Löhmer | Rüdiger Standhardt

TZI – die Kunst, sich selbst und eine Gruppe zu leiten

Einführung in die Themenzentrierte Interaktion

Mit einem Gespräch von Ruth C. Cohn
und Friedemann Schulz von Thun

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Impressum

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-96122-5

E-Book: ISBN 978-3-608-10850-7

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20284-7

Neuausgabe, 2015

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Unseren Kindern

Thilo und Henning Löhmer

in Freude und Dankbarkeit gewidmet

Inhalt

Persönliche Vorbemerkungen

Einleitung

TEIL 1: GRUNDLAGEN DER TZI

Entdecke lebendiges Lernen und Lehren! – Was ist TZI?

Eine Frau setzt Maßstäbe – Zur Entwicklung der TZI-Methode

Inge – oder:
Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte

System der TZI – oder:
Die Menschen stärken, die Sachen klären

Die Axiome

Die Postulate

Die Kommunikationshilfen

Das Arbeitsprinzip der dynamischen Balance

Das Thema als inhaltliche Basis der Gruppenarbeit

Die Struktur als methodische Basis der Gruppenarbeit

Zum Umgang mit dem Schatten in der Gruppenarbeit

Zum Leitungsverständnis in Gruppen

Inges erste TZI-Erfahrung – oder:
Will ich auch, wenn ich soll, und darf ich auch noch, wenn ich will?

Es geht um Werte – TZI und das Menschenbild der Humanistischen Psychologie und Pädagogik

Zur Tat befreien – Gesellschaftspolitisches Anliegen der TZI

Genial einfach und hohe Kunst zugleich – Würdigung der TZI

Inge macht sich auf den Weg – oder:
TZI ist einfacher gesagt als getan!

TEIL 2: WIR SIND POLITIKER UND POLITIKERINNEN – WIR ALLE!

Ein Gespräch zwischen Ruth C. Cohn und Friedemann Schulz von Thun über mögliche Hilfe von TZI und Kommunikationslehre

ANHANG

Wer’s lernen will – Anmerkungen zur TZI-Ausbildung

Wer’s genauer wissen will – Weiterführende Hinweise zu Aspekten der TZI

Wer weiterlesen will – Literaturempfehlungen zur TZI

Anmerkungen

Quellennachweise

Persönliche Vorbemerkungen

Zum ersten Mal erschien dieses Buch 1992. Seitdem ist es durch die verschiedenen Auflagen hindurch – abgesehen von Aktualisierungen – gleich geblieben. Mit dieser Neuauflage ist es anders: Schon äußerlich kommt das Buch in einem neuen Format daher. Und auch inhaltlich gibt es Veränderungen. Dem Grundlagentext haben wir einen Einblick in drei persönliche Anfänge vorangestellt, aus denen deutlich wird, wie wir zur Themenzentrierten Interaktion (TZI) kamen, wie es überhaupt zur Entstehung dieses Buches kam und warum wir auch nach so vielen Jahren immer noch von der TZI begeistert sind.

Das Buch ist um einen zweiten Teil erweitert worden, in dem Ruth C. Cohn persönlich zu Wort kommt. In einem Gespräch mit Friedemann Schulz von Thun stellt sie die Wichtigkeit des gesellschaftspolitischen Anliegens der TZI heraus. Ruth C. Cohn gab dem Gespräch den prägnanten Titel: Wir sind Politiker und Politikerinnen – wir alle! 1 Lebendig, offen und selbstkritisch tauschen beide ihre Erfahrungen aus und ermutigen dazu, politische Themen in die Gruppenarbeit einzubeziehen. Wir teilen das Anliegen von Ruth C. Cohn, denn das »Grauen der Welt« ist nicht weniger geworden – im Gegenteil! Damit bleibt die zentrale Aufgabe der TZI auch weit über den Tod von Ruth C. Cohn bestehen: Immer mehr Menschen zu einem achtsameren Umgang mit sich selbst, mit anderen, mit den Themen der Gegenwart und den Herausforderungen der Welt zu bewegen.

Eine Vision wird Wirklichkeit – oder: Mein (Rüdigers) Weg zur TZI

Im Sommer 1979 besuchte ich mein erstes Meditationsseminar bei Pfarrer Wenzel Graf von Stosch in Nümbrecht-Überdorf. Inspiriert durch dieses Seminar und dessen Arbeitsweise leitete ich gemeinsam mit Freunden im Februar 1980 mein erstes thematisches Wochenendseminar in der evangelischen Kirchengemeinde Walberberg. Nicht nur uns, dem Leitungsteam, machte die Arbeit viel Freude, sondern auch den jugendlichen Teilnehmenden. Ich setzte diese ehrenamtliche Arbeit fort und bot in der ersten Hälfte der 80er Jahre alle vier bis sechs Wochen ein meditativ-thematisches Wochenendseminar für Jugendliche und junge Erwachsene an. Die einzelnen Wochenenden standen immer unter einem bestimmten Thema. Ich bereitete die Seminare sehr gründlich vor und erstellte von Anfang an umfassende Handouts. Mir war eine klare, wechselnde Leitung wichtig und ich legte Wert auf transparente Strukturen. Zu dieser Zeit leitete ich intuitiv und auf der Grundlage von autodidaktisch erworbenem Wissen, doch schon bald wollte ich das Gruppenleiten professionell erlernen und machte erste Weiterbildungen im evangelischen Jugendpfarramt Köln. 1983 fiel mir das Buch von Dietrich Stollberg Lernen, weil es Freude macht: Eine Einführung in die Themenzentrierte Interaktion in die Hände. Es war genau der pädagogische Ansatz, wonach ich gesucht hatte. Im Herbst 1985 besuchte ich meinen ersten TZI-Ausbildungskurs in Bielefeld bei Dietrich Stollberg mit dem Titel Geben und Nehmen im beruflichen Handlungsfeld: Hilfe, ich bin überfordert! Die lebendige und persönliche Art und Weise, mit der Dietrich Stollberg die Gruppe leitete und begleitete, begeisterte mich so sehr, dass ich beschloss, studienbegleitend die TZI-Ausbildung zu absolvieren. Ich belegte Ausbildungskurse bei Elfi Stollberg im Odenwald-Institut und lernte viele weitere TZI-Lehrende kennen und schätzen. Nach über 100 Ausbildungstagen hielt ich 1990 mein TZI-Diplom in den Händen. Zeitgleich schrieb ich meine Diplomarbeit im Fachbereich Erziehungswissenschaften bei Prof Dr. Wolfgang Klafki zum Thema Meditation, Kommunikation und Politik. Wege zu einer holistischen Pädagogik. In dieser Arbeit veröffentlichte ich meine ganzheitliche Vision von Erwachsenenbildung und stellte in diesem Zusammenhang auch erstmals das Konzept der TZI vor. Anfang der 90er Jahre gründete ich den Arbeitskreis TZI und politische Verantwortung. Dabei ging es sowohl um den Austausch von praktischen Erfahrungen der Einzelnen in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern als auch um theoretische Reflexionen darüber, wie themenzentrierte Gruppenarbeit angesichts unserer gesellschaftlichen Umbruchsituation gestaltet werden kann. Ich bin sehr dankbar, so früh in meinem Leben das zutiefst menschenfreundliche TZI-Konzept erlebt, studiert und eingeübt zu haben. Die Themenzentrierte Interaktion ist zu einer selbstverständlichen Grundlage meiner gesamten pädagogischen Arbeit geworden.

Am Anfang war der Globe – oder: Wie die TZI mich (Cornelia) gefunden hat

Nach meinem Studium der Erziehungswissenschaften arbeitete ich ab 1986 als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Gießen im Fachbereich Erziehungswissenschaften. Innerhalb weniger Wochen war ich von der Seite der Studentin auf die Seite der Dozentin gewechselt. Neben der Forschungsarbeit galt es auch, von Anfang an Lehrveranstaltungen durchzuführen, die aufgrund der vielen Studierenden fast ausschließlich Großgruppenveranstaltungen waren. Eine Vorbereitung darauf gab es nicht. Mir die Inhalte zu erarbeiten, war nicht das Problem – dies hatte ich ja im Studium gelernt. Kopfzerbrechen bereitete mir das WIE. Ich selbst hatte unter der didaktischen Inkompetenz vieler Lehrenden gelitten und wollte deren Art der Vermittlung auf keinen Fall übernehmen. Also begann ich, didaktisch zu experimentieren. Ich teilte die jeweilige Großgruppe auf in parallel-tagende Kleingruppen, die ich reihum betreute, ich ließ Erfahrungsberichte über selbstbestimmtes Lernen schreiben und durchforstete die Literatur auf der Suche nach umsetzbaren Anregungen. Im Frühjahr 1990 nahm ich brieflich Kontakt auf zu Menschen, die sich im geisteswissenschaftlichen Kontext mit der Leitung von Großgruppen einen Namen gemacht hatten. Ich bat um einen Austausch über Möglichkeiten, Großgruppen zu leiten, ohne den Rückgriff auf die althergebrachte Lehrsituation mit Frontalunterricht und Referaten. Neben einer Vielzahl von Hochschuldozenten schrieb ich auch Ruth C. Cohn einen Brief. Bei meiner Literaturrecherche war ich auf ihren Artikel über Großgruppen-Workshops in der TZI-Zeitschrift gestoßen. Acht (!) Tage später hielt ich ihren Antwortbrief in der Hand. Sie bot mir fürs erste briefliche und telefonische Supervision an und lud mich zu einem persönlichen Gespräch auf den Hasliberg in die Schweiz ein. Ihr Brief war übrigens die einzige Antwort, die ich erhielt. Im Sommer fuhren Rüdiger und ich zu Ruth C. Cohn. Es war der Beginn eines intensiven Austauschs über die Arbeit mit Großgruppen an der Universität. Grundlage für diese Arbeit – daran ließ Ruth keinerlei Zweifel – war die TZI und sie ermunterte mich, umgehend mit der TZI-Ausbildung zu beginnen. Alles, was ich in den folgenden Jahren dort lernte, setzte ich sofort in meinem beruflichen Alltag um. Mein theoretisches Wissen mündete in der langjährigen Mitarbeit als Redaktionsmitglied der Zeitschrift Themenzentrierte Interaktion, in Vorträgen und in der Veröffentlichung von Büchern und Artikeln gemeinsam mit meinem Mann Rüdiger Standhardt. Auf der Basis von TZI entwickelte ich hochschuldidaktische Weiterbildungen für Lehrende und bot TZI-Seminare am Fachbereich Erziehungswissenschaften an. Auch in meiner mittlerweile selbstständigen Seminar- und Ausbildungsarbeit im Rahmen unseres Ausbildungsinstituts Giessener Forum ist die TZI nach wie vor meine didaktische Grundlage.

Mit TZI gemeinsam unterwegs – oder: Bewegende und bewegte 90er Jahre

Die Themenzentrierte Interaktion nahm vor allem in den 90er Jahren einen großen Raum in unserem Leben ein, nicht zuletzt angeregt durch persönliche Besuche bei Ruth C. Cohn in der Schweiz und in Düsseldorf sowie einem regen Briefwechsel mit ihr. Aus der intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit der TZI gingen vier Bücher2 und eine TZI-Bibliographie3 hervor. Wir regten den Film über Ruth C. Cohn in der ZDF-Reihe Zeugen des Jahrhunderts4 an und berieten die Redaktion in den inhaltlichen Fragen. Das Herzstück unserer praktischen TZI-Arbeit waren neben zahlreichen Vorträgen und Workshops zweifelsohne die 20-tägigen TZI-Langzeitgruppen, die wir mit verschiedenen TZI-Graduierten durchführten. Diese Jahrestrainings richteten sich zunächst an Studierende5, später auch an Lehrende. Wir konzipierten ein Curriculum, durch das die Teilnehmenden theoretisch und praktisch mit den Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion vertraut wurden und in dem sowohl die Haltung als auch das methodische Handwerkszeug der TZI in aufeinander aufbauenden Seminarbausteinen vermittelt und eingeübt wurde.

In den 90er Jahren intensivierten wir unsere Achtsamkeitspraxis und begannen, Progressive Muskelentspannung6, Yoga, Zen und MBSR7 auch in unsere Seminare zu integrieren. Nach und nach wurde die Praxis der Achtsamkeit selbstverständlicher Bestandteil unserer pädagogischen Gruppenarbeit. Mittlerweile sprechen wir von der achtsamkeitsbasierten Themenzentrierten Interaktion (aTZI). In unserer Seminar- und Ausbildungsarbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Reden eine ganz andere Qualität bekommt, wenn es aus dem Schweigen heraus geboren wird. Schon Ruth Cohn8 aber auch andere TZI-Lehrende9 haben auf die Bedeutung hingewiesen, die das Schweigen für das Reden hat.

Das sind die erhebendsten Augenblicke in meinem Leben, wenn ich nichts tue.

Ruth C. Cohn

Allerdings ist bei ihnen das Schweigen eine methodische Interventionsmöglichkeit, auf die bei Bedarf zurückgegriffen wird. Für uns ist das gemeinsame Schweigen fester Bestandteil unserer Gruppenarbeit. Durch das gemeinsame Schweigen entsteht ein Raum, in dem wir zunächst die Aufmerksamkeit von außen nach innen richten. Wir kommen mit uns selbst in Kontakt – wir können uns darüber bewusst werden, was wir gerade denken, wie wir innerlich gestimmt sind, wie sich unser Körper anfühlt und wie wir gerade atmen. Diese Form der Selbstbegegnung ist die Voraussetzung dafür, um Bewusstheit in die zwischenmenschliche Kommunikation zu bringen. Je mehr wir mit uns selbst in Kontakt sind, desto achtsamer können wir auch mit anderen in Kontakt treten – sowohl in Zweierbegegnungen als auch in Gruppen.10

Um das Konzept der Themenzentrierten Interaktion im Überblick zu veranschaulichen, haben wir folgende Grafik entwickelt: den TZI-Baum.

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Arbeitsfelder der TZI

Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung, Aus- und Weiterbildung, Organisationsentwicklung, Supervision, Beratung, Psychotherapie, Sozialarbeit und Selbsthilfegruppenbewegung, kirchliche, spirituelle und politische Gruppen sowie Familie und Wohngemeinschaften.11

System der TZI

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Das Zentrum der TZI sind die Axiome, das Menschenbild und die Werteorientierung der TZI.

Der zweite Baumring beinhaltet die Prinzipien der Interaktion, das Chairperson-Postulat und das Störungspostulat.

Es folgen im dritten Ring die Interaktionsmethoden: partizipative Leitung, dynamische Balance von Ich-Wir-Es und Globe, das Dreieck Struktur-Prozess-Vertrauen mit dem dazugehörigen Schattendreieck und Leitung mit Thema.

Der äußere Ring enthält die Interventionshilfen: die Kommunikationshilfen der TZI sowie verschiedene Spiele und Übungen der Gruppenarbeit.12

TZI ist ein offenes Rahmensystem und kann eine Verbindung mit anderen Konzepten eingehen, solange sie nicht den TZI-Axiomen widersprechen.

Wurzeln der TZI

Existenzphilosophie, Psychoanalyse, Gestaltpsychologie, Gestalttherapie, Erlebnistherapie, Methode des bewussten Körpererlebens, Humanistische Psychologie sowie die persönlichen Erfahrungen von Ruth C. Cohn mit den Nationalsozialisten in Deutschland13.

Vor 50 Jahren entwickelte Ruth C. Cohn die Themenzentrierte Interaktion. Seitdem hat die TZI viele Herzen berührt und Menschen auf den Weg gebracht. Mit ihrem ganzheitlichen Modell der Gruppenarbeit zeigt Ruth C. Cohn Wege auf, wie lebendiges Lernen und Lehren in alltäglichen Situationen möglich ist. Mit TZI kommen wir uns und anderen näher und haben die Chance, aktiv an einem menschlicheren Miteinander mitzuwirken.

Cornelia Löhmer & Rüdiger Standhardt

Anidri, im März 2015

Einleitung

In den letzten vier Jahrzehnten hat die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn in Mitteleuropa eine weite Verbreitung gefunden und ist heute eines der meistangewandten Gruppenverfahren im Bereich der Humanistischen Psychologie und Pädagogik. In den üblichen Fachausbildungen und Studiengängen werden pädagogische Grundqualifikationen nur in unzureichendem Maße vermittelt. So verlassen ausgerechnet diejenigen, die eine intensive Arbeit mit Menschen anstreben, oft die Ausbildungsstätten als »soziale Analphabeten«, die erst durch den Praxisschock eine nachträgliche und ausgesprochen fragwürdige »pädagogische Qualifizierung« erhalten.

Das Gruppenkonzept der Themenzentrierten Interaktion arbeitet diesem Mangel entgegen, denn es vermittelt eine achtsame Haltung und Methode, deren Bedeutsamkeit vielen Menschen unmittelbar einleuchtet. Die TZI benennt scheinbare Selbstverständlichkeiten im menschlichen Miteinander und zeigt einen Weg auf, wie diese wertschätzenden Umgangsweisen eingeübt werden können.

Aufnahme fand TZI bislang vor allem in der Aus- und Fortbildung von Fachkräften in Pädagogik, Psychologie und Psychotherapie sowie in den Arbeitsfeldern Schule, Hochschule, Politik, Wirtschaft, Kirche, Selbsthilfe und Verwaltung. Daneben wird TZI in der Supervision, aber auch in der Organisationsberatung eingesetzt – kurz gesagt, überall da, wo Arbeitsgruppen ihren Kooperations- und Kommunikationsstil verbessern wollen.

In dem vorliegenden Buch erfahren Sie im ersten Teil, was sich hinter dem Namen »Themenzentrierte Interaktion« verbirgt. Wir erläutern das Anliegen der TZI und geben Informationen zur Entwicklung des TZI-Konzepts. In dem Kapitel über die Grundlagen der TZI widmen wir uns zunächst dem anthropologischen, ethischen und pragmatischen Fundament der Themenzentrierten Interaktion und stellen im Anschluss daran die Methodik in ihren einzelnen Elementen vor. In einem gesonderten Kapitel beleuchten wir TZI auf dem Hintergrund der Humanistischen Psychologie und Pädagogik. Ausführungen zum gesellschaftspolitischen Anliegen der TZI schließen sich an, und mit einer Würdigung der TZI beenden wir den theoretischen Teil des vorliegenden Buches.

Einen ersten Einblick in die konkrete TZI-Arbeit erhalten Sie durch Inge, die Hauptperson unserer Rahmengeschichte. Sie werden Inge bei einigen TZI-relevanten Schritten auf ihrem privaten und beruflichen Weg begleiten. Inge ist kein Prototyp des TZI-Menschen, vielmehr ist sie eine Frau, die von TZI gehört hat, die sich zu interessieren beginnt, einige Seminare besucht und sich schließlich für die Ausbildung zur TZI-Gruppenleiterin entscheidet. Möglicherweise haben Sie mit Inge den ersten Schritt gemeinsam: Sie haben von TZI gehört und wollen sich jetzt durch dieses Buch informieren, was TZI ist, wie sie wirkt und wo sie eingesetzt werden kann. Die Lektüre gibt Ihnen eine erste Orientierung, sie kann jedoch weder praktische Erfahrungen mit TZI noch ein Literaturstudium ersetzen. Entsprechende weiterführende Hinweise, einen Überblick über die TZI-Ausbildung sowie Literaturempfehlungen finden Sie am Ende des Buches.

Alle Themen haben immer auch einen persönlichen Bezug – so ist es auch mit diesem Buch. Beide haben wir unabhängig voneinander bereits als Teenager Erfahrungen mit Gruppen gemacht und wurden in diesen Zusammenhängen ermutigt, selbst Gruppen zu leiten. Autodidaktisch erarbeiteten wir uns damals die wichtigsten Grundlagen und stellten fest: Auch ohne Aus- und Weiterbildung klappte das Ganze ziemlich gut. In den 80er Jahren hatten wir Lust, das Gruppenleiten professionell zu erlernen. Wir absolvierten etwas zeitversetzt eine mehrjährige Ausbildung in Themenzentrierter Interaktion und beschäftigten uns mit den unterschiedlichsten körperorientierten, therapeutischen und spirituellen Verfahren. Anfang der 90er Jahre veröffentlichten wir verschiedene Bücher und Artikel zur Themenzentrierten Interaktion, unter anderem auch ein umfangreiches Handbuch zur TZI im Klett-Cotta Verlag und ein Einführungsbuch in die TZI, das 1992 beim Pal-Verlag erschien und vier Jahre später in niederländischer Übersetzung herauskam. Dieses »Pal-Buch« ist seit einiger Zeit vergriffen – in überarbeiteter und aktualisierter Form steht es Ihnen jetzt wieder zur Verfügung. Dass das Buch genau 40 Jahre, nachdem Ruth C. Cohn das Ausbildungsinstitut für Themenzentrierte Interaktion in New York gegründet hat, erscheint, freut uns, denn für uns ist die Themenzentrierte Interaktion nach wie vor die solideste pädagogische Basisqualifikation, wenn es um das Gruppenleiten geht.

Mittlerweile haben wir unseren persönlichen Stil entwickelt, mit dem wir Gruppen leiten. Grundlage unserer Arbeit ist nach wie vor die TZI. Geändert hat sich daran, dass wir mit diesem Verfahren viel undogmatischer und offener umgehen als in der ersten Zeit nach der TZI-Ausbildung. Heute fühlen wir uns der TZI in kritischer Solidarität verbunden, denn wir sind begeistert von der Wirkung lebendigen Lernens in Gruppen durch diese Methode. Dennoch verschließen wir nicht unsere Ohren vor den kritischen Tönen, die der TZI – wie allen anderen Methoden auch – entgegengebracht werden.

Die Themenzentrierte Interaktion ist ein ausgesprochen wandlungsfähiges Verfahren und bietet allen Menschen, die sich damit beschäftigen, Anknüpfungspunkte, die sie direkt in ihren privaten und beruflichen Alltag integrieren können. In unserer Arbeit ermutigen wir die Menschen daher immer, die ersten Schritte ins Gruppenleiten auch dann schon zu wagen, wenn sie noch nicht viel Erfahrung haben und sich wie Inge in unserer Rahmengeschichte vorzuarbeiten.

Wir danken Ruth Cohn für die Begegnungen und anregenden Gespräche auf Augenhöhe, Elfi Stollberg für die kontinuierliche Begleitung auf unserem Ausbildungsweg, Dietrich Stollberg für die Ermutigung, immer wieder neu den »Schatten« wahrzunehmen und ihn als selbstverständlichen Bestandteil des Lebens zu integrieren. Und wir danken allen, die uns auf unserem Weg zur TZI und mit der TZI begleitet haben.

Cornelia Löhmer & Rüdiger Standhardt

Giessen, im November 2005

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Teil 1:
Grundlagen der TZI

Entdecke lebendiges Lernen und Lehren! – Was ist TZI?

Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn ist ein pädagogisches Gruppenverfahren, das aus den Erkenntnissen der Psychoanalyse und den Einflüssen der Gruppentherapie entstanden ist.

Lebendiges Lernen

Das zentrale Anliegen der TZI ist Lebendiges-Miteinander-Lernen. Darunter ist ganzheitliches Lernen zu verstehen mit dem Ziel, sich selbst und andere so zu leiten, dass die wachstumsfördernden und heilenden Kräfte im Menschen angeregt und gefördert werden, nicht aber die stagnierenden und krankmachenden Tendenzen.

Lebendiges Lernen heißt zu leben, während ich lerne.

Ruth C. Cohn

So geht es z. B. um Kooperationsbereitschaft anstelle von destruktiver Rivalität, Realitätssinn anstelle von persönlich oder gesellschaftlich bedingten Illusionen, Verantwortlichkeit anstelle von vorschnellem Anpassungsverhalten.

Gesellschaftspolitisches Anliegen

Die TZI unterscheidet sich von anderen Gruppenverfahren am deutlichsten durch ihr klares gesellschaftspolitisches Anliegen. Dass diese sozial- und gesellschaftspolitische Dimension angesichts der ökologischen und nuklearen Bedrohung der Welt, durch das Nord-Süd-Gefälle und den zunehmenden Fremdenhass zwar gefordert ist, gleichwohl von anderen pädagogischen Verfahren vernachlässigt wird, macht das TZI-Konzept umso wertvoller und realitätsnäher.

Wertebasis der TZI

Die Wertebasis für das System der TZI sind drei feststehende Grundsätze (Axiome), die auf existentiell-anthropologische, ethisch-soziale und demokratisch-politische Zusammenhänge hinweisen. Aus den humanistischen Axiomen der TZI hat Ruth C. Cohn zwei existentielle Forderungen (Postulate) abgeleitet, die deutlich machen, wie die Axiome im alltäglichen Leben zum Ausdruck kommen können.

Bevor wir uns eingehender mit diesen Grundannahmen der TZI beschäftigen, ist noch einiges zu den weiteren Anliegen der Themenzentrierten Interaktion anzumerken, insbesondere zum Verhältnis zwischen Sach- und Beziehungsebene, zum pädagogischen Konzept, zu den Anwendungsmöglichkeiten und zum Zusammenspiel von Methode und Haltung bei TZI.

Sach- und Beziehungsebene

Wer Erfahrungen mit Gruppen hat, sei es in der Erwachsenenbildung oder auch in der Gremienarbeit, weiß, wie oft eine inhaltlich trockene Bearbeitung bestimmter Themen eine lebendige Kommunikation weitgehend unmöglich macht. Die entsprechende Sitzung, der Elternabend, die Teambesprechung wird als langweilig und blutleer erlebt. Steht nämlich die Sachebene zu sehr im Vordergrund, kommen die einzelnen Menschen der Gruppe mit ihrer jeweils unverwechselbaren Persönlichkeit und Kompetenz zu kurz und das Potential der Gesamtgruppe kann sich nicht entfalten.

Im Unterschied dazu besteht in Selbsterfahrungsgruppen häufig eine Unausgewogenheit zugunsten der Beziehungsebene. Die emotionalen Anteile einzelner oder der Gesamtgruppe überlagern eine sachliche Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Thema.

In beiden Fällen ist das Verhältnis zwischen Sach- und Beziehungsebene aus der Balance geraten. Im System der TZI sind Sach- und Beziehungsebene gleich wichtig. In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, ein Klima herzustellen, in dem die Lernenden sowohl in ihren kognitiv-rationalen als auch in ihren emotional-sozialen Fähigkeiten ernst genommen und unterstützt werden. In einer sachlich orientierten Gruppe bedarf es der Ermutigung, den eigenen Zugang zum Lernstoff zu finden und die subjektiven Interessen zu formulieren, während in einer psychosozialen Gruppe Wert darauf gelegt wird, auch schwierige und theoretische Sachverhalte mit der notwendigen Ausdauer zu bearbeiten.

Hilfe zur Selbsthilfe

Das pädagogische Konzept der TZI bezieht sich in erster Linie auf Prävention bzw. Hilfe zur Selbsthilfe. Das Ziel der TZI ist nicht die Aufarbeitung individueller Probleme, Wünsche und Anliegen der Teilnehmenden, sondern ein »Wachwerden« für die Möglichkeiten der Veränderungen in der Gegenwart. Der pädagogische Wert der TZI ist das »Anritzen«, also Bewusstmachen unbewusster Konflikte, ohne dass die Ursache des Konfliktes durchgearbeitet wird. Solche unbewussten Konflikte werden in den Lernprozess einer TZI-Gruppe einbezogen, indem die Frage nach dem »Was ist jetzt?« und »Wozu ist jetzt?«, nicht aber die Frage nach dem »Warum ist jetzt?« gestellt wird. Die Leitenden lassen dann den betreffenden Menschen selbstständig das finden, was er in der jetzt aktuellen Situation braucht. Es geht um eine Haltung des Wahrnehmens und Annehmens. Der Betreffende erlebt, dass er so sein darf, wie er ist, einschließlich seiner Störungen und Widerstände. In solch einer akzeptierenden Atmosphäre braucht die Gruppe keine Aufmerksamkeit vorzutäuschen, und die Arbeit am Sachthema kann nach der Benennung der Blockierung meist umso intensiver fortgesetzt werden.

Sich-selbst und Gruppen leiten

Eine weitere Besonderheit der Themenzentrierten Interaktion ist ihre Anwendungsmöglichkeit auf Alltagsgruppen, z. B. Teams, Abteilungen, Schulklassen, Wohngruppen, Vereine, Familien, Selbsthilfegruppen – kurz gesagt: TZI kann überall dort eingesetzt werden, wo Menschen miteinander in Kontakt stehen. Die Themenzentrierte Interaktion lehrt das Sich-selbst- und Gruppen leiten und