Alt, Franz Die Sonne schickt uns keine Rechnung

PIPER

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Für Caren und Chris und für die Zukunft aller Kinder

Unter Mitarbeit von Brigitte Alt

Aktualisierte Neuausgabe

ISBN 978-3-492-97577-3

Mai 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 1994, 2009

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: ullstein bild

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Ich kann freilich nicht sagen,

ob es besser werden wird,

wenn es anders wäre,

aber so viel kann ich sagen,

es muss anders werden,

wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg

VORWORT ZUR AKTUALISIERTEN NEUAUSGABE 2009

Deutschland ist erneuerbar – die Welt ist erneuerbar

In der Woche, in der ich die letzten Zeilen für dieses Buch schreibe (Ende Mai 2009), veröffentlicht die Landesbank Baden-Württemberg eine Studie, die vorhersagt, dass Solarstrom bald die preiswerteste Stromquelle sein wird. Noch vor wenigen Jahren haben uns dieselben Banker erzählt, Ökostrom sei unbezahlbar. Doch die Massenproduktion von Solarzellen schafft den Durchbruch beim Preis. 2008 war der Solarstromanteil beinahe um 100 Prozent gewachsen, 2009 werde es noch mehr Wachstum geben. Schon 2012 kann der Solarstrom vom Dach in Deutschland billiger sein als der Strom aus der Steckdose. Als 1994 die erste Auflage dieses Buches erschien, hatte auch ich diese rasante Entwicklung nicht zu träumen gewagt. Wir leben im Zeitalter des bisher Undenkbaren. Zukunft entsteht immer aus Krise.

Ist auch die 100 Prozent solare Energiewende möglich? Und bis wann? Barack Obama hat diese Frage bei seiner Inaugurationsrede im Februar 2009 so beantwortet:

»Wir werden die Sonne, den Wind und die Erde nutzbar machen, um unsere Autos zu betanken und unsere Fabriken zu betreiben… Nun gibt es auch solche, die das Ausmaß unserer Ambitionen infrage stellen – die behaupten, dass unser System nicht zu viele große Pläne verträgt. Ihr Erinnerungsvermögen ist kurz. Denn sie haben vergessen, was dieses Land bereits vollbracht hat, was alle Männer und Frauen erreichen können, wenn Vorstellungskraft und der gemeinsame Zweck sich einen und sich Erfordernisse und Courage gesellen. Was die Zyniker nicht verstehen, ist, dass die abgestandenen politischen Argumente, die uns so lange ausgezehrt haben, heute nicht mehr wirksam sind.«

Kurz vor dieser Rede hat der frühere US-Vizepräsident Al Gore einen Plan vorgelegt, wonach die USA ihren gesamten Stromverbrauch bis 2020 aus erneuerbaren Energiequellen produzieren können. Im Wahlkampf 2008 haben sowohl Obama, aber auch sein Gegenspieler McCain dem Plan von Al Gore zugestimmt und gesagt, dass bei entsprechendem politischen Willen dieses ehrgeizige Ziel erreichbar sei.

Kaum war Barack Obama im Amt, hat er bereits die Weichen für ein gerechteres und grünes Amerika gestellt: Die Reichen sollen mehr Steuern bezahlen, und Klimaschutz erklärte er zur Chefsache. Bis 2020 sollen die USA ihren CO2-Ausstoß um 14 Prozent und bis 2050 gar um 85 Prozent senken.

Und die Wirtschaftskrise? Muss jetzt nicht die Wirtschaft Priorität haben und der Klimaschutz auf bessere Zeiten warten, wie viele deutsche Bedenkenträger es fordern? Ganz anders das neue Obama-Team im Weißen Haus: »Es wäre eine Schande, eine solche Krise nicht zu nutzen«, erklärte Obamas Stabschef Rahm Emanuel. Obama spricht von einer Chance für ein grünes Amerika, die sich nur einmal in einer Generation biete. Ähnlich wie in der EU sollen künftig auch in den USA die Emissionsrechte versteigert werden. Die neue US-Regierung will damit 650 Milliarden Dollar einnehmen und damit vor allem in die Entwicklung erneuerbarer Energien investieren.

Nach den ersten Monaten Amtszeit des neuen US-Präsidenten drängt sich der Eindruck geradezu auf: Yes, he can! Er wird der Architekt eines neuen Amerika werden.

Gerade die Krise ist seine Chance. Ohne Krise wäre er kaum Präsident geworden. Vielleicht ist es George W. Bushs größte Leistung, Obama als Präsident ermöglicht zu haben.

Ich zeige in diesem Buch, dass in Deutschland und Europa in den nächsten 30 Jahren der hundertprozentige Umstieg des Gesamtenergieverbrauchs auf Energie aus Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Erdwärme und Wellenenergie möglich ist – ebenfalls bei entsprechendem politischen Willen.

Die deutschen Zyniker und Bedenkenträger, die das alles für unmöglich halten, seien an den Bau der Eisenbahnen im 19.Jahrhundert erinnert. Auch damals hatten die Bedenkenträger ähnliche Einwände wie heute die Vertreter und Anhänger der alten Energiewirtschaft. Sie wurden widerlegt. Auch diejenigen, die heute noch meinen, zu 100 Prozent Erneuerbare Energie in einer Generation sei unmöglich, können widerlegt werden. Zwei Jahrzehnte lang hat die alte Energiewirtschaft die Ökoenergien verhöhnt und mit unsäglichen Argumenten bekämpft. Vor 15 Jahren noch las ich in ganzseitigen Zeitungsanzeigen: »Die fangen den Wind ein und melken die Sonne? Wer solchen Beschäftigungen nachgeht, der fängt sich auch Witze ein.« Jeder blamiert sich, so gut er kann. Die Geschichte der Erneuerbaren Energien ist eine Geschichte der Fehleinschätzungen der Erneuerbaren durch die fossil-atomare Energiewirtschaft. Inzwischen ist den Vertretern der alten Energieträger das Lachen über die Erneuerbaren vergangen.

Dieses Buch will zeigen, dass und wie wir das solare Zeitalter organisieren und wie wir uns von den immer größer werdenden Lasten des atomar-fossilen Zeitalters verabschieden können.

Angela Merkel sagt zu Recht: »Energie- und Klimapolitik – das ist die Überlebensfrage der Menschheit im 21. Jahrhundert.« Und Horst Köhler meinte bei der Eröffnung der Hannover-Industriemesse 2009: »Klimaschutz, Energieeffizienz und Energiesparen sind die wichtigsten Aufgaben der modernen Industriegesellschaften.« Nur wenige Tage später sagte Englands Prinz Charles: »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn wir unseren Kindern eine Welt hinterlassen wollen, die für sie zum Leben taugt.« Und entschieden wandte sich der Prinz dagegen, wegen der Wirtschaftskrise den Klimawandel zu vernachlässigen: »Unseren Enkeln wird es gleichgültig sein, ob wir am Anfang des 21. Jahrhunderts einige Prozent weniger Wachstum hatten. Was sie viel mehr interessieren wird, ist der Zustand des Klimas unserer Erde.«

Ich füge hinzu: Nur mit neuen solaren, preiswerten und umweltverträglichen Technologien können wir die aktuelle Wirtschaftskrise überwinden.

Was ist der Unterschied zwischen der jetzigen Wirtschaftskrise und der Klimakrise? Die Finanzkrise wird in zwei bis drei Jahren überwunden sein. Aber die Klimakrise ist ein Problem für Tausende Jahre – sagen die Klimaforscher –, und sie kann die Erde sogar unbewohnbar machen, wenn wir sie nicht endlich mit größerem Ernst und mit mehr politischer, technologischer, ökonomischer und persönlicher Energie angehen als bisher.

Während ich diese Zeilen schreibe, gibt die Industrie- und Handelskammer Oldenburg bekannt, dass im Frühjahr 2009 die 500000 Menschen in Ostfriesland ihren Strom bereits zu 96 Prozent ökologisch produzieren. Mehrere deutsche Stadtwerke – zum Beispiel Kassel, Tübingen und Nürnberg – versorgen ihre Privatkunden schon heute zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Das Bundesland Sachsen-Anhalt gewinnt 2009 bereits 36 Prozent seines Stroms aus Windkraft, und Dutzende Kommunen sind in Deutschland bereits zu 100 Prozent auf Erneuerbare Energien umgestiegen. Sechs bayerische Landkreise haben beschlossen, dieses Ziel bis 2030 erreichen zu wollen. Deutschland ist bereits auf einem guten Weg. Allein 2008 hat die Solarbranche weltweit ihre Produktion verdoppeln können – und hat für 2009 das Gleiche geplant. Und dank Obama läuft die Entwicklung in den USA ähnlich, aber auch in Südkorea, Japan, China, Indien, Italien, Portugal und Griechenland boomt die Solarbranche. Das Gleiche gilt für die Windenergie in Indien, China, Dänemark, Deutschland und in den USA.

Deutschland ist erneuerbar – so wie jedes Land der Welt zu 100 Prozent seine eigene Energie produzieren kann – Europa ist erneuerbar, die Welt ist erneuerbar! Eigentlich gibt es gar keine Energiekrise – es gibt nur falsches Energieverhalten – und das können wir ändern. Die Sonne schickt uns jeden Augenblick 10000-mal mehr Energie, als zurzeit alle Menschen verbrauchen. Der Klimawandel kann noch gestoppt werden.

Aber auch ohne Klimawandel müssten wir den Umstieg auf Erneuerbare Energien organisieren, denn sämtliche heutigen Energieträger – Kohle, Gas, Öl und Uran – gehen in den nächsten Jahrzehnten zu Ende. Im November 2008 schätzte die Internationale Energieagentur, dass die Förderung auf den bekannten Ölfeldern jährlich und weltweit um 6,7 Prozent zurückgehen wird, und das wirtschaftsnahe Ludwig-Bölkow-Institut schätzt, dass die Ölförderung 2009 global ihren Höhepunkt überschreitet und danach Jahr um Jahr zurückgehen wird.

Grafik 1 zeigt aber zugleich, dass die Nachfrage nach Öl – hauptsächlich durch die wirtschaftliche Dynamik Indiens und Chinas – steigen wird. Das heißt: Öl wird knapper und deshalb immer teurer. Die steigenden Öl-, Benzin- und Gaspreise könnten die entscheidende Ursache für die nächste Weltwirtschaftskrise sein. Schon in wenigen Jahren könnte der Ölpreis pro Barrel bei 200 US-Dollar und mehr liegen, im Frühsommer 2009 liegt er bei etwa 60 Dollar. Doch zum Glück haben wir preiswerte, umweltfreundliche und unerschöpfliche Alternativen.

Deutschland kann sich zu 100 Prozent mit Erneuerbaren Energien aus dem eigenen Land versorgen. Dazu müssen lediglich Techniken weiter ausgebaut werden, die bereits bekannt sind und sich weltweit tausendfach bewährt haben. Wir müssen allerdings Änderungen in der Organisation der Energieversorgung vornehmen und noch lernen, Sonnenstrom und Windstrom zu speichern. Aber auch dafür sind bereits Technologien bekannt. Ich werde sie aufzeigen.

Außerdem müssen die politischen Rahmenbedingungen Anreize dafür liefern, dass Menschen in Erneuerbare-Energie-Technologien investieren. Die heute noch zentralisierte Energieversorgung über Großkraftwerke kann auf klimafreundliche und sichere dezentrale Energieversorgung umgestellt werden. Im Jahr 2007 wurden weltweit bereits 100 Milliarden Dollar in Erneuerbare Energien investiert. 2012 werden es wahrscheinlich bereits 800 Milliarden sein. Im Zusammenwirken vieler Maßnahmen könnte die Energieversorgung in Deutschland 2030 oder 2040 so aussehen:

In diesem Buch beschreibe ich, dass und wie die solare Energiewende in den nächsten Jahrzehnten möglich ist.

I. IST DIE ENERGIEWENDE MÖGLICH?

Das verlorene Gleichgewicht

Alexander der Große gewährte im 4. vorchristlichen Jahrhundert dem griechischen Philosophen Diogenes einen Wunsch. Dieser wünschte sich daraufhin von seinem König lediglich: »Geh mir aus der Sonne.«

Auch die heute Regierenden stehen uns noch direkt vor der Sonne. Sie sind abhängig von Kohle-, Atom- und Ölinteressen. George W. Bush war so abhängig von der Ölindustrie wie die meisten Politiker in Frankreich von der Atomlobby oder in Deutschland SPD-Politiker von der Kohlelobby und konservative Politiker von der Atomlobby. Verfilzt und zugenäht! Nicht nur die US-Energiepolitik ist unverantwortlich. Auch wir Deutsche und alle Westeuropäer verbrauchen noch überwiegend Energie aus den alten atomar-fossilen Quellen. Wir führen zwar selbst keine Kriege um Öl, aber wir lassen sie für uns führen, solange wir Zehn-Liter-Autos fahren und Erdöl zum Heizen verbrennen. Würden im Irak nur Bananen wachsen, wäre dort kein einziger amerikanischer Soldat. Dabei haben die USA, aber auch Europa unendlich viel eigene, heimische, erneuerbare Energie.

Die Hauptprobleme für die solare Energiewende sind:

Die Energiefrage wird zur Schlüsselfrage der Zukunftsfähigkeit moderner Industriestaaten mit ihrem beinahe unendlichen Energiehunger. Ohne erneuerbare Energiequellen gibt es keinen wirklichen ökonomischen Fortschritt, keine gesunde Umwelt, kein menschenverträgliches Klima, keine Vollbeschäftigung und keine größere Gerechtigkeit zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten – und niemals Frieden. Denn die Kriege des 21.Jahrhunderts werden primär Kriege um die zur Neige gehenden Energieressourcen sein. Der Golfkrieg von Präsident Bush senior und der Irakkrieg von Präsident Bush junior waren lediglich harmlose Vorboten künftiger Ressourcenkriege.

Der Weltenergierat in Paris schätzt, dass in etwa 35 Jahren das Erdöl weltweit verbraucht sein wird, in etwa 40 Jahren das Erdgas, in 50 Jahren das Uran, mit dessen Hilfe heute noch über 400 Atomkraftwerke betrieben werden, und in etwa 120 Jahren die Kohle.

Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Erdwärme und solarer Wasserstoff dagegen stehen uns »ewig« zur Verfügung. Die Sonne scheint noch etwa 4,5 Milliarden Jahre. Das Solarzeitalter wird kommen. Je früher, desto besser.

Im Frühjahr 1992 haben wir zwei Solaranlagen auf unserem Hausdach in Baden-Baden installiert: eine thermische, die unser Brauchwasser wärmt, und eine photovoltaische, die mithilfe des Sonnenlichts Strom produziert. Ich kann allen Leserinnen und Lesern dieses Buches versichern: Wir haben von der Sonne noch nie eine Rechnung bekommen. Ganz im Gegenteil: Wir schreiben selbst Rechnungen an den alten Energieversorger, der gesetzlich verpflichtet ist, uns unseren Solarstrom abzukaufen. Das ist meine späte Rache an der deutschen Atomwirtschaft.

Der große ökonomische Vorteil der ökologischen Energieversorgung ist, dass es den Stoff aus Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme umsonst gibt. Die permanenten Benzinpreis- und Erdölpreiserhöhungen jucken mich nicht mehr. Die Sonne schickt uns keine Rechnung.

Heute verbrauchen 6,7 Milliarden Menschen an einem Tag so viel Kohle, Gas und Öl, wie die Natur in 500000 Tagen Kohle, Gas und Öl angesammelt hat. Wir verhalten uns ganz eindeutig gegen die Gesetze nachhaltigen Wirtschaftens. So verbrennen wir die Zukunft unserer Kinder. Mit diesem Energieverhalten haben wir jeden Brutinstinkt verloren.

Ist die Energiewende möglich? Auf diese Frage suche ich mit diesem Buch eine Antwort. Von ihrer Antwort hängt das Überleben der Menschheit ab. Viele Anregungen verdanke ich Hermann Scheer, dem Präsidenten der gemeinnützigen Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar. Seine Bücher »Sonnenstrategie – Politik ohne Alternative«, »Solare Weltwirtschaft – Strategie für die ökologische Moderne« und »Energieautonomie« waren für mich die wichtigsten politischen Bücher der letzten Jahre. Mit diesem Buch möchte ich den Versuch machen, die Energiefrage ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen zu hieven.

Die Klimakatastrophe ist da

Allein der heiße Sommer 2003 hat eine ähnlich schreckliche Spur der Verwüstung hinterlassen wie das Hochwasser einen Sommer zuvor in Ostdeutschland: verdorrte Felder, verbrannte Wälder, verdurstetes Vieh. In Frankreich erlagen über 18000 Menschen dem Hitzetod, in ganz Westeuropa waren es etwa 60000. Nach allem, was wir heute über die Zukunft wissen, sind die heutigen Schreckensmeldungen nur die Vorboten künftiger Katastrophen. Die Klimaveränderung ist bereits Realität. Hitzesommer werden in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts zur Normalität gehören.

100000 Generationen haben vor uns gelebt. Doch die heute lebenden Menschen sind die ersten in der Geschichte, die wissen, dass sie zu den letzten gehören können. Die Frage aller Fragen – und die Frage dieses Buches – lautet: Wie finden wir das verloren gegangene Gleichgewicht wieder?

Wahrscheinlich sind die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren wegen einer kleinen Klimaveränderung nach einem Kometeneinschlag ausgestorben. Auch für die Menschheit hat das Dinosaurier-Zeitalter begonnen: Wir heizen unseren Planeten auf wie ein Treibhaus. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt unser Interesse an den ausgestorbenen Dinosauriern weltweit eine Renaissance erfährt.

Grafik 2 zeigt, dass in den letzten 450000 Jahren die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre relativ stabil blieb. Sie betrug immer zwischen 170 und 290 Teilen Kohlenstoff pro Million Teilen Luft. Nur in den letzten 200 Jahren, also seit wir fossile Rohstoffe in immer größerem Ausmaß verbrennen, ist der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre auf über 370 Teile pro Million gestiegen und wird sich ohne Energiewende noch weiter erhöhen. Die wärmsten 24 Jahre seit den 1866 begonnenen Temperaturaufzeichnungen lagen alle in der Zeit nach 1975. Die Fieberkurve der Erde steigt.

Der bekannte Klimaforscher Mojib Latif, Professor am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel, fasst die Erkenntnisse aus der Kurve so zusammen: »In den letzten 450000 Jahren war der CO2-Gehalt der Atmosphäre nie höher als 300 ppm (parts per million). Derzeit haben wir aber 380 ppm. Die letzten Werte vor der Industrialisierung lagen bei 280 ppm. Für die Differenz gibt es keine andere Erklärung als den menschlichen Einfluss.«

Am Tag, an dem Sie dieses Buch lesen, produzieren wir weltweit 100 Millionen Tonnen Treibhausgase durch das Verbrennen fossiler Rohstoffe. Das ist mindestens das Fünffache dessen, was der Planet aushalten kann. Doch wohin wollen wir gehen, wenn wir unseren Heimatplaneten ruiniert haben? Wir haben nur diesen einen Planeten.

Die Zerstörung geht so lange weiter, bis wir eine grundsätzlich andere Energiepolitik betreiben. Die Verlierer unserer heutigen Energiepolitik sind hauptsächlich unsere Kinder und Kindeskinder, denn ihre Umwelt, aber auch ihre Innenwelt, wird zerstört. Wenn wir nicht umkehren, verlieren sie die wichtigste Zukunftsressource überhaupt: die Hoffnung.

Was stellen wir mit unserer falschen Energiepolitik an?

Wie lange kann dies noch gutgehen?

Meine negative Vision: Wir sägen selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen. In dieser Situation ist sicher eine gewisse Angst angebracht. Nicht angebracht ist es allerdings, aus lauter Angst die möglichen Rettungschancen zu ignorieren.

Meine positive Vision: Mit einem Bruchteil des Aufwandes, den es beispielsweise gekostet hat, einen Menschen auf den Mond zu schicken, wird einem Industrieland wie Deutschland, Japan oder Taiwan auch der Durchbruch zur Sonnenenergiewirtschaft gelingen. Damit haben wir endlich eine Basis zur Lösung der Umwelt- und Klimakatastrophe. Wenn Deutschland als erstes Industrieland in großem Umfang die Sonne anzapft, wird dieses Vorbild weltweit Nachahmer finden. Das heißt: Die deutsche Wirtschaft und die deutschen Arbeitnehmer brauchen sich um das 21. Jahrhundert nicht zu sorgen.

Aber noch ist alles anders. In Australien, Südchile und Südargentinien werden die Eltern aufgefordert, ihre Kinder nicht länger als 13 Minuten am Tag ins Freie zu lassen – die ausgedünnte Ozonschicht über der südlichen Erdhälfte führt schon heute zu Krebs, Augen-, Haut- und Atemwegserkrankungen. Man kann sich ausrechnen, was das »Ozonloch« in wenigen Jahren auch über der nördlichen Erdhalbkugel anrichten wird. Einige Wissenschaftler prognostizieren zwar, dass das »Ozonloch« langsamer wächst, seit 1987 durch die Konvention von Montreal die FCKW-Produktion verboten wurde. Aber trotzdem werden uns die UV-Strahlen der Sonne noch mindestens 20 bis 40 Jahre lang große gesundheitliche Probleme bereiten. Millionen Menschen werden jedes Jahr an Hautkrebs erkranken. Kürzlich erfuhr ich bei einer Vortragsreise durch Australien, dass allein dort jedes Jahr 140000 Menschen neu Hautkrebs bekommen.

Weltweit sterben die Korallen

Im Korallendreieck Australien, Indonesien, Papua-Neuguinea werden durch das Korallensterben 100 Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage, den Reichtum des Meeres, verlieren. »Das dramatische Korallensterben ist der deutlichste Indikator für den von Menschen gemachten Klimawandel«, sagte Klaus Töpfer schon 1997 in meiner Fernsehsendung »Querdenker«. Im Mai 2009 publizierten der WWF und die University of Queensland eine Studie, wonach Ende des 21. Jahrhunderts weltweit sämtliche Korallen abgestorben sein werden. In den vergangenen 40 Jahren sind durch den Klimawandel bereits 40 Prozent der Korallen verschwunden.

Wenn die Riffe verschwinden, gehen nicht nur die faszinierende Unterwasserwelt und das älteste und größte Ökosystem auf unserer Erde verloren. Millionen Menschen werden dann keine Nahrungsmittel mehr aus dem Meer entnehmen können. Denn für viele Fische sind die Algen, die auf der Oberfläche der Kalkskelette wachsen, die wichtigste Nahrungsquelle. Massenhaftes Algensterben heißt massenhaftes Fischsterben und Hunger für viele Menschen an den Küsten.

»Millionen Menschen werden die Küstengebiete verlassen müssen«, schreiben die Autoren der Studie. »Wer bleibt, hat mit Nahrungsmangel und Versalzung des Trinkwassers zu kämpfen… Die Kindersterblichkeit wird steigen.« Auf der Suche nach Nahrung und Einkommen werden die Menschen in die Städte fliehen und verelenden. Soziale Unruhen können die Folgen sein. Die UNO schätzt, dass bis 2020 über 200 Millionen Umweltflüchtlinge über unseren Globus irren werden. Wenn wir aber die Energiewende schaffen, so die Wissenschaftler, könnten sich die Korallenriffe bis 2050 wieder erholt haben. Voraussetzung ist freilich, dass die Treibhausgase bis zur Mitte des Jahrhunderts – gemessen an 1990 – um 80 Prozent gesenkt werden.

Die Tier- und Pflanzenarten sterben zurzeit etwa 1000-mal schneller aus als noch vor 200 Jahren. Und jede Minute holzen wir Wald von der Größe zweier Fußballfelder ab. Wie wollen wir das je verantworten? Jammern hilft überhaupt nicht. Wir müssen anders handeln. Es ist einfach nicht wahr, dass wir keine Alternativen zu den heutigen umweltzerstörenden Energiequellen haben. Wahr ist nur, dass es Widerstand gegen die Alternativen gibt, und zwar hauptsächlich aus kurzfristigen ökonomischen Gründen. Wieder einmal geht es um einen Ausweg aus unserer »selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie Immanuel Kant vor 200 Jahren die Aufklärung definierte. Die drohenden Ökokatastrophen sind nicht gottgewollt, sondern menschengemacht. Und Gott gab uns den Verstand, die selbstgemachten Probleme auch zu lösen.

Die selbst verschuldete Unmündigkeit

Herbert Gruhl, der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und spätere Gründer der Ökologisch-Demokratischen Partei, kam kurz vor seinem Tod zu dem Schluss: »Ende der Menschheit«. Der Psychiater und Wissenschaftspublizist Hoimar von Ditfurth gab der Menschheit noch eine Überlebenschance von etwa fünf Generationen. Der Ökologe Carl Amery meinte, das Überleben der Menschheit erfordere »die raschestmögliche Zerstörung des Industriesystems, und zwar um jeden Preis«. Ich halte es für eine zusätzliche Katastrophe, dass nur wenige scharfsinnige Analytiker über das Beschreiben der Krise hinausgehen.

Auch ich habe in den 20 Jahren, in denen ich das politische Fernsehmagazin »Report« leitete, hauptsächlich auf Katastrophen und Skandale hingewiesen und nur selten Alternativen aufgezeigt. Heute allerdings weiß ich: Es reicht nicht, Nein zu sagen. »Atomkraft – nein danke« ist noch keine konstruktive Politik. Es ist an der Zeit, nicht nur die katastrophalen Auswirkungen der alten Zerstörungsenergien Atom, Kohle, Gas und Öl aufzuzeigen, sondern zugleich Wege aus der Krise zu suchen und zu weisen. Eine moderne und politisch effektive Umweltbewegung kann und muss im 21.Jahrhundert mit eigenen programmatischen Vorschlägen die Energiewende zum wichtigsten politischen Wahlkampfthema machen. So steigt der politische Einfluss der Umweltbewegung, denn 70 bis 90 Prozent aller Umweltprobleme sind Energieprobleme.

Mit diesem Buch lesen Sie gegen die zweitstärkste Macht der Welt an: gegen die weltweiten Interessen der heutigen Energiewirtschaft. Dazu gehören die Ölscheichs, die Atomlobby, die Kohlepolitiker, die Gasinteressen ebenso wie die globale Autoindustrie und die Politiker in den Aufsichtsräten der Energieversorgungsunternehmen.

Der Golfkrieg 1991 und der Irakkrieg ab 2003 haben gezeigt, welche Macht und Gewalt hinter diesem Energiekomplex stehen. Er beherrscht die Welt, kann militärische Konflikte wie den Golfkrieg inszenieren, Milliardensubventionen organisieren und eine Expertenelite großziehen. Die oft gestellte Frage, warum die Zerstörung der Umwelt nicht gestoppt wird, ist leicht zu beantworten: An der Zerstörung unserer Umwelt wird sehr viel Geld verdient. Die in diesem Buch geforderte und aufgezeigte Energiewende meint mehr als herkömmlichen Umweltschutz, sie bedeutet eine andere Außen-, Sozial-, Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Entwicklungspolitik. Die Energiewende erfordert eine Reformpolitik, die künftig auch von unten mit Volksbegehren und Volksentscheiden durchgesetzt werden kann.

Die geballte Macht des Energiekomplexes schien unbesiegbar, seit es der US-Energiewirtschaft gelungen ist, George W. Bush zum Präsidenten zu machen. Es gibt nur eine Kraft, die stärker wäre: der Überlebenswille der Menschheit im Angesicht des Abgrunds. Unsere eigentliche Ohnmacht ist, dass wir uns die Macht des Volkes nicht zutrauen. Ganz anders Barack Obama und seine zwei Millionen jugendlichen Wahlhelfer. Wir in Europa sind noch keine aktiven Demokraten, sondern verstehen uns eher als Mitglieder einer passiven Zuschauerdemokratie. Immer wieder höre ich bei meinen vielen Vorträgen weltweit das hilflose Argument: »Was kann ich kleiner Mann oder ich kleine Frau denn schon ändern? Allein bin ich doch viel zu schwach!« Mich machen solche Argumente wütend. Es gibt keine »kleinen« Menschen, sondern nur Menschen, die sich kleinmachen oder kleinmachen lassen. Als Kinder Gottes sind wir alle zu Großem berufen, auch dazu, die Welt zu verändern und zu verbessern, indem wir uns verändern und verbessern. Wir alle sind von Natur aus lernfähig – bis zum letzten Atemzug.

Das Kraftwerk Sonne

Am Tag, an dem Sie dieses Buch lesen,

Theoretisch würde also die direkte Sonnenenergie oder die indirekte über Wind, Wasser und Biomasse bei Weitem ausreichen, um den Energiehunger von bald 6,5 Milliarden Menschen zu stillen. Die Arbeitsgruppe »Sonnenenergie für Umwelt und Entwicklung« der Vereinten Nationen hat festgestellt: »Es gilt als gesichert, dass das Gesamtpotenzial Erneuerbarer Energien in der Größenordnung des Zehntausendfachen des gegenwärtigen gesamten Weltenergieverbrauchs liegt.«

Die Sonne ist der Motor allen Geschehens auf unserem Planeten. Sie ist über fünf Milliarden Jahre alt und wird uns mindestens noch weitere 4,5 Milliarden Jahre scheinen. Jedes Jahr schickt sie 350 Millionen Milliarden (350000000000000000) Kilowattstunden Strahlungsenergie auf unseren Planeten. Alle irdischen Energiequellen verdanken wir der Sonne: das Holz der Wälder und die Pflanzen der Felder, aber auch die Kohle-, Erdöl- und Erdgaslager, in denen Sonnenenergie von Millionen Jahren gespeichert ist. Ebenso sorgt die Sonne für die Kreisläufe des Wassers in den Seen und Flüssen.

Die Sonne ist der Quell des Lebens. Sie erwärmt unseren Planeten, schenkt uns Licht und liefert den Pflanzen die Energie für die Photosynthese. Dieser bedeutendste chemische Vorgang auf der Erde erhält Pflanzen, Tiere und Menschen am Leben. Und selbst während der Nacht reflektieren Mond und Planeten das Licht der Sonne zur Erde.

Der Kernreaktor Sonne unterscheidet sich von irdischen Kernkraftwerken dadurch, dass er unfall- und strahlensicher ist, keine Atommüllbeseitigung erfordert und alle Menschen kostenlos mit Energie versorgt.

Allein die Sonnenstrahlen, die am heutigen Tag die Erde erreichen, können unseren Energiebedarf für 180 Jahre decken. Die Sonne ist unsere einzige unerschöpfliche Energiequelle. Wenn wir Obst fast nur noch im Supermarkt, warmes Essen in der Kantine und Milch nur noch plastikverpackt kaufen, dann vergessen wir allzu leicht, woher das alles kommt. Die Kuh und den Obstbaum, das Getreide und den Strom aus der Steckdose verdanken wir – wie auch unser eigenes Leben – der Energie der Sonne. Ohne Sonne kein Leben! Die Sonne ist das Betriebsgeheimnis unseres Hierseins.

Die Sonnenstrahlen sind das große Geschenk des Kosmos an uns. Die Sonne war, ist und bleibt die einzige Einnahmequelle unseres Planeten. Seit Jahrtausenden leben wir von diesen Gewinnen. Und trotzdem wird die Sonne auf tragische und sträfliche Weise unterschätzt.

Der Astrophysiker Klaus Fuhrmann hat an der Universität München dieses negative Sonnenszenario errechnet:

Wenn wir in unseren mitteleuropäischen Breitengraden mithilfe der Sonne im Winter null Grad Celsius haben und im Sommer 20 Grad plus, dann verdanken wir dies der Sonne. Unsere Aufgabe ist es lediglich, die Differenz zwischen null Grad im Winter und 20 Grad im Sommer auszugleichen. Da wir aber im Sommer nicht heizen, müssen wir im Jahresschnitt nur sieben Grad ausgleichen. Und auch den Ausgleich zwischen Sommer und Winter können wir mithilfe der Sonne erledigen – bei nahezu grenzenlosem Angebot. Um diese geringe Differenz geht es in diesem Buch. Um den Ausgleich von sieben Grad.

In früheren Kulturen wussten die Menschen noch von der Abhängigkeit allen Lebens von der Sonne. Deshalb wurde sie zum Grundelement von Religionen und Opferkulten. Aussaat und Wachstum, Ernte und Feste waren abhängig von ihrem Licht und ihrer Wärme. Erst die Aufklärung und die »modernen« Kirchen haben das Bewusstsein von der Sonne als allumfassender Lebensspenderin getrübt. Ganz anders noch Jesus: Er sprach davon, dass sein himmlischer Vater die Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen lasse. Die Bergpredigt ist noch prallvoll von naturnahen Gottesbildern. Doch die Kirchen haben an ihre Stelle saft- und kraftlose abstrakte Gottesbilder gesetzt.

Hoffnungsvoll ist allerdings, dass im Jahr 2003 in Deutschland bereits 800 christliche Kirchengemeinden beider großer Konfessionen Solaranlagen auf ihren Kirchendächern installiert haben. Sie bieten dem Heiligen Geist endlich Landeflächen. So wird Religion konkret und praktisch. Seit Ende 2008 hat auch der Vatikan die erste große Photovoltaikanlage direkt neben dem Petersdom. Himmlische Energie für den deutschen Papst in Rom.

Der Schöpfergott ist kein Asket, sondern ein von ernstem Frohsinn inspirierter Künstler, der allein mit Erde und Sonne ein großartiges Gesamtkunstwerk schuf. Keinen Duft und keinen Klang, keine Farbe und keine Form hat Gott oder haben die Götter vergessen, und auch nicht das Licht und die Wärme.

Die Industrialisierung hat die großen Zusammenhänge der Natur verdrängt. Doch die moderne Naturwissenschaft lehrt uns wieder, wie sehr wir von der Sonne abhängig sind. Vor uns liegt das Zeitalter der Sonnenenergie. Wenn es in den nächsten Jahrzehnten gelingt, nur einen Bruchteil der Sonnenenergie zu nutzen, dann ist das Energieproblem ohne Umweltbelastung für alle Zeiten gelöst. Diese unerschöpfliche und urschöpferische Quelle kann Reichtum und Wohlstand für alle Menschen bedeuten. Wir können mit Solarenergie in eine nie dagewesene solare Kulturepoche starten.

Die größte Gefahr für die Zukunft der Menschheit ist unsere falsche Energiepolitik. Statt Energie umweltfreundlich aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse, solarem Wasserstoff und Erdwärme zu gewinnen, verbrauchen wir in viel zu kurzer Zeit die Energiequellen Öl, Gas, Kohle und Uran. Mit Öl, Gas und Kohle heizen wir durch die CO2-Abgase den Planeten auf und schaffen ein lebensfeindliches Treibhausklima. Und Atomkraftwerke sind allein durch ihre Existenz lebensgefährlich. Und noch lange, wenn sie nicht mehr stehen, sendet ihr Müll tödliche Strahlen aus, weit über 100000 Jahre.

Das Superwahljahr 2009 ist ein Entscheidungsjahr für die Umgestaltung unserer Energieversorgung. Es geht im Wesentlichen darum, Deutschland künftig sicher und umweltverträglich aus heimischen Energiequellen zu versorgen. Schon 2020 – so berechneten die Verbände der Erneuerbaren Energien – kann die Hälfte des Stroms aus regenerativen Quellen erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten lediglich die Zuwächse des Ökostroms 2007 und 2008 elf Jahre fortgesetzt werden. Das Tempo kann freilich auch noch beschleunigt werden.

Dafür muss die Bundespolitik allerdings die Weichen stellen: Der Kraftwerkspark von morgen braucht nämlich neben dem zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien auch flexible Kraftwerke, welche die Schwankungen bei Stromnachfrage und -einspeisung ausgleichen können. Oder wollen wir durch längere Laufzeiten von Atomkraftwerken und durch neue Kohlekraftwerke um Jahrzehnte zurückfallen? AKWs zementieren den alten Kraftwerkspark durch ihre unflexible Betriebsweise: Neue Netze und Speicher – unentbehrliche Ergänzung der erneuerbaren, dezentralen Energieversorgung von morgen – werden durch die trägen atomaren Riesen blockiert. Der dringend notwendige Netzausbau kommt dann nicht den dezentralen Zukunftsenergien zugute, sondern transportiert nur den Strom der fossil-atomaren Großkraftwerke. Der neue Bundestag hat die Chance, mit einem Bonus für Kombikraftwerke Investitionen in Biogasspeicher, Batterien und Elektroautos zu fördern und so die entscheidenden Schritte in die erneuerbare Vollversorgung vorzubereiten. Allein 2008 sind durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien über 30000 neue Arbeitsplätze entstanden. Der 100 Prozent-Umstieg auf Erneuerbare Energien in Deutschland und in der EU könnte nach den Berechnungen der Europäischen Kommission in Europa fünf Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, davon über eine Million in Deutschland.

Solarpolitik ist Sozialpolitik

Der große Philosoph des Atomzeitalters, Günther Anders, sagte einmal: »Unser größtes Problem ist, dass wir uns nicht mehr vorstellen, was wir anstellen.« Da ich in den letzten 20 Jahren politisch und persönlich viel Grund hatte umzudenken, weiß ich, wovon Günther Anders sprach. Erst als ich mir konkret und praktisch vorzustellen begann, was Atomkraftwerke und das atomare Wettrüsten anstellen können, war ich fähig umzudenken. Neues Bewusstsein ist Voraussetzung für neues Denken und neues Handeln. Solange mir nicht bewusst war, dass ich mit einem Liter Benzin 10000 Liter Luft verpeste, bin ich etwa 15-mal so viel Autokilometer gefahren wie heute. Solange mir nicht bewusst war, dass wir mit unserem ganz gewöhnlichen Energieverhalten in einem Jahr so viel Öl, Kohle und Gas verbrennen, wie in einer Million Jahren gewachsen ist, so lange habe auch ich keinen Grund gesehen, mir ernsthaft über Alternativen zur heutigen Energiepolitik Gedanken zu machen. Vor Tschernobyl war mir nicht bewusst, was ein atomarer Unfall bedeutet – also war ich auch nicht gegen Atomkraftwerke. Vor der Zeit der großen Friedensbewegung Anfang der 1980er-Jahre habe ich mir nicht vorstellen wollen, dass atomares Wettrüsten ganz rasch zu einem Atomkrieg führen kann – und ich war nicht gegen Atomwaffen.

Günther Anders’ Philosophie gilt nicht nur im Negativen, sondern auch im Positiven. Erst wenn wir Erfahrung mit Alternativen sammeln, stärken wir die positiven Kräfte der Umkehr. Erst wenn wir alternative Energiequellen kennengelernt haben und an ihrer Durchsetzbarkeit arbeiten, haben sie eine Chance. Besonders töricht ist die Behauptung: »Ich kann ja doch nichts ändern.« Wer das glaubt, darf sich nicht wundern, wenn sich tatsächlich nichts ändert.

Die Voraussetzung für alle wirklichen Veränderungen ist die tiefe Überzeugung: »Ich kann, wenn ich wirklich will.« Wir müssen uns auch im Positiven vorstellen, was wir – zum Beispiel mit alternativen Energien – »anstellen« können. Yes, we can!

72 Prozent der Deutschen und 52 Prozent der Franzosen sind heute zwar gegen Atomkraftwerke, aber sie glauben nicht wirklich an die Möglichkeit von Alternativen. Sie lassen sich von der Energiewirtschaft und der von ihr abhängigen Politik verunsichern und geistig, aber auch finanziell erpressen. Wenn wir mithelfen wollen, die Menschheit zu retten, müssen wir uns für eine andere Energiepolitik engagieren. Sie ist nötig und möglich. Die Energiefrage ist der Schlüssel für eine bessere oder schlechtere Welt. Solarenergie ist die einzige Chance, die globale Umweltkatastrophe zu verhindern. Ihre Durchsetzung erfordert eine Sonnenpolitik. Und dazu gehört künftig in jeder Regierung ein eigenes Solarministerium, so wie es früher ein Atomministerium gab. Der Erfolg der Solarpolitik hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, die politischen Schwerpunkte zu ändern: von der Kommunalpolitik über die Länder, den Bund und die EU bis zur Weltpolitik. Die Milliardenfinanzströme für Energie müssen ins Solarzeitalter umgelenkt werden, wenn wir nicht in der fossilen Öl-, Gas- und Kohleära versumpfen wollen.

Die Sonnenpolitik bestimmt die klassische Energiepolitik und die Forschungspolitik, die Landwirtschafts- und Verkehrspolitik, die Steuer- und die Baupolitik, die Entwicklungs- und die Wirtschaftspolitik. Sie erfordert den größten Paradigmenwechsel seit Beginn der industriellen Revolution. Wir müssen die Irrwege des Atom- und Ölzeitalters verlassen und Wege ins Jahrhundert der Umwelt finden. Solarpolitik ist die Sozialpolitik der Zukunft: Die Rente allein nützt alten Menschen so wenig wie ein hohes Kindergeld den jungen oder ein Arbeitsplatz den Arbeitnehmern, wenn wir keine Luft mehr haben zum Atmen, kein Wasser zum Trinken und keine Böden, auf denen noch etwas wächst. Lebensplätze sind so wichtig wie Arbeitsplätze.

In diesem Buch zeige ich, dass eine umweltfreundliche Solarwirtschaft technisch, ökonomisch und finanziell machbar ist. Das Hauptproblem ist die Politik, die zu sehr an die Interessen der alten Energieträger Kohle, Öl und Atom gekettet ist. Politiker handeln in aller Regel erst, wenn ein entsprechendes Bewusstsein »von unten« sie dazu zwingt. Voraussetzung für ein breites solares Bewusstsein ist Information. Erst wenn wir wissen, was möglich ist, wird es auch geschehen.