Selma Lagerlöf

Die Erinnerungen

Mårbacka

Aus meinen Kindertagen

Das Tagebuch der Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf

Deutsch von Pauline Klaiber-Gottschau

Mit einem Nachwort von Holger Wolandt

Urachhaus

Inhalt

Mårbacka

Die Reise nach Strömstady

Das Kindermädchen

Hoher Besuch

Die Reise nach Karlstad

In der Kajüte auf dem »Uddeholm«

Im Laden des Goldschmieds

Holmen Grå

Der Paradiesvogel

Das Andenken

Die Geschichten der alten Haushälterin

Großmutter

Das Gespenst am Vilarsten-Hang

Pastor Wennervik

Der Gänserich

Die Lemminge

Der Neck

Der Regimentsschreiber

Die Landwehrmänner

Alte Gebäude und alte Leute

Die aus Stein gebauten Häuser

Die Geldkassette

Die Pfahlhütte

Die Gesindestube

Das Dienstmädchen

Die Brautkrone

Wachenfeldt

Das Orchester

Das neue Mårbacka

Die siebzehn Katzen

Der neue Stall

Der Garten

Der Dachstuhl

Werktag und Fest

Mittagsschlaf

Mamsell Broström

Die Reise auf den Blocksberg

Bellmanlieder

Buben und Mädchen

Der alte Soldat

Das Land der Hoffnung

Die Slomzeit

Der siebzehnte August

Nachschrift

Aus meinen Kindertagen

Aline Laurell

Die Erbauungsstunde

Das Gelübde

Gårdsjö

Herrestad

Angst

Das Kartenspiel

Die Marseillaise

Vierzig Grad Kälte

Maja Råd

Der Kirchenbesuch

Der Kuss

Der Ball in Sunne

Elin Laurell

Pastor Unger

Die Osterhexe

Anna Lagerlöf

Onkel Schenson

Der Teich

Agrippa Prästberg

Am Landungssteg

Der Brunnen

Tante Nanas Erzählung

Jahrmarktszeiten

Erdbeben

Das Tagebuch der Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf

Reisetag

Im Zug zwischen Kil und Laxå

Im Zug zwischen Laxå und Katrineholm

Zwischen Södertälje und Stockholm

Spätabends im Kinderzimmer bei Onkel Oriel

Erste Woche

In der Kinderstube bei Onkel Oriel, geschrieben bei Ullas kleiner Lampe

Im Salon bei Onkel Oriel

Im Kinderzimmer

Allein im Salon mit Axel Oxenstierna

Zweite Woche

Mittwoch, den 29. Januar

Dritte Woche

Montagmorgen im Salon

Im Esszimmer

Vierte Woche

Montag, den 10. Februar

Fünfte Woche

Im Schlafzimmer

Im Salon

Sechste Woche

Im Salon

Siebente und achte Woche

Ab 5. März

Neunte Woche

Montagmorgen, den 17. März

Zehnte Woche

Montag, den 24. März

Elfte und zwölfte Woche

Im Salon

In der Kinderstube bei Onkel Oriel in der Nacht zwischen dem Ostersamstag und dem Osterfest

Dreizehnte Woche

Freitag, 18. April 1873

Auf dem Sofa im Kinderzimmer

Elisif. Versschauspiel in fünf Akten und acht Bildern

Reise nach Uppsala

Im Zug zwischen Stockholm und Uppsala

Im Salon der Frau Doktor Hedberg

Auf Frau Hedbergs Salonsofa, gerade wie gestern

Im Zug zwischen Uppsala und Stockholm

Nachricht von Mårbacka

Im Salon bei Onkel Oriel

Anhang

Nachwort

Grundriss des Gutshauses Mårbacka

Fußnote

Impressum

Mårbacka

Die Reise nach Strömstad

Das Kindermädchen

Auf Mårbacka gab es einmal ein Kindermädchen, das Back-Kajsa hieß. Back-Kajsa war sicherlich drei Ellen lang und sie hatte ein großes, grob geschnittenes Gesicht mit strengen, finsteren Zügen; ihre Hände waren hart und voller Risse, in denen beim Kämmen die Haare der Kinder hängen blieben, und sie war düster und trübsinnig.

Ein solches Menschenkind schien nicht gerade zum Kindermädchen geschaffen zu sein, und Frau Lagerlöf hatte sich auch sehr lange besonnen, ehe sie sie dingte. Back-Kajsa hatte noch nie zuvor gedient, ihre Herkunft machte sie auch nicht anziehender und von guten Manieren hatte sie keine Ahnung, denn sie war in der armseligen Kate Backarna weit droben auf der Waldhöhe oberhalb Mårbacka aufgewachsen, wo kein Mensch ringsum wohnte.

Aber es war offenbar kein anderes Mädchen zu finden gewesen, und so hatte man Back-Kajsa schließlich doch genommen. Dass sie kein Bett machen konnte, kein Feuer im Ofen zustande brachte und kein Bad zuzurichten verstand, darauf war Frau Lagerlöf ja vorbereitet, und es war auch nicht schwer, dem Mädchen dies beizubringen. Back-Kajsa war auch durchaus willig, das Kinderzimmer zu scheuern, Staub zu wischen und die Kleider der Kinder zu waschen. Aber was Frau Lagerlöf ihr nicht beizubringen vermochte, das war mit Kindern umzugehen. Sie wollte nicht mit ihnen spielen, sagte ihnen niemals ein freundliches Wort und kannte kein Märchen und kein Lied. Sicherlich wollte sie nicht hässlich gegen die Kinder sein, aber Lärm und Ausgelassenheit waren ihr nun einmal zuwider. Es wäre ihr am allerliebsten gewesen, wenn jedes der Kinder ruhig und still auf seinem Stühlchen gesessen hätte, ohne etwas zu sprechen und ohne sich zu rühren. Immerhin war Frau Lagerlöf so weit ganz zufrieden mit Back-Kajsa. Wenn sie auch keine Geschichten erzählen konnte, so hatten die Kinder auf Mårbacka dafür ja noch ihre Großmutter. Jeden Vormittag, gleich nach dem Ankleiden, kam diese und setzte sich auf das Ecksofa im Schlafzimmer; sofort war dann auch schon die ganze Kinderschar um sie versammelt, und sie sang mit ihnen und erzählte ihnen Geschichten bis zum Mittagessen. Außerdem hatten die Kinder auch noch einen herrlichen Spielkameraden an ihrem Vater, dem Leutnant Lagerlöf, der in jeder freien Stunde mit ihnen herumtollte.

Back-Kajsa war kräftig und geduldig und pflichtgetreu, und man konnte sich unbedingt auf sie verlassen. Wenn die Herrschaft nach auswärts eingeladen war, so konnte man ganz sicher sein, dass das Mädchen nicht wegging und die Kinder allein im Kinderzimmer ließ. Back-Kajsa wäre wirklich ganz vortrefflich gewesen, hätte sie nur eine etwas leichtere Hand gehabt. Aber es war kein zarter Griff, mit dem sie die kleinen Ärmchen in die Kleiderärmel hineinschob; wenn sie die Kinder wusch, kam ihnen beständig der Seifenschaum in die Augen, und beim Kämmen hatten sie stets das Gefühl, als würden ihnen die Haare ausgerissen.

Das Kinderzimmer auf Mårbacka war eine helle, warme und geräumige Stube, die beste im ganzen Hause; aber sie hatte allerdings den Fehler, ein Giebelzimmer zu sein; um dahin zu gelangen, musste man erst in den unteren Flur hinunter, die Treppe wieder hinauf und dann noch über einen Bodenraum. Die Bodentreppe aber war steil und für kleine Füße recht beschwerlich; so war es stets hochwillkommen gewesen, wenn das vorige Kindermädchen eines der Kleinen auf den Arm genommen und die Treppe hinaufgetragen hatte; Back-Kajsa aber fiel es nicht im Schlafe ein, das zu tun. Überdies war dieser Bodenraum ein schrecklich unheimlicher Ort, besonders des Abends nach Einbruch der Dunkelheit; da wäre es für kleine Hände eine Hilfe gewesen, sich in eine große hineinschmiegen zu können.

Aber Back-Kajsa, die den großen, wilden Wald gewöhnt war, hielt den Bodenraum auf Mårbacka wohl für einen traulichen und sicheren Ort. Sie ging stramm geradeaus ihres Wegs und streckte keinem der Kinder eine Hand hin. Jedes konnte froh sein, wenn es ihm gelang, auch nur einen Zipfel ihres Rocks zu erhaschen.

Die Betten, in denen die drei Kinder schliefen, waren von dem prächtigen alten Schreiner in Askersby angefertigt worden, und sie waren wunderschön geschmückt mit einer Reihe gedrehter Stäbchen rings um das Kopfende. Aber es waren sogenannte Schlafkommoden; denn so groß auch die Kinderstube war, die drei Betten nahmen doch sehr viel Platz weg, und so war es recht zweckmäßig, dass man sie tagsüber ineinanderschieben konnte. Das war an und für sich kein Fehler; aber wie viel Mühe der prächtige alte Schreiner sich auch mit den Betten gegeben haben mochte, sie hatten nun einmal das Bestreben, sich mitten in der Nacht ganz auseinanderzuschieben.

Wenn einem das widerfuhr, wurde man natürlich in hellem Schrecken aus dem süßesten Schlummer gerissen, und fand man das Bett mitten auseinandergefallen ‚ dann versuchte man auf dem oberen Teil in sich zusammenzukriechen, in der Hoffnung wieder einzuschlafen. Aber das gelang nicht, und nach einer Weile streckte man die Beine aus und ließ sie hinunterhängen. So lag man und wartete auf den Schlaf, bis man so hellwach war wie am lichten Tage, und dann entschloss man sich endlich, aufzustehen und zu versuchen, das Bett wieder zusammenzuschieben. Und meinte man, damit zurande gekommen zu sein, und waren die Betttücher wieder schön zurechtgelegt, kroch man so vorsichtig wie möglich ins Bett und dehnte und streckte sich mit Wohlbehagen. Alles ging vortrefflich, der Schlaf kam herbeigeschlichen. Aber dann machte man eine unvorsichtige Bewegung und schon fuhr das ganze Bett mit Gepolter wieder auseinander, und mit allen Hoffnungen auf Schlaf war es für diese Nacht aus und vorbei.

Back-Kajsa aber verschlief das alles, und keinem der Kinder kam es in den Sinn, man könne sie wecken und um Hilfe bitten. Das vorige Kindermädchen war sofort aufgewacht, wenn eines der Betten auseinanderfiel, und hatte es flink wieder zusammengeschoben, ohne dass man sie darum zu bitten brauchte.

Gerade über dem Kinderzimmer befand sich noch ein enger kleiner Bodenraum, der mit alten zerbrochenen Webstühlen und Spinnrocken vollgestellt war, und zwischen diesem Gerümpel hauste eine Eule. Dieses Tier hatte eine ganz merkwürdige Fähigkeit, einen unglaublichen Spektakel zu vollführen. Bei Nacht klang es in den Ohren der Kinder, als ob jemand schwere, dicke Klötze über ihren Köpfen hin und her schöbe. Aber wenn ihnen bei dem Lärm bange geworden war, hatte das vorige Kindermädchen nur gelacht und gesagt, das sei nichts zum Fürchten, es sei nur die Eule. Back-Kajsa jedoch, die aus dem Walde kam, fürchtete sich vor allen Tieren. Für sie waren es böse Geister, und wenn sie nachts durch die Eule geweckt wurde, holte sie ihr Gesangbuch und fing an zu beten. Das trug indes ganz gewiss nicht dazu bei, die Angst der Kleinen zu vermindern, im Gegenteil, es vermehrte nur noch ihre Furcht, und in ihrer Fantasie wuchs sich die arme Eule zu einem großen Ungeheuer mit einem Katzenkopf und Adlerflügeln aus. Es ist nicht zu schildern, wie sehr die Kleinen bis ins innerste Herz erschraken bei dem Gedanken, dass ein so unheimliches Wesen über ihnen wohnte. Wie, wenn es mit seinen gewaltigen Klauen einmal die Decke aufrisse und zu ihnen herabkäme!

Niemand kann behaupten, Back-Kajsa habe die Kinder vernachlässigt oder geschlagen. Das sah ihr gar nicht gleich. So darauf bedacht, die Kinder sauber und unversehrt zu erhalten, wie Back-Kajsa, war zwar das vorige Kindermädchen nicht gewesen, dafür aber gegen die Kleinen überaus zutunlich und freundlich.

Was die Kinder damals als ihren höchsten Schatz betrachteten, das waren drei kleine Holzstühlchen. Sie waren ein Geschenk des prächtigen alten Schreiners in Askersby. Es war den Kindern nicht ganz klar, ob diese Stühlchen eine Entschuldigung sein sollten für die missratenen Betten; aber sie glaubten es fast. Die Stühlchen waren jedenfalls nicht missraten, sie waren fest und dauerhaft. Man konnte sie als Tisch und als Schlitten verwenden; die Kinder konnten damit in der ganzen Stube herumreiten, sie konnten hinaufsteigen und wieder hinunterspringen oder sie konnten sie hinlegen und Hof und Stall daraus bauen, kurz, es gab überhaupt nichts, wozu diese Stühlchen nicht zu gebrauchen gewesen wären.

Aber warum die Kinder einen so ungeheuren Wert auf sie legten, das verstand man erst, wenn man sie umdrehte. Da sah man, dass auf der Unterseite eines jeden Stühlchens eines der Kinder gemalt war. Auf dem einen sah man Johan, einen blau gekleideten Jungen mit einer ungeheuren Peitsche in der Hand; auf dem anderen konnte man Anna sehen, ein süßes kleines Mädchen im roten Kleidchen und gelben Schäferhut, das an einem Blumenstrauß roch, und auf dem dritten erblickte man Selma, ein kleines Wackelpeterchen mit blauem Kleidchen und gestreiftem Schürzchen, mit nichts auf dem Kopf und nichts in der Hand.

Diese Bilder waren da hingemalt worden, um anzuzeigen, wem jedes Stühlchen gehörte, und deshalb nahmen die Kinder sie auch viel nachdrücklicher für ihr Eigentum als ihre Kleider und anderes, was sie von ihren Eltern bekommen hatten. Die Kleider, ach, die wanderten von einem zum anderen, das erfuhren sie ja selbst alle Tage, und ihre feinen Spielsachen wurden entweder eingeschlossen oder auf die Eckbrettchen in der guten Stube gestellt; sie aber der Stühlchen zu berauben, die durch ihre Bilder bezeichnet waren, nein, das würde nie und nimmer irgendjemand einfallen.

Daher war es auch wirklich abscheulich von Back-Kajsa, dass sie zuweilen alle drei Stühlchen auf die hohe Kommode aus Birkenholz stellte, denn da konnten die Kinder sie nicht erreichen. Allerdings hatte sie dann gerade vorher das Zimmer gescheuert und die Stühlchen hätten hässliche Spuren zurückgelassen, wenn sie über den nassen Boden gezogen worden wären; aber das frühere Kindermädchen hätte es nie übers Herz gebracht, ihnen die Stühlchen auch nur für einen Augenblick wegzunehmen.

Nein, Back-Kajsa, das neue Kindermädchen, verstand nicht mit den Kleinen umzugehen, das sah Frau Lagerlöf wohl. Die Kinder fürchteten sich vor ihr und fühlten sich nicht wohl in ihrer Gegenwart. Aber Back-Kajsa war für ein Jahr gedingt, und ehe es um war, konnte man sie nicht gut fortschicken. Frau Lagerlöf hoffte auch, im Sommer, wenn die Kinder den ganzen Tag im Freien spielen könnten und das Kindermädchen weniger brauchten, werde alles besser gehen.

Eines Vormittags, ganz zu Anfang des Sommers, geschah es jedoch, dass das jüngste Töchterchen allein im Kinderzimmer gelassen worden war. Sie saß in ihrer Schlafkommode und wunderte sich, wo alle die anderen geblieben sein könnten, und dabei war es ihr sonderbar wirr und unbehaglich zumute.

Als sie ein wenig zu sich gekommen war, fiel ihr ein, dass sie morgens mit den Geschwistern den Leutnant Lagerlöf zum Åsquell hatte begleiten dürfen, um dort zu baden. Nach ihrer Rückkehr hatte Back-Kajsa alle drei ganz angekleidet in ihre Bettchen gelegt, damit sie bis zum Mittagessen schlafen sollten.

Aber Annas und Johans Betten waren jetzt leer, also mussten sie wohl aufgestanden und ihrer Wege gegangen sein.

Vielleicht waren sie schon unten im Garten und spielten. Die Kleine verdross es, dass sie weggegangen waren und sie allein im Kinderzimmer gelassen hatten. Aber da war nichts zu machen. Sie musste nun eben aus dem Bettchen klettern und den anderen nachlaufen.

Sie war dreiundeinhalbes Jahr alt und konnte schon ganz allein die Tür aufmachen und auch die Bodentreppe hinuntersteigen. Aber allein durch den Bodenraum wandern, das war das allerschlimmste Wagestück, und deshalb blieb sie auch liegen und horchte eifrig, ob nicht jemand käme und sie holte.

Ach nein, auf der Treppe war kein Schritt zu hören, sie musste die Reise auf eigene Faust unternehmen. Aber als sie aus ihrem Bett steigen wollte, vermochte sie es nicht.

Sie versuchte es immer wieder aufs Neue, sank aber stets nur in die Kissen zurück. Es war geradeso, als gehörten ihr ihre Beine gar nicht mehr, sie hatte die Gewalt über sie ganz verloren.

Das kleine Mädchen geriet außer sich vor Entsetzen. Das Gefühl von Ohnmacht, das sie beschlich, als der Körper ihr den Dienst versagte, war so unheimlich, dass sie sich noch lange, lange nachher, ja ihr ganzes Leben lang daran erinnern konnte.

Natürlich fing sie an zu weinen. Sie war ganz verzweifelt und fühlte sich unsäglich verlassen, und dabei war kein erwachsener Mensch in der Nähe, der sie hätte trösten oder ihr hätte helfen können.

Sie blieb indes nicht lange allein. Die Türe ging auf und Back-Kajsa erschien. »Willst du denn heute nicht herunterkommen und zu Mittag essen, Selma?«, fragte sie. »Die Großen haben − −«

Weiter kam sie nicht. Das kleine Mädchen dachte gar nicht mehr daran, dass es das unfreundliche Kindermädchen war, das in der Türöffnung stand. In ihrer großen Verzweiflung sah die arme Kleine nur eins: Jetzt war ein erwachsener Mensch gekommen, der ihr helfen konnte, und sie streckte die Arme flehend nach Back-Kajsa aus.

»Komm und hol mich, Back-Kajsa!«, rief sie. »Komm und hol mich!«

Als Back-Kajsa an das Bett trat, schlang ihr das Kind die Arme um den Hals und klammerte sich so fest an, wie sich noch nie ein Kind an ihr festgehalten hatte. Ein leichtes Beben durchzuckte Back-Kajsa, und ihre Stimme war nicht ganz sicher, als sie fragte: »Was hast du denn, Selma? Bist du krank?« − »Ich kann nicht mehr gehen, Back-Kajsa«, schluchzte die Kleine.

Da hoben sie auch schon zwei starke Arme empor, so leicht, als wäre sie nur ein kleines Kätzchen; und plötzlich wusste das ernste, herbe Wesen auch, wie sie mit einem Kinde sprechen musste.

»Deshalb musst du nicht weinen, Selma«, sagte sie. »Ich werde dich tragen.«

Damit war der ganze Kummer der Kleinen wie weggeblasen. Nun fühlte sie sich nicht mehr verlassen und unglücklich. Was tat es, wenn sie nicht mehr gehen konnte, wenn Back-Kajsa sie tragen wollte? Das brauchte ihr niemand zu sagen, sie wusste es schon genau: Wer einen so prächtigen, starken Freund hatte wie Back-Kajsa, dem konnte es nicht schlecht gehen.

Hoher Besuch

Johan und Anna fühlten sich sehr zurückgesetzt, weil man so viel Aufhebens von Selmas Erkrankung machte.

Das war auch ganz verständlich. Johan war sieben Jahre alt und lernte schon lesen bei Herrn Tyberg. Er war ein Junge und galt eigentlich fast für das älteste Kind. Allerdings hatte er einen älteren Bruder, aber der war ja nie daheim, sondern lebte bei den Großeltern in Filipstad. Und jetzt auf einmal kümmerte sich kein Mensch mehr um Johan, sondern jedermann hatte nur noch Gedanken für das jüngste Mädchen.

Anna aber war schon fünf Jahre alt und konnte bereits stricken und nähen; sie war sehr niedlich anzusehen und überdies war sie die älteste Tochter und Mamas Herzblatt. Aber was hatte man denn von alledem, seit Selma sich’s hatte einfallen lassen, krank zu werden?

Alle großen Leute vergehen ja fast vor Rührung, wenn sie ein Kind sehen, das nicht gehen kann. »Wie soll das arme Wurm durchs Leben kommen?«, sagen sie. »Von der Welt bekommt es nie etwas zu sehen, es muss immer still auf einem Fleck sitzen. Heiraten kann es nicht und selber für sich sorgen ebenso wenig. Es ist wirklich hart für die Kleine.« Und alle waren so überaus zärtlich und mitleidig mit dem armen Ding. Johan und Anna hatten wirklich nichts dagegen, aber man sollte doch andere Kinder nicht ganz und gar darüber vergessen.

Wer aber alle anderen übertraf, das war Back-Kajsa. Sie trug Selma auf ihrem Rücken, sie scherzte mit ihr und erzählte ihr, sie sei ein richtiger kleiner Engel. Und Vater und Mutter, die Großmutter und die Tante waren auch nicht viel besser. Hatte nicht der alte prächtige Schreiner in Askersby einen kleinen Wagen für Selma machen müssen, in dem Back-Kajsa sie umherfuhr? Und durften Johan und Anna diesen Wagen auch nur ein einziges Mal nehmen, um Sand darin zu fahren? Nein, der gehörte ja Selma, der durfte nicht schmutzig werden.

Johan und Anna wussten alle beide recht wohl, dass früher, als Selma noch gehen konnte, wirklich nichts Besonderes mit ihr gewesen war. Aber jetzt konnte kein Besuch ins Haus kommen, ohne dass man sie zu ihm hineintrug, damit er sie sehen und sich mit ihr beschäftigen konnte. Jeder Bauernfrau, die in die Küche kam, wurde Selma von Back-Kajsa vorgezeigt, und das Ärgerlichste war noch, dass Back-Kajsa jedem überdies vorredete, wie lieb und wie interessant die Kleine sei. Niemals weine sie, nie sei sie schlechter Laune, obwohl sie sich gar nicht bewegen könne. Oh, Johan und Anna hätten es verwunderlich finden müssen, wenn sie etwa nicht lieb gewesen wäre! So gut, wie sie’s hatte! Herumgetragen und hofiert und verwöhnt den lieben langen Tag!

Ja, Johan und Anna stimmten darin überein, dass Back-Kajsa überaus wunderlich sei. Sie ärgerte sich, weil Frau Lagerlöf ein Kleidchen für Anna nähte, das schöner als Selmas war. Und wenn sich’s jemand einfallen ließ, Johan einen lieben, artigen Jungen zu heißen, so verkniff sie sich nie die Bemerkung, es wäre auch eine große Schande, wenn er sich nicht artig aufführte, da er doch gehen und sich rühren könne, wie er wolle.

Dass der alte Doktor Hedberg in Sunne Selmas wegen immer wieder aufs Neue geholt wurde, nun ja, das war nach Johans und Annas Ansicht nicht mehr als recht und billig. Auch konnte nichts dagegen gesagt werden, wenn Högmanns Inga, die ab und zu auf den Hof kam, um die Schweine und Kühe zu »besprechen«, ebenfalls um Rat gefragt wurde. Aber jedenfalls ging es zu weit, dass die Großmutter, die Haushälterin und Back-Kajsa einmal, als Leutnant Lagerlöf verreist war, sich zusammentaten und die gefährliche alte Hexe von der Högbergalm nach Mårbacka kommen ließen, die in jeder Walpurgisnacht ihren Besen schmierte und zum Blocksberg ritt. Johan und Anna hatten gehört, sie habe die Macht, allein durch ihren Blick ein Haus in Brand zu stecken. Sie vergingen auch fast vor Angst, solange die Hexe auf Mårbacka war, und fanden es recht schlecht von Back-Kajsa, so gruselige Menschen auf den Hof zu bringen.

Natürlich sollte Selma wieder gesund werden, das wünschten die Geschwister von ganzem Herzen, ja mehr als alle die anderen wünschten sie sich, die Schwester wieder frisch und munter zu sehen. Aber sie konnten eben nichts Merkwürdiges daran finden, dass Selma sich eine Krankheit angeschafft hatte, die niemand heilen konnte. Back-Kajsa aber fand es höchst merkwürdig. Und als weder Doktor Hedberg, der sie schon so oft von Husten und Brustschmerzen kuriert hatte, noch Högmanns Inga, die eine so glückliche Hand bei Kühen und Schweinen besaß, und die gräuliche Hexe von der Högbergalm, die einen Besen lebendig machen konnte, Selma zu heilen vermochten, da wurde das Kind für Back-Kajsa immer merkwürdiger. Ja, als Leutnant Lagerlöf vollends mit ihr nach Karlstad fuhr und sie zu dem Stabsarzt Haak, dem vornehmsten Doktor in Karlstad, brachte, dieser aber auch nicht helfen konnte, da wäre Back-Kajsa vor Hochmut bald geplatzt. Wäre es da nicht viel besser gewesen, Selma hätte eine Krankheit gehabt, die geheilt werden konnte?

Johan und Anna sagten sich, das Allerschlimmste aber sei, dass Back-Kajsa viel zu gut gegen Selma sei, weil diese dadurch ganz und gar verzogen werde. So klein Selma auch war, so viel hatte sie doch bald heraus, dass sie nicht so gehorsam zu sein brauchte wie die anderen Kinder, die auf ihren Beinen stehen konnten. Vor allem brauchte sie nicht zu essen, was sie nicht mochte. Wenn ihr Frau Lagerlöf gedämpfte Mohrrüben oder Spinat oder hart gekochte Eier oder Biersuppe vorlegte, brauchte sie durchaus nicht wie früher ihre Portion ganz aufzuessen. Sie durfte nur ihren Teller wegschieben, gleich lief Back-Kajsa in die Küche und holte ihr etwas, was ihr schmeckte.

Aber damit noch nicht genug. Johan und Anna merkten noch etwas anderes: Nachdem weder Doktor Hedberg noch Högmanns Inga noch die gräuliche Hexe von der Högbergalm Selma hatten herstellen können, kam sie sich selbst so interessant vor, dass sie überhaupt keine Alltagskost mehr zu sich nahm, sondern gerade noch mit gebratenen Hähnchen und neuen Kartoffeln oder mit Erdbeeren und Schlagsahne vorliebnahm. Und als sie vollends in Karlstad gewesen war und selbst Doktor Haak nichts für sie hatte tun können, wollte sie nichts anderes mehr essen als Heringe und Backwerk.

Johan und Anna hatten auch gehört, Tante Nana Hammargren in Karlstad sei Selmas wegen ganz außer sich, ja sie habe Selma geradezu den Hungertod prophezeit. Und Johan und Anna waren nun fest überzeugt, dass die Sache schiefgehen werde, wenn nicht bald eine Änderung eintrete.

Und dann trat wirklich eine Änderung ein.

Eines Morgens nahm Back-Kajsa die Kleine auf den Rücken und trug sie in das Küchenzimmer. Dort stand eine große, breite Schlafkommode, in der die alte Frau Lagerlöf zu schlafen pflegte; Back-Kajsa trat an das Bett, setzte Selma zwischen die Kissen nieder und sagte: »Hier gibt’s was zu sehen für dich.«

Das Bett war schön gemacht, aber es hatte in der Nacht niemand darin geschlafen, und auch jetzt lag niemand darin. Die alte Frau Lagerlöf, die sonst immer erst spät am Morgen fertig zu werden pflegte, saß schon angekleidet auf dem Sofa, und Mamsell Lovisa Lagerlöf, die auch in diesem Zimmer wohnte, war ebenfalls auf und fertig angezogen. Beide sahen sehr vergnügt aus, und als das kleine Mädchen in den Kissen saß, kamen sie zu ihr hin.

»Ja, Herzchen, heut Nacht haben wir hohen Besuch bekommen«, sagte die Großmutter und lächelte ihr zu. Selma fing auch an zu lachen, denn es gab doch nichts Schöneres, als wenn Besuch kam.

Dabei sah sie sich im Zimmer um und wunderte sich, wo der Besuch geblieben sein möchte. Jedenfalls war er nicht hier im Zimmer. Nicht in dem gelben Eckschrank, nicht hinter der hohen Wanduhr und nicht unter Tantes Chiffoniere. Es gab überhaupt nur ein richtiges Versteck im Zimmer, nämlich die eingebaute Kellertreppe; aber dort konnte sich der vornehme Besuch nicht verkrochen haben. All das kam Selma sehr sonderbar vor. Wozu saß sie denn in Großmutters Bett, und warum standen alle um sie her und starrten auf das Bett, wie wenn der Besuch darin zu finden wäre? Ratlos sah sie von einem zum anderen. Da beugte sich Mamsell Lovisa vor und rückte etwas an den Kissen, und nun sah Selma, dass neben ihr im Bett ein kleines längliches Bündel lag, aber sie achtete nicht weiter darauf. Großmutter hatte ja gesagt, es sei hoher Besuch gekommen, und unter hohem Besuch verstand man Besuche, die von weither gereist kamen und große Tüten mit Zuckerwerk und Spielsachen für die Kinder mitbrachten. Und nach einem solchen Besuch schaute sie sich um.

»Ist er dort drin?«, fragte sie und zeigte auf die Saaltür. Sie versuchte auch zu horchen, ob sie im nächsten Zimmer sprechen höre. Das frohe und aufgeräumte Aussehen der anderen steigerte ihre Erwartung.

»Aber er ist ja neben dir!«, sagte nun die Großmutter und deutete auf das längliche Bündel. Ja, nun sah Selma, dass dieses Bündel zwei winzige Händchen hatte und ein kleines, runzliges Gesicht.

Verächtlich blickte sie auf das Wickelkind. O, Wickelkinder hatte sie ja schon öfter gesehen, aber dafür interessierte sie sich nicht. Sie wandte die Augen weg, und ihre Gedanken waren bei dem Besuch mit den Zuckertüten.

»Siehst du, das ist ein Schwesterchen, das heute Nacht zu dir gekommen ist, und du musst recht lieb zu ihm sein«, sagte Tante Lovisa. Darauf war Selma nicht vorbereitet. Eine neue Schwester wäre ja schön und gut gewesen, wenn sie hätte gehen und sprechen können. Aber das Wickelkind da hatte keinerlei Bedeutung für sie. Doch nun wurde ihr plötzlich klar, dass gar kein Besuch gekommen war. Großmutter hatte niemand anders gemeint als das kleine Dingelchen, und das hatte natürlich kein Zuckerwerk mitgebracht.

Als sie das begriffen hatte, fühlte sie sich bitter enttäuscht. Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, und Back-Kajsa musste sie wieder auf den Rücken nehmen und in die Küche hinaustragen, damit der hohe Besuch nicht aufgeweckt werde.

Ach, Selma hatte wohl Ursache zu weinen, denn von nun an war die Zeit ihres Glückes und ihrer Macht zu Ende. Back-Kajsa musste Frau Lagerlöf bei der Pflege des kleinen Ankömmlings helfen, und dieser war noch hilfloser und unverständiger als sie selber. Dem konnte man ja nicht vernünftig zureden, und so war es jetzt immer Selma, die warten und sich gedulden musste.

Auch beeilte man sich nun nicht mehr so sehr, sie den Besuchern vorzuzeigen. Jetzt musste das Wickelkind betrachtet und bewundert werden. Von Selma war plötzlich alles Merkwürdige abgefallen, und sie war nichts Besseres mehr als Johan und Anna. Das gab manche traurige Stunde im Laufe des folgenden Jahres. Nicht allein waren Kuchen und Heringe zu Ende für sie. Nein, jetzt kam niemand mehr, ihr den Teller wegzunehmen und anderes Essen zu bringen, wenn Frau Lagerlöf gedämpfte Mohrrüben oder Spinat oder grüne Erbsen vor sie hinstellte. Oh nein, Selma musste jetzt essen, was ihr vorgesetzt wurde.

Wenn Anna ein schöneres Kleidchen bekam als Selma, so machte niemand mehr Bemerkungen darüber. Im Gegenteil, alle fanden es ganz in der Ordnung, da Anna die älteste Tochter war.

Ja, zuweilen war Selmas kleines Herz recht schwer, denn sie war nicht ganz sicher, ob Back-Kajsa diese kleine Schwester nicht ebenso lieb habe wie bisher ihren Liebling Selma.

Die Reise nach Karlstad

Back-Kajsa und ihr Schützling waren auf Reisen unterwegs. Sie saßen auf dem Bock der großen Kutsche neben dem Stallknecht Magnus, der von der Verantwortung, mit drei Pferden auf dem entsetzlichen Weg nach Karlstad zu fahren, so ergriffen war, dass er kein Wort reden konnte.

Innen im Wagen saßen Frau Luise Lagerlöf und Mamsell Lovisa Lagerlöf mit Johan und Anna auf dem Rücksitz. Es war unbeschreiblich viel schöner auf dem Bock, wo man die Pferde sehen konnte, als unter dem Wagenverdeck eingeschlossen zu sein, und Johan hätte auch viel lieber neben dem Kutscher gesessen. Aber Frau Lagerlöf hatte gesagt, es gehe unmöglich an, Back-Kajsa auf den Rücksitz zu klemmen, und Selma musste natürlich fahren, wo Back-Kajsa fuhr. Leutnant Lagerlöf war auch mit auf der Reise, aber er fuhr in seinem kleinen Chaischen allein vor den anderen her.

Nun war es schon ein ganzes Jahr her, seit das kleine Mädchen die Krankheit in den Beinen bekommen hatte, und noch konnte es weder stehen noch gehen. Jetzt wollte man einen wirklich ernsthaften Versuch machen, dem Übel beizukommen, nämlich durch einen Aufenthalt an der Westküste. Selma war die einzige Kranke unter den Reisenden, aber einen Sommer lang Seebäder nehmen, das konnte ja für alle miteinander nur zuträglich sein.

Als Selma auf dem Kutschbock saß, hatte sie ihr Leiden fast vergessen. Oh wie schön war es doch, so mit Back-Kajsa in die Welt hinauszufahren, besonders da das Kleinste daheimgeblieben war! Nun kamen sicherlich die alten Tage des Glückes wieder, die sie nie vergessen konnte.

Sie schmiegte sich dicht an Back-Kajsa, schlang ihr die Arme um den Hals und fragte sie immer wieder aufs Neue, ob sie sich nicht auch sehr freue, dass sie beide nun ungestört zusammen sein würden.

Back-Kajsa gab ihr zwar keine Antwort darauf, aber das kümmerte Selma nicht weiter. Back-Kajsa hatte ja nie zu den redseligen Menschen gehört.

Die große Landstraße nach Karlstad war damals genau wie heute noch überreich an Hügeln. Da war der krumme Bävikshügel und der Gunnarsbyhügel, der eine halbe Meile lang war, und der steile Aufstieg zu den Sundgårdsbergen, und da war Kleva, der gefährlichste von allen, weil der Weg an einem Abgrund hinführte. Es ging bergauf, bergab, als reise man zwischen Himmel und Erde. Leutnant Lagerlöf hatte drei Pferde vor den Wagen spannen lassen, damit die Fahrt leichter vonstattengehe, aber diese Anordnung war ungewohnt für Kutscher und Gespann.

Wenn etwas die Freude des kleinen Mädchens, Back-Kajsa wieder ganz für sich zu haben, noch erhöhen konnte, so war es diese Fahrt hoch auf dem Kutschbock mit drei widerspenstigen Pferden vor sich, die den schweren Wagen wie ein Spielzeug hinter sich herzogen und ihn um die Kehren schwangen, dass er nur noch auf zwei Rädern stand. Das war eine beständige Abwechslung, und zuweilen standen die Pferde mit steifen Beinen und glitten auf den Flanken den Hügel hinunter; dann wieder, wenn es gar zu steil bergab ging, musste der Kutscher Magnus von seinem Sitz aufstehen und wie toll die Peitsche gebrauchen, um die Tiere ins Laufen zu bringen, damit der hohe Wagen sich nicht überschlug.

Mitten in einer solchen herrlichen Hügelfahrt wendete sich die Kleine aufs Neue an das Kindermädchen mit der Frage: »Back-Kajsa, bist du nicht auch froh, dass du wieder mit mir allein bist? Bist du nicht froh, dass das Kind nicht mit ist?«

Aber auch jetzt kam keine Antwort, und als Selma sich verwundert umdrehte, um dem Kindermädchen ins Gesicht zu gucken, sah sie, dass Back-Kajsa aschfahl, mit starren Augen und zusammengepresstem Mund sich krampfhaft am Kutschbock festhielt.

»Back-Kajsa, bist du nicht froh?«, fragte die Kleine. Aber nein, Back-Kajsa war ganz und gar nicht froh, das sah Selma jetzt deutlich, und über diese Entdeckung wäre sie fast in Tränen ausgebrochen.

Doch jetzt gab Back-Kajsa endlich Antwort.

»Sei still, Selma! Man soll nicht sprechen, wenn man mitten in der Gefahr schwebt. So etwas Schreckliches hab’ ich noch nie erlebt, und nur um deinetwillen bin ich nicht schon lange ausgestiegen und heimgelaufen.«

Die Kleine saß ganz still und überlegte diese Antwort. Befriedigt war sie nicht. Wenn sie bei Back-Kajsa war, fürchtete sie sich nie. Und sie meinte, dann dürfe Back-Kajsa sich auch nicht fürchten, wenn sie bei ihr sei. Wenn sie nicht ausstieg und heimlief, so war das ja sehr schön; aber noch viel schöner wäre es gewesen, wenn sie sich so gefreut hätte, dass gar keine Furcht in ihr aufgekommen wäre.

In der Kajüte auf dem »Uddeholm«

Die Bewohner von Mårbacka waren noch immer auf der Reise. Aber jetzt saßen sie nicht mehr in der großen Kutsche, sondern nun waren sie an Bord eines schönen Dampfers, der Uddeholm hieß.

Den ganzen Tag hatten sie in Karlstad mit Verwandtschaftsbesuchen und Einkäufen zugebracht; aber gegen Abend waren sie aus der Stadt hinausgefahren, hatten eine gute Weile auf einer langen Brücke gestanden, die geradeaus in den schönen Vänersee hineinlief, und da gewartet. Back-Kajsa hatte auch gleich wieder Angst bekommen, weil der See in der einen Richtung vollständig ohne Ufer war und es ihr schien, als habe die Welt dort ein Ende. Höchst merkwürdig war das allerdings gewesen, nicht nur für Back-Kajsa, sondern auch für die anderen, als der schöne weiße Dampfer gerade aus dem Uferlosen aufgetaucht und auf die Brücke zugefahren war, um die Familie an Bord zu nehmen.

Als Back-Kajsa den Herrn Leutnant, seine Frau, Mamsell Lovisa und Johan und Anna ohne Zögern über den Landungssteg schreiten sah, da war sie auch mitgegangen. Sie traute dem Leutnant Lagerlöf wohl so viel Gewissen zu, dass er seine kleinen Kinder nicht absichtlich der Todesgefahr aussetzte. Aber wie es gehen sollte, wenn sie an die Stelle kamen, wo die Welt zu Ende war, das begriff sie jedenfalls nicht.

Sie wäre gern auf Deck geblieben, um zu sehen, ob das Wasser geradewegs in einen Abgrund stürze oder wohin es sonst floss; aber sobald es zu dämmern begann, waren die Damen und Kinder von Mårbacka gebeten worden, unter Deck zu gehen. Da waren sie in einen Raum geführt worden, den man eine Kajüte hieß. Das war der kleinste Raum, der ihnen je zu Gesicht gekommen war, und dort hatten sie sich für die Nacht eingerichtet.

Auf einem schmalen Sofa, das die eine Langwand einnahm, lag Frau Lagerlöf ganz angekleidet, und ihr gegenüber auf einem gleichen Sofa lag Mamsell Lovisa. Über Frau Lagerlöf, in einer Art von Regal, war Johan untergebracht, und in einem gleichen Regal über Mamsell Lovisa die kleine Anna. Auf dem Boden zwischen den beiden Sofas lag Back-Kajsa auf einer Wolldecke und neben ihr das kranke Mädchen; damit war aber auch der ganze Raum vollständig ausgefüllt. Kein noch so winziges Plätzchen war mehr übrig, wo man hätte sitzen, liegen oder stehen können.

Man hatte das Licht gelöscht, sich gute Nacht gewünscht und zum Schlafen niedergelegt; und eine gute Weile war auch alles ruhig und still geblieben.

Aber allmählich fing der Boden, auf dem Back-Kajsa und das Kind lagen, ganz sonderbar an, auf und ab zu schwanken, und die Kleine rollte wie ein Ball erst an Frau Lagerlöfs Sofa und dann wieder zurück zu Back-Kajsa. Das war ein Spaß und tat dem kleinen Mädchen nicht im Geringsten weh. Sie konnte nur nicht begreifen, warum der Boden nicht stille hielt.

Nach einer Weile hörte sie, wie ihre Mutter und Tante Lovisa miteinander flüsterten.

»Ich habe wohl zu viel von dem fetten Lachs bei Sjösteds gegessen«, sagte Frau Lagerlöf.

»Ja, ich hielt das gleich für ein sehr unverständiges Essen. Sie wussten doch, dass wir auf den Vänern gingen«, versetzte Mamsell Lovisa.

»Ja, der Vänern hat seine Tücke«, meinte Frau Lagerlöf mit einem Seufzer.

Auch Back-Kajsa fing an zu flüstern. »Sagen Sie doch, gnädige Frau, sind wir nun da angekommen, wo der See aufhört und das Wasser in den Abgrund stürzt?«

»Meine Liebe, der See nimmt die ganze Nacht noch kein Ende«, antwortete Frau Lagerlöf, die nicht verstand, was das Mädchen meinte.

Es blieb wieder still, aber nicht ruhig. Der Boden schaukelte auf und ab, und die Kleine rollte immer wieder hin und her. Nun strich Frau Lagerlöf ein Zündholz an und machte Licht. »Ich muss nachsehen, ob die Kinder sich an den Regalen festhalten können«, sagte sie.

»Gottlob, dass du Licht gemacht hast!«, rief Tante Lovisa. »Schlafen kann man ja keinesfalls.«

»Ach, gnädige Frau und Mamsell Lovisa, fühlen Sie denn nicht, dass es immer mehr abwärts geht?«, jammerte Back-Kajsa. »Ach, wie sollen wir aus solcher Tiefe wieder heraufkommen? Wie können wir jemals wieder heimkommen?«

»Was kann sie wohl meinen?«, fragte Mamsell Lovisa ihre Schwägerin.

»Sie sagt, wir seien an der äußersten Grenze angekommen«, antwortete Frau Lagerlöf, die ebenso wenig wie Mamsell Lovisa begriffen hatte, was Back-Kajsa meinte.

Wieder lagen alle still, jedes mit seinen Gedanken beschäftigt. Das kleine Mädchen hatte die Empfindung, dass sich die anderen fürchteten. Ihr selber ging es ganz ausgezeichnet; sie lag wie in einer großen Wiege.

Aber jetzt fasste jemand nach der Türklinke. Ein roter Vorhang wurde zur Seite geschoben, und Leutnant Lagerlöf stand lachend unter der Tür und schaute in die Kajüte hinein.

»Wie steht’s, Gustav? Gibt es Sturm?«, fragte Frau Lagerlöf hastig.

»So, ihr seid wach!«, sagte Leutnant Lagerlöf. »Ja, der Wind hat ein wenig aufgefrischt«, fuhr er in ruhigem Tone fort. »Der Kapitän meinte, ich sollte einmal heruntergehen und euch sagen, es werde nicht schlimmer, als es jetzt ist.«

»Was hast du im Sinn?«, fragte Tante Lovisa. »Willst du dich nicht auch hinlegen?«

»Ja, wo sollte ich denn liegen, Lovischen?«, versetzte Leutnant Lagerlöf.

Er hatte eine so gutmütige und treuherzige Art, als er sich jetzt in dieser überfüllten Kajüte nach einem etwaigen Liegeplatz umschaute, dass alle zusammen in helles Gelächter ausbrachen. Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa, die gerade noch so ängstlich und halb seekrank dagelegen hatten, mussten sich aufsetzen, um nach Herzenslust lachen zu können. Johan und Anna lachten oben in ihren Regalen, sodass sie herunterzufallen drohten; Back-Kajsa vergaß, dass sie nun bald an der Stelle sein mussten, wo der See zu Ende war, und lachte mit, und die Kleine neben ihr kugelte sich vor Lachen.

Leutnant Lagerlöf lachte selten, aber stand seelenvergnügt unter der Tür, denn hinein konnte er ja nicht kommen.

»Na, gefährlich sieht es nicht aus bei euch«, sagte er, als das Lachen sich legte. »Da will ich wieder hinaufgehen und mit dem Kapitän plaudern.«

Damit sagte er Gute Nacht und ging seines Weges.

In der Kajüte aber kehrte nun die Bangigkeit zurück und mit ihr die Anzeichen von Seekrankheit. Frau Lagerlöf machte wieder vergebliche Versuche, Back-Kajsa zu beruhigen, die fortwährend auf den Augenblick wartete, wo alle in einen Abgrund versinken würden. Das kleine Mädchen aber musste eingeschlafen sein, denn die weiteren Erlebnisse dieser Nacht kamen ihr nicht mehr zum Bewusstsein.

Im Laden des Goldschmieds

Jetzt waren wohl die größten Beschwerlichkeiten für die Reisenden überstanden. Sie brauchten nicht mehr zu fürchten, auf dem schlechten Weg nach Karlstad umgeworfen oder auf dem Vänersee seekrank zu werden, sondern nun waren sie glücklich in Göteborg angekommen. Jetzt war alles Ungemach vergessen, und bei dem schönen Sommerwetter waren sie ausgezogen, sich die Stadt anzusehen.

Als sie durch die Osthafenstraße wanderten, schritt Leutnant Lagerlöf voraus, den Stock in der Hand, den Hut im Nacken und die Brille auf der Nase. Hinter ihm kam Frau Lagerlöf mit Johan an der Hand, ihr folgte Mamsell Lovisa, die Anna führte, und den Schluss bildete Back-Kajsa mit Selma. Sie trug das Kind auf dem Arm, weil sie es nicht für passend hielt, es auf dem Rücken zu tragen, solange sie in der Stadt waren.

Leutnant Lagerlöf trug einen braunen Rock und einen hellen Strohhut. Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa prangten in weißen Panamahüten mit breiten, nickenden Rändern und in großen, echten, gewirkten Umschlagtüchern, die, ins Dreieck gelegt, ihre weiten schwarzseidenen Röcke und feinen Samttaillen mit weißem Einsatz sowie die weiten bauschigen Manschetten fast ganz bedeckten. Johan hatte einen Blusenanzug an aus schwarzem Samt und Anna ein steif gestärktes, blau getupftes Kattunkleidchen sowie Hut und Sonnenschirm und Krinoline. Selma trug das gleiche blau getupfte, steif gestärkte Kattunkleidchen, hatte aber keinen Hut, sondern einen zu Hause angefertigten weißen Helgoländer auf dem Kopf und weder Sonnenschirm noch Krinoline.

Während Leutnant Lagerlöf so dahinschritt, drehte er sich ab und zu um und betrachtete die Frauen und Kinder, die hinter ihm herkamen. Er nickte und lachte, und man konnte ihm wohl anmerken, wie er sich freute, sie bei sich zu haben.

»Hier ist noch keines von uns je gewesen«, sagte er, »nun wollen wir uns aber auch alles ansehen.«

Sie wanderten also die Straße entlang und betrachteten die Häuser und die Kanäle mit ihren Brückchen, die Wagen und die Spaziergänger, die Schilder und die Gaslaternen, aber am meisten interessierten sie doch die Schaufenster. Leutnant Lagerlöf drängte nicht vorwärts, im Gegenteil, alle miteinander sollten sich nach Herzenslust sattsehen und vergnügen. »Hier kennt uns niemand«, sagte er, »guckt nur, so lange es euch freut!«

In einem Modewarenschaufenster erblickte Mamsell Lovisa einen Hut, der mit weißem Schwanenpelz und zartroten Rosenknospen ausgeputzt war, und da blieb sie mit Anna an der Hand wie gebannt stehen; daher mussten auch Leutnant Lagerlöf und Frau Lagerlöf und Johan und Back-Kajsa mit Selma auf dem Arm vor dem Schwanenpelzhut stehen bleiben. Mamsell Lovisa dachte nicht an die anderen, sie stand wie verzaubert da, und Leutnant Lagerlöf freute sich, sie so hingerissen zu sehen. Aber schließlich ging ihm doch die Geduld aus.

»Du hast doch wohl nicht die Absicht, dir diesen Hut anzuschaffen, Lovisa?«, sagte er. »Weißt du, der passt besser für eine Siebzehnjährige.«

»Es kann doch auch einer Alten Freude machen, etwas Schönes zu sehen«, versetzte Tante Lovisa, die schon die erste Jugendblüte hinter sich hatte, obwohl sie noch schön und stattlich war.

Aber als sie sich von dem Schwanenpelzhut losgerissen hatten, kamen sie an einen Juwelierladen, und nun war es Leutnant Lagerlöf, der stehen blieb. Als er eine Weile die Ringe und Armbänder und die silbernen Löffel und Becher und alles Übrige, was ausgelegt war, betrachtet hatte, fing er vor lauter Entzücken leise zu fluchen an.

»Hier gehen wir hinein«, sagte er.

»Aber Gustav«, mahnte Frau Lagerlöf, »wir kaufen doch jetzt keine solchen Sachen.«

Sie legte die Hand auf seinen Arm und wollte ihn zurückhalten; aber er hatte schon eine große Glastür geöffnet und war eben im Begriff, in den Laden einzutreten. Und da blieb den anderen auch nichts weiter übrig, als ihm zu folgen, Frau Lagerlöf mit Johan, Mamsell Lovisa mit Anna und Back-Kajsa mit Selma auf dem Arm.

Als sie eintraten, stand Leutnant Lagerlöf schon vor dem Ladentisch und sprach mit einem jungen Verkäufer.

»Nein, kaufen will ich nichts«, sagte er, »aber im Schaufenster liegen so viele schöne Sachen, und da konnte ich der Lust nicht widerstehen, hereinzukommen und zu bitten, auch die anderen schönen Sachen, die Sie noch hier haben, sehen zu dürfen.«

Der junge Mann, mit dem er sprach, sah etwas betreten aus und wusste nicht, was er erwidern sollte. Und Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa hatten beide die Hände auf des Leutnants Schultern gelegt und versuchten, ihn wieder mit sich auf die Straße zu ziehen.

Da kam der Besitzer des Ladens selber aus dem Ladenstübchen. Er hatte wohl gehört, dass mehrere Leute in seinen Laden eingetreten waren, und dachte, er könne ein gutes Geschäft machen. Er stellte sich neben den jungen Verkäufer, legte die flachen Hände auf den Tisch und sagte einladend:

»Was steht zu Diensten?«

Leutnant Lagerlöf erklärte noch einmal, was er wünschte. Er fragte, ob er sich die schönen Sachen ansehen dürfe, die ringsum stünden, obgleich er nicht in der Lage sei, etwas zu kaufen.

Der Goldschmied drehte den Kopf ein wenig und sah schräg an dem Leutnant hinauf.

»Der Herr ist gewiss ein Värmländer?«, fragte er.

»Potztausend noch einmal, was sollte ich denn sonst sein!«, versetzte Leutnant Lagerlöf. »Natürlich bin ich ein Värmländer.«

Da fingen alle an zu lachen, alle miteinander, die in dem großen Laden standen. Alle Verkäufer und Kontoristen versammelten sich lachend um Leutnant Lagerlöf, und aus einem inneren Zimmer trat eine fein gekleidete Dame, die Frau des Goldschmieds, und wollte auch hören, was es Lustiges im Laden gebe.

Aber Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa Lagerlöf waren in der größten Verlegenheit, lieber wären sie wieder voll Angst und Beben in der Kutsche gesessen oder hätten sich im Sturm auf dem Vänersee schaukeln lassen, als hier in dem vornehmen Laden zu stehen. Und so versuchten sie aufs Neue, den Leutnant aus dem Laden herauszubringen.

»Komm doch, Gustav!«, baten sie. »Lass uns doch um Gottes willen gehen!«

»Nein, nein«, sagte der Goldschmied in liebenswürdigstem Ton, »bleiben Sie, bleiben Sie! Wir bitten, Ihnen alles zeigen zu dürfen, was wir haben.«

Er gab dem Verkäufer Anweisungen; und da wurden Schränke geöffnet und Leitern erklettert und herabgeholt, was auf den oberen Regalen stand. Bald war der große Ladentisch bedeckt mit Gold- und Silbersachen. Der Goldschmied und seine Frau suchten eifrig aus, was besonders beachtenswert war, zeigten es ihren Besuchern und berichteten dabei, wozu die einzelnen Sachen dienten und wie sie gearbeitet waren.

Leutnant Lagerlöf putzte seine Brille mit seinem seidenen Taschentuch, um besser sehen zu können. Er bestaunte und bewunderte, nahm schwere silberne Kannen in die Hand und betrachtete ihre Verzierungen.

»Siehst du, Lovisa«, sagte er, »hier ist es noch viel großartiger als in der Propstei zu Sunne!«

Ein andermal hielt er Back-Kajsa eine silberne Schale vor die Augen und rief: »Der Riese im Åsberg speist sicherlich nicht auf feinerem Geschirr, Kajsa!«

Alle Verkäufer kicherten und lächelten und machten sich über die Fremden lustig. Der Goldschmied und seine Frau waren ebenfalls munter und vergnügt, aber auf andere Weise. Sie waren freundlich, und Leutnant Lagerlöf gefiel ihnen offenbar sehr gut. Es dauerte nicht lange, da wussten sie, wer er war und wer die waren, die er bei sich hatte, und dass er nach Strömstad wollte, um dort Heilung für sein Kind zu suchen, das ein Hüftleiden hatte und nicht gehen konnte.

Als Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa merkten, wie gut alles ablief, beruhigten sie sich und halfen bewundern. Frau Lagerlöf war voll Freude, als sie an silbernen Löffeln dasselbe alte Muster sah, das sie in ihrem Elternhause gehabt hatten, und Mamsell Lovisa war jetzt von einer Zuckerdose ebenso begeistert wie vorhin von dem Schwanenpelzhut.

Als sie sich endlich sattgesehen hatten und Abschied nahmen, war es gerade, als schieden sie von alten Freunden. Der Goldschmied und seine Frau und alle Verkäufer begleiteten sie bis auf die Straße hinaus; die Vorübergehenden glaubten sicherlich, hier seien Einkäufe von viel tausend Kronen gemacht worden.

»Ja, und nun bitte ich Sie noch vielmals um Entschuldigung«, sagte Leutnant Lagerlöf, als er die Hand zum Abschied ausstreckte.

»Keine Ursache, Herr Leutnant«, erwiderte der Goldschmied.

»Wir haben Ihnen so viel Mühe gemacht«, warf Frau Lagerlöf in entschuldigendem Ton ein.

»Sie haben uns eine sehr angenehme Stunde bereitet«, sagte der Goldschmied. »Lassen Sie es sich ja nicht gereuen. Man darf doch auch einmal etwas zu seinem Vergnügen tun, wenn man auch im Laden stehen muss.«

Als Leutnant Lagerlöf nun den Weg durch die Osthafenstraße fortsetzte, saß ihm der Hut noch tiefer im Nacken als gewöhnlich. Er schwang seinen Stock und war sichtlich stolz auf sein Abenteuer.

Aber Frau Lagerlöf sagte leise zu Mamsell Lovisa: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie bange ich war, denn ich glaubte gewiss, wir würden hinausgeworfen werden.«

»Ja, ein anderer als Gustav hätte das auch nicht fertiggebracht«, erwiderte Mamsell Lovisa. »Aber er ist eben ganz und gar unwiderstehlich.«

Holmen Grå