VVorwort zur fünften Auflage

Nahezu alle Unternehmen heben heute die Kundenorientierung als zentralen Leitgedanken und Erfolgsfaktor ihres Handelns hervor. Dabei wird die Einführung und Umsetzung der Kundenorientierung zumeist unter dem Begriff Customer Relationship Management (CRM) zusammengefasst. Kundenorientierung wird in diesem Zusammenhang jedoch in weiten Teilen immer noch als Anforderung verstanden, die mit einem hauptsächlich informationstechnisch – d. h. auf so genannte CRM-Software – ausgerichteten Konzept erfüllt werden kann. Eine erfolgreiche Umsetzung bedarf aber vielmehr einer ganzheitlichen Ausrichtung der Struktur, der Systeme und der Kultur innerhalb des Unternehmens auf eine verbesserte Kundenorientierung. Daher stellt dieses Buch ein solches ganzheitliches Konzept der Kundenorientierung und seine Umsetzung innerhalb des Unternehmens mit Bezug auf einzelne Bausteine Schritt für Schritt dar.

Die Aktualität der Themen zur Kundenorientierung, die durch die Aufnahme neuer Schwerpunkte in der vorliegenden Auflage weiterhin gewährleistet ist, spiegelt sich in der guten Aufnahme der vierten Auflage des Buches „Kundenorientierung“ durch den Markt wider. Strategien und Maßnahmen zur Steigerung der Kundenorientierung und ebenso zur Steigerung der Marketingeffizienz werden angesichts des dynamischen Wettbewerbsumfeldes auch zukünftig an Bedeutung gewinnen. Während die Struktur des Buches gegenüber der vierten Auflage weitgehend erhalten blieb, erforderten Entwicklungen in der Wissenschaft und der Praxis inhaltlich eine umfangreiche Überarbeitung des Buches. So wurde besonders die rasante Entwicklung der Social Media-Kommunikation, der Möglichkeiten von Big Data-Analysen und ihre Bedeutung für die Kundenorientierung herausgearbeitet. Dabei wurde insbesondere das Kapitel Kommunikation überarbeitet. Weiterhin sind Forschungsergebnisse eingeflossen, die in den letzten Jahren am Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung der Universität Basel zum Themenbereich Kommunikation, besonders der VISocial Media-Kommunikation, vertieft untersucht wurden. Ferner wurden aktuelle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis in den verschiedenen Kapiteln eingearbeitet. Darüber hinaus finden sich neben Hinweisen auf die konkrete Umsetzung in der Unternehmenspraxis wiederum zahlreiche neue Erfolgsbeispiele und Studien, die wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse im Rahmen der Kundenorientierung veranschaulichen.

Das Bausteinkonzept dieses Buches hat zum Ziel, in leicht verständlicher Form die Zusammenhänge der Kundenorientierung zu vermitteln sowie Anregungen für deren Umsetzung in der Unternehmenspraxis zu geben. Je nach Interesse können die einzelnen Bausteine auch isoliert gelesen werden.

Die Neuauflage wurde mit der Unterstützung meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung der Universität Basel realisiert. Ein besonderer Dank geht in diesem Zusammenhang vor allem an Frau Dr. Kristine Fritz. Der Verfasser wünscht sich eine weiterhin intensive Auseinandersetzung mit den Fragen der Kundenorientierung und würde sich darüber freuen, wenn das Buch Anregungen zur Umsetzung der Kundenorientierung in der Unternehmenspraxis geben kann.

Basel, im Frühjahr 2016

Manfred Bruhn

1 1. Kapitel
 
Grundlagen der Kundenorientierung

Kundenorientierung ist ein maßgebender Erfolgsfaktor für das nachhaltige Bestehen eines Unternehmens am Markt. Das Konzept der Kundenorientierung findet seinen Ursprung bereits in den 1950er Jahren, jedoch wurde es in Wissenschaft und Praxis erst in den 1980er Jahren im Rahmen der Entstehung kundenzentrierter Kommunikationsinstrumente wie das Direct Marketing intensiver beachtet (Ose 2011, S. 27). Die allgemeine Betrachtung der Kundenorientierung wurde in der jüngeren Zeit abgelöst von einer Fokussierung auf unterschiedliche Schwerpunkte. Konzepte zur Messung der Kundenzufriedenheit wurden erarbeitet, Kundenclubs eingerichtet, Beschwerdebearbeitungsprozesse definiert und Customer-Relationship-Management-(CRM-)Software implementiert. Eine Studie von BBDO verdeutlicht die zunehmende Relevanz, die die Kundenorientierung für Unternehmen gewinnt. Eine Unternehmensbefragung identifizierte die Verbesserung der Kundenbeziehung als vorrangig geplante Maßnahme der Unternehmensaktivitäten (vgl. Schaubild 1–1).

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Schaubild 1–1: Zukünftige Schwerpunktmaßnahmen von Unternehmen (Quelle: BBDO 2009, S. 6)

Allem Aktionismus zum Trotz stellte sich jedoch in vielen Unternehmen die gewünschte Steigerung der Kundenorientierung aus Kundensicht nicht ein. Das Fehlen eines umfassenden, integrativen Konzeptes zur Durchsetzung von Kundenorientierung im realen Unternehmenskontext kann in diesem Zusammenhang als entscheidender Faktor für das Scheitern bisheriger Bemühungen herausgestellt werden. Noch zu häufig wird an ausgewählten Einzelaspekten, wie z. B. an der Realisierung von Kundenclubs oder der Messung der Kundenzufriedenheit gearbeitet, ohne diese im Gesamtkontext der Kundenorientierung zu betrachten. Das heißt, es werden z. B. nur Bereiche des Front-Office betrachtet, ohne unterstützende und interne Leistungsprozesse einzubeziehen. Eine besondere Schwierigkeit besteht zudem im Informationsmanagement. In einigen Unternehmen werden die kundenbezogenen Daten zwar erhoben, jedoch teilweise nicht zielgerichtet analysiert, in anderen Unternehmen fehlen zentrale Basisinformationen über die aktuellen Kundengruppen. Insbesondere auf Einzelkundenebene sind in spezifischen Branchen die notwendigen Kundeninformationen nicht 3bekannt, um individualisierte Maßnahmen zur Steigerung der Kundenorientierung entwickeln zu können, wohingegen andere Branchen vor der Herausforderung des Handling einer Datenflut – bedingt durch die zunehmende Digitalisierung des Konsumverhaltens – stehen (Avanade 2010; Bitkom 2012).

Eine Studie von Oracle (2013) bestätigt diese Schwierigkeiten bezüglich der integrierten Implementierung einer kundenorientierten Strategie von Unternehmen. So beziffern die befragten Unternehmen jährliche Umsatzeinbußen aufgrund mangelnder Kundenorientierung mit 18 Prozent. Als größte Hindernisse werden dabei neben einem zu geringen Budget (31 Prozent), die isolierte Organisation der Maßnahmen (25 Prozent) sowie daraus resultierende Schwierigkeiten in der Nachverfolgung von Kundenrückmeldungen (24 Prozent) genannt.

Aufbauend auf diesen Defiziten wird in diesem Buch ein Bezugsrahmen präsentiert, der das Thema Kundenorientierung in einen umfassenden Kontext stellt. Es werden verschiedene Bausteine der Kundenorientierung beschrieben, die jeder für sich einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Kundenorientierung leisten, jedoch erst bei einer vernetzten Sichtweise und Integration ihre ganze Wirkung entfalten können. Im Vordergrund steht das Ziel, den Gesamtblick für das komplexe Thema Kundenorientierung zu schärfen und konkrete Hilfestellungen bei der Umsetzung eigener kundenorientierter Konzepte zu geben.

1. Kundenorientierung als zentrales Prinzip des Marketing

Die starke Ausrichtung auf die Kundenwünsche und -bedürfnisse ist nicht zuletzt auf die Veränderungen der Märkte zurückzuführen. Faktoren wie z. B. der rasche technologische Wandel, die Internationalisierung der Märkte sowie die zunehmende Transparenz des Informationsspektrums im Internet führen dazu, dass es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird, Wettbewerbsvorteile aufzubauen und eine stabile Bindung der Kunden an das Unternehmen 4zu erreichen. Das Erkennen und rechtzeitige Reagieren auf Marktveränderungen gehört dabei zu jenen unternehmerischen Aufgaben, die dem Marketing als Unternehmensfunktion zugeordnet werden. Insofern besteht zwischen den beiden Themenbereichen Marketing und Kundenorientierung seit jeher ein enger Zusammenhang.

Diese Verzahnung lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass in vielen Definitionen zum Marketing die Forderung der Kundenorientierung explizit oder implizit enthalten ist. So auch in der folgenden Definition des Begriffes Marketing, die den Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen bildet:

Marketing

ist eine unternehmerische Denkhaltung. Sie konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Unternehmensaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung darauf abzielen, absatzmarktorientierte Ziele zu erreichen (Bruhn 2016a, S. 14).

Dieser weite Anspruch des heutigen Marketingverständnisses ist vor dem Hintergrund der Veränderung der wirtschaftlichen und wettbewerblichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten zu sehen, in der verschiedene Entwicklungsphasen der Unternehmensführung durchlaufen wurden, die sowohl Veränderungen in Bezug auf die Aufgaben und eingesetzten Analyseinstrumente der Unternehmensführung mit sich brachten als auch bezüglich der Erfolgsfaktoren von Unternehmen (Bruhn 2016b, S. 1 ff.). Schaubild 1–2 zeigt grob vereinfacht die fünf Entwicklungsphasen von Unternehmen im Überblick.

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Schaubild 1-2: Entwicklungsphasen von Unternehmen (Quelle: in Anlehnung an Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 8; Bruhn 2009a, S. 36)

Phase der Produktorientierung (1950er/1960er Jahre): Die primäre Aufgabe des Marketing in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestand darin, durch den Aufbau eines möglichst breiten Vertriebssystems dafür Sorge zu tragen, dass die gefertigten Produkte den Konsumenten erreichten und hierdurch der bestehende Nachfrageüberhang befriedigt werden konnte. Eine Unternehmensführung auf Basis der vorhandenen Produkte, das Denken in der Produkt-Markt-Matrix, der Einsatz von Portfolioanalysen u. a. waren das Kennzeichen dieser Entwicklungsphase.

6Phase der Marktorientierung (1970er Jahre): Der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt während der 1970er Jahre führte auf Grund erhöhter Produktionskapazitäten zu einem Überangebot an Waren in den Handelsregalen. Zahlreiche Unternehmen erkannten die Notwendigkeit der marktorientierten Unternehmensführung, um mit einer differenzierten Marktbearbeitung die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Kundengruppen (Kundenerwartungen) zu identifizieren und das Leistungsprogramm darauf abzustellen. Hierbei konnte vor allem der Einsatz von Methoden der Marktforschung zur Segmentierung von Märkten, Positionierung von Produkten u. a. beobachtet werden.

Phase der Wettbewerbsorientierung (1980er Jahre): Eine zunehmende Homogenität der Produkte und ein steigender Wettbewerbsdruck während dieser Phase führten dazu, dass die Abgrenzung des eigenen Angebotes gegenüber den Wettbewerbern eine zentrale Bedeutung erlangte. Das „Denken im strategischen Dreieck“ (Unternehmung – Kunde – Wettbewerber) zur Sicherung des Unternehmenserfolges wurde insbesondere durch die Beiträge von Porter (2014) angeregt. Verfahren zur Identifizierung von strategischen Wettbewerbsvorteilen, wie etwa die Konkurrenzanalyse, Wertkettenanalyse u. a. waren grundlegende Instrumente für die strategische Ausrichtung von Unternehmen.

Phase der Kundenorientierung (1990er Jahre): Seit den 1990er Jahren fordern Kunden zunehmend eine individuelle Behandlung seitens der Unternehmen. Hybrides Kaufverhalten und eine größere Heterogenität bekräftigen die zunehmende Bedeutung kundenbezogener Faktoren. Die erfolgreiche Kundenorientierung eines Unternehmens hängt von einer schnellen Identifikation und Reaktion auf die veränderten Bedürfnisse der Kunden ab. Kundenbarometer und flexible Qualitätsmanagementsysteme helfen u. a. dabei, Kundenbedürfnisse zu analysieren und zielgerichtet handeln zu können.

Phase der Beziehungsorientierung (ab 2000): Seit Beginn des neuen Jahrtausends wird es in vielen Branchen sehr deutlich, dass die Leistung nicht nur aus einem Produkt besteht, sondern dass die Interaktion mit dem Kunden ebenfalls einen Teil der Leistung darstellt. Dies gilt vornehmlich für die Dienstleistungen als auch für 7Industriegüteranbieter. In diesem Zusammenhang hat das Relationship Marketing an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es um das Management von Kundenbeziehungen (Bruhn 2016b).

Phase der Netzwerkorientierung (ab 2005): Seit einigen Jahren wird der Wettbewerb nachhaltig von Faktoren wie der Globalisierung, Branchenerosionen, neuen Informations- und Kommunikationstechnologien u. a. beeinflusst, was zu einem aggressiveren Marktverhalten der Akteure führt. Daher gehen viele Experten davon aus, dass zukünftig vor allem die Bildung strategischer Netzwerke einen zentralen Erfolgsfaktor darstellen wird, um den dynamischen und vielschichtigen Veränderungen der Wettbewerbskonstellation gerecht zu werden. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen sind gezwungen, strategische Partnerschaften zur Know-how-Stärkung aufzubauen. Bezüglich des Methodeneinsatzes kommt es zu einer Anwendung bestehender Methoden auf das gesamte Netzwerk, wie z. B. Wertkettenanalysen und Target Costing (Weber 1999; Kremin-Buch 2007; Backhaus/Voeth 2014).

Phase der Valueorientierung (ab 2010): Aufgrund der Veränderungen auf Anbieter- und Abnehmerseite wird zunehmend eine verstärkte Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess (Value Creation) gefordert. Daher ist eine Abkehr vom traditionellen Anbieter-Abnehmer-Modell hin zu einer interaktiven Wertschöpfung mit dem Kunden zu beobachten. Mit dieser Strategie wird der Aufbau von langfristigen Wettbewerbsvorteilen mittels kundenorientierten Modellen angestrebt (z. B. das Konzept des Customer Co-Creation, vgl. Kapitel 6, Innovationsmanagement).

Im Zusammenhang mit den beschriebenen Entwicklungen der Unternehmensführung wandelte sich das Marketingverständnis vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten von einer transaktions- zu einer beziehungsorientierten Sichtweise. Eng verbunden ist damit der Begriff des „Relationship Marketing“, in der Praxis vielfach auch als Customer Relationship Management (CRM) bezeichnet. Im Zentrum dieses Marketingansatzes steht die konsequente Ausrichtung sämtlicher Unternehmensaktivitäten an den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden mit dem Ziel eines Beziehungsaufbaus und einer Beziehungspflege. Demzufolge ist das Relationship Marketing 8eine Neuakzentuierung des Marketing in Richtung einer konsequenten kundenorientierten Unternehmensführung. Im Vergleich zum traditionellen Transaktionsmarketing geht es darum, nicht das Produkt bzw. die Dienstleistung mit den 4 Ps (Product, Price, Promotion, Place), sondern die Kundenbeziehung als Ausgangspunkt der Betrachtung zu wählen. Auf Basis der Kundenbeziehung werden die Marketingaktivitäten strukturiert und differenziert eingesetzt. Mit der Tendenz eines zunehmenden Denkens in Kundenbeziehungen rückt die Kundenbindung als das zentrale Ziel in den Mittelpunkt der Marketingaktivitäten (Homburg/Bruhn 2013). Unter Berücksichtigung dieser Begriffsauffassung kann das Relationship Marketing wie folgt definiert werden:

Relationship Marketing

umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, der Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere zu den Kunden – des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen (Bruhn 2016b, S. 12).

Somit dient die Umsetzung eines Relationship Marketing der Gewährleistung einer ausgeprägten Kundenorientierung des Unternehmens. Aufgrund des fundamentalen Wandels von einer produktorientierten hin zu einer beziehungsorientierten Betrachtungsweise, die mit der Entwicklung zum Relationship Marketing verbunden ist, wird häufig von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Die zunehmende Bedeutung der Beziehungsorientierung stellt jedoch keine völlige Neudefinition des Marketinggedankens dar, sondern vielmehr eine konsequente Weiterentwicklung des traditionellen Marketing mit dem Fokus auf die Pflege von (lukrativen) Kundenbeziehungen.

Im Gegensatz zu diesem umfassenden Verständnis steht der Begriff des Customer Relationship Management (CRM) in der Praxis häufig als Synonym für ein rein informationstechnologisches Konzept, das dazu dient, Kundenbeziehungen mit Hilfe von Software, d. h. Programmen zur Archivierung und Verarbeitung von Kundendaten, zu analysieren und zu steuern (Bruhn 2016b). Die Analyse der Kundenbeziehung 9besteht dementsprechend in der Darstellung des dynamischen Verlaufs aller Kundendaten in der Kundenhistorie. Ziel ist es, neben einer traditionellen Kundensegmentierung, aus dem Verhalten in der Vergangenheit Aufschluss über das zukünftige Kundenverhalten sowie das Kundenpotenzial zu erhalten. Folglich kommen hier Methoden des Data Mining zur Anwendung, die es ermöglichen, Kundentypen z. B. nach ihren Präferenzen oder ihrem Kundenwert zu klassifizieren oder auch abwanderungsgefährdete Kunden zu erkennen. Aus der Klassifizierung werden die Instrumente zur Steuerung der Kundenbeziehung abgeleitet. Hochrentable Kunden werden beispielsweise individuell angesprochen, während weniger rentable Kunden mit standardisierten Programmen (z. B. Kataloge, Newsletter) bearbeitet werden.

Der Nutzen eines CRM-Systems für das Unternehmen besteht in der besseren Ausschöpfung des Kundenpotenzials sowie einem rentableren Einsatz der Marketinginstrumente, z. B. auf Grund einer besseren Kenntnis von Akquisitions-, Bindungs- und Rückgewinnungskosten. Der Nutzen für den einzelnen Kunden besteht hingegen in der genauen Kenntnis seiner Bedürfnisse und entsprechend in der für ihn bedarfsgerechteren Information über Produkte und einer individuelleren Leistungserstellung.

Studien zeigen allerdings, dass ein großer Anteil durchgeführter „CRM-Projekte“, deren Ziel hauptsächlich oder ausschließlich in der Einführung einer CRM-Software besteht, nicht erfolgreich sind (Meta Group 2001; Roland Berger 2002). Nach diesen Studien beträgt er zwischen 60 und 85 Prozent. Diese Größenordnung wirft die Frage nach den Gründen des Scheiterns auf. Dabei zeigt sich, dass die rein informationstechnologische Betrachtungsweise eines Customer Relationship Management wenig zielführend ist. Nach einer aktuellen Studie von IBM (2014) scheitern Unternehmen unter anderem daran, dass lediglich eines von zehn Unternehmen über eine geeignete Infrastruktur für ein erfolgreiches CRM-System verfügt. So stellt die alleinige Beschaffung von Daten kein Erfolgsfaktor dar, sondern die Integration der kundenorientierten Denkweise sowie der Technologien in die marketingpolitische Ausrichtung. Folglich ist es eine zentrale Voraussetzung für die Einführung einer 10CRM-Software, dafür Sorge zu tragen, dass zunächst eine kundenorientierte Denkweise über das Relationship Marketing im Unternehmen verankert wird. Dies beinhaltet eine Veränderung und Kommunikation von Werten eines Unternehmens, die zwingend Top-down erfolgt – d. h. von der Unternehmensleitung hin zu ausführenden Ebenen des Unternehmens – und sowohl externe (Kundenkontaktpersonal) als auch interne (z. B. Personalentwicklung, Buchhaltung, technischer Service) Funktionen umfasst. Im Rahmen der Kundenorientierung ist das Relationship Marketing daher deutlich strategischer ausgerichtet als die Einführung eines informationstechnologischen Systems zur Verarbeitung von Kundendaten und der individuellen Bearbeitung einzelner Kundenbeziehungen (Bruhn 2016b).

Im Sinne einer Abgrenzung zwischen der informationstechnologischen Perspektive des Customer Relationship Management und dem Relationship Marketing kann die Implementierung einer CRM-Software als ein Instrument der Unternehmenssysteme zur Steuerung von Kundenbeziehungen betrachtet werden, dessen sinnvoller Einsatz jedoch die Erfüllung verschiedener Bedingungen im Rahmen einer kundenorientierten Unternehmensführung voraussetzt. Der Fokus liegt somit in erster Linie bei der Einführung der Kundenorientierung, deren informationstechnische Umsetzung durch ein CRM-System erfolgt (vgl. Kapitel 9, Umsetzung der Kundenorientierung). Im Rahmen der Kundenorientierung ist das Relationship Marketing deutlich strategischer ausgerichtet als die Einführung eines informationstechnologischen Systems zur Verarbeitung von Kundendaten und der individuellen Bearbeitung einzelner Kundenbeziehungen (Bruhn 2016b).

Bei der konzeptionellen Auseinandersetzung mit dem Relationship Marketing sind einige grundlegende Ansätze zu berücksichtigen, die als Basis für die Gestaltung von Beziehungen dienen. Unter strategischen Gesichtspunkten wird das Relationship Marketing vor allem von zwei zentralen Denkkonzepten geprägt:

Aufgrund des dynamischen Charakters von Kundenbeziehungen stellt der so genannte Kundenlebenszyklus oder genauer: Kundenbeziehungslebenszyklus (Stauss 2000; Bruhn 2016b) das Denkraster für die Ableitung der spezifischen Marketingaktivitäten im Relationship Marketing dar. Im Vordergrund steht dabei nicht die kurzfristige Initiierung und Gestaltung von Kundenkontakten, sondern die langfristige Steuerung von Kundenbeziehungen. Der Kundenlebenszyklus unterstellt einen direkten Zusammenhang zwischen der Dauer der Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde sowie der Intensität der entsprechenden Beziehung. Schaubild 1–3 zeigt den idealtypischen Verlauf einer Kundenbeziehung mit den Phasen Kundenakquisition, Kundenbindung und Kundenrückgewinnung.

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Schaubild 1–3: Phasen des Kundenlebenszyklus (Quelle: Stauss2000, S. 16; Bruhn2016b, S. 66)

Das zweite relevante konzeptionelle Fundament eines Relationship Marketing – das Denken in der Erfolgskette (Heskett/Sasser/Schlesinger 1997; Homburg/Wieseke/Hoyer 2009) – dient als gedankliche Basis für die Analyse, Steuerung und Kontrolle der Marketingaktivitäten (vgl. Schaubild 1–4). Die Grundüberlegung bei einer Erfolgskette 12ist die inhaltliche Verknüpfung von Erfolgsfaktoren, die miteinander in Zusammenhang stehen. Innerhalb der Kette werden die Wirkungen zwischen den Faktoren dargestellt, um eine strukturierte Analyse und Maßnahmenableitung zu ermöglichen. Die Grundstruktur einer Erfolgskette besteht aus den vier Gliedern:

Bei den Wirkungszusammenhängen innerhalb der Erfolgskette handelt es sich allerdings nicht um eindeutige Zusammenhänge. Dies ist auf die unternehmensinternen sowie -externen Einflussfaktoren zurückzuführen, die die Kettenglieder sowie die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kettengliedern beeinflussen. Auf Seiten der unternehmensexternen Faktoren kann beispielsweise die Heterogenität der Kundenerwartungen dazu führen, dass es nicht möglich ist, mit einer bestimmten Marketingmaßnahme eine generelle Erhöhung der Kundenzufriedenheit zu erreichen. Weiterhin ist eine erhöhte Kundenzufriedenheit nicht zwangsläufig mit Kundenbindung gleichzusetzen. Vielmehr können etwa Variety-Seeking-Motive zu einer gesteigerten Wechselbereitschaft der Kunden führen. Beispielsweise ist es denkbar, dass ein Gast, der regelmäßig ein bestimmtes Restaurant besucht – trotz genereller Zufriedenheit mit der angebotenen Leistung – nach einer gewissen Zeit ein Bedürfnis nach Abwechslung (z. B. in Bezug auf die Speisen) verspürt und deswegen ein anderes Restaurant bevorzugt. Schließlich wird der ökonomische Erfolg eines Unternehmens auch davon abhängen, ob die Kunden in der Lage bzw. bereit sind, die vom Unternehmen festgelegten Preise zu zahlen. Auf Seiten der unternehmensinternen Faktoren können z. B. die Individualität der Leistung, die Möglichkeit vertraglicher Bindungen oder die Breite des Leistungsangebotes einem idealtypischen Durchlaufen der Erfolgskette entgegenstehen. Für die Umsetzung des Relationship Marketing zur Sicherstellung einer konsequenten Kundenorientierung im Sinne der Erfolgskette wird es notwendig sein, diese internen und externen „Störfaktoren“ in den Griff zu bekommen. Deshalb entwickeln Unternehmen verschiedene Steuerungssysteme, deren Aufgabe es ist, die unternehmensexternen und -internen Faktoren zu kontrollieren (z. B. Qualitäts-, Beschwerde-, Kundenbindungsmanagement).

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Schaubild 1–4: Erfolgskette der Kundenorientierung (Quelle: Bruhn 2016b, S. 73)

142. Zum Begriff der Kundenorientierung

Eine Ursache für das bestehende Umsetzungsdefizit der Kundenorientierung ist in der Vielfalt der Begriffe und unterschiedlichen Interpretationsvarianten zu sehen. Ein häufig zu beobachtendes Phänomen ist die fehlende Differenzierung oder sogar synonyme Verwendung der Begriffe Marktorientierung und Kundenorientierung. Aus diesem Grunde ging Shapiro vermutlich bereits 1988 der Frage nach: „What the Hell Is Market Oriented?“ (Shapiro 1988, S. 119). Eine synonyme Verwendung der Begriffe erscheint vor dem Hintergrund der konzeptionellen Basis der Kundenorientierung wenig sinnvoll. Aus diesem Grund wird der Begriff Marktorientierung von dem der Kundenorientierung wie folgt abgegrenzt (Plinke 1992a, 1996; Homburg 2000; Menguc/Auh 2006; Homburg/Müller/Klarmann 2011a):

Die Marktorientierung ist in einen erweiterten Kontext einzubetten. Dieser beinhaltet nicht nur die Ausrichtung des Unternehmens auf die aktuellen Kunden, sondern auf sämtliche Marktteilnehmer, die mit dem Unternehmen in direktem oder indirektem Kontakt stehen. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden ist somit nur ein Teilbereich der Marktorientierung, die gleichermaßen auf die Berücksichtigung der Konkurrenz sowie der Ansprüche der Absatzmittler, Mitarbeitende, Anteilseigner oder Fremdkapitalgeber gerichtet ist. Primäres Ziel der Marktorientierung ist es, dauerhafte Wettbewerbsvorteile aufzubauen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens langfristig zu sichern. Hingegen ist der Begriff Kundenorientierung 15durch eine dyadische Beziehung – Kunde und Unternehmen – gekennzeichnet. Primäres Ziel der Kundenorientierung ist die Erfüllung des individuellen Kundenwunsches bzw. der Erwartungen der Kunden und nicht die Schaffung eines allgemeinen Wettbewerbsvorteils.

BEISPIEL: In den letzten Jahren gelang es Apple, seine Marktposition durch die konsequente Ausrichtung von Produktinnovationen an den Kundenbedürfnissen wie beispielsweise die Einführung der Siri-Funktion zu stärken und sich von anderen Konkurrenten wie Samsung abzugrenzen. Das Ziel der Unternehmensstrategie besteht darin, die Nutzung der Produkte für den Kunden durch stetige Innovationen einfacher und nicht komplexer zu gestalten. Das Unternehmen kann weltweit trotz seiner Positionierung im Premiumpreisbereich hohe Verkaufszahlen verbuchen.

Als zentrales Ziel der Kundenorientierung ist die Sicherstellung profitabler Kundenbeziehungen zu identifizieren. Dieses Ziel kann nur durch eine Orientierung an den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Kunden realisiert werden. Der Grundgedanke, Kundenbeziehungen individuell zu steuern, ist eng verbunden mit dem zuvor erläuterten Konzept des Relationship Marketing. Somit ist zur Gewährleistung einer ausgeprägten Kundenorientierung die Umsetzung eines Relationship Marketing erforderlich, das dem Aufbau, der Erhaltung und der Verbesserung profitabler Kundenbeziehungen dient (Grönroos 2004; Bruhn 2016b). In Anbetracht der unterschiedlichen Interpretationsvarianten erscheint es sinnvoll, eine weite Definition des Begriffes Kundenorientierung zugrunde zu legen, die sowohl den Informations- und Kultur-, als auch den Leistungs- und Interaktionsaspekt beinhaltet. Der Begriff Kundenorientierung wird wie folgt definiert (Kühn 1991; Bruhn 1995, S. 393; Nguyen et al. 2014):

Kundenorientierung ist die umfassende, kontinuierliche Ermittlung und Analyse der individuellen Kundenerwartungen sowie deren interne und externe Umsetzung in unternehmerische Leistungen sowie Interaktionen im Rahmen eines Relationship-Marketing-Konzeptes mit dem Ziel, langfristig stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu etablieren.

16Der Ableitung einer verbindlichen Definition der Kundenorientierung kommt eine zentrale Bedeutung zu. In der Unternehmenspraxis ist noch zu oft festzustellen, dass der Begriff als „Worthülse“ oder „Lippenbekenntnis“, beispielsweise in Unternehmensleitbildern, erscheint, ohne dass konkrete Vorstellungen und Maßnahmen daraus abgeleitet werden. So ergaben beispielsweise Studien, dass mangelnde Kundenorientierung noch immer eine der Hauptschwachstellen im Management von Unternehmen darstellt, obwohl die kundenorientierte Unternehmensführung bei vielen Unternehmen seit längerem als Leitgedanke proklamiert wird (Diller/Saatkamp 2002; Orcale 2013).

3. Stand der Kundenorientierung aus Unternehmens- und Kundensicht

Trotz der etablierten Konzeptionierung der Kundenorientierung kann nicht verleugnet werden, dass in der Unternehmenspraxis starke Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität der Kundenorientierung bestehen. Dies bestätigen Erhebungen, die den aktuellen Stand der Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit analysieren (Droege&Comp. 2000; Meyer/Dornach 2001; Oracle 2013; Homburg 2016). Insbesondere drei Problembereiche – so genannte Lücken zwischen dem Anspruch und der Realität – können ein Scheitern der kundenorientierten Unternehmensausrichtung zur Folge haben:

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Schaubild 1–5: Branchenbezogene Gegenüberstellung der Selbst- und Fremdeinschätzung in Bezug auf die Umsetzung der Kundenorientierung (Quelle: Droege&Comp. 2000, S. 8)

Ein wesentlicher Grund der Anwendungsprobleme der Praxis besteht in der mangelnden Fähigkeit der Führungskräfte, den bisher erreichten Realisierungsgrad der Kundenorientierung realistisch einzuschätzen. Diese so genannte Analyselücke lässt darauf schließen, dass die eigenen Stärken und Schwächen nicht adäquat identifiziert worden sind. Die formulierte Strategie deckt sich nicht mit den eigenen Kompetenzen und Ressourcen sowie dem Umfeld des 18Unternehmens. Das Resultat sind signifikante Abweichungen in der Selbsteinschätzung der Unternehmen und der Wahrnehmung der Kunden. Eine Studie der Unternehmensberatung Droege&Comp. (2000) zu diesem Thema zeigt, dass die Problematik der Analyselücke branchenübergreifend vorzufinden ist (vgl. Schaubild 1–5). Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer systematischen Situationsanalyse, die neben der Beurteilung der Unternehmensqualität die Perzeption der Kunden berücksichtigt.

Eng verbunden mit der Analyselücke ist die so genannte Planungslücke, da eine einwandfreie Analyse Voraussetzung einer erfolgreichen Planungsphase ist. Die Planungslücke bezieht sich darauf, dass keine koordinierte Planung der strategischen kundenorientierten Unternehmensausrichtung sowie der operativen Marketingmaßnahmen vorgenommen wurde. Als Folge konzentriert sich das Unternehmen beispielsweise zu stark auf rein operative Maßnahmen der Kundenorientierung, die nicht in Einklang mit der strategischen Ausrichtung stehen. Die interne Ressourcenplanung und -entwicklung wird somit nicht unter strategischen Gesichtspunkten vorgenommen, wodurch die Zielkonformität der Maßnahmen in Frage zu stellen ist und die Gefahr der Verwässerung der Positionierung als kundenorientiertes Unternehmen besteht.

Besonders in der Umsetzungsphase der Kundenorientierung stehen Unternehmen verschiedenen Herausforderungen gegenüber. Die so genannte Implementierungslücke beschreibt die mangelhafte Umsetzung der Maßnahmen. Dies kann zum einen in einer ungenügenden Analyse- und Planungsphase begründet sein, zum anderen in einer isolierten Implementierung einzelner Maßnahmen. Darüber hinaus können interne Herausforderungen wie die Existenz heterogener Subgruppen, die die kundenorientierte Unternehmenskultur nicht unterstützen, oder die mangelnde Bereitschaft der Mitarbeiter kundenorientiert zu handeln dazu führen, dass erarbeitete Strategien nicht in der eigentlich konzipierten Form implementiert werden (Greve 2010).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie interne Barrieren überwunden werden können, die Unternehmen daran hindern, Kundenorientierung zu realisieren (vgl. hierzu auch Kapitel 9, Umsetzung 19der Kundenorientierung). Ein bedeutsamer Faktor ist die Fähigkeit, Informationen über die eigenen Kunden im Rahmen eines Informationsmanagementsystems zu erheben. In Unternehmen fallen eine Vielzahl von Daten und Informationen an, die es in aktives Wissen über Kunden zu verwandeln gilt. In diesem Zusammenhang können beispielsweise Datenanalysen dazu beitragen, die Bedürfnisse einzelner Kunden zu ermitteln sowie den individuellen Wert dieser Kunden für das Unternehmen zu prognostizieren. Allerdings gibt es in der Praxis noch erheblichen Handlungsbedarf bei der Speicherung und Analyse von Kundendaten. Insbesondere die Analyse des Kundenwertes stellt in der Unternehmenspraxis eine schwierige Aufgabe dar. Dieser umfasst die ökonomische Gesamtbedeutung, d. h. den aktuellen sowie potenziellen monetären und nicht-monetären Wert eines Kunden für das Unternehmen (Pufahl 2014). Aufgrund der vielfältigen Faktoren, die den Kundenwert determinieren (z. B. Ertragspotenzial, Referenzpotenzial, Cross-Buying-Potenzial; vgl. Kapitel 8, Kundenwertmanagement), gestaltet es sich zum einen schwierig, ein integratives und für die Praxis realisierbares Modell zu entwickeln, zum anderen die dafür notwendigen Kundendaten zu erheben.

Unternehmen sind daher gefordert, die Rahmenbedingungen zur Umsetzung von Kundenorientierung zu schaffen bzw. zu verbessern. Allerdings geht es dabei nicht nur um die technischen Möglichkeiten im Unternehmen oder die Regelmäßigkeit von Kundenzufriedenheitsstudien, sondern darum, dass die Entscheidungsträger die Bedürfnisse der Kunden in der Alltagssituation wirklich verstehen und diesen gerecht werden (Greve 2010).

4. Bezugsrahmen zur Umsetzung der Kundenorientierung

Aus den aufgezeigten Sachverhalten ergibt sich die Schlussfolgerung, dass ein umfassendes System notwendig ist, mit dessen Hilfe Kundenorientierung geplant und umgesetzt werden kann. Im Vordergrund steht die Bemühung, bislang vorhandene Einzellösungen im Unternehmen in ein möglichst geschlossenes und aufeinander abgestimmtes Gesamtsystem zu integrieren.

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Schaubild 1–6: Bezugsrahmen der Kundenorientierung

21Zur Lösung dieser Herausforderung wird der in Schaubild 1–6 dargestellte Bezugsrahmen der Kundenorientierung zugrunde gelegt, mit dessen Hilfe die relevanten Schritte in Richtung einer Kundenorientierung in systematischer Form vollzogen werden. Die Auswahl der einzelnen Bausteine der Kundenorientierung erfolgte insbesondere durch die Tatsache, dass es möglich ist, mittels dieser Bausteine einen hohen Beitrag zur Beeinflussung der einzelnen Dimensionen der Kundenorientierung zu leisten. Beispielsweise wird ein Qualitätsmanagement die Produktqualität, ein Servicemanagement die Servicequalität oder ein aktives Beschwerdemanagement die Offenheit im Informationsaustausch positiv beeinflussen.

Der Bezugsrahmen der Kundenorientierung ist in die vier Phasen eines klassischen Managementprozesses unterteilt:

Den Ausgangspunkt bildet die Analysephase. In dieser Phase sind sämtliche Informationen zu erheben, die helfen können, die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden hinsichtlich Leistung und Interaktion der Unternehmen besser zu verstehen. Die Erhebung der kundenbezogenen Informationen findet in der Regel im Rahmen von schriftlichen oder telefonischen Kundenbefragungen zur Ermittlung von Kennzahlen zur Kundenzufriedenheit und Kundenbindung statt.

Neben der Analyse der aktuellen sind auch die ehemaligen Kunden und deren Gründe für die Abwanderung eingehend zu analysieren, um Verbesserungspotenziale der Kundenorientierung aufzudecken und weitere Abwanderungen zu verhindern. Die Analyse der Kundenstruktur, beispielsweise durch ABC-Analysen, Kundenportfolios oder mittels „Customer-Lifetime-Value“-Betrachtungen, kann wertvolle Hinweise darüber geben, in welche Kundensegmente heute und in Zukunft Investitionen sinnvoll sind. Über diese vier „klassischen“ kundenbezogenen Analysen hinaus existieren weitere Analyseverfahren. Im Rahmen der Bausteine sind z. B. Imageanalysen, 22Benchmarkingstudien oder Gap-Analysen denkbar, die ebenfalls herangezogen werden können, um Kundenerwartungen zu spezifizieren und im Weiteren eine Steigerung der Kundenorientierung zu erreichen.

Die Planungsphase lässt sich in eine strategische und eine operative Komponente unterteilen. Hier werden zunächst strategische Stoßrichtungen festgelegt, die hinsichtlich eines ganzheitlich kundenorientierten Konzeptes möglicherweise umfangreiche Veränderungen erfordern. Beispielsweise definiert eine Strategie mit dem Ziel einer Integrierten Kommunikation, wie die Zusammenführung der Kommunikationsinstrumente zu realisieren ist. Anschließend werden die Maßnahmen festgelegt, die in Bezug auf die einzelnen Bausteine einzusetzen sind, so z. B. die einzelnen Kundenbindungsinstrumente oder die Prozesse eines Beschwerdemanagements.

Die dritte Phase des Bezugsrahmens stellt die größten Herausforderungen an die Unternehmenspraxis dar. Hier gilt es, die Strategien zur Verbesserung der Kundenorientierung in aktionsfähige Handlungen umzusetzen. In der Umsetzungsphase werden somit Anpassungen der Unternehmensstrukturen, der -systeme und der -kultur erforderlich, um das definierte Ziel der Kundenorientierung langfristig sicherstellen zu können.

Im Anschluss an die Umsetzung folgt die Kontrolle der Kundenorientierung. Es stehen unterschiedliche Messansätze zur Verfügung, mit dem der Umsetzungsgrad der Kundenorientierung, mit dem Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung, gezielt erhoben werden kann.

Die Darstellung der einzelnen Bausteine der Kundenorientierung in den Kapiteln 2 bis 10 des Buches hat zur Aufgabe, dem Leser aus der Unternehmenspraxis eine grundlegende Vorstellung darüber zu vermitteln, welche Unternehmensbereiche oder -aufgaben möglicherweise ausbaufähig bzw. welche in der Zukunft zu beachten sind. Im Vordergrund steht die Darstellung der wesentlichen Grundlagen des Themengebietes sowie der Bezug zur Kundenorientierung und nicht die detaillierte Beschreibung einzelner Vorgehensweisen wie z. B. bestimmter Analysemethoden. Obwohl jeder Baustein der Kundenorientierung ein in sich geschlossenes Kapitel bildet, ist zu 23berücksichtigen, dass eine Vernetzung der einzelnen Maßnahmen erforderlich ist. Insbesondere gilt dies für das Kundenwertmanagement, dem hinsichtlich der Zielsetzung möglichst rentabler, d. h. kundenwertspezifischer, Investitionen in die Kundenorientierung eine zentrale Funktion zukommt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass kein „Patentrezept“ zur Steigerung der Kundenorientierung erwartet werden kann (Benning-Rohnke/Greif 2010). Um Kundenorientierung methodisch erfolgreich im Unternehmen zu implementieren, bedarf es einer übergeordneten Gesamtkonzeption, in die die einzelnen Bausteine der Kundenorientierung integriert werden, um eine Verbindung zwischen den einzelnen Maßnahmen sicherzustellen.

Der Bezugsrahmen der Kundenorientierung zeigt ein breites Spektrum an Maßnahmen auf, die teilweise relativ leicht, mitunter jedoch auch nur langfristig und unter zahlreichen Widerständen, umgesetzt werden können. Langfristiges Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität der Kundenorientierung schrittweise abzubauen.

252. Kapitel
 
Qualitätsmanagement

1. Grundlagen des Qualitätsmanagements

Die Erbringung einer exzellenten Produkt- und Dienstleistungsqualität im Rahmen eines systematischen Qualitätsmanagementsystems ist ein zentraler Ansatzpunkt zur Steigerung der Kundenorientierung. Wie dies in Unternehmen realisiert werden kann und welche Phasen, Instrumente und Methoden hierbei eine besondere Rolle spielen, wird innerhalb des ersten Bausteins der Kundenorientierung näher betrachtet. Die Bedeutung der Qualität ist dabei sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis unumstritten (Beckett 2008; Bruhn 2008). Nachdem die Qualitätsförderung ihren Anfang in den USA und Japan nahm, erfuhr die Thematik seit der Einführung des European Quality Award 1992 auch in Europa einen Bedeutungsschub. In den folgenden Jahren wurden mehrere Qualitätspreise etabliert (z. B. Ludwig-Erhard-Preis in Deutschland seit 1997, Esprix in der Schweiz seit 1999, Malcolm Baldrige Award in den USA seit 1988), die zunehmende Beachtung finden und dazu führen, dass Qualitätskonzepte wie das EFQM-Modell (European Foundation for Quality Management) von zahlreichen Unternehmen eingesetzt werden.

26Studie:

Das Georgia Institute of Technology stellte fest, dass – über eine Zeitspanne von fünf Jahren – bei Preisträgern des amerikanischen Qualitätspreises Malcolm Baldrige Award, d. h. Unternehmen mit einem ganzheitlichen Qualitätsmanagement, der Anstieg von Gewinn und Umsatz mehr als doppelt so hoch ausfiel, als beim Durchschnitt der im Aktienindex S&P 500 vertretenen Unternehmen (Dubacher 2005).

Schaubild 2–1 verdeutlicht den Zusammenhang von Kundenorientierung und Qualitätsmanagement. Es wird deutlich, dass ein Qualitätsmanagementsystem primär auf die erste Dimension der Kundenorientierung, das Leistungsangebot, wirkt.

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Schaubild 2–1: Zusammenhang von Kundenorientierung und Qualitätsmanagement

1.1 Zum Begriff Qualität

Der Qualitätsbegriff zeichnet sich in Theorie und Praxis durch divergierende Sichtweisen und uneinheitliche Interpretationsansätze aus. Die heterogenen Auffassungen über den Begriff Qualität machen deutlich, dass es bis heute nicht gelungen ist, ein in Ansätzen tragfähiges und allgemein akzeptiertes Qualitätsverständnis zu schaffen. Versteht man Qualität als Ergebnis eines Leistungserstellungsprozesses, 27so besteht Einigkeit darüber, dass zwei generelle Begriffsansätze zu unterscheiden sind (Meffert/Bruhn/Hadwich 2015):

Produktbezogener Qualitätsbegriff: Qualität wird in diesem Fall als die Summe bzw. das Niveau der vorhandenen Eigenschaften von Produkten oder Dienstleistungen definiert. Beim produktbezogenen Qualitätsbegriff ist eine hohe Qualität – im Vergleich zu entsprechenden Leistungsangeboten der Wettbewerber – durch ein überlegenes Niveau von vorab festgelegten Eigenschaften des eigenen Angebotes, wie z. B. Stabilität, Haltbarkeit, gekennzeichnet. Diese enge Auffassung rückt die Betrachtung objektiver, messbarer Kriterien in den Vordergrund („Product Based“). Bei Dienstleistungen ist diese Qualitätsauffassung aufgrund der Integration des Kunden bzw. anderer externer Faktoren in den Erstellungsprozess sowie die Immaterialität des Leistungsergebnisses problematisch, da aufgrund dieser Eigenschaften eine „Objektivität“ nur teilweise zu gewährleisten ist.

Aufgrund der hohen Relevanz des kundenbezogenen Qualitätsbegriffs im Rahmen der Kundenorientierung wird dieser im Folgenden detaillierter dargestellt. Der kundenbezogene Qualitätsbegriff ist auf die Wahrnehmung der Produkteigenschaften bzw. Leistungen aus der Kundenperspektive fokussiert („User Based“). Bei dieser Begriffsauffassung entscheiden nicht die objektiv vorhandenen Qualitätsmerkmale, sondern vielmehr stellt deren subjektive Wahrnehmung in den Augen der Konsumenten die Grundlage des Qualitätsurteils dar. Demzufolge beurteilen die Kunden, welche Qualitätseigenschaften als wichtig erachtet werden und ob sie ihren Erwartungen entsprechen (Bruhn 2013b, S. 31). Eine Messung der Qualität erfolgt bei dieser Begriffsdefinition somit nach subjektiven Kriterien.

Im Folgenden wird eine Definition des Begriffes Qualität zugrunde gelegt, die zwar produkt- und kundenbezogene Aspekte vereint, jedoch die Kundenerwartungen in das Zentrum der Begriffsdefinition stellt (in Anlehnung an die ISO-Norm und die Definition der Deutschen Gesellschaft für Qualität).

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ist die Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer Sach- oder Dienstleistung aufgrund von Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen. Sie bestimmt sich aus der Summe der Eigenschaften bzw. Merkmale einer Leistung, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden (Bruhn 2013b, S. 33).

Die Qualität steht in einem Spannungsfeld, auch „magisches Dreieck“ genannt, das sich aus der Sicht der Kunden, der Wettbewerber und des eigenen Unternehmens ergibt. Obgleich die Kundenanforderungen den primären Maßstab für das Qualitätsmanagement eines Unternehmens darstellen, sind im Rahmen einer umfassenden Sichtweise gleichfalls die Wettbewerber sowie das eigene Unternehmen in die Betrachtung zu integrieren. Eine Übersicht der Anforderungen der drei aufgeführten Gruppen zeigt Schaubild 2–2.

2. Strategische Ansatzpunkte des Qualitätsmanagements

2.1 Total Quality Management als Grundlage des Qualitätsmanagements

Die Prinzipien des Total Quality Management (TQM) bilden die strategische Grundlage zur Umsetzung eines Qualitätsmanagements im Unternehmen (Schildknecht 1992; Rogers 2013). Unter Total Quality Management ist eine auf der Mitwirkung aller ihrer Mitglieder beruhende Führungsmethode einer Organisation zu verstehen, die Qualität in den Mittelpunkt stellt und durch Zufriedenheit der Kunden auf langfristigen Geschäftserfolg sowie auf Nutzen für die Mitglieder der Organisation und für die Gesellschaft zielt (Deutsche Gesellschaft für Qualität e. V. 1995). Total Quality Management ist somit nicht nur Bestandteil eines Unternehmensführungskonzeptes, sondern dominiert als grundlegende Denkhaltung sämtliche Managementaktivitäten im Sinne einer ganzheitlichen Qualitätskultur (Kamiske 2015).

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Schaubild 2–2: Anforderungen aus Kunden-, Wettbewerbs- und Unternehmenssicht

Im Laufe der Zeit sind mit einer wachsenden Zahl von Publikationen auch zahlreiche Entwicklungsrichtungen entstanden. Die inhaltlichen Schwerpunkte des Total Quality Management können jedoch auf folgende Aussagen reduziert werden (Kamiske 2015, S. 2):

TQM ist demzufolge ein langfristig angelegter Ansatz, dessen Ziel die ständige Optimierung der Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie die Effizienz der internen Prozesse ist, um so die bestmögliche Befriedigung der Kundenwünsche zu erreichen. Bei der Abgrenzung der Begriffe Total Quality Management und Qualitätsmanagement besteht häufig noch Unsicherheit. Ausgehend vom TQM als umfassende qualitätsorientierte Strategieausrichtung umfasst das Qualitätsmanagement die Analyse, Planung, Organisation, Umsetzung und Kontrolle der qualitätsbezogenen Maßnahmen des Unternehmens.

2.2 Regelkreiskonzept des Qualitätsmanagements

Der grundsätzliche Aufbau eines Qualitätsmanagements kann anhand des so genannten Regelkreiskonzeptes beschrieben werden (Bruhn 2013b). Von diesem Konzept ausgehend wurden in der Unternehmenspraxis vielfach eigene Qualitätsmanagementsysteme implementiert, die sich – trotz individueller Ausgestaltung – an vier idealtypischen Phasen des Qualitätsmanagements orientieren (DIN ISO 9001:2008; Schaubild 2–3):

Qualitätsplanung : Die Qualitätsplanung als erste Phase eines systematischen Qualitätsmanagements umfasst das vorausschauende Planen und Weiterentwickeln der Qualitätsanforderungen an die Leistungserstellung sowie die Formulierung von kundengerichteten Qualitätszielen und -strategien. Die Qualitätsplanung konkretisiert somit alle Qualitätsanforderungen unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Realisationsmöglichkeiten.

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Schaubild 2–3: Idealtypische Phasen eines Qualitätsmanagementsystems

Qualitätslenkung : Die Phase der Qualitätslenkung, auch als Qualitätssteuerung bezeichnet, baut auf den Ergebnissen der Qualitätsplanung auf. Diese Phase beinhaltet sämtliche vorbeugenden, überwachenden und korrigierenden Tätigkeiten mit dem Ziel, die Qualitätsanforderungen und definierten Qualitätsziele zu erfüllen.

Qualitätsprüfung :